Ärger in Nastätten

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7

Im Supermarkt erfuhren Reiner und Jennifer, dass Linda Kröwert krankgeschrieben war. Sicher hatte sie der Tod der Freundin aus der Bahn geworfen. Also fuhren sie zu der jungen Frau nach Hause. Sie wohnte noch bei ihren Eltern im Johannesgraben. Ihre Mutter öffnete und brachte sie zu Linda ins Kellergeschoss, wo sie eine eigene kleine Wohnung hatte. Die junge Frau lag in einem großen pinkfarbenen Bett und schlief. Jedenfalls hatte sie die Augen geschlossen, aber als die drei eintraten, fuhr sie hoch.

„Mutter, was soll das?“, fauchte sie. „Ich habe dir schon tausendmal gesagt, du sollst hier nicht einfach reinkommen. Was sind das für Leute? Sag mal, geht’s noch?“

„Beruhigen Sie sich“, sagte Reiner laut. „Ich bin Kommissar Nickich, das ist meine Kollegin, Kommissarin Fonnach, wir kommen wegen Natalie.“

„Ach so“, knurrte Linda, schickte ihre Mutter weg und setzte sich mit dem Rücken gegen die hohe Lehne des Bettes.

Sie zog die Knie an und schlang die Arme darum. Dann nickte sie mit dem Kopf in Richtung der Couch, um den Kommissaren einen Platz anzubieten.

„Sie sind krank?“, begann Reiner.

„Was denken Sie denn? Ich gehe doch nicht zur Arbeit! Es war am Samstag schon die Hölle! Da hatte ich Spätschicht und erfuhr hinter der Kasse davon, dass Natalie tot ist.“

„Oh, das ist böse, wer hat Ihnen denn davon erzählt?“

„Laura, Julianos Schwester.“

Reiner und Jennifer schauten sich an. Das war sicher die junge Frau, die aus der Wohnung gekommen war, als sie bei dem Italiener waren. Jennifer atmete auf, war ihr doch der Gedanke gekommen, dass es seine Freundin gewesen sein könnte. Das hatte ihr irgendwie nicht gefallen, zumal die Frau sehr gut aussah und perfekt zu Juliano passte.

„Woher wusste sie davon?“

„Von Juliano. Der ist Lehrer hier in Nastätten.“

„Ich weiß“, entgegnete Reiner, „ich bin immer wieder überrascht, wie schnell so eine Tat die Runde macht und woher die Leute ihre Informationen haben.“

„Tja, Nastätten ist eben keine anonyme Großstadt.“

„Das stimmt. Erzählen Sie ein bisschen über Natalie!“

„Sie war ein Engel. Immer gut drauf, lustig, lieb und sie hat jeden Spaß mitgemacht.“

„Zum Beispiel?“

„Ich weiß gar nicht, ob ich Ihnen das sagen darf …“

„Sie dürfen mir alles sagen, ich bin die Polizei. Sollten Sie mir etwas verschweigen, was den Fall betreffen könnte, werde ich ungemütlich.“

„Es gibt da einen Mann, der denkt, der kann alle Frauen haben, vor allem die jungen. Der ist schon mega alt und es ist uncool, dass er immer die besonders jungen Frauen anbaggert. Er denkt, er ist sonst wie toll. Wir haben ihn ein bisschen verarscht, weil er auch an Natalie interessiert war.“

„Name?“

„Andreas Öckertz.“

„Wohnt in?“

„Irgendwo hier in Nastätten.“

„Wie haben Sie ihn verarscht?“

„Er hat uns in eine Bar eingeladen und wir haben nur die teuersten Sachen getrunken. Wir haben gesagt, er kann uns nur zu dritt haben. Natalie hat ihn dann in dem Glauben gelassen, dass sie ihn mag. Als er pinkeln war, sind wir einfach abgehauen.“

„Sowas ist fies. Denken Sie, er könnte sich für den Korb gerächt haben?“

„Erst dachte ich: Wegen sowas bringt man doch keinen um. Aber jetzt bin ich mir nicht mehr so sicher. Was ist denn, wenn er uns auch bestrafen will? Schließlich waren Marita und ich auch dabei.“

Jennifer sagte: „Ja, wegen so etwas bringt man niemanden um. Das denke ich auch. Da schreibt man etwas Böses in den sozialen Netzwerken und gut ist es. Wie war denn die Beziehung von Natalie zu Frederick Meineltz?“

„Ach, die waren total süß zusammen, aber das war noch ganz frisch. Hat man Natalie … ich meine …“

„Nein, sie wurde nicht vergewaltigt. Der Täter oder die Täterin muss ein anderes Motiv haben.“

„Täterin? Ich war es nicht. Natalie war meine Freundin! Und Marita würde auch niemandem etwas tun.“

„Davon war nie die Rede, Frau Kröwert“, brummte Reiner und legte ihr seine Karte auf den kleinen runden Glastisch.

Sie verabschiedeten sich und verließen das Haus. Mit neuer Energie machten sie sich auf den Weg ins Büro, um die Adresse von Andreas Öckertz herauszufinden.

Jennifer tippte den Bericht in den Computer, Reiner recherchierte.

„Oh, wir haben den Herrn in den Akten. Körperverletzung. Belästigung. Wie nett.“

„Ich bin gleich fertig, dann nehmen wir ihn uns vor.“

Weißt du, wo der wohnt? Im selben Mietshaus wie Bea Klümpert. Sicher kennt sie ihn.“

„Besuchen wir SIE doch mal.“

„Sie mag mich nicht.“

„Das ist dir sonst auch egal.“

Reiner grinste. Jennifer hatte recht. Aber Bea hatte immer einen bösen Blick, wenn sie ihn sah. Er hatte wohl irgendetwas zu ihr gesagt, was sie in den falschen Hals bekommen hatte. Vielleicht würde er Undine fragen, was das gewesen war.

Plötzlich hatte er eine Idee und griff zum Telefon.

„Hallo Undine. Ich wollte mal deine Stimme hören.“

Es wurde gesprochen und Jennifer, die zugehört hat­te, konnte sich Undines spöttischen Tonfall ausmalen.

„Ja, du hast wie immer recht. Ich habe Hintergedanken. Ich bräuchte deine detektivischen Fähigkeiten. Kannst du etwas über einen Andreas Öckertz in Erfahrung bringen?“

Reiner hörte zu.

„Ja, der bei Bea im Haus wohnt. Es könnte sein, dass er mit unserem Fall zu tun hat.“

Jetzt lachte er.

„Ich weiß, dass ich dir gesagt hatte, du sollst dich aus allem heraushalten, aber kannst du mal freundlichst eine Ausnahme machen?“

Dann wurde er wieder ernst.

„Danke, bis später. Ich vermisse dich.“

Den letzten Satz hatte er nur geflüstert, aber als er hochsah, grinste ihn Jennifer amüsiert an.

„Na und?“, knurrte er aggressiv.

„Ich habe ja gar nichts gesagt.“

Reiner kniff die Augen zusammen, aber dann lachte er. Er wusste, dass diese Undine einige ungewöhnliche Dinge mit ihm angestellt hatte. Früher hätte er sich gewehrt, aber heute war ihm herzlich egal, was andere Menschen dachten.

Ihr Weg führte sie nun nach Wiesbaden in ein riesiges Bürogebäude, denn sie wollten heute unbedingt noch mit Marita Mecken reden. Jennifer hatte vorher angerufen, denn sie wollten auf keinen Fall umsonst nach Wiesbaden fahren.

Unterwegs aßen sie in der Wambacher Mühle zu Mittag und Reiner hätte am liebsten einen verspäteten Mittagsschlaf gemacht. Mit vollen Magen in der Wärme im Auto zu sitzen war nicht gemütlich.

Im Wiesbaden angekommen wurden sie in einen klimatisierten Konferenzraum geführt und einen Moment später kam eine junge Frau mit einem Tablett hinein. Sie lud Gläser und Wasserflaschen auf dem Tisch ab und stellte sich als Marita Mecken vor.

„Mein Chef weiß Bescheid und darum können wir hier reden. Ich könnte schon wieder heulen. Meine arme Natalie. Wer tut so etwas?“

„Frau Mecken“, begann Jennifer, „wann haben Sie Natalie zuletzt gesehen?“

„Ich denke, es war Dienstag. Ja, ich bin mir sicher. Wir waren Eis essen, weil ich am Nachmittag zuhause war. Linda musste arbeiten, Frederick hatte auch zu tun, sonst wären sie mitgekommen.“

„Wie schätzen Sie die Beziehung zwischen Natalie und Frederick ein?“

„Wenn Sie jetzt denken, dass Freddi ihr etwas angetan hat, dann muss ich Sie enttäuschen. Er ist der netteste Mensch, den man sich vorstellen kann, dazu klug und höflich. Sie haben …“

Jetzt liefen Marita, die sich zusammenreißen wollte, doch die Tränen herunter. Ihre Schultern zuckten und Jennifer legte eine Hand auf den Arm der jungen Frau.

„Es tut uns sehr leid, aber wir geben alles, um den Mörder zu finden. Wenn es Freddi nicht war, wer könnte denn ein Motiv haben, Natalie zu töten?“

„Niemand! Kein Mensch hat einen Grund einen anderen zu töten. Das ist so krank! Vielleicht …“

Sie stockte.

Reiner hakte nach und bekam genau die Antwort, die er erwartet hatte.

„Es war womöglich dieser perverse Andy. Andreas Öckertz. Der ist so widerlich und stellt jungen Frauen nach, dabei ist der uralt. Wir … wir haben ihn …“

„Ich weiß, Sie haben ihn verarscht, das hat uns Linda schon erzählt. Warum sollte er sich rächen wollen?“

„Der ist anzüglich, wenn er den Mund aufmacht. Ich glaube, er hätte uns alle drei … na, Sie wissen schon. Mir war von Anfang an unwohl bei der Idee, ihn auszunehmen.“

„Ich verstehe, hatte Natalie Angst vor ihm?“

Marita schüttelte den Kopf.

Reiner fuhr fort: „Und wie war das mit ihrem Italienisch-Lehrer?“

„Juliano? Sie hat nur die Sprache gelernt. Schließlich war sie mit Frederick zusammen. Obwohl, der ist schon ein toller Mann. Aber auch viel zu alt. Denken Sie, die hatten was miteinander?“

Marita hatte große Augen bekommen und man sah, dass es in ihrem Kopf ratterte. Jennifer wurde unbehaglich bei dem Gedanken, dass ihre nette neue Bekanntschaft womöglich ein falsches Spiel spielte.

Aber würde das nicht auch heißen, dass Natalie nicht die super Person gewesen war, die man ihnen beschrieben hatte?

8

„Ich habe ein bisschen herumgefragt, mein Lieber“, sagte Undine am Abend.

Reiner war nach Feierabend sofort zu Undine gefahren, denn einerseits wollte er keine Sekunde mit ihr verlieren, andererseits wollte er wissen, was sie über Andreas Öckertz berichten konnte. Er war sicher, dass Undine etwas Interessantes herausgefunden hatte.

Der Kommissar war zu Undine auf die Bank gesunken, hatte gestöhnt und seinen Kopf auf ihre Schulter gelegt.

 

„Was für ein Tag.“

„Erzähl! Du hast jetzt jemanden, der dir zuhört und Kaffee kocht.“

„Dann koch mir bitte einen Kaffee. Aber ich denke, du willst mir etwas erzählen.

Undine ging ins Haus und kam einen Moment später mit einer vollen Kaffeetasse heraus, die sie auf einem Tablett balancierte. Neben der Tasse standen eine Schale mit Plätzchen und ein Teller mit Obst.

„Du bist so gut zu mir“, sagte Reiner und küsste Undine auf die Wange.

Sie setzte sich wieder zu ihm, er trank Kaffee und sie begann mit ihrem Bericht.

„Ich habe meine Freundin Bea besucht und sie nach ihrem Nachbarn befragt. Er war eigentlich immer ein hilfsbereiter Mann, wenn mal etwas Schweres zu tragen war, aber Bea ist nicht sehr glücklich über seine nächtlichen Aktivitäten. Außerdem ist er meistens mürrisch und unhöflich. Sie hat ihn mal gebeten, den Müll sorgfältiger zu trennen. Das hat ihm anscheinend nicht gefallen, denn am nächsten Morgen lag der Müll auf ihrer Terrasse verstreut. Sie hat ihn darauf angesprochen, doch er hat alles abgestritten. Seitdem ist die Stimmung ein wenig eisig.“

„Welche nächtlichen Aktivitäten?“

„Damenbesuche.“

„Er ist doch ledig, oder?“

„Ja, das schon, aber Bea berichtete von wechselnden Bekanntschaften. Sie mag es halt nicht, dass ständig Fremde im Haus sind.“

„Was sind das für Damen?“

„Eigentlich nur sehr junge Damen. Viel zu jung.“

„Minderjährige?“

„Das kann man heutzutage gar nicht mehr einschätzen. Die Dreizehnjährigen putzen sich doch oft schon so raus, dass sie aussehen wie zwanzig. Erst wollen sie älter aussehen und wenn sie dann mal erwachsen sind, versuchen sie wieder jünger zu wirken. Also, Andreas Öckertz scheint eine Vorliebe für junge Mädchen zu haben.“

„Ich frage mich immer, warum Eltern so jungen Dingern erlauben, mit irgendwelchen Kerlen mitzugehen. Und dann sind sie halbnackt unterwegs. Da kommen Männer schon mal auf dumme Gedanken.“

„Du liegst völlig falsch! Wir Frauen müssen uns doch wohl nicht in Sack und Asche hüllen, nur damit sich niemand an uns vergreift. Und wenn ich nackt rumlaufe, das ist noch lange keine Aufforderung zum Anfassen oder mehr. Es ist zwar geschmacklos und eine Zumutung für die Mitmenschen, aber theoretisch ist es meine Sache und keine Entschuldigung für übergriffige Männer.“

„Ich habe gerade böses Kopfkino, wie du nackt durch Nastätten läufst. Was nicht heißen soll, dass du es dir nicht leisten könntest.“

„Da hast du aber gerade nochmal die Kurve gekriegt, mein Lieber. Aber ich meine es durchaus ernst. Nur weil die jungen Frauen heute zeigen, wie gut sie aussehen und auch mal ein bisschen Haut zur Schau stellen, ist das kein JA zum Sex.“

„Sei nicht sauer, ich verstehe doch, was du meinst. Ich frage mich nur manchmal, ob die Eltern heutzutage nichts mehr zur Kleidung ihrer Kinder sagen. Beziehungsweise ob sie überhaupt noch in der Lage sind, ihre Kinder zu erziehen. Also meine Tochter würde nicht mit einem alten Sack mitgehen.“

„Du hast aber keine Tochter und somit auch nicht das Recht, alle Eltern über einen Kamm zu scheren.“

Reiner schwieg jetzt lieber, denn zum einen hatte Undine recht, zum anderen wollte er sich nicht um Kopf und Kragen reden.

„Glaubst du, so einer wie Andreas Öckertz könnte sich an Natalie vergriffen haben?“

„Ich weiß nicht. Kennen sie sich denn?“

Nun berichtete Reiner ganz offen von der Aktion der Mädchen, obwohl es zu den Ermittlungsergebnissen zählte. Er sah das als Entgegenkommen, weil Undine für ihn recherchiert hatte.

„Das ist gemein. Auch wenn er es vielleicht verdient hat. Denkst du, das hat womöglich Rachegedanken geweckt?“

„Wir werden ihn morgen befragen. Ich fahre mit Jennifer zu ihm auf die Arbeit, da kann er nicht abhauen, wenn er es war.“

„Mein lieber Herr Kommissar, das ist zu einfach. Dann hättet ihr den Fall in wenigen Tagen gelöst. Ganz tief in mir drin ahne ich, dass es viel mehr ist als die Rache eines Weiberhelden.“

„Wie schlau du bist. Wir werden sehen. Wenn wir den Fall schnell zu den Akten legen können, habe ich auch mehr Zeit für dich.“

Undine lehnte sich in Reiners Arme.

„In dem Fall würde ich dich sofort wieder arbeiten schicken. Allerdings, wie wäre es denn, wenn du hier bleibst? Dann können wir zusammen essen, spazieren gehen, noch eine Weile im Garten sitzen. Und du wärst morgen direkt in Nastätten.“

„Wie praktisch du doch manchmal denkst. Gerne bleibe ich bei dir.“

Grinsend beugte sich Reiner zu ihr hinüber und küsste sie lange.

In einem anderen Garten saßen Karla und Jennifer mit einer Flasche Wein zusammen und redeten über die neue Wohnung.

„Wenn du magst, kannst du auf meiner Terrasse eine Einweihungsparty geben. Du kannst dich auch so jederzeit hier aufhalten.“

„Ach, Karla, das ist lieb von dir. Das Sitzen im Garten nehme ich gerne an. Ich habe aber im Moment keine Zeit zum Feiern. Wir müssen den Täter finden, der Natalie getötet hat. Kannst du mir etwas über Laura und Juliano Nunnio berichten?“

„Du meinst, ich soll dir etwas über den netten Sportlehrer erzählen?“

Karla grinste.

„Nein“, sagte Jennifer ernst, „ich will nichts über ihn als Mann wissen. Er kannte Natalie und könnte somit ihren Tod verursacht haben.“

„Nein, das glaube ich nicht. Der Mann ist unglaublich. Erstmal ist er ein super Lehrer und jeder Schüler liebt ihn. Dann gibt er in seiner Freizeit Unterricht in Italienisch. Er trainiert außerdem die Kinder aus den Kitas in Akrobatik und das kostenlos. Solch ein Mensch tut niemandem etwas an.“

„Welche Kitas?“, fragte Jennifer mit einem merkwürdigen Gefühl in der Magengegend.

„Die drei in der Stadt und die neue hinten am Wald, wo ihr Natalie gefunden habt.“

Erst als Karla das ausgesprochen hatte, merkte sie, dass das keineswegs entlastend für Juliano war. Nein, ganz im Gegenteil, sie hatte ihn wohl damit in Schwierigkeiten gebracht. Das wusste sie, nachdem sie Jennifers Blick gesehen hatte.

„Das sieht jetzt vielleicht so aus, als wenn ihn das verdächtig macht, aber bitte, Jennifer, glaube mir, Juliano ist ein guter Mensch.“

„Ich möchte das gern glauben, wirklich, doch wir müssen nun mal allen Spuren nachgehen. Juliano Nunnio gehört zum Kreis der Verdächtigen und das bleibt so, bis wir etwas anderes beweisen.“

„Du findest ihn süß, oder?“, fragte Karla jetzt grinsend.

„Ja … nein … ja, schon. Ich will aber keinen neuen Mann. Basta. Ich genieße ab dem Wochenende meine neue Wohnung, das reicht an Veränderungen in meinem Leben. Außerdem habe ich viel zu tun.“

Plötzlich fiel ihr wieder ein, was sie Reiner versprochen hatte: mit Karla zu reden, um das Thema Johannes abzuschließen.

„Du hast recht. Juliano gefällt mir und ich ihm wahrscheinlich auch. Es ist nur …“

„Johannes? Das Thema liegt dir im Magen, oder? Ich kann dich sehr gut verstehen. Jeden Morgen sage ich mir: Du hast alles falsch gemacht. Aber dann wische ich den Gedanken schnell weg. Ich habe einen Fehler gemacht und nicht für meine Liebe gekämpft. Das habe ich teuer bezahlt. Im Nachhinein weiß ich, dass mein Leben anders verlaufen wäre ohne Henner und mit Jonas an meiner Seite, doch das kann ich nicht mehr ändern. Ich habe zwei tolle Kinder, gute Freunde und es geht mir gut. Das Gericht wird Henner für immer wegsperren und die Scheidung ist eingereicht. Ich schaue nach vorne. Das solltest du auch, damit du dich wieder auf eine neue Liebe einlassen kannst. Und wenn Juliano unschuldig ist, darfst du dich gern in ihn verlieben.“

„Ich hoffe es. Und danke für deine Worte. Ich werde versuchen, mein Leben hier neu zu ordnen.“

9

Weil Reiner die Vorstrafen von Andreas Öckertz im Sinn hatte, plante er eine Befragung auf die unangenehme Art. Jennifer war ihm in das Büro der Dachdeckerfirma gefolgt. Sie waren sehr früh aufgestanden, damit die Arbeiter nicht schon auf den Baustellen verschwunden waren. Andreas Öckertz sprach gerade mit dem Chef über den Tagesplan.

Reiner hielt seinen Dienstausweis hoch und fragte laut: „Guten Morgen, Herr Öckertz? Haben Sie einen Moment für uns?“

„Oh nein, was soll das denn? Sie tauchen hier auf meiner Arbeitsstelle auf und verhören mich?“

„Erstens ist es nötig und zweitens habe ich doch noch gar nichts gesagt. Außerdem ist das hier erstmal nur eine Befragung. Wenn es ein Verhör werden sollte, lasse ich Sie auf die Dienststelle bringen. Wo können wir reden?“

Der Chef hatte zwischen den dreien hin und her geschaut, winkte jetzt ab und bot ihnen sein Büro an. Er würde ins Lager gehen und so hätten sie Ruhe.

„Mann!“, fuhr Andreas gereizt fort. „Sie wollen mir wohl mein Leben versauen? Um was geht es denn?“

„Wo waren Sie Donnerstagabend?“

„Wissen Sie, wie lange das her ist?“

Der muskulöse, braungebrannte Mann Mitte dreißig, dessen blonde Haare zu einem Zopf gebunden waren, war wütend und ließ das die Kommissare deutlich spüren. Jennifer ahnte, dass er nur so laut wurde, um sich als knallharter Kerl zu zeigen. Aber wer so laut bellte, hatte wahrscheinlich niemanden gebissen.

„Herr Öckertz, Sie sehen, mein Kollege ist sehr ungehalten, denn wir hatten noch kein Frühstück. Es wäre besser, wenn Sie unsere Fragen nicht mit Gegenfragen beantworten würden, sondern klare Angaben machen. Also, wo waren Sie am Donnerstagabend?“

Der Mann sah plötzlich ganz brav aus, wie ein blonder Engel, und lächelte Jennifer an.

„Frau Kommissarin, es tut mir leid, aber da muss ich erst nachdenken. Ich wollte nicht so aufgebracht sein. Tut mir auch leid. Hm, am Donnerstag war ich zuhause. Meistens bin ich am Wochenende unterwegs, denn als Dachdecker muss ich früh raus. Ich habe sicher Fernsehen geguckt und habe dann geschlafen. Freitag war ich feiern. Worum geht es denn eigentlich?“

„Natalie Bresionner. Kennen Sie die junge Frau?“

Andreas lächelte wieder charmant und hatte wohl vollkommen ausgeblendet, dass Reiner auch mit im Raum war.

„Ach, Sie meinen die kleine Französin? Das Mädel ist nett und hübsch, aber viel zu jung für mich. Leider. Ich stehe da mehr auf erwachsene Frauen wie Sie eine sind. Solch eine hübsche Kommissarin habe ich aber auch noch nicht gesehen.

Jetzt reichte es Reiner und er bollerte: „Quatschen Sie meine Kollegin nicht voll, sondern sagen Sie mir lieber, ob es Zeugen für Ihre Angaben gibt!“

„Natürlich nicht. Ich bin ledig und damit kann ich mich mit so vielen Damen unterhalten, wie ich will.“

„Wann sind Sie nach Hause gekommen?“

„So gegen sieben.“

„Wann sind Sie ins Bett gegangen?“

„Keine Ahnung. Vielleicht halb elf.“

„Haben Sie einen Anruf bekommen oder Besuch?“

„Nein, ich kann Ihnen kein Alibi liefern, wofür auch immer.“

Jennifer fragte dazwischen: „Sie wissen es also noch nicht?“

„Was sollte ich wissen?“

„Dass Natalie tot ist.“

Jetzt sprang der Dachdecker die beiden Kommissare fast an.

„Und Sie denken sofort, dass ich das war? Sind Sie bescheuert? Warum sollte ich dieses kleine Biest umbringen?“

„Ich habe nichts davon gesagt, dass sie umgebracht wurde. Aber vielleicht waren Sie sauer, weil Ihnen Natalie mit ihren Freundinnen einen Streich gespielt hat?“

„Nein! Nein, ich lasse mir doch nichts anhängen, nur weil diese kleinen Biester mich einmal verarscht haben. Deswegen bringt man doch niemanden um! Vergessen Sie das mal schnell wieder. Als die Weiber weg waren, habe ich mich mit einer anderen getröstet. Ich gehe jetzt arbeiten. Sie spinnen doch!“

Reiner wollte ihn aufhalten und mit seinem Wissen konfrontieren, aber Jennifer legte ihm eine Hand auf den Arm.

„Lass ihn gehen, wir haben nichts gegen ihn in der Hand. So blöd der auch ist, wir können ihm nichts nachweisen und ein Motiv ist der Spaß der Mädchen nun wirklich nicht.“

Reiner seufzte.

„Du hast ja recht. Aber so einen Lackaffen möchte ich gerne mal verknacken. Der hat dich angemacht!“

„Es rührt mich, dass du für mich eintrittst, aber das ist nicht nötig, mit solchen Typen werde ich schon allein fertig. Komm, wir fahren zu den Krambachs und fragen die, ob sie Andreas kennen und ob sie ihn mal in der Nähe von Natalie gesehen haben.“

„Aber vorher frühstücken wir bei Undine. Halte mal beim Bäcker an!“

 

Schweigend machten sie sich auf den Weg. Reiner grollte noch immer, denn dieser Mann war ihm sehr unangenehm geworden. Solche Typen sehen gut aus, hatten Muskeln, aber kein Hirn und dachten, dass sie alles haben können. Von Gegenständen bis zu Frauen. Ihm war diese Art Männer ein Dorn im Auge.

Vor der Remise küsste ihn Undine, runzelte aber die Stirn. Sie machte frischen Kaffee, schüttete die duftenden Brötchen in den Korb und gab Jennifer ein Zeichen, mit in die Küche zu kommen.

„Was hat er denn?“

„Wir haben eben Andreas Öckertz befragt und weil der mich dumm an gemacht hat, wäre er beinahe geplatzt. Reiner ist eben ein Mann, der sowas nicht gut aushalten kann.“

„Dann müssen wir ihn jetzt auf andere Gedanken bringen.“

Sie deckten den Tisch fertig, riefen Jasmin zum Frühstück dazu und dann trat auch noch Lene durch das Tor.

„Guten Morgen, ihr seid aber früh auf“, rief sie fröhlich.

Sie setzten sich zu Tisch und frühstückten. Als Reiner sich danach noch eine zweite Tasse Kaffee genehmigte, schien er wieder guter Dinge zu sein. Undine zog ihn mit sich in den Garten, sie wollte Tomaten ernten. Reiner trottete hinterher, obwohl er jetzt gern ein Schläfchen auf der Hollywoodschaukel, die unter dem Zwetschgenbaum stand, gemacht hätte.

„Geht es dir wieder besser?“

„Ja“, brummte Reiner.

„Aber irgendetwas sitzt dir doch noch quer im Gemüt, oder?“

„Nein … ja … ich mache mir Sorgen um Jennifer.“

Undine war erstaunt.

„Warum das denn? Es geht ihr doch gut.“

„Sie hat total dicht gemacht, was Männer angeht und ich befürchte, solche Typen wie der eben machen es nicht besser. Sie muss erst wieder Vertrauen finden.“

„Das ist lieb von dir, aber ich denke, sie ist eine starke Frau und wird sich auch wieder verlieben. Lass ihr ein bisschen Zeit, um über die Sache hinwegzukommen. Und solche Typen, wie du sagst, wickelt sie um den Finger, aber nur, um ihnen die Hölle heißzumachen.“

„Denkst du? Na gut, dann schalte ich wieder einen Gang zurück.“

Undine schob ihm eine kleine Tomate in den Mund, grinste und schmiegte sich in seine Arme.

„Du bist mein Beschützer und der von allen anderen Frauen auch. Was für ein Glück, solch einen Mann zu haben.“

Reiner lachte, schluckte und küsste Undine auf die Stirn. Er fühlte sich erleichtert und so kehrten sie an den Tisch zurück, wo sich Jennifer mit Jasmin und Lene über ihre neue Wohnung unterhielt, die sie am Wochenende beziehen würde. Alle wollten mit anpacken und Jasmin hatte Herbert angerufen, damit er seinen Transporter bereitstellte.

Nach dem Frühstück fuhren sie zu den Krambachs, aber die kannten Andreas Öckertz nur vom Sehen. Er rückte also wieder ein Stück heraus aus dem Kreis der Verdächtigen.

„Aber leiden kann ich den nicht, deshalb streiche ich ihn nicht völlig von der Liste“, sagte Reiner am Ende des Tages.

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