Vom Wind Verwehte: Aussteiger unter Segeln

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07. Columbus

Zwei Tage später verabschiedeten sich die beiden und ich musste mit Pandarea den Platz wechseln. Nach einigem hin und her lag ich längsseits neben Columbus, die bereits einige Wochen an der Hafenpier vermurt war. Um an Land zu kommen, mussten Ursula und ich über das hohe Schanzkleid des ehemaligen Fischkutters klettern, das gut sechs Meter breite Deck überwinden und dann hinunter auf die Pier springen.

Die Columbus war ein Kriegsfischkutter (KFK), 1944 in Swinemünde aus massiver Eiche als Minensucher gebaut, knapp 25 Meter lang, 6,30 breit und 3 Meter tief. Sie hatte einen 180 PS Diesel im Bauch und fuhr damit 28 Jahre brav zum Fischefangen auf der Ostsee. 1972 kaufte Heinz das Schiff für 30.000 DM, übernahm den Namen und alles was an Deck und innen drin noch so rumlag und überführte das Schiff nach Bremerhaven. Dort begann er mit dem Umbau.


Der ehemalige Fischkutter Columbus

Sein Traum war, ins Chartergeschäft einzusteigen und auf dem Schiff zu leben. »Charter«, sagte er, »da wachsen die Bäume noch in den Himmel.« Mit von der Partie war Bryan, ein Schotte aus Aberdeen. Gemeinsam fingen die Freunde an, alles rauszureißen – ein Fischkutter stinkt nun mal nach Fisch – und von innen nach außen neu auf- und umzubauen. Nur Rumpf, Deck und Maschine blieben. Heinz war da unerbittlich. Was er anpackte, machte er gründlich. Er hatte auch die größere Erfahrung und den größeren Ehrgeiz. Er war schon um die halbe Welt gesegelt. Fast siebzigtausend D-Mark steckten sie in den Bau. Nicht auf einmal, drei Jahre dauerte das, die Eigenarbeit nicht mit eingerechnet. Im Herbst des dritten Jahres waren sie fertig.

Eine schöne Ketsch lag an der Pier, von dem groben Fischerkutter war nicht mehr viel zu sehen und zu riechen. Weiß wie ein Schwan, mit einem blauen Band um den Rumpf, langem Bugspriet, kräftigem Rigg und komfortabler Einrichtung. Die beiden Freunde hatten auf vieles verzichtet und auch die Freundschaft hatte einiges aushalten müssen. Aber das fertige Schiff entschädigte sie – zunächst. Im Oktober segelten sie durch die Biskaya nach Gibraltar.

Dort scheiterte das Unternehmen. Nicht an Klippen und Riffen. Sondern an den menschlichen Schwächen der beiden Unternehmer. Eine kleine Meinungsverschiedenheit ließ den Funken überspringen. Das Pulverfass stand dicht dabei, bis obenhin vollgestopft mit Versäumnissen, Ärgernissen, Sticheleien und Herabsetzungen. Die hatten sie lange ausgehalten und runtergeschluckt, dem gemeinsamen Traum zuliebe. Doch nun explodierte das Fass. Bryan, jähzornig und nicht gerade zimperlich, griff sich die größte Pfanne aus der Pantry und haute sie Heinz auf den Kopf. Dann rannte er in die »Waffenkammer«, packte die Schrotflinte und schrie: »I kill the bastard!«

Heinz floh mit einer dicken Beule am Kopf, erwischte draußen einen Bobby, ließ sich in Schutzhaft nehmen – und überlebte. Am nächsten Tag kam Bryan mit einer weißen Fahne an. Sie konnten sich arrangieren. Doch die Freundschaft war dahin. Drei Jahre gemeinsame Arbeit, gemeinsamer Traum … und dann solch ein Ende.

Ein trauriger Winter begann. Sie lebten weiterhin zusammen auf dem Schiff, einer im Bug, der andere achtern. Und gingen sich aus dem Weg.

Anzeigen wurden aufgegeben, Schiffsmakler kamen, die Columbus lag zum Verkauf an der Pier. Mitte Juli tauchte ein Holländer auf, den Sack voller Geld. Der träumte von einem besseren Leben in der Karibik und kaufte die Columbus. Heinz und Bryan teilten fifty-fifty und trennten sich.

Mitseglerin Ursula und ich erlebten den Eignerwechsel aus nächster Nähe. Schwarz-rot-gold sank (das Schiff war auf Heinz’ Namen zugelassen) und die neue Flagge Blau-weiß-rot-Karo mit zwei Sternchen (Panama) stieg empor. Steuerparadies – na bitte!

Zur Zeit der Übergabe kannten wir Heinz noch nicht, lernten ihn aber kurz darauf als einen hilfsbereiten Menschen kennen. Auf der Suche nach seinem nächsten Schiff trafen wir ihn und Gitta, seine blonde Freundin, im Hafen von Estepona, dem ersten spanischen Port of Entry nach Gibraltar. Sie waren mit einem umgebauten englischen Krankenauto als Wohnmobil unterwegs und kutschierten damit durch Südspanien – auf der Suche nach einem neuen, alten Schiff. Mit sich selbst war Heinz im Reinen »Es ist besser so«, sagte er und schmunzelte. »Partnerschaft und Schiff, das geht nur mit Gitta gut, und mit sonst niemand.«


Heinz und Gitta auf der Suche nach einem neuen Schiff

Gitta saß lächelnd neben ihm. Sie gefiel uns nicht nur als sein blonder Engel, sondern auch als seine Stimme der Vernunft. »Wir werden wieder ein Schiff haben«, sagte sie mit fester Stimme, »ein großes natürlich, mit Partner, ja – mit mir!«, sie lachte laut auf. »Heinz hat schon ein Schmuckstück im Visier, eine alte englische Kutteryacht, über 20 Meter lang – mit Badewanne und Klavier …«

Heinz grinste: »Man kommt schließlich in die Jahre, wo Komfort und Muse wichtig werden.«

08. Estepona

Aufgeschrieben von Ursula. Hier erzählt sie, wie wir beide Heinz und Gitta von der Columbus kennengelernt haben.

Kurz vor der Hafeneinfahrt machte der Kapitän den Anker klar. Vor der Mole stand leichter Schwell, im Hafen selbst war das Wasser ruhig. Ein Blick in die Runde ließ uns rasch den geeigneten Anlegeplatz finden. Am äußersten Ende der Mole zwischen einem kleinen Fischerboot und einem robusten, bunt bemalten portugiesischen Flusssegler, auf dem, wie sich herausstellte, ein ebenso buntes Völkchen ein buntes Leben führte. Ich bekam noch ein paar kurze Anweisungen: Rückwärts, ganz langsam, in die Lücke!

Inzwischen wusste ich, dass ich dabei die Pinne entgegengesetzt zur Vorwärtsfahrt halten musste. El Capitano stand am Bug, bereit zur letzten seemännischen Tat des Tages. Im rechten Moment klatschte der Stockanker ins Wasser, die Kette rasselte hinterher. Auf der Pier standen bereits zwei hilfreiche Hände – die gehörten Heinz von der Columbus aus Gibraltar. Er nahm die vom zurückgesprinteten Skipper hinübergeworfene Heckleine in Empfang und belegte sie an einem Eisenring.

Ich hüpfte zum Bug, um die Ankerkette durchzuholen. Doch ich holte und holte, einen Meter nach dem anderen, der Anker fasste nicht! Das Boot trieb langsam, vom Wind gedrückt, auf die »Bunte« zu und bummste achtern an die Pier – hätten die zwei hilfreichen Hände nicht auch zwei hilfreiche Füße gehabt, die sich kräftig gegen die stabile Holzreling stemmten und den Rumms erfolgreich verhinderten.

Inzwischen hatte sich eine stattliche Anzahl Zuschauer versammelt, unter ihnen der Polizei-Offizier mit seinem »Woher-wohin-wie-lang-wie-breit«-Papier. Auch auf der »Bunten« waren plötzlich Leute erschienen. Aber ich hatte schon abgefendert.

Nun musste schnell gehandelt und das Manöver wiederholt werden. Sehr umsichtig, wie es zunächst schien, ließ der Skipper sein Schiff an der Heckleine befestigt, gab aber viel Lose, damit sie bis zum Ende auslaufen konnte. Ich stand wieder an der Pinne, er vorne am Anker. Langsam vorwärts! Er winschte die Kette ein, hatte den Anker halb oben, da – ein Ruck! – und das Boot drehte, achtern gestoppt durch die stramm ausgelaufene Heckleine, quer in die Lücke. Das Heck schob sich zwischen Pier und das kleine Fischerboot, unser Bugspriet ragte der »Bunten« über die Reling. Die gesamte Lücke war ausgefüllt, kein Zentimeter Platz mehr, weder vorne noch achtern. Der Wind hatte geholfen, aber mit der fixierten Leine hatte es angefangen. Hallo Capitano!

Rufe, Warnungen, Aufforderungen flogen über Deck. Ich hüpfte wieder vor zum Anker, der Capitano hinten zur Pinne. Dann wieder ich zur Pinne und er zum Anker, der frei im Wasser hing. Von nun an wurde das Hin- und Her-Spiel mit großem Ernst betrieben, mal hinten, mal vorne, mal vorne, mal hinten – und das im fliegendem Wechsel. Wir begegneten uns immer wieder mit vielsagenden Mienen in der Mitte. Zwischenzeitlich stocherten wir beide, er mit dem Bootshaken achtern nach der abgetauchten Heckleine, die sich um die Schraube gewickelt hatte, so dass der Motor nicht mehr lief. Ich mit dem Besenstiel auf dem Bugspriet, um den Anker klar zum Fallen vorzubereiten. Endlich gelang es mit Heinz’ Hilfe von außen und Aufbietung artistischer Höchstleistungen aus der Querlage wieder in die richtige Position zu kommen. Die Menge an Land staunte tonlos. Erleichtert machten wir erstmal an der »Bunten« fest, verschnauften und holten den Anker kurzstag.

Jetzt sollte der Zweitanker mit dem Dingi ausgebracht werden. Das Dingi wurde an Deck losgezurrt und flog mit einem Platsch ins Wasser. Der Capitano stieg ein. Ich hievte den Zweitanker und eine lange Trosse hinterher. Weit genug voraus gerudert ging der Anker auf Grund. Da jedoch Starkwind zu befürchten war, musste auch noch der Stockanker, als Hauptanker, ins Wasser.

Schon hatte ihn der Capitano im Bootchen, um ihn so zur richtigen Position zu rudern und dort fallen zu lassen – da!, ich traute meinen Augen nicht, kippte das Bootchen, vom schweren Ankermann und vom ebenfalls schweren Anker beim Überbordwerfen einseitig belastet, um. Und riss Anker und Kapitän in die Hafenflut. Nur einer seiner schwimmenden Gummilatschen markierte die Stelle der Versenkung. Zwischen bauchoben schwimmenden toten Fischen, Bananenschalen und sonstigen Hafenbeimischungen tauchte er prustend auf – und ich glaube auch etwas wütend. Aber unverdrossen schwang er sich ins Bootchen, holte den verlorenen Stockanker hoch und begann von vorne. Von Land kamen mitleidige Blicke.

 

Vorsichtig wurde der Anker wieder ins Bootchen gewuchtet. Vorsichtiger als zuvor wollte El Capitano ihn wieder über Bord gleiten lassen ohne sich selbst zu weit vorzubeugen. Also ohne umzukippen! Das klappte. Ich konnte die Kette durchholen. Der Anker hielt!

Inzwischen hatten sich die Zuschauer verzogen – bis auf zwei Ausdauernde – Heinz mit Gitta. Auch der Polizist hatte sich mit einem »hasta luego!« verkrümelt. Ich glaube allen taten die Füße weh.

El Capitano, fest entschlossen das Werk zu Ende zu führen, kam zurück gerudert und verlangte ein Messer. Nun war nur noch die Heckleine von der Schraube zu befreien, eine Sache von einer weiteren halben Stunde. Endlich verschwand der Kapitän in der Dusche. Lange hörte ich das Wasser rauschen. Ich rauchte inzwischen die Zigarette, auf die ich bereits kurz vor der Hafeneinfahrt Lust gehabt hatte.


Mitseglerin Ursula und der Autor nach dem Anlegemanöver im Hafen von Estepona

Die Moral von der Geschicht: Verlass so schnell den Hafen nicht. Wir blieben vier Tage in Estepona und hörten von Heinz und Gitta die Columbus-Geschichte in allen Einzelheiten, über die an anderer Stelle in diesem Buch berichtet wird (siehe Seite 38). Es war ein schöner Platz.

In den folgenden zwei Jahren, die wir an Bord zusammen segelten und lebten ist uns nie wieder so ein Anfängermanöver, in Fachkreisen römisch-katholisch genannt, passiert.

09. Emilye

Als wir in Calpe an der spanischen Mittelmeerküste anlegten, lag ihre Happy Day genau neben uns. Emilye hatte Klavierspielerhände, war zierlich und gar nicht robust, aber absolut selbstsicher – eine Person, die offenbar wusste, wie sie gegen den Wind aufkreuzen musste.

Die blonde Frau in den abgeschnittenen Jeans sprang auf den Steg, nahm unsere Leinen an und belegte sie routiniert an den Pollern. Sie empfahl uns, zwei Springs auszubringen, da nachts manchmal heftige Böen vom Hinterland herunter fegen würden. Wir bedankten uns und sie sagte, wenn wir nachher Zeit hätten, könnte sie uns das Procedere mit den Behörden erklären. So lernten wir sie kennen und saßen abwechselnd mal bei ihr, mal bei uns an Bord und erzählten uns Geschichten. Ihre ging so:

Zusammen mit ihrem Mann Frank war sie vor vier Jahren von Montreal aus zu einer Weltumseglung aufgebrochen. Sie hatten hart gearbeitet und mit ihrer Eventagentur so viel verdient, dass es zu einem mehrjährigen Sabbatical einmal rund um die Welt reichen würde. Zunächst überquerten sie den Atlantik von West nach Ost, segelten bis nach St. Petersburg und besuchten Schweden, Norwegen und die baltischen Länder; Dänemark und Holland gefielen ihnen besonders.

In Frankreich angekommen ereilte sie eine schlechte Nachricht: Frank war an Krebs erkrankt. Sie ließen das Boot in La Rochelle bei einer Werft liegen und flogen nach Quebec zurück. Franks Kampf gegen den Krebs dauerte nur ein Jahr, dann verlor er ihn. Kurz vor seinem Tod bat er seine Frau, ihre gemeinsame Reise mit der Happy Day in seinem Sinn fortzuführen und zu vollenden. Emilye besaß alle Patente; die gemeinsam erlebten zweieinhalb Jahre auf dem Boot konnten von großem Nutzen für ihre weitere Soloreise sein. Im Salon hing ein gerahmtes Foto an der Wand: Frank und Emilye im Cockpit der Happy Day, strahlend, eng nebeneinander. »Er ist immer mit dabei, wo ich auch hinkomme«, sagte sie.

Der Törn um die Welt war sein Jugendtraum. »Er sprach schon davon, als wir uns kennenlernten.« Langsam habe auch sie sich mit dem Plan angefreundet. Zuerst segelten sie an der Baie de Beauport bei Quebec mit einer Jolle, später mit einer 8-Meter-Slup auf dem St. Lawrence River. Die stählerne Happy Day war auf einer Werft nach ihren Vorstellungen gebaut worden. Das Revier um die Prince Edward Island sei jahrelang ihr Lieblingsrevier gewesen. Die vielen Buchten und kleinen Häfen und all die Inseln rundherum, »really beautiful!« Sie strahlte. »Wenn ich zurückkomme, werde ich mich dort niederlassen, mit der Happy Day vor der Türe.«

Wie sie das aushalte allein auf dem Boot, mit all den Erinnerungen an die gemeinsame Zeit, wollten wir wissen. »Am Anfang, als ich nach La Rochelle zum Schiff zurückkam und mich alleine einrichten musste, war das extrem schwer. Da hab’ ich mich oft unter Tränen gefragt, ob ich das wirklich schaffe, ja, ob ich das wirklich will. Aber ich hatte es ihm am Krankenbett versprochen, seine Augen leuchteten so dankbar, er hat mir geglaubt. Ich muss mein Versprechen einlösen«, sagte sie und wirkte dabei ganz cool.

Es gefiel uns, dass Emilye nicht auf die Idee kam, dem Schicksal Vorwürfe zu machen, sie stellte sich einfach ganz selbstverständlich der Herausforderung. »Ich durfte keine Schwäche zeigen«, sagte sie »und habe deshalb keine Emotionen zugelassen. Ich konnte den Freunden, die mich bedauerten und mir ihre Ratschläge mitgaben, nicht zeigen, wie es wirklich um mich stand. Innerlich war ich natürlich schon bereit, in die Arme genommen zu werden. In solchen Situationen sucht man eine starke Schulter zum Anlehnen. Aber das konnte und durfte nicht sein.«

Emilye ließ den Kopf nicht hängen und lernte eine »Lass-dich-nicht-unterkriegen-Person« zu werden. »Mein Motto war …«, lächelte sie leise: »… was mich nicht umbringt, macht mich stärker.« Nur nicht in eine Depression abrutschen, habe sie sich wie ein Mantra immer wieder in Erinnerung gerufen.

Angst spiele schon auch eine Rolle. Nicht die Angst vor dem Meer, damit würde sie klar kommen – sondern Angst vor den Gefahren in den Häfen, die sie unterwegs immer wieder anlaufen würde. Der Umgang mit Menschen in den meist männerdominierten Ländern, dem Orient, dem fernen Osten, den fremden Religionen, den anderen Kulturen. Sie habe sich deshalb eine sichtbare Portion Selbstbewusstsein zugelegt, um so als kalt wahrgenommen zu werden. »Selbstbewusstsein als Schutzschild, damit werde ich es schaffen.« Davon war sie fest überzeugt.

Ob sie nicht daran gedacht habe, eine Freundin oder einen Partner, aufs Boot zu holen, mit der oder dem zusammen es ihr leichter gefallen wäre, ihr Versprechen Frank gegenüber, einzulösen. »Nein«, sie schüttelte den Kopf, »daran habe ich nie gedacht. Diese Reise mache ich alleine für ihn und für mich. Da hat niemand anderes etwas mit zu tun!«

Sie sehe schon ein, sagte sie ein anderes Mal, dass sie nicht übers Ziel hinausschießen und sich in ihrer Verpflichtung und in ihrem Unabhängigkeitsstreben nicht verrennen dürfe, das hätte Frank auch nicht gewollt. »Aber ich habe ein Versprechen gegeben und das werde ich einlösen. Ich bin nicht sehr gläubig, doch ich spüre eine Kraft in mir, die mir helfen wird, diese Aufgabe zu schaffen.«

Beim Abschied auf der Pier drückte sie uns einen Zettel in die Hand. Als die Happy Day hinter der Mole verschwunden war und wir nur noch die Mastspitze im leichten Schwell hin- und herschaukeln sahen, schauten wir auf den Zettel und lasen diese Zeilen aus einem uns unbekannten Gedicht:

Starke Frauen weinen nicht / Man kann sie nicht verletzen / Sie werden Tränen im Gesicht / durch Entschlossenheit ersetzen.


Starke Frauen weinen nicht …

10. Hunter

Sie hieß Caroline, er Hunter. Ich traf sie in der Marina Porto d‘Andratx auf Mallorca. Es war der erste Regentag seit Mai, die Wolken hingen tief über der Bucht, es tropfte und alles war klamm. Die rote Flagge mit dem kanadischen Ahornblatt hing schlaff und nass am Achterstag. Niemand war zu sehen. Kaum hatte ich die Leinen belegt, verzog ich mich unter Deck und kochte Tee.

Am nächsten Morgen weckte mich strahlender Sonnenschein. Frühstück an Deck, anschließend Anmelden im Marinabüro. Ich wollte eine Woche bleiben, bis das Päckchen mit dem Ersatzteil für die Heizung eingetroffen war. Dann wollte ich noch ein wenig in den Herbst hinein segeln und die hoffentlich letzten Sonnentage genießen. Und vor allem in dem noch sommerwarmen Meer in den Buchten baden.

Vor mir am Büro-Tresen stand ein kleiner Mann, der ein sehr melodiös klingendes Englisch sprach, das in deutlichem Gegensatz zu seinem Äußeren stand. Sein ehemals dunkelblauer Sweater war ausgebleicht und hing schlapp von seinen Schultern über seiner ausgewaschenen grauen Hose, die mit einem Gummiband um den Bauch gehalten wurde. Die Slipper an seinen nackten Füßen waren früher wohl mal weiß gewesen, jetzt sahen sie mehr nach dem Ende eines langen Slipperlebens aus. Sein Haar war kurz geschnitten, sein faltiges Gesicht unrasiert, der den Hals umschließende Hemdkragen krumpelig und verschlissen. Das Gesicht war im Gegensatz zum übrigen Erscheinungsbild hell und erstaunlich frisch.

»I need your help«, sprach er zu dem Mädchen hinter dem Tresen. Er könne heute die Liegegebühren noch nicht bezahlen, aber morgen, ganz sicher, er erwarte eine Überweisung aus Postville in Canada. Das Mädchen blickte mit großen Augen von einem Formular auf, das vor ihr lag und sagte in einem in spanischem Stakkato perlendem Englisch: »Yes Sir, but we wait already since three weeks« – sie würden jetzt schon seit drei Wochen darauf warten.

Der kleine Mann drehte sich nach mir um, sah mir kurz in die Augen und schüttelte seinen Kopf. Was sind die ungeduldig hier, meinte er und wandte sich wieder der hübschen Marina-Angestellten zu. Nur einen Tag noch, dann werde er bezahlen. »Please, believe me.«

Er verließ das Büro und schlurfte über den gefliesten Boden. Ich sah ihm nach und beobachtete, wie er zu unserem Steg lief und in dem vor uns festgemachten Boot mit der kanadischen Flagge verschwand. Ich füllte unseren Liegeplatz-Antrag aus und zahlte die Gebühr im Voraus. Dann ging ich zu unserem Boot zurück.

Als ich über die Reling stieg, tauchte der Mann im Cockpit der kleinen Yacht auf. Er hatte eine geöffnete Dose in der Hand und in der anderen einen Futternapf. Eine rotbraune Katze und eine tiefschwarze kamen hinter ihm her und stürzten sich auf den Napf, den der Mann im Cockpit abgestellt und in den er den Inhalt der Dose entleert hatte. Er beobachtete, wie die beiden Katzen, sich gegenseitig vom Napf wegdrängend, die Fleischklößchen gierig verschlangen. Dazu schnurrte er seltsame Laute, wie um die Katzen bei ihrer Fressorgie akustisch zu begleiten.

Als er kurz aufblickte, sah er mich und nickte. Ich rief hinüber, dass ich das spannend fände, wie die Katzen sich über die Mahlzeit hermachten. Ja, meinte er, die zwei hätten sie in Palma halbverhungert aufgegriffen. Ob ich Katzen möge? Er heiße übrigens Hunter und seine Freundin, die noch schliefe, sei Caroline. Nach vier Jahren Mittelmeer seien sie auf dem Weg zurück nach Canada. In ein, zwei Wochen würden sie aufbrechen, wenn bis dahin die Route über den Atlantik im November sturmfrei sei.

Ich sagte, ich sei jetzt alleine auf meinem Boot, meine Freundin sei zu ihrer kranken Mutter nach Hause gereist. Ich bliebe im Winter hier auf der Insel, wolle aber noch ein wenig den Herbst genießen. Damit war unser Gespräch beendet. Er verschwand unter Deck. Ich prüfte meine Leinen, setzte mich ins Cockpit und überlegte, welche Arbeit am Boot für heute vorgesehen war.

Kurz darauf sah ich Caroline an Land steigen. Sie war schlank, fast zu schlank, hoffentlich nicht magersüchtig. Die leicht strähnigen Haare hingen ihr bis auf die Schultern, das Gesicht war blass, Pullover und Hose waren ähnlich abgetragen wie Hunters Klamotten. Sie trug einen Rucksack auf dem Rücken und kam auf mich zu.

Hi, sagte sie und stellte sich vor. Sie wolle zum Supermercado Katzenfutter kaufen, ob ich etwas brauche. Ich bedankte mich und sagte, ich würde nachher sowieso einkaufen gehen. Irgendwie machte sie einen seltsamen Eindruck auf mich. Etwas scheu einerseits, andererseits fand ich es verblüffend, dass sie mir gleich bei der ersten Begegnung ihre Hilfe angeboten hatte. Hunter war ganz sicher ein kauziger Typ, sie schien mir aber auch irgendwie kurios. Die beiden passten, so schien es mir, schrullig-seltsam zusammen.

Am frühen Abend kurz nach Sonnenuntergang – ich saß noch im Cockpit und hatte gerade das Seehandbuch zugeklappt, in dem ich über die bei Südwind offenen Buchten rund um Mallorca gelesen hatte – da tauchte Hunter im Cockpit auf. Aber wie verändert war er jetzt! Statt zerschlissenem Sweater und Trainingshose hatte er einen schwarzen Anzug an, auf dem strahlend weißen Hemd prangte eine silbern leuchtende Fliege und die Schuhe glänzten hochpoliert. Sein Gesicht war glatt rasiert und seine Haare mit Pomade fest an die Schläfen getrimmt. Mit einem kleinen Lächeln nickte er mir zu und verschwand in Richtung Ausgang.

 

Oh là là, dachte ich, was ist das denn für eine Maskerade! Ich huschte über den Steg hinter ihm her und sah gerade noch im Halbdunkel, wie er in ein Taxi stieg, das vor dem Marina-Tor offenbar auf ihn gewartet hatte und nun mit ihm verschwand. Heute Morgen hatte er kein Geld gehabt, um die Marina zu bezahlen. Jetzt kam er quasi im Smoking daher und fuhr mit einem Taxi davon. Seltsame Geschichte. Ich schlenderte zum Anleger zurück und dachte über das soeben Gesehene nach.

Im Cockpit des kleinen Bootes saß Caroline im selben Outfit wie am Morgen. Sie hatte sicher beobachtet, wie ich hinter Hunter hergelaufen war und schaute mich jetzt mit leicht trüben, aber neugierigen Augen an.

»You wonder about him«, sie kicherte – Du wunderst dich über ihn.

»Ja,« sagte ich, »was macht er da?«

Er sei Croupier in einem Spielcasino auf Ibiza gewesen, erklärte sie zögernd, da hätten sie ihn rausgeschmissen, weil er selbst gespielt habe, heimlich, nach dem Job. Sie verstummte und stöhnte leicht. »Heut‘ Abend ist er Aushilfs-Croupier drüben im Casino Club. Er hat geschworen, nie wieder zu spielen. Aber die Verführung ist groß, ich bin nicht sicher …!« Sie schaute mich energielos an. »Wir müssen bald los, aber vorher noch unsere Marinagebühr bezahlen. Je länger wir bleiben, desto teurer wird es. Und Aushilfs-Croupier kann er nur manchmal sein, wenn einer der Croupiers ausfällt. Die im Büro hier wissen das, und lassen uns noch ungeschoren. Aber wie lange noch?« Ihre Stimme klang verzweifelt.

Was sollte ich antworten? Ich hörte stumm zu, nickte ab und zu verständnisvoll und wünschte, ich hätte mich nie mit den beiden eingelassen. Aussteiger in Not waren mir in letzter Zeit öfter begegnet. Meist segelten sie ohne genügend Reserven los und hofften, unterwegs irgendetwas arbeiten zu können. Aber das funktionierte nicht mehr so gut. Die Arbeitslosigkeit bei jungen Menschen in den südlichen Küstenländern war immer größer geworden. Das war auch der Grund, weshalb Caroline keinen Job fand. »Nicht mal als Putzfrau kann ich hier arbeiten!« Sie war ausgebildete Psychotherapeutin.

Zwei Tage später gab es große Aufregung am Steg. Der Marina-Chef kam mit zwei Mitarbeitern. Es wurde heftig hin und her diskutiert. Offenbar hatte Hunter den größten Teil der Marinagebühr bezahlt, aber es fehlte immer noch ein kleiner Betrag. Der Marinaboss brüllte: »Der da!« – dabei zeigte er auf Hunter – könne nicht einfach so abhauen, er werde die Polizei holen.

Hunter rief, er werde ganz bestimmt zahlen, von unterwegs überweisen. Er warte auf einen größeren Betrag aus Quebec. Der Marina-Boss antwortete böse, darauf warteten sie schon lange, das sei doch bloß ein leeres Versprechen. Schließlich kam Caroline mit einigen Geldscheinen in der Hand den Niedergang herauf und drückte sie dem Marina-Boss in die Hand. »Okay«, sagte sie, »that’s my last private money ever.« Sie schluchzte und verschwand blass im Boot.

Der Marina-Chef und seine Mitarbeiter zogen ab. Hunter schaute wirr umher und startete den Motor. »Wohin?«, fragte jemand von einer anderen Yacht, der neugierig dabei stand. »Canarien Island and Canada«, Hunter schluckte und löste die Achterleine – in diesem Moment kam Caroline von unten hochgeschossen. Sie hatte die pechschwarze Katze im Arm und drückte sie mir an die Brust. »Please, wir können nicht beide durchfüttern …«

Hunter hatte bereits die auf Slip liegende Vorderleine durchgezogen und war ins Cockpit gesaust. Der Motor heulte auf, das Boot kam in Fahrt und fuhr in Richtung Ausfahrt. Ich stand da mit der sich aufbäumenden Katze im Arm und war sprachlos. Caroline winkte und weinte. Mechanisch und ziemlich hilflos winkte ich zurück. Hunter blickte starr geradeaus. Zwei Minuten später waren sie hinter der Mole verschwunden.

Der Kater – ich nannte ihn »Hunter« – freundete sich nur langsam mit mir an. Gleich zu Beginn unserer Beziehung setzte er einen stinkenden Haufen auf meine Koje. Als er jedoch begann, mir jeden Morgen einen toten Vogel vor die Niedergangstüre zu legen, war ich überzeugt, er habe die kleine Yacht vergessen und sich an mich gewöhnt. Da es mir aber nicht gelingen wollte, ihm die Beweise seiner Zuneigung als nicht nötig auszureden, nahm ich ihn mit ins Ferienhaus in Santa Eugenia in der Mitte der Insel, wo eine befreundete Familie mit zwei Kindern ihren Urlaub verbrachten. Die Kinder und Hunter wurden schnell dicke Freunde. Und eigenartigerweise verzichtete Hunter ab sofort auf die Opfergaben am Morgen. Wahrscheinlich, weil er merkte, dass er auch ohne sie geliebt wurde.


Thema mit Sprengkraft: Katze an Bord

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