Der Stempelmörder

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Georg grinste. »Klar. Wenn die wüssten, was du alles auf dem Kerbholz hast, dann würden sie dich am Stephansdom aufhängen.«

»Erzähl doch keinen Schwachsinn. Lass uns lieber den ›Penner‹ loswerden. Ich hasse die Druckerschwärze an meinen Händen. Da kommt Luise. Die schnappen wir uns.«

Luise war Herberts Freundin und sie lief immer mit einer gehäkelten Klorolle auf dem Kopf herum. Es war ein Bild für die Götter, wenn die beiden Hand in Hand ihren Pudel ausführten. Herbert mit Helm, Luise mit Klorolle und der Köter mit einem pinkfarbenen Kleidchen. Luise arbeitete als Isabels Sprechstundenhilfe im Innsbrucker Hundesalon. Kennengelernt hatte sie Herbert an der Würstelbude am Schwedenplatz bei einer fettigen Käsekrainer mit süßem Senf.

Herbert gestand uns einmal, dass sein Helm sie tierisch anmachte. Ich glaubte eher, dass sie ein Auge auf Georg geworfen hatte. Da der Kärntner aber keine Tiroler mochte, machte sie sich gewiss an Herbert ran, um in Georgs Nähe bleiben zu können. Luise wohnte in einer dunklen Kellerwohnung auf der anderen Seite des Donaukanals in der Leopoldstadt.

Ich ging direkt auf sie zu und quatschte sie an, während Georg ein Foto von ihr und dem mitten in seinem Geschäft befindlichen Pudel machte. »Hey, Luise! Hast du schon gehört? Der Herbert ist jetzt Chef einer Soko im Männerwohnheim. Ein Irrer hat einen Frischling erstochen.«

»Juri, nicht schon wieder. Lasst mich doch in Ruhe. Herbert hat sich beschwert, weil er ständig für das Gackerl meines Hundes zahlen muss.«

»Dann pack das Gackerl doch ins Sackerl«, sagte Georg in seinem breitesten Kärntner Dialekt.

Luises Augen strahlten. Vermutlich wäre sie am liebsten mit ihm durchgebrannt. Währenddessen streichelte ich den Pudel.

Da zückte die Klorolle die Kohle und ich gab ihr zwei Ausgaben.

»Heute vier!«, sagte Georg.

»Warum vier? Kannst du mir sagen, was ich mit denen machen soll?«

Georg platzte der Kragen. »Lesen! Und richte Herbert aus, dass er sich nicht so anstellen soll, sonst darf er den kleinen Kerl im Knast besuchen. Du kannst ihm auch noch ausrichten, dass unser Zimmer für die Soko tabu ist. Sollte auch nur eine Schnüffelnase es betreten, dann werden wir das dem Hasil stecken. Und was der mit Pudeln macht, kannst du dir denken.«

Luises Augen strahlten nicht mehr.

Der Hasil war neben Wiens einzigem Pferdeschlachter, dem Dokupil, der am meisten gefürchtete Mann. Seine Spezialität waren Pudelmützen in allen möglichen Farben, Hauptpudelquelle die Hunde im Köterknast. Und da kam Isabel wieder ins Spiel. Sie scherte die Vierbeiner für Hasil, bis sie nackt waren.

Meine hübsche Tirolerin hatte früher als Hundefrisörin sogar internationale Preise gewonnen. Eines Tages hatte sie, angeblich ohne Absicht, dem Rauhaardackel des Innsbrucker Bürgermeisters die Kehle aufgeschlitzt und die Lizenz für ihren Hundepflegesalon »Fino« verloren. Dann der Absturz, die Flucht nach Wien, das Frauenwohnheim und schließlich das Männerwohnheim. Jetzt schnitt und pflegte sie die Köter im Hundeknast und belieferte den Strizzi-Hasil illegal mit Hundehaaren. Am absoluten Tiefpunkt angelangt, hatte sie mich kennengelernt.

Luise zahlte und steckte die vier Blättchen ein. »Ich muss jetzt weiter.« Sie warf Georg noch einen sehnsuchtsvollen Blick zu.

»Denk an den Hasil«, rief Georg ihr hinterher.

Der Morgen raste dahin. Wir konnten noch zwei weitere Hundebesitzerinnen erpressen. Eine im Bermudadreieck, dem Saufviertel von Wien, und dann noch eine, deren Hund ein Riesen-Gackerl vor die älteste Kirche Wiens legte, die Ruprechtskirche. Aber das Geld reichte hinten und vorne nicht. Wir brauchten dringend einen Job. Das Arbeitsmarktservice zahlte uns Piefke 5 viel zu wenig, um über die Runden zu kommen. Gegen Mittag fuhren wir mit der U 4 zur Kettenbrückengasse.

Die Station Kettenbrückengasse hat einen ganz besonderen Charme. Wenn du mal in Wien bist, dann musst du diesem schönen Fleckchen unbedingt einen Besuch abstatten. Es ist die Station der Drogensüchtigen und Obdachlosen, die hier ihre sozialen Kontakte pflegen und sich um den Verstand spritzen.

Die Süchtler waren gerade beim zweiten Frühstück. Ein Doppler Rotwein machte die Runde, Georg und ich nahmen einen kräftigen Schluck.

Unser Kollege Kovac lebte schon seit einem Jahr in diesem Umfeld. Als Teilnehmer an Tschuschen 6 stand er noch tiefer als wir in der Ausländer-Hierarchie. Er war Software-Entwickler und wurde täglich von Behörde zu Behörde geschickt, um alle Netzwerke in Ordnung zu bringen. Kovac wohnte im Favoritener Männerwohnheim ganz in der Nähe vom Reumannplatz. Er war ein lustiger und sympathischer Kerl, die Haare grau gelockt, ein großer Schnauzer über der Oberlippe und immer für einen Scherz zu haben. Leider hatte ihm ein Dealer vor ein paar Monaten Heroin schmackhaft gemacht. In letzter Zeit schluckte er Methadon.

Eine lästige Angewohnheit waren seine Schläge auf meine Schultern, so, als müsste er mit dieser Geste das Gesagte kräftig unterstreichen. »Juri, mein alter Freund. Was lese ich im ›Penner‹? Du hast wieder einen umgebracht? Wenn du so weitermachst, dann werden sie dich noch aufhängen. Alter Stempelmörder!« Im nächsten Moment schlug er zu und meine Schulter vibrierte.

Georg grinste. »Der Piefke hat den Skilehrer mit einem Küchenmesser kaltgemacht. Wie ein echter Profi.«

Wir mussten lachen. Der Doppler war schon halb leer.

Kovac sah mich an. »Juri, hast du ein paar Euro für einen alten Freund? Ich werd sie dir am Montag zurückgeben.« Am Montag war unser Tag bei der Favoritener Polizei.

»Kovac, alter Freund. Du weißt ganz genau, dass wir keine Kohle haben. Wenn ich die hätte, dann wärst du der Erste, dem ich was leihen würde.« Ich klopfte ihm auf die Schulter und lachte.

»Juri, mein einziger Piefkefreund, ich muss dich vor dem Paradeiser warnen. Bei dem ist was faul. Der stinkt. Ich habe im ›Penner‹ gelesen, dass er die Ermittlungen leitet. Letztes Jahr hatten wir einen ähnlichen Mordfall in unserem Männerwohnheim. Du weißt doch noch, als ihr für eine Nacht bei uns geschlafen habt. Der Typ hat jeden Einzelnen durch den Fleischwolf gedreht. Am Ende waren wir fix und fertig. Er hat eine ganz besondere Technik, Geständnisse zu erpressen, ihr werdet das noch merken. Also lass dich nicht von ihm erwischen.« Schon schlug er wieder zu und lachte.

Der Doppler war leer.

»Kovac, wir müssen weiter. Du weißt, das Käseblatt verkauft sich nicht von selbst. Georg ist heute hoch motiviert.« Wir wollten schon weiter, da zupfte unser Tschuschen-6-Kollege an meinem Hemd. »Kovac, ich habe keine Kohle. Wirklich!«

»Ist schon gut. Aber ich habe hier noch was für euch.« Er gab mir eine DVD.

»Was soll ich damit? Sind da Pornos drauf?«

Kovac nickte. »Ganz besondere, Juri.«

Georg schaute sich die runde Scheibe misstrauisch an. »Was ist das?«

Da endlich rückte Kovac mit der Sprache raus. »Ich hab was ganz Schreckliches …« Mitten im Satz entwich ihm ein lauter Rülpser. »… entdeckt. Das sind Mitschnitte eines Überwachungsvideos …« Er senkte den Kopf.

»Rede endlich, Kovac!«, fuhr ihn Georg an. Der Kärntner hatte keine Geduld.

»Das hab ich gestern in der Sicherheitswache in Frohsinn mitgehen lassen. Darauf sieht man …« Kovac fing an zu zittern.

»Was ist los im Kleingartenverein Frohsinn?«, wollte ich von ihm wissen.

Unser Freund schaute uns ganz verstört an. »Oberinspektor Kleindienst in Frohsinn …« Wieder ein Rülpser.

Als ich diesen Namen hörte, klingelten bei mir die Alarmglocken, denn ich kannte den Oberinspektor nur zu gut.

»Da ist ein Kleingarten …«

Georg und ich wechselten skeptische Blicke. Meine Geduld hatte ebenfalls seine Grenzen. »Kovac, du stehst unter Drogen und redest wirres Zeug. Lass die Finger davon. Wenn Kleindienst erfährt, dass du in seinen Sachen herumwühlst, dann wird er nicht sehr glücklich sein.«

Georg nickte. »Das hört sich nach unnötigen Problemen an. Hör endlich mit dem Saufen und Kiffen auf.«

»Juri, wir müssen da was machen. Das geht so nicht.« Er stolperte. Wir konnten ihn gerade noch auffangen und setzten ihn auf eine Bank.

»Kovac wir müssen gehen. Pass auf dich auf. Wir sehen uns am Montag in Frohsinn.«

Er lachte bitter.

*

Gleich hinter der Station Kettenbrückengasse begann der Naschmarkt. Jeder Wienbesucher quetschte sich dort mindestens einmal quer durch. Lauter Marktstände mit Obst und Gemüse. Manchmal schienen mir die Früchte ein wenig zu groß, irgendwie mutiert. Die Touristen liebten die Standverkäufer, die ihnen alles Mögliche andrehten. Sie kreischten alle durcheinander. »Kebab, Kebab!« oder »Probieren Sie Äpfel, Paradeiser, Feigen …« oder was auch immer. Der Naschmarkt bestand aus zwei Reihen. Eine war für die Stände und die andere für Restaurants, ganz multikulti natürlich.

Georg hatte die nervige Angewohnheit, mit jedem Verkäufer quatschen zu müssen. Dadurch kannte er die meisten und wir brauchten immer ewig, um den Markt zu durchqueren. Allerdings wurden wir auf diese Weise auch unsere Zeitungen los. Man mag es nicht glauben, aber es gab sogar Kunden, die den »Penner« freiwillig kauften.

Kaum hatten wir uns von Kovac verabschiedet, rannten wir fast Paradeiser und Stippschitz in die Arme. Die beiden quetschten sich durch den schmalen Gang an den Touristen vorbei. Schnurstracks gingen sie auf die Methadon-Gruppe zu. Paradeiser streifte mit dem Ellenbogen meinen Arm. In der Meldemannstraße waren wir den Verhören entgangen, und auch jetzt verschwanden wir gekonnt zwischen Obst und Gemüse.

Auf halber Strecke lag der Gemüsestand unseres Lieblings Seldschuk. Er war vor 30 Jahren aus Ostanatolien nach Köln ausgewandert, wo er für Ford Autos zusammengeschraubt hatte. Als der Autoboom nachließ, versuchte er sein Glück in Wien und kaufte einen maroden Stand, der sich in einen Außenbereich für Obst und Gemüse und in ein dahinterliegendes Büro gliederte. Seine Melanzani und Paradeiser gehörten zu den größten, die man weit und breit finden konnte.

 

Seldschuk wurde auch »das Orakel vom Naschmarkt« genannt. Er galt als eine nie versiegende Nachrichtenquelle. Bis vor einem Jahr war er Teilnehmer des Atatürk-hab-8-Programms. Letztes Jahr bescheinigte man ihm und seiner gesamten Familie, nach fast zehn Jahren, gute Österreicher zu sein. Es hatte so lang gedauert, weil er neben dem türkischen auch den deutschen Pass besaß.

Sein mit Obst- und Gemüsekisten vollgestopftes Büro war samstags regelmäßig unser Treffpunkt. Seldschuk machte den besten türkischen Kaffee und trug immer frisch gebügelte blütenweiße Hemden.

»Ich dachte schon, ihr kommt nicht mehr. Der Mord im Männerwohnheim ist Thema Nummer eins auf dem Markt. Weiß die Polizei schon, wer dahintersteckt?«

Georg krallte sich einen Apfel der Sorte Cox Orange und biss hinein. »Wir haben Paradeiser gerade bei Kovac gesehen. In seinem Rausch hat er dummes Zeug gefaselt. Ich mach mir Sorgen.«

»Seit wann verkauft Kovac Gemüse?«, wollte Seldschuk wissen.

Ich schüttelte den Kopf. »Chefinspektor Paradeiser. Er leitet die Untersuchungen. Anscheinend ein harter Hund.«

»Juri, komm endlich zum Punkt«, warf Georg in die Runde.

»Okay. Seldschuk. Wir brauchen einen Job, der uns Geld bringt.«

Georg und ich warteten gespannt auf seinen Rat. Die Stirn des Orakels schlug Falten. Er saß da und strengte sich an wie ein Huhn beim Eierlegen. Seine Tipps waren meistens Gold wert.

»Ihr braucht Kohle? Warum sagt ihr das nicht gleich?«

Georg nickte. »Na ja, wir sind gerade ein wenig knapp bei Kasse und Piefke 5 macht auch nicht reich. Wir brauchen einen schnellen Job.«

Seldschuk kratzte sich am Kopf. »Ich hätte da was. Aber es könnte sein, dass ihr euch die Hände dreckig macht.«

»Kein Problem«, kam es aus zwei hungrigen Mündern.

»Ich hätte da ein kleines Päckchen. Ihr seid doch morgen bei Pater Ambrosius in Dornbach?«

Georg schaute mich fragend an. »Klar. Was ist in dem Päckchen?«

Nicht zu fassen. »Hey, Georg, bist du schwer von Begriff? Das ist geheim. Sonst könnte er es ja auch per Einschreiben schicken.«

Ich wollte mehr wissen. »Wem sollen wir es übergeben?«

Seldschuk schob zwei Obstkisten zur Seite. Dahinter befand sich ein Tresor. Flink stellte er die Kombination ein und öffnete die schwere Tür. Es kam ein Päckchen zum Vorschein. Er reichte es Georg. »Um Punkt zwölf Uhr mittags geht einer von euch beiden in den Beichtstuhl der Dornbacher Pfarrkirche. Dort erwartet euch eine Frau mit dem Decknamen ›Jungfrau Maria‹. Ihr nehmt einen Koffer entgegen und wartet, bis sie die Kirche verlassen hat. Den Koffer bringt ihr am Abend um sieben zum Steg 33 am Donaukanal direkt gegenüber vom Schwedenplatz. Dort werdet ihr mir den Koffer übergeben. Und stellt keine Fragen.«

»Ist ja einfach.« Georg klang euphorisch. »Kein Problem für uns. Was springt dabei raus?«

»Wenn alles klappt, könnt ihr mit einigen Scheinchen rechnen. Je nachdem, wie ihr euch anstellt, gibt’s noch weitere Übergaben.«

Seldschuks Cousin Akgün kam dazu. »Hier ist ein Paradeiser und noch ein Kerl. Die wollen dich sprechen.«

Wir schauten uns fragend an. Georg steckte das Päckchen in seinen Rucksack. Seldschuk gab uns ein Zeichen. »Geht hinter die Tür. Ich werde sie abwimmeln.«

Durch den Türschlitz konnten wir beobachten, wie Paradeiser versuchte, Seldschuk durch die Mangel zu nehmen. »Ich habe gehört, man nennt dich jetzt das ›Orakel vom Naschmarkt‹? Es gibt da ein kleines Problem im Männerwohnheim in der Meldemannstraße. Wir beide hatten schon einmal das Vergnügen. Erinnerst du dich? Damals bei deiner Einbürgerung? Ich war bei der Fremdenpolizei. Na, klingelt’s, Türke?«

»Klar, Herr Inspektor.«

»Chefinspektor, wenn ich bitten darf.«

»Ihr habt mir das Leben ganz schön schwer gemacht. Das vergess ich nicht. Herr Chefinspektor.«

Stippschitz legte nach. »Wir brauchen ein paar Informationen. Wer könnte hinter dem Mord stecken? Hast du Namen? Irgendetwas Brauchbares?«

»Schauen Sie, Herr Chefinspektor –«

»Herr Inspektor Stippschitz für dich.«

»Herr Inspektor Stippschitz. Ich verkaufe hier Paradeiser, Melanzani und frisches Obst. Glauben Sie wirklich, ich kann Ihnen da weiterhelfen?«

»Hör mal zu, du kleiner Scheißer«, schrie Paradeiser und zog Seldschuk am Ohr. »Wenn du mich verarschen willst, dann werden wir das Gespräch auf dem Kommissariat weiterführen. Außerdem hängt deine Lizenz am seidenen Faden. Hilf mir oder ich sorg dafür, dass du in einem Flieger nach Anatolien landest. Also, lass hören.«

Seldschuk war die Ruhe selbst. Er ließ sich nicht so leicht einschüchtern. »Herr Chefinspektor Paradeiser, ich habe heute frische Melanzani im Angebot. Mehr kann ich dazu nicht sagen.«

Plötzlich musste ich niesen. Blut schoss mir ins Hirn.

»Wer ist denn in deiner Hütte?« Paradeiser fragte nicht um Erlaubnis. Er bahnte sich den Weg vorbei an Seldschuk und wollte hinter den Stand treten, da hielt ihn Stippschitz zurück. »Wir haben einen Termin in der Meldemannstraße. Der Heimleiter wartet.«

Mein Herz pochte. Georg und Akgün waren kreideweiß.

Paradeiser dachte kurz nach und drehte sich um. »Seldschuk, denk an deine Lizenz. Melde dich, sobald du was hörst. Wenn dein Name bei den Verhören im Wohnheim fällt, dann bist du dran.« Er gab ihm seine Visitenkarte und verschwand mit Stippschitz im Gewühl der Touristen.

Seldschuk ließ uns aus unserem Versteck. »Ihr habt gehört, was der gesagt hat. Er war schuld, dass meine unbefristete Aufenthaltserlaubnis nicht genehmigt wurde. Ein unangenehmer Mensch, echt pervers. Sein Hilfssheriff Stippschitz soll auch nicht besser sein. Beiden kann man nicht trauen. So, jetzt muss ich meine Paradeiser verkaufen. Und grüßt mir die Jungfrau Maria.« Dabei grinste er komisch.

Wir verschwanden durch den Hinterausgang.

*

Unsere heutige »Penner«-Ausbeute war gering und damit auch eine Mahlzeit nicht einmal ansatzweise in Sicht. Zum lukrativsten Jagdgebiet gehörte der erste Bezirk, die Innere Stadt, vor allem die Gegend rund um die teuren Fünfsternehotels. Meist schickten die Bonzen eigene Angestellte oder Hotelbedienstete hinaus, um mit ihren Hunden auf einem schmalen Grünstreifen zwischen Hotel und der Wiener Ringstraße Gassi zu gehen. Unser Weg führte also vom Naschmarkt über den Karlsplatz zum Kärntner Ring. Gleich an der Ecke Kärntner Straße, Kärntner Ring standen das Hotel Bristol und das Grand Hotel. Wir setzten uns in eine Straßenbahnhaltestelle direkt vorm Bristol und warteten auf Kundschaft.

Wien ist im August wie ausgestorben. Sommerferien. Ich konnte mich gar nicht mehr erinnern, wann ich das letzte Mal im Urlaub gewesen war. Gleich nach dem Studium hatte ich in diversen Studentenjobs gearbeitet, die nichts brachten. Die Wirtschaftskrise traf mich ganz besonders, tiefer konnte ich nicht fallen. Das dachte ich zumindest damals.

Dann entdeckte ich das Land, in dem angeblich alles besser war: Österreich. Der kleine Staat in den Alpen profitierte von den Touristenströmen. In meiner Naivität setzte ich »Alpen« mit »Geologie« gleich und machte mich auf den Weg nach Wien, um mein Berufsleben endlich in die richtigen Bahnen zu lenken.

Aber auch im Paradies waren nicht alle gleich. Die Regierung schirmte die einheimische Bevölkerung von den Neuankömmlingen ab, und so steckte mich das Arbeitsmarktservice sofort ins Piefke-5-Programm. Damit standen wir unter ständiger Kontrolle.

Diesen voyeuristischen Ansatz kannte ich bisher nur als eine Form der Sexualität. Da ich aber keine exhibitionistischen Neigungen hatte, empfand ich diese speziellen Rahmenbedingungen als höchst unsympathisch.

Georg hatte es nach dem Tod seiner Frau ebenfalls nicht leicht gehabt, er war allerdings aus einem anderen Holz geschnitzt. Sein Motto: Durchwurschteln!

Du wirst dich jetzt sicher fragen, welche Ziele der Kärntner verfolgte. Klar, er wollte endlich ein guter Österreicher werden, regelmäßig Geld verdienen, eine Zweizimmerwohnung beziehen und seinen kleinen Sohn zurückholen. Der wurde in der Zwischenzeit zwar bei seinen Eltern in Kärnten gut betreut, dennoch erwähnte er regelmäßig seine Sehnsucht nach einem ganz normalen Familienleben.

Aber ich sagte immer: Georg und ich waren auf eine gewisse Art und Weise auch eine Familie, wenn auch nur auf Zeit. Und das war gut so.

»Juri, mein Magen knurrt. Ich kann weit und breit keinen Köter sehen. Wie ausgestorben.«

»Du bist immer so ungeduldig. Wir brauchen Kundschaft. Ich sehe schon den leckeren Schweinsbraten und die selbst gemachten Knödel vor mir. Wir sind nur ein paar Gackerl entfernt von unserer Mahlzeit.«

Meine Gedanken kreisten gerade um das kleine Päckchen, das Seldschuk uns gegeben hatte. »Was, glaubst du, ist in dem Päckchen? Meinst du, Seldschuk handelt mit Drogen?«

»Kann ich mir gut vorstellen. Er hat manchmal so eine Art, die mir unheimlich ist. Ich weiß nicht, warum.«

»Aber was, wenn es Kokain wäre? Dann ist doch sicher viel Geld im Koffer, oder? Schon mal was von der Jungfrau Maria gehört?«

Georg nickte. »Klar. Meine Eltern haben mich katholisch erzogen. Und wenn Geld im Koffer ist, dann gehört es Seldschuk und nicht uns.«

»Das heißt doch nichts anderes, als dass wir morgen Mittag eine kapitalträchtige Erscheinung haben werden. Wenn der Papst wüsste, dass die Jungfrau Maria drogensüchtig und Seldschuk ihr türkischer Dealer ist – das wäre eine echte Schlagzeile für den ›Penner‹.«

»Juri, du alter gottloser Evangele.«

Wir grinsten uns an und mussten lachen.

Ich wollte aber die heiße Ware auf gar keinen Fall übergeben. Wenn da was schiefging, hätten wir ein großes Problem. »Wir müssen jemanden finden, der das für uns übernimmt. Mal schauen, wer dafür infrage kommt.«

Dann kam doch noch ein Gackerlproduzent. »Juri, schau mal. Die Pelztante mit dem kleinen Vierbeiner an der Leine. Die kommt gerade aus dem Grand.«

Tatsächlich. Mit einem winzigen Chihuahua. Der Pelz der Frau musste schweineteuer sein.

Wir teilten uns wie immer auf, ich stand Schmiere. Georg öffnete die Digitalkamera, die wir uns von Anton geliehen hatten. Dann kackte der kleine Köter direkt auf den Grünstreifen. Georg drückte ab, ich bot der Dame einen Handel an. Sie war völlig durcheinander und zahlte. Schließlich erwachte sie aus ihrer Starre und schrie so lange, bis der Portier aus dem Hotel gerannt kam, wobei er seinen Zylinder verlor. Er wollt uns verscheuchen. Ich verhedderte mich in der Hundeleine, die Pelzfrau und der Köter kugelten plötzlich am Boden. Ich zerrte an der Leine, woraufhin der Chihuahua in hohem Bogen durch die Luft flog und auf dem Portier landete. Die Pelztante saß mitten auf dem Gackerl und ich bahnte mir meinen Weg durch die hupenden Autos auf der Ringstraße.

Wir rannten den Kärntner Ring und den Schubertring entlang in Richtung Stadtpark.

Normalerweise saßen wir am Samstagnachmittag am Naschmarkt in einem der gemütlichen Lokale. Es gab dort fast alles, was das Herz begehrte: Egal ob Sushi, Döner, Käsekrainer, Palatschinken oder Schnitzel – es schmeckte alles hervorragend, ein richtiger Kontrast zum stinkenden Gackerl. Am liebsten mochte ich die süß und sauer gefüllten Palatschinken oder einen Schweinsbraten mit Kruste. Dazu ein gutes tschechisches Bier und der Tag war gerettet.

Heute allerdings führte uns der Weg vom Stadtpark ein paar Meter weiter zum Schwarzenbergplatz in einen Bierkeller. Das Lokal lag direkt neben dem Sowjetdenkmal am Kopfende des Platzes, das an die Befreiung Wiens durch die Sowjetarmee erinnern sollte. Am Abend leuchtete es wunderschön und der Springbrunnen verlieh dem Denkmal eine besondere Atmosphäre.

Wir gingen die Treppe hinunter und suchten uns einen Tisch in einer der vielen gemütlichen Nischen. Es gab hier Brünner Bier vom Fass und meinen geliebten Schweinsbraten. Der Kellner war ein alter Bekannter aus der Meldemannstraße: Erwin aus Berlin, mit seiner ganz besonderen Berliner Art. Wir mochten ihn alle irrsinnig gern. Er hatte morgen seinen freien Tag. Noch so ein Piefke 5.

»Na, wat für ’ne Überraschung. Juri, Georg! Euch beede hab ick heut nich mehr erwartet. Wie war det Jespräch mit Paradeiser und Stippschitz? Ham se euch fertigjemacht?« Er legte uns die Speisekarte auf den Tisch und zückte Block und Stift.

 

»Erwin, einmal wie immer.«

Georg schaute auf. »Für mich das Gleiche, aber mit viel Saft, damit der Braten ordentlich rutscht.«

Ich schüttelte den Kopf. »Uns hat noch niemand durch die Mangel gedreht. Wir sind Paradeiser allerdings schon zweimal am Naschmarkt fast in die Arme gerannt. Einmal bei Kovac, und dann bei Seldschuk. Wir werden in den nächsten Tagen sicher noch das Vergnügen haben. Was hat er dich gefragt?«

Erwin setzte sich kurz an unseren Tisch. »Er wollte allet Mögliche wissen. Meine Personalien wurden offjenommen. Wie meene Wochenplanung aussieht, ob ick heute Nacht meen Zimmer verlassen hätte, ob mir wat uffjefallen sei. Ob ick irgendjemanden in Verdacht hätte, der zu so ’ner Tat fähig wär’, ob ick mit Karl Greißler in irgendeener Verbindung stand und so weiter und so weiter. Nachdem ick ihm so jut wie keene Informationen jegeben habe, hat er seine Taktik jeändert und mich jefragt, warum ick damals in Berlin die Tageszeitung an ’nem Kiosk jeklaut hätte und warum ick dreimal beim Schwarzfahren erwischt worden bin. Na ja, und noch so ’n paar Sachen.« Erwin grinste, dabei fielen seine nicht mehr vorhandenen Vorderzähne auf.

»Was noch?«, fragte ich ihn.

»Dann rechnete der mir vor, wie lang es wohl noch dauern würde, bis ick den Status des juten Österreichers erhalten würde. Und ob ick mit meenem Leben im Piefke-5-Programm zufrieden bin, wollte der wissen. Ick hab jesagt, datt ick schon jern ein normales Leben führen und nicht jeden Tag weiterjereicht werden möchte. Ach so, und denne fragte der noch, ob ich schon Jeschlechtsverkehr mit ’ner österreichischen Frau jehabt hätte. Es jäbe da Jerüchte. Ick bin ja nich bescheuert, wa? Dann hatter mir seine Karte jegeben und uff seine Telefonnummer jezeigt. Jeder Hinweis würd mich meinem Ziel näher bringen, hatter jesagt. Wenn er in den nächsten 24 Stunden nüscht von mir hören würde, dann bliebe ick een Jahr länger Piefke 5. Jeden Tag een Jahr länger.«

Georg verzog das Gesicht. »So ein Schwein. So ein verdammtes Schwein, dieser Paradeiser! Ist ja nicht zu fassen. Wahrscheinlich hat er allen aus dem Männerwohnheim damit gedroht. Der baut sich sein eigenes Spitzelnetz auf und irgendwann wird sich jemand darin verheddern.« Dabei schaute er zu mir.

»Was schaust mich an?« Mein Magen knurrte und ich verspürte einen schrecklichen Durst. »Erwin, hol uns ein Bier.«

Er war schon fast außer Sichtweite, als er noch einmal zurückkam. »Bevor ick’s vergesse. Zwei Nischen weiter sitzt der Hasil. Ick gloobe, dem jeht’s nich jut. Der raunzt schon den janzen Tag rum und trinkt eene Halbe nach der anderen. Vielleicht könnt ihr den ja ein bissel offmuntern?«

Wir und den Hasil aufmuntern! Hatten wir sonst keine Probleme? Seit wir von einem Großteil seiner Kundschaft Geld kassierten, liefen seine Geschäfte miserabel. Kein Köter im Knast. Keine Pudelhaare für Hasil. Er hatte keine Ahnung, dass wir der Grund dafür waren. Auf der anderen Seite verstärkte sich mein schlechtes Gewissen gegenüber Isabel, denn ohne Hunde im Knast hatte auch sie keine Einnahmen. Wie man es drehte, irgendwer schaute immer in die Röhre, aber ich musste auf mich und Georg achten. Er stand mir näher. Gehörte quasi zur Verwandtschaft.

Erwin kam mit dem Brünner Bier. Zwei Halbe mit einer weißen Krone. Wir nahmen die Gläser und setzten uns zu Hasil.

Ich klopfte ihm auf die Schulter. Das hatte ich von Kovac gelernt. »Na, alter Raunzer. Was macht das Leben? Wie geht es deinen Pudelmützen? Ich habe gehört, du arbeitest mit Dokupil, dem Pferdeschlachter, zusammen und verarbeitest die Pferdehaare zu Pudelmützen?« Ein Bekannter vom Naschmarkt erzählte uns letztens von diesem Synergieeffekt. Pferdehaare in Pudelmützen – das war so was wie Muckefuck, also Ersatzkaffee aus Getreide.

Hasil schaute deprimiert drein. »Ihr habt gut reden. Werdet vom Staat durchgefüttert und bekommt alles in den Arsch gesteckt. Ihr Piefkes lebt doch in Saus und Braus. Lasst mich in Ruhe.«

Georg stieß mit seinem Glas an das von Hasil. »Prost, alter Pudelkönig. Du kannst nicht alle über einen Kamm scheren. Wir Kärntner haben es auch nicht so leicht mit euch Wienern. Und schon gar nicht mit diesem Piefke. Aber Ersatzhaare zu Pudelmützen verarbeiten, das ist ein Skandal – oder etwa nicht?«

Hasil sah aus wie ein geschlagener Köter. »Was wollt ihr von mir? Mich erpressen?«

Ich schlug ihm noch einmal auf die Schulter. »Das würden wir nie tun. Wir sind bald gute Österreicher. Und gute Österreicher helfen sich gegenseitig, wenn sie in der Klemme stecken. Eine Hand wäscht die andere.«

Georg mischte sich ein. »Wir hätten da einen Job für dich. Morgen Mittag sollst du für uns im Beichtstuhl der Dornbacher Pfarrkirche ein kleines Päckchen an die Jungfrau Maria übergeben. Den Koffer, den du von ihr bekommst, gibst du an uns weiter. Das ist alles. Klingt doch ganz einfach, oder?«

Hasils Zeigefinger bewegte sich in Richtung Stirn. »Ihr seid’s doch vollkommen durchgedreht. Die Jungfrau Maria! Geht’s euch gut?«

Ich erinnerte ihn noch einmal an die Ersatzhaare in seinen Pudelmützen. »Wenn deine Kunden, vor allem die neureichen Russen, von dem Betrug Wind kriegen, bist du erledigt. Wir kennen da so ein paar Moskauer in Wien, die das sicher interessiert. Lass es nicht drauf ankommen. Morgen Mittag wird dir die Jungfrau Maria im Beichtstuhl erscheinen.«

In dem Moment kam Erwin mit unserem Schweinsbraten. »Soll ick’s hier servieren?«

Georg zeigte zum anderen Tisch und flüsterte Hasil noch ein paar Worte ins Ohr. Der zuckte merklich zusammen und nickte. Wir zogen uns zurück und widmeten uns dem Braten.

»Was hast du zu ihm gesagt?«, wollte ich von Georg wissen.

»Ich hab ihm damit gedroht, jeden Tag einen toten Pudel in sein Geschäft zu werfen und die Tierschützer auf ihn zu hetzen.«

»Du widerst mich an. Lass die armen Viecher in Ruhe. Erwin, noch zwei Bier!«

Hasil war ein armes Schwein. Seine Lebensgrundlage waren Pudelmützen. Unsere war Piefke 5. Nach dem Essen tranken wir mit Erwin noch ein Bier. Ich fand sein Ziel, ein guter Österreicher zu werden, nicht unbedingt erstrebenswert, ich verschwendete keinen weiteren Gedanken daran. Wir freuten uns schon auf ein Wiedersehen am Donnerstag im Arbeitslosenstrandbad, Erwin arbeitete dort als Barkeeper. Wir würden an diesem Tag als Bademeister für die Aufsicht zuständig sein.

Gegen sieben rafften wir uns endlich auf. Das Männerwohnheim wartete, um acht wurden die Türen geschlossen. Wer sich bis dahin nicht für die Nacht angemeldet hatte, der musste draußen schlafen. Um zehn wurde das Licht abgedreht, dann war Nachtruhe.

Wir öffneten kurz vor acht die Tür. Es herrschte Totenstille, die kalten Flure wirkten um diese Zeit irgendwie unheimlich. Im Erdgeschoss lag die Verwaltung des Heims. Direkt neben dem Stiegenaufgang befand sich die Anmeldung. Ich klopfte und wir traten ein.

Franz saß hinter einem massiven Schreibtisch aus Eichenholz. Er tippte gerade etwas in seinen Computer.

»Sollen wir später noch mal wiederkommen?«, fragte ich.

»Nein, nein, setzt euch. Ihr seid hoffentlich die Letzten, die sich für heute Nacht anmelden. Noch einen kleinen Moment, dann könnt ihr einchecken.«

In den Regalen standen Hunderte von Aktenordnern alphabetisch geordnet. Für Franz war dieser Tag als Leiter sicherlich der Höhepunkt seiner noch kurzen Männerwohnheim-Karriere, allerdings stand er überhaupt nicht auf Öffentlichkeit. Er wollte Paradeiser offenbar helfen, den Mord möglichst schnell aufzuklären. Die Einrichtung der Soko war seine Idee gewesen, mit Herbert hatte er einen willigen Ermittler gefunden. Franz war ein guter Sozialarbeiter. Früher hatte er sich um ausgerissene Kinder und Jugendliche gekümmert, viel Straßenarbeit geleistet und diverse Jugendeinrichtungen betreut. Jetzt kümmerte er sich um die großen Kinder, wie er uns einmal bei einem gemeinsamen Bier nannte. So stellte ich mir die gute Seele eines Heims vor.