Der sanfte Schnitt

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Wurzeln – oft übersehen und doch so wichtig

Vor allem bei Stauden können wir eine wichtige und oft übersehene Eigenschaft der Pflanzen erkennen: Die Wurzeln sind für das Überleben der meisten Pflanzen wichtiger als die oberirdischen Teile. Wenn wir an die Stauden denken, die im Winter unter der Erde ruhen, sehen wir: Sie kommen ganz gut für einige Zeit ohne Blätter aus. Sehr viele Pflanzen können nach dem vollständigen Verlust der oberirdischen Teile wieder austreiben, abgeschnittene Triebe vertrocknen in der Regel. (Dass sich abgetrennte oberirdische Teile von Pflanzen bewurzeln, kommt – ohne Hilfe des Gärtners, der Stecklinge pflegt oder ein Edelreis auf eine Unterlage pfropft – in der Natur nur selten vor.)

Unglücklicherweise sehen wir aber die Wurzeln nicht. Deshalb sind wir uns nicht darüber im Klaren, wie groß und wichtig die Wurzeln unter der Erdoberfläche für die Integrität des Lebewesens »Pflanze« sind. Einige Forscherinnen und Forscher haben sich die Mühe gemacht, die Wurzelsysteme einzelner Pflanzen freizulegen und sie zu vermessen: Eine einzige Roggenpflanze hat demnach rund 14 Millionen Wurzeln, die zusammen 622 Kilometer lang sind und deren Gewebeoberfläche 237 Quadratmeter beträgt!

Um ein Vielfaches ausgedehnter ist das Wurzelsystem der Bäume. Es ragt weit über die Ausdehnung der Krone hinaus. Die Wurzelspitzen bewegen sich intelligent durch das Erdreich und suchen nach Wasser,

Die Wurzeln ragen weit über die Baumkrone hinaus. Bei der Gartenarbeit, beim Verlegen von Leitungen und bei dem Pflastern von Wegen sollten Verletzungen der Wurzeln vermieden werden, um den Baum nicht dauerhaft zu schädigen.

Nährstoffen und Halt. Sie messen und verarbeiten dabei gleichzeitig bis zu 15 verschiedene Bodeneigenschaften wie Bodenfeuchte, die Konzentrationen verschiedener Nährsalze und die Schwerkraft. Die Wurzeln verbinden sich mit Pilzen, denn so können sie effektiver Nährsalze und Wasser aufnehmen. Im Gegenzug versorgen sie die Pilze mit Nährstoffen. Ohne dieses Zusammenleben mit der sogenannten »Mykorrhiza« können manche Pflanzenarten nur schlecht oder gar nicht leben – das ist zum Beispiel bei den Erdorchideen der Fall.

Vielleicht wäre es daher angemessener, die oberirdischen Teile der Pflanze nur als die Fortpflanzungsorgane eines eigentlich unter der Erde lebenden Wesens aufzufassen. Diese ungewohnte Vorstellung würde uns helfen, die Wurzeln der Pflanzen mit Sorgfalt zu pflegen und vor allem, sie vor Schäden zu schützen.

Wir sollten versuchen, bei jeder Pflanze, die in unserem Garten wächst, auch ihr Wurzelwerk zu »sehen«, also um den Raum zu wissen, den die Wurzeln brauchen. Denn es wachsen in unseren Gärten ja nicht nur Bäume und Sträucher, es werden auch Leitungen verlegt und Wege

gepflastert. Bei Bauarbeiten werden die oberirdischen Teile der Pflanzen oft mit viel Sorgfalt geschützt, die Wurzeln aber vielfältig geschädigt: Gräben werden ausgehoben und Wurzeln dafür durchschnitten. Erde wird abgetragen, Wurzeln werden freigelegt und dem Sonnenlicht (Wurzeln haben keinen UV-Schutz) und austrocknenden Winden ausgesetzt. Der Wurzelbereich wird befahren oder Baumaterialien werden unter Bäumen – im Wurzelbereich – gelagert. Dadurch wird die Erde verdichtet, wodurch der Sauerstoffgehalt des Bodens sinkt. Da auch Wurzeln Sauerstoff zum Leben brauchen, werden sie durch Bodenverdichtung geschädigt und können sogar absterben. Auch wenn im Wurzelbereich Erde aufgetragen wird, sinkt der Bodenluftgehalt, was sogar zum Absterben empfindlicher Arten führen kann. Bei Rotbuchen kann schon ein Bodenauftrag von fünf Zentimeter Höhe zum Absterben des Baumes führen, andere Bäume sind zum Glück widerstandsfähiger, aber für jede Pflanze ist ein Bodenauftrag problematisch.

Wenn abzusehen ist, dass die Wurzeln der Gehölze durch Bauarbeiten Schaden genommen haben, können wir den geschädigten Pflanzen helfen, indem wir die oberirdischen Teile auslichten. Ziel der Schnittmaßnahmen ist es, das Gleichgewicht zwischen der Wurzel- und Blattmasse wiederherzustellen, ähnlich wie das auch beim Pflanzschnitt der Fall ist (siehe Seite 165). Schnittmaßnahmen an vorgeschädigten Pflanzen sollten mit besonderer Sorgfalt durchgeführt werden, bei Unsicherheiten also lieber einen fachkundigen Betrieb beauftragen!

Baumschutz auf der Baustelle

Weil das Wurzelsystem der Bäume weit über die Kronentraufe hinausreicht und sich außerhalb der Kronentraufe auch die meisten Feinwurzeln befinden, ist auf Baustellen um jeden zu erhaltenden Baum ein fester Zaun im Abstand von 1,5 Meter von der Kronentraufe zu errichten (DIN-Norm 18920). Wenn dies nicht möglich ist, dann muss im Bereich des Wurzeltellers eine Schutzlage aus druckverteilendem und luftdurchlässigem Material von mindestens 20 Zentimeter Dicke aufgebracht werden.

Vielfältige Wuchsformen

Gärtner unterscheiden einjährige Pflanzenarten, mehrjährige Stauden und Gehölze. Was ist aber der Unterschied zwischen einer Staude und einem Gehölz?

Bei Gehölzen werden die anfangs weichen Triebe durch die Einlagerung des Holzstoffs (»Lignin«) hart, eben holzig. Gehölze haben auch im Winter über der Erde lebende Teile.

Während einjährige Pflanzen nach Blüte und Samenbildung absterben, treiben Stauden nach der Blüte und Samenbildung wieder aus bodennahen Knospen mit weichen, unverholzten Trieben aus. Im Winter haben sie entweder gar keine Blätter oder nur eine bodennahe Blattrosette.

Blick aufs Wurzelwerk beim Pflanzenkauf

Dass die Pflege der Pflanzen in erster Linie den Wurzeln gilt, wissen Biogärtner schon lange. Sie ernähren mit einer gut geführten Kompostwirtschaft den Boden und fördern so die vielen Lebewesen im Boden, die durch ihre Lebenstätigkeit für ein ausgedehntes und gesundes Wurzelwerk der Pflanzen ideale Bedingungen schaffen. Auf lebendigen Böden wachsen gesunde Pflanzen.

Es ist deshalb auch wichtig, beim Kauf einer Pflanze nicht nur nach gut genährten Blättern und prächtigen Blüten zu schauen, sondern vor allem die Qualität des Wurzelwerks zu kontrollieren. Ist der Ballen gut durchwurzelt? War die Pflanze schon zu lange im Container und schauen Wurzeln aus den Abzugslöchern heraus? Haben sich schon Wurzeln gebildet, die am Boden des Topfes spiralförmig wachsen? Dann wird die Pflanze nur schlecht oder gar nicht anwachsen, weil Wurzeln, die einmal angefangen haben, im Kreis zu wachsen, auch vom Topf befreit weiter spiralförmig wachsen. Es ist beinahe so, als wäre ihnen schwindelig geworden.

Wachstum unter der Rinde

Gehölze können dadurch, dass sie stabiles, verholztes Gewebe bilden, viel höher werden als Stauden. Mit Ausnahme von Palmen und Bambus wachsen Gehölze, indem um den schon vorhandenen Holzkörper außen immer wieder eine neue Schicht gebildet wird. Dieses »sekundäre Dickenwachstum« kann man sich ähnlich vorstellen wie das Zusammensetzen der russischen »Babuschka« oder »Matrjoschka«-Puppen. Jedes Jahr bildet die Pflanze um den gesamten Holzkörper einen neuen Mantel aus holzigem Gewebe. Jahresringe im Holz sind ein Zeichen dieses Wachstums direkt unter der Rinde.

Für die Pflege der Gehölze ist es wichtig zu wissen, dass es nur eine sehr dünne Schicht gibt, in der neues Gewebe gebildet wird: das Kambium. Es liegt zwischen der Borke und dem Holz und bildet nach innen Holz, nach außen eine lebendige Rindenschicht, den Bast.

Im Holzkörper gibt es lang gestreckte Gefäße, in denen Wasser und Nährsalze von den Wurzeln in die oberirdischen Teile der Pflanze transportiert werden. Sie werden aus spezialisierten Zellen, in deren Zellwand Lignin eingelagert wurde und die danach abgestorben sind, gebildet. Andere Zelltypen im Holz sterben nicht ab, beispielsweise Speicherzellen in den Holzstrahlen oder die Zellen in den Harzkanälen.

Im Bast werden Speicherstoffe transportiert. Die Bastgefäße sind ebenfalls lang gestreckt, werden aber aus lebenden Zellen gebildet. Im Frühjahr werden die Speicherstoffe nach oben zu den sich bildenden Blättern transportiert. Im Herbst dreht sich die Transportrichtung um, Zucker und andere Speicherstoffe werden in den Wurzeln oder im Holzkörper eingelagert.

Bei vielen Bäumen wird das Innere des Holzkörpers stillgelegt, die feinen »Rohrleitungen« werden verschlossen. Es werden Stoffe eingelagert, die das Pilzwachstum hemmen. Die noch lebenden Zellen im Innern des Holzkörpers sterben ab. So entsteht das dauerhafte Kernholz der Bäume. Ähnliches geschieht nach außen mit den älteren Jahrgängen des Bastes. Sie werden zur Borke. Auch hier sterben die Zellen ab, auch hier werden vorher die Zellwände durch Einlagerung des hochkomplexen Naturstoffs »Suberin« imprägniert. Suberin bestimmt die Eigenschaften der Rinde und macht sie wasserabweisend und isolierend gegenüber Temperaturschwankungen.

Dieses ausgeklügelte System wird empfindlich getroffen, wenn der innere, stillgelegte Holzkörper von Pilzen befallen wird oder wenn durch Verletzungen Luft in die Leitungsgefäße eindringen kann und damit Pilzen Lebensmöglichkeiten eröffnet werden. Die Gehölze haben in diesen Fällen kaum Möglichkeiten, sich zu wehren.


Nur im Kambium wird neues Gewebe gebildet. Es ist für das Dickenwachstum der Gehölze zuständig.

 

Wie bei den russischen »Matrjoschka«-Puppen bilden die Gehölze jedes Jahr um den gesamten Holzkörper einen neuen Mantel aus holzigem Gewebe.

Lebendes Holz und der Werkstoff Holz

Ein Gehölz ist ein Lebewesen und kein toter Werkstoff. Oft werden Gehölze aber so behandelt, als seien ihre Eigenschaften dem des Werkstoffes Holz ähnlich. Wenn sich beispielsweise in Astgabeln Wassertaschen bilden, so werden diese angebohrt, damit das Wasser ablaufen kann, weil wir vom Werkstoff Holz wissen, dass feuchtes Holz von Pilzen befallen wird und fault. Dabei kann eine Pflanze nur leben, wenn sie genügend Wasser für die Lebensvorgänge enthält. Lebendes Holz ist feucht und solange die Rinde unverletzt ist, sind Wassertaschen für Bäume auch kein Problem. Das Anbohren allerdings, vor allem, wenn dann auch noch Röhrchen für den Wasserabfluss eingesetzt werden, schafft eine Wunde und damit eine Eintrittspforte für Pilze.

Früher wurden von Baumchirurgen Faulstellen von Bäumen bis ins gesunde Holz ausgeschnitten und mit Holzschutzmitteln behandelt. Diese giftigen Substanzen schädigten die lebenden Holzzellen unmittelbar und führten zu viel größeren Schäden, als vorher vorhanden waren. Heute werden morsche Stellen nicht mehr ausgeschnitten, der Baum kann sich selbst am besten helfen. Die Baumpflege konzentriert sich darauf, ein Gleichgewicht von Wurzel- und Blattmasse zu erhalten, statisch ungünstige Kronenarchitekturen zu korrigieren und Äste, die ein Sicherheitsrisiko darstellen, entweder zu entfernen oder mit Seilen zu sichern.

Warum die Triebspitzen so wichtig sind

Wie die individuelle Gestalt der Pflanzen entsteht, können wir besonders einfach im Winter beobachten, nämlich dort, wo man gut sehen kann, dass ein Ast in der Vergangenheit geschnitten wurde.

An Stellen, an denen ein Schnitt noch nach Jahren gut zu erkennen ist, war die Schnittführung für die Pflanze ungünstig. Eine einfühlsame Schnittmaßnahme ist nach dem Schneiden nicht zu sehen. Sanfte Schnitte stören die Regulationsprozesse in der Pflanze so wenig wie möglich oder nutzen sie geschickt aus.

Ungeordnete Austriebe unterhalb des Aststumpfes zeigen: Hier wurde die Spitze gekappt.

Pflanzenschädigende Schnitte erkennen wir oft an einem Stumpf, der zumeist abgestorben ist. Die Rinde hat sich abgelöst, vielleicht ist eine Faulstelle entstanden. Unterhalb des Stumpfes aber stehen viele Äste. Hier haben sogenannte »schlafende Augen« ausgetrieben. Wenn die Spitze eines Triebes plötzlich fehlt, dann treiben viele darunterliegenden Knospen gleichzeitig aus. Daran können wir sehen: Eine Zweigspitze verhindert das Austreiben der Knospen, die weiter zweigabwärts liegen.

Wie dies geschieht, haben Wissenschaftler durch folgendes Experiment geklärt: Die Spitzen von Bohnenpflanzen wurden abgeschnitten und auf Nährböden (Agar-Agar) gesetzt. Auf die gekappten Triebspitzen der Bohnenpflanzen wurden dann die präparierten Agar-Agar-Stücke, auf denen sich die Endknospen eine Weile befunden hatten, platziert. Die Seitenknospen, die normalerweise nach dem Entfernen der Triebspitze austreiben würden, veränderten sich dadurch nicht. Sie trieben nicht aus. Pflanzenhormone, sogenannte Auxine, verhinderten das Austreiben der schlafenden Knospen (»Augen«). Da es sich um transportable Stoffe handelt, wurden sie an das Nährmedium abgegeben.


Das Bohnenexperiment zeigt, dass die Endknospen von Bohnenpflanzen einen Stoff produzieren, der den Austrieb von weiter abwärts liegenden Knospen verhindert. Normalerweise werden schlafende Knospen zum Austreiben angeregt, wenn die Spitze entfernt wird (Bildmitte). Die Wirkung der Endknospe kann durch ein Agar-Agar-Stückchen, auf dem sich eine abgeschnittene Endknospe eine Weile befunden hat, ersetzt werden (rechts im Bild).

Kurz erklärt: Ein »Auge«

Wie ein Tierembryo im Mutterleib, so schmiegen sich Blätter, Blüten und Triebe in den Knospen aneinander: wohlgeordnet und winzig klein, mit der Lupe oder dem Mikroskop aber schon gut erkennbar. Beinahe sieht es so aus, als warteten sie darauf, ihre Hüllen aus Knospenschuppenblät-tern aufzubrechen, sich zu strecken und dem Licht entgegenzuwachsen. Das Signal zum Austreiben geben die Pflanzenhormone, deren Bildung von Licht und Temperatur gesteuert wird. Aber nicht alle Knospen treiben aus. Manche bleiben im »Tiefschlaf«, sie schwellen nicht und bleiben sehr klein. Oft ist nur eine Vertiefung mit einer kleinen Erhebung in der Mitte erkennbar. Das sieht manchmal wirklich aus wie ein kleines Auge.

Wuchsformen verstehen

Die Gestalt von Pflanzen wird entscheidend davon beeinflusst, wie stark die oberste Triebspitze das Wachstum der darunterliegenden Triebe dominiert. Botaniker nennen das »unterschiedliche Spitzendominanz«.

Da gibt es die Pflanzen, die einen durchgehenden, meist straff aufrecht wachsenden Haupttrieb und kaum oder nur untergeordnete Nebentriebe haben. Die Sonnenblume gehört zu diesen Pflanzen, aber auch Bäume wie Fichte und Tanne. Ihre Haupttriebe verzweigen sich nicht. Wenn der Haupttrieb durch einen Unfall verloren geht, dann werden meist mehrere neue Triebe gebildet, die wie neue eigene Pflanzen auf der alten Pflanze aufsitzen. So kann zum Beispiel aus einer umgefallenen Fichte eine Reihe nebeneinanderstehende Fichten entstehen.

Auf der anderen Seite gibt es die Arten, die sich regelmäßig verzweigen und an denen ein dominierender Trieb kaum oder gar nicht zu erkennen ist. Es entstehen kugelige oder halbkugelige Pflanzengestalten. Die Mistel ist das beste Beispiel für diesen Typ. Aber auch Rhododendron, Latschen, Tagetes oder Thymian wachsen in dieser Art und Weise.

Die meisten Pflanzengestalten liegen zwischen diesen beiden Extremen, wobei sich der Grad der Spitzendominanz auch mit dem Alter der Pflanze ändern kann.

Bei Bäumen ist für die Stammbildung eine Dominanz des Haupt-triebes verantwortlich, für die Bildung der Krone eine relative Gleichberechtigung der verschiedenen Triebspitzen der Seitenäste.

Sträucher können als Gruppe von Trieben mit starker Spitzendominanz wachsen, dazu gehören zum Beispiel die Hasel oder der Holunder. Andere Arten wie die Kornelkirsche wachsen regelmäßiger verzweigt und wirken eher wie ein kleiner Baum ohne Stamm.

Schnittregel Nr. 1: Eine Spitzenknospe bleibt

Beim Schnitt wird die artspezifische Gestalt dann am wenigsten gestört, wenn es nicht zu einem ungeordneten Austrieb schlafender Knospen kommt.

Es wird so geschnitten, dass eine Spitzenknospe erhalten bleibt. So wird die Regulierung der Pflanzengestalt sichergestellt.

Wenn wir eine Pflanze zurückschneiden, dann lassen wir einen jüngeren, weiter unten wachsenden Ast stehen. Wir schneiden den älteren Ast direkt an der Stelle, an der dieser jüngere Ast hervor-wächst, ab.


Beim Schnitt wird auf einen jüngeren Ast abgeleitet. So wird ein ungeordneter Austrieb vermieden.

Gärten naturnah planen und pflegen


Der Winter ist die beste Zeit, einmal zu schauen, ob in unserem Garten die Strukturen und Formen auch den Funktionen dienen. Im Winter haben wir Muße, aber auch genügend Durchblick, denn die Strukturen unseres Gartens sind klar erkennbar.

Wir sehen die Stauden und Wiesenflächen – wo die Stauden des kommenden Sommers in der Erde ruhen – und die Gebüsche, Einzelsträucher und Bäume, die den Garten strukturieren. Ein Garten wird dann als schön empfunden, wenn seine Strukturen den Funktionen der verschiedenen Gartenräume entsprechen. In einem naturnahen Garten versuchen wir zusätzlich jede Fläche so zu gestalten, dass sie nicht nur uns nutzt (z.B. Sichtschutz zum Nachbarn, Obstbaum zum Ernten von Äpfeln, Sitzplatz für das Frühstück im Sommer), sondern auch gleichzeitig ein Lebensraum für viele interessante Tiere und einheimische Wildpflanzen ist.

Wenn wir die Vögel beobachten, die in unserem Garten nach Futter suchen, erkennen wir besonders gut, wo wir Lebensräume für Tiere geschaffen haben und wo es vielleicht noch weitere Möglichkeiten gibt, die wir in unserem Garten im kommenden Jahr umsetzen wollen. Gibt es genügend dichte, stachelige Gebüsche, in denen sich die Rotkehlchen und Zaunkönige zurückziehen können, wenn der Winterwind durch den Garten pfeift, und wo im kommenden Jahr Heckenbraunelle und Mönchsgrasmücke nisten können? Haben die Sträucher in diesen Bereichen viele Astquirle, die zum Nestbau einladen? Gibt es genügend laubbedeckte Staudenflächen, wo Amseln, Buchfinken und Grünfinken ihr Futter finden? Tragen unsere Wildsträucher genügend Beeren für Dompfaff und vielleicht sogar Seidenschwanz? Gibt es auch viele Samenstände der Stauden, wo Stieglitze ihre Winternahrung finden, weil sie Samen picken können, aber auch Meisen, die dort nach überwinternden Insekten suchen? Gibt es darüber hinaus stehendes Totholz, in dem Wildbienen nisten können?

Mag Naturgärten: der Stieglitz

Sehr viele Lebensräume entstehen durch Nichtstun. Naturgärtner haben es ja wirklich einfach: Wer Laub liegen und Hecken frei wachsen lässt, in Staudenbeeten natürliche Dynamik zulässt, der hat weniger Arbeit im Garten. So bleibt mehr Zeit, die vielen Tiere zu entdecken, die gerade wegen der vielen Lebensräume, die durch das Nichtstun und Sein-Lassen entstehen, in unsere Gärten einziehen.

Grundregeln des sanften Schnitts

Naturgärtner beobachten viel lieber, als dass sie sich anstrengen. Das heißt, wir tun nur das, was nötig ist, um die Lebensräume in unserem Garten zu erhalten und weiterzuentwickeln.

Naturgärtner gehen achtsam mit ihren Mitbewohnern um. Wir achten die Tiere und Pflanzen in unserem Garten. Naturgärtner fühlen sich als »Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will«, wie Albert Schweitzer das einmal gesagt hat.

Wenn wir mit Schere und Säge arbeiten, heißt das auch: so wenig wie möglich, so viel wie nötig. Es heißt, die Pflanze, die wir schneiden, zu achten. Entscheidend ist immer, die Hauptfunktion einer Pflanzung im Auge zu haben. Denn es gibt nicht »die richtige Schnitttechnik«, die zu allen Zeiten und an allen Orten gilt. Es ist eher so, dass wir entscheiden müssen, was an einem bestimmten Ort und zu einer bestimmten Zeit das Wichtigste ist.

Nehmen wir als Beispiel einen Johannisbeerstrauch: Wir können ihn so schneiden, dass er große und möglichst süße Früchte trägt. Er kann aber auch Teil einer frei wachsenden Wildstrauchhecke sein, die wir nicht beernten wollen, wo aber möglichst viele Vögel, Igel und andere Kleintiere ihren Lebensraum finden sollen und die auch noch einen dichten Sichtschutz zum Nachbarn bietet. Im ersten Falle ist eine gute Durchlüftung und Belichtung der Triebe das Ziel unserer Pflegemaßnahmen, Totholz wird als Infektionsherd entfernt. Im zweiten Fall ist das Ziel der Pflege, ein dichtes Gesträuch zu bekommen, das die Funktionen Sichtschutz und Nistplatz optimal erfüllt. Das Totholz in der Hecke und am Boden ist eine zusätzliche Bereicherung des Lebensraumes. Dass die Johannisbeere als Teil einer dichten frei wachsenden Wildstrauchhecke weniger schmackhafte Früchte trägt, ist hier zweitrangig. (Es gibt aber auch einige Obstsorten, die auch bei nur sehr wenig oder gar keiner Pflege und in dichtem Stand noch schmackhafte Früchte tragen. Bezugsquellen sind auf Seite 188 zu finden.)

 

Grundregeln des Pflanzenschnitts im Naturgarten

 Jeder Eingriff in unserem Garten soll das Leben darin fördern.

 Grundlage jedes Eingriffs ist ein bestimmtes Entwicklungsziel, es gibt keine starre Regel. Erst wenn wir uns über die Funktion einer Pflanzung im Klaren sind, können wir die Pflegemaßnahmen sinnvoll durchführen.

 Wir achten die Pflanzen in unserem Garten als Lebewesen und in ihrer Gestalt.

 Wir schneiden so wenig wie möglich.