Die straflose Vorteilsnahme

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Teil 2 Bestandsaufnahme – Der Tatbestand der Vorteilsannahme › B. Das durch den Tatbestand der Vorteilsannahme geschützte Rechtsgut

B. Das durch den Tatbestand der Vorteilsannahme geschützte Rechtsgut

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Die Frage, welches Rechtsgut von dem Tatbestand der Vorteilsannahme geschützt werden soll, ist von zentraler Bedeutung und bildet das Fundament für die weiteren Überlegungen in dieser Arbeit. Denn insbesondere anhand des Rechtsguts kann und soll sich im weiteren Verlauf der Untersuchung zeigen, wann eine Vorteilsannahme straflos ist. Wenn das Rechtsgut, das durch die strafrechtliche Ahndung einer Vorteilsannahme geschützt werden soll, durch die Annahme eines Vorteils nicht oder nicht in dem Maße tangiert wird, dass es einer strafrechtlichen Sanktionierung bedarf, so muss diese Handlung aus dem strafbaren Bereich des § 331 StGB herausfallen. Die Antwort auf die Frage, welches Rechtsgut durch die Vorteilsannahme geschützt werden soll, ist jedoch umstritten.[1]

Teil 2 Bestandsaufnahme – Der Tatbestand der Vorteilsannahme › B › I. Die Unentgeltlichkeit der Amtsführung?

I. Die Unentgeltlichkeit der Amtsführung?

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Eine (ältere) Ansicht sieht die „Unentgeltlichkeit der Amtsführung“ als das durch den Tatbestand geschützte Rechtsgut an.[2] Diese Ansicht ist jedoch abzulehnen. Viele Diensthandlungen werden gerade nur gegen eine Gebühr vorgenommen, sodass sich bereits daraus ergibt, dass es keinen Anspruch des Bürgers auf eine kostenlose Verwaltung gibt.[3] Durch § 331 Abs. 1 StGB soll nicht erreicht werden, dass der Bürger nicht mehr als die vorgeschriebenen Abgaben, oder für den Fall, dass keine Abgaben zu entrichten sind, überhaupt welche leistet. Vielmehr ist der Zusammenhang zwischen Annahme des Vorteils und der Dienstausübung entscheidend und begründet den Unwert der Tat; das bloße Abstellen auf die Annahme des Vorteils allein kann diese Begründung nicht liefern.[4]

Teil 2 Bestandsaufnahme – Der Tatbestand der Vorteilsannahme › B › II. Die Reinhaltung der Amtsausübung?

II. Die Reinhaltung der Amtsausübung?

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Für das Reichsgericht bestand das Rechtsgut in der „Reinhaltung der Amtsausübung“, welche ein „bedeutsames Rechtsgut des gesamten Volkes“ darstelle.[5] Dieser Ansicht hat sich zunächst auch der BGH angeschlossen.[6] Diese Einschätzung geht zwar bereits in die richtige Richtung, ist aber noch viel zu ungenau, um für spätere Überlegungen eine Ausgangsbasis für die Frage nach der Einordnung eines Verhaltens als strafbar oder straflos zu bilden.[7] Was genau unter „Reinhaltung der Amtsausübung“ verstanden werden kann, ist nicht näher konkretisierbar und zu pauschal, es trifft darüber hinaus nicht nur auf die Tatbestände des Korruptionsstrafrechts (§ 331 bis § 335 StGB), sondern auf alle Amtsdelikte zu.[8] So wird auch durch die Rechtsbeugung (§ 339 StGB), die Falschbeurkundung im Amt (§ 348 StGB) und sogar durch die Körperverletzung im Amt (§ 340 StGB) die Reinhaltung der Amtsausübung berührt und verletzt. Es ist nichts, was nur den Korruptionsdelikten immanent ist.[9]

Teil 2 Bestandsaufnahme – Der Tatbestand der Vorteilsannahme › B › III. Die Unverfälschtheit des Staatswillens?

III. Die Unverfälschtheit des Staatswillens?

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Teilweise wird angenommen, dass mit der Vorteilsannahme eine „Verfälschung des Staatswillens“ einhergeht, da durch die Vorteilsannahme die Entscheidung des Amtsträgers anders ausfällt, als wenn er keinen Vorteil erhalten hätte und nur aus rein sachlichen Gesichtspunkten entschieden hätte, sodass im Umkehrschluss als geschütztes Rechtsgut die Unverfälschtheit des Staatswillens anzusehen sei.[10] Diese Ansicht konnte sich auf den Willen des Gesetzgebers stützen, der dies in seiner Gesetzesbegründung zum EGStGB unter anderem als zu schützendes Rechtsgut ansah.[11] Auch diese Ansicht verdient eine kritische Bewertung und ist letztendlich abzulehnen.

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Um zu dieser Einschätzung zu kommen, muss man sich bewusst machen, dass der Amtsträger bei der Vorteilsannahme rechtmäßig handelt bzw. dass keine künftige oder vergangene, ausreichend bestimmte Diensthandlung dem Vorteil zuzuordnen ist. Im Endergebnis wird also zumindest keine pflichtwidrige Diensthandlung durch den Vorteil bezweckt. Der Amtsträger macht also, stellt man auf die Richtigkeit und Sachlichkeit der Entscheidung ab, „nichts falsch“.

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Gemäß Art. 20 Abs. 3 GG ist die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung an Gesetz und Recht gebunden. Es wird, mit anderen Worten, ein rechtmäßiges Verhalten von diesen Gewalten gefordert. Dieses rechtmäßige Verhalten stellt den Staatswillen dar. Erst wenn nicht mehr rechtmäßig, sondern rechtswidrig gehandelt wird, wird der Staatswille verfälscht. Da der Amtsträger bei den §§ 331, 333 StGB aber rechtmäßig handeln „muss“,[12] kann denknotwendig die Gefahr einer Verfälschung des Staatswillens schon nicht bestehen.[13] Handelt er rechtswidrig, so sind nicht die Tatbestände der Vorteilsannahme oder Vorteilsgewährung, sondern die Tatbestände der Bestechlichkeit (§ 332 StGB) oder der Bestechung (§ 334 StGB) einschlägig.

Nicht zu erklären ist mit diesem Ansatz zum Rechtsgut auch die Tatsache, dass der Amtsträger bestraft wird, wenn er nachträglich einen Vorteil annimmt.[14] Wie bereits gesagt, hat der Amtsträger (in diesem Fall vorher) sachlich korrekt gehandelt und dazu noch nach der Diensthandlung etwas erhalten, sodass seine Entscheidung gar nicht kausal auf der Vorteilsgabe beruhen konnte. Trotzdem fällt auch dieses Verhalten unter § 331 StGB. Hier wird besonders deutlich, dass sich diese Sanktionierung nicht mit der Verfälschung des Staatswillens begründen lässt.[15] Auch der BGH hat dieser Ansicht richtigerweise eine Absage erteilt.[16]

Teil 2 Bestandsaufnahme – Der Tatbestand der Vorteilsannahme › B › IV. Das Vertrauen der Bevölkerung in eine sachlich und neutral entscheidende Verwaltung als primäres Rechtsgut des § 331 StGB

IV. Das Vertrauen der Bevölkerung in eine sachlich und neutral entscheidende Verwaltung als primäres Rechtsgut des § 331 StGB

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Das Rechtsgut, das durch § 331 StGB geschützt wird, ist das Vertrauen der Bevölkerung in eine sachlich und neutral entscheidende Verwaltung.[17]

Das Vertrauen der Bevölkerung in eine sachlich und neutral entscheidende Verwaltung stellt einen Wert dar, der in einem Rechtsstaat nicht unterschätzt werden darf.[18] Wird nach außen hin deutlich, dass ein Amtsträger einen Vorteil von jemandem erhalten hat und kommt dann noch das Wissen hinzu, dass ein Zusammenhang zwischen dem Vorteil und der Dienstausübung des Amtsträgers besteht, so drängt sich nach außen hin der Eindruck auf, dass die Diensthandlung aufgrund der Vorteilsgabe vorgenommen worden ist.

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Wird der Vorteil „nur“ gewährt, um den Amtsträger anzufüttern oder gütlich zu stimmen, so gilt im Ergebnis ebenfalls nichts anderes. Nach außen hin wird durch diesen Vorgang deutlich gemacht, dass es eine wenn auch lose Verknüpfung zwischen der Gabe bzw. Annahme eines Vorteils und der Dienstausübung gibt. Auch wenn der Amtsträger keine konkrete Diensthandlung zugunsten des Vorteilsgebers vorgenommen hat und sich hierzu auch (noch) nicht bereit gezeigt hat, so wird doch nach außen hin das Signal ausgesendet, dass der Vorteilsgeber versucht, den Amtsträger auf „seine Seite“ zu ziehen, wobei der Zweck relativ eindeutig ist, nämlich hiervon einmal zu profitieren (falls er es nicht schon getan hat). Des Weiteren zeigt der Amtsträger durch die Annahme solcher Zuwendungen, dass er eine besondere, eine bessere und über die normale, neutrale, zwischen Amtsträger und Bürger bestehende Beziehung hinausgehende Verbindung aufbaut und sich deshalb in Zukunft (vielleicht auch schon in der Vergangenheit) einmal „dankbar“ zeigen wird. Dass zu diesem Zeitpunkt eine bestimmte, geschweige denn eine rechtswidrige Handlung des Amtsträgers noch gar nicht vorgenommen wurde bzw. angedacht ist, spielt keine Rolle. Nach außen hin wird deutlich, dass zwischen Vorteilsgeber und Vorteilsnehmer eine Verknüpfung entsteht, die über das Normalmaß hinausgeht. Der Bürger kann nicht mehr einschätzen, ob der Amtsträger gegenüber diesem Vorteilsgeber noch sachlich entscheiden kann, oder ob er sich von den Vorteilen beeinflussen lässt. Das Ansehen des Staatsapparates wird hierdurch letztendlich erschüttert, die Allgemeinheit verliert das Vertrauen in die Sachlichkeit der Entscheidungen der für den Staat handelnden Amtsträger.[19] In der Konsequenz kann dies sogar so weit gehen, dass der Bürger die Entscheidungen der Verwaltung nicht mehr akzeptiert.[20]

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Deshalb ist dem BGH zuzustimmen, wenn er zum Rechtsgut ausführt: „Die Makellosigkeit des Amtes nach außen soll gesichert werden; mit der Ehrenhaftigkeit und vor allem Unbestechlichkeit der Beamten soll die Grundlage für das Vertrauen der Bevölkerung erhalten werden, dessen die Staatsverwaltung für eine gedeihliche Wirksamkeit bedarf. […] Das Vertrauen der Öffentlichkeit wird schon erschüttert, wenn auch nur der Anschein der Käuflichkeit […] erzeugt wird.“[21] Zwar geht die Rechtsprechung teilweise auch noch von der Auffassung aus, dass die „Reinheit der Amtsführung“ Schutzzweck des § 331 StGB ist,[22] jedoch haben sich die Akzente[23] eindeutig hin zu einer sich auf die Außenwirkung der Vorteilsannahme konzentrierenden Auffassung verschoben.[24] So wird in einer Entscheidung des BGH auch nicht mehr die Lauterkeit des öffentlichen Dienstes, sondern das Vertrauen in die Lauterkeit des öffentlichen Dienstes als Schutzgut genannt.[25]

 

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Das Vertrauen der Allgemeinheit in eine sachlich und neutral entscheidende Verwaltung ermöglicht es auch zu erklären, warum nachträglich angenommene Vorteile von § 331 StGB erfasst werden. Auch hier begründet sich beim Bürger der Verdacht, dass die Entscheidung des Amtsträgers nicht nur aus rein sachlichen Erwägungen so ausgefallen ist, sondern der Amtsträger eine Belohnung für seine Dienstausübung bekommen hat und dies vorher sehr wahrscheinlich bereits so zwischen Vorteilsnehmer und Vorteilsgeber vereinbart war. Ob die Diensthandlung rechtmäßig war oder nicht, ist für diese Bewertung gleichgültig; es reicht schließlich der Anschein der Käuflichkeit von Diensthandlungen aus.[26] Damit lässt sich festhalten, dass die Tatsache, dass der Amtsträger rechtmäßig handelt, ihm zwar im Vergleich zu § 332 StGB strafmildernd zugutekommt, jedoch grundsätzlich nicht eine Strafbarkeit entbehrlich macht, da das Vertrauen des Bürgers in eine sachlich entscheidende Verwaltung auch bei einer Vorteilsgewährung bzw. Vorteilsannahme für (den Bürger meistens sowie nicht erkennbaren) rechtmäßige Diensthandlungen erheblich erschüttert wird.[27]

Falsch wäre es, die Strafbedürftigkeit damit zu begründen, dass ein Amtsträger, der einmal einen Vorteil für eine rechtmäßige Diensthandlung angenommen hat, das nächste Mal wohl auch einen Vorteil für eine rechtswidrige Diensthandlung annehmen würde.[28] Dass ein solcher Verdacht gegen den Amtsträger auftritt, ist sogar erst einmal verständlich.[29] Dennoch ist es letztendlich aber reine Spekulation, die keinen Eingang in den Tatbestand gefunden hat und nicht herangezogen werden darf, um eine Strafbarkeit zu begründen.[30] Der Amtsträger würde ansonsten strafrechtlich für etwas geradestehen müssen, dass er schlichtweg noch gar nicht getan, ja nicht einmal versucht hat. Die Strafbarkeit würde mit Konjunktiven begründet, wobei nicht einmal die Gesinnung, sondern die gemutmaßte Gesinnung des Täters der Grund hierfür wäre. Dies aber ist in einem Rechtsstaat kein akzeptables Fundament für die Begründung einer Strafbarkeit.

Teil 2 Bestandsaufnahme – Der Tatbestand der Vorteilsannahme › B › V. Kritik am Rechtsgut „Vertrauen der Bevölkerung in eine sachlich und neutral entscheidende Verwaltung“ – das „Vertrauen in etwas“ als kein vom Strafrecht zu schützendes Rechtsgut

V. Kritik am Rechtsgut „Vertrauen der Bevölkerung in eine sachlich und neutral entscheidende Verwaltung“ – das „Vertrauen in etwas“ als kein vom Strafrecht zu schützendes Rechtsgut

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Diese Auffassung vom Rechtsgut der Vorteilsannahme wird von den Teilen der Literatur kritisiert, die das Vertrauen in eine sachlich und neutral entscheidende Verwaltung überhaupt nicht als Schutzgut anerkennen wollen. Sie wird insbesondere mit dem Argument angegriffen, dass das „Vertrauen in etwas“ kein vom Strafrecht her zu schützendes Rechtsgut sein könne, da man letztendlich bei allen Tatbeständen dann ein „Vertrauen in etwas“ schützen müsse, was aber ersichtlich nicht der Fall sei, da sonst das Rechtsgut grenzenlos werde.[31] Wollte der Gesetzgeber ausnahmsweise bei § 331 StGB das Vertrauen in die ordnungsgemäße Verwaltung schützen, so hätte er dies kenntlich gemacht.[32] Außerdem würde bei den Bestechungsdelikten das Rechtsgut grenzenlos, nähme man das Vertrauen in eine sachlich und neutral entscheidende Verwaltung als das solche an.[33] Selbst minimale Gefahren für die ordnungsgemäße Amtsführung könnten dann mit der Begründung sanktioniert werden, das Vertrauen der Allgemeinheit in die Verwaltung werde beschädigt.[34] Darüber hinaus sei es nicht angemessen, einen bloßen falschen Eindruck mit den Mitteln des Strafrechts zu bekämpfen, wenn man diesen falschen Eindruck doch wieder korrigieren könne.[35] Vielmehr sei die Makellosigkeit der Amtsführung das zu schützende Rechtsgut, das Vertrauen in eine ordnungsgemäße Verwaltung stelle sich bei entsprechender Makellosigkeit von selbst ein und bedürfe daher keines besonderen Schutzes mehr.[36]

Teil 2 Bestandsaufnahme – Der Tatbestand der Vorteilsannahme › B › VI. Gegenkritik: Nur das Rechtsgut „Vertrauen der Bevölkerung in eine sachlich und neutral entscheidende Verwaltung“ rechtfertigt die Strafbarkeit der Vorteilsannahme

VI. Gegenkritik: Nur das Rechtsgut „Vertrauen der Bevölkerung in eine sachlich und neutral entscheidende Verwaltung“ rechtfertigt die Strafbarkeit der Vorteilsannahme

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Diese Kritik verkennt in ihren Ausführungen die Reichweite der Tatsache, dass der Amtsträger im Rahmen der Vorteilsannahme – im Unterschied zur Bestechlichkeit – rechtmäßig handelt bzw. dass der Vorteil (noch) keine bestimmte Diensthandlung des Amtsträgers bezwecken soll. Denn eine pflichtwidrige Diensthandlung liegt bereits vor, wenn der Amtsträger gegen ein Gesetz, eine Rechtsverordnung, eine Verwaltungsvorschrift, eine allgemeine Weisung oder eine konkrete Einzelweisung eines Vorgesetzten des Amtsträgers verstößt.[37] Der Begriff der Pflichtwidrigkeit ist also weit zu verstehen. Dies hat zur Konsequenz, dass bei jeder Entscheidung, die der Amtsträger aufgrund der Vorteilsgewährung zum Vorteil des Gewährenden trifft und diesen anderen Personen gegenüber bevorzugt, er bereits pflichtwidrig handelt. Handelt der Amtsträger aber tatsächlich pflichtwidrig, indem er, in welcher Weise auch immer, gegen Recht und Gesetz verstößt, oder bietet er dies als Gegenleistung für den Vorteil an, so verlässt er bereits den tatbestandlichen Bereich der Vorteilsannahme und betritt den Bereich der Bestechlichkeit.[38]

Daher bleibt es dabei, dass man sich bei § 331 StGB in erster Linie die Wirkung des Handelns nach außen hin ansehen muss.[39] Es entsteht nämlich durch die Annahme eines Vorteils durch einen Amtsträger bei der Allgemeinheit der Anschein der Käuflichkeit, was zu einem Vertrauensverlust auf Seiten der Bevölkerung in die ordnungsgemäße Amtsführung mündet. Hat der Amtsträger die Diensthandlung noch nicht vorgenommen, muss er dennoch eine rechtmäßige Diensthandlung vornehmen wollen. Ist sein Ziel eine pflichtwidrige Diensthandlung, so ist gemäß § 332 Abs. 3 Nr. 1 StGB bereits der Tatbestand der Bestechlichkeit einschlägig.

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Eine andere Bewertung wäre allenfalls theoretisch denkbar, wenn der Amtsträger den Vorteil für eine künftige, pflichtwidrige Diensthandlung[40] annimmt, es aber nicht möglich ist, den bei § 332 Abs. 1 StGB notwendigen engen Zusammenhang zwischen Vorteil und Diensthandlung zu beweisen, sodass § 331 Abs. 1 StGB in Form eines Auffangtatbestandes anzuwenden ist, obwohl die spätere Diensthandlung pflichtwidrig sein soll. Dann wäre in der Tat auch die Sachlichkeit der Amtsführung also solche bedroht. Diese theoretische Überlegung trifft aber auf keine Umsetzung in der Realität. Bei der Gabe bzw. Annahme eines Vorteils für eine pflichtwidrige Diensthandlung ist der für die Erfüllung von § 332 Abs. 1 StGB erforderliche enge Zusammenhang zwischen Vorteil und Diensthandlung („als Gegenleistung dafür“) deutlich leichter zu beweisen, als bei der Vorteilsgabe für eine pflichtgemäße Diensthandlung. Dies hat folgenden Grund: Die Pflichtwidrigkeit der Diensthandlung muss positiv festgestellt werden, was wiederum nur möglich ist, wenn man weiß, um welche konkrete (geplante) Diensthandlung es sich handelt, damit man diese auf ihre Pflichtwidrigkeit überprüfen kann. Somit ist es folglich leichter nachzuweisen, dass der Vorteil für eine bestimmte pflichtwidrige Handlung gewährt oder angenommen werden sollte (da dies nur möglich ist, wenn bereits eine bestimmte pflichtwidrige Handlung nachweisbar ist) als es nachzuweisen ist, welche Handlung aus der enormen Vielzahl von möglichen pflichtgemäßen und auch noch in der Zukunft liegenden Handlungen diejenige ist, für die der Vorteil konkret gewährt wurde. Es scheint mithin fast unmöglich zu sein, einen Vorteil für eine Diensthandlung zu gewähren, die zwar pflichtwidrig, zum Zeitpunkt der Gewährung bzw. Annahme aber noch völlig unbestimmt ist. Wenn die Diensthandlung nicht schon zumindest in den wesentlichen Zügen in der Planung der Täter konkret ausgestaltet ist, kann man noch gar nicht sagen, ob die spätere Handlung einmal pflichtwidrig oder pflichtgemäß sein wird.[41]

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Wird also ein Vorteil für eine künftige, pflichtwidrige Diensthandlung gewährt, so wird diese auch bereits so konkret sein, dass – insbesondere unter Berücksichtigung des § 332 Abs. 3 Nr. 1 StGB – immer der Tatbestand der Bestechlichkeit einschlägig ist. Ist die mit der Vorteilsgabe in Zukunft einmal bezweckte Diensthandlung noch nicht konkretisierbar, z.B. weil darüber möglicherweise noch nicht einmal nachgedacht wurde, so kann man auch noch nicht sagen, dass die (noch nicht einmal in den Köpfen von Vorteilsgeber und Vorteilsnehmer existierende) Diensthandlung pflichtwidrig sein wird. Damit wird durch § 331 Abs. 1 StGB also stets eine pflichtgemäße, zumindest aber noch nicht als pflichtwidrig zu bewertende Diensthandlung erfasst.[42] Dies spricht ebenfalls dafür, dass durch § 331 Abs. 1 StGB primär das Vertrauen der Allgemeinheit in eine sachlich und neutral entscheidende Verwaltung geschützt wird, da nur dieses Vertrauen in diesen Fällen beeinträchtigt wird und nur dies eine Bestrafung solcher Handlungen rechtfertigen kann.[43]

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Wenn Dölling nun sagt, dass „die beste Garantie für öffentliches Vertrauen in die Verwaltung […] die korrekte Amtsführung selbst [ist]“[44], wird ebenfalls verkannt, dass die Amtsführung als solche bei § 331 StGB immer korrekt ist (bzw. zumindest keine konkrete pflichtwidrige Diensthandlung in Aussicht ist). Das Problem ist doch (es sei hier nochmals wiederholt), dass für die an sich ordnungs- weil pflichtgemäße Amtsführung ein Vorteil gewährt wird, wodurch nur der Anschein hervorgerufen wird, die Amtsführung sei nicht korrekt und ordnungsgemäß. Geht man also davon aus, dass eine korrekte Amtsführung stets zur Aufrechterhaltung des öffentlichen Vertrauens in die ordnungsgemäße Verwaltung führt, so dürfte auch durch die Annahme eines Vorteils für eine korrekte Handlung das Vertrauen der Allgemeinheit in eine sachlich richtig (!) entscheidende Verwaltung nicht erschüttert werden. Die Amtsführung ist und bleibt schließlich (objektiv betrachtet) korrekt; die Vorteilsgabe ändert hieran erst einmal nichts. Das Vertrauen der Allgemeinheit wird also bei § 331 StGB nicht aufgrund der (bei § 331 StGB nicht möglichen) unsachlichen Amtsführung, sondern aufgrund der Tatsache, dass für eine zwar sachlich korrekte Amtsführung zusätzlich ein Vorteil angenommen wurde, erschüttert.

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Für § 332 StGB trifft die Aussage von Dölling[45] hingegen zu. Das Vertrauen der Allgemeinheit in die Sachlichkeit der Verwaltung wird bereits allein durch die Pflichtwidrigkeit der Amtshandlung gestört;[46] dass hierfür auch noch ein Vorteil angenommen wurde, erschüttert das Vertrauen der Allgemeinheit nur noch mehr, nicht aber erst, wie bei § 331 StGB.[47] Da hier die Diensthandlung pflichtwidrig ist, kann man durchaus die korrekte Amtsführung als Ausgangspunkt für das Vertrauen der Allgemeinheit in die Richtigkeit und Rechtmäßigkeit der Amtsführung sehen, sodass hier tatsächlich die korrekte Amtsführung die beste Garantie für das Vertrauen der Bevölkerung in die Verwaltung ist.

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Dass sich die Gegenmeinung mit ihrer Ansicht bei der Erklärung der Bestrafung eines nachträglich angenommen Vorteils schwer tut, erkennt man gut an der Begründung von Ransiek hierzu. Dieser muss hierfür die Überlegung bemühen, dass der Amtsträger in Zukunft für den Vorteil auch eine pflichtwidrige Diensthandlung vornehmen wird.[48] Das Fehlgehen dieser Überlegung wurde bereits erörtert.[49]

 

Ransiek ist auch zu widersprechen, wenn er meint, dass es nicht richtig wäre, einen bloßen falschen Eindruck mit den Mitteln des Strafrechts zu bekämpfen, wenn man diesen falschen Eindruck doch wieder korrigieren kann.[50] Der Eindruck entsteht ja nicht aufgrund von „Wahnvorstellungen“ der Bevölkerung, vielmehr ist er das Ergebnis des Verhaltens von Vorteilsgeber und Vorteilsnehmer. Würden diese ihr Handeln unterlassen, würde ein entsprechender Anschein nach außen hin nicht entstehen.[51]

Teil 2 Bestandsaufnahme – Der Tatbestand der Vorteilsannahme › B › VII. Zusammenfassung und Konsequenz für die weitere Untersuchung