Veyron Swift und die Allianz der Verlorenen

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Z serii: Veyron Swift #4
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»Schau nur! Was ist das?«, rief er neugierig. »Blaulicht vor 111 Wisteria Road? Das müssen wir uns ansehen!«

Tom machte große Augen. Im scheinbaren Frieden des frühen Morgens lagen die alten Backsteinhäuser der Wisteria Road vor ihm, doch direkt vor ihrem Haus stand ein Polizeiauto, die Warnblinker und das Blaulicht auf dem Dach eingeschaltet. Zu sehen war allerdings niemand, keine Spur von den dazugehörigen Polizisten. Selbst von den Nachbarn ließ sich keiner blicken, weder auf der Straße noch hinter den Fenstern ihrer Häuser.

Veyron befahl dem Taxifahrer, links ranzufahren und anzuhalten. Die restlichen Meter wolle er zu Fuß gehen. Der Mann hatte nichts dagegen und tat, wie ihm geheißen. Veyron bezahlte ihn, und schon schlüpfte er nach draußen, gefolgt von Tom. Er musste regelrecht laufen, um mit den forschen Schritten seines Patenonkels mitzuhalten.

Als sie sich dem Haus näherten, konnte er die beiden Polizisten ausmachen. Stocksteif saßen sie in ihrem Dienstwagen und schienen auf jemanden zu warten. Vielleicht auf Veyron? Toms Anspannung wuchs. Hatte sein Patenonkel etwas ausgefressen? Es war ja bekannt, dass Veyron sich die Gesetze bisweilen recht arg zurechtbog, um bei seinen Ermittlungen ans Ziel zu gelangen.

Nein, mit den beiden Männern stimmte etwas nicht. Sie machten nicht einmal Anstalten, sich zu bewegen, als Veyron direkt neben die Fahrertür trat und in den Wagen spähte. Tom umrundete den Wagen und schaute durch die Frontscheibe. Jetzt fielen ihm ihre aschfahlen Gesichter auf, aus denen Augen starrten, ohne ihn oder sonst etwas zu sehen. Irgendwie wirkten sie auf Tom seltsam ungesund, matt und bleich. Er schluckte, bevor er sich an Veyron wandte. »Sind sie … sind diese Männer etwa …. tot?«, fragte er leise.

Mit konzentriertem Gesichtsausdruck versuchte Veyron, etwas im Innern des Polizeiwagens zu erkennen. »Constable John Walker und Constable Harold Trench«, las er von den Namensschildern ab. Vorsichtig klopfte er gegen die Seitenscheibe, doch der Fahrer, Constable Walker, reagierte nicht.

»Oh mein Gott«, schnappte Tom. »Die sind tatsächlich tot!«

Veyron verzog kurz das Gesicht, dann schüttelte er den Kopf. »Irrtum, mein lieber Tom. Tote atmen nicht. Vielleicht stehen die beiden unter dem Einfluss von Drogen – oder etwas ganz anderem. Komm, wir gehen ins Haus.«

Tom fröstelte. Instinktiv rieb er sich die Arme, denn ihm war schlagartig kälter geworden, und sicher nicht wegen zweier zugekiffter Bullen. Irgendetwas stimmte hier ganz und gar nicht. Es schien ihm, als läge ein dunkler Zauber in der Luft, etwas, das er schon seit fast einem Jahr nicht mehr gespürt hatte. Er folgte Veyron die Stufen hinauf zur Haustür, wo der schlaksige Ermittler stehen blieb.

Ein schiefes Lächeln flog über seine dünnen Lippen. »Ach, sieh an: Bei uns wurde eingebrochen, Tom!« Veyron gab der Haustür einen sanften Schubs. Ohne Widerstand schwang sie ein paar Inches auf. Veyron deutete auf ein paar Metallteile am Boden, die unschwer als ein zerbrochener Schlosszylinder auszumachen waren.

»Sieh nur: Das Holz rund um das Schloss ist nicht geborsten. Wer immer unser nächtlicher Besucher ist, er hat keine rohe Gewalt benutzt, sondern Magie«, erklärte er mit einer unangebrachten Fröhlichkeit in der Stimme. »Halt dich bereit, das Daring-Schwert zu rufen. Womöglich benötigen wir seine Hilfe.«

Das musste Veyron Tom nicht zweimal sagen. Er war sowieso schon drauf und dran, nach dem mächtigen Geist des Professors zu rufen.

Vorsichtig schob Veyron die Tür ganz auf und trat in den schmalen Flur, Tom dicht hinter ihm. Interessiert betrachtete Veyron das alte Parkett, holte sein Smartphone heraus und schaltete die kleine Lampe ein. »Aha, Damenbesuch. Du siehst es an den Spuren, die ihre Schuhe im Staub hinterlassen haben. Sie führen ins Wohnzimmer«, dozierte er.

Tom vermochte dagegen nichts zu erkennen. Ihm blieb mal wieder nur, die scharfe Beobachtungsgabe seines Paten zu bestaunen. Veyron schaltete die Lampe ab und marschierte schnurstracks in den besagten Raum, wo er ohne weiteres Zögern das Licht einschaltete. Tom schnappte nach Luft.

Eine Frau saß in Veyrons altem Ohrensessel, schlank und hochgewachsen, doch ganz eindeutig keine Besucherin aus der Nachbarschaft. Ihre leichenblasse Haut stand im Kontrast zu der dunklen Mähne, die ihr bis zu den Hüften reichte. Ihr voluminöses schwarzes Kleid wallte bis zu den mit Silber beschlagenen Stiefelspitzen hinab. Erwartungsvoll hob sie den Blick, wobei im gedimmten Licht der Lampe ihr beeindruckendes Diadem schillerte, aus dessen mit Diamanten und Rubinen besetztem Metallreif sieben messerscharfe Zacken wuchsen. Darunter blickten tiefschwarze Augen Veyron und Tom an, zwei Moortümpeln gleich, als wäre die Fremde der leibhaftige Tod. Eine Dämonin, keine Frage! Wäre sie ein Mensch, Tom hätte sie als ausnehmend attraktiv beschrieben. Doch so konnte man nicht wissen, ob ihre feinen, jugendlichen Gesichtszüge nichts anderes als Illusion waren.

»Ich habe Euch erwartet, Meister Veyron Swift«, begrüßte sie Toms Paten mit gebieterischer Stimme. Lautlos erhob sie sich aus dem Sessel. Ihr Gewand, welches Tom an das opulente, schwarze Hochzeitskleid einer elisabethanischen Adeligen erinnerte, raschelte bei jedem Schritt, den sie machte. Misstrauisch wich er zur Seite und musste aufpassen, nicht auf die meterlange Schleppe zu treten, die sie hinter sich herzog. Es grenzte an ein Wunder, dass sie sich in diesem Aufzug überhaupt bewegen konnte.

Veyron setzte sich zunächst einmal in seinen Sessel, als ob er testen wollte, ob sie irgendetwas damit angestellt hatte. Da dies offensichtlich nicht der Fall war, lächelte er zufrieden, legte die Fingerspitzen aneinander und wartete einen kurzen Moment. Die Dämonin hatte sich vor das Bücherregal begeben und studierte die einzelnen Bände. Erst jetzt fiel Tom auf, dass ihr rechter Arm eine silbern glänzende und aufwendig verzierte Panzerung trug, die bis zu den Fingern reichte und diese in messerscharfen Krallen enden ließ. Ein guter Grund, noch einmal etwas weiter zurückzuweichen.

»Darf ich fragen, was eine der Sieben Schatten des Dunklen Meisters hierher führt?«, wollte Veyron von der Fremden wissen.

Tom hielt kurz die Luft an, als er das hörte. Eine der Schatten! Erst letztes Jahr hatten sie mit dem Anführer dieser besonders üblen Sorte Dämon zu tun gehabt, dem Schattenkönig. Er galt als die rechte Hand des Dunklen Meisters, sein treuster und bösartigster Gefolgsmann. Nur mit allergrößter Mühe waren sie seinen Fallen und Machenschaften entronnen – Jane hatte es beinahe das Leben gekostet.

Die Schattin lächelte, bleckte dabei spitze Vampirzähne. Sie war wahrhaftig eine Dämonin. Tom griff schon an seine Hüfte, um das Daring-Schwert zu sich zu rufen. Dieses Weib würde die Wisteria Road nicht lebend verlassen!

»Ihr habt es erkannt? Gut, dann stimmt es, was man über Euch in Elderwelt erzählt«, erwiderte sie.

Veyron deutete mit der Linken auf die alte Couch. Langsam wandte sich die Dämonin um und nahm Platz; vollkommen lautlos. Normalerweise konnten hier drei Personen nebeneinandersitzen, jetzt füllte sich die Couch mit dem gewaltigen, schwarzen Kleid des weiblichen Schattens.

»Man nennt mich die Seelenkönigin«, stellte sich die Dämonin schließlich vor.

Tom ballte die Fäuste, Veyron blieb dagegen gänzlich ungerührt, als wäre die Seelenkönigin eine einfache Klientin wie alle anderen.

»Interessant. Ich sollte Euch jedoch warnen, Mylady. Tom und ich, wir beide zählen zu den bittersten Widersachern Eures Meisters. Wir werden uns weder einschüchtern noch erpressen lassen«, ließ er sie in strengem Tonfall wissen.

Tom biss sich kurz auf die Lippe. Er war davon überzeugt, dass es jeden Moment um Leben und Tod gehen würde, doch die Seelenkönigin beließ es bei einem vergnügten Lachen. Für Tom klang es eiskalt und unmenschlich, und ihn fror noch mehr als zuvor. Wieder musste er sich die Arme reiben; er hatte ja schon eine regelrechte Gänsehaut!

»Ich komme nicht im Auftrag meines Herrn, Meister Swift. Ich bin hier, weil ich Eure Hilfe in Anspruch nehmen will«, erwiderte sie mit einer beängstigenden Gelassenheit. »Man trachtet danach, mich zu ermorden.«

Tom wäre beinahe ein Lachen entschlüpft, immerhin konnte er es noch in ein Husten umwandeln. Das musste ein Witz sein! Selbst wenn die Seelenkönigin nur einen Bruchteil der Fähigkeiten besaß, die der Schattenkönig letztes Jahr demonstriert hatte, dann wäre jeder Auftragsmörder gut beraten, sich möglichst weit von ihr fernzuhalten.

»Erzählt mir mehr«, bat Veyron mit ehrlichem Interesse.

Die Seelenkönigin warf Tom einen misstrauischen Blick zu, doch Veyron schüttelte sofort den Kopf, als hätte er ihre Gedanken erraten.

»Vor Tom könnt Ihr so frei reden wie vor mir. Er ist mein Assistent und absolut vertrauenswürdig. Natürlich werde ich ihn hinausschicken, wenn Ihr darauf besteht. Anschließend wird er jedoch von jedem Wort erfahren, das zwischen uns gefallen ist.« Sein Tonfall war unnachgiebig.

Die Seelenkönigin nickte ohne das geringste Anzeichen von Widerwillen. »So sei es. Zweifellos wisst Ihr, dass der Dunkle Meister vor rund eintausend Jahren vernichtet wurde und dass sein Dunkles Imperium damals zerfiel. Wir, seine obersten Diener, mussten uns verstecken. Nur der Schattenkönig führte weiter Krieg gegen die freien Völker. Nun ist es aber so, dass der Dunkle Meister lediglich seinen Körper eingebüßt hat, sein Geist ist nach wie vor lebendig«, begann sie zu erklären.

»Das wissen wir schon«, raunte Tom, was ihm einen zornigen Blick von der Seelenkönigin einerseits und ein listiges Lächeln Veyrons andererseits einbrachte. »Unablässig arbeitet der Dunkle Meister an seiner physischen Rückkehr, doch bis heute ist ihm das nicht gelungen«, fuhr er durch Veyrons Geste ermuntert fort.

 

»Genau da irrst du dich!«, zischte die Seelenkönigin Tom wütend an, dann wandte sie sich wieder an Veyron. »Der Dunkle Meister ist leibhaftig zurückgekehrt, in einem neuen Körper, und entschlossen, das Dunkle Imperium von Neuem zu errichten. Er ruft seine Schatten zu sich, und alle haben seinem Ruf geantwortet: der Schattenkönig und die anderen. Allein ich habe ihm meine Antwort versagt.«

Veyron erwiderte darauf nichts, doch Tom glaubte, genau zu wissen, was seinem Paten durch den Kopf ging. Sicher das Gleiche wie ihm: Wie in einem schlechten Mafia-Film, wo das Gangster-Liebchen mit dem Privatdetektiv anbandelt und die unschuldige Jungfrau in Not spielt. Hätte sie vielleicht mal besser nachdenken sollen, bevor sie von Elderwelt hierher gereist ist. Darauf fallen wir nicht herein!

»Bitte sprecht weiter, Mylady«, sagte Veyron, anstatt der Dämonin eine Abfuhr zu erteilen.

»Was?«, entfuhr es Tom schockiert. Sowohl Veyron als auch die Seelenkönigin ignorierten ihn.

»Ich hielt mich lange Zeit versteckt, denn wir Schatten werden von jedermann gehasst und gejagt. Eines Tages wurde ich des Versteckspiels überdrüssig und kehrte in meine einstige Heimat zurück. Seit etwa einhundert Jahren herrsche ich dort inzwischen als Königin. Es ist nur ein kleines Land und unwichtig für die Geschicke Elderwelts, doch es ist mein Land, und ich kann tun und lassen, was ich will. Jeder meiner Untertanen lebt und dient allein nach meinem Willen. Niemals wieder möchte ich mich daher einem größeren Herrn beugen müssen. Deshalb verweigerte ich dem Dunklen Meister den Gehorsam«, erzählte sie – genau, wie sich Tom das schon gedacht hatte.

Er stieß ein höhnisches Schnauben aus. »Moment mal, Seelenkönigin«, protestierte er. »Wir wissen ganz genau, dass der Dunkle Meister Euch in diesem Fall jederzeit die Kräfte entziehen kann. Es sind nämlich nicht Eure magischen Kräfte, die Ihr benutzt, sondern die seinen. Eure Kräfte sind sozusagen nur die App, die Euch von einem Provider, dem Dunklen Meister, zur Verfügung gestellt wird, um es mal so auszudrücken. Erzählt uns also keine Märchen!«

Mit einem Fauchen sprang die Seelenkönigin auf. Tom spürte, wie ihn eine unsichtbare Kraft packte und gegen die Wand schleuderte. Die Luft wurde ihm aus den Lungen gepresst, nicht einmal schreien konnte er noch. Im nächsten Moment war die Seelenkönigin vor ihm, ihre metallenen Fingerkrallen an seiner Kehle.

»Wie kannst du es wagen, so mit mir zu sprechen? Ich bin die Seelenkönigin! Du weißt nichts von mir – aber ich werde es dich lehren!«, herrschte sie ihn an.

Tom fehlte noch immer der Atem, um darauf etwas zu erwidern. Der finstere Zauber dieser Hexe fesselte ihn an die Wand, ließ ihm keinen Raum, sich zu wehren. Mit einer Mischung aus Wut und Verzweiflung starrte er in die schwarzen Augen seiner Gegnerin. Mordgier stand ihr im Gesicht.

»Zur Erinnerung: Ihr seid zu uns gekommen, Seelenkönigin, und Ihr bittet uns um Hilfe. Von daher ist es wohl wenig ratsam, Eure potenziellen Helfer zu töten«, hörte er Veyron sagen. In aller Ruhe und Gelassenheit, als wäre der Ausraster dieser Dämonin nichts weiter als eine Showeinlage, lümmelte er mit überschlagenen Beinen seelenruhig in seinem Sessel.

Die Seelenkönigin atmete tief durch, dann löste sie ihren Zauber, und Tom rutschte hustend zu Boden. Kommentarlos kehrte die weibliche Schatten auf ihren Platz zurück. Tom schnappte gierig nach Luft und rappelte sich mühevoll auf. Seine Knie zitterten. Er befürchtete, jeden Moment wieder zusammenzusacken.

»Ja, es ist wahr. Ich bin durch meine Zauberkräfte mit dem Dunklen Meister verbunden. Er hat sie mir verliehen und mich zu einer Schatten gemacht. Und tatsächlich kann er diese Verbindung trennen und mir diese Kräfte wieder nehmen. Doch dies gelingt nur, indem er mich tötet«, gestand die Seelenkönigin halblaut. Resignation und Scham hatten die Mordgier auf ihrem blassen Gesicht abgelöst.

Tom musste kurz durchatmen, weil er nicht wusste, was er darauf sagen sollte. Er konnte ihr ja schlecht beweisen, dass sie log. »Hey! Ihr seid eine Schatten! Wer auf der Welt soll es mit Euch aufnehmen können? Der Dunkle Meister müsste schon selbst Jagd auf Euch machen. Also erzählt uns nichts!«, schimpfte er mit neu gewonnenem Selbstvertrauen und verschränkte die Arme. Sollte sie ihn doch ruhig erneut angreifen. Noch einmal würde sie ihn nicht so leicht überrumpeln.

Diesmal ließ sich die Seelenkönigin diese neuerliche Unverschämtheit jedoch gefallen. »Wir Schatten sind nicht ganz so unsterblich, wie du vielleicht denkst, Bürschchen. Der Schattenkönig ist der mächtigste von uns und besitzt ganz eigene Zauber, die es Sterblichen schier unmöglich macht, ihn auch nur zu verletzten. Wir anderen sechs sind da schon anfälliger. Durch unsere Verbindung weiß der Dunkle Meister genau, wann und wie ich die Kräfte nutze, die er mir übersendet. Er kann mich an jedem Ort der Welt aufspüren. Für mich gibt es kein Versteck. Selbst wenn ich ihn aus meinen Gedanken auszuschließen vermag, so nimmt er meine Präsenz selbst in der dunkelsten Höhle und dem fernsten Fleck der Erde wahr. Seine Häscher kann er überallhin schicken und mich angreifen. Es gibt auf der ganzen Welt keinen sicheren Ort für mich. Nur in meinem Königreich bin ich geschützt. Seine gedungenen Mörder müssten mein ganzes Volk überwinden, um zu mir zu gelangen«, fuhr sie fort. Nun schwang tatsächlich ein Hauch Verzweiflung in ihrer ansonsten kalten Stimme mit.

»Dann bleibt doch einfach dort«, blaffte Tom.

»Um darauf zu warten, dass mich eines Tages seine Armeen belagern und mein Volk dahingemetzelt wird, bis niemand mehr übrig ist, der mich schützen kann? Mich wundert allmählich, warum dich dein Meister als seinen Assistenten duldet«, gab sie bissig zurück.

»Ihr müsst Toms ablehnende Haltung vergeben, Mylady. In den letzten drei Jahren hat er nur wenig gute Erfahrungen mit den Gefolgsleuten des Dunklen Meisters gemacht. Eines dürfte jedoch bereits feststehen: Wenn selbst eine Armee Euch keinen dauerhaften Schutz bieten kann, so bin ich erst recht nicht dazu imstande«, mischte sich Veyron ein.

Tom musste lächeln. Endlich sagte sein Patenonkel dieser falschen Schlange, wie die Sache aussah.

Die Seelenkönigin nickte eifrig. »Diese Tatsache ist mir wohl bewusst, Meister Swift. Doch hat sich nun etwas ergeben, das mir einen dauerhaften Schutz vor dem Dunklen Meister verspricht. Der Orden der Simanui hat sämtliche Könige und Herrscher Elderwelts zu einer Konferenz geladen. Die Rückkehr des Dunklen Meisters und die Machenschaften seiner Heerscharen sind der Anlass. Sicher mögen nicht alle Herrscher diesem Aufruf Folge leisten, doch wenn es gelingt, eine breite Allianz gegen den Dunklen Meister aufzustellen, wäre mein Reich abgesichert. Ich wäre dann von Verbündeten umgeben.«

Das fand Tom interessant – und zugleich ein wenig unglaubwürdig. Die Simanui waren ein Orden mächtiger Zauberer, die meist im Geheimen operierten. Sie galten in Elderwelt als weise und mächtige Krieger. Und das Wichtigste: Sie waren die Erzfeinde aller Mächte der Finsternis. Niemals würden sich die Simanui mit einer der Sieben Schatten oder sonst einem Anhänger des Dunklen Meisters verbünden. Diese Frau verstrickt sich mehr und mehr in Widersprüche, dachte er mit grimmiger Zufriedenheit. Sie war dabei, sich selbst zu entlarven.

»Ich verstehe«, sagte Veyron mit geschäftsmäßiger Neutralität. »Es ist in Eurem eigenen Interesse, an dieser Konferenz teilzunehmen. Jedoch müsst Ihr dafür den Schutzkreis Eures Königreichs verlassen und wärt somit angreifbar.«

»Also, es sind doch sicher ein paar Simanui anwesend. Da traut sich selbst der Dunkle Meister nicht«, konterte Tom wütend. Wollte Veyron denn nicht erkennen, wie diese Frau sie an der Nase herumführte?

»So ist es, in der Tat. Zumindest zwei Simanui werden auf der Konferenz anzutreffen sein, mehr jedoch nicht. Bedenke zudem dies, Bürschchen: Der Dunkle Meister weiß durch unsere Verbindung genau, wo diese Konferenz stattfindet. Es wird ihm ein Leichtes sein, einen oder mehrere Attentäter in das Gefolge der anderen Herrscher einzuschleusen. Als Koch getarnt oder als Diener, vielleicht als Sklave oder als eine Tänzerin. Sogar als Berater und Wachsoldaten könnten sie auftreten. Es könnte jeder sein, den die anderen Könige auf diese Konferenz mitnehmen. An dieser Stelle kommt also Ihr ins Spiel, Meister Swift. In den letzten drei Jahren gelang es Euch mehrfach, die Pläne des Dunklen Meisters zu durchkreuzen. Ich erfuhr, dass Ihr dabei stets Gebrauch von Eurem schnellen Intellekt machtet, ebenso von der Fähigkeit, mehr in den Dingen zu sehen als alle anderen. Wenn es jemandem gelingen kann, den Attentäter des Dunklen Meisters aufzuspüren, dann Euch«, sagte sie entschlossen. »Als Gegenleistung werde ich Euch mit allem entlohnen, wonach es Euch verlangt. Kein Preis soll mir zu hoch sein, sofern ich ihn erbringen kann. Morgen werde ich nach Elderwelt zurückkehren. Bis dahin habt Ihr Zeit, über mein Angebot nachzudenken.« Die Seelenkönigin erhob sich und stolzierte zum Ausgang.

»Ich finde Euch unten im Hafen von Dover, nehme ich an«, rief ihr Veyron hinterher.

Überrascht blieb die Seelenkönigin stehen und drehte sich zu ihm um. »Woher nehmt Ihr dieses Wissen?«, fragte sie.

Tom glaubte, eine Spur Misstrauen herauszuhören.

»Die Nummernschilder des Polizeiautos stammen aus Dover. Die beiden Constables haben dort Lastwagen überprüft, die vom Kontinent herüberkamen. Das Klemmbrett mit einer Überprüfungsliste auf dem Armaturenbrett spricht eine eindeutige Sprache. Ich nehme an, Ihr besitzt die volle Kontrolle über die Gedanken der beiden Männer?«

»Sie sind meine Sklaven«, bestätigte die Seelenkönigin kalt, dann gestattete sie sich ein zufriedenes Grinsen. »Meine Wahl war richtig, was Euch betrifft. Ich hätte natürlich Euren Verstand ebenso übernehmen können, doch brauche ich Euren Geist frei und unabhängig. Den Verstand Eures vorlauten Mündels schützt dagegen ein mächtigerer Zauber, als ich ihn besitze. Leider. Lebt wohl, Veyron Swift.« Mit diesen Worten wandte sie sich um und verschwand nach draußen.

Kaum war sie fort, wurde es merklich wärmer in der Wohnung. Tom musste erst einmal tief durchatmen. Ganz klar: Dieses Weibsbild stellte ihnen eine Falle. Nie und immer durften sie sich auf diesen Handel einlassen. Sie sollten die Simanui warnen und auch sonst alle Freunde und Verbündeten in Elderwelt. »Okay, was tun wir jetzt gegen dieses Miststück?«, fragte er in Veyrons Richtung.

Der reagierte zunächst in keiner Weise, sondern saß einfach nur wie eingefroren da. »Gar nichts«, entschied er nach einer Weile.

Tom wollte das nicht glauben. »Das war die Seelenkönigin, eine der Sieben Schatten. Erst letztes Jahr hatten wir es mit dem Schattenkönig zu tun. Sie wissen doch am besten, dass dieser Mistkerl meine Eltern hat ermorden lassen. Diese falsche Schlange ist keinen Deut besser!«, schimpfte er.

Veyron blieb ganz gelassen. »Emotionen sind stets ein schlechter Ratgeber, Tom«, meinte er. »Ich zweifle nicht daran, dass die Seelenkönigin uns die Wahrheit sagte. Zudem tut sich uns hier eine einzigartige Chance auf. Wir könnten mehr über die Schatten erfahren als jemals jemand zuvor.«

Verzweifelt schüttelte Tom den Kopf. Dieses Teufelsweib musste seinen Paten irgendwie verhext haben. Das konnte doch nie und nimmer sein Ernst sein! »Veyron, wir dürfen diesen Auftrag nicht annehmen«, sagte er mit aller aufzubringenden Geduld. »Selbst wenn es wahr sein sollte, was sie sagt, bleibt sie immer noch eine der Sieben Schatten. Sie ist eine Tyrannin, die ohne Rücksicht jeden in einen willenlosen Sklaven verwandelt, wenn es ihren Zwecken dient. Wenn wir ihr helfen, dann stellen wir uns gegen alles, für das wir bisher gekämpft haben. Das würde uns zu Verrätern an der Sache des Lichts machen.«

»Wir könnten lernen, wie genau die Verbindung zwischen den Schatten und dem Dunklen Meister funktioniert, und wie er seine Kraft auf die Schatten überträgt. Das könnte uns eines Tages einen ganz enormen Vorteil verschaffen«, konterte Veyron, als hätte er Toms Worte eben gar nicht gehört.

Tom musste tief durchatmen. Natürlich war Veyrons Standpunkt verständlich, aber seiner Meinung nach überschritten sie hier eine Grenze, die sie nicht überschreiten sollten. Es fühlte sich einfach falsch an, der Seelenkönigin zu helfen. Nie und nimmer käme er auf die Idee, einem Tyrannen gegen einen anderen Tyrannen beizustehen. Das war purer Opportunismus. »Okay, Sie können sich ja zum Dienstboten dieser dunklen Königin machen, aber ich nicht. Wenn Sie diesen Auftrag annehmen, dann ohne mich. Ich mache da nicht mit!«, verkündete er laut.

 

Veyron zuckte kurz zusammen und musterte Tom interessiert. »Da bist du fest entschlossen?«

»Felsenfest. Veyron, wir sollten uns lieber darum kümmern, der Herkunft dieses Schwarzen Manifests auf die Spur zu kommen. Damit wäre viel mehr Menschen geholfen, als dieser falschen Schlange einen Gefallen zu erweisen. Außerdem ist nicht gesagt, dass dies alles am Ende nicht doch eine Falle ist, um uns nach Elderwelt zu locken. Wir können – nein, wir dürfen dieser Frau nicht vertrauen. Ich werde Ihnen da auf keinen Fall helfen, wenn Sie das wirklich durchziehen wollen.«

Veyron lehnte sich in die Polster seines Sessels zurück und schloss kurz die Augen. »Ja, vielleicht hast du recht. Es wäre nur schade um die verpasste Gelegenheit …«

»Nein, Veyron«, unterbrach ihn Tom. Nach fast drei Jahren mit Veyron Swift unter einem Dach wusste Tom genau, wie stur der Mann sein konnte, und dass er immer wieder versuchen würde, ihn von seinem Standpunkt zu überzeugen. »Ich mache da nicht mit, Gelegenheit hin, Gelegenheit her. Das ist mein letztes Wort.«

Veyron lächelte gutmütig. Ihm schien klar zu sein, dass sich Tom in dieser Sache keinesfalls überzeugen ließ. »Am besten ist, wir schlafen noch einmal darüber. Die Nacht war aufregend genug, und ich will nicht ausschließen, dass ich in diesem Fall dazu neige, meiner Neugier im ungesunden Maße nachzugeben. Wir sehen uns zum Frühstück. Ich will noch ein paar Informationsquellen aussortieren. Vielleicht kann ich mich auf diese Weise ein wenig ablenken. Um das Schwarze Manifest kümmern wir uns noch, soviel ist sicher. Schlaf gut.«

Er stand auf, verschränkte die Hände hinter dem Rücken und trat hinaus auf den Flur. Tom lauschte seinen flinken Schritten, wie sie die Treppe hinaufhuschten und dann den Weg in Richtung Arbeitszimmer einschlugen. Ganz gleich, was Veyron ihm weismachen wollte: Das Thema Seelenkönigin war alles andere als abgeschlossen. Morgen würde die Diskussion in die nächste Runde gehen.