Die Schrecken des Pan

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Z serii: Baker Street
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Für den Bruchteil einer Sekunde fürchtete sich Maureen vor ihm. Sie erinnerte sich daran, dass er in der gesamten Presse, selbst in seriöseren Blättern, als Satanist angesehen wurde.

Doch ohne seine Drogen und den ganzen magischen Zinnober ist er nur ein armer Teufel, der unter höllischen Entzugserscheinungen leidet, ging es ihr durch den Sinn und die Bangigkeit fiel von ihr ab. »Wie ging es denn weiter mit Ihrem Adepten?«, fragte sie interessiert.

»Unmittelbar danach verfiel er in eine drei Tage dauernde Trance«, erwiderte der Okkultist. »Anschließend kam er zu mir wie die Verkörperung der Freude selbst und erklärte, er könne mir gar nicht sagen, wie dankbar er mir sei. Ich hätte ihm den Schlüssel zur innersten Schatzkammer seines Herzens gegeben. Das war mir mit meinen kraftvollen Worten gelungen und er hatte nach nur drei Tagen überwunden, was er fast dreißig Jahre lang unterdrückt hatte. Denn wenn die tiefsten Wünsche nicht befreit werden, resultiert daraus der Wahnsinn. Ich habe ihm den Weg gezeigt, der aus seiner höllischen Verkrüppelung hinaus ans Licht führt. Dafür würde er mir bis ans Ende seiner Tage danken, wie er mir versicherte. In einem feierlichen Ritual gab ich ihm den magischen Namen ›Bruder Pan‹, da er mich an den Ziegengott Pan erinnerte. Er ließ mich wissen, dass er in jenem Augenblick der Erleuchtung so deutlich wie nie zuvor erkannt habe, dass alles nur ein Eingehen und Lauschen auf sein Unterbewusstes sei, das unbedingt in die Tat umgesetzt werden müsse, wenn man seinen wahren Willen und damit die Quintessenz der Lehre von Thelema ausleben wolle. Tu was du willst, soll sein das ganze Gesetz – das sei für ihn die absolute Wahrheit, die er fortan befolgen werde. Ergriffen bekannte er, dass er sich die schlimmen Qualen, die so gewaltig gewesen seien, dass sein Kopf zu zerspringen drohte, hätte ersparen können, wenn er mir nur früher begegnet wäre. Stattdessen habe man ihn mit der verdammenswerten Lehre betrogen, dass seine machtvolle Begierde schandbar und des Teufels sei, man sie unterdrücken müsse und am besten gar nicht erst haben dürfe, um ein achtbarer Mensch zu sein. Er habe sich sein Leben lang mit eiserner Selbstzucht daran gehalten und umso schmerzlicher erfahren müssen, dass die Stimmen in ihm noch stärker und drängender geworden seien. Erst jetzt habe er entdeckt, dass er mehr als nur ein Mensch sei, dass er die Majestät des ewig sich erhebenden Adlers besitze und die Stärke des Löwen. Nun sei es endlich so weit, dass sich der mächtige Adler in die Lüfte erhebe. Seine Begierde war so offensichtlich, dass ich genau verstand, was er meinte«, seufzte Crowley kurzatmig. »Ich rasierte mich und schminkte mein Gesicht wie die allergemeinste Hure. Dann rieb ich mich mit meinem Parfüm ein und machte mich an Bruder Pan heran.« Seine Atemzüge mischten sich mit einem rasselnden Pfeifen, er bekam einen heftigen Hustenanfall und konnte nicht weitersprechen.

Maureen holte seinen Inhalationsapparat aus dem Wohnzimmer, stülpte ihm die Maske über und betätigte den Zerstäuber. Nach einer Weile beruhigte sich zwar seine Atmung, doch ihm stand das blanke Entsetzen ins Gesicht geschrieben. Er riss sich die Maske vom Kopf.

»Bei unserem magischen Sexualakt hat er mich so brutal penetriert, dass er mich fast umgebracht hätte«, krächzte er außer sich. »Er schlug, biss und würgte mich so heftig, dass ich die schlimmsten Todesängste hatte. Obwohl er fast übermenschliche Kräfte besaß, gelang es mir, mich aus seinem Klammergriff zu befreien und lauthals um Hilfe zu rufen. Alostrael und Schwester Ninette stürmten ins Zimmer und Bruder Pan ließ endlich von mir ab. Ich war zutiefst bestürzt und verwies ihn der Abtei. Er hatte mir so zugesetzt, dass ich überall Blessuren hatte und eine Woche lang nicht laufen konnte. Die dunkle Energie in ihm war so übermächtig, dass sie mich fast getötet hätte.« Er gab ein panisches Wimmern von sich. »Inzwischen glaube ich sogar, dass ich mit meiner magischen Formel bei ihm eine Art Büchse der Pandora geöffnet habe, aus der das Böse über die Welt gekommen ist. Das magische Tagebuch, das er zurückgelassen hat, war ein Inferno des Hasses und der Bestialität. Es war gespickt von den abartigsten Gewaltfantasien, die man sich nur vorstellen kann. Ich zelebrierte einen Abwehrzauber und verbrannte es im Feuer. Danach sah ich ihn niemals wieder und mit der Zeit gelang es mir, den Horror zu vergessen, den er über mich und die Abtei gebracht hatte.« Das Beben, das ihn in immer kürzeren Abständen überkam, wurde stärker und er schlotterte so sehr, dass seine Zähne klapperten. »Aber nun weiß ich, dass ich alles nur verdrängt habe, denn es ist schlimmer als zuvor. Als kürzlich in Palermo die verstümmelten Männerleichen gefunden wurden, habe ich sofort an ihn denken müssen, weil … weil er so etwas in seinem Tagebuch beschrieben hat. Und nun hat er mir diesen verfluchten Artikel zugeschickt, um sich mit seinen Taten zu brüsten.« Crowleys Körper wurde von konvulsivischen Krämpfen geschüttelt. »Schütze mich, oh dunkler Gott, vor dem Geist des Abgrunds, der mich zu verschlingen droht!«, schrie er gellend und klammerte sich an Maureen fest wie ein Ertrinkender.

Vom Flur her waren laute Schritte zu vernehmen und gleich darauf trat Doktor Sandler in Begleitung eines hünenhaften Krankenwärters ins Zimmer, um den Tobenden ruhig zu stellen. Während ihn der Pfleger mit routiniertem Griff bändigte, setzte Maureen den Psychiater über Crowleys Zustand in Kenntnis.

»Er fantasiert die ganze Zeit von einem gewissen Bruder Pan und fühlt sich von ihm bedroht«, erläuterte sie knapp.

»Toxische Paranoia«, diagnostizierte der junge Nervenarzt und injizierte Crowley eine Bromlösung, die ihn in einen Dämmerschlaf versetzte.


Nach zehn Tagen auf der Entwöhnungsstation, deren Fenster vergittert und Türen verschlossen waren, hatte sich Crowleys Zustand so weit stabilisiert, dass es ihm erstmals erlaubt wurde, in Begleitung von Maureen einen Rundgang durch das Sanatorium und die Außenanlagen zu unternehmen. Um neun Uhr morgens holte ihn Maureen in seiner Suite ab. Der Okkultist trug zur Unkenntlichmachung wieder seine schwarze Perücke, die dunklen Augengläser und den unvermeidlichen Schottenrock.

»Guten Morgen, meine Schöne!«, säuselte er. Als er auf den Flur hinaustrat, unternahm er mit der Erläuterung, er sei noch etwas wackelig auf den Beinen, sogleich den Versuch, sich bei Maureen unterzuhaken.

Sie erteilte ihm jedoch lapidar eine Abfuhr. »Umso wichtiger ist es zu lernen, wieder auf eigenen Beinen zu stehen.« Dann begann sie mit ihrer Führung durch das schlossartige Gebäude. Sie wies auf die nummerierten Türen zu beiden Seiten des Flurs und erläuterte, dass alle Patienten des Holloway-Sanatoriums ein eigenes Wohn- und Schlafzimmer mit einem feudal ausgestatteten Badezimmer hätten. »Allerdings residieren nur besonders wohlhabende Patienten wie Sie in so weitläufigen Suiten, die mit allem erdenklichen Luxus ausgestattet sind.«

Crowley gab ein trockenes Auflachen von sich. »Ich bin arm wie eine Kirchenmaus und dass ich mir den Aufenthalt in dieser Luxus-Klapsmühle überhaupt leisten kann, verdanke ich einem reichen und überaus großzügigen Gönner.«

Maureen musterte ihn verwundert. »Soweit mir bekannt ist, stammen Sie doch aus einer begüterten Fabrikanten-Familie.«

»Mein Vater war Bierbrauer und hinterließ mir in der Tat ein beträchtliches Vermögen. Doch nichts währt ewig, Fairy Queen, so ist das nun mal«, seufzte Crowley kurzatmig und folgte Maureen hinaus ins Treppenhaus, wo sich die Bäder- und Massageabteilung mit einem Türkischen Bad und einem beheizten Schwimmbecken befand. Mäßig interessiert ließ er sich das Dampfbad und das Schwimmbassin zeigen, in dem sich an diesem Morgen bloß eine Handvoll Patienten aufhielt. »Sind ja nur fette alte Männer«, murmelte er despektierlich.

»Frauen suchen Sie hier auch vergeblich, die sind in einem anderen Flügel untergebracht«, erläuterte Maureen.

»Ist ja wie im Kloster«, murrte der Magier.

»Das ist in Krankenhäusern üblich. Wir haben damit die besten Erfahrungen gemacht. Es gibt allerdings auch Bereiche, die von Männern und Frauen gemeinsam genutzt werden, und die werde ich Ihnen nun zeigen«, erwiderte Maureen und begab sich mit Crowley ins Erdgeschoss, wo sie in eine weitläufige, lichtdurchflutete Erholungshalle traten. »Hier findet jeden Nachmittag ein Tanztee statt, außerdem werden regelmäßig Konzerte veranstaltet. Am anderen Ende gibt es sogar ein Lichtspieltheater und eine Patienten-Bücherei. Wie Sie sehen, haben wir auch Billard-Tische, falls Sie sich ein wenig verlustieren möchten.« Während sie ihren Patienten durch die marmorne Halle führte, an deren Längsseiten bequeme Leder-Fauteuils und gepolsterte Liegen aufgestellt waren, grüßte sie höflich in die Runde der Patientinnen und Patienten, die ihnen mit gelangweilten Mienen entgegenblickten.

»Wie viele von diesen Scheintoten sind denn hier untergebracht«, fragte der Magier verdrossen.

»Wir haben rund vierhundert Patienten und ungefähr zweihundert Schwestern und Pfleger, die in einem separaten Gebäude hinter dem Sanatorium wohnen.«

»Du auch, Fairy Queen?«

Maureen bestätigte das und erkundigte sich, ob sie eine kleine Pause einlegen und sich ein wenig auf die Sonnenterrasse setzen sollten.

»Wenn sich dort noch mehr von diesen blasierten Arschlöchern tummeln, lehne ich dankend ab«, erwiderte der Mann im Kilt mit derbem Humor.

Maureen warf ihm einen tadelnden Blick zu. »Wie reden Sie denn von Ihren Mit-Patienten, Mr Crowley? Das sind doch alles seelisch kranke Menschen, genau wie Sie.«

 

Crowley, dem es überhaupt nicht zu gefallen schien, mit den anderen Insassen des Holloway-Sanatoriums auf eine Stufe gestellt zu werden, blieb abrupt stehen. »Ich bin der Großmeister des hermetischen Ordens des Golden Dawn, der Laird von Boleskine und der Hohepriester des Ordens von Thelema und mitnichten geisteskrank«, äußerte er scharf.

Maureen musste unwillkürlich grinsen. »Sie sind hier, um sich von Ihrer langjährigen Drogensucht zu entwöhnen, Sir, und Sucht ist auch eine seelische Erkrankung, das sollten Sie akzeptieren!«

Der Magier schüttelte unwirsch den Kopf. »Ach, hör doch auf! Ich habe seit gut zwei Wochen nichts Berauschendes mehr angerührt, von Sucht kann also gar keine Rede sein.«

»Lediglich die körperliche Abhängigkeit haben Sie einstweilen überwunden, Mr Crowley, die psychische Abhängigkeit aber noch lange nicht. Bei manchen Abhängigkeitserkrankungen währt sie ein Leben lang.«

»Sei doch nicht so gnadenlos, Fairy Queen!«

»Sie müssen sich der Wahrheit stellen, Sir, nur so können Sie gesund werden – und es bleiben.«

»Mit einer Elfe wie dir an meiner Seite könnte ich’s hinkriegen.«

»Sie müssen lernen, Ihre eigene Elfe zu sein, das sollte doch für einen Magier im Rahmen des Machbaren sein.« Maureen bedachte Crowley mit einem verschmitzten Lächeln. »So, und jetzt zeige ich Ihnen den Speisesaal, wo Sie heute erstmals Lunch und Dinner einnehmen können. Tee, Mokka, Gebäck und andere Erfrischungen werden unseren Patienten den ganzen Tag über serviert.« Sie wies auf die livrierten Kellner, die mit gefüllten Tabletts durch den Saal eilten und die Gäste bedienten. »Wenn Sie möchten, können wir einen Tee trinken.«

Der Magier blinzelte durch die bleiverglasten, mit weißen Chiffon-Gardinen drapierten Fensterscheiben, durch die strahlendes Sonnenlicht hereinflutete. »Heute ist so ein schöner Tag, da möchte ich lieber draußen sein und mich in die Sonne setzen.«

»Gerne, Mr Crowley, dann gehen wir doch hinaus in den Park.«

Vorbei am Cricketfeld, dem Tennisplatz, einer großen Sonnenterrasse, vor der ein kunstvoll modellierter Springbrunnen plätscherte, führte Maureen Crowley durch den weitläufigen englischen Garten, in dem eine Gruppe von Gärtnern geschäftig arbeitete und die Spaziergänger höflich grüßte. Einer von ihnen, ein verschlagen anmutender Bursche mit einem vernarbten Gesicht, beäugte die junge Krankenschwester und den Mann im Schottenrock mit zudringlichen Blicken, die Maureen unangenehm waren. Obwohl sie den Impuls spürte, einen entsprechenden Kommentar abzugeben, verkniff sie sich einen solchen und dachte nur bei sich, dass die Verwaltung des Sanatoriums in Bezug auf die Parkarbeiter offenbar nicht sehr wählerisch war.

»Unser Behandlungsschwerpunkt ist, dass sich die Patienten ganz vom Stress der Außenwelt und ihren Problemen lösen«, fuhr sie schließlich fort. »Wir veranstalten Cricket-Turniere und Reisen nach Ascot und Henley. Auch eine Villa im Seebad Bournemouth dient dem Wohle der Insassen, um sich an der frischen Seeluft zu erholen«, erläuterte sie dem Magier. »Die feudale Atmosphäre des Holloway-Sanatoriums, das eher einem Luxus-Hotel als einer Nervenklinik gleicht, soll die Patienten zu einem angemessenen Verhalten anregen. Diejenigen, die das schaffen, erhalten Privilegien wie die Teilnahme an Reisen und Ausflügen oder auch das alleinige Verlassen des Sanatoriums. Deswegen haben Ihnen die Ärzte heute auch erlaubt, die Mahlzeiten im Speisesaal einzunehmen, und wenn Sie sich weiterhin so gut machen, werden auch bald andere Vergünstigungen folgen.«

»Also mit Ascot brauchst du mir nicht zu kommen, mein Kind«, stieß Crowley zwischen den Zähnen hervor. »Wenn ich diese Snobs nur sehe, könnte ich schon das Kotzen kriegen.«

»Mr Crowley, ich muss doch sehr bitten!«, maßregelte ihn Maureen mit gespielter Strenge. »Wenn unsere moralische Behandlung nicht fruchtet, wie es bei Ihnen augenscheinlich der Fall ist, wird der Patient in eine Zwangsjacke gesteckt und kommt in die Gummizelle.«

»Mach mir keine Angst, Fairy Queen, sonst drehe ich wieder durch!«, entgegnete er grinsend und zog irre Grimassen, über die Maureen lauthals lachen musste.

Inzwischen waren sie zu einem idyllischen Seerosenteich gelangt, der von mehreren Parkbänken umgeben war. »Das ist mein Lieblingsplatz«, erklärte Maureen gutgelaunt und schlug vor, sich auf einer der Bänke niederzulassen und ein Sonnenbad zu nehmen. »Was für ein herrlicher Tag«, seufzte sie wohlig und inhalierte tief die Frühlingsluft, die durchsetzt war von süßem Blütenduft.

Um die in leuchtenden Farben blühenden Rhododendron-Sträucher schwirrten Bienen und Schmetterlinge und der Wonnemonat Mai zeigte sich in seiner ganzen Pracht. Maureen schloss die Augen und genoss einfach das Leben. Auch Crowley schwieg und schien sich ganz dem Augenblick zu ergeben.

»Haben Sie eigentlich Kinder, Mr Crowley?«, erkundigte sich Maureen unvermittelt.

»Ja«, erwiderte er verhalten. »Eine sechzehnjährige Tochter namens Lola Zaza von meiner ersten Frau und meine Söhne Hansi und Howard, die ich mit meinen beiden Konkubinen Alostrael und Ninette habe. Meine Töchter Lilith und Poupée starben leider sehr jung. Poupée war meine Jüngste, sie starb vor knapp drei Jahren in Cefalù an Typhus.« Er hüstelte ergriffen. »Du erinnerst mich an sie, Fairy Queen. Poupée war auch strawberry blonde und hatte feine Sommersprossen auf dem seidigen Teint, genau wie du. Sie war mein Augenstern und ich vermisse sie sehr.« Er wischte sich verstohlen eine Träne aus dem Augenwinkel.

Maureen musterte ihn betroffen. »Das tut mir leid, Sir! Zum Glück sind Ihnen noch drei andere Kinder geblieben«, versuchte sie ihn aufzumuntern. »Sie werden sie bestimmt wiedersehen, wenn Ihre Kur zu Ende ist.«

»Hansi und meine scharlachrote Frau Alostrael sind derzeit in Tunesien, wohin ich ihnen nachfolgen werde, wenn der Scheiß hier vorbei ist.« Crowley hatte offenbar zu seinem alten Zynismus zurückgefunden. »Die erste Hälfte habe ich ja schon abgesessen.«

»Und die zweite Hälfte wird mit Sicherheit vergnüglicher als die erste, denn das Gröbste haben Sie ja nun hinter sich und wenn Sie sich bewähren, dürfen Sie demnächst auch das Anstaltsgelände verlassen und das idyllische Städtchen Virginia Water erkunden – in Begleitung von Pfleger Festus, versteht sich.«

Crowley prustete los. »Soll ich mit diesem Gorilla etwa seine Verwandten im Zoo besuchen? Das kann doch nicht dein Ernst sein!«

»Unsere männlichen Patienten werden bei Außenaktivitäten immer von Krankenwärtern begleitet, das ist bei uns so üblich. Unsere Pfleger Festus und Walter machen das sehr gut und wie ich weiß, sind sie auch zwei lustige Burschen, die gerne mal ein Späßchen machen.«

»Ja, dich in den Schwitzkasten nehmen, bis dir die Luft wegbleibt«, knurrte Crowley missmutig.

»Das war nur zu Ihrem Schutz, Sir, denn Sie hatten ja ein schlimmes Entzugsdelir.«

Maureen, die Crowleys Geschichte über den ominösen Bruder Pan keineswegs auf die leichte Schulter genommen hatte, hatte unmittelbar nach dem Vorfall in Crowleys Suite Doktor Sandler und den Oberarzt Doktor Eisenberg zu Rate gezogen. Sie waren so verblieben, dass der Oberarzt den Patienten noch einmal darauf ansprechen würde, wenn er wieder bei klarem Verstand war. Crowley hatte bisher jedoch jedes Gespräch abgeblockt und sich damit herausgeredet, er könne sich an nichts mehr erinnern. Maureen hingegen hatte er erbitterte Vorwürfe gemacht, weil sie den Ärzten erzählt hatte, was er ihr anvertraut hatte. Fortan war er ihr ausgewichen, wenn sie das Thema gestreift hatte. Als sie vorsichtig nachgefragt hatte, ob es nicht ratsam sei, seinen Verdacht der Polizei zu melden, hatte er nur unflätige Flüche von sich gegeben. Er war der Meinung, das würde nur an ihm kleben bleiben, da sein Ruf durch die Hasstiraden der Presse total ruiniert sei. Maureen, die sein Zaudern gut verstehen konnte, ließ der Vorfall dennoch keine Ruhe und so beschloss sie kurzerhand, ihn noch einmal auf Bruder Pan anzusprechen.

»Mr Crowley, sagen Sie mir bitte ganz ehrlich, ob das, was Sie mir über Bruder Pan erzählt haben, die Wahrheit war!«

Crowley fuhr zusammen, wie von einem Peitschenhieb getroffen. »Ich hatte Wahnvorstellungen, Schwester Maureen, und kann mich nicht mehr genau erinnern, was ich alles von mir gegeben habe. Das habe ich auch den Weißkitteln gesagt, als die mich darauf festnageln wollten«, erwiderte er ungewohnt abweisend.

Maureen gab sich jedoch nicht zufrieden damit, da ihre Intuition ihr etwas anderes sagte. Obgleich Crowleys Augen hinter dunklen Gläsern verborgen waren, blickte sie ihn eindringlich an.

»Gibt es Bruder Pan oder war er nur eine Ausgeburt Ihrer Fantasie?«

Crowley schluckte krampfhaft, seine Atemzüge wurden von einem Pfeifen begleitet und er schien kurz vor einem Asthma-Anfall zu stehen. Er gab ein heiseres Krächzen von sich, welches Maureen wie ein »Ja« vorkam, aber sie war sich nicht sicher.

»Kommt her, ihr stinkenden Kackbeutel!«, vernahm sie plötzlich eine keifende Frauenstimme und lenkte unmutig ihren Blick in die entsprechende Richtung.

Nur einen Steinwurf entfernt, auf dem Holzsteg unweit des Pavillons, gewahrte sie eine ganz in Schwarz gekleidete Dame, die seltsame Pirouetten vollführte und den Schwänen und Enten, die sich lauthals schnatternd um den Steg tummelten, Brotwürfel hinwarf. Die Dame trug einen altmodischen schwarzen Hut mit Spitzenschleier, wie er um die Jahrhundertwende modern gewesen war, und schien Maureen und ihren seltsam gewandeten Begleiter nun gleichfalls bemerkt zu haben.

»Piss-Nelke und Sackgesicht … schönes Wetter heute!«, krähte sie frohgemut vom Steg herüber.

»Guten Morgen, Gräfin Bronski!«, grüßte Maureen winkend in ihre Richtung und ahnte bereits, was kommen würde.

Und sie hatte sich nicht getäuscht, denn die vermögende polnische Adelsdame, die seit zwanzig Jahren im Holloway-Sanatorium untergebracht war und unter dem Tourette-Syndrom litt, verließ den Steg und eilte Pirouetten drehend, aber nicht minder zielstrebig zu ihnen.

»Lassen Sie sich nicht von ihrer Vulgärsprache provozieren, sie hat einen Tick«, konnte Maureen Crowley gerade noch zuraunen, als die Gräfin die Bank auch schon erreicht hatte und sich ungefragt an Maureens Seite niederließ.

»Im Gegensatz zu meinem schönen Haus ist es die Hölle hier und ich weiß nicht, wie ich das noch länger ertragen soll«, zeterte sie mit starkem polnischen Akzent. »Noch nicht mal einen katholischen Priester haben wir hier und sonntags in der Kapelle muss man mit diesen Lutheranern zusammensitzen.«

Maureen musste sich ein Grinsen verkneifen. Sie erinnerte sich noch deutlich daran, was der Anstaltsleiter Professor Sutton bei einem Rundgang durch die Abteilungen, an dem sie ebenfalls teilgenommen hatte, zu den neuen Schwestern über die Gräfin geäußert hatte.

»Sie spricht nur mit jemandem, um ihn zu beleidigen, und behandelt ihre Mit-Patientinnen wie Dreck unter ihren Füßen. Sie weigert sich, mit den Ärzten zu reden, und falls doch, dann nur in der Fäkaliensprache. Trotz allem scheint sie im Holloway-Sanatorium glücklich und zufrieden zu sein und betrachtet es als ihr Zuhause«

Es war außerdem bekannt, dass Gräfin Bronski ausgesprochen tierlieb war und Tiere mehr mochte als Menschen. Im Speisesaal konnte man sie dabei beobachten, wie sie die besten Bissen ihres Abendessens in ein Schälchen legte und es den Katzen hinstellte, die den Park des Sanatoriums bevölkerten. An hohen katholischen Feiertagen fütterte sie ihre Lieblinge sogar mit edlen Austern, die sie im hiesigen Feinkostladen bestellte.

Um die Etikette zu wahren, auf die im Holloway-Sanatorium stets großer Wert gelegt wurde, entschloss sich Maureen, den Okkultisten und die Gräfin miteinander bekannt zu machen. »Darf ich vorstellen? Gräfin Elzbieta von Bronski – Sir Alfred de Kerval.«

Während Crowley, dem die Ablenkung durchaus gelegen schien, höflich den Kopf neigte, entgegnete die Gräfin in akzentfreiem Französisch: »Je suis très heureuse.« Dann fügte sie hinzu: »Stinkmorschel«, und lächelte charmant. »Hundsfotze«, konterte der Magier mit maliziösem Grinsen und ließ die Dame wissen, dass sie ihn an jemanden erinnere.

»Was Sie nicht sagen, Arschtorte!«, gurrte die Gräfin.

»Haben Sie schon einmal von Helena Petrovna Blavatsky gehört, Verehrteste?«

Daraufhin schlug die Patientin mit der Faust auf die Bank und strampelte wild mit den Füßen. Sie stieß ein paar polnische Flüche aus und schrie: »Diese russische Teufelin soll in der Hölle schmoren!«

Crowley schien ihr Wutanfall ein diebisches Vergnügen zu bereiten. »Sie mögen sie wohl nicht besonders, die famose Gründerin der Theosophischen Gesellschaft?«, näselte er verschwörerisch. »Darf ich Ihnen ein Geheimnis anvertrauen, verehrte Frau Gräfin? Helena Petrovna Blavatsky war Jack the Ripper.«

 

Die Gräfin war schlagartig erstarrt und fixierte Crowley mit einem eigentümlichen Blick. »Das glaube ich aufs Wort«, erwiderte sie sinister und klatschte in die kleinen, schwarz behandschuhten Hände. »Bravo, bravo!«, skandierte sie in pathetischem Tonfall. »Sie gefallen mir, mein Herr. Möchten Sie mit mir die Enten füttern?«

»Sehr gerne, Madam – wenn es Sie nicht stört, dass ich den Viechern die Hälse umdrehe.« Crowley hatte sich erhoben und bot der Gräfin ritterlich den Arm.

Sie brach in affektiertes Kichern aus. »Sie sind ein böser Junge, Sir Alfred«, scherzte sie mit neckisch erhobenem Zeigefinger, legte kokett ihre Hand auf den dargebotenen Arm und ließ sich von Crowley zum Entensteg begleiten.

Maureen blickte ihnen von der Bank aus lächelnd hinterher. Die schwierige und verschrobene Patientin schien an dem an Exzentrik kaum zu überbietenden Magier einen Narren gefressen zu haben. Etwa im gleichen Alter, hätten sie nach Maureens Dafürhalten ein echtes Traumpaar sein können, das sich auf Anhieb fabelhaft verstand. Nun standen sie nebeneinander auf dem Steg wie alte Freunde, unterhielten sich angeregt und lachten viel. Alles wirkte so ungekünstelt, beide zeigten sich von ihrer besten Seite und blieben doch sie selbst. Während die Gräfin in regelmäßigen Abständen ihre Pirouetten vollführte, stellte sich Crowley mit ausgebreiteten Armen schützend vor sie hin, damit sie nicht ins Wasser fiel.

Es machte Maureen Spaß, ihnen zuzuschauen, bis sie plötzlich von einem Paar abgelenkt wurde, das von der Rückseite des Parks kam und auf den Pavillon zusteuerte. Beim Näherkommen der jungen Leute, die Arm in Arm über den weißgekiesten Parkweg schlenderten, erkannte Maureen in dem stattlichen Mann, der mit seiner hübschen Begleiterin verliebte Blicke tauschte, Doktor Sandler und ihr Herz erstarrte förmlich. Sie erinnerte sich daran, dass er heute seinen freien Tag hatte, den er offenbar mit seiner Liebsten verbrachte. Sie war so verletzt, dass ihr die Tränen in die Augen traten. In letzter Zeit hatte sie sich nämlich eingebildet, dass er ähnliche Gefühle für sie hegte wie sie für ihn.

Was für ein Trugschluss! Da war wohl der Wunsch der Vater des Gedankens, musste sie mit Bitternis erkennen und fühlte einen dicken Kloß im Hals – ein sicheres Zeichen dafür, dass sie drauf und dran war, loszuheulen. Doch diesen Gefallen würde sie diesem Judas nicht tun. Macht mir schöne Augen, obwohl er eine Freundin hat, der Mistkerl! Vielleicht ist sie ja sogar seine Braut …

Dergestalt überschlugen sich Maureens Gedanken, als Doktor Sandler sogar die Stirn hatte, ihr von der Pagode her freundlich zuzuwinken. Er sagte etwas zu seiner Begleiterin, woraufhin diese Maureen lächelnd zunickte. Obwohl Maureens Blicke Giftpfeile versprühten, hob auch sie mechanisch den Arm und grüßte zurück. Als Crowley und die Gräfin Bronski wenig später zur Bank zurückkehrten, fanden sie eine völlig erstarrte Maureen vor. Auf Crowleys Frage, was ihr fehle, entgegnete Maureen nur einsilbig, sie habe Kopfschmerzen. Der Okkultist, der Doktor Sandler und seine Begleiterin im Pavillon offenbar bemerkt hatte, schien den wahren Grund ihrer Niedergeschlagenheit zu ahnen.

»Hast was Besseres verdient als den Schnösel«, raunte er ihr zu und schlug vor, zum Sanatorium zurückzugehen.

Das kam Maureen, die den Anblick von Doktor Sandler und seiner Freundin nur schwer ertragen konnte, überaus gelegen. Während sich Crowley von der Gräfin mit galantem Handkuss verabschiedete und sich mit ihr zum Lunch verabredete, stand Maureen noch immer unter dem Eindruck des Gedankens, welcher ihr bei Crowleys Bemerkung unwillkürlich in den Sinn gekommen war: Etwas Besseres als Doktor Sandler? Du hast wohl ’ne Meise?!

Ihr war mehr denn je zum Heulen zumute. Ohne dem Verräter noch einmal zuzuwinken, erhob sie sich von der Bank und trat mit Crowley den Rückweg an.

Als Maureen um sieben Uhr abends mit ihrer Einkaufstüte zum Schwesternwohnheim zurückkehrte, schweiften ihre Blicke über den Park, der ins goldene Licht der Abendsonne getaucht war. Sie überlegte kurz, ob sie sich nachher, wenn sie ihre Einkäufe verstaut hatte, noch ein wenig nach draußen setzen sollte, doch da ihr nicht der Sinn nach Ansprache und Geselligkeit stand, entschied sie sich dagegen. Sie hatte gerade den Schlüssel in die Haustür gesteckt, als sie Schritte hinter sich hörte.

»Guten Abend, Schwester Maureen! Wie schön, Sie zu sehen!«, vernahm sie im nächsten Moment die vertraute Stimme von Doktor Sandler.

Sie wandte sich jäh zu ihm um. Fassungslos gewahrte sie, dass er wieder in Damenbegleitung war – es war dieselbe Frau wie am Vormittag. Mit versteinerten Gesichtszügen blickte sie die beiden an und konnte sich kaum einen Gruß abringen.

»Darf ich Ihnen meine Schwester Patricia vorstellen? Sie lebt in London und hat mir heute einen Besuch abgestattet«, erläuterte der junge Psychiater launig.

Maureen musste an sich halten, der sympathischen Dame mit den dunklen Haaren nicht vor Freude und Erleichterung um den Hals zu fallen. Aus der Nähe betrachtet hatte Patricia große Ähnlichkeit mit ihrem Bruder. Warum war Maureen das nicht früher aufgefallen? Sie errötete und reichte Patricia strahlend die Hand.

»Das ist meine Lieblingskollegin, Schwester Maureen Morgan«, sagte Doktor Sandler zu seiner Schwester.

»Freut mich sehr, Sie endlich kennenzulernen! Joe schwärmt in den hellsten Tönen von Ihnen«, erklärte Patricia unumwunden und drückte Maureen herzlich die Hand.

Nun war es Doktor Sandler, über dessen Gesicht sich eine zarte Röte breitete.

»Wir wollten gerade ins Kino gehen, in einen ganz gruseligen Film, den Joe aber unbedingt sehen will.« Patricia verzog die Mundwinkel.

»In ›Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens‹, ein Meisterwerk des deutschen Regisseurs Murnau, der letztes Jahr in Berlin uraufgeführt wurde und den man keinesfalls versäumen sollte«, erläuterte Doktor Sandler und fragte Maureen, ob sie nicht mitkommen wolle.

Auch seine Schwester war von der Idee sehr angetan. »Vorher gehen wir noch eine Kleinigkeit essen. Ach, kommen Sie doch mit, Maureen, das würde mich sehr freuen!«

Maureens Herz überschlug sich vor Freude – es gab nichts, was sie lieber täte. »Überredet, ich liebe gruselige Filme«, erklärte sie übermütig und brachte nur rasch die Einkäufe nach oben. Sie nutzte diese Zeit, um sich ein wenig zu beruhigen, da sie regelrecht aus dem Häuschen war – über die glückliche Wendung, die ihr der Abend beschert hatte.

Etwa zur gleichen Zeit betrat Aleister Crowley den Speisesaal und steuerte zielstrebig auf den Fenstertisch zu, an dem Gräfin Bronski ihn bereits erwartete. Wie er sehen konnte, hatte sie sich fürs Dinner in Schale geworfen, auf den altmodischen Hut mit dem Spitzenschleier verzichtet und stattdessen einem mondänen Stirnband mit einer silbergrauen Reiherfeder den Vorzug gegeben. Die slawischen Gesichtszüge mit den hohen Wangenknochen und den schrägstehenden Augen, die dem Magier freudig entgegenblickten, waren durchaus apart, wie Crowley feststellte und da sein Geschlechtsleben schon seit geraumer Zeit brachlag, war er einem etwaigen Abenteuer mit der Dame keineswegs abgeneigt. Dass sie eine linientreue Katholikin war, störte ihn dabei wenig. Im Gegenteil – im Rahmen seines exzessiven Sexuallebens, das kaum etwas ausgelassen hatte, hatte er mehrfach die Erfahrung gemacht, dass Frömmlerinnen im Bett alles andere als prüde waren. Und es gab noch einen Grund, warum er sich die Gräfin gewogen halten wollte: der schnöde Mammon. Denn seit der Hetzkampagne der Presse fand sich kein Verlag mehr, der seine Schriften veröffentlichte, und er war mehr denn je auf reiche Gönner angewiesen. So zeigte er sich von seiner charmanten Seite, trug über dem Kilt ein schwarzes Dinner-Jackett und hauchte der Dame galant einen Kuss auf den Handrücken, ehe er sich ihr gegenüber setzte. Als ein livrierter Ober herbeieilte, um ihnen die Menükarten zu reichen, bestellte Crowley einen Malt-Whiskey und fragte die Gräfin, ob sie auch einen wünsche.