Monikas Reigen

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Wie Nadja das überhaupt aushalten konnte, so oft mit ihrer begehrten Freundin zusammen zu sein? War ihre Selbstsicherheit so stark, dass sie sich einfach nicht um solche Dinge scherte? Nadja hatte immer wieder gemerkt, dass sie selber die jungen Männer, die Lisa nachliefen, wenig interessant fand. Insofern war also zwischen den Freundinnen kaum Konkurrenz vorhanden. Umgekehrt hatte Lisa schon manches Mal gedacht, wie schön es sein müsste, so wie Nadja einen präsenten, warmherzigen Vater zu haben. Ihre Mutter war ganz in Ordnung, aber Lisa vermisste ihren Vater, der vor zwölf Jahren nach Japan zurückgegangen war, schmerzlich, obwohl sie nur noch eine schwache Erinnerung an ihn hatte.

Unmittelbar nach dem Läuten der Türglocke stand Lisa schon da.

»Ich habe dich schon vom Balkon aus kommen sehen, Nadja!«

Die Freundinnen umarmten sich innig, und Nadja erzählte natürlich sofort die Neuigkeit. Lisa konnte es kaum glauben.

»Wie mega traurig, unsere liebe Sarasin tot! Schön, dass du zu mir gekommen bist. Ich befürchtete schon, du würdest heute Französischvokabeln büffeln.«

»Ganz so vergiftet bin ich nicht«, lächelte Nadja, »und ich hätte es auch gar nicht gekonnt. Am besten lenken wir uns heute mit irgendeinem Blödsinn von den trüben Gedanken ab. Vielleicht läuft im Kino ein heiterer Film?«

»Gute Idee, ich schau mal in der Zeitung nach.«

Lisa rannte in die Küche, wo die Zeitungen lagen.

»Oh ja, da haben wir Glück. Im Scala läuft gerade eine Charlie Chaplin-Sommerserie. Heute spielen sie… Limelight, der soll ja mega schön und traurig zugleich sein!«

»Ja, ich habe ihn schon einmal gesehen. Genau das Richtige für heute!«, schwärmte Nadja.

Zehn Minuten später schlenderten die beiden Freundinnen Hand in Hand in Richtung Stadtzentrum.

Sebastian Sarasin hatte die Kommissarin in seine Bibliothek geführt und, ohne zu fragen, zwei Gläser und eine Flasche Campari auf den Salontisch gestellt.

»Ach, meine arme Schwester«, murmelte er beim Einschenken vor sich hin, »warum musstest du nur so früh sterben?«

Anna schaute sich um. In der Tat, dachte sie, das konnte man wirklich eine Bibliothek nennen! Die drei Wände waren fast bis zur Decke mit Büchern belegt, und der Fensterfront entlang standen ein Schreibtisch, ein Computertisch und ein niederes Gestell voller Aktenordner.

Sebastian Sarasin hatte sich Anna gegenübergesetzt.

»Bevor Sie die unvermeidliche Frage stellen, sage ich es Ihnen gleich: Ja, ich habe tatsächlich fast alle diese Bücher gelesen. Sie werden sich wundern, warum ich so viel Zeit habe. Wissen Sie, in der Familie Sarasin ist man nicht gezwungen, einer bezahlten Erwerbsarbeit nachzugehen, wie es die gewöhnlichen Leute eben tun müssen, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Nein, bei uns in den besseren Kreisen kann man das ganz nach eigenem Gutdünken gestalten, sozusagen als Kür anstelle der Pflicht. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Es ist nicht so, dass ich keinen Ehrgeiz hätte oder faul wäre. Ich habe an der Uni in Ökonomie abgeschlossen, und es macht mir Freude, meine Privatkunden in Geldangelegenheiten zu beraten. Aber ich kann mir meine Arbeitszeit frei einteilen und daneben ein wenig das Leben geniessen.«

»Das klingt ja verlockend«, entgegnete Anna, »aber ich selber, die ich zweifellos zu den gewöhnlichen Leuten gehöre, muss jetzt eben meiner bezahlten Erwerbsarbeit nachgehen und Sie zu Ihrer Schwester befragen.«

Monikas Bruder lächelte säuerlich.

Es klopfte an der Tür, und eine jüngere, schlanke, blonde, elegant gekleidete Frau trat ein.

»Oh, Verzeihung, störe ich?«

»Nein, gar nicht, komm rein«, sagte Sebastian. »Darf ich vorstellen: Frau Kommissarin Auer, Daniela Sarasin, geborene Merian, Mutter unserer zwei allerliebsten Zwillinge.«

Daniela Sarasin begrüsste die Kommissarin, setzte sich neben ihren Mann und strich ihm übers Haar.

»Monika ist gestorben, hast du mir vorhin gesagt. Was ist denn da passiert?«

»Ja, leider«, nahm sich Anna Auer das Wort, »und zwar auf schlimme Weise. Sie wurde gestern Abend in den Langen Erlen mit Messerstichen umgebracht.«

»Nein! Erstochen!« Daniela Sarasin hatte einen spitzen Schrei ausgestossen. »Das ist doch nicht möglich! Wer kann denn so etwas Grässliches getan haben, und weshalb nur?«

»Das kann ja wohl nur ein Irrer gewesen sein«, sagte Sebastian kopfschüttelnd, »der sich im Wald ein zufälliges Opfer für seine perverse Lust gesucht hat!«

»Nun, ob es so war, möchte die Polizei gerne herausfinden«, erwiderte die Kommissarin, »und Sie können uns bestimmt dabei helfen. Wie war denn Ihr Kontakt zu Monika?« Sie schaute abwechselnd die beiden Eheleute an und wunderte sich über das lange Zögern.

Schliesslich antwortete die Frau als Erste. »Nun, was soll ich sagen? Viel Kontakt hatten wir nicht mit ihr. Sie war eben sehr engagiert in der Schule und im Tennisclub.«

Ihr Mann nickte nur dazu.

Anna Auer fragte weiter. »Haben Sie vielleicht irgendeine Vorstellung, warum jemand Monika hätte umbringen wollen?«

Sebastian Sarasin hatte sich erhoben und tigerte im Raum hin und her.

»Es ist doch völlig absurd«, rief er aus, »sie war doch überall so beliebt! Na ja, Männergeschichten hatte sie wohl mehr als genug, aber ein Tötungsdelikt…?«

»Sie können mir wohl keine Namen zu diesen sogenannten Männergeschichten nennen?«, fragte Anna Auer.

»Nein, wir können Ihnen da beim besten Willen nicht weiterhelfen. Monika hat uns niemals etwas darüber erzählt, wir vernahmen höchstens ab und zu ein umlaufendes Gerücht.«

Die Kommissarin erhob sich. »Ich danke Ihnen sehr für die Auskünfte. Es könnte sein, dass ich Sie nochmals belästigen muss. Wo finde ich denn Ihren Bruder?«

»Den Peter? Er residiert in Riehen, an der Hotzenwaldstrasse, zusammen mit seiner Freundin, Patrizia Staehelin.«

Rasch verliess Anna Auer die Villa und eilte durch den Park zum Ausgang. Ihr Eindruck von den Sarasins war nicht gerade positiv. Dieser Dünkel, unbedingt etwas Besseres sein zu wollen und das noch so penetrant herauszustreichen! Und da war noch dieses unbestimmte Bauchgefühl, das ihr mitteilte, irgendwo in dieser Familie gäbe es ein dunkles Geheimnis. Aber wo?

Anna Auer hatte sich unterwegs ein Sandwich gekauft und dieses während der Tramfahrt verzehrt. An der Haltestelle Dorf stieg sie aus und durchquerte den alten Dorfkern von Riehen. In diesem Vorort von Basel, einem ehemaligen kleinen, mehrere Kilometer von der Stadtgrenze entfernten Bauerndorf, lebten mittlerweile mehr als zwanzigtausend Menschen, und die freie Fläche bis zur Stadtgrenze war auf wenige hundert Meter zusammengeschrumpft. Trotzdem war im Zentrum von Riehen ein Teil der dörflichen Atmosphäre erhalten geblieben. Etliche schmale Gässchen durchquerten den Dorfkern, und einige der alten, gemauerten Bauernhäuser aus dem achtzehnten oder neunzehnten Jahrhundert standen in ihrer ganzen, meist frischrenovierten Pracht noch da.

Anna überquerte die Bahngleise, hinter denen die Strasse allmählich zu steigen begann, und erreichte nach einigen Minuten die Hotzenwaldstrasse. Doch, hier würde ich auch gerne wohnen, dachte sie. Ruhig, vornehm, ländlich und doch stadtnah. Eine lange Reihe von älteren Einfamilienhäusern mit schmucken Gärten säumte die Strasse. Haus Nummer dreiundzwanzig war es, hatte sie im Internet herausgefunden. Sarasin und Staehelin, stand auf der Hausglocke. Interessant, die beiden kürzen ihre Namen nicht ab. Weil sie jung und modern sind, oder weil sie nicht verheiratet sind? Das Haus hatte auch bei weitem nicht den Charakter der Sarasin‘schen Villa im Gellert. Ein solides Einfamilienhaus aus den fünfziger Jahren, mit einigem Umschwung, aber eigentlich ziemlich konventionell, dachte Anna.

Gleich nach dem Läuten ging die Haustür auf, und eine jüngere, modisch gekleidete Frau mit ernstem Gesicht erschien. Anna präsentierte ihren Polizeiausweis.

»Oh, natürlich, kommen Sie herein«, sagte die Frau. Ihre Augen waren feucht, ihre Stimme brüchig. »Mein Schwager Sebastian hat vorher angerufen und Ihr Kommen angekündigt. Ich heisse Patrizia Staehelin und bin die Partnerin von Monikas Bruder Peter. Ich arbeite als Ärztin im Kinderspital, aber heute habe ich einen freien Tag.«

Tränen erschienen in ihren Augenwinkeln. »Vor allem aber war ich Monikas beste Freundin! Unfassbar, dass sie gestorben sein soll! So eine sympathische und lebenslustige Frau soll jemand umgebracht haben, das ist doch unmöglich!«

Die Frau wandte sich ab und hielt sich ein Taschentuch vor das Gesicht.

»Glauben Sie mir«, sagte Anna bekümmert, »ich fühle ganz stark mit Ihnen. Leider erleben wir in unserem Beruf immer wieder solche Tragödien. Aber letztlich… Es handelt sich eindeutig um ein Tötungsdelikt, und jemand muss es schliesslich getan haben.«

Patrizia Staehelin wandte sich wieder der Kommissarin zu. »Peter ist in seinem Arbeitszimmer, ich gehe ihn gleich holen. Darf ich Ihnen einen Kaffee anbieten?«

»Danke, lieber ein Glas Wasser«, erwiderte Anna und nahm auf dem ihr angebotenen Ledersessel Platz.

Ein schlanker junger Mann im weissen Hemd mit dunkelroter Krawatte erschien im Türrahmen. Er zuckte etwas zurück, als er die Frau in Uniform erblickte.

»Oh, Verzeihung. Ich wusste nicht, dass die Polizei schon da ist.«

»Kein Problem. Ich bin Anna Auer, Kriminalpolizei. Sie haben ja vom Tod Ihrer Schwester Monika gehört, und ich würde gerne von Ihnen und Ihrer Partnerin etwas mehr über die Verstorbene erfahren.«

Peter Sarasin blickte seine Freundin an. »Was meinst du? Du kanntest sie ja eigentlich viel besser als ich selbst. Gib du doch der Kommissarin Auskunft, ich muss noch rasch ein Telefonat erledigen.«

 

Patrizia Staehelin lächelte die Kommissarin an. »Ich weiss, das klingt jetzt merkwürdig für Sie. Immerhin war Monika die Schwester von Peter. Aber die beiden hatten, seit ihre Kindheit vorbei war, tatsächlich wenig Kontakt miteinander. Während Peter fast seine ganze Freizeit auf dem Golfplatz verbringt, teile ich mit Monika die Leidenschaft zum Tennis und war deshalb sehr oft im Club mit ihr zusammen. Sie war wirklich meine beste Freundin! Aber wer hätte ihr so etwas antun wollen? Ich meine, das kann ja nur ein Psychopath gewesen sein, der sich irgendwo im Wald ein zufälliges Opfer für seine perverse Lust ausgesucht hat.« Patrizia hatte wieder zu weinen begonnen.

Die Kommissarin räusperte sich. »Das wäre grundsätzlich denkbar. Aber wir müssen alle Möglichkeiten offenlassen. Im Hause von Monikas Eltern wurde mir angedeutet, sie habe ein ziemlich bewegtes Liebesleben geführt.«

Ein Lächeln huschte über Patrizias Gesicht. »Ja, das kann man so ausdrücken. Sie war so attraktiv, dass sie praktisch jeden Mann ins Bett kriegen konnte. Aber eine langfristige Beziehung einzugehen, war ihr irgendwie nicht gegeben. Und immer war sie es, die eine angefangene Beziehung wieder beendet hat, manchmal schon nach kurzer Zeit. Und meist auf ziemlich unsanfte Art, muss ich leider sagen. Irgendwie war das ein spezieller Charakterzug von ihr.«

»Dann nehme ich an, dass sich der eine oder andere dieser Männer sehr gekränkt gefühlt hat. Ob hier der Schlüssel für das Delikt liegen könnte? Wissen Sie, eine solche Kränkung kann sehr starke Rachegefühle auslösen, bei Männern wie bei Frauen. Ich nehme doch an, Sie als beste Freundin kannten Monika Sarasins Liebhaber?«

Patrizia Staehelin erhob sich, ging zum Fenster und schaute eine Weile in die Ferne.

»Natürlich weiss ich Bescheid. Aber das ist doch eine heikle Sache. Die Betreffenden könnten ja dann ernsthaft unter Verdacht kommen…«

»Liebe Frau Staehelin«, fuhr die Kommissarin ärgerlich dazwischen, »denken Sie bitte daran, es geht hier nicht um ein Kavaliersdelikt, es geht um den Mord an Ihrer besten Freundin, da sind solche Rücksichten überhaupt nicht angebracht!«

»Sie hat absolut recht«, bestätigte Peter Sarasin, der soeben wieder hereingekommen war, »du musst alles sagen, was du weisst. Ich selber kann dazu leider nicht viel beitragen.«

Patrizia seufzte. »Ja, es muss wohl sein. Wobei auch ich nicht sicher bin, ob Monika mir wirklich alles verraten hat. Aber ich sage Ihnen alles, was ich weiss. Also, Monikas letzter Liebhaber war Andreas Vischer, einer der Lehrer am Gymnasium. Mindestens fünfzehn Jahre älter als sie. Ich habe mich echt darüber gewundert, als sie mir von ihm erzählte. Sie hat Andreas dann vor ungefähr einem Monat verlassen.«

»Wissen Sie, weshalb?«

»Nein, das wusste man bei Monika eigentlich nie. Irgendwann hatte sie jeweils genug von einem Mann, und dann machte sie konsequent Schluss. Das lag irgendwie in ihrem Charakter. Also, Monikas vorletzter Liebhaber war ein Kollege aus unserem Tennisclub, Mark Sutter. Ihn hat sie vor ungefähr einem halben Jahr sitzengelassen. Ein besonders heikler Fall, weil Mark verheiratet ist und zudem seine Gattin Claudia zu Eifersucht neigt.«

»Wusste sie denn davon?«

»Das kann ich nicht beurteilen. Claudia spielt nicht Tennis, ich habe sie nur wenige Male gesehen. Und vor Mark Sutter… Ja, da war die Affäre mit Stefan Weber, dem Vater eines Schülers von Monika.«

»Oh, auch das klingt brisant.«

»Ja, die beiden konnten es zwar lange Zeit geheim halten, aber irgendwann flog die Sache auf. Monika hat dann die Beziehung beendet, aber seitdem leben die Eltern Weber getrennt voneinander.«

»Damit kämen wir bereits zum viertletzten Liebhaber…«, bemerkte die Kommissarin und musste ein Lachen unterdrücken.

Patrizia hob ihre Hände, als ob sie sich entschuldigen müsste. »Nun, diese Beziehung liegt schon etwas länger zurück, mindestens zwei Jahre. Es betraf auch einen Lehrer am Gymnasium, Thomas Stahel. Dieser wechselte dann später an eine Mittelschule im Engadin, ich glaube, es war in Zuoz. Und vor Thomas, da war Monika eine Zeitlang mit Martin Frei, dem damaligen Turnlehrer, zusammen. Das ist aber bestimmt vier Jahre her. Leider hatte Martin später einen schweren Fahrradunfall und ist seither querschnittgelähmt.«

»Oh, wie schrecklich.«

»Ja, sehr tragisch«, erwiderte Patrizia. »Aber kommen Sie doch morgen Abend, ab achtzehn Uhr, zum Tennisclub. Mark Sutter wird bestimmt da sein, ebenso Melanie Haller, die zweite beste Freundin von Monika.«

Anna Auer stand auf. »Das mache ich gerne und bedanke mich sehr für die Auskünfte.«

»Ich habe nicht die geringste Ahnung, was dahinter stecken könnte«, sagte Peter Sarasin, nachdem die Kommissarin gegangen war, und nahm einen Schluck aus seinem Whisky-Glas.

Patrizia Staehelin rückte auf dem Sofa etwas näher zu ihm und legte einen Arm um seine Schultern. »Meine beste Freundin tot! Ach, Monika…« Patrizias Tränen tropften auf Peters Hemd. »Sicher, einige Leute waren neidisch auf sie, weil sie einfach überall Erfolg hatte, ihr alles in den Schoss fiel, ihr die Männer nachliefen… Aber ein Mord? Ich kann es nicht begreifen!«

Patrizia fuhr sich nervös durch die Haare. »Oder hängt das doch mit dieser alten Geschichte zusammen? Ich weiss, mein Liebling, es ärgert dich, daran erinnert zu werden, aber es ist nun mal passiert und hat viele negative Gefühle hinterlassen.«

Patrizia drückte Peter einen Kuss auf den Mund. Dieser erhob sich, machte einige Schritte im Zimmer auf und ab und setzte sich dann wieder.

»Die alte Geschichte… Ich selber war ja damals zu jung, um alles zu begreifen. Und es ist doch mehr als fünfzehn Jahre her, warum sollte denn gerade jetzt…?«

Patrizia seufzte tief. »Ja, das war wohl nur so eine dumme Idee von mir. Eigentlich kann es ja nur ein Wahnsinniger gewesen sein, der sich im Wald ein zufälliges Opfer für seine Aggressionen oder seine Lust ausgesucht hat.«

Peter nickte. »Ja, das muss die Lösung sein. Wenn nur die Polizei den Übeltäter bald findet!«

Patrizia erhob sich. »Du entschuldigst mich, Peter. Ich muss unbedingt noch Melanie Haller anrufen. Vielleicht weiss sie noch gar nichts von Monikas Tod?«

Pünktlich um siebzehn Uhr waren Anna Auer und Lukas Lauber zum Tagesrapport bei ihrer Chefin, Silvia Stauber, erschienen.

»Ihr musstest aber früh ausrücken heute Morgen«, lächelte Silvia die beiden an. »Ich selber kam erst gegen neun ins Büro und erfuhr dann von Lukas, was passiert war. Eine furchtbare Sache! Und, wie weit seid ihr? Schauen wir zuerst die technischen Resultate an.«

Lukas blickte auf seinen Notizblock. »Nun, die Berichte des Kriminaltechnikers und des Rechtsmediziners habe ich bereits erhalten, der Autopsie-Bericht ist allerdings noch provisorisch. Monika Sarasin wurde gestern zwischen achtzehn und zwanzig Uhr in einem unwegsamen Dickicht in den Langen Erlen erstochen. Sie wurde zunächst durch Schläge auf den Kopf zu Fall gebracht und dann mit vier Messerstichen von vorne getötet. Es gibt Anzeichen, die auf eine Vergewaltigung hindeuten. Druckstellen am Rücken, am Gesäss und im Schambereich. Diverse Textilfasern sowie Hautpartikel wurden sichergestellt. Jedoch keine Spermaspuren, keine Fingerabdrücke, keine Tatwaffe.«

Silvia Stauber nickte nachdenklich. »Vergewaltigung also möglich. Vor oder nach dem Tod?«

»Niklaus Zehnder ist sich nicht hundertprozentig sicher. Er meint aber, wenn überhaupt, dann eher erst nach dem Tod.«

Silvia Stauber blickte Lukas an. »Wir werden also Speichelproben aller Verdächtigen für die genetischen Fingerabdrücke beschaffen müssen, um sie mit den gefundenen Hautpartikeln abzugleichen. Mit den Textilfasern können wir wohl nicht viel herausbringen. Es sei denn, der Täter wäre so ungeschickt gewesen, nicht alle seine Kleider zu entsorgen… Und jetzt zu dir, Anna. Sind schon Verdächtige in Sicht?«

Anna seufzte tief. »Leider nichts Konkretes. Immerhin habe ich heute mit mehreren Personen aus dem Umfeld des Opfers gesprochen und kann mir schon ein ungefähres Bild der Verstorbenen machen.«

Dann reichte sie die Fotografie herum.

»Oh, was für eine Schönheit«, rutschte es Lukas heraus.

»Also«, fuhr Anna fort, »Monika Sarasin, fünfunddreissig, Gymnasiallehrerin, lebte allein in ihrer grossen Wohnung in Riehen, wenige hundert Meter vom Ort des Verbrechens entfernt. Sie hatte zwei Brüder, und auch ihre Eltern leben noch. Patrizia Staehelin, die Partnerin von Monikas jüngerem Bruder Peter, war zugleich Monikas beste Freundin. Offenbar lebte Monika ziemlich isoliert von ihrer Familie. Einen wirklichen Grund dafür habe ich noch nicht ermitteln können. Ihre wichtigsten Lebensbereiche umfassten ihre Arbeit in der Schule und ihre Aktivitäten im Tennisclub. Das Auffälligste an Monikas Lebenswandel waren ihre häufig wechselnden Liebhaber, und die Tatsache, dass der Abbruch der jeweiligen Beziehungen immer von ihr aus ging. Das heisst, Kränkung und Eifersucht von sitzengelassenen Liebhabern könnten durchaus ein Motiv für den Mord darstellen. Patrizia Staehelin konnte mir fünf vergangene Liebhaber von Monika nennen. Drei davon werden wir uns morgen vorknöpfen. Den viertletzten und den fünftletzten, beide damals Lehrer am Gymnasium, können wir bereits ausschliessen. Der eine hat nachweislich seit einer Woche das Engadin nicht verlassen, und der andere sitzt, seit einem Unfall, querschnittgelähmt im Rollstuhl.«

»Gute Arbeit, vielen Dank«, lobte Silvia ihre Untergebenen, »auf diesem Weg kommen wir bestimmt bald weiter. Dringend sind jetzt die Befragungen bei den Nachbarn, in diesem Tennisclub und im Lehrerkollegium. Auch müssen wir von allen potentiell Verdächtigen die Speichelproben beschaffen. Ebenso dringend ist die Durchsuchung von Monika Sarasins Wohnung. Ich hoffe doch sehr, dass wir dort einen Hinweis finden. Haben wir eigentlich einen Schlüssel?«

»Ja«, sagte Anna, »in ihrer Hüfttasche war ein Schlüssel. Ich gehe davon aus, dass er zu ihrer Wohnung passt.«

Silvia lächelte. »Gut, dann wünsche ich euch viel Erfolg. Wir treffen uns dann übermorgen, acht Uhr, zum nächsten Rapport. Und jetzt ab in den Feierabend!«

Auf dem Rückweg in sein Büro kreisten Lukas‘ Gedanken um seine Chefin Silvia Stauber. Alle Achtung, was diese Frau geleistet hat, dachte er. Als einfache Polizistin hatte sie angefangen, sich später im kriminaltechnischen Dienst etabliert und stetig weitergebildet. Nach fast zwei Jahrzehnten Erfahrung in diesem Bereich war sie dann zur stellvertretenden Chefin der Kriminalpolizei befördert worden. Jetzt war sie Mitte fünfzig, eine grosse, kräftige Frau mit ziemlich kurzen, grauen Haaren, einer runden Brille und einem meist strengen Gesichtsausdruck. Nur ab und zu kam ihre weichere Seite zum Vorschein. Etwa dann, wenn es um ein verschwundenes Kind ging. Über ihr Privatleben hatte sie kaum je etwas erzählt. Lukas wusste nur, dass sie im Neubad-Quartier wohnte. Aber ob sie Single war oder in einer Beziehung lebte?

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