Tanjas Feuersturm

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Staalman und Peters waren sich einig: Brandstiftung ist das Letzte. Solche Untat ist durch nichts, aber auch durch gar nichts, entschuldbar!

Herkules indes wandte intensiv Trick siebzehn an, was der lieben Jacky nicht verborgen blieb. Denn letztlich war sie es, die ihn mit schmachtenden Blicken und gekonntem Wimpernklimpern, zum Ungehorsam animierte. Damit sein Tun nicht auffiel, robbte er sich im Zeitlupentempo, Stück für Stück, zu seiner Herzallerliebsten vor. Als Jacky mitbekam, wie leicht das ging, probierte auch sie es, sich bäuchlings, mittels robbenartiger Bewegung, ihrem Verehrer zu nähern. Einmal Nase an Nase, voller Inbrunst, mit diesem schwarzen Deubel schnüffeln zu können, dafür lohnte sich ihrer Meinung nach dieser Aufwand. Herkules war gespannt. Ob das Prachtweib wohl den besagten Tanga trug? Eher nicht, glaubte er zu wissen; ansonsten würde er es geschnüffelt haben. Also bestand heute eine reelle Chance, einmal ihre Schnalle in Augenschein nehmen zu können.

Das beflügelte ihn, einen Zahn zuzulegen, um schneller ans Ziel zu gelangen. Mittlerweile trennten die beiden nur noch gut zwei Hundelängen voneinander. Jeweils noch einen Ruck voran und die Nasen fänden zueinander! Zum Leidwesen von Jacky hielt sich die Begrüßung des Rottweilers in Grenzen. Ein kurzes Anstupsen, ihrer äußerst hübsch anzusehenden Hundeschnauze, sollte vorerst ausreichend sein. Der Draufgänger gedachte endlich die wesentlichen Dinge der jungfräulichen Hündin zu beäugen. Als Herkules jedoch versuchte, seinen wuchtigen Schädel unter dem Bauch der Auserwählten zu schieben, um eine erste Schnupperprobe zu nehmen, eskalierte das Wagnis „Annäherung“. Jacky sprang auf, fletschte ihr perlweißes Gebiss und setzte alles dran, diesen Grobian eines seiner Ohren zu berauben. Dabei knurrte sie: So haben wir nicht gewettet, Alter. Etwas mehr Feingefühl hätte ich von dir schon erwartet; und bekräftigte ihr Missfallen mit unheilvollem Bellen. Erschrocken griff Staalman nach der Hundeleine, die er sich leichtsinnigerweise, gelockert, zu Füßen gelegt hatte. Geistesgegenwärtig riss er seine Hündin zurück. Dem Rottweiler, dem durch sein ungestümes Vorgehen eine gewisse Unreife, in Sachen Liebe, vorgehalten werden musste, war die Lust auf sexuelle Spielchen eh vergangen. Frustriert zog er den Schwanz ein. Mitleiderheischend trottete er gemächlich von dannen. Jedenfalls von seinem Frauchen hätte er ein gewisses Mitgefühl erwartet. Von der gab es stattdessen ein Donnerwetter, welches sich gewaschen hatte. Das verstand, wer will. Herkules augenscheinlich nicht. Der Hund fand nach wie vor, nichts Böses getan zu haben! Aufgrund dessen missachtete er gegenwärtig die ganze Mischpoke „Mensch“. Erhobenen Hauptes huschte er ins Haus. Dort haute er sich auf sein Lager, rollte sich ein, wie ein schutzbedürftiger Embryo im Mutterleib, um mit dem Schicksal zu hadern. Von der Liebsten derart infam abgewiesen worden zu sein, wo er doch einfach nur hat schnüffeln wollen, das habe er seiner Meinung nach nicht verdient! Nachsichtig gegenüber seinem Rüden, zeigte sich Peters! Das durfte er sich jedoch nicht anmerken lassen, ansonsten stünde es jetzt wohl drei zu eins, gegen ihn! Somit gab er sich gekonnt entrüstet und entschuldigte sich formvollendet, für das frevelhafte Verhalten seines liebestollen Vierbeiners, bei seinem Grenznachbarn. Dessen Reaktion wiederum war irgendwie nicht nachvollziehbar. Der Anrainer äußerte: „Was soll’s Peters. Benehmen wir Kerle uns nicht auch so manches Mal, dem weiblichen Geschlecht gegenüber, tierisch daneben?“

Hubert musste passen. Sollte er Staalman etwa verkannt haben? Steckte hinter diesem Landwirt etwa ein Wolf im Schafspelz? Wie dem auch sei: Solange er seine Sonja außen vor ließe könne er machen, was immer er wolle, schließlich sei er ein eigenständiger Mensch. Deshalb antwortete Hubert diesem Klugschnacker – ebenfalls ein bisschen dick aufgetragen: „Nun ja, mein Guter, solange diese Mannsbilder fit im Schritt sind, bedarf es keiner zwei Meinungen.“

Damit dürfte Hubert den Nagel auf den Kopf getroffen haben. Luis Staalman begriff! Er versuchte auch gar nicht erst sich großartig rauszureden. Kleinlaut bekundete er: „War blöd von mir, dass ich mich, im Beisein Ihrer Gattin, zu so einer unangebrachten Äußerung habe hinreißen lassen!“

„Lassen Sie’s gut sein, Luis. Jeder von uns tritt einmal ungewollt ins Fettnäpfchen. Meine Frau und ich, wir sind keineswegs nachtragend –, nicht wahr, Schatz?“

Sonja schaute erstaunt auf die beiden – nicht wissend, um was es überhaupt ging! Deshalb winkte sie einfach mit der Hand ab, in der Hoffnung, Staalman betrachtete diesen Wink als Abschiedsgruß, denn es gab noch eine Menge zu erledigen, bevor es Feierabend für sie wurde. Von Peters zu Jacky schauend, zog der Jungbauer die Konsequenz aus Sonjas versteckter Bitte, sich endlich rar zu machen. „Ich glaube wir sollten uns langsam auf die Socken machen, findest du nicht, Jacky?“

„Wenn Sie meinen, gehen zu müssen, wäre es unfair, Sie daran zu hindern“, vollendete Hubert den diskreten Hinweis seiner Gattin, denn auch er gedachte, sich noch nützlich zu machen. Auch Jacky schien nichts mehr zu halten. Permanent zerrte die Hündin an der Leine, um ihr Begehren, auf der hauseigenen Koppel noch etwas toben zu dürfen, Nachdruck zu verleihen.

„Na denn, man sieht sich!“ Mit diesem Gruß beendete Staalman das nachbarliche Zusammentreffen, dem Hubert noch hinzufügte: „Hoffentlich unter angenehmeren Aspekten“, wobei er die Pforte öffnete, um den Besuch zu verabschieden.

Die Fahrbahn der Lindenallee, mit prüfendem Blick nach links und rechts in Augenschein nehmend, überquerten Hund und Herrchen, unbeschadet, die Straße. Auf dem Grünstreifen der gegenüberliegenden Seite hockte sich die Schäferhündin ins Gras. Dort erledigte die weiße Lady ihr großes und kleines Geschäft, um endlich mit dem vor einer guten Stunde begonnenen Lauf-Training fortfahren zu dürfen.

„Nicht so ungeduldig, Schätzchen. Ich mach dich ja schon los.“ Kaum hatte der Bauer den Karabiner ausgeklinkt, schwups gab die Hündin Fersengeld; ihr hinterher zu sehen, eine Augenweide! Aristokratisch, wie eine Gazelle, überquerte sie das Weideland, als ginge es darum, bereits den Lorbeerkranz entgegennehmen zu dürfen! Jacky nahm, anders als Herkules, an dem alljährlich stattfindenden Hundewettrennen teil, das vom Verein der Hundefreunde ins Leben gerufen wurde. Im letzten Jahr belegte die Hündin nach dem hochnäsigen Afghanen, der den ersten Platz eroberte, immerhin Rang zwei. Von da an fand der Rottweiler dieses Hundetier noch affektierter. Da konnte er nun mal nicht mithalten! Egal … Er, der Haus- und Hofwächter, war stolz auf seinen stämmigen Körperbau – der, bei genauerem Betrachten, schon furchteinflößend wirkte! Seine augenscheinlich träge Bewegungsweise spielte eine gewisse Rolle dabei, dass er den Laufsport für sich als ungeeignet einstufte. Seines Ermessens nach wirkte es plump, wenn er rannte. Deshalb jagte er lieber den Dorfteich-Enten hinterher. Schwimmen, diese Sportart sagte ihm mehr zu! Manches Mal bedauerte er es, nicht Seehund geworden zu sein. Davon träumte er gegenwärtig. Herkules hatte nicht vor, seine Lagerstatt nochmals zu verlassen. Schließlich wurde es langsam Abend, und den gedachte er, wie immer, geruhsam zu verbringen. Es sei denn, Herrchen bestand darauf, ihm, bei seinem allabendlichen Spaziergang dabei haben zu wollen. Er würde sehen. Erst einmal jedenfalls war Müßiggang angesagt. Tief und fest schnaufend, verabschiedete er sich vom Seehund-Dasein und widmete sich weiter träumend dem Schuppen, um dort sein Kleinod, den Handschuh, zu bewachen.

Viel Lust, sich weiter zu verausgaben, verspürte auch Hubert nicht. Er packte zusammen. Schließlich habe er morgen den ganzen Tag Zeit zum Weitermachen, da seine Frau zur Arbeit musste. Außerdem würde es nichts schaden, wenn er das Abendbrot vorbereitete, da Sonja noch fleißig am Bügeln war.

„Ich bin’s, Schatz. Ich habe Feierabend gemacht. Mir langt es für heute. Was denkst du, wie lange brauchst du noch?“

„Nicht mehr lange, Hubert. Es wäre lieb von dir, wenn du dich derweil in der Küche nützlich machen würdest. Ich bekomme allmählich Hunger. Die Omelette waren zwar lecker, hielten aber nicht lange vor!“

„Mit deinem Vorschlag, mich in der Küche nützlich zu mache, spielte ich bereits, Sonja. Damit bewahrheitet sich einmal mehr der Ausspruch: zwei Seelen, ein Gedanke! Ich wasche mir nur schnell die Hände, dann lege ich los. Hast du einen speziellen Wusch, oder soll ich machen, wie ich denke?“

„Mach, wie du denkst, Hubert. Hauptsache wir bekommen etwas Nahrhaftes zwischen die Zähne – und vergiss Herkules nicht!“

„Dieser Knaller pennt schon wieder“, unkte Peters. „Seine Wasserschüssel ist noch gefüllt, und der Kauknochen, den du ihm hingelegt hast, nach wie vor unberührt! Das spricht für sich. Unser Hundesohn scheint wunschlos glücklich. Sollte er ein Bedürfnis verspüren, wird er sich schon melden. Wecken werde ich das Tier jedenfalls nicht – und nach draußen zieht mich ebenfalls so schnell nichts mehr. Was wir zwei jetzt gebrauchen, Sonja, ist einzig Ruhe, Ruhe, und nochmals Ruhe! Und jetzt begebe ich mich in die Küche, bereite uns eine illustrierte Brotplatte, mit allem, was das Herz begehrt. Ein Gläschen Wein dazu könnte kaum schaden. Dann machen wir es uns auf dem Sofa, vor der Flimmerkiste, so richtig kuschelig. Was hältst du davon?“

„Genehmigt, Hubert. Und nun sieh zu …, mach dich ans Werk, bevor ich den Hungertod sterbe.“

Dieser Abend wurde richtiggehend anheimelnd. Ganz so, wie ihn die Eheleute sich erträumt hatten. Ohne lärmende Jugendliche, geschweige denn Sirenengeheul. Einfach mal untätig sein. Muße zu haben, zählte für sie doppelt, da selbst Herkules sie an diesem Abend in keinster Weise mehr belästigte. Dafür forderte er seinem Herrchen, am anderen Morgen, eine Menge ab. Statt wie üblich, gegen sechs Uhr, machte er sich bereits um fünf Uhr zum erstem Mal bemerkbar. Unruhig rannte auf dem Flur hin und her, da er ein dringendes Bedürfnis verspürte, welches sich offensichtlich nicht weiter hinauszögern ließ. Peters zog seinen Bademantel über und begleitete seinen Liebling durch die Terrassentür, hinaus in den Garten. Der Mond stand noch voll am Himmel – und eine Handvoll Sterne leistete ihm Gesellschaft. Bei diesem Natur-Phänomen fiel es Hubert deshalb nicht allzu schwer, sich mit der Morgenfrische anzufreunden. Ohnehin schien es ein schöner Tag zu werden. Peters wandte seinen Blick vom Himmelszelt ab und hielt Ausschau nach Herkules, den er trotz seines dunklen Fells gut ausmachen konnte, da der Mond auch die Ecke des Komposthaufens gut ausleuchtete. „Was ist, du alte Ratte, willst du nicht endlich antraben? Mir wird langsam kühl.“ Der Rottweiler fühlte sich nicht angesprochen, sondern drehte sich nochmals um die eigene Achse und ließ sich erneut nieder. „Nicht auch das noch. Das hat uns gerade noch gefehlt“, brummte Peters – seine gute Laune postwendend schwindend – vor sich her. Der Rottweiler hatte Durchfall. Hubert wusste, was das bedeutete: Sein Rüde litt, unter diesen Beschwerden, genau wie ein Mensch. Wo er sich diese krankmachenden Keime aufgegabelt haben könnte, das entzog sich seiner Kenntnis. Etwa bei Jacky? Ach was, alter Narr, das kann nicht sein, die kesse Jacky war mopsfiedel! Herkules hingegen erschien mir gestern schon irgendwie angeschlagen, weshalb sonst verschmähte er seinen geliebten Kauknochen? Waren die Fleischabfälle, die er mittags bekam, vielleicht nicht ganz koscher? Fragen über Fragen wanderten dem besorgten Hundehalter durch den Kopf, nur fand er keine Antwort darauf. Ermattet trabte Herkules an. Dankbar nahm er die mitfühlenden Streicheleinheiten seitens Huberts entgegen, schlappte kräftig aus der auf dem Vorbau stehenden Wasserschüssel und trollte sich in Richtung Flur. Dort besah er angewidert den Kauknochen und verkroch sich auf seine Lagerstatt. Hubert schloss besorgt die Terrassentür, begab sich ins Schlafzimmer und weckte seine Frau. Sonja brauchte morgens ihre Zeit. Erst recht wenn sie auf Arbeit musste. Peters vermied es bewusst sie mit dem Unwohlsein des Hundes zu konfrontieren. Er wollte sie nicht unnötig damit belasten – und am Abend könnte alles bereits anders aussehen. Hubert verabschiedete seine Frau wie immer, mit einem verbindlichen Schmatz auf die Wange, wünschte ihr einen schönen Tag und meinte: „Bis später, Liebling … Und stress dich nicht übermäßig.“

 

„Das tue ich doch nie, Hubert. Du weißt doch. Die Arbeit bereitet mir Freude! Zudem sind alle Kollegen lieb und nett zu mir. Außerdem bringe ich eine Menge Neuigkeiten mit, auch wenn diese unerfreulicher Natur sind.“ Inzwischen hatte sie den Carport erreicht, winkte noch einmal, bestieg ihren silberfarbenen Honda und fuhr vom Hof. Nun machte sich auch Peters zurecht. Ging Sonja auf Arbeit, überließ er ihr vorzugsweise das Bad zuerst, damit sich beide nicht in die Quere kamen. Herkules gedachte er vorerst nicht am Rad laufen zu lassen, damit er keine zusätzlichen Kraftreserven verpulverte. Wenn, dann kam höchstens ein kleiner Spaziergang in Betracht, ansonsten stünde es dem Tier frei, ihm bei seiner Malerarbeit Gesellschaft zu leisten, oder aber seinen Beobachtungsposten an der Gartenpforte zu beziehen. An diesem Tag war dem Frührentner alles recht. Die Gesundheit seines Vierbeiners genoss Vorrang! Deshalb wechselte Hubert auch vorsorglich das Wasser in den Wasserschüsseln, bevor er sich der noch unfertigen Malerarbeit, der Umzäunung durch seine Hände Arbeit zu neuem Glanz zu verhelfen, widmete. Inständig wünschte er sich, durch niemandem dabei gestört zu werden. Er hatte es sich zum Ziel gesetzt, sobald Sonja heimkam, hiermit fertig zu sein!

Das Wetter war gut. Der erkrankte Rüde musste auch nicht mehr allzuoft die Hunde-Latrine aufsuchen; also sprach nichts dagegen, an der sich selbst gesetzten Vorgabe festhalten zu können. Fröhlich pfeifend begann er den ersten Pinselstrich auszuführen, als er jäh unterbrach. Ein ihm nicht unbekanntes Krakeelen, vermischt mit schrill hallendem Klingelgerassel, näherte sich seinem Zuhause. Erbost rannte er zum Gartentor, an dem Herkules trotz seines Unwohlseins bereits präsent war, um die Störenfriede zu verbellen. Vergebens versuchte Peters sich durch Zurufe Gehör zu verschaffen. Er hatte vor die Jugendlichen auf ihr unmögliches Benehmen hinzuweisen. Leider endete sein Versuch damit, dass er auf das Übelste beschimpft wurde.

„Halts Maul, alter Tattergreis. Hüpf doch in die Kiste, wenn du nicht mehr in diese Welt passt. Deinen Köter solltest du gleich mit einsargen lassen. Glaube ja nicht, dass wir uns vor dieser Ratte fürchten.“ Alles lief derart schnell ab, dass Peters nicht in der Lage war, den Pöbelnden etwas entgegenzusetzen. Einzig, er war geschockt! Soviel Bösartigkeit auf Schlag, die galt es erst einmal zu verdauen! Resigniert hockte sich Hubert auf die Bank, zu der ihm die treue Hundeseele folgte. Sich bei seinem Tier über diese abgrundtiefe Gefühlsrohheit der Rüpel, beklagend, fasste er den Entschluss, die Bande, im Wiederholungsfall, einfach zu ignorieren! Das, so meinte er, sei allemal schonender für seine Nerven. Offenkundig registrierte der Frührentner dieses Mal trotz allem, dass die Clique aus drei Jungs und einem Mädchen bestand. Vom Äußeren her hinterließen diese Flegel einen stinknormalen Eindruck. Dass diese Gören ein schlechtes Elternhaus haben könnten, schloss Peters daher aus. „Was mag nur in sie gefahren sein, sich so provozierend zu geben?“ Diese Frage stellte sich der fleißige Kleingrundbesitzer gewiss zu Recht. Grübelnd erhob er sich und setzte er die begonnene Arbeit fort.

Die Jugendlichen hingegen, machten sich über ihr Treiben keinen Kopf. Das Gegenteil war der Fall. Auf dem nahegelegenen Kinderspielplatz, im beschaulichen Örtchen Neuendorf, hielten sie mit quietschenden Reifen an, um diesen einer Musterung zu unterziehen. Geert, ein schlanker, durchtrainierter Strolch von fünfzehn Jahren, sprang elegant über den Lenker seines Rades, schmiss dieses in die Hecke, und schrie: „Auf geht’s, Leute! Mir nach …“, rannte zum Papierkorb und traktierte diesen mit seinen Füßen. Das tat er mit einer Wonne, als bolzte er auf einem Fußballplatz. Plötzlich riss er den Behälter aus seiner Verankerung und verteilte den sich darin befindlichen Müll in die Sandkiste. „Fang, Linus“, mit diesen Worten schmiss er den Blechbehälter seinem Gegenüber zu, der dem blonden Randalierer, Geert, bewundernd Beifall zollte. Linus blieb nichts anderes übrig, als den Behälter aufzufangen. Unter tosendem Gejohle machte der Papierkorb dann weiter die Runde. Geert indes widmete sich dem Lauf-Rondell. Gekonnt verknotete er alle vier Schwingen miteinander sodass das Gerät, für kleine Kinder, nicht mehr einsatzbereit war. Den Versuch, die Rutsche zu viert aus der Verankerung zu reißen, scheiterte dennoch. Dafür gelang es den Randalieren die oberen Haltegriffe, durch Verbiegen, in die Knie zu zwingen.

„Aufsatteln …, alles stehen und liegenlassen“, brüllte die sechzehnjährige, rotblonde Tanja, die einen ganz erheblichen Einfluss auf die drei Jungs ausübte. Tanja agierte gewissermaßen als Gangsterbraut. Sie hatte es drauf, Linus, Geert und den etwas dicklichen Timo, der vor Kurzem gerademal vierzehn Jahre alt geworden war, zu gängeln. Linus, dreizehn, etwas zurückgeblieben von der Reife her, maulte: „Jetzt, wo’s anfängt richtig Spaß zu machen, sollen wir abziehen? Ohne mich, du blöde Kuh.“

„Dann lass dich doch von den Bullen am Arsch kriegen, Vollidiot.“ Was Linus nicht mitbekam, war der Streifenwagen den Tanja entdeckte. Dieser aus einer leichten Kurve kommend, allerdings noch weit genug vom Spielplatz entfernt, würde hier gleich vorbeigefahren kommen. Bei Entdeckung, wären sie geliefert! Also, nichts wie weg. Dieses klappte gerade noch rechtzeitig! Selbst der mosernde Linus kriegte noch die Kurve, wurde aber von Weitem schemenhaft von der Streifenwagenbesatzung ausgemacht. Das wiederum ließ die Ordnungshüter stutzig werden. Am Kinderspielplatz hielten sie an, um nach dem Rechten zu sehen. Letztlich wäre es nicht das erste Mal gewesen, dass übermütig gewordene Pubertierende versuchten, sich gegen die hormonell bedingte Umstellung des Körpers, mittels aufkeimendem Zerstörungsdrang, Luft zu verschaffen. Und siehe da, Wachtmeister Richter bewies einmal mehr Näschen. Nur, was machen? Er sah zu seinem Begleiter Krause, der den Blick des Vorgesetzten richtig deutete und ausstieg. Der Grauschimmel selbst griff nach seiner Funke und folgte dem jungen Kollegen, der bereits dabei war, eine Schadensaufnahme zu fertigen. Viel mehr war zurzeit nicht möglich. Eine Spurensicherung erübrigte sich, da der Sachschaden sich in Grenzen hielt. Raus käme dabei sowieso nichts! Die Sache im Auge behalten. Vermehrt Streife fahren. Das schien die einzige Gegenmaßnahme, die sich anbot, dem Ganzen abschreckend entgegenzuwirken.

„Fertig, Krause? Auch nicht vergessen Fotos zu machen? Fein, fein …! Dann lassen Sie uns. Ich habe mir zwischenzeitlich erlaubt, die zuständige Gemeinde zu informieren. Die Bediensteten sagten zu, sich umgehend kümmern zu wollen, damit der Platz alsbald für die Lütten wieder zum Toben einlädt. Erfahrungsgemäß wird der Spielplatz ab frühem Nachmittag von Müttern, mit ihren Sprösslingen aufgesucht. Aber auch Omas begleiten häufig ihre Enkelkinder. Seltener sind es Väter oder Großväter, die den Nachwuchs beim Spielen beaufsichtigen. Ach ja, Krause, das waren noch Zeiten, als unsereins selbst ein kleiner Hosenscheißer war. Ich frage mich so manches Mal: Wo ist sie geblieben, die schöne Zeit? Nicht mehr lange, und ich bin Pensionär. Glauben Sie mir, Krause, mir wird was fehlen.“ Wehmütig drehte Bernd Richter den Schlüssel im Zündschloss um und startete zur Weiterfahrt. Als sie an Peters Grundstück vorbeifuhren frotzelte der väterliche Beamte: „Wie sieht’s aus, Hasenfuß, soll ich anhalten damit du dem Rottweiler einen Besuch abstatten kannst? Das Hundetier dürfte erfreut sein, dich begrüßen zu dürfen. Oh …, Entschuldigung, das Du ist mir einfach so rausgerutscht, Krause. Sicherlich lag es daran, dass ich mich an meine Kindheit erinnerte.“

Krause nahm’s locker. Er sah es dem alternden Kollegen nach, sich mit der Anrede vertan zu haben. Er selbst hätte nichts gegen das Duzen. Bernd Richter hingegen legte von Anfang an Wert auf eine korrekte Anrede, mit der Begründung: „Sie Arschloch zu sagen fiele schwerer, als du Arschloch.“ Beim Sie würde man es sich zweimal überlegen, unbotmäßige Beschimpfungen auszustoßen, um sein Gegenüber niederzumachen. Zugegeben, selbst der gestandene Polizeibeamte musste sich eingestehen, dass es im wirklichen Leben keinen Bestand mehr hatte. „Die Menschheit verrohe zusehends“, so seine Worte, wenn er, wie so oft, zu Ehestreitigkeiten abkommandiert wurde, bei denen neben üblen Beschimpfungen, auch noch das Faustrecht vorherrschte! Und siehe da, welch Wunder, waren die Streithähne wieder nüchtern, wurde die erstattete Anzeige, wegen Körperverletzung, nicht selten widerrufen. Das ärgerte Bernd Richter ungemein. Von seinen Kollegen bekam er dann im Brustton der Überzeugung folgenden Satz zu hören: „Pack schlägt sich, Pack verträgt sich.“ Mit dieser Weisheit vermochte sich Richter nie anzufreunden. Für ihn zählte nur ein „Entweder-oder“, was anderes kam für ihn nicht infrage. Genauso sah er es von Seiten der Justiz, musste sich dennoch stets eines Besseren belehren lassen: Staatsanwalt, Richter, die Schöffen, sie alle beurteilen einen Angeklagten aus eigener Sicht. Gesetze können Auslegungssache sein. Gewiefte Rechtsanwälte nutzen diesen Vorteil. Nicht selten wird deshalb aus einem Gesetzesbrecher, ein lammfrommer Mitmensch geformt. Das ist ein Punkt, der es Bernd Richter leichter machen dürfte, sich vom Beamtendasein verabschieden zu müssen. Diese Rechtsverdreher waren ihm, von Anbeginn seiner Laufbahn an, ein Dorn im Auge. Mit denen konnte und wollte er sich nicht anfreunden. Richter kam die Galle hoch, bekam er mit, dass Kriminelle, die er und seine Kollegen, nach langwieriger Fahndungsarbeit endlich erfolgreich zur Strecke brachten, nicht einsitzen mussten, nur weil ihre Anwälte diese unter fadenscheinigen Gesichtspunkten herauspaukten. Noch größer schwoll ihm der Kamm, wenn genau diese Klientel erneut zur Fahndung anstand. Unter diesen Aspekten, so schwor er sich, würde er den Polizeiberuf niemals wieder für sich auswählen wollen. Sollte er nochmals auf die Welt kommen, würde er zur Feuerwehr tendieren. Einen Löschzug zu fahren, oder im Gefahrenabwehrzentrum das Sagen zu haben, das wäre genau das Richtige. Das Löschen der Brandstätten, oder anschließend Brandwache halten, das dürfte seinethalben gerne die Kerntruppe unter ihn erledigen. Dennoch würde er sich niemals sperren, Leib und Leben von Mensch und Tier retten zu wollen. Jenes wäre oberstes Gebot für ihn. All diese realitätsabgewandten Fiktionen umkreisten in letzter Zeit die Hirnmasse des alternden Polizisten, um sich dort einnisten zu wollen. Nur schien sein Denkapparat dafür Sorge getragen zu haben, dass dem zartbesaiteten Beamten sein gesunder Menschenverstand nicht frühzeitig verloren ging.

 

„Ich warte immer noch auf Antwort von Ihnen, Krause. Was ist nun? Anhalten …? Peters und das Raubtier begrüßen, oder vorbeifahren?“

„Um ehrlich zu sein: Mein Verlangen, diesem nachtschwarzen Köter die Pfote schütteln zu dürfen, hält sich in Grenzen, Boss. Ich fände es allemal dienlicher, Sie mit einem Ritt auf dem Rücken eines Ochsens erfreuen zu dürfen, sofern Ihnen der Sinn nach Belustigung steht.“

Fortan mussten beide lachen. Unabhängig voneinander stellten die Uniformierten fest: Lachen befreit, hebt die Stimmung, es macht einfach lockerer! Genau das war es, was sie vorab gebrauchten, da sie über Funk zu einem sehr unerfreulichen Einsatz beordert wurden. Da die Lindenallee, auf der sie sich bewegten, geradewegs nach Mühlhausen führte, bot es sich an Richter und Krause zum Brennpunkt des Geschehens zu schicken. Schon als die zwei den Straßennamen genannt bekamen wurde ihnen klar, dass sie es mit Türken zu tun bekämen. Diese Straße befand sich in einem Viertel, das überwiegend von Muslimen bewohnt wurde. Geschäfte, Verkaufsbuden, Imbisse, alles in türkischen Händen. Im Grunde taten diese Mitbürger niemandem etwas zuleide, es sei denn, sie fühlten sich angegriffen. Was lag da also näher, als sich zu Wehr zu setzen? In diesem Stadtviertel kam es ständig zu Auseinandersetzungen zwischen der einheimischen und der ausländischen Jugend. Bislang ließ es sich nicht ergründen, wie es möglich sein konnte, ein derartiges Hassgebaren aufkeimen zu lassen? Es verging kaum eine Woche, in der es nicht zu irgendwelchen Streitereien zwischen Deutschen und den Ausländern kam. Heute nun mussten Peters und Krause eine besonders verwerfliche Tat protokolieren. Es hatte wieder einmal gebrannt. Und zwar in einem Ausländer-Wohnblock. Diesmal wurde ein Kinderwagen Opfer der Flammen; und wie es schien, wohl nicht zum ersten Mal! Eine aufgebrachte, etwas ältere Frau, ihre Haartracht unter einem Kopftuch verborgen, giftete mit schriller Stimme: „Hängen sollte man diesen Abschaum. Sehen Sie hier, Herr Wachtmeister, mein Enkelkind. Beinahe wäre es Opfer dieses Brandanschlages geworden. Ich sage Ihnen, diese verwöhnten, deutschen Gören waren es. Die haben gezündelt. Schon seit Langem beobachte ich mit gemischten Gefühlen eine Horde junger Leute, die immer dann hier auftauchen, wenn unsere Männer außer Haus sind, um dafür zu sorgen, dass wir unseren Verpflichtungen nachkommen können. Miete, Strom, Gas, müssen auch wir bezahlen. Ebenso Steuern entrichten. Leider besteht nach wie vor der Irrglaube, wir würden uns auf Kosten der Allgemeinheit durchschlagen. Was uns zudem vorgeworfen wird, wir zeugen Kinder, allein des Kindergeldes wegen. Das ich nicht lache. Was ist denn mit euch Deutschen? Warum setzt ihr sowenig Kinder in die Welt? Ich werde es Ihnen verraten. Kinder sind anstrengend. Sie nehmen euch die Freiheit, etwas tun und lassen zu können, wann immer ihr es wollt! Wurde dennoch Nachwuchs gezeugt, bleibt dieser sich überwiegend allein überlassen – praktischer geht’s nimmer! Und was dabei rauskommt, sehen Sie gerade mit Ihren eigenen Augen.“

„Nun beruhigen Sie sich erst einmal, Frau Kücük. Die sind Sie doch, oder?“

„Wer denn sonst, Herr Wachtmeister? Sehen Sie hier etwa noch jemand, der so heißen könnte? Und nun fragen Sie schon, was Sie wissen wollen. Viel kann ich Ihnen eh nicht berichten. Ich muss wohl gerade mein Enkelkind versorgt haben, als sich einer, wer auch immer es gewesen sein mag, erdreistete, den Kinderwagen in Brand zu stecken. Ich sitze nicht den lieben, langen Tag hinter der Gardine und beobachte, was da draußen vor sich geht. – Wie gesagt, ich war dabei Aischa anzukleiden. Ich sollte mit der Kleinen beim Kinder-Arzt, zwecks einer anstehenden Untersuchung, vorstellig werden. Nun stellt sich mir die Frage, wie soll das gehen, ohne den Wagen? Außerdem werde ich es von der Zeit her, jetzt so oder so, nicht mehr schaffen.“

Der Frau Kücük standen Tränen in den Augen. Sie drückte ihr Enkelkind fest an ihren großmütterlichen Busen der, genauso wie ihr verwittertes Gesicht, das Alter unterstrich. Immerhin versorgten ihre Brüste, in jungen Jahren, fünf eigene Kinder mit Muttermilch, sodass es nicht verwunderlich war, dass diese jetzt bis zum Bauchnabel durchhingen.

Vor Aischa schien der Seelenschmerz ihrer Großmutter keineswegs Halt zu machen. Ein anfänglich herzzerreißendes Schluchzen der Kleinen schwappte, Knall auf Fall, in ein ohrenbetäubendes Gebrüll über. Dieses lautstarke Geplärr wiederum sorgte dafür, dass sich im Haus, wie von Geisterhand, mehrere Türen öffneten aus denen Stimmen laut wurden, die, „Ruhe, da unten!“, befahlen. Ein Beweis dafür: Selbst unter Fremdlingen herrscht nicht immer „Friede Freude Eierkuchen“. Als die Mitbewohner mitbekamen, dass alles im grünen Bereich war, sie also nicht mehr gefährdet waren, überließen sie der armen Frau Kücük sich selbst. Denn, man sollte es nicht glauben, denen war der abgestellte Kinderwagen im Hausflur, schon längst ein Dorn im Auge! Dennoch, Schadenfreude kam nicht auf. Kam’s darauf an, hielten alle zusammen. Überhaupt, wenn es darum ging, von den Menschen aus ihrem Gastgeberland zu Unrecht gedemütigt, verspottet, oder schlimmstenfalls tätlich angegriffen zu werden.

Sanft schob der Beamte, Bernd Richter, die weinende Frau, mit dem schreienden Kleinkind auf dem Arm, in deren Wohnung. Daraufhin stellte Aischa sofort das Schreien ein – und auch bei der Oma versiegte der Tränenfluss. Ungeniert griff die Alte, nachdem sie die Lütte abgesetzt hatte, an den Saum ihres Rockes, hob diesen hoch und fuhr sich damit übers Gesicht, um die noch vorhandene Tränenflüssigkeit zu beseitigen. Dem jungen Krause fiel vor Schreck sein Kuli aus der Hand. Mit diesem machte er seit geraumer Zeit Fingerübungen; da er, alles was von Bedeutung war, bereits protokoliert hatte. Das Bild, welches sich dem Polizeianwärter darbot, war alles andere als sexy. Dicke Wollsocken lugten unter einer langen, grauen Interlock-Unterhose hervor. Diese Bekleidungsstücke dürften wohl von ihrem verstorbenen Mann gestammt haben. Der Kücük war’s egal. Hauptsache warm!

„Was ist, Krause? Können wir starten, oder brauchen Sie eine Extraeinladung“, schnarchte aufgrund dessen Richter los, dieses Erlebnis ebenfalls verdauen zu müssen! „Wir können, Boss. Ich habe, wie immer, alles zu Papier gebracht. Einschließlich der perfekten Beweisfotos befindet sich alles bei mir am Mann“, wobei er sich, mit der rechten Hand, beweisend gegen den Brustkorb schlug. Bereits auf der Schwelle stehend, wandte sich Richter noch einmal an die Frau, mit den Worten: „Sollten Sie, oder Ihre Familie, versicherungstechnische Probleme bekommen, rufen Sie mich an. Vorausgesetzt, Sie sind Hausratversichert.“

„Danke, die Herren. Nochmals Danke. Und fassen Sie diese Schweine, bevor unsere Familie, nach dem Motto, „Auge um Auge, Zahn um Zahn“, handeln wird.“ Darauf erhielt die Geschädigte bewusst keine Antwort. Der Ordnungshüter gedachte nicht, auch noch Öl ins Feuer zu gießen. Er tat so, als hörte er es nicht – und verschwand eilends mit Krause vom Tatort! Noch bevor Richter den Motor anließ, bekam er von seinem jungen Begleiter ein dickes Lob zu hören. „Mal ehrlich Boss …, woher nehmen Sie soviel Gelassenheit? Ich glaube, ich habe noch eine Menge zu lernen, bevor man mich allein auf die Menschheit loslassen kann. Wenn ich bedenke, wie ruhig und sachbezogen Sie die Dinge angehen und auch beim Namen nennen, ohne anzuecken …, Hut ab. Gerade in diesem Viertel, in dem andauernd irgendwer meint, provozierend auf sich aufmerksam machen zu müssen, um Zwietracht zu säen, gelassen zu bleiben, ob mir das jemals gelingen wird, ich weiß es nicht?“

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