Kinder- und Jugendbuchverlage

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Z serii: BRAMANNBasics #6
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Die Buchkäufer sind nicht die Leser

Das klassische Dilemma des KJB ist die weitgehende Inkongruenz der Zielgruppe ›Käufer von KJB‹ mit der Zielgruppe ›Leser von KJB‹. Das ist ein großer Unterschied zur allgemeinen Literatur für Erwachsene, aber auch zum Fernsehen oder zum Internet, die sich im Prinzip direkt an ihre Nutzer wenden. Daher unterliegen KJBV stets der Versuchung, eine Literatur für Vermittler statt für die eigentliche Zielgruppe zu sein; und sie unterliegen umgekehrt der Gefahr, ihre Stärken verkennend, ihre Zielgruppe inhaltlich, sprachlich und ästhetisch zu unterfordern.

Statistische Erhebungen über Buchkäufer sind rar, insbesondere bezogen auf KJB. Die gemeinsam vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels und der avj (Arbeitsgemeinschaft von Jugendbuchverlagen) beauftragte Studie Kinder- und Jugendbücher – Marktpotenzial, Käuferstrukturen und Präferenzen unterschiedlicher Lebenswelten wurde zuletzt 2007 von GfK (Gesellschaft für Konsumforschung) und Sinus Sociovision durchgeführt. Basis dafür waren zwei Erhebungen: das repräsentative GfK-Buchmarkt-Panel von 2006, für das 20.000 Personen ab 10 Jahren monatlich zu ihren Buchkäufen befragt wurden; und eine Ad-hoc-Befragung von 1.448 repräsentativ ausgewählten KJB-Käufern ab 10 Jahren. Zwei markante Ergebnisse hat diese Studie ergeben, die nach allem, was man weiß, heute nicht wesentlich anders ausfallen würden:

• 69% der KJB werden von Frauen gekauft.

• Nur bei 7% der KJB sind die Käufer unter 20 Jahre alt.

Dank der neuen gesetzlichen Regelungen zur Elternzeit und aufgrund sich verändernder Lebensprioritäten bei Müttern wie Vätern sind vermutlich heute mehr junge Väter in den Lebensalltag ihrer Kinder und damit auch in alltägliche Verrichtungen wie Bücherkaufen einbezogen. Selbst wenn der eigentliche Kauf von Erwachsenen vollzogen wird – Kinder äußern ja auch Wünsche, die erfüllt werden.

1.6
Das Kinder- und Jugendbuch als zweitgrößte Teilbranche des Buchmarkts

Immer wieder löst man selbst bei buchaffinen Menschen Erstaunen aus, wenn man nicht nur auf die kulturelle Bedeutung, sondern auch auf das ökonomische Gewicht des KJB hinweist. Aufschlussreich ist der Vergleich mit der Belletristik, die traditionell und stabil den größten Anteil am Buchmarkt darstellt.

Sowohl die Belletristik als auch das KJB verzeichnen seit den 1950er Jahren einen kontinuierlichen Anstieg. Bei der Belletristik hat sich etwa seit der Jahrtausendwende ein Volumen oberhalb von 30 % Umsatzanteil stabilisiert. Dagegen gibt es keinerlei Hinweise, die gegen ein weiteres Wachstum des KJB sprechen – übrigens entgegen landläufiger Pauschalmeinungen, wonach ›die Jugend nicht mehr liest‹.

Ebenso beachtlich ist die Tatsache, dass heutzutage etwa doppelt so viele KJB-Novitäten erscheinen wie um die Jahrtausendwende. Die Buchproduktion (also die Anzahl der jährlichen Neuerscheinungen) lässt sich gut als ein Indiz für das Phänomen des erheblichen Gewichts des KJB nehmen.

Während die Literatur für erwachsene Leser ihre Titelproduktion seit 1975 etwas mehr als verdoppelt hat, ist beim KJB eine Vervierfachung festzustellen. Da diese Entwicklung bei den beiden großen Editionsformen Hardcover und Taschenbuch sehr unterschiedlich verlaufen ist, lohnt sich ein Blick auch auf diese Statistiken. Seit das Taschenbuch in den 1950er Jahren seinen Siegeszug begonnen hat, war für viele Romane und Sachbücher der übliche Verwertungsweg: erst Hardcover, dann Taschenbuch. Seit den 1980er Jahren veränderte sich die Situation: Immer mehr gingen die Taschenbuchverlage dazu über, Original- und Deutsche Erstausgaben zu verlegen. Zudem wurden verschiedene weitere Ausstattungsformen erfunden, wie Paperback, Klappenbroschur, Mini-Bücher oder Hardcover-Bücher im kompakten Format.

Quelle: Börsenverein des Deutschen Buchhandels (Hg.), Buch und Buchhandel in Zahlen. Verschiedene Jahrgänge

Für viele Bücher funktionierte es fast wie automatisiert, dass auf die Originalausgabe das Taschenbuch als Zweiterscheinungsform folgte – auch im KJB. Das Taschenbuch wurde oft als die lebendige Backlist betrachtet, um etwa das Gesamtwerk eines Autors lieferbar zu halten. Seit Anfang der 2000er Jahre spielt das Taschenbuch im KJB allerdings längst nicht mehr diese starke Rolle.

Das liegt zum einen daran, dass die Herstellungskosten für einfache Hardcover-Bücher sich nicht mehr so dramatisch von denen für gut ausgestattete Taschenbücher unterscheiden. Die Ladenpreise konnten sich also einander annähern, da die gebundenen Bücher in der Beschaffung günstiger und die Taschenbücher (auch durch deutlich gesunkene Auflagen) teurer wurden. Zum anderen möchten Buchkäufer insbesondere Kindern haltbare und wertvoll wirkende Bücher zukommen lassen. Und im Jugendbuch ist es oft so, dass eine Neuheit unbedingt gelesen werden will, sobald sie erschienen ist; man will nicht ein, zwei Jahre auf das Erscheinen des Taschenbuchs warten.

Eine dauerhafte Sonderentwicklung erlebt das Taschenbuch beim Einsatz in der Schule. Bedingt durch oft gezielt niedrig gehaltene Preise, eignen sich Taschenbücher auch als Klassenlektüre. Oft wird dies durch aufbereitete Unterrichtsmaterialien unterstützt, die von Lehrern gratis von den Websites der Taschenbuchverlage heruntergeladen werden können. So halten sich bestimmte Titel seit Jahrzehnten als Bestseller, die nicht auf diesen Listen erscheinen, z. B. Damals war es Friedrich von Hans Peter Richter (dtv-junior, ein Roman über die NS-Zeit) oder Vorstadtkrokodile von Max von der Grün (cbt, eines der ersten Kinderbücher, das im Rahmen einer Abenteuergeschichte von der Inklusion eines behinderten Kindes erzählt).


Quelle: Börsenverein des Deutschen Buchhandels (Hg.), Buch und Buchhandel in Zahlen. Zahlen gerundet

Das Verhältnis von Hardcover- zu Taschenbüchern hat sich in der Belletristik anders entwickelt als im KJB. Wenn heute auf 100 gebundene Kinder- und Jugendbücher etwa 8 Taschenbücher kommen, ist die Relation bei den Büchern für Erwachsene etwa dreieinhalbmal so groß: auf 100 Romane in gebundener Form kommen 29 Taschenbücher.

Auch wenn zum Vergleich mit den anderen Teilbranchen des Buchmarkts eine Aggregation zum Segment KJB sinnvoll ist, ist jedoch auch der Blick in die innere Struktur des KJB-Segments notwendig. Denn hier offenbaren sich sehr unterschiedliche Entwicklungen in den einzelnen #Warengruppen.


Quelle: GfK Deutschland/Sortimentsbuchhandel/E-Commerce/WH/Umsatz Warengruppe Kinder- und Jugendbücher (HC/TB/Hörbuch). Zitiert nach Buch und Buchhandel in Zahlen 2020

Die Tabelle zeigt einen erheblichen Anstieg des Bereichs der stark illustrierten Kinderbücher – am deutlichsten bei den Bilderbüchern, die von manchem am Anfang der 2000er Jahre bereits totgesagt wurden. Der klassische Kernbereich Kinderbücher hat seinen Anteil im Großen und Ganzen gehalten – mit leicht verbesserter Tendenz. Das Jugendbuch dagegen verzeichnet einen dramatischen Rückgang auf die Hälfte seines früheren Volumens. Dies erklärt sich wohl zu einem erheblichen Teil damit, dass der Boom von All-Age-Titeln wie die Bis(s)-Serie und einige Nachfolge-Reihen zu Harry Potter nachgelassen hat. Der Sachbuch-Bereich, auch zum Beginn der Digitalisierungs-Euphorie von manchen Trend-Gurus eher abgeschrieben, hat sich behauptet und im sogenannten ›Nachmittagsmarkt‹ sogar verdoppelt. Nachdem dank der PISA-Studien einige verdeckte Mängel in der Wirkung des deutschen Schulsystems offenbart wurden, haben viele Eltern selbst die Initiative ergriffen und ihren Kindern eher spielerische, motivierende und den Schulstoff ergänzende Materialien beschafft, mit denen sie sich ›nachmittags‹ beschäftigen können, also außerhalb der Schule, aber doch für die Schule.

Das Gewicht und die Bedeutung des Kinder- und Jugendbuchs im Buchmarkt

Das gesamte Umsatzvolumen des deutschen Buchmarkts hat sich seit vielen Jahren auf einem Niveau von ca. 9,2 Mrd. € eingependelt. Anders ausgedrückt: Es gibt kein Wachstum. Umso bedeutsamer sind zwei Entwicklungen:

1.Der sinkende Anteil des #Sortimentsbuchhandels und entsprechend der steigende Anteil des #Internet-Buchhandels, der die früher starken Vertriebswege Versandbuchhandel, Warenhäuser und Buchclubs mehr als ersetzt hat. Erstmals 2011 wurde die magische Grenze von 50 % Umsatzanteil des stationären Sortimentsbuchhandels unterschritten.

2.Im Rahmen dieses Trends ist das KJB ein stabiler Faktor. Ungeachtet sinkender Kinderzahlen und eines massiv gestiegenen Angebots an alternativ nutzbaren Medien behauptet das KJB seinen Anteil, es steigert ihn sogar leicht.

Der Bereich KJB ist allein schon in Anbetracht der Umsatzbedeutung für Buchhandel und Verlage erheblich. Die rund 17 % Umsatzanteil sind ein Durchschnittswert, der bei verschiedenen Buchhandels-Typen abweichend ausfallen kann. So wird eine Universitätsbuchhandlung einen geringeren KJB-Anteil ausweisen, mancher Stadtteil-Buchladen aber einen weitaus höheren. Vielerorts gibt es sogar spezialisierte Buchhandlungen, die ausschließlich KJB führen. Umgekehrt hat manche frühere Nur-Kinderbuchhandlung entdeckt, dass dieselben Mütter, die Bücher für ihre Kinder kaufen, auch selbst interessierte Leserinnen sind und bieten infolgedessen ein umfangreicheres Sortiment an. Aus verschiedenen Erhebungen weiß man, dass etwa zwei Drittel aller Buchkäufe von Frauen getätigt werden; beim KJB dürfte dieser Anteil noch höher liegen.

 

Quelle: Börsenverein des Deutschen Buchhandels (Hg), Buch und Buchhandel in Zahlen. Verschiedene Jahrgänge.

Die kindlichen und die jugendlichen Bücherleser von heute sind die potenziellen Bücherleser von morgen – schon deshalb ist das KJB für die gesamte Buchbranche (über)lebenswichtig. Viele Studien haben gezeigt: Wer als Kind nicht viel und gern gelesen hat, wird als Jugendlicher eher selten zum Buch greifen, und als Erwachsener wird er es mit einer relativ hohen Wahrscheinlichkeit auch nicht tun. Diese These bezieht sich auf die Lektüre von Literatur, nicht von Fach- und Sachbüchern, die im Rahmen von Schule, Ausbildung und Fortbildung oder zum Wissenserwerb oder als Ratgeber eine Rolle spielen.

2
Typen von Kinder- und Jugendbuchverlagen und ihre Marktbedeutung

In Artikel 5 des Grundgesetzes heißt es: »Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten«. Im Rahmen der Gesetze kann also jeder, der schreiben will, das auch tun: was, wie, für wen, in welchem Umfang, in welcher Ausstattung auch immer.

Nirgendwo ist geregelt, wer Bücher für Kinder und Jugendliche schreiben und verlegen darf. Weil die Leser von KJB so besonders sind, sind es auch die Autoren, Illustratoren und Verlage, die für sie tätig sind. Sie erschaffen Bücher, die Kinder bzw. Jugendliche ansprechen.

Wenn man sich an einen Verlag wendet und mit ihm handelseinig wird, gilt § 1 des Gesetzes über das Verlagsrecht: »Durch den Verlagsvertrag über ein Werk der Literatur […] wird der Verfasser verpflichtet, dem Verleger das Werk zur Vervielfältigung und Verbreitung für eigene Rechnung zu überlassen. Der Verleger ist verpflichtet, das Werk zu vervielfältigen und zu verbreiten.«

Es hat sich bewährt, das Schreiben, Gestalten, Produzieren und Verbreiten von Büchern in Zusammenarbeit mit professionellen Verlagen abzuwickeln. Aber niemand ist zu dieser Art von Veröffentlichung verpflichtet, und die durch die Digitalisierung geschaffenen neuen Publikationswege wie das Self-Publishing eröffnen Möglichkeiten, auch ohne einen Verlag sein Buch herauszubringen (siehe Kap. 2.4).

Verlage, die Belletristik, Sachbücher oder KJB für eine allgemeine Leserschaft herausbringen, fasst man unter dem Begriff ›Publikumsverlage‹ zusammen – im Gegensatz zu Verlagen, deren Zielgruppen sich mit Wissenschaft, Fachwissen oder Ausbildung und Schule befassen. Kinder im Vorschulalter, Schulkinder und Heranwachsende sind ein besonderer Teil dieses Publikums. Je jünger sie sind, desto mehr werden sie durch Erwachsene vertreten, meistens die Eltern.

Die Kleinen können noch nicht lesen, sie sind also auf Bilder und Vorlesen angewiesen. Wenn sie das Lesen lernen, können und wollen sie nicht auf Anhieb umfangreiche Bücher, kleine Schriftgrößen, komplizierte Sprache, anspruchsvolle oder heikle Themen lesen. Daher gibt es für Leseanfänger besondere, auf ihre Fähigkeiten und Bedürfnisse zugeschnittene Bücher. Es schließen sich dann die Bücher für die viellesenden Kinder an, später Jugendbücher und Bücher für junge Erwachsene.

KJBV gibt es in verschiedenen Formen: Zunächst Verlage, die auf das KJB spezialisiert sind; dann Verlage, die eine Abteilung haben, die sich um das KJB kümmert; schließlich Verlage oder Imprints, die innerhalb von großen Verlagsgruppen für das KJB zuständig sind.

Dabei ist es wichtig, die Sammelbezeichnung für diesen Verlagstyp nicht auf die Bücher selbst anzuwenden. Denn es gibt kaum ein einzelnes Buch, das man zutreffenderweise als ›Kinder- und Jugendbuch‹ bezeichnen sollte. Wohl aber gibt es, je nach dem Adressatenkreis, ein ›Kinderbuch‹ oder ein ›Jugendbuch‹. Nun mag man Bücher vorfinden, die sich einer solchen Adressierung entziehen. Und manche Leser ignorieren derartige Zuwidmungen. Seit einigen Jahren spricht man zudem von ›All-Age-Büchern‹, also Titeln, die für Leser jeden Alters interessant sind.

Am Bildhaftesten kann man sich dieses Szenario veranschaulichen, wenn man eine gut sortierte KJB-Abteilung einer Buchhandlung betritt. Als pragmatische Begriffe haben sich diese Kategorien bewährt:

• Bilderbuch (Kleinkind, Kindergarten- und Vorschulkind)

• Kinderbuch (Grundschulkind, Anfang der Sekundarstufe, vor der Pubertät)

• Jugendbuch (meistens ab 12 Jahren; manchmal ergänzt um Junge Erwachsene, auch Young Adults genannt)


Der Aufbau vieler Verlagsprogramme folgt dieser Dreiteilung. Manche Verlage sind in allen Teilbereichen aktiv, andere spezialisieren sich auf Kategorien wie Bilderbuch oder Sachbuch.

Es kann auch vorkommen, dass ein Publikumsverlag ein einzelnes Kinderbuch herausbringt. In der Regel aber erscheinen KJB in den auf den Bereich spezialisierten KJBV. Die meisten dieser Verlage sind Mitglieder der avj (Arbeitsgemeinschaft von Jugendbuchverlagen e.V.) – ein 1950 gegründeter freiwilliger Zusammenschluss, um die gemeinsamen Interessen gegenüber der Öffentlichkeit, der Politik und auch innerhalb der Verlagslandschaft zu organisieren und zu vertreten. In ihren jährlichen Mitgliederversammlungen tauschen die inzwischen über 100 Verlage ihre Erfahrungen aus.


»Die Mitgliedschaft in der avj können Verlage erwerben, die regelmäßig Bücher und/oder Medien für Kinder und Jugendliche in deutscher Sprache herausbringen und, sofern sie ihren Sitz in Deutschland haben, Mitglied des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels e.V. sind.« heißt es auf der Website. Die Geschäftsstelle hat ihren Sitz im Gebäude des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels in Frankfurt/Main; die avj ist aber eine selbstständige Organisation mit einem gewählten Vorstand und einer hauptamtlichen Geschäftsführung, die eigene Mitgliedsbeiträge erhebt und dementsprechend ein eigenes Budget zur Verfügung hat. Verlage aus anderen deutschsprachigen Ländern, also Österreich und der Schweiz, können ebenfalls Mitglieder sein. Das Junktim einer Mitgliedschaft im Börsenverein des Deutschen Buchhandels für die in Deutschland ansässigen Mitgliedsverlage hat man eingeführt, um neben der Komponente Eigenverantwortung auch den Schulterschluss mit der zentralen Branchenorganisation zu gewährleisten. Denn es gibt viele gemeinsame Interessen, die sich etwa auf das Urheberrecht, Verlegerbeteiligung an der VG Wort, Preisbindung, Leseförderung und Branchenpolitik beziehen.

So wie das KJB absolut gewachsen ist und sich differenziert entwickelt hat, kann man das auch bei seinen Verlagen feststellen. Heute gibt es – trotz einiger Verlagsschließungen und Fusionen – um die Hälfte mehr KJBV als um die Jahrtausendwende. Es werden neue Verlage gegründet, manche eher klein, von wagemutigen #selbstständigen Unternehmern, andere werden von großen internationalen Verlagskonglomeraten inszeniert.

Klett Kinderbuch mit Sitz in Leipzig z.B. wurde 2008 unter dem Dach des großen Schulbuch-#Konzerns Klett gegründet; als der Bereich Kinderbuch nicht mehr zum strategischen Interesse des Konzerns zählte, konnte die Verlegerin Monika Osberghaus 2015 den Verlag selbst übernehmen. Entstanden ist ein Verlagsprogramm, dem es gelingt, zugleich anspruchsvoll, kindernah und wirtschaftlich erfolgreich zu arbeiten. Ein Baustein für eine solche Entwicklung ist sicher die Erkenntnis, dass man nicht alles selbst machen muss. So liegt der Vertrieb für Klett Kinderbuch in den Händen des dtv, der mit seiner Kinderbuch-Kooperation Dienstleister auch für weitere Kinderbuchverlage ist.

Ein anderes Mitglied dieser Kooperation ist seit 2012 der Usborne Verlag, die deutsche Tochter eines der größten Kinderbuchverlage der Welt. 2015 gründete HarperCollins, der zweitgrößte Publikumsverlag der Welt, mit HarperCollins Germany einen deutschen Verlag und fügte gleich eine Kinderbuch-Neugründung dazu: Dragonfly. Diese Gruppe erwarb Mitte 2020 SchneiderBuch von dem dänischen Medienkonzern Egmont, um den einstmals beliebtesten Lesefutter-Verlag (unvergessen: Hanni und Nanni von Enid Blyton) wieder zu neuen Erfolgen zu führen (siehe Kap. 3.1).

2.1
Zahl und Struktur der Kinder- und Jugendbuchverlage

Kein KJBV ist verpflichtet, der avj beizutreten, aber es gibt kaum einen Verlag von Bedeutung, der dort nicht Mitglied ist. Deshalb gibt die folgende Tabelle, in der nur avj-Mitglieder erfasst sind, einen weitgehend zuverlässigen Überblick.


Quelle: avj - Kinder- und Jugendbuchverlage von A-Z/bis 1983 nur BRD+A+CH. Ab 2016 www.avj-online.de

Ein herausragendes Beispiel für Konzernbildung liefert Bertelsmann. Was 1835 mit dem Carl Bertelsmann Verlag in Gütersloh begann, wurde ein milliardenschwerer Weltkonzern. Nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte Reinhard Mohn das Geschäftsmodell Buchclub; Millionen wurden Mitglieder, und es wurde die ganze Familie mit Lesestoff versorgt. Für den Schritt vom Buchverkäufer zum Buchverleger war 1972 die Verlagerung der Buchverlags-Zentrale von Gütersloh nach München entscheidend. Mit der Akquisition des Goldmann Verlags 1977 wurde die Grundlage dafür gelegt, im deutschen Sprachraum eine führende Rolle zu spielen. Mit dem Kauf des US-Verlags Doubleday begann 1986 der Sprung in den englischen Sprachraum, 1998 kam Random House dazu – seinerzeit ein Schock für die englischsprachige Verlagswelt – und 2001 wurde New York zum Hauptquartier der inzwischen weltweit größten Verlagsgruppe im Publikumsbereich. Mittlerweile gehören die Verlagsgruppen Penguin und Simon & Schuster ebenfalls dazu. Außerdem betreibt der Konzern Fernsehsender, Zeitschriften, Druckereien, Logistik, Musikrechte und beginnt sich im Bildungssektor zu engagieren.

Es gibt weitere weltweit operierende Verlagskonzerne (HarperCollins, Hachette Group, Bonnier, Holtzbrinck), die größten sind allerdings einige wissenschaftliche Verlage wie RELX Reed Elsevier oder Springer Nature & Business. Und solche Konzerne verstehen es, verschiedene, durchaus dezentral geführte Verlage unter einem unternehmerischen Dach zu vereinen. So gehören zur deutschen Penguin Random House Verlagsgruppe mittlerweile 47 Verlage, darunter der Kinder- und Jugendbuchverlag, der heute cbj heißt (nach C. Bertelsmann Jugendbuchverlag); dieser Name verweist auf die Wurzel des Unternehmens.

Die klassische #Verleger-Figur war ein geistig und kulturell interessierter, selbstständiger Unternehmer: Franz Schneider (Franz Schneider Verlag), Samuel Fischer (S. Fischer), Peter Suhrkamp, später Siegfried Unseld (Suhrkamp), Georg Popp (Arena). Heute dominieren angestellte Manager die Führungspositionen, in zunehmendem Maß Frauen. Es sind auch Frauen gewesen, die einige der wichtigsten deutschen KJBV nach dem Zweiten Weltkrieg aufgebaut haben: Heidi Oetinger (Oetinger), Lieselotte Weitbrecht (Thienemann), Maria Friedrich (dtv-junior), Gertraud Middelhauve oder Christa Spangenberg (Ellermann).

Auch wenn die Übergänge zwischen Selbstständigkeit und #Mittelstand einerseits sowie zwischen Mittelstand und Konzern fließend sind, lässt sich eine gewaltige Verschiebung feststellen. War noch vor rund 50 Jahren das selbstständige Einzelunternehmen zu drei Vierteln die vorherrschende Rechtsform bei den KJBV, stellen diese nur noch knapp ein Drittel. Vor 50 Jahren spielten Konzerne fast keine Rolle, heute gehört etwa jeder dritte KJBV einem Konzern. Die mittelständischen Verlage haben sich recht gut gehalten.

 

Es lässt sich konstatieren, dass es unter den deutschen KJBV ein vielfältiges Nebeneinander der unterschiedlichsten Verlagsformen gibt. Es ist keineswegs so, dass immer nur ›Große‹ die ›Kleinen‹ fressen und die Erfolge absahnen; viele kleinere und mittelgroße Verlage können sich in Renommee und wirtschaftlichem Erfolg durchaus mit den großen Verlagshäusern messen. Eine entscheidendere Frage für das erfolgreiche Arbeiten eines Verlags als die schiere Größe könnte daher die Bedeutung haben, die das Verlegen von KJB für den Verlag hat.