Schattenwelten

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Duncan fühlte sich einmal mehr in der Zeit zurückversetzt.

Es schien, als würde er im London des 19. Jahrhunderts verweilen.

Ein Geräusch über ihm ließ ihn Aufsehen.

Er erblickte einen Schwarm von Raben, der um Big Ben zu kreisen schien.

Gelegentlich brach jedoch ein Vogel aus dem Pulk aus und flog auf die gewaltigen Fenster zu, hinter denen die Büroräume der Agentur lagen.

Doch statt gegen das Glas zu prallen glitten sie einfach hindurch, als bestünde das Glas aus Nebel oder Dunst.

>>Eine Zeitung gefällig, Sir?, << fragte eine Stimme hinter ihm.

Duncan fuhr erschrocken herum und sah in das jugendliche und von Akne geplagte Gesicht des Zeitungsjungen. Dieser trug eine Baskenmütze, unter dem sein strohblondes Haar hervorquoll.

>>Tut mir leid, ich habe kein Geld, << erwiderte er freundlich.

Der Junge schien entsetzt und schüttelte heftig den Kopf.

>>Nicht doch, Sir, Mitarbeiter der Agentur bekommen die Zeitung gratis.

Sie sind wohl noch nicht so lange dabei, oder? <<

>>Nicht wirklich, nein, << antwortete Duncan verlegen.

>>Kein Thema, << erwiderte der Zeitungsjunge,>>man lebt sich hier schnell ein.

Und wenn sie einmal Hilfe brauchen, dann zögern sie nicht und fragen Frederick. <<

>>Ich werds mir merken, Fred, << sagte Duncan und nahm eine Zeitung entgegen.

Fred grinste noch einmal, dann setzte er seinen Weg fort.

Duncan schlug die Zeitung auf und begann zu lesen.

Viele Artikel beschäftigten sich mit den Geschehnissen auf der anderen Seite, doch es gab auch andere.

So las er zum Beispiel, dass in den letzten Wochen verschiedene Avatare als vermisst gemeldet worden waren und man noch immer keine Spur von ihnen gefunden hatte.

Es gab ein Interview mit einem Mann namens Moroghan, der scheinbar eine bedeutende Persönlichkeit war, denn man räumte diesem Bericht anderthalb Seiten ein.

Und in einem kurzen Beitrag ging es um den Nachlass einer Familie namens MacMannus, der von der Agentur beschlagnahmt worden war.

Dem Text entnahm Duncan, dass diese Familie zwar über ein großes Vermögen verfügt hatte,

jedoch einen zweifelhaften Ruf genoss.

Man dichtete ihr Verbindungen zur dunklen Seite an, wie es hieß, und der letzte MacMannus war schon vor Jahren spurlos verschwunden.

Es gab viele, die sich um das Erbe bemühten, da es beträchtlich war, doch niemandem schien es bisher gelungen zu sein, seine Verwandtschaft zu dieser Familie unumstößlich zu belegen.

Auf der letzten Seite prangte in dicker Schrift :

Ausgangsperre verlängert !!!!

Duncan begann zu lesen und fand so heraus, dass die Agentur eine vor sechs Tagen verhängte Ausgangssperre für bestimmte Stadtteile nun doch nicht, wie zuerst verlautbart, aufheben würde.

Stattdessen würde es sogar verlängert, und zwar um eine weitere Woche.

Dies, so hieß es, wäre die Reaktion auf die unkooperativen Verhaltensweisen einiger Anwohner, die man zu einem vor sechs Tagen verübten Attentat befragen wollte.

Scheinbar waren Mitarbeiter der Agentur angegriffen worden, einige Läden seien dabei sogar zerstört worden.

Duncan sah sich um und überlegte, ob er wohl auf die andere Seite zurückkehren konnte.

Was hatte Trashcan ihm gesagt? Man solle zur Seite treten, um dann nochmal zur Seite zu treten?

Duncan schloss die Augen und versuchte sich zu konzentrieren, seine Gedanken zu sammeln.

Dann hob er den Fuß und trat einen Schritt vor.

Für den Hauch eines Augenblicks verspürte er Druck auf seinen Ohren, dann stieß ihn jemand zu Boden und rief:

>>Können sie nicht aufpassen?! <<

Um ihn herum ertönten die Geräusche Londons, wie er sie kannte. Er öffnete wieder die Augen und erblickte einen roten Bus, in dem unzählige Touristen saßen.

Duncan erhob sich und trottete zu einem HotDog-Stand in der Nähe.

Er holte seine verbliebenen Pfundnoten aus der Tasche, kaufte sich etwas zu essen und ging dann hinunter ans Ufer der Themse, die gemächlich dahin dümpelte.

Als er eine Weile am Ufer gesessen hatte und einfach seinen Gedanken nachhing, vernahm er ein leises Hüsteln neben sich.

Als er sich umsah, erblickte er Trashcan, der recht verlegen neben ihm stand und mit dem Fuß im Sand scharrte.

>>Wie geht’s?, << fragte der Kobold.

>>Könnte besser sein, << erwiderte Duncan ehrlich.

Trashcan hockte sich neben den jungen Mann und zog unter seinem schmutzigen Mantel ein angeschimmeltes Stück Brot hervor.

Annabelle landete auf Duncan’s Schulter und summte fröhlich.

>>Hast drüben einiges zu hören gekriegt, wie?, << erkundigte sich der Schmutzkobold.

Duncan sah auf ihn hinunter und erwiderte:

>>Allerdings! Ich bin noch nie so vielen seltsamen Leuten begegnet wie heute.

Und ich darf mich nun entscheiden, ob ich eine Art Geheimpolizist werden will, der vermutlich James Bond Konkurrenz machen könnte, oder ob ich bleiben möchte wie bisher, um irgendwann tot umzufallen und vergessen zu werden. <<

>>James Bond ist doch gar nicht so schlecht, << bemerkte Trashcan nachdenklich,>>der erlebt wenigstens was im Leben.

Sicherlich wird dein neues Leben anders sein, aber du hast es ja schließlich in der Hand.

Du kannst selbst entscheiden, wohin deine Reise führen wird.

Aber wie sagte mein Großvater immer schon; lieber fünf Minuten auf der Überholspur, als ewig auf dem Standstreifen zu stehen. <<

>>Was soll das für eine Lebensweisheit sein?, << fragte Duncan irritiert.

Trashcan zuckte mit den Schultern.

>>Keine Ahnung, mein Opa war meist sturzbetrunken. Der wusste meist selbst nicht, was er redete.

Aber kommts darauf an? Der Kern der Sache ist doch, dass du deinen Weg selbst erkennen und beschreiten musst. Damit hat es sich im Grunde auch schon. <<

>>Trotzdem ist es eine sehr dürftige Weisheit, die du mir da mitteilst, << antwortete Duncan beharrlich.

>>Is die einzige, die ich dir anbieten kann, << erwiderte der Kobold gelassen, drehte den Kopf und sah dann wieder Duncan an.

>>Psst, << sagte er und legte den Zeigefinger auf die Lippen, während er mit der anderen Hand hinter sich deutete.

Duncan blickte sich um und sah eine Gruppe von Jugendlichen, die sich plappernd näherten.

Unter ihnen war auch ein Mädchen, welches neugierig zu ihm hinüber blickte.

Sofort schaute Duncan wieder weg, doch das schien die Neugier des Mädchens nur zu steigern.

Sie löste sich von ihren Freunden und trat zu ihm.

>>Mit wem redest du denn? , << fragte sie.

>>Mit niemandem, << antwortete Duncan und vermied es, sie anzusehen.

>>Aber du hast doch grad noch mit wem gesprochen, << erwiderte sie,>>ich habs genau gehört.

Wie heißt du? Kommst du aus der Gegend? <<

Duncan schüttelte nur den Kopf. Er spürte, wie sich Nervosität in ihm breit machte.

>>Hast du plötzlich deine Stimme verloren? Überhaupt ist es unhöflich, jemanden nicht anzuschauen, mit dem man spricht. <<

Das Mädchen war hartnäckig, soviel stand fest.

>>Also? <<

>>Also was? , << fragte Duncan.

>>Wie ist dein Name? Schon vergessen? Das war meine letzte Frage an dich. <<

>>Deine letzte Frage war, ob ich aus der Gegend hier komme, << erwiderte Duncan leicht amüsiert.

>>Aha, du kannst also doch sprechen, << sagte sie und setzte sich neben ihn.

>>Mein Name ist Daphne, << sagte sie dann und reichte Duncan die Hand.

Zögernd ergriff er diese und schüttelte sie.

>>Duncan, << erwiderte er und starrte auf das bleigraue Wasser der Themse.

>>Nett, dich kennen zu lernen, << antwortete Daphne freundlich.

>>Gehst du auf eine der Schulen hier? Ich bin nur zu Besuch hier. Wie alt bist du denn? <<

Duncan antwortete ihr, woraufhin Daphne zufrieden lächelte.

>>Ich werde im Januar Achtzehn. Mache hier grad Ferien bei meiner Tante, komme aus Birmingham und will später mal Jura studieren. Was machst du so? <<

>>Entschuldige, aber ich kenne dich gar nicht! Warum sollte ich dir was über mich erzählen? <<

Die offensichtliche Neugier und das Interesse von Daphne verwirrten Duncan mehr und mehr.

>>Wir kennen uns doch jetzt, << gab sie zur Antwort.

>>Außerdem finde ich dich ganz nett, also könntest du zumindest ebenso nett sein und meine Fragen beantworten. Das gehört sich so, hab ich mal gehört. <<

>>Ach, das gehört sich so? <<

Daphne’s Interesse an ihm schmeichelte Duncan und er entspannte sich etwas.

>>Allerdings, << erwiderte sie grinsend.

>>Na, wenn das so ist, dann will ich mal nicht so sein.

Ich gehe hier nicht zur Schule, komme aber auch nicht von hier. Zumindest ursprünglich nicht.

Und ich bin gerade dabei, wichtige Entscheidungen für meinen weiteren Lebensweg zu fällen. <<

>>Uih, das waren ja ganze drei Sätze, << rief Daphne lachend.

>>Hat es sehr viel Überwindung gekostet? Tat es weh? <<

 

>>Nicht so sehr, wie ich zuerst angenommen hatte, << antwortete Duncan.

Die beiden begannen gleichzeitig zu lachen.

Nach einer Weile zog Daphne eine Plastikdose mit einigen belegten Broten darin aus ihrem Rucksack und reichte ein Sandwich an Duncan weiter. Dieser nahm es dankend entgegen und nutzte die Gelegenheit, Daphne endlich genauer zu betrachten.

Sie war recht hübsch anzusehen, hatte rötlich schimmerndes Haar und eine kleine Stupsnase.

Ihre Haut schien makellos zu sein, war weiß wie Milch und glänzte leicht.

Außerdem trug sie eine randlose Brille mit leicht getönten Gläsern, was wirklich gut zu ihrer Haarfarbe und Frisur passte. Sie hatte ihre Haare nämlich zu einem Knoten gebunden und sah aus wie eine strenge Lehrerin oder etwas in der Art.

Trashcan hüpfte neben ihr herum und winkte Duncan zu, dann verschwand er irgendwo zwischen den Steinen am Flussufer, wohin ihm Annabelle summend folgte.

>>Und was für ein Job ist das, den du anzunehmen gedenkst? <<

Daphne schien die peinliche Pause in der Konversation überbrücken zu wollen.

>>Das kann man nur sehr schwer beschreiben, << antwortete Duncan zurückhaltend.

Sie nickte langsam und fragte:

>>Dann ist es ein Job im Staatsdienst? Oder beim Militär? <<

>>Von beidem etwas, würde ich sagen. <<

>>Klingt ja sehr mysteriös, << sagte Daphne ,>>aber auch interessant. Ich kann aber verstehen, wenn du mir nicht mehr sagen willst oder kannst.

Mein Dad zum Beispiel hat mir auch nie erzählt, was er eigentlich beruflich macht.

Hab ihm nachspioniert und belauscht, aber nie irgendetwas herausgefunden.

Da ist man siebzehn Jahre lang die Tochter von jemandem und weiß nicht einmal, was derjenige von Beruf ist. Ziemlich schwach, oder? <<

>>Wie man’s nimmt, << sagte Duncan.

>>Ich bin in einem Waisenhaus aufgewachsen und erst gestern Morgen von dort weggekommen.

In den letzten vierundzwanzig Stunden habe ich kaum geschlafen und mehr Dinge erfahren, als mir selbst eigentlich lieb sein sollte. <<

>>Jaja, so ist das manchmal im Leben, <

>>Erst tut sich jahrelang gar nichts, und dann ändert sich alles in nur einem Augenblick.

Das kann einem ganz schön zusetzen. Hast du eigentlich eine Freundin? <<

Duncan erstarrte und bekam feuchte Hände.

Mit dieser Frage hatte er überhaupt nicht gerechnet.

>>Also nicht, wie? , << sagte Daphne schließlich eher feststellend als fragend.

>>Wundert mich eigentlich, wo du doch ein ganz Netter bist. Hast du dich verschluckt? <<

Duncan hustete heiser und klopfte sich auf die Brust.

Bei Daphne’s letzten Worten war ihm ein Brotkrümel wohl in den falschen Hals gerutscht.

Behutsam schlug ihm das Mädchen auf den Rücken, bis er sich etwas beruhigt hatte und wieder freier atmen konnte.

>>Heute Abend schon was vor? <<

Wieder schnürte sich Duncan’s Hals zu, und er begann erneut zu husten.

Irgendetwas ging hier doch nicht mit rechten Dingen zu.

Noch nie war er von einem Mädchen nach einer Verabredung gefragt worden!

Na bisher hast du auch in einem Waisenhaus gelebt, du Narr, sagten seine zweiten Gedanken.

Da bieten sich nicht sonderlich viele Gelegenheiten für eine Verabredung.

>>Ich habe noch nichts geplant, << brachte er keuchend hervor.

>>Super, << erwiderte Daphne zufrieden, >>dann können wir ja ins Temple gehen.

Das ist eine absolut angesagte Disko hier ganz in der Nähe.

Ein paar Freunde wollen mit mir da hin, aber ich geh nur, wenn du wirklich mitkommst. <<

>>Jetzt hängt es also von mir ab, ob du einen schönen Abend haben wirst, << brummte Duncan.

Das kann ja was werden, dachte er bei sich.

>>Dann kannst du mich ja um elf Uhr an der Waterloo Station abholen. Ich freu mich drauf. <<

Daphne sprang auf und schulterte ihren Rucksack, warf Duncan ein letztes strahlendes Lächeln zu und eilte dann zu ihren Begleitern zurück, die bereits auf sie gewartet hatte.

Duncan starrte völlig perplex auf die Themse hinaus und versuchte, das Gespräch in Gedanken zu wiederholen, doch irgendwie entzog es sich ihm ständig.

Elf Uhr, Waterloo Station, das war ihm im Kopf geblieben.

Dennoch versuchte Duncan, das Geschehene aufzuarbeiten.

Er hatte ein nettes Mädchen kennen gelernt, die Daphne hieß und ihm ein Gespräch aufgezwungen hatte, wenn man in diesem Fall von Zwang sprechen konnte.

Und sie hatte ihm von sich erzählt, wenn auch nicht sehr viel.

Nicht zu vergessen, dass sie ihn um eine Verabredung gebeten hatte, für heute Abend.

Erstaunlich, dachten seine zweiten Gedanken.

Was wohl heute noch alles passieren würde?

Zunächst galt es, eine Entscheidung zu fällen.

Sollte er sich der Agentur anschließen? Oder sollte er sein „normales‘‘ Leben weiterführen?

Trashcan hatte recht, wenn er behauptete, dass man selbst seines eigenen Glückes Schmied sei.

Und wenn er für die Agentur arbeitete, dann hätte er gewiss mehr Möglichkeiten, mehr Freiheiten und einen Job, in dem es sicher nie langweilig werden würde.

Also würde er, Duncan, zu Frankenstein auf die andere Seite zurückkehren und sich seiner Behörde anschließen. Aber er würde es sich nie nehmen lassen, sich weiterhin Kontakte in der realen Welt zu erhalten. Er wollte Mensch bleiben, soweit sich dies mit seiner neuen Bestimmung verbinden ließ.

Duncan ahnte nämlich, dass seine neue Heimat, diese Welt voller sonderbarer Geschöpfe namens Schattenbreite, ihn von seiner alten Heimat, der realen Welt, entfremden würde, wenn er nicht Acht gäbe.

Er würde sich nicht klein kriegen lassen, schwor Duncan sich feierlich, als er sich erhob und umsah.

In der Schattenbreite gab es schon genug Dunkelheit, genug Duckmäuser, soviel hatte er schon herausfinden können.

Er würde sich davon nicht beherrschen lassen, soviel stand fest.

Und was immer ihm die Zukunft noch bringen würde, er war bereit, es anzunehmen.

Er wandte sich zum Gehen herum und prallte gegen einen bulligen Mann in einem schwarzen Mantel und einer grimmigen Visage.

>>Entschuldigung, << sagte Duncan und wollte an dem Fremden vorbeitreten, doch dieser hob den Arm und hielt ihn zurück.

>>Sie wollen sich heute Abend mit dem Fräulein Daphne treffen? , << fragte er.

Duncan zuckte mit den Schulter und bejahte, woraufhin der Mann noch einen Schritt näher trat und mit einem düsteren Ton in der Stimme zu ihm sagte:

>>Ich denke, sie sollten sich keinerlei Chancen bei dem jungen Fräulein ausrechnen.

Und ich denke auch, dass sie diese Verabredung verpassen sollten.

Es würde ihnen und mir eine Menge Scherereien ersparen, wenn sie verstehen. <<

Duncan blickte den Mann ernst an.

Er fühlte sich seltsamerweise überhaupt nicht ängstlich oder eingeschüchtert, obwohl der Fremde mit seinem Mantel, seiner bulligen Statur und seinem militärischen Kurzhaarschnitt sehr bedrohlich wirkte.

>>Ich denke, das sollten sie mir überlassen, Mister, << erwiderte er gelassen.

Der Fremde starrte ihn an, als hätte ihm Duncan eine Ohrfeige verpasst, dann jedoch hob er seinen Zeigefinger und hielt ihn genau unter Duncan’s Nase.

>>Soll die in ihrem Gesicht bleiben? , << fragte er.

Duncan schnappte nach dem Finger und grinste frech, als der Mann die Hand ruckartig zurückzog und sich einen Schritt entfernte.

>>Soll der an ihrer Hand bleiben? , << antwortete Duncan.

>>Ich rate ihnen nochmal, die Finger vom Fräulein Daphne zu lassen.

Es kann nur schlecht für sie ausgehen, junger Freund. <<

Mit diesen Worten machte der Mann kehrt und ging die Straße hinunter.

Duncan atmete erleichtert auf, hatte er sich doch bereits innerlich auf eine Auseinandersetzung vorbereitet. Wenn dieser Fremde der Vater von Daphne war, würde es zumindest ein interessanter Abend werden.

Duncan atmete tief ein, schloss die Augen und trat zur Seite.

Wieder spürte er das leichte Ziehen im ganzen Körper und spürte, wie sich seine Umgebung veränderte.

Er öffnete die Augen und befand sich wieder in der Schattenbreite, direkt neben einem Zeitungskiosk, dessen Besitzer ihn furchtbar an einen Zombie erinnerte, den er vor Jahren auf einem Kinoplakat gesehen hatte.

Er trat näher an die Zeitschriften und betrachtete die Überschriften.

Es waren viele dabei, die aus der realen Welt zu stammen schienen, doch einige sahen eher danach aus, als kämen sie aus dem 19. Jahrhundert.

>>Suchste was bestimmtes? , << brummte der Ladenbesitzer.

Duncan schüttelte den Kopf, griff nach zwei Zeitungen, die definitiv aus der Schattenbreite stammten, zahlte und fragte den Verkäufer:

>>Sind sie eigentlich ein Zombie? << Er war selbst überrascht von sich, solch eine Frage zu stellen.

Der Ladenbesitzer grinste und entblößte dabei eine Reihe schwarzer, fauliger Zähne.

>>Der Fehler unterläuft vielen, << sagte er, >>doch es ist auch nicht einfach zu erkennen.

Ich bin kein Zombie, sondern ein Ghul. <<

>>Ähm, wo ist denn der Unterschied? , <

>>Zombie’s sind auferweckte Tote, Ghule aber sind Leichenfresser. <<

>>Ok, vielen Dank, ich muss jetzt…los, << erwiderte Duncan und entfernte sich mit schnellen Schritten.

Was für Wesen mochte es hier noch geben, dachte er, als er fast über eine Gruppe Kobolde stolperte, die aus einer Gasse gerannt kamen.

Die kleinen Wesen brabbelten etwas Unverständliches und verschwanden im Gedränge der Straße.

Er erreichte die Büros der Agentur kurz vor Mittag und fand den Empfangsschalter verlassen vor.

Also betrat er den Saal durch die Haupttür und ging bis zum Büro von Frankenstein, wo er höflich an die Tür klopfte, ehe er eintrat.

>>Man wartet, bis man hereingebeten wird, << fauchte dieser über seinen Schreibtisch hinweg.

>>Sie haben sich schnell entschieden. Darf ich ihre Entscheidung bitte hören? <<

>>Ich habe mich entschieden, ihrer Agentur beizutreten, << antwortete Duncan ohne Umschweife.

Frankenstein lehnte sich zurück und faltete die Hände vor dem Bauch.

>>Es ist nicht meine Agentur, denn wenn es nach mir ginge, dann würde es hier nicht so zugehen, wie es derzeit der Fall ist. Und sie sind auch nicht bei der Armee gelandet, obwohl sie sich daran gewöhnen müssen, Befehle von Vorgesetzten entgegennehmen zu müssen.

Willkommen in der Agentur, Duncan.

Eine Sache muss noch geklärt werden, bevor sie ihren Dienst antreten können.

Mister Miller besteht auf einer Prüfung, da er in ihnen scheinbar verborgene Talente erkannt hat, die sich mir noch nicht offenbart haben. <<

>>Wenn sie von dem Blutritual sprechen, dann bin ich dazu bereit, aber wird es denn keine Ausbildung geben für mich? <<

>>Natürlich werden sie eine theoretische Einweisung erhalten, << erwiderte Frankenstein und erhob sich langsam, >>doch die eigentliche Ausbildung findet draußen auf der Straße statt, im Einsatz sozusagen.

Hat man ihnen erklärt, was genau beim Blutritual zu tun ist?

Wissen sie, worum es dabei geht? <<

Duncan verneinte diese Frage, woraufhin sein neuer Chef mit den Augen rollte und irgendetwas murmelte.

>>Das Blutritual ist ein Vorgang, bei dem der Prüfling mit Gegenständen in Kontakt gebracht wird, die aus den ältesten Insider-Familien stammen.

Diese Artefakte enthalten eine Art kollektives Familiengedächtnis, einen Zauber, durch den alle Angehörigen einer Familie über die Jahrhunderte hinweg miteinander verbunden sind.

Diese Artefakte reagieren auf jedes Familienmitglied, aber nur auf solche!

Durch sie kann man die Identität all jener herausfinden, die von der anderen Seite stammen und nichts über ihre Herkunft wissen. So wie sie. <<

Frankenstein machte eine Pause und blickte Duncan streng an.

 

>>Diese Artefakte haben auch die Macht, jedem Jungen oder Mädchen aus ihrer Familie deren ersten Avatar zu verleihen. Durch das Artefakt wird etwas aktiviert, wenn sie so wollen, was tief in ihnen schlummert. Haben sie das bis hierhin verstanden? <<

>>Ja, Sir, << antwortete Duncan.

>>Haben sie Angst vor dieser Prüfung? , << fragte Frankenstein.

>>Nein, habe ich nicht, << erwiderte Duncan sofort.

Sein Chef nickte nur und öffnete die Tür.

>>Dann folgen sie mir, << sagte er und trat aus dem Büro.

Zusammen gingen sie durch unzählige Büroräume, stiegen etliche Treppen hinab und gelangten schließlich in die, nach Moder und Feuchtigkeit riechenden Kellergewölbe der Agentur.

Vor einer großen, massiven Eichentür hielt Frankenstein an und zog einen Schlüssel hervor, mit dem er das riesige Vorhängeschloss an der Tür öffnete.

Die schwere Tür schwang ohne ein Geräusch auf und gab den Blick frei auf einen kleinen Raum, dessen Wände mit grauen Bleiplatten verkleidet waren.

>>Gehen sie hinein, man wird gleich damit beginnen, ihnen Artefakte vorzulegen. <<

Duncan wich zurück und fragte:

>>Sie bleiben nicht hier? <<

>>Ich habe eine Menge Arbeit zu erledigen, junger Mann, << erwiderte Frankenstein.

>>Ich kann nicht jedem die Hand halten, der hier geprüft wird, nicht einmal dem Liebling von Jonathan Miller. <<

Mit sanfter Gewalt schob er Duncan in den Raum und schloss die Tür.

Dieser sah sich in dem Raum um und entdeckte einen kleinen Tisch samt Hocker, auf dem er nach einer Weile Platz nahm.

Es dauert einige Minuten, bis sich schließlich die Tür erneut öffnete und eine alte Dame mit einem Handwagen herein kam.

Auf dem Wagen lagen verschiedene Dinge, die sie alle der Reihe nach Duncan in die Hand drückte, ohne ein Wort zu sagen.

Es begann mit einem kleinen Goldring, der aber für seine Größe enorm schwer zu sein schien.

Dann folgten eine kleine Puppe, eine Taschenuhr, ein Baseballhandschuh und ein Golfball (was Duncan doch sehr verwunderte), dann durfte er einen Kerzenständer, eine Porzellanfigur und ein schartiges altes Messer in die Hand nehmen.

Bei all diesen Gegenständen tat sich jedoch nichts.

Es erklang kein mysteriöser Ton, es sprühten nirgends Funken und auch sonst gab es kein nennenswertes Ereignis.

Die Alte schien sich darüber zu ärgern, denn je länger es dauerte, desto mürrischer wurde ihr Gesichtsausdruck und desto heftiger entriss sie die Artefakte Duncan wieder.

Als sie den letzten Gegenstand wieder auf dem Wägelchen verstaut hatte, fragte Duncan:

>>Waren das denn nun alle oder gibt es noch einen Wagen? <<

>>Es gäbe da noch

ein

Artefakt, << verkündete die Alte in unheilsschwangerem Tonfall, >>doch das ist unter Verschluss. Ich müsste erst an oberster Stelle nachfragen, ob wir an ihnen dieses Artefakt prüfen dürfen. <<

>>Wenn es hilft, hier endlich fertig zu werden, dann bin ich doch glatt dafür, << rief Duncan entnervt.

Die Alte verließ den Raum und brauchte fast eine halbe Stunde, um wieder zurückzukehren.

Und sie kam nicht allein.

Hinter ihr trat ein Unbekannter mit in den Raum, der mit einem gewinnenden Lächeln auf dem Gesicht an Duncan herantrat und ihm die Hand reichte.

>>Eine Freude, sie kennen zu lernen, mein Freund, << sagte er.

>>Ich bin Russell Doobs. Sie werden sicher schon von mir gehört haben? <<

>>Ich muss gestehen, dass dem nicht so ist, << antwortete Duncan freundlich.

Die Alte stieß einen kurzen Pfiff aus, für den sie einen finsteren Blick von Mister Doobs erntete.

>>Ich bin der Agenturleiter, << teilte er, mit unterdrückter Wut in der Stimme, Duncan mit.

>>Ihr Vorgesetzter, wenn sie so wollen. Wer hat sie noch gleich in Empfang genommen? <<

>>Mister Frankenstein, Sir, << antwortete Duncan und konnte seine Schadenfreude kaum verbergen.

>>Und er hat mir nicht gesagt, dass es außer ihm noch einen höhergestellten Diensthabenden gibt.

Ich muss mich bei ihnen entschuldigen, Sir. <<

Doobs winkte ab und schien sich zu beruhigen.

>>Nicht ihr Fehler, mein Freund, nicht ihr Fehler, << stellte er fest.

>>Doch wir sind ja nicht hier, um Smalltalk zu halten. Miss Hunt hat mir mitgeteilt, dass sie ein Neuling sind, auf den keines unserer

üblichen

Artefakte reagiert hat.

Zweifellos hat aber Mister Miller ihre Befähigung festgestellt, wie er mir persönlich bereits versicherte. Nun bat er mich, und Miss Hunt im Übrigen ebenfalls, sie an einem speziellen Gegenstand zu prüfen. Dazu möchte ich vorher einige Dinge klären, denn es könnte gefährlich werden, zumindest für sie. <<

>>Ach?! << Zu mehr konnte sich Duncan aus Furcht nicht durchringen.

>>Allerdings, << sagte Mister Doobs, >> denn das Artefakt, von dem wir sprechen, kommt aus keinem guten Hause, wenn sie verstehen. <<

>>Ich verstehe nicht ganz, << erwiderte Duncan und spürte, wie sein Mund austrocknete.

>>Nun, die Familie, über die wir hier sprechen, ist eine der ältesten Familien, die es bei uns gibt, doch ihr Leumund ist nicht der Beste.

Es wird vermutet, dass diese Familie in engem Kontakt zu Personen und Kräften stand, die sich düsteren Wegen verschrieben hatten.

Daher wurde erst kürzlich sämtlicher Besitz dieser Familie von uns konfisziert, da der letzte bekannte Erbe schon vor Jahren spurlos verschwunden ist und dessen Hab und Gut nun geprüft werden muss.

Das Artefakt nun, von dem wir reden, könnte mit einem Fluch oder bösem Zauber belegt sein.

Es könnte sich also als tödlicher Irrtum herausstellen für sie, wenn sie nicht zu dieser Familie gehören sollten. <<

>>Aber wenn sie sonst keine Artefakte mehr haben, die mich prüfen können, dann bleibt uns ja eh keine Wahl, oder sehe ich das falsch? <<

Mister Doobs schien nervöser zu werden, denn er rieb seine Hände sehr energisch aneinander und wollte gar nicht mehr damit aufhören.

>>Das ist korrekt, junger Mann, << brachte er schließlich hervor.

>>Aber sie sollten sich trotzdem des Risikos bewusst sein. <<

>>Das habe ich verstanden, << antwortete Duncan und verbarg seine eigene Aufregung.

Der Agenturleiter nickte Miss Hunt zu, die den Raum erneut verließ und wenig später mit einer Glaskugel zurückkehrte, die sie auf den Tisch legte.

Duncan blickte auf das Artefakt hinab und erkannte, dass in der gläsernen kugel eine zweite eingeschlossen war, die die Größe eines Stecknadelkopfes hatte und bläulich glänzte.

Vorsichtig nahm er die Kugel in die Hände und betrachtete das matte Schimmern.

Das Artefakt reflektierte die Wärme seiner Hände, fühlte sich selbst aber kalt und glatt an.

Doch es schien sonst nichts zu geschehen.

Nach einigen Minuten atmete Mister Doobs laut aus.

>>Wir haben uns wohl geirrt, denn…! <<

Und da geschah es.

Doobs wollte nach der Kugel greifen, als er plötzlich mitten in der Bewegung einfror.

Auch Miss Hunt, die gerade niesen musste, erstarrte und verharrte in einer komischen Haltung.

Duncan erschrak, wollte das Artefakt fallen lassen, doch die Glaskugel klebte an seinen Händen und verwandelte sich.

Das gläserne Äußere wurde nach innen gesogen, und das bläuliche Schimmern drang nach außen.

Ein statisches Prickeln ging dem jungen Mann durch Mark und Bein, während die Kugel aus blauem Licht allmählich wärmer wurde.

Und dann spürte Duncan, wie jemand ihm sanft über die Wange strich.

Er sah sich um und erkannte eine Gestalt, einen Schatten an der Wand, der langsam aus den Bleiplatten heraus trat.

Zuerst war es wirklich nur ein Schatten, eine Gestalt ohne Konturen und Form, fast einem Nebel gleich, doch innerhalb weniger Augenblicke gewann dieses Wesen an Masse.

Erschrocken beobachtete Duncan, wie der schwarze Schatten zu einer Gestalt wurde, zu einer Person in einem weiten schwarzen Mantel mit einem hohen Stehkragen. Auf dem Kopf trug es einen breiten Schlapphut, der ihm ins Gesicht fiel und so sein Antlitz verbarg.

Schwere, ebenfalls schwarze Stulpenstiefel erschienen unter dem Saum des Mantels und auf dem Hut selber wuchs eine rote Hahnenfeder hervor, die wie eine kleine Flamme zu flackern schien.

Das Wesen hob die Arme und betrachtete seine Hände, die in schwarzen Handschuhen steckten.

Es nickte und brachte damit einen Ausdruck von Anerkennung zustande.

Dann trat es zu Duncan und legte ihm die handschuhbewehrte Rechte auf die Schulter.

Augenblicklich kam der Zeitfluss wieder in Gang, so dass Miss Hunt ihr Niesen beenden konnte.

Mister Doobs jedoch war starr vor Schreck.

Er blickte auf Duncan und das Wesen, als wäre ihm der Leibhaftige erschienen.

>>Um Himmels Willen, << stöhnte er entsetzt, >> ein schwarzer Mann! <<

Miss Hunt flüchtete aus dem Raum und warf die Tür hinter sich zu.

>>Nicht

ein

schwarzer Mann, << widersprach das Wesen, >>sondern

der

Schwarze Mann. <<

Die Stimme des Wesens klang sanft und wie geölt, war fast ein Flüstern, doch man konnte jedes Wort klar verstehen.

Mister Doobs wich zurück, dann aber riss er sich zusammen und sagte:

>>Das ist äußerst ungewöhnlich, mein junger Freund. Aber eines steht damit zweifelsohne fest.

Sie sind ein Spross der Familie MacMannus. <<

Duncan erinnerte sich an den Zeitungsbericht, den er gelesen hatte, doch verstehen konnte er das alles überhaupt nicht. Was war das für ein Geschöpf? Warum fürchtete sich sein Boss vor ihm?

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