Die Schrecken des Pan

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Z serii: Baker Street
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»Das können Sie sich sparen, Sir Alfred! Hier gibt’s nur Tee, Säfte und Pisswasser, damit wir alle schön nüchtern bleiben«, krähte die Gräfin, woraufhin Crowley seufzend ein Ginger Ale orderte. »Machen Sie sich mal keine Sorgen, Sackgesicht! Dem können wir Abhilfe schaffen«, erklärte Gräfin Bronski, öffnete ihre elegante Abendhandtasche und präsentierte Crowley einen silbernen Flachmann. »Ist zwar kein Whiskey drin, aber ein guter französischer Cognac tut’s doch hoffentlich auch.«

Der Magier war begeistert. »Vortrefflich, meine Liebe, vortrefflich, der Abend ist gerettet!«

»Das machen die meisten hier, man darf sich nur nicht dabei erwischen lassen, sonst werden einem die Vergünstigungen gestrichen.«

Nachdem Crowley sein Ginger Ale dezent präpariert und der Gräfin gebührend zugeprostet hatte, servierte ihnen der Ober ein auserlesenes Vier-Gänge-Menü, sodass der vom Alkohol bereits euphorisierte Magier in bester Stimmung war. Er schob sich gerade genussvoll ein Stück Roastbeef in den Mund und schaute sich im Saal um, als er plötzlich zur Salzsäule erstarrte und ihm der Bissen fast im Halse stecken blieb.

Gräfin Bronski musterte ihn irritiert. »Was ist denn mit Ihnen los, haben Sie einen Geist gesehen?« Doch anstatt ihr zu antworten, starrte Crowley nur weiterhin ins Leere, woraufhin ihn die Gräfin energisch am Arm stupste und fragte: »Essen Sie das nicht mehr? Dann nehme ich das nämlich für meine Katzen mit.«

»Ja, ja, machen Sie nur! Äh, äh, Entschuldigung, ich muss gehen«, murmelte Crowley hektisch, erhob sich von seinem Stuhl, deutete eine Verbeugung an und verließ fluchtartig den Speisesaal.

»Der hat sie doch nicht mehr alle«, fluchte die Gräfin konsterniert. »Verpiss dich, Du Schwanzlurch«, rief sie dem Entschwindenden hinterher und da sie sowieso schon alle Blicke auf sich gezogen hatte, zertrümmerte sie noch wütend ihr Glas und schrie so laut, dass es durch den ganzen Saal hallte: »Glotzt nicht so blöd, ihr Arschgeigen!«


Um sechs Uhr früh zum Dienstantritt war Maureen zwar total übermüdet, aber guter Dinge. Nach dem Kino war sie noch mit Joe und Patricia, die ihr angeboten hatten, sich beim Vornamen zu nennen, in ein Pub gegangen. Dort hatten sie sich angeregt unterhalten und es war spät geworden. Maureen zehrte noch von dem schönen Abend und ließ ihn Revue passieren, während sie ins Schwesternzimmer trat, um mit den Kollegen von der Nachtschicht das Übergabe-Gespräch zu führen. Der muskulöse Pfleger Festus Houseknecht, der auch der Oberpfleger der Station war, und die Krankenschwester Ava Cushing saßen am Tisch und blinzelten ihr aus müden Augenschlitzen entgegen.

»Gibt schlechte Neuigkeiten«, grummelte Festus übellaunig, gleich nachdem sich Maureen zu ihnen gesetzt hatte. »Sir Alfred hat sich gestern Abend nach dem Dinner aus dem Staub gemacht und wurde im Morgengrauen von einer Polizeistreife nahe einer Opiumhöhle am Bahnhof besinnungslos aufgegriffen und zu uns zurückgebracht. Professor Sutton war darüber so verärgert, dass er einen kalten Entzug angeordnet hat – und wir dürfen den Schlamassel jetzt ausbaden. Als der Schotte vorhin zu sich gekommen ist, hat er eine solche Randale veranstaltet, dass ich ihn kurzerhand in die Gummizelle gesteckt habe. Am Lamentieren ist er zwar immer noch, aber die gepolsterten Wände halten schon was ab, sonst wäre das ja auch eine Zumutung für uns und die anderen Patienten. Es wäre gut, wenn du nachher mal nach ihm schauen könntest, Maureen. Vielleicht gelingt es dir ja, ihn zu beschwichtigen. So – und mit der eigentlichen Übergabe warten wir noch, bis endlich auch der Rest von der Tagesschicht eingetrudelt ist. Leider sind nicht alle so pünktlich wie du.«

Im nächsten Moment wurde an die Tür geklopft, die bei Besprechungen immer geschlossen wurde, und erstaunt gewahrten die Anwesenden die eindrucksvolle Gestalt von Professor Sutton im Türrahmen. Der Anstaltsleiter sah mit seinem sorgfältig ondulierten roten Vollbart, dem gewellten rotblonden Haar und dem markanten Aristokratengesicht wie die lebende Verkörperung von Richard Löwenherz aus – was ihm beim Personal auch diesen Spitznamen eingetragen hatte. Er grüßte schmallippig in die Runde und stellte den jungen Mann mit den blonden Stoppelhaaren, der nach ihm in den Raum getreten war, als Oberinspektor MacFaden von Scotland Yard vor. Den Herren folgten in dezentem Abstand die beiden Krankenschwestern Mildred Winnwood und Heather Atkinson, die sich mit betretenen Mienen im Hintergrund hielten. Als Maureens Blicke über ihre Gesichter schweiften, hatte sie den Eindruck, dass die Kolleginnen den Tränen nahe waren, was sie gleichermaßen erstaunte wie bedrückte.

Professor Sutton kam gleich zur Sache. »Auf dem Sanatoriums-Gelände, genauer gesagt am Rande des Seerosenteichs, hat eine unserer Patientinnen, die vorhin die Schwäne gefüttert hat, eine schreckliche Entdeckung gemacht«, sagte er mit vor Erregung bebender Stimme.

Maureen, die ihren Chef nur als beherrschten Vernunftmenschen kannte, war seltsam berührt.

»Es … es handelt sich um die enthauptete Leiche eines Mannes. Der Kopf des Toten wurde eben von der Polizei im Schilf gefunden. Ich übergebe nun das Wort an Oberinspektor MacFaden, der die Ermittlungen leitet.« Professor Sutton räusperte sich und wies auf den Inspektor.

»Da die Identität des Toten zu diesem frühen Zeitpunkt noch nicht geklärt ist, können wir momentan nicht gänzlich ausschließen, dass es sich bei ihm um einen Insassen der Heilanstalt handelt. Professor Sutton, der bei der Bergung dabei war, hat das zwar verneint, aber um absolute Klarheit zu erlangen, benötigen wir noch weitere Zeugen«, erläuterte der hochgewachsene Mann im gut geschnittenen Anzug sachlich. »Anhand der zahllosen Einstichstellen in seinen Armen lässt sich vermuten, dass der Tote drogenabhängig war. Daher ist es wichtig, dass sich die Angestellten der Suchtstation die Leiche anschauen, um zu klären, ob es sich möglicherweise um einen früheren Patienten handelt.«

Die Schwestern seufzten auf. Daraufhin erklärte der Inspektor, es genüge völlig, wenn ein Arzt und eine Schwester bei der Sichtung anwesend seien. Da inzwischen auch der Oberarzt Doktor Eisenberg und die anderen Psychiater der Suchtstation eingetroffen waren, wurde vereinbart, dass Oberpfleger Festus Doktor Eisenberg zur Leichenschau begleiten sollte.

»Scotland Yard hat in Erfahrung gebracht, dass ein Patient der Suchtstation in der Nacht nicht im Sanatorium war«, fuhr MacFaden fort. »Es geht um den berühmt-berüchtigten Okkultisten Aleister Crowley, der sich derzeit unter dem Decknamen Sir Alfred de Kerval hier aufhält. Im April gab es in Palermo bereits zwei ähnliche Mordfälle und Crowley wurde von den italienischen Kollegen als Täter verdächtigt, was sich jedoch als unbegründet erwies, da er sich zu dieser Zeit bereits im Holloway-Sanatorium aufhielt. Auch wenn ihm diese Morde nicht angelastet werden konnten, erscheint er uns in diesem neuerlichen Mordfall hochgradig verdächtig, da wir in seinem nächtlichen Verschwinden und dem Auffinden der Leiche auf dem Gelände des Sanatoriums einen Zusammenhang vermuten. Diesem Verdacht müssen wir unbedingt nachgehen. Daher möchte ich ihn nun einem ersten Verhör unterziehen.«

»Der Patient ist momentan in einer so desolaten Verfassung, dass er in eine Gummizelle verlegt werden musste«, meldete sich Oberpfleger Festus zu Wort. »Er befindet sich auf Anordnung von Professor Sutton im kalten Entzug und leidet unter schweren Entzugssyndromen. Nach meinem Dafürhalten ist er kaum vernehmungsfähig.«

»Davon werden wir uns selber ein Bild machen«, erwiderte der Anstaltsleiter barsch und schlug MacFaden und dem Oberarzt vor, sie zu Crowley zu begleiten.

»Mr Crowley klagt über ziehende Schmerzen in den Extremitäten und im Rückenbereich. Er leidet außerdem unter heftigem Speichelfluss, Schwitzen, Erbrechen und Durchfall, ist extrem unruhig und halluziniert offenbar. Daher ordne ich an, dass ihm vierhundert Milligramm Morphinsulfat zur Substitution injiziert werden, damit er halbwegs vernehmungsfähig ist. Vorher muss er aber noch gewaschen und frisch eingekleidet werden.« Professor Suttons herrischer Blick richtete sich auf Maureen, die ihrem Vorgesetzten angespannt zugehört hatte. »Können Sie das bitte übernehmen, Schwester Maureen? Er hat eben immer wieder nach Ihnen gefragt und scheint einen Narren an Ihnen gefressen zu haben« Er verzog spöttisch die Mundwinkel, ehe er süffisant hinzufügte: »Darauf würde ich mir aber nicht unbedingt etwas einbilden.«

Maureen ignorierte seine Bemerkung, erhob sich wortlos vom Stuhl, strich ihre Schwesterntracht glatt und wollte sich schon auf den Weg machen, als Professor Sutton anordnete, Pfleger Festus solle sie begleiten.

»Der Mann ist möglicherweise ein gefährlicher Mörder und hochgradig geisteskrank, wenn man bedenkt, dass die Leiche enthauptet wurde.«

Der Inspektor nickte ernst und wandte sich an Maureen und Festus: »Ich muss Sie eindringlich darum bitten, Crowley gegenüber nichts von dem Mord verlautbaren zu lassen. Das ist sehr wichtig für das anschließende Verhör.«

Nachdem ihm Maureen und der Oberpfleger dies zugesichert hatten, begaben sie sich zum Fäkalienraum. In dem nach scharfen Desinfektionsmitteln riechenden Zimmer unweit der Personal- und Besuchertoiletten, wo die Bettpfannen, die hin und wieder auf der Station Verwendung fanden, ausgeleert und gereinigt wurden, lagerten neben verschiedenen Antiseptika, Hygienepräparaten und Waschutensilien auch Gummihandschuhe – die Maureen, das wusste sie aus Erfahrung, jetzt gut gebrauchen konnte.

»Glauben Sie, dass Crowley zu einem Mord fähig wäre?«, fragte sie nachdenklich.

 

»Diesem kranken Bastard traue ich jede Schandtat zu«, erwiderte Festus prompt. »Ich hatte ja bis vorhin, als Löwenherz uns gesagt hat, dass der Schotte Aleister Crowley ist, nicht die geringste Ahnung, wen wir da bei uns beherbergen. Was ich übrigens eine ziemliche Sauerei finde! Der Alte hätte uns das längst mitteilen müssen. Unsereiner hat ja viel mehr mit den Patienten zu tun und ist deswegen auch am meisten gefährdet bei so einem Irren, der kleine Kinder verspeist«, fluchte er erbittert.

Maureen wusste, dass er ein eifriger Leser von John Bull und dem Sunday Express war, und ahnte, woraus sich seine Meinung über den Magier speiste. Obgleich sie von Crowley ein differenzierteres Bild hatte, als die Skandalblätter von ihm verbreiteten, war sie doch innerlich hin- und hergerissen. Einerseits sagte ihr ihre Intuition, dass Crowley kein Mörder war, andererseits hätte sie aber auch nicht die Hand dafür ins Feuer gelegt, dass dem nicht so war. Von solcherart Zweifeln geplagt, trat sie mit dem kleinen Rollwagen, auf dem sich frische Wäsche und Handtücher, antiseptisches Waschwasser und Gummihandschuhe befanden, in Begleitung von Festus in die Gummizelle am Ende des Flurs.

»Ein Glück, dass du da bist!«, stieß Crowley bei ihrem Anblick hervor. »Ach, der Totschläger ist ja auch dabei«, murrte er verdrossen, als er die wuchtige Gestalt des Oberpflegers im Hintergrund gewahrte.

Der Okkultist war in einem jämmerlichen Zustand und stank entsetzlich nach Erbrochenem und Fäkalien. Maureen streifte sich die Gummihandschuhe über und hielt die Luft an. Crowley blickte beschämt zu ihr herüber.

»Tut mir leid, Fairy Queen, dass ich mich so eingesaut habe, aber mir geht es total beschissen«, stammelte er verlegen und bestand darauf, sich selber zu waschen.

Maureen übergab ihm Waschlappen und Seife und trat ein Stück zur Seite, während er sich auszog. Sie rümpfte angewidert die Nase, als sie die besudelten Kleidungsstücke vom Boden aufklaubte und in den Wäschesack stopfte.

»Wie konnten Sie das nur tun, Mr Crowley, sich bei der erstbesten Gelegenheit davonzumachen und rückfällig zu werden? Ich bin bitter enttäuscht von Ihnen«, schimpfte sie aufgebracht. »Sie waren doch gestern Morgen noch so vernünftig und haben auf mich einen gefestigten Eindruck gemacht. Aber da muss ich mich wohl getäuscht haben.«

»Nein, das hast du nicht, mein Kind«, erwiderte der Okkultist mit schwerer Zunge und gab einen tiefen Seufzer von sich. »Ich … ich muss dir etwas ganz, ganz Schreckliches sagen«, flüsterte er und gab ihr ein Zeichen, näherzukommen. »Er ist hier … Ich meine Bruder Pan. Ich … ich habe ihn gestern Abend beim Dinner im Speisesaal gesehen und deswegen bin ich auch geflüchtet«, stieß er panisch hervor.

»Hören Sie auf mit dieser Heimlichtuerei und waschen Sie sich gefälligst, damit wir Sie wieder ankleiden können!«, raunzte der Oberpfleger gereizt.

»Halt die Klappe, du Halbaffe!«, fluchte der Okkultist und fuhr mit seiner Katzenwäsche fort.

Als er damit fertig war und ein sauberes Patientenhemd übergezogen hatte, schien es der Oberpfleger eilig zu haben, aus der Gummizelle hinauszugelangen. »Wisch noch schnell die Pfütze vom Boden und fertig ist die Laube!«, wandte er sich beim Hinausgehen an Maureen.

Während sie dieser unliebsamen Tätigkeit nachging, erkundigte sie sich bei Crowley, ob Bruder Pan auch ihn im Speisesaal bemerkt habe.

Der Okkultist verneinte das. »Er hat am Ärztetisch gesessen und sich angeregt mit dem Anstaltsleiter unterhalten. Er hat sich zwar einen Vollbart wachsen lassen, aber ich habe ihn dennoch sofort erkannt«, erläuterte er erregt.

»Es könnte sich bei ihm also auch um einen Patienten gehandelt haben«, überlegte Maureen konzentriert. Sie nahm Crowleys Äußerungen durchaus ernst. »Hier im Holloway-Sanatorium ist es nämlich nicht unüblich, dass die Ärzteschaft Patienten an ihren Tisch bittet.« Da sie bemerkte, dass es Crowley guttat, mit ihr zu sprechen, bat sie ihn, Bruder Pan genauer zu beschreiben.

»Was soll ich sagen?«, erwiderte Crowley zerknirscht. »Ich weiß von ihm nur, dass er im Großen Krieg als Militärarzt gearbeitet hat. Außerdem hat er ausgezeichnete Umgangsformen. Sein Aussehen ist aber schwer zu beschreiben, weil er ein nichtssagendes Dutzendgesicht hat. Er ist groß und durchtrainiert und hat – übermenschliche Kräfte«, fügte er angstvoll hinzu.

Im nächsten Moment wurde die Tür geöffnet und Professor Sutton trat in Begleitung des Oberarztes und MacFaden in den schwach erleuchteten Raum. Er gab Maureen unmissverständlich zu verstehen, die Herren mit dem Patienten alleine zu lassen, worin sie sich widerspruchslos fügte und mit dem Rollwagen die Gummizelle verließ. Als sie wenig später auf dem Gang Joe Sandler begegnete, der gerade aus einem Patientenzimmer kam, machte ihr Herz einen Sprung und sie spürte, wie sie errötete.

»Hallo Maureen«, begrüßte er sie erfreut und fügte mit Blick auf ihre Handschuhe und die Waschutensilien auf dem Wagen mitfühlend hinzu: »Der Tag hat für dich ja unschön begonnen. Für uns alle natürlich – nach den schrecklichen Vorkommnissen.«

Maureen konnte ihm nur beipflichten. »Das kann man wohl sagen. Ich war schon total vor den Kopf gestoßen, als ich von Crowleys Rückfall erfuhr. Aber als der Chef uns dann auch noch von dem Leichenfund berichtete, verstand ich die Welt nicht mehr. Ich kann und will es einfach nicht glauben, dass Crowley zu solch einer Tat fähig ist.« Ihr Blick verschleierte sich und sie musste um Fassung ringen, erst recht, da ihr aus Joes dunklen Augen eine Woge der Zuneigung entgegenströmte, die Seelenbalsam für sie war.

»Da bin ich mir auch nicht so sicher«, erwiderte der junge Psychiater mit ernster Miene. »Aber er ist zweifellos eine narzisstische Persönlichkeit, äußerst dominant und manipulativ, mit eindeutig sadistischen Zügen – von daher kann man es auch nicht ganz ausschließen.«

Maureen zögerte, ehe sie weitersprach. »Du kannst dich doch bestimmt noch daran erinnern, dass Crowley vor etwa anderthalb Wochen, als er das schlimme Entzugsdelir hatte, andauernd von diesem ominösen Bruder Pan geredet hat.«

»Durchaus«, entgegnete Joe mit gerunzelter Stirn. »Ich habe es seinerzeit als toxische Paranoia eingestuft und ihn mit einer Bromlösung in den Winterschlaf versetzt. Doktor Eisenberg und die anderen Kollegen haben mir diesbezüglich im Nachhinein auch recht gegeben. Sämtliche therapeutischen Gespräche, welche wir in der Folgezeit versucht haben mit Crowley darüber zu führen, hat er nur abgeblockt. Stattdessen wurde er ausfallend bis beleidigend.«

»Ich weiß«, sagte Maureen und musterte Joe nachdenklich. »Er hat vorhin behauptet, diesen Bruder Pan gestern Abend beim Dinner im Speisesaal gesehen zu haben – er hätte am Ärztetisch gesessen und sich mit Professor Sutton unterhalten. Deswegen wäre er ja auch geflüchtet. Ich bin mir nicht sicher, ob er sich das nur eingebildet hat, aber es lässt mir keine Ruhe.«

Joe, der ihr aufmerksam zugehört hatte, schlug vor, sich bei den Kollegen, die am Abend beim Dinner anwesend gewesen waren, diskret zu erkundigen, um wen es sich dabei handeln könne. »Sobald ich mehr weiß, sage ich dir Bescheid«, verabschiedete er sich.

Maureen dankte ihm aufrichtig für seine Unterstützung. »Bis später!«, sagte sie leicht verlegen, ehe sie dem Waschraum zustrebte.

Als Maureen um 13 Uhr mit ihren Kolleginnen Mildred und Heather den Speisesaal verließ, wo sie gemeinsam den Lunch eingenommen hatten, vernahm sie unversehens Joes Stimme hinter sich. Er sagte, dass er sie zu sprechen wünsche. Die beiden anderen Schwestern hielten ebenfalls inne und beäugten Maureen und den jungen Assistenzarzt mit unverhohlener Neugier und, da Maureen nicht die Einzige war, die für den gutaussehenden Psychiater eine Schwäche hegte, auch mit einem Anflug von Missgunst. Die Situation drohte schon peinlich zu werden, da Maureens Begleiterinnen keinerlei Anstalten machten, weiterzugehen. Schließlich riss Maureen der Geduldsfaden und sie erklärte den Kolleginnen mit zuckersüßem Lächeln, sie bräuchten nicht auf sie zu warten und sollten doch ruhig schon vorausgehen, sie käme gleich nach.

»Gut gemacht!«, lobte Joe, nachdem die beiden endlich fort waren. Er trat mit Maureen ein Stück zur Seite, um von den Besucherströmen, die das offene Portal des Speisesaals passierten, unbehelligt zu bleiben. »Also, ich habe eben mit Doktor Stoner gesprochen, der gestern Abend am Ärztetisch saß«, erklärte er mit gesenkter Stimme. »Er sagte mir, dass Lord Deerwood, ein guter Freund von Professor Sutton, mit diesem das Dinner eingenommen hat. Lord Deerwood ist Mitglied des Oberhauses und besitzt am Virginia-Water-See ein Landhaus. Wenn er sich hier aufhält, pflegen er und Professor Sutton in Suttons Villa auf dem Sanatoriums-Gelände eine Partie Schach zu spielen.«

Maureen, die förmlich an seinen Lippen hing, war sprachlos.

Joe lächelte. »Lord Deerwood hat wohl auch einen Vollbart, was sich mit Crowleys Beschreibung deckt«, bemerkte er spöttisch. »Aber ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass es sich bei diesem honorigen Herrn um einen Adepten von Aleister Crowley handelt. Dass er ihn für den ominösen Bruder Pan gehalten hat, muss eine Wahnvorstellung gewesen sein, wie sie für den Entzug typisch ist.«

»Das ist wohl so«, gab ihm Maureen widerstrebend recht. »Trotzdem vielen Dank, dass du nachgefragt hast!«

Schweigsam und nachdenklich machten sie sich auf den Weg zur Entwöhnungsstation. Als sie vor der verschlossenen Tür anlangten und Joe den Schlüssel zückte, um aufzuschließen, wandte er sich zu Maureen um.

»Es war so ein schöner Abend gestern und wir sollten das unbedingt wiederholen, wenn … wenn meine Schwester wieder da ist«, sagte er mit belegter Stimme.

Maureen war berührt von der Schüchternheit des sonst so selbstbewussten jungen Arztes. »Das können wir gerne machen, Joe«, erwiderte sie nicht minder befangen. Gleichzeitig war sie so glücklich, dass sie die ganze Welt hätte umarmen können.


Am nächsten Morgen brachte Maureen Crowley, dem es durch das Substitutionsmedikament deutlich besser ging, das Frühstück aufs Zimmer. Plötzlich kam ihr ein Gedanke und sie fragte sich verblüfft, warum sie nicht schon längst daran gedacht hatte.

»Wie konnten Sie an dem Abend, an dem Sie rückfällig wurden, eigentlich aus dem Sanatoriums-Gelände hinausgelangen?«, fragte sie Crowley eindringlich. »Das Hauptportal und die Seitentüren an der Parkmauer sind doch immer abgeschlossen und die Mauer ist viel zu hoch, um einfach darüber zu klettern.«

»Das wollte dieser Stoppelkopf von Scotland Yard auch schon wissen«, erwiderte der Magier grinsend. »Ich hatte halt Dusel. Kurz vor mir ist ein Mann in Gärtnerkleidung durch das Tor gegangen und der hat wohl vergessen, abzuschließen. Oder er wollte einfach nur höflich sein, denn er hat sich vorher noch nach mir umgedreht und mich kommen sehen, und da dachte er wohl, dass ich auch raus will – womit er ja recht hatte.«

»Das darf eigentlich nicht passieren! Das gesamte Hauspersonal, und dazu gehören auch die Gärtner, sind von der Sanatoriums-Leitung strengstens angewiesen, peinlichst darauf zu achten, dass die Außentüren immer verschlossen bleiben. Wenn ich das Sanatorium verlasse, um in die Stadt zu gehen, schließe ich hinter mir auch immer ab«, erwiderte Maureen konsterniert. »Wie sah denn dieser Gärtner aus?«, forschte sie weiter, da sie sich an den Parkarbeiter mit dem Narbengesicht erinnerte, der ihr beim Rundgang mit Crowley unangenehm aufgefallen war.

Der Magier überlegte eine Weile. »Ziemlich versoffen. Er hatte lauter Pockennarben im Gesicht und … Genau! Es kam mir so vor, als ob ich diese Säufervisage schon mal irgendwo gesehen habe, aber ich weiß ums Verrecken nicht, wo.«

Plötzlich wurde dezent an die Tür geklopft. Nachdem Crowley unmutig »Herein!« gerufen hatte, trat Professor Sutton in Begleitung von Inspektor MacFaden in den Raum.

»Es gibt Neuigkeiten, Mr Crowley«, erklärte Sutton säuerlich und übergab das Wort an den Inspektor.

»Ich bin hier, Sir, um Ihnen mitzuteilen, dass unser Gerichtsmediziner Doktor Styvesant bei der Untersuchung der enthaupteten männlichen Leiche aus dem Seerosenteich eindeutig festgestellt hat, dass der Todeszeitpunkt bereits fünf Tage zurückliegt«, erklärte MacFaden in amtlichem Tonfall. »Da befanden Sie sich ja noch auf der geschlossenen Station. Doktor Styvesant ist sich sicher, dass der Leichnam gekühlt wurde, sonst wäre der Verwesungsgrad deutlich weiter fortgeschritten. Außerdem starb der Mann an einer Überdosis Heroin und bei der Untersuchung fanden sich keine Spuren, die auf einen gewaltsamen Tod schließen lassen. Das Abtrennen des Kopfes erfolgte nach dem Ableben. Es muss noch geklärt werden, wer das vorgenommen und die Leiche im See deponiert hat. Desgleichen, warum er das getan hat. Sie sind jedenfalls fürs Erste aus dem Schneider, Mr Crowley.«

 

Obgleich Crowley darüber sichtlich erleichtert war, konnte er sich einen bissigen Kommentar nicht verkneifen. »Ihr Leichenfledderer scheint mir ja ein fähiger Mann zu sein und da ist er wohl der Einzige in eurem Verein, denn Sie hatten sich ja auf mich eingeschossen, obwohl ich Ihnen mit Engelszungen versichert habe, dass ich nichts mit der Sache zu tun habe.«

»Mäßigen Sie Ihren Ton, Mr Crowley, und zeigen Sie etwas mehr Achtung für unsere Polizei, die sehr gute Arbeit leistet!«, maßregelte ihn der Anstaltsleiter scharf. »Sonst überlege ich mir gut, ob wir Sie noch länger hierbehalten. Sie haben dem Sanatorium schon genug Verdruss bereitet und nun, da in der Skandal-Presse ruchbar geworden ist, dass Sie sich im Holloway aufhalten, wirft das kein gutes Licht auf uns.«

»Die verfluchten Zeitungsschmierer soll der Schlag treffen!«, wetterte Crowley erbost. »Diese Geier lassen doch keine Gelegenheit aus, mich noch mehr durch den Dreck zu ziehen – obwohl man sich das kaum vorstellen kann.«

»Da muss ich Ihnen ausnahmsweise recht geben«, knarzte Sutton mit der üblichen Überheblichkeit. »Ich lese ja nur den Daily Telegraph, der seriösen Journalismus betreibt, aber was einem an den Zeitungsständen sonst so an Schlagzeilen ins Auge sticht, ist unterstes Niveau.«

»Darf ich raten? Ripper, Metzger, Kannibale – oder habe ich noch was vergessen?«, kam es von Crowley trocken.

»Ja, Kopfjäger«, warf der Inspektor ein. »So lautet der allgemeine Tenor, seit man die kopflose Leiche im Teich gefunden hat. Ihre alte Widersacherin, Betty May, hat jüngst im Sunday Express eine eigene Kolumne bekommen und was sie über Sie schreibt, ist eine Hetzkampagne ohne Gleichen.«

Maureen, die die Schlammschlacht in der Presse nur am Rande mitbekommen hatte, erinnerte sich an die Heerscharen von Sensationsreportern und Fotografen, die sich am Tag des Leichenfundes schon am frühen Morgen vor dem Gartenportal gedrängt hatten, und ihr kam ein Gedanke. »Könnte es nicht sein, Sir, dass jemand die Leiche im See deponiert hat, um Mr Crowley den Mord anzuhängen?«, richtete sie sich an Inspektor MacFaden.

Der Anstaltsleiter verzog ungehalten die Mundwinkel. »Was mischen Sie sich denn ein, haben Sie nicht genug zu tun?«, tadelte er sie.

Bei MacFaden hingegen schien Maureen auf offene Ohren zu treffen. »Den Gedanken hatte ich auch schon, Madam«, erwiderte er höflich. »Die Sensationsreporter sind sich doch für eine reißerische Story für nichts zu schade. Wir werden diesem Verdacht in jedem Fall nachgehen, Schwester …« Er blickte Maureen fragend an.

»Schwester Maureen«, antwortete Maureen mit scheuem Lächeln.

Der Anstaltsleiter räusperte sich und sagte zu dem Inspektor, es sei ja nun alles geklärt und man könne sich wieder entfernen, um den Patienten nicht weiter zu belasten.

»Ach, entschuldigen Sie bitte, Herr Inspektor! Da ist noch etwas, das ich Ihnen gerne sagen möchte«, meldete sich Maureen erneut zu Wort.

Während MacFaden sie freundlich dazu ermunterte, ihr Anliegen vorzutragen, bedachte sie der Anstaltsleiter mit einem vernichtenden Blick.

»Mr Crowley hat mir eben davon berichtet, wie er am Abend seines Rückfalls das Sanatoriums-Gelände verlassen konnte«, äußerte sie unbeirrt. »Einer der Gärtner, der vor ihm durch das Tor gegangen ist, hat offenbar nicht abgeschlossen – und das nicht etwa aus Unachtsamkeit, sondern mit Absicht: Er hatte sich umgedreht und Crowley hinter sich bemerkt …«

»Das wissen wir doch alles schon«, unterbrach sie der Anstaltsleiter unwirsch. »Der Vorarbeiter der Landschaftsgärtner hat deswegen auch eine Abmahnung von mir erhalten, weil er seinen Untergebenen nicht eingebläut hat, das Tor beim Verlassen des Anstaltsgeländes unbedingt abzusperren.«

»Wissen Sie denn, welcher Gärtner dafür verantwortlich war?«, sprudelte es aus Maureen heraus und sie hatte das Gefühl, den Anstaltsleiter, der indigniert die Brauen hob, an einem Schwachpunkt zu treffen.

»Das ließ sich nicht eindeutig ermitteln«, erwiderte er ausweichend. »Bei zehn festangestellten Parkarbeitern und ebenso vielen Aushilfen ist das auch kein leichtes Unterfangen.«

Maureen, die ihren Vorgesetzten nicht noch weiter gegen sich aufbringen wollte, zeigte sich einsichtig. »Aber wenn Sie gestatten, Herr Direktor, mir ist da letztens etwas aufgefallen, das ich Ihnen mitteilen möchte«, sagte sie entgegenkommend und bemühte sich um ein charmantes Lächeln. Sie berichtete von dem Gärtner, der sie und Crowley bei ihrem Rundgang durch den Park so neugierig angestarrt hatte, und äußerte den Verdacht, dass es sich bei ihm möglicherweise um denselben Mann handelte, der Crowley durch das Tor gelassen hatte.

Der Inspektor hörte ihr interessiert zu und machte sich Notizen. »Vielen Dank, Schwester Maureen, ich werde der Sache nachgehen«, versprach er und musterte Maureens Gesicht mit sichtlichem Wohlgefallen.

Sutton dagegen konnte sich eine Spitze nicht verkneifen: »Was täten wir nur ohne Sie?« Dann ließ er Maureen mit der gewohnten Herablassung wissen, man benötige sie nun nicht mehr.

Maureen verabschiedete sich höflich und verließ das Zimmer. Als ihr die Herren gleich darauf in kurzem Abstand auf dem Flur nachfolgten, hörte sie, wie der Anstaltsleiter den Inspektor um eine Unterredung unter vier Augen bat.

In dem luxuriösen Büro, welches mit seinem gediegenen Interieur einem Herren-Club der britischen Oberschicht glich, begann Professor Sutton in ernstem Tonfall, dem Inspektor die prekäre Lage zu erläutern. »Nachdem in sämtlichen Gazetten zu lesen war, dass sich Crowley seit geraumer Zeit im Holloway-Sanatorium aufhält, häufen sich die Beschwerden meiner Patienten. Sie alle sind wenig amüsiert darüber, dass sie mit einem gefährlichen Satanisten unter einem Dach leben müssen – was ich durchaus verstehen kann«, schnaubte er verächtlich. »Einige haben sogar schon gedroht, die Heilanstalt zu verlassen, wenn Crowley noch länger hier weilt. Ganz zu schweigen von dem Wirbel der Skandalpresse, dem das Sanatorium in jüngster Zeit ausgesetzt ist. Die Sensationsreporter, die sich vor dem Gartenportal tummeln, bedrängen Patienten und Angestellte mit Fragen über Crowley und fallen selbst den Bewohnern von Virginia Water zur Last, die unserer Einrichtung sonst sehr wohlgesonnen sind.« Mit bekümmerter Miene wies er auf einen Stapel Schriftstücke, der vor ihm auf dem Schreibtisch lag. »Hierbei handelt es sich um Beschwerdebriefe besorgter Anwohner, die ich heute Morgen erhalten habe. Wie Sie sicherlich wissen, handelt es sich bei den Einwohnern von Virginia Water überwiegend um gesittete Angehörige der Oberschicht. Sie fordern höflich, aber bestimmt – ich zitiere: ›diesen Lumpenhund und Nestbeschmutzer umgehend aus dem Holloway-Sanatorium zu entfernen‹. Andere hingegen sind weniger distinguiert und schreien gar nach Lynchjustiz«, äußerte der Anstaltsleiter besorgt. »Die Volksseele kocht und es ist nur eine Frage der Zeit, wann es zu ersten Übergriffen kommt und aufgebrachte Bürger das Sanatorium stürmen, um Mr Crowley aufzuknüpfen, wie es in den Hetzartikeln allenthalben gefordert wird. Daher erachte ich es für das Klügste, wenn Sie den Patienten mitnehmen würden – zu seinem eigenen Schutz, sozusagen. Wir würden ihn selbstverständlich medizinisch ausreichend versorgen und ihm genügend Substitutionsmedikamente mitgeben.« Er sah den Inspektor eindringlich an. »Sie würden uns und nicht zuletzt auch Mr Crowley damit einen großen Gefallen tun.«

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