Die ersten 100 Jahre des Christentums 30-130 n. Chr.

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Wirkungsgeschichtliche Linien



Die Entstehung der frühen Christologie liegt aber nicht nur im personalen Anspruch Jesu und im Ostergeschehen begründet, sondern auch in Jesu Lehrinhalten: 1) Jesus band den Willen Gottes nicht an rituelle Vollzüge, sondern betonte die Ethik der Gottes- und Nächstenliebe. Von hieraus konnte im frühen Christentum eine Liebesethik entwickelt werden, die nicht unmittelbar mit der Tora verbunden war. Jesu Wirken wurde in seiner Gesamtheit als heilsame Regelung gestörter Beziehungen des Menschen zu Gott und der Menschen untereinander wahrgenommen und interpretiert. 2) Gottes grenzenlose Liebe eröffnet Perspektiven, die über die Erwählung Israels hinausgehen. Obwohl Jesus sich prinzipiell nur an Israel gesandt wusste, ermöglichten seine zeichenhaften Hinwendungen zu Heiden den frühen Christen, ihre Botschaft über Israel hinauszutragen. 3) Jesus erkannte dem Tempel offenbar nur eine geringe Bedeutung zu, so dass für die frühen Christen die lokale Gottesverehrung an einem einzigen Ort keine besondere Rolle spielte. Jesus interpretierte die Grundpfeiler des Judentums seiner Zeit offenbar in einer Weise, die für eine Transformation hin zum Universalismus offen war.





Das Wirken des Geistes





Geist und Gott



Neben den Erscheinungen des Auferstandenen ist das Wirken des Geistes die zweite Erfahrungsdimension, die auf die Ausbildung der frühen Christologie einwirkte. Während die Erscheinungen streng begrenzt waren, ist das Wirken des Geistes keinen Beschränkungen unterworfen. Religionsgeschichtlich gehören Gott und der Geist schon immer zusammen. Im griechisch-römischen Kulturraum vollzieht sich das Wirken der Gottheiten vor allem nach der Lehre der Stoiker in der Sphäre des Geistes

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. Im antiken Judentum ist die Vorstellung von großer Bedeutung, dass in der Endzeit der Geist Gottes ausgegossen wird (vgl. Ez 36,25–29; Jes 32,15–18; Joel 3,1–5LXX; 1QS 4,18–23 u.ö.). Der Messias wurde als geistbegabte Gestalt vorgestellt und Tempel-/Einwohnungsmetaphorik verbanden sich mit dem Geist

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. In legendarischer Ausschmückung, im Kern aber historisch sicherlich zuverlässig, beschreibt die Apostelgeschichte das Wirken des Geistes in den frühesten Gemeinden. Der Heilige Geist erscheint als die von Jesus versprochene „Kraft aus der Höhe“ (Lk 24,49; Apg 1,5.8), die den Jüngern zu Pfingsten (Apg 2,4) verliehen wird. Der Geist wird allen zuteil, die die Predigt der Apostel annehmen und sich taufen lassen (vgl. Apg 2,38). Der Empfang des Geistes ist auch an äußeren Phänomenen erkennbar (vgl. Gal 3,2; Apg 8,18), speziell an wunderbaren Heilungen (1Kor 12,9.28.30), ekstatischer Glossolalie (Apg 2,4.11; 4,31 u.ö.) und prophetischem Reden (vgl. 1Kor 12; 14; Apg 10; 19). Nach frühester Überlieferung war schon das Wirken Jesu seit der Taufe durch den Heiligen Geist geprägt (vgl. Mk 1,9–11; Apg 10,37). Es ist der Geist Gottes, der die Auferstehung Jesu bewirkt (Röm 1,3b–4a; Röm 6,4; 8,11; 1Petr 3,18; 1Tim 3,16), und nun die neue Seins- und Wirkweise des Auferstandenen bestimmt (2Kor 3,17: „Der Herr aber ist der Geist“; vgl. 1Kor 15,45). Die ältesten christlichen Aussagen über das Wirken des Geistes Gottes sprechen die Überzeugung aus, dass die jüdische Hoffnung auf das inspirierende und lebenspendende Pneuma für die Endzeit jetzt ihre Erfüllung gefunden hat. Im Wirken des Geistes Gottes erkannten die Christusgläubigen die Wirklichkeit der Auferstehung Jesu Christi von den Toten.





Relecture der Schrift





Ihre Sprache findet die Christologie vor allem aus den Schriften Israels, wie 1Kor 15,3f bezeugt: „gemäß den Schriften“. Die Christusgläubigen lebten in und aus den Schriften Israels. Die Lektüre vollzog sich allerdings unter veränderten Verstehensbedingungen, denn nun lasen die Judenchristen ihre Schrift (vornehmlich in der Gestalt der Septuaginta) neu aus der Perspektive des Christusgeschehens. Die Relecture der Schriften vollzieht sich in einer zweifachen Bewegung: Die Schriften werden zum Bezugsrahmen der Christologie und die Christologie gibt den Schriften eine neue Bestimmtheit

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.



Formen der Interpretation



Die christologische Relecture der Schrift führt im frühen Christentum zu verschiedenen Modellen, um die Kontinuität des Verheißungshandelns Gottes in der Geschichte aufzuzeigen. Durch Gottes Heilshandeln an Jesus von Nazareth in Kreuz und Auferstehung war für die ersten Christen deutlich, dass es einen Zusammenhang zwischen diesem Geschehen und dem Heilshandeln Gottes mit Israel geben muss. In den Figuren der Typologie (Vorabbildung; vgl. 1Kor 10,1–6), der Verheißung und der Erfüllung (vgl. Mt 2,17f u.ö.) sowie in den exegetischen Methoden der Allegorese (vgl. Gal 4,21–31) und des Midrasch (vgl. Apg 7; 2Kor 3), in Zitatkombinationen (vgl. Röm 9,25–29), Zitatvariationen (vgl. Röm 11,3) und Anspielungen sind Modelle zu sehen, um diese grundlegende Überzeugung auszudrücken. Einige Einzeltexte nehmen in der frühchristlichen AT-Rezeption eine besondere Stellung ein. Paulus setzt mit Gen 15,6 und Hab 2,4b faktisch alle anderen Texte des Alten Testaments außer Kraft. Bei der interpretierenden Aufnahme von Hab 2,4bLXX in Gal 3,11 und Röm 1,17 bindet der Apostel die Treue Gottes nicht an den aus der Tora lebenden Gerechten, sondern an den Glauben an Jesus Christus als Rechtfertigungsgeschehen. Der chronologische Abstand zwischen Gen 15,6 und Gen 17 hat bei Paulus theologische Qualität. Gilt die Beschneidung aus jüdischer Sicht als umfassender Treueerweis Abrahams gegenüber den Geboten Gottes, so trennt Paulus die Beschneidung von der Glaubensgerechtigkeit. Sie ging der Beschneidung voran, so dass die Beschneidung lediglich als eine nachträgliche Anerkennung und Bestätigung des neuen Status der Glaubenden verstanden werden kann.



Eine Schlüsselstellung nahm Ps 110,1LXX bei der Herausbildung der frühen Christologie ein

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: „Der Herr sprach zu meinem Herrn: Setze dich zu meiner Rechten, bis ich dir deine Feinde als Schemel unter deine Füße lege.“ Hier fanden die frühen Christen den maßgeblichen Schriftbeleg für Jesu himmlische Würde und Funktion: Er wurde zur Rechten Gottes erhöht, hat Anteil an der Macht und Herrlichkeit Gottes und übt von dort seine Herrschaft aus (vgl. 1Kor 15,25; Röm 8,34; Mk 12,36; 14,62; Mt 22,44; 26,64; Lk 20,42; 22,69; Apg 2,34; Kol 3,1; Eph 1,20; Hebr 1,3.13; 8,1; 10,12). In diesem Kontext übertrugen die ersten Christen schon sehr früh die für Gott geläufige Anrede ‚Herr‘ auf Jesus (vgl. die Aufnahme von Joel 3,5LXX in Röm 10,12f; ferner 1Kor 1,31; 2,16; 10,26; 2Kor 10,17) und brachten damit seine einzigartige Autorität in Abgrenzung zu anderen Ansprüchen zum Ausdruck

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. Bei der Ausformung der Sohnes-Christologie (vgl. 1Thess 1,9f; Röm 1,3b–4a; Mk 1,11; 9,7) dürfte Ps 2,7 („Kundtun will ich den Beschluss des Herrn: er sprach zu mir: Mein Sohn bist du, heute habe ich dich gezeugt“; vgl. ferner 2Sam 7,11f.14) eine zentrale Bedeutung eingenommen haben.



Als intertextuelles Phänomen leistet die christologische Relecture der Schrift zweierlei: Sie stellt die atl. Referenztexte in einen neuen Sinnhorizont und legitimiert zugleich die eigene theologische Position der ntl. Autoren. Dabei bildet nicht das Eigengewicht der Schrift, sondern Gottes endzeitliches Heilshandeln in Jesus Christus die sachliche Mitte ihres Denkens. Zentrale Inhalte jüdischer Theologie (Tora, Erwählung) werden neu bedacht und der Schrifttext in einen produktiven intertextuellen Interpretationsprozess hineingenommen.





4.3 Der neue Diskursgründer und das neue Denken





Ausgehend von der Verkündigung und dem Wirken Jesu

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 und neu inspiriert durch das Ostergeschehen bedachten die frühen Christen von Anfang an in vielfältiger Weise die anhaltende Bedeutsamkeit des Christusgeschehens. Sie mussten den Status Jesu Christi neu bestimmen, vor allem im Hinblick auf sein Verhältnis zu Gott. Dazu bedienten sie sich der Wissensvorräte der jüdischen und hellenistischen Tradition, nahmen umfassende Zuschreibungen vor und führten Jesus Christus als neuen Diskursgründer ein, von dem aus sie eine neue religiöse Welt konzipierten.





Jüdische Basissätze





Gott ist einer, aber er ist nicht allein



Die Grundlage dieser neuen Welt bildeten jüdische Basissätze, die wichtige Verstehenskategorien lieferten: Gott ist einer, er ist der Schöpfer, der Herr und der Erhalter der Welt; er hat Israel aus den Völkern erwählt, ihm das Land und die Tora geschenkt und den Tempel in Jerusalem zu seinem Wohnort erkoren (s.o. 3.3.1/s.u. 5.3). Traditionen des antiken Judentums

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 ermöglichten es auch, am Monotheismus festzuhalten, zugleich aber Jesus von Nazareth als

 („Messias“),

 („Herr“) und

 („Sohn Gottes“) zu bezeichnen. Nach jüdischer Vorstellung gibt es nur einen Gott, aber er ist nicht allein. Zahlreiche himmlische Mittlergestalten wie die Weisheit (vgl. Prov 2,1–6; 8,22–31; Sap 6,12–11,1), der Logos oder die Namen Gottes haben ihre Heimat in unmittelbarer Nähe zu Gott

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. Biblische Patriarchen wie Henoch (vgl. Gen 5,18–24)

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 oder Mose und Erzengel wie Michael

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 umgeben Gott und wirken nun in seinem Auftrag. Als Teilhaber an der himmlischen Welt sind sie Gott untergeordnet, sie gefährden in keiner Form den Glauben an den einen Gott. Als geschaffene und untergebene Kräfte treten sie in keine Konkurrenz zu Gott, als göttliche Attribute beschreiben sie in der Sprache menschlicher Hierarchie die Aktivitäten Gottes für die Welt und in der Welt.

 



Auferstehung der Toten



Das Judentum bildet auch bei der Hoffnung auf die Auferstehung der Toten den religionsgeschichtlichen Rahmen und Hintergrund, hier bildete sich diese Vorstellung im Rahmen der Apokalyptik im 3./2. Jh. v.Chr. heraus

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. Der einzig unbestrittene Auferstehungstext im AT ist Dan 12,2f: „Von denen, die im Land des Staubes schlafen, werden viele erwachen, die einen zum ewigen Leben, die anderen zur Schmach, zu ewigem Abscheu. Die Verständigen werden strahlen, wie der Himmel strahlt; und die Männer, die viele zum rechten Tun geführt haben, werden immer und ewig wie die Sterne leuchten.“ Als zweiter zentraler Text ist Jes 26,19 zu nennen, ein redaktioneller Zusatz aus frühhellenistischer Zeit: „Deine Toten werden leben, die Leichen stehen wieder auf; wer in der Erde liegt, wird wachen und jubeln. Denn der Tau, den du sendest, ist ein Tau des Lichts; die Erde gibt die Toten heraus“ (vgl. auch Jes 25,6–8). Die in beiden Texten vorausgesetzte Auferstehungshoffnung hat eine Vorgeschichte im Alten Testament, zu verweisen ist auf Hos 6,1–3 und Ez 37,1–14. Im 2./1. Jh. v.Chr. bezeugen zahlreiche Texte die Auferstehungshoffnung: SapSal 3,1–8; äthHen 46,6; 48,9f; 51,1; 91,10; 93,3f; 104,2; PsSal 3,11–12; LAB 19,12f; 2Makk 7,9; TestBen 10,6–10. Von besonderer Bedeutung ist, dass es auch bei den Qumran-Essenern den Glauben an eine Auferweckung der Toten gegeben hat. In 4Q521 2 II, 12 wird von Gott lobpreisend gesagt: „… Dann wird er Erschlagene heilen, und Tote wird er lebendig machen; Armen wird er frohe Botschaft verkünden …

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 Hinzu kommen die bereits erwähnten Geisterfahrungen und die Relecture der Schrift (s.o. 4.2), die ebenso wie zahlreiche weitere Motive vor allem aus der jüdischen Apokalyptik (Gericht/Erwartung des Endgeschehens/Erscheinen des Messias/Rettung der Glaubenden) den jüdischen Hintergrund zahlreicher christologischer Anschauungen der Frühzeit verdeutlichen.





Griechische Vorstellungen





Inkarnation als griechische Vorstellung



Von Anfang an stand im Zentrum des Glaubens der neuen Bewegung auch eine genuin griechisch-hellenistische Vorstellung: Gott ist in Jesus von Nazareth Mensch geworden. Die Inkarnation von Göttern bzw. gottähnlichen Wesen (und der Vergöttlichung eines Menschen) ist eine genuin griechische Anschauung (s.o. 3.2/3.2.1) und verweist auf kulturgeschichtliche Vorgaben, die bei der Ausbildung und der Rezeption der frühesten Christologie eine wichtige Rolle gespielt haben

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. Die Vorstellung eines sowohl göttlichen als auch menschlichen Mittlerwesens wie Jesus Christus war gerade für Griechen und Römer auf ihrem eigenen kulturellen Hintergrund rezipierbar. Für Juden hingegen war der Gedanke unerträglich, dass Menschen wie der römische Kaiser Caligula sich anmaßten, als Götter zu gelten und verehrt zu werden

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.





Neues Denken





Das Kreuz als Anstoß



Neben der bleibenden Verankerung der Christusgläubigen in der jüdischen Tradition und der Aufnahme griechischer Vorstellungen bestimmt aber auch ein neues Denken die früheste Theologie, das mit jüdischen und auch griechischen Anschauungen nicht wirklich kompatibel war. Vor allem die Behauptung, ein Gekreuzigter sei der Messias, wurde im Kontext von Dtn 21,22f („… denn der am Holz Hängende ist von Gott verflucht …“) aus jüdischer Perspektive als Blasphemie empfunden (vgl. Gal 3,13) und von den Griechen als ‚dummes Zeug‘ beurteilt (1Kor 1,23: „Wir aber verkündigen Christus als Gekreuzigten, für Juden ein Anstoß, für Heiden eine Torheit“). Einen Gekreuzigten als Gottessohn zu verehren, erschien den Juden als theologischer Anstoß

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 und der griechisch-römischen Welt als Verrücktheit

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. Mit der zentralen Stellung eines Gekreuzigten in der frühchristlichen Sinnwelt wird jede geläufige kulturelle Plausibilität auf den Kopf gestellt, indem nun das Kreuz als zentrales Kennzeichen göttlicher Weisheit erscheint.



Jesus Christus als Gott



Hinzu kommen weitere gravierende Unterschiede

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: 1) Die oben erwähnten personifizierten göttlichen Attribute in der jüdischen Überlieferung waren keine Gott gleichwertigen bzw. gottgleichen Personen mit eigenständigen Handlungsfeldern, die zudem kultisch verehrt wurden. Von Anfang an wurde aber Jesus in eine einzigartige Nähe zu Gott gerückt. Ihm wurde der Name Gottes verliehen (Phil 2,9f), er ist Gott gleich bzw. das Abbild Gottes (Phil 2,6; 2Kor 4,4) und Träger der Herrlichkeit Gottes (2Kor 4,6; Phil 3,21). In Röm 9,5 setzt der ehemalige Pharisäer Paulus den aus Israel stammenden

 mit Gott gleich („Von den Vätern, von denen Christus dem Fleisch nach abstammt, der Gott ist über allem; gelobt sei er in Ewigkeit“)

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. Als präexistentes Wesen war er am göttlichen Schöpfungshandeln beteiligt (Phil 2,6; 1Kor 8,6), ihm gelten nun Wendungen und Zitate, die eigentlich auf Gott bezogen sind (vgl. 1Kor 1,31; 2,16; Röm 10,13). Sein Platz ist im Himmel (1Thess 1,10; 4,16; Phil 3,20) zur Rechten Gottes (Röm 8,34), von dort aus herrscht er über das All (1Kor 15,27; Phil 3,21) und über die himmlischen Mächte (Phil 2,10). Von Gott gesandt, wirkt er gegenwärtig in der Gemeinde (Gal 4,4f; Röm 8,3), er ist der göttliche Bevollmächtigte bei dem mit seiner Parusie einsetzenden eschatologischen Gericht (1Thess 1,10; 1Kor 16,22; 2Kor 5,10). Im Gottesdienst wurde er angerufen wie Gott (vgl. 1Kor 12,3; 16,22: ‚Maranatha‘ = „unser Herr, komm!“)

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. Er ermöglichte den neuen Zugang zu Gott, der im geistgewirkten Gebetsruf

 (‚Abba‘ = „Vater“: Gal 4,6; Röm 8,15; Mk 14,36) im Gottesdienst bekannt wird. In der liturgischen Praxis galt: „Rühmet Gott und den Vater unseres Herrn Jesus Christus“ (Röm 15,6). Taufe, Herrenmahl und Akklamationen stehen in exklusiver Beziehung zum Namen Jesu; neben die theologische Reflexion trat somit die gottesdienstliche Anrufung und rituelle Verehrung Jesu als ein weiterer Haftpunkt für die Herausbildung, Entfaltung und Verbreitung früher christologischer Vorstellungen.



Der neue Diskursgründer



Am Anfang der neuen Bewegung stand ein überaus kreativer Prozess: Mit Jesus Christus führten die Christusgläubigen nicht weniger als einen neuen Diskursgründer in die bestehenden religiösen Welten ein und schrieben ihm eine uneingeschränkte soteriologische Kompetenz zu. Ihm wurden Attribute zugelegt, die im jüdischen Denken bis dahin exklusiv Gott vorbehalten waren. Damit wurde nicht nur Mose als jüdischer Diskursgründer relativiert, sondern indem Jesus Christus als Gekreuzigter und Auferstandener Gegenstand göttlicher Verehrung wurde, überschritten die Christusgläubigen die Grenzen jüdischen Denkens und etablierten in Lehre und Kult eine eigene, neue Diskurswelt

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. Hinzu kommt als zweiter Aspekt: Die Menschwerdung Gottes und die Gottwerdung eines Menschen ist ein griechischer Gedanke, der sich in seiner Fremdheit und Anstößigkeit für jüdische Ohren nicht relativieren lässt. Aber auch gegenüber dem griechisch-römischen Denken setzte die früheste Christologie eigene Akzente, denn die Gottessohnschaft eines Gekreuzigten blieb auch hier ein fremdartiger und anstößiger Gedanke (vgl. 1Kor 1,23). Ebenso widersprach Jesu exklusive soteriologische Stellung griechisch-römischer Tradition, wo Gottheiten jeweils für einzelne Bereiche zuständig waren.



Mit dem neuen Diskursgründer Jesus Christus und den neuen Wissensformen der Christologie war im Keim bereits angelegt, was sich später herausbildete: das frühe Christentum als eigenständige Bewegung. Es gab keine Möglichkeit, den gekreuzigten Gottessohn bruchlos in eine bestehende religiöse Wissenswelt einzuführen; weder die jüdische noch die griechisch-römische Wissenstradition ließen dies zu. Das Christuszeugnis wurde vom Judentum gerade nicht als eine mögliche Form der Pluralisierung des Alten Testaments akzeptiert. Dies zeigt sich bereits kurz nach Ostern in Jerusalem; obwohl die Christusgläubigen sich als ein legitimer Teil Israels verstanden, wurden sie von Anfang an nie als ein solcher akzeptiert. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass bereits die Jerusalemer Gemeinde in tiefgreifende Konflikte mit dem offiziellen Judentum hineingezogen wurde.





1Die lukanische Darstellung, wonach sich die Jünger aus Angst vor den Juden in einem Haus versteckten (vgl. Lk 24,36–49) und in Jerusalem verblieben, dürfte sekundär sein; vgl. Ludger Schenke, Die Urgemeinde, 13f.



2Anders Gerd Lüdemann, Die Auferstehung Jesu, 63f, der in der Überlieferung von Josef von Arimathäa bereits bei Markus eine christliche Legende sieht und Joh 19,31–37 für historisch ansieht (die Juden bitten um den Leichnam Jesu). Nach Joh 19,31 bitten die Juden zwar, Jesus die Beine zu brechen und ihn vom Kreuz abzunehmen, durchgeführt wird diese Abnahme aber nach V. 38 auch bei Johannes durch Josef von Arimathäa.



3Diese Frage beschäftigte schon die frühe Überlieferung, eine Antwort gibt Mt 27,60: Josef von Arimathäa bestattete Jesus in seinem eigenen, neuen Grab.



4Vgl. Tacitus, Annalen 6,29.



5Vgl. Philo, In Flaccum 83.



6Vgl. dazu Heinz Wolfgang Kuhn, Der Gekreuzigte von Giv

c

at hat-Mivtar, in: Theologia Crucis – Signum Crucis (FS E. Dinkler), hg. v. Carl Andresen/Günter Klein, Tübingen 1979, 303–334.



7Anders Gerd Lüdemann, Die Auferstehung Jesu, 67, der behauptet, die früheste Gemeinde habe nicht gewusst, wo Jesus beigesetzt wurde. Als Argument führt er an, dass sich keine Traditionen über das Grab Jesu entwickelt hätten.



8Zur Auferstehungsthematik vgl. auch: Fritz Viering (Hg.), Die Bedeutung der Auferstehungsbotschaft für den Glauben an Jesus Christus, Berlin 1967; Willi Marxsen, Die Auferstehung Jesu von Nazareth, Gütersloh 1968; Ulrich Wilckens, Auferstehung, Gütersloh

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1977; Paul Hoffmann, Die historisch-kritische Osterdiskussion von H.S. Reimarus bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts, in: ders. (Hg.), Zur neutestamentlichen Überlieferung von der Auferstehung Jesu, Darmstadt 1988, 15–67; Udo Schnelle, Paulus, 443–462.



9Zur Analyse der Texte vgl. Ulrich Wilckens, Auferstehung, 15–61.



10In Mk 16,7 verweist die Differenzierung zwischen Petrus und ‚den Jüngern‘ auf eine Ersterscheinung vor Petrus.



11Vgl. Hans von Campenhausen, Der Ablauf der Osterereignisse, 15.



12Vgl. hier Silke Petersen, Maria aus Magdala. Die Jüngerin, die Jesus liebte, BG 23, Leipzig 2011.



13Vgl. Hans von Campenhausen, Der Ablauf der Osterereignisse, 41.



14Zu Andronikus und Junia s.u. S. 120.



15Anders Rudolf Bultmann, Theologie, 48: „Legende sind die Geschichten vom leeren Grab, von denen Paulus noch nichts weiß.“



16Vgl. zuletzt die Argumentation bei Martin Hengel, Das Begräbnis Jesu bei Paulus und die leibliche Auferstehung aus dem Grabe, in: Friedrich Avemarie/Hermann Lichtenberger (Hg.), Auferstehung, WUNT 135, Tübingen 2001, (119–183) 139ff.



17Vgl. Paul Althaus, Die Wahrheit des christlichen Osterglaubens, Gütersloh 1940, 25: „In Jerusalem, am Orte der Hinrichtung und des Grabes Jesu, wird nicht lange nach seinem Tode verkündigt, er sei auferweckt. Dieser Tatbestand fordert, daß man im Kreise der ersten Gemeinde ein zuverlässiges Zeugnis dafür hatte, daß das Grab leer gefunden ist.“



18Anders Gerd Lüdemann, Die Auferstehung Jesu, 66, der ohne Begründung behauptet: „Da sich weder die Jünger noch die nächsten Familienangehörigen um Jesu Leichnam gekümmert haben, ist kaum denkbar, daß sie über den Verbleib des Leichnams informiert sein konnten, um später wenigstens seine Knochen zu bestatten.“



19Vgl. dazu Matthias Konradt, Stellt der Vollmachtsanspruch des historischen Jesus eine Gestalt ‚vorösterlicher Christologie‘ dar?, ZThK 107 (2010), 139–166.



20Eine Zusammenfassung des Wirkens und der Lehre Jesu findet sich in: Udo Schnelle, Theologie des Neuen Testaments, 47–144.



21Vgl. Reinhard von Bendemann, Die Auferstehung von den Toten als ‚basic story‘, GuL 15 (2000), 148–162.



22Vgl. dazu die Texte in: Neuer Wettstein I/2, 226–234.



23Vgl. dazu grundlegend Friedrich Wilhelm Horn, Das Angeld des Geistes, 61ff.



24Einen Überblick vermittelt Steve Moyise, The Old Testament in the New. An Introduction, London/New York 2001.



25Vgl. Martin Hengel, Psalm 110 und die Erhöhung des Auferstandenen zur Rechten Gottes, in: Anfänge der Christologie (FS F. Hahn), hg. v. Cilliers Breytenbach/Henning Paulsen, Göttingen 1991, 43–74. Zur Rezeption der Psalmen vgl. insgesamt Steve Moyise/Martten J. J. Menken (Hg.), The Psalms in the New Testament, London/New York 2004.

 



26Vgl. dazu Marinus de Jonge, Christologie im Kontext, 177f.



27Ulrich Luz, Das ‚Auseinandergehen der Wege‘ (s.u. 8.7), 62–64, betont zu Recht, dass bereits der irdische Jesus als Ausgangspunkt des Auseinandergehens von Judentum und Christentum angesehen werden kann, denn er hatte ein offenes Israel-Verständnis, lehrte und praktizierte eine radikale Liebe und relativierte den Tempel; insgesamt gilt: Jesus war „ein besonderer Jude“ (a.a.O., 63).



28Vgl. dazu Larry