Theologie des Neuen Testaments

Tekst
0
Recenzje
Przeczytaj fragment
Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

83 Vgl. zu ἐγείρειν 1Thess 1,10; 2Kor 4,14; Röm 4,24b; 6,4; 7,4; 8,11b.

84 Vgl. F. BLASS/A.DEBRUNNER/F.REHKOPF, Grammatik des neutestamentlichen Griechisch, Göttingen 141975, § 342.

85 Alle Möglichkeiten erörtern CHR.WOLFF, 1Kor, 364–367; M.KARRER, Jesus Christus (s.o. 4), 42f.

86 Vgl. dazu K.WENGST, Christologische Formeln und Lieder (s.o. 4), 78–86.

87 Vgl. hier W.POPKES, Christus traditus (s.o. 4), 131ff.

88 Zur Analyse vgl. E.SCHWEIZER, Röm 1,3f und der Gegensatz von Fleisch und Geist bei Paulus, in: ders., Neotestamentica, Zürich 1963, 180–189.

89 Vgl. die Analyse bei C.BUSSMANN, Themen der paulinischen Missionspredigt auf dem Hintergrund der spätjüdisch-hellenistischen Missionsliteratur, EHS.T 3, Bern/Frankfurt 1971, 38–56.

90 Vgl. als pagane Hymnen z.B. die Sammlung ‚Homerische Hymnen‘; hg. v. A.Weiher, München 51986, wo Hymnen auf griechische Götter in verschiedener Länge zusammengefasst sind.

91 Vgl. E.LOHMEYER, Kyrios Jesus, SAH 4, Heidelberg 1928; zur neueren Forschungsgeschichte vgl. J.HABERMANN, Präexistenzaussagen im Neuen Testament (s.u. 12.2.1), 91–157. Für eine paulinische Verfasserschaft von Phil 2,6–11 plädiert R.BRUCKER, ‚Christushymnus‘ oder ‚epideiktische Passagen‘?, 304.319.

92 Vgl. J.JEREMIAS, Zur Gedankenführung in den paulinischen Briefen (4. Der Christushymnus Phil 2,6–11), in: ders., Abba, Göttingen 1966, 274–276; DERS., Zu Philipper 2,7: ἑαυτὸν ἐϰένωσεν, a.a.O., 308–313.

93 K.BERGER, Formgeschichte des Neuen Testaments, Heidelberg 1984, 345.

94 R.BRUCKER, ‚Christushymnus‘ oder ‚epideiktische Passagen‘?, 319f.330f.

95 N.WALTER, Der Philipperbrief, NTD 8/2, Göttingen 1998, 56–62.

96 Vgl. dazu S.VOLLENWEIDER, Der ‚Raub‘ der Gottgleichheit: Ein religionsgeschichtlicher Vorschlag zu Phil 2,6(-11), in: DERS., Horizonte neutestamentlicher Christologie, WUNT 144, Tübingen 2002, 263–284; DERS., Die Metamorphose des Gottessohnes, a.a.O., 285–306.

97 Zur paulinischen Interpretation des Hymnus Phil 2,6–11 s.u. 6.2.1.

98 Vgl. G.BORNKAMM, Zum Verständnis des Christus-Hymnus Phil 2,6–11, in: ders., Studien zu Antike und Urchristentum, BEvTh 28, München 1970, (177–187) 183.

99 Vgl. hierzu den Nachweis bei E.LOHSE, Die Briefe an die Kolosser und an Philemon, KEK IX/2, Göttingen 21977, 85–103.

100 Zum Nachweis des vorpaulinischen Charakters und zur Bestimmung der zahlreichen religionsgeschichtlichen Bezüge vgl. W.SCHRAGE, Der erste Brief an die Korinther, EKK VII/2, Neukirchen 1995, 216–225; ferner D.ZELLER, Der eine Gott und der eine Herr Jesus Christus, in: Th. Söding (Hg.), Der lebendige Gott (FS W.Thüsing), NTA 31, Münster 1996, 34–49.

101 Treffend W.THÜSING, Die neutestamentlichen Theologien und Jesus Christus III, 371: „Trotz der unvorstellbar engen Einheit mit sich selbst, in die Gott den gekreuzigten Jesus durch seine Auferweckungstat hineingestellt hat, bleiben die spezifischen Relationen erhalten; mehr noch: Erst durch diese Relationen wird die Einheit grundlegend strukturiert und dadurch wiederum konstituiert. Nur ein Mittler, der in Einheit mit Gott lebt, kann ‚Mittler zur Gottunmittelbarkeit‘ sein.“

102 Einen kritischen Forschungsüberblick mit umfassender Literaturverarbeitung bietet F.NEIRYNCK, Paul and the Sayings of Jesus, in: ders., Evangelica II, BETL 99, Leuven 1991, 511–568.

103 Vgl. zur Analyse U.SCHNELLE, Gerechtigkeit und Christusgegenwart, GTA 24, Göttingen 21986, 33–88.175–215.

104 Vgl. hierzu G.STRECKER, Literaturgeschichte des Neuen Testaments (s.o. 4), 95–111; W.POPKES, Paränese und Neues Testament, SBS 168, Stuttgart 1996.

5.Die zweite Transformation: Frühe beschneidungsfreie Mission

M.HENGEL, Zur urchristlichen Geschichtsschreibung, Stuttgart 1973; W.SCHNEEMELCHER, Das Urchristentum, Stuttgart 1981; K.M. FISCHER, Das Urchristentum, KGE I/1, Berlin 1985; J.BECKER (Hg.), Die Anfänge des Christentums. Alte Welt und neue Hoffnung, Stuttgart 1987; DERS., Das Urchristentum als gegliederte Epoche, SBS 155, Stuttgart 1993; U.LUZ, Unterwegs zur Einheit: Gemeinschaft der Kirche im neuen Testament, in: Chr.Link/U.Luz/L.Vischer, Sie aber hielten fest an der Gemeinschaft …, Zürich 1988, 43–183; L.SCHENKE, Die Urgemeinde. Geschichtliche und theologische Entwicklung, Stuttgart 1990; F.VOUGA, Geschichte des frühen Christentums, UTB 1733, Tübingen 1994; R.RIESNER, Die Frühzeit des Apostels Paulus, WUNT 71, Tübingen 1994; E.STEGEMANN/W.STEGEMANN, Urchristliche Sozialgeschichte. Die Anfänge im Judentum und die Christusgemeinden in der mediterranen Welt, Stuttgart 1995; M.HENGEL/A.M. SCHWEMER, Paulus zwischen Damaskus und Antiochien, WUNT 108, Tübingen 1998; M.HENGEL/C.K. BARRETT, Conflicts and Challenges in Early Christianity, Harrisburg PA 1999; W.KRAUS, Zwischen Jerusalem und Antiochia, SBS 179, Stuttgart 1999; P.BARNETT, Jesus and the Rise of Early Christianity, Downers Grove Il 1999; G.LÜDEMANN, Das Urchristentum, ThR 65 (2000), 121–179.285–349; D.ZELLER, Die Entstehung des Christentums, in: ders., (Hg.), Christentum I, Stuttgart 2002, 15–222; E.J. SCHNABEL, Urchristliche Mission, Gießen 2002; A.J.M. WEDDERBURN, A History of the First Christians, London/New York 2004; D.-A. KOCH, Geschichte des Urchristentums, Göttingen 22014; U. SCHNELLE, Die ersten 100 Jahre des Christentums, Göttingen 22016.

Das Evangelium vom gekreuzigten und auferstandenen Jesus Christus wurde zunächst in und um Jerusalem herum verkündigt und war eine Variante jüdischer Identität neben anderen. Dies änderte sich mit Konflikten in der Urgemeinde, die zu einer eigenständigen Mission führender griechischsprachiger Angehöriger der Urgemeinde außerhalb von Jerusalem führte.

5.1Die Hellenisten

Lukas schildert die Anfangszeit der Urgemeinde als Epoche der Einheit im Gebet, in der Eucharistie, in der Lehre, im Leben und im Handeln (vgl. nur Apg 2,34.44). Auch die Darstellungen der sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse innerhalb der Urgemeinde stehen unter dem Motiv der Einheit, wie die Summarien Apg 2,42–46; 4,32–35 nachdrücklich zeigen1. Das anfängliche Bild der Einheit erhält in Apg 6,1–6 Risse2, wo Lukas völlig unvermittelt zwei Leitungsgremien erwähnt: den Zwölfer- und Siebenerkreis. Beim Zwölferkreis handelt es sich wahrscheinlich um eine von Jesus selbst eingesetzte Gruppe, die symbolisch die Gesamtheit der Zwölf Stämme Israels repräsentiert (s.o. 3.8.3). Auch der Siebenerkreis war im frühen Christentum ein fester Begriff, da Philippus in Apg 21,8 „einer von den Sieben“ genannt wird3. Die Bildung des Siebenerkreises verbindet Lukas mit einem Konflikt innerhalb der Jerusalemer Gemeinde: Die Witwen der Hellenisten fühlten sich beim innergemeindlichen Bedarfsausgleich übersehen bzw. benachteiligt, was zu einem Konflikt zwischen den ‚Hellenisten‘ und ‚Hebräern‘ führte. Die Begriffe Ἑβραῖοι („Hebräer“) und Ἑλληνισταί („Hellenisten/Griechen“) weisen darauf hin, dass der Konflikt vor allem sprachliche und kulturelle Ursachen hatte. Die Ἑβραῖοι sind aramäisch sprechende, die Ἑλληνισταί hingegen aus der Diaspora stammende griechisch sprechende jüdische Jesusanhänger4. Wahrscheinlich führten die sprachlichen Unterschiede zur Ausbildung jeweils eigenständiger Gottesdienste und die liturgisch-kultische Trennung zog dann auch eine Trennung in der Diakonie nach sich, wie sie Apg 6,1ff schildert. Auffallend ist, dass der Siebenerkreis ausschließlich aus Männern mit griechischen Namen besteht, seine diakonische Aufgabe überhaupt nicht ausübt und Stephanus als herausragende Gestalt dieser Gruppe alles andere als ein Versorgungsorganisator ist. Er wird in Apg 6,8–15 als Pneumatiker und Charismatiker, vornehmlich aber als Exponent einer gesetzes- und tempelkritischen Richtung innerhalb der Urgemeinde dargestellt (vgl. Apg 6,13f). Wahrscheinlich wurde die erfolgreiche Missionstätigkeit des Stephanus innerhalb der hellenistischen Synagogen Jerusalems und vor allem seine Kritik am bestehenden Tempelkult als Provokation empfunden, die in einem Akt der Lynchjustiz mit der Steinigung des Stephanus endete (vgl. Apg 7,54–60)5. Bei dem Konflikt zwischen Hebräern und Hellenisten spielten offensichtlich auch unterschiedliche theologische Konzepte eine Rolle, die sich wiederum aus der Herkunft beider Gruppen erklären. Die griechischsprachigen Diasporajuden fühlten sich dem Tempel und einer strengen Toraauslegung nicht so verpflichtet wie die aramäisch sprechenden Mitglieder der Urgemeinde. Dies könnte erklären, warum nach der Steinigung des Stephanus nur die hellenistischen jüdischen Jesusanhänger, nicht aber die Apostel verfolgt wurden (vgl. Apg 8,1–3). Man wird vermuten dürfen, dass die Hellenisten besonders in Samaria sowie in den hellenisierten Städten Galiläas, des syrisch-palästinischen Grenzlandes und der Küste missionierten (vgl. Apg 8,4–40). Auch nach Damaskus kamen die Hellenisten, wo der bekehrte Paulus in eine Gemeinde aufgenommen wurde (vgl. Apg 9,10ff). Wahrscheinlich wirkten die Hellenisten auch in Alexandria, denn der alexandrinische Missionar Apollos trat zu Beginn der 50er Jahre in Korinth auf (vgl. 1Kor 3,4ff; Apg 18,24–28); möglicherweise wurde sogar die Gemeinde in Rom von Hellenisten gegründet.

Die Hellenisten entwickelten theologische und christologische Ansätze und Vorstellungen, die das sich formierende Christentum für eine Mission auch unter Menschen griechisch-römischer Religiosität öffneten. Sie waren wahrscheinlich die ersten, die spontane Gaben des Heiligen Geistes auch an Nichtjuden (vgl. Apg 2,9–11; 8,17.39; 10) theologisch bedachten. Schon früh wurden Jesusüberlieferungen von ihnen ins Griechische übertragen und damit die Jesusbotschaft für die griechischsprachige Welt geöffnet. Dabei konnten sie an universalistische Tendenzen und die Infrastruktur des hellenistischen Judentums anknüpfen, aber auch an Jesustraditionen, die eine Offenheit gegenüber Nichtjuden dokumentieren. Innerhalb des antiken Judentums gab es um die Zeitenwende in einem beachtlichen Umfang die Vorstellung einer endzeitlichen Hinwendung der Völker zu Jahwe (vgl. z.B.TLev 18,9; TJud 24,5–6; 25,3–5; TBen 9,2; 10,6–11; TAss 7,2–3; TNaph 8,3–4; 1Hen 90,33–38; Sir 44,19–23; PsSal 17,31; syrBar 68,1–8; 70,7–8; 4Esra 13,33–50; Jub 22,20–22)6. Zwar ist eine organisierte Heidenmission durch jüdische Gruppen nicht nachzuweisen, aber speziell im Diasporajudentum wurden die universalen Dimensionen des Jahweglaubens stark betont und es bestand eine Offenheit gegenüber nichtjüdischer Kultur. Die Überlieferung lässt noch deutlich erkennen, dass Jesus der Begegnung mit Nichtjuden nicht auswich (vgl. Mk 7,24–30; 7,31–34; Mt 8,5–10.13) und die heilsgeschichtliche Priorität Israels in einigen Logien infrage stellte (vgl. Q 13,29.28; 14,23).

 

5.2Antiochia

Wohin sich die Hellenisten auf ihrer Flucht noch wandten, beschreibt Apg 11,19f: „Bei der Verfolgung, die wegen Stephanus entstanden war, kamen die Verfolgten bis nach Phönizien, Zypern und Antiochia; dort verkündigten sie das Wort nur den Juden. Einige aber von ihnen, die aus Zypern und Kyrene stammten, verkündigten, als sie nach Antiochia kamen, auch den Griechen das Evangelium von Jesus, dem Herrn.“ Das syrische Antiochia am Orontes war die drittgrößte Stadt des Imperium Romanum und bot für die frühe urchristliche Mission beste Voraussetzungen, denn hier sympathisierten zahlreiche Griechen mit der jüdischen Religion7. Aus Antiochia stammte auch der zum Stephanuskreis gehörende Proselyt Nikolas (Apg 6,5), und in Antiochia ging man offentsichtlich dazu über, auch unter der griechischen Bevölkerung planmäßig und mit großem Erfolg das Evangelium zu verkünden8. Nach der Darstellung der Apostelgeschichte gehörten Barnabas und Paulus nicht von Anfang an der antiochenischen Gemeinde an, sondern sie traten erst nach dem Beginn der beschneidungsfreien Mission dort in die Arbeit ein (vgl. Apg 11,22.25). Offenbar kam Paulus erst in Antiochia mit den Jerusalemer Hellenisten in Kontakt9. Die Mission der antiochenischen Gemeinde unter Juden und vor allem Menschen aus griechisch-römischer Tradition muss sehr erfolgreich gewesen sein, denn nach Apg 11,26 kam in Antiochia als Fremdbezeichnung der Begriff Χριστιανοί („Christianer“) für die Anhänger der neuen Lehre auf. Die Christen wurden somit Anfang der 40er Jahre erstmals als eigene Gruppe neben Juden und Heiden wahrgenommen. Sie galten nun zunehmend aus heidnischer Perspektive als eine nichtjüdische Bewegung und müssen ein erkennbares theologisches Profil und eine organisatorische Eigenstruktur gewonnen haben10.

Die Bedeutung von Antiochia

Die herausgehobene Stellung von Antiochia in der urchristlichen Theologiegeschichte war immer der Anlass für weitreichende historische und theologische Schlussfolgerungen. Für die Religionsgeschichtliche Schule bildete Antiochia nicht nur das fehlende Glied zwischen der Urgemeinde und Paulus, diese Stadt war zugleich der Geburtsort des Christentums als einer synkretistischen Religion. Hier vollzog sich die für die Geschichte des frühen Christentums so einschneidende Entwicklung, „durch die aus dem zukünftigen Messias Jesus der als Kyrios seiner Gemeinde gegenwärtige Kultheros wurde.“11 Auch in der aktuellen Forschung gilt Antiochia teilweise als Mutterboden frühchristlicher, speziell paulinischer Theologie. Danach wurde Paulus hier nicht nur grundlegend in den christlichen Glauben eingeführt, sondern alle zentralen Anschauungen seiner Theologie entstanden bereits in Antiochia. „Was Paulus später an alter Tradition benutzt, entstammt im wesentlichen dem antiochenischen Gemeindewissen.“12 An den Texten verifizieren lassen sich diese weitreichenden historischen und theologischen Schlussfolgerungen nicht13: 1) Nach Apg 11,26 arbeiteten Barnabas und Paulus lediglich ein Jahr in Antiochia selbst zusammen14, und sie werden von Lukas als Lehrer der antiochenischen Gemeinde dargestellt. Lukas minimiert den direkten Aufenthalt des Paulus in Antiochia, der in seiner Länge im Vergleich mit den Gründungsaufenthalten des Apostels in Korinth (Apg 18,4: 1 1/2 Jahre) und Ephesus (Apg 19,10: über 2 Jahre) als normal angesehen werden muss. Zwar kehrte Paulus am Ende der ersten Missionsreise nach Antiochia zurück (vgl. Apg 14,28), doch dies ist im Vergleich mit den Reisestationen der späteren Missionsreisen ein üblicher Vorgang. 2) Paulus erwähnt Antiochia nur in Gal 2,11, während die Zeit zwischen dem 1. und 2. Jerusalembesuch und damit auch die Epoche der Anbindung an Antiochia von ihm faktisch verschwiegen wird.

Die besondere Stellung der antiochenischen Gemeinde in der urchristlichen Theologiegeschichte und auch ihr Einfluss auf Paulus stehen dennoch außer Zweifel; Antiochia war ein Zentrum frühchristlicher Mission und eine bedeutsame Station für Paulus. Hier erfolgte der Übergang zu einer programmatischen beschneidungsfreien Mission unter Menschen griechisch-römischer Religiosität. Zugleich ist aber davor zu warnen, alle wesentlichen frühchristlichen Traditionen in Antiochia zu verorten und die dortige Gemeinde „zum ‚Sammelbecken‘ für das Nichtwissen urchristlicher Zusammenhänge werden zu lassen.“15

5.3Die Stellung des Paulus

Nach seiner Berufung zum Apostel beriet sich Paulus gemäß seiner Eigenaussage weder mit anderen Menschen, noch zog er hinauf nach Jerusalem zu denen, die vor ihm Apostel waren, „sondern ich begab mich hinweg in die Arabia und kehrte wieder nach Damaskus zurück“ (Gal 1,17b)16. Über den Aufenthalt des Apostels in der Arabia liegen keine Informationen vor, aber es dürfte damit die steinige Wüstengegend südöstlich von Damaskus gemeint sein, die den nördlichen Teil des Nabatäerreiches bildete. Zum wirtschaftlichen Einflussbereich des Nabatäerreiches gehörte damals auch Damaskus (2Kor 11,32), wohin Paulus zurückkehrte und erstmals längere Zeit in einer christlichen Gemeinde mitarbeitete. Erst im dritten Jahr nach seiner Berufung zum Apostel (= 35 n.Chr.) besuchte Paulus die Jerusalemer Urgemeinde (Gal 1,18–20). Im Anschluss an den kurzen Jerusalemaufenthalt begab sich Paulus um 36/37 n.Chr. in die Gebiete von Syrien und Kilikien (Gal 1,21). Mit Syrien wird das Gebiet um Antiochia am Orontes und mit Kilikien das Gebiet um Tarsus gemeint sein. Paulus wirkte wahrscheinlich zunächst in Tarsus und im kilikischen Raum, aber der Charakter dieser Mission lässt sich weder aus den Paulusbriefen noch aus der Apostelgeschichte erhellen. Übermäßig erfolgreich dürfte diese ca. sechsjährige Tätigkeit17 nicht gewesen sein, denn Paulus schloss sich um 42 n.Chr. als ‚Juniorpartner‘ des Barnabas der antiochenischen Mission an. Die Personallegende Apg 4,36f und die Aufzählung Apg 13,1 lassen die (auch gegenüber Paulus) hervorgehobene Stellung des Barnabas erkennen; nach Gal 2,1.9 erscheint er als gleichberechtigter Gesprächspartner beim Apostelkonzil. Paulus akzeptierte Barnabas uneingeschränkt (vgl. 1Kor 9,6), widerstand ihm aber beim antiochenischen Zwischenfall (vgl. Gal 2,11–14). Die theologischen Anschauungen des Barnabas lassen sich nur indirekt erschließen, sicherlich war er aber neben Paulus ein exponierter Vertreter der beschneidungsfreien Mission von Nichtjuden18.

Nach Beendigung ihrer Mission in Syrien und Teilen Kleinasiens kehrten Barnabas und Paulus nach Antiochia zurück, um dann nach Jerusalem zum Apostelkonzil gesandt zu werden (vgl. Apg 15,1f). Eine etwas andere Darstellung über den konkreten Anlass der Jerusalemreise gibt Paulus in Gal 2,2a: „Ich zog aber hinauf auf Grund einer Offenbarung …“ Er ordnet seine Präsenz beim Apostelkonzil also nicht mehr im Rahmen der antiochenischen Missionstätigkeit ein. Man kann vermuten, dass die Anbindung des Barnabas und Paulus an die antiochenische Gemeinde im Vorfeld des Apostelkonzils der lukanischen Geschichtsschau entspringt. Andererseits formuliert aber auch Paulus tendenziös, denn er will seine Unabhängigkeit von Jerusalem und anderen Gemeinden betonen. Zudem gibt er den konkreten Anlass für seine Teilnahme am Apostelkonzil selbst zu erkennen: μή πως εἰς ϰενὸν τρέχω ἢ ἔδραμον (Gal 2,2c: „damit ich nicht etwa vergeblich liefe oder gelaufen wäre“). Toraobservante Judenchristen waren in die Heimatgemeinden des Apostels eingedrungen, sie beobachteten die dort gelebte Freiheit (von der Tora) und sind nun auf dem Apostelkonzil präsent, um die Beschneidung von Christen griechisch-römischer Religiosität zu fordern (Gal 2,4f). Paulus befürchtete offensichtlich, dass seine bisherige beschneidungsfreie (und damit aus jüdischer und streng judenchristlicher Sicht faktisch torafreie) Mission19 durch die Agitation dieser Gegner und ein von ihnen beeinflusstes Votum der Jerusalemer zunichte gemacht werden könnte. Dann wäre er seinem apostolischen Auftrag nicht nachgekommen, Gemeinden zu gründen (vgl. 1Thess 2,19; 1Kor 9,15–18.23; 2Kor 1,14). Mehr noch: Der Apostel sah seinen Ruhm am Tag Christi, sein eschatologisches Heil in Gefahr, wenn er seine ureigenste Aufgabe verfehlen würde (vgl. Phil 2,16).

Das Apostelkonzil ist mittelbar auch eine Folge bedeutender Veränderungen in der Geschichte der Urgemeinde. Im Rahmen der Verfolgungen durch Agrippa I. wurde im Jahr 42 n.Chr. nicht nur der Zebedaide Jakobus getötet (Apg 12,2), sondern Petrus verließ Jerusalem (Apg 12,17) und gab damit die Leitung der Urgemeinde auf. Der Herrenbruder Jakobus (vgl. Mk 6,3) trat offensichtlich an seine Stelle, wie ein Vergleich von Gal 1,18f mit 2,9; 1Kor 15,5 mit 15,7, aber auch die letzten Worte des Petrus in Apg 12,17b („Berichtet dies dem Jakobus und den Brüdern“) und Apg 15,13; 21,18 zeigen20. Während Petrus wahrscheinlich eine liberale Haltung in der Frage nach Aufnahme von Unbeschnittenen in die neue Bewegung einnahm (vgl. Apg 10,34–48; Gal 2,11.12) und sich später selbst der Mission an Menschen aus griechisch-römischer Religiosität öffnete (vgl. 1Kor 1,12; 9,5), müssen Jakobus und seine Gruppe (vgl. Gal 2,12a) als Repräsentanten eines strengen Judenchristentums gelten, das sich bewusst als Teil des Judentums verstand und die Aufnahme in die neue Bewegung an eine Torabeachtung band21. Er lehnte eine Tischgemeinschaft zwischen Judenchristen und Christen aus griechisch-römischer Tradition ab (Gal 2,12a) und wurde offenbar von den Pharisäern hoch geschätzt. Josephus berichtet, dass nach dem Martyrium des Jakobus im Jahr 62 n.Chr. die Pharisäer erbittert die Absetzung des verantwortlichen Hohenpriesters Ananus verlangten22. Es muss als sehr wahrscheinlich gelten, dass die Befürworter einer Beschneidung von Christen aus griechisch-römischer Tradition sich durch die theologische Haltung des Jakobus in ihrer Forderung zumindest bestärkt fühlen konnten.

Die auf dem Apostelkonzil im Jahr 48 n.Chr. verhandelten Sachprobleme beschäftigten Paulus innerhalb seiner selbständigen Missionstätigkeit in zunehmendem Maß und spiegeln sich auch in seinen zwischen 50–60 n.Chr. abgefassten Briefen wider: Welche Kriterien müssen erfüllt sein, um zur auserwählten Gemeinde Gottes zu gehören und gleichzeitig die Kontinuität zum Gottesvolk des ersten Bundes zu wahren? Soll die Beschneidung als Zeichen des Bundes (vgl. Gen 17,11) und damit der Zugehörigkeit zum erwählten Volk Gottes23 auch für Christen aus griechisch-römischer Tradition generell verpflichtend sein? Muss ein Heide erst Jude werden, um Christ sein zu können? Wurde man aus jüdischer Perspektive nur durch Beschneidung und rituelles Tauchbad zum Proselyten und damit zum Glied des erwählten Gottesvolkes, dann lag aus streng judenchristlicher Sicht die Folgerung nahe, dass nur die Taufe auf den Namen Jesu Christi und die Beschneidung den neuen Heilsstatus vermitteln24. Die auf dem Apostelkonzil (und beim antiochenischen Konflikt) verhandelten Probleme fallen somit in eine Zeit, in der die Definition dessen, was auf ritueller und sozialer Ebene das Christentum ausmacht, noch nicht abgeschlossen und damit auch noch nicht festgelegt war. Weder die christlichen Identitätszeichen (‚identity markers‘) noch der daraus folgende Lebenswandel (‚life-style‘) waren wirklich geklärt. Konnten christliche Gemeinden aus griechisch-römischer Tradition in gleicher Weise anerkannt werden wie judenchristliche Gemeinden, die zu einem erheblichen Teil noch innerhalb des Synagogenverbandes lebten? Muss die für jüdisches Selbstverständnis konstitutive Einheit von Volks- und Religionsgemeinschaft aufgehoben werden? Was bewirkt Heiligung und Reinheit? Wodurch erlangen die an Jesus Glaubenden Anteil am Volk Gottes, wie werden sie Träger der Verheißungen des Bundes Gottes mit Israel? Inwieweit sollen jüdische Identitätszeichen wie Beschneidung, Tischgemeinschaft nur unter Volksgenossen und Sabbat auch für die sich bildenden Gemeinden aus griechisch-römischer Religiosität gelten? Schließt die durch den Christusglauben bereits erfolgte grundsätzliche Statusveränderung weitere Statusveränderungen mit ein? Lassen sich in gleicher Weise Regelungen für die Glaubenden aus Judentum und griechisch-römischer Tradition finden, oder müssen unterschiedliche Wege beschritten werden? Sind Taufe und Beschneidung für alle Christusgläubigen verbindliche Initiationsriten, oder ermöglicht schon/nur die Taufe die vollgültige Aufnahme in das Volk Gottes?

 

Das Apostelkonzil gab keine allgemein akzeptierte Antwort auf diese Fragen25, so dass weitere Auseinandersetzungen geradezu unausweichlich waren. Die paulinische Theologie ist in diesen konfliktreichen Prozess der Selbstdefinition des frühen Christentums eingebunden und wesentlich aus ihm heraus zu erklären, zugleich stellt sie aber die maßgebliche Lösung der Probleme dar.

1 Vgl. dazu U. SCHNELLE, Die ersten 100 Jahre des Christentums, 138–141.

2 Vgl. hier M.HENGEL, Zwischen Jesus und Paulus. Die ‚Hellenisten‘, die ‚Sieben‘ und Stephanus, ZThK 72 (1975), 151–206; G.THEISSEN, Hellenisten und Hebräer (Apg 6,1–6). Gab es eine Spaltung in der Urgemeinde?, in: H.Lichtenberger (Hg.), Geschichte – Tradition – Reflexion (FS M.Hengel), Bd. III, Tübingen 1996, 323–343; D.-A.KOCH, Crossing the Border: The ‚Hellenists‘ and their way to the Gentiles, Neotest 39 (2005), 289–312; M. ZUGMANN, „Hellenisten“ in der Apostelgeschichte, WUNT 2.264, Tübingen 2009.

3 Die Herkunft der Zahl Sieben könnte mit der Auslegung von Dtn 16,18 zusammenhängen, wonach in jeder Stadt sieben Männer regieren sollen; vgl. Jos, Ant 4,214.287.

4 Zum Nachweis vgl. M.HENGEL, Zwischen Jesus und Paulus, 161ff.

5 Vgl. G.THEISSEN, Hellenisten und Hebräer, 332–336.

6 Vgl. dazu die Analysen bei W.KRAUS, Volk Gottes (s.u. 6.7), 12–110.

7 Vgl. Jos, Bell 7,45, die Juden „veranlassten ständig eine Menge Griechen, zu ihren Gottesdiensten zu kommen, und machten diese gewissermaßen zu einem Teil der ihren“; zu Antiochia vgl. M.HENGEL/A.M. SCHWEMER, Paulus zwischen Damaskus und Antiochien (s.o. 5), 274–299.

8 Für die Historizität dieser Nachrichten spricht, dass sie sich von der lukanischen Sicht unterscheiden; danach erfolgt die Missionierung Zyperns erst durch Paulus und Barnabas (vgl. Apg 13,4; 15,39). Nicht Petrus (vgl. Apg 10,1–11,18), sondern jene unbekannten christlichen Missionare leiten die entscheidende Epoche in der Geschichte des Urchristentums ein; zur Analyse von Apg 11,19–30 vgl. A.WEISER, Apg I (s.u. 8.4), 273–280. Freilich kann dies nicht bedeuten, dass es vor Antiochia keine Verkündigung gegenüber griechischsprachigen Nichtjuden gab! Die Mission in Samaria, Damaskus, Arabien und Kilikien schloss sicherlich auch diese Gruppe ein; vgl. M.HENGEL/A.M. SCHWEMER, Paulus zwischen Damaskus und Antiochien (s.o. 5), 300.

9 Vgl. J.WELLHAUSEN, Kritische Analyse der Apostelgeschichte, Berlin 1914, 21.

10 Vgl. A. V. HARNACK, Mission und Ausbreitung des Christentums in den ersten drei Jahrhunderten I, Leipzig 41923, 425f.

11 W.BOUSSET, Kyrios Christos (s.o. 4), 90.

12 J.BECKER, Paulus (s.u. 6), 109.

13 Zur Kritik am in der Literatur weit verbreiteten ‚Pan-Antiochenismus‘ vgl. auch M.HENGEL/A.M. SCHWEMER, Paulus zwischen Damaskus und Antiochien (s.o. 5), 432–438.

14 Vgl. J.WEISS, Das Urchristentum, Göttingen 1917, 149; G.LÜDEMANN, Das frühe Christentum nach den Traditionen der Apostelgeschichte, Göttingen 1987, 144.

15 A.WECHSLER, Geschichtsbild und Apostelstreit, BZNW 62, Berlin 1991, 266.

16 Zu den Problemen der paulinischen Chronologie vgl. U.SCHNELLE, Paulus (s.u. 6), 29–38.

17 Die Zeitdauer dieser Mission ist schwer einzuordnen; als Argumente für die genannten Zeiträume lassen sich anführen: 1) Lukas setzt mit Apg 12,1a („Um jene Zeit aber“) den Beginn des Wirkens von Barnabas und Paulus in Antiochia in eine zeitliche Beziehung zu der Verfolgung der Urgemeinde durch Agrippa I. (vgl. Apg 12,1b–17). Diese Verfolgung ereignete sich wahrscheinlich im Jahr 42 n.Chr. (vgl. R.RIESNER, Frühzeit des Apostels Paulus [s.o. 5], 105–110). 2) Die in Apg 11,28 erwähnte Hungersnot und die Unterstützung der Antiochener für Jerusalem (Apg 11,29) fallen in den Zeitraum zwischen 42 und 44 n.Chr. (vgl. R. Riesner, a.a.O., 111–121). Etwas anders M.HENGEL/A.M. SCHWEMER, Paulus zwischen Damaskus und Antiochien (s.o. 5), 267–275, die mit drei bis vier Jahren Aufenthalt des Apostels in Kilikien rechnen (zwischen 36/37 u. 39/40 n.Chr.), bevor Paulus sich nach selbständiger und erfolgreicher Missionstätigkeit der antiochenischen Mission anschloss (ca. 41/42–48/49 n.Chr.).

18 Vgl. zu Barnabas bes. B.KOLLMANN, Joseph Barnabas, SBS 175, Stuttgart 1998; M.HENGEL/A.M. SCHWEMER, Paulus zwischen Damaskus und Antiochien (s.o. 5), 324–334; M. ÖHLER, Barnabas, Leipzig 2006.

19 Eine prinzipiell ‚gesetzesfreie‘ Heidenmission hat Paulus nie betrieben, denn zentrale ethische Inhalte der Tora (z.B. der Dekalog) galten natürlich auch für Christen griechisch-römischer Religiosität (s.u. 6.5.3).

20 Vgl. dazu G.LÜDEMANN, Paulus, der Heidenapostel II (s.u. 6), 73–84.

21 Vgl. dazu auch W.KRAUS, Zwischen Jerusalem und Antiochia (s.o. 5), 134–139.

22 Vgl. Jos, Ant 20,199–203.

23 Vgl. hierzu O.BETZ, Art. Beschneidung II, TRE 5, Berlin 1980, 716–722.

24 Einen vollgültigen Übertritt zum Judentum ohne Beschneidung hat es wahrscheinlich nie gegeben; vgl. die Analyse der Texte bei W.KRAUS, Das Volk Gottes (s.u. 6.7), 96–107.

25 Vgl. U.SCHNELLE, Paulus (s.u. 6), 114–131.

To koniec darmowego fragmentu. Czy chcesz czytać dalej?