Veyron Swift und der Schattenkönig: Serial Teil 2

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Veyron Swift und der Schattenkönig: Serial Teil 2
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Tobias Fischer

Veyron Swift und der Schattenkönig: Serial Teil 2

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Eine königliche Kreuzfahrt

Neue Enthüllungen

Das Herz der Finsternis

Am Hof des Pharao

Impressum neobooks

Eine königliche Kreuzfahrt

Eine halbe Stunde, nachdem das letzte Besatzungsmitglied an Bord gegangen war, legte die RMS Olympic ab. Die Leinen wurden gelöst und unter dem Jubel des versammelten Volkes schoben die Hafenschlepper das fast dreihundert Meter lange Stahlmonster von der Kaimauer fort. Sie drückten es unter Aufbringung aller Motorenkraft auf den richtigen Kurs, hinaus aus dem Hafen Talassairs. Endlich begannen sich die drei Schrauben der Olympic aus eigener Kraft zu drehen, schneller und schneller. Das Hafenwasser wurde aufgewühlt, Wellen schwappten ans Ufer, Menschen und Zwerge klatschten und jubelten. Der lange, schwarze Rumpf schob sich vorwärts, das Schiffshorn blies dreimal zum Abschied. Die Olympic war wieder unterwegs, zum ersten Mal seit ihrer vermeintlichen Verschrottung in Fernwelt.

An Bord besichtigten Tom und Veyron ihre Erste-Klasse-Suite auf dem C-Deck. Zwei Schafzimmer, ein eigenes kleines Bad samt Wanne und Toilette, dazu noch ein geräumiger Salon mit Sofa und mehreren Sesseln. Sämtliche Wände waren mit Eichenholz vertäfelt, an der Decke hingen aufwendig verzierte Kronleuchter. Tom war wirklich beeindruckt. Alles hier glich einem kleinen Palast. Mit einem begeistertem Lachen warf sich Tom auf sein Bett und verschränkte die Arme hinter dem Kopf.

»Mann, ich weiß gar nicht, wann ich zum letzten Mal in so einem bequemen Bett gelegen habe. Floyds Vorväter haben keine Kosten gescheut«, sagte er und schloss für einen Moment zufrieden die Augen. Endlich wieder Abenteuer – und diesmal auf denkbar komfortabelste Weise.

Veyron inspizierte ihre Suite mit wissenschaftlicher Genauigkeit und ließ sich dann, sichtlich müde, auf die Couch im Salon sinken.

Tom hatte erwartet, dass sein Patenonkel irgendetwas auf die Aussage „ zum letzten Mal“ erwidern würde. Veyron war bei Zeitangaben eigentlich immer sehr pedantisch. Rasch stand Tom auf und ging hinüber in den Salon. Veyron hatte die Augen geschlossen; aber er schlief nicht, das wusste Tom sofort.

Jetzt, wo sie für die nächsten paar Tage etwas Ruhe haben würden, war es an der Zeit, einigen Dingen auf den Grund zu gehen.

»Darf ich Sie was fragen?«, sagte Tom und fuhr dann fort, ohne Veyrons Antwort abzuwarten. »Was hat es mit dem Schattenkönig auf sich? Wann hatten Sie mit ihm zu tun und was ist geschehen? Sie meinten, Sie hätten das letzte Mal gegen ihn verloren. Wie? Was hat er getan?«

Veyron antwortete nicht sofort, sondern atmete erst einmal tief durch, öffnete die Augen und blickte Tom einen Moment lang an.

»Das ist jetzt schon ein paar Jahre her. Der Schattenkönig hatte meine Schwäche herausgefunden und sie ausgenutzt«, sagte er im lapidaren Tonfall. Offenbar wollte er nicht darüber reden, doch Tom hielt es für imment wichtig, mehr zu erfahren.

»Und? Was für eine Schwäche ist das?«

»Das ist unwichtig, mein lieber Tom. Diese Schwäche existiert nicht mehr.«

»Ach so. Warum hatten Sie dann so große Angst, als uns der Schattenkönig in der Ramer-Stiftung aufgelauert hat? Leugnen Sie das nicht! Ich hab es genau gesehen, Sie sind regelrecht erstarrt.«

Veyron musterte Tom mit einem Ausdruck des Erstaunens. Anschließend bemühte er sich um ein entwaffnendes Lächeln.

»Das stimmt, das ist mir tatsächlich passiert. Ich hatte meine Emotionen für einen Moment nicht unter Kontrolle. Vermutlich, weil ich nicht damit rechnete, dass uns der Schattenkönig selbst am helllichten Tage noch nachstellen würde. Es tut mir leid, das war ein unachtsamer Moment. Ich werde es in Zukunft besser kontrollieren«, sagte er.

Tom spürte, das Veyron ihm nicht die Wahrheit sagte. Er schaute ihm aus großen, vorwurfsvollen Augen an. Veyron merkte wohl, dass Tom alles andere als zufriedengestellt war.

»Ich versichere dir, es verläuft alles wieder nach Plan.«

»Was für ein Plan, Veyron? Sie haben ihn immer noch nicht genauer erläutert«, hielt Tom sofort dagegen. Veyron warf einen kurzen Blick zur Decke und schniefte einmal.

»Es wäre zu kompliziert, dir alle Zusammenhänge zu erläutern. Tatsache ist zudem, dass ich noch nicht alle Fakten beisammen habe, um eine abschließende Analyse vorzunehmen«, erklärte er.

Tom nickte und glaubte zu verstehen. »Einfach ausgedrückt: Sie haben gar keinen Plan, zumindest keinen echten. Nicht wahr? So ist es doch, oder? Wir stürzen uns hier ins Abenteuer und Sie wissen gar nicht, was Sie tun sollen und was auf uns zukommt.«

»Das weiß man prinzipiell eigentlich nie. Letztlich ist jeder Plan immer nur ein Ratespiel«, relativierte Veyron die ganze Angelegenheit mit einer Seelenruhe in der Stimme, die Tom schier wahnsinnig machte.

»Okay. Nur mal so gefragt: Haben Sie überhaupt einen Ansatz, wo wir das Horn des Triton suchen sollen?«

»Nein, nicht den geringsten.«

Tom stieß ein entnervtes Stöhnen aus. »Veyron!«, rief er, »das ist Irrsinn! Das ist doch gar nicht Ihre sonst übliche Vorgehensweise. Normalerweise gehen Sie nicht mal ohne Plan aufs Klo!«

Veyron legte die Fingerspitzen aneinander und dachte einen Moment darüber nach. Zumindest nahm Tom das an, als er die Blicke seines Paten blitzartig von links nach rechts springen sah.

»Auch das ist eine zutreffende Feststellung. Schön zu sehen, dass du bei klarem Verstand bist. Das ist in deinem Alter nicht immer selbstverständlich. Fakt ist jedoch auch, dass der Schattenkönig kein gewöhnlicher Gegner ist. Er ist ebenso brutal wie gerissen. Ich versichere dir, dass ich durchaus einen Plan verfolge. Jedoch ist er abhängig von Ereignissen, die erst stattfinden müssen, damit er greift. Achaion wird unser erster Ansatz sein«, erklärte er in vollkommener Sachlichkeit.

Tom schaute seinen Paten skeptisch an. »Warum gerade Achaion?«

»Was weißt du über Achaion?«, wollte Veyron wissen.

Tom lehnte sich zurück und musste nachdenken. Über Elderwelt wusste er freilich nicht annähernd so viel wie sein Pate. Doch ein paar Informationskrumen hatte er während ihrer beiden großen Abenteuer, und den anderen Zusammentreffen mit Wesen und Leuten aus Elderwelt, durchaus aufgeschnappt.

»Achaion gilt in Elderwelt als die Wiege der Kunst und Philosophie. Das Imperium Maresia regiert dort seit rund einhundert Jahren als uneingeschränkte Macht. Zur Zeit des Dunklen Meisters beherrschte Achaion jedoch das halbe Binnenmeer und führte viele Kriege. Aber das liegt über eintausend Jahre zurück, stimmt’s?«, fasste er sein Wissen zusammen und suchte Veyrons bestätigenden Blick. Der lümmelte nur entspannt auf der Couch und schenkte Tom ein gönnerhaftes Lächeln.

»Im Groben zutreffend, Tom. Nur eine entscheidende Information ist dir entgangen. Achaion war zur Zeit des Dunklen Meisters dessen mächtigster Verbündeter. Es war das Reich des Schattenkönigs.«

Tom machte große Augen, was Veyrons Lächeln noch ein wenig breiter werden ließ.

»Ich denke, nun ist dir klar, weswegen ein Besuch in Achaion für uns sehr aufschlussreich sein wird. Jetzt entschuldige mich, ich muss etwas in Erfahrung bringen.«

Sagte es und sprang mit einem Satz auf die Füße. Mit fast schon absurd wirkender Fröhlichkeit verließ Veyron ihre Suite und schlenderte den Korridor in Richtung Treppenhaus runter. Tom schaute ihm eine Weile hinterher, dann stand er auf, schloss die Tür und schlug sich die Hände vors Gesicht.

Das gefiel ihm gar nicht. Er ahnte, das Veyron überhaupt keinen Plan hatte, sondern nur versuchte, seine eigene Schwäche durch zur Schau gestelltes Selbstbewusstsein zu überspielen. Den Anblick seines verängstigten Paten in den Korridoren der Ramer-Stifung, würde er nicht vergessen. Die Sache mit dem Schattenkönig hatte Veyron vollkommen aus der Spur geworfen, das war die Wahrheit. Tom wusste es. Nur das Warum wollte sich ihm nicht erschließen und Veyron machte daraus obendrein auch noch ein Geheimnis. Vollkommen überflüssiger Weise, wie Tom fand. Es musste mit Veyrons damaliger Niederlage zusammenhängen. Sie schien ihn traumatisiert zu haben. Eine andere Erklärung gab es nicht. Aber auf wen sollte sich Tom dann verlassen, wenn nicht auf Veyrons Vestand? Was sollten sie alle nur tun, wenn Veyron Swift nicht mehr in der Lage war, vernünftig zu denken, sondern von seinen Ängsten getrieben wurde? Wie sollte Veyron das nur überstehen? Zum ersten Mal in seinem Leben machte sich Tom ernsthafte Sorgen um Veyron Swift.

Es war bereits weit nach Mittag, als Hunter in die Suite zurückkehrte, die man ihr zugewiesen hatte. Erste Klasse, alles vom feinsten. Offenbar reisten alle Gäste Erster Klasse, und soweit sie das in Erfahrung bringen konnte, alle auf dem B- und C-Deck. Das ganze A-Deck war nämlich allein für Floyd reserviert. Für sie grenzte es an schieren Wahnsinn, einen dermaßen ausgeflippten Tunichtgut als Staatsoberhaupt zu tolerieren. Immerhin schienen die Zwerge rund um Schatzkanzler Farin, ihren menschlichen König ganz gut im Griff zu haben.

 

Ihre Mission war dagegen eine vollkommene Katastrophe. Nicht nur, dass sie dem Horn des Triton noch keinen Schritt nähergekommen waren, nein, ihr blieben obendrein auch noch sämtliche Möglichkeiten auszusteigen verwehrt. Eine Rückkehr in die Menschenwelt war unmöglich, sie saß auf einem antiken Ozeandamper fest – aber was für einen! Danny hat schon recht: Das war ihr Traum, seit sie als junges Mädchen Titanic im Kino gesehen hatte.

Doch selbst wenn sie auf Talassair geblieben wäre, sie bräuchte einen Erlaubnisstein, um durch die magischen Durchgänge zu marschieren. Es würde ihr nicht einmal helfen, den von Tom zu stehlen. Jeder Erlaubnisstein war auf die jeweilige Person, die ihn zur Verwahrung bekommen hatte, gemünzt. So hatte es Farin erklärt. Hinzu kam noch, dass ihr niemand traute. Swift nicht (dessen geistige Fähigkeiten ihr Angst machten) und sein kleiner Fratz erst recht nicht. Es war ein Fehler gewesen, sich als Ernie Frauds facebook-Freundin zu outen, das gereichte ihr jetzt zum Nachteil. Aber eigentlich hatte sie auch angenommen, durch die Aktion in der False Lane, Swift und seinen vorlauten Rotzlöffel in der Hand zu haben. Jetzt stand es andersherum. Schatzkanzler Farin wusste sogar von Anfang an, dass sie zum MI-6 gehörte. Seine misstrauischen Blicke verfolgten sie, hinter ihrem Rücken tuschelte die Besatzung. Farin schien jeden eingeweiht zu haben. Sie war allein auf sich gestellt und vollkommen hilflos.

Aber das war sie ja gewohnt. Ihr ganzes Leben war sie allein gewesen. Mit ihren Eltern hatte sie gebrochen, zu ihren Geschwistern seit langem keinen richtigen Kontakt mehr. Freunde hatte sie nur wenige und dann nur, um mit ihnen Spaß zu haben. Die ernsten Dinge des Lebens behielt sie lieber für sich. Ihre Lover hatten sich auch sämtlich als wenig vertrauenswürdig erwiesen. Alles notorische Fremdgeher oder Idioten, die stets nur das Eine wollten. Sie war es gewohnt, Schwierigkeiten oder Probleme mit sich selbst auszumachen. Das war auch der beste Weg, denn sie wollte auf keinen Fall durch ein „Hilfe“ oder „Bitte“ in die Abhängigkeit anderer geraten. Zu oft schon hatte man sie enttäuscht und ihr Herz verletzt. Das würde sie nicht wieder zulassen.

Kein Wunder also, dass sie in einem Unternehmen arbeitete, dessen Grundprinzipien das Misstrauen und der Verrat waren, nicht wahr? Mann, was war sie stolz gewesen, als sie eine Einladung zum MI-6 erhalten hatte, so kurz nach ihrem Studium. Die Bezahlung war nicht schlecht und sie reiste um die ganze Welt. Russland, Afrika, Südamerika. Sie war überall gewesen, sprach fließend Französisch, Spanisch, Portugiesisch, Russisch und Deutsch. Nicht zu vergessen eine Ausbildung in Schusswaffen aller Art, Sprengstoffen, Nahkampf, alle gängigen Abhörtechniken, Schauspielunterricht und noch vieles mehr. Jetzt war sie sogar in Elderwelt, wo noch kein anderer Agent des MI-6 hingekommen war.

Was half ihr das?

Gar nichts.

Sie war enttarnt. Eine Gefangene an Bord eines Schiffs voller Feinde.

Außer Danny Darrow.

Seine Zuneigung verwunderte sie. Selbst nach der ganzen Sache in der False Lane zeigte er sich freundlich, er neckte sie, ärgerte sie und schien ihr den Verrat und die ganze Täuschung überhaupt nicht übel zu nehmen. Das fand sie bemerkenswert, aber auch irgendwie störend.

Es pochte an der Tür. Hunter stand auf, atmete tief durch und öffnete. Wenn man vom Teufel spricht, dachte sie. Da stand, er Danny Darrow, die Stirn in Falten gelegt und sie von unten heraus mit einem absoluten Unschuldsblick anhimmelnd. In der Hand hielt er ein phantastisches Kleid in Rot und Schwarz, aus dem edelsten Satin, den Hunter je gesehen hatte. Es musste ein Vermögen gekostet haben.

»Zimmerservice«, sagte er frech. »Naja, der ist gerade verschwunden. Ich hab gesehen, wie sich der Steward damit abgeplackt hat und dachte mir, ich nehm ihm die Last ab. Die armen Kerle werden von Floyd ja genug herumgescheucht.«

Er reichte ihr das Kleid. »Ein echter Traum, wenn du mich fragst.«

Sie nahm es ihm ab und begutachtete es. Offenbar bemerkte Danny das begeisterte Leuchten in ihren Augen.

»Schön, es gefällt dir. Ich bin auch sicher, du wirst eine phantastische Figur darin machen. Nur so als Tipp: Trag dein Haar dazu offen, dann wirst du wie eine wirkliche Prinzessin aussehen«, meinte er mit einem breitem Grinsen. Hunter warf ihm einen skeptischen Blick zu.

»Klar, Sie können das sicher beurteilen, mit Ihren manigfaltigen Erfahrungen, was? Mit wie vielen Prinzessinnen sind Sie denn schon ausgegangen? Jede Nacht eine andere, nehme ich an!«, gab sie zurück.

Danny wirkte für einen Moment verdutzt, dann kratzte er sich verlegen am Hinterkopf.

»Naja, es waren wohl schon ein paar. Aber hey, das hielt alles nicht lange. Und keine von denen besaß je ein so phantastisches Kleid.«

Er merkte wohl selbst, was für einen Unsinn er daherquatschte, als er die Augen zusammenkniff und abwehrend die Hände hob.

»Ich weiß, ich bin blöd.«

»Ja, und furchtbar oberflächlich. Wahrscheinlich hielten Ihre Beziehungen deshalb nie sehr lange. Außer flotten Sprüchen und ein paar schnellen Autos, haben Sie wohl nichts zu bieten, Mr. Darrow.«

Danny lehnte sich gegen den Türrahmen und schaute ihr interessiert in die Augen. Sie fand es schwierig, diesem Blick lange standzuhalten. Ein wenig wurde ihr heiß.

»Ja, darum bist du auch mit mir ausgegangen, was? Seltsam, ich dachte, du hättest ein wenig Spaß gehabt.«

»Danny, lassen Sie mich das klarstellen: Ich war auf einer Mission und … es ist egal, was da war. Vielleicht war es ein ganz netter Abend, aber da ist sonst nichts. Absolut nichts.«

Danny wölbte die Unterlippe in gespielter Nachdenklichkeit vor.

»Aber du bist mit mir ausgegangen«, beharrte er.

Hunter seufzte. »Danke fürs Vorbeibringen, Mr. Darrow. Wir sehen uns dann zum Dinner?«

»Zu einhundert Prozent!«

Sie schloss die Tür und lehnte sich dagegen. War denn das zu fassen? Dieser Kerl ließ einfach nicht locker! Seltsamerweise gefiel ihr das auch noch. Sie mochte es, ihn zu necken und fand seine Erwiderungen ebenso lustig. Unwillkürlich musste sie lächeln, als sie an seine Unschuldsmiene dachte. Sie hob das Kleid und betrachtete es von Neuem. Vielleicht würde der kommende Abend ja doch ganz amüsant werden.

Mit einundzwanzig Knoten Reisegeschwindigkeit ging es auf geradem Weg nach Osten. An Bord der RMS Olympic verbrachten die Passagiere die Zeit damit, sich das ganze Schiff anzusehen. Veyron, Tom, Danny und Hunter bildeten eine eigene kleine Gruppe, die auf jedem Deck von einem anderen Mitglied der Besatzung herumgeführt wurden. Auf dem Maschinendeck war dies Chefingenieur Breki, ein stolzer Zwerg mit langem schwarzem Bart, den er aus Sicherheitsgründen in zwei geflochtenen Zöpfen über den Schultern verknotet hatte. Viel zu sehen gab es dort unten nicht, abgesehen von Ruß, schmutzigen Maschinen, jeder Menge Rohre und verdreckten Zwergen. In den riesigen Kesselräumen war der Lärm obendrein so laut, das man kein einziges Wort verstehen konnte, wenn man nicht unmittelbar neben Breki stand.

Tom vermochte dennoch so viel zu verstehen, dass er einen halbwegs brauchbaren Überblick über die Funktionsweise des Antriebs erhielt.

»Nein, nein, nein«, rief Breki zu Danny, der wohl eben etwas gefragt hatte. »Wir heizen keinen der neunundzwanzig Kessel mit Kohle! Seht Ihr hier irgendwo Kohlenschaufler? Die Olympic wurde bereits in Fernwelt auf Ölfeuerung umgerüstet. Allerdings haben wir kein Heizöl gebunkert, sondern Schrexöl!«

Der Chefingenieur erbte einige ahnungslose Blicke. Tom konnte nicht hören, was Gwen Hunter gerade fragte, aber Breki, mit seinen kreisrunden Ohren, verstand sie wohl bestens.

»Was Schrexöl ist? Seid ihr in Fernwelt denn so ungebildet? Was Schrexöl ist, weiß doch jeder! Es wird aus dem Schrexzahn gewonnen! Was? Was das wieder ist? Ja, beim Barte des Altzwergs: Wisst ihr denn irgendwas? Der Schrexzahn ist eine scheußlich riechende Wucherpflanze, früher eine regelrechte Plage auf Talassair und auch in anderen Ländern. Aber für das Volk der Zwerge schon seit jeher brauchbar, um damit Feuer zu machen. Das Öl des Schrexzahns ist leicht entflammbar, der Brennwert ist phantastisch. Man kann damit richtig schöne, heiße Feuer machen. Für Schmelzöfen etwa. Oder für die Antriebe unserer Maschinen. Natürlich mussten wir die Verbrennungsmotoren der vielen Fahrzeuge, Flugzeuge und Schiffe ein wenig umrüsten. Schrexöl bringt hervorragende Leistungen bei geringem Verbrauch. Über dreissig Prozent weniger als Benzin oder Diesel. Auf Talassair haben wir deshalb viele Schrexfelder angelegt. Die Olympic bunkert eine ganze Zehnjahresernte, das ist natürlich enorm. Aber keine Sorge: Die Öltanks auf Talassair sind alle proppenvoll!«

Nach dieser kurzen Exkursion in Maschinentechnologie, ließen sie die unteren Decks hinter sich und kehrten nach oben zurück. Dort stieß Schatzkanzler Farin wieder zu ihnen.

Hunter wollte mehr über das Schrexöl erfahren und besonders über diese schier magisch scheinende Pflanze, den Schrexzahn.

»Ach«, erklärte Farin auf ihre Rückfrage, »das ist ein wirklich schreckliches Kraut. Man sagt, dass dieses Gewächs einst direkt aus Darchorad kam. Ein Versuch des dunklen Illauri Varaskar, des ersten Dunklen Herrschers, ganz Elderwelt in ein Abbild seines dunklen Reichs zu verwandeln. Ungenießbar, dornig, zäh und das Öl leicht entflammbar, gedeiht diese Wucherpflanze noch auf den undankbarsten und kargsten Böden. Darum ist es auch so einfach, sie zu züchten. Wir haben ein eigenes Schrexamt gegründet, das sich um die Züchtung, aber auch um die Eindämmung dieses Wucherkrauts kümmert. Die Schrexbeamten stellen sicher, dass dieses Kraut ausschließlich auf den königlichen Plantagen wächst und in keinem Garten oder in der freien Wildbahn. Vor zwanzig Jahren drohte der Schrexzahn, viele andere Pflanzen zu verdrängen, aber unser Heer an Schrexbeamten war letztlich erfolgreich. Bis heute sind die Gärten und Wälder sauber, aber eine dauerhafte Schrexwache ist unabdingbar.«

Tom beobachtete, wie Hunter intensiv nachdachte. Wahrscheinlich spielte sie mit dem Gedanken, dieses Darchorad-Unkraut in die Menschenwelt zu schmuggeln. Allerhöchste Vorsicht war angesagt.

Die Tour ging weiter, doch Tom verlor rasch das Interesse. Denn weder konnte er sich für das altmodische Fitnessstudio noch für das Türkische Dampfbad begeistern. Die Squashhalle fand er langweilig und der Swimmingpool auf dem F-Deck glich mehr einer Maschinenhalle, denn einer einladende Badeanstalt.

Zurück auf dem A-Deck zeigte ihnen der Chefsteward die oppulent ausgestattete Lounge und das heimelige Lesezimmer. Tom bemerkte, wie zahlreiche Stewards währenddessen mit Koffern und Taschen von einem Zimmer zum anderen eilten. Die Männer und Frauen schwitzten alle vor Anstrengung.

»Was machen die denn da«, fragte er neugierig. Der Chefsteward seufzte leise.

»Seine Majestät beliebt nach jeder Aktivität, etwa dem Frühstück, dem Mittagessen und dem Dreiuhrtee, in eine andere Suite umzuziehen. Mindestens viermal am Tag. Mittagessen ist gerade vorbei, also steht ein neuer Umzug an.«

Wie um seine Erklärung zu bestätigen, trat Floyd gerade aus der Suite A-20, pure Zufriedenheit im Gesicht. Im mit Goldbrokat besetzten Gehrock und Schuhen mit vergoldeten Kappen, kam er ihnen entgegen.

»Phantastisch, phantasisch«, rief er begeistert und klatschte in die Hände.

»Endlich kann ich in A-21 umziehen. Diese da, A-20, trifft meinen momentanen Geschmack nicht. Vielleicht morgen wieder. Alastor, ich wünsche nach dem Dinner in Kabine A-15 umzuziehen. Außerdem brauche ich für das Dinner einen leichteren Anzug, etwas Luftigeres. Bitte lass in der Bordschneiderei etwas für mich anfertigen. Vielleicht mit Schärpe? Und die ganzen Orden nicht vergessen. Schön poliert, damit sie glänzen. Ich muss Eindruck machen, immerhin bin ich der König«, sagte Floyd zum Chefsteward, der sich sofort höflich verbeugte. Gerade wollte der König weitermarschieren, als er plötzlich stehenblieb und für einen Moment nachdenklich wirkte.

»Wie viele Erste Klasse-Kabinen haben wir eigentlich auf dem A-Deck?«

»Vierunddreißig, Majestät.«

Floyd rechnete kurz nach, dann machte er ein enttäuschtes Gesicht.

»Das bedeutet ja, dass ich in neun Tagen alle Suiten und Kabinen durch habe. Das ist ja langweilig. Das nächste Mal wird auch das B-Deck für Passagiere gesperrt. Ich brauche mehr Zimmer.«

 

Tom schüttelte angesichts dieses weltfremden Gebarens den Kopf. Aber so war König Floyd eben, darum wunderte er sich auch nicht weiter.

Die kleine Sightseeing-Gruppe wünschte Floyd voller Sarkasmus noch einen fröhlichen Umzug. Anschließend verließen sie das A-Deck über die Steuerbord-Promenade, um hinauf aufs Bootsdeck zu gelangen. Der König blieb verwundert zurück und versuchte zu verstehen, was denn an seiner Umzugsmanie falsch sein sollte.

Abends rief Floyd zum Bankett in den Speisesaal auf dem D-Deck. Eingeladen waren nicht nur die etwas über zwanzig Passagiere, sondern auch alle Matrosen, Heizer und Stewards, die gerade dienstfrei hatten. Floyd zeigte gegenüber der arbeitenden Klasse keinerlei Berührungsängste. Getränke und Speisen gab es sowieso frei Haus.

Im Großen Treppenhaus trafen Tom und Veyron wieder mit Danny und einigen anderen Gästen zusammen. Toink gesellte sich zu ihnen. Er hatte seinen grauen Arbeitskittel durch einen schwarz-weißen Frack und einem fast albern hohen Zylinder ausgetauscht. Höflich verbeugte sich der Zwerg und zog seinen riesigen Hut.

»Toink, zu Diensten«, grüßte er seine Freunde und lachte dann laut auf. »Was für ein unbequemes Zeug! Die Weste ist zu eng, der Frack zwickt und der Zylinder ist mir viel zu klein. Aber der König hat darauf bestanden. Ihr konntet wohl nichts Besseres finden, als eure langweilige Fernwelt-Kleidung, was?«

»Wir wurden ja auch nicht zur Schneiderei geschickt«, verteidigte sich Tom. Plötzlich tippte ihm Danny auf die Schulter und nickte zur Treppe.

»Sieht sie nicht umwerfend aus? Wie eine Königin«, raunte er.

Gwen Hunter schritt die Treppe vom C-Deck herunter, den langen, roten Rock ihres Kleids leicht gerafft. Dazu trug sie ellenbogenlange, weinrote Handschuhe aus Satin. Tom musste gleich zweimal hinsehen, um sie überhaupt zu erkennen. Ihr langes Haar trug sie jetzt offen, gekrönt von einem filigranen Diadem aus echtem Silber und das Gesicht von einem wahrhaftigen Meister geschminkt.

Tom verschlug es glatt die Sprache. War das wirklich noch immer die gleiche MI-6-Agentin, oder hatte Floyd sie durch einen Klon ausgetauscht?

Danny war jedenfalls vollkommen hin und weg von ihr. Sie lächelte etwas verlegen, als sie die staunenden Blicke bemerkte. Danny eilte ihr entgegen und nahm sie am oben am Geländer in Empfang.

»Darf ein oberflächlicher Tölpel es wagen, Euch ins Restaurant zu geleiten, Mylady«, fragte er mit gespielter Unterwürfigkeit und bot ihr – ganz der Gentleman – den Arm an. Gwen gestatte sich ein kleines, triumphierendes Lächeln und hakte ein.

»Sie dürfen, Mr. Darrow. Zumindest heute Abend.«

»Mylady wissen nicht, wie glücklich sie mich damit macht.«

Als sie an Tom und Veyron vorüber stolzierten, zwinkerte Danny ihnen zu, was Tom überhaupt nicht verstehen konnte. Wieso ging Danny dieser falschen Schlange nur dermaßen auf den Leim?

»Ich kapier’s nicht«, raunte er, worauf ihm Veyron nur mitfühlend auf die Schulter klopfte.

»Alle Menschen haben ihre Schwächen, mein lieber Tom. Erinnere dich daran, was ich dir zum Thema Liebe sagte. Miss Hunter ist zweifellos Dannys große Schwäche. Vielleicht ist es aber ganz nützlich, das wird sich noch zeigen.«

Den großen Speisesaal hatte man, anders als die meisten Räume an Bord, mit teurem Eichenparkett ausgelegt. Die Wände waren holzvertäfelt, mit Bullaugen auf beiden Seiten, die leicht gewölbte Decke und die Stützsäulen mit Stuck verziert und alles mit Lampen erhellt. Die Stewards und Stewardessen servierten die Speisen auf feinstem Porzellan. In einer Nische spielte ein kleines Orchester, bestehend aus Menschen und Zwergen. Tom glaubte, Mozarts Eine kleine Nachtmusik zu erkennen. Nach und nach trafen die ganzen Gäste ein und nahmen an den Tischen Platz. Die Damen allesamt in aufwendigen Roben, oft mit riesigen Perückentürmen gekrönt, die Herren in Gehröcken aus Samt. Die Zwerge dagegen uniform in Frack, nur ihre weiblichen Begleiterinnen trugen opulente Kleider und jede Menge glitzernden und funkelnden Schmuck um Hals und Armgelenke. Tom fiel auf, das die Zwerginnen keine Perücken brauchten, um ihr zottiges Haar zu wahren Türmen aufzustecken. Einige von ihnen hatten sogar Perlen und andere Juwelen in die Backenbärte geflochten – die einzige Gesichtsbehaarung, die eine Zwergin besaß.

An Floyds Tisch saßen neben dem König noch neun andere Personen, darunter Schatzkanzler Farin, Danny und Hunter. Floyd winkte Tom und Veyron. Er befahl den Stewards, sofort zwei weitere Stühle herbeizuschaffen. Der König trug jetzt einen weiten, weißen Anzug, der ihn ein wenig wie einen arabischen Wüstenfürsten aussehen ließ. Mit einem ganz gravierenden Unterschied: Sein weißer Kaftan wechselte jede Minute die Farbe, wie auch die Gläser seiner obligatorischen Sonnenbrille. Hinzu kam noch eine goldene Schärpe, mit einer absurd hohen Anzahl funkelnder Orden und Medaillen.

»Kommt, setzt euch, setzt euch«, rief er ihnen zu. Tom und Veyron taten wie ihnen geheißen, anschließend stellte ihnen Floyd die anderen Tischnachbarn vor.

»Das hier ist Ankin, mein Technologieminister und Vater von Toink«, sagte er und deutete auf den graubärtigen Zwerg zu seiner Rechten. Ankin sprang auf den Stuhl und verbeugte sich kurz, ehe er sich wieder setzte. Floyd fuhr fort. »Und hier haben wir Walt Douglas und seine bezaubernde Frau, Isabella. Der gute Walt besitzt den größten Lebensmittelhandel auf Talassair.«

Ein pausbäckiger Mann um die Sechzig, nickte ihnen zu. Seine Frau, die etwa im gleichen Alter zu sein schien, wedelte nur mit ihrem Fächer und würdigte die Fernweltler keines Blickes. Tom fand, dass Isabella Douglas einen sehr verbissenen und unleidigen Eindruck machte. Offenbar fühlte sie sich in dieser Gesellschaft nicht besonders wohl.

»Colonel Belfik, mein Militärberater«, stellte Floyd den nächsten Zwerg vor.

Graubärtig und mit zahlreichen Orden dekoriert, erhob er sich und verbeugte sich zackig. Floyd deutete auf den direkten Nachbarn seines Militärberaters.

»Und das da ist Halti, einer der reichsten Zwerge von ganz Talassair.«

Ein schwarzbärtiger Zwerg mittleren Alters, nickte ihnen streng zu. »Aus meinen Stahlwerken kommen zwanzig Prozent der Hülle der Olympic«, ließ er die Neuankömmlinge gleich wissen. »Nicht alles, was aus Fernwelt hierher geschafft wird, kommt vollständig an. Bei so großen Objekten wie der Olympic ist es unabdingbar, dass ganze Sektionen neu gebaut werden müssen. Damit verdiene ich mein Geld. Ich bin so reich wie unser König.«

»Ach was! Nicht mal ein Zehntel so reich«, versuchte Floyd das Ganze zu relativieren. Er klang dabei erkennbar eingeschnappt. Die übrigen Tischnachbarn schien das jedenfalls zu amüsieren. Sie lachten alle, die Zwerge besonders laut. Tom fiel dabei eine junge Dame auf, die anders, als die meisten anderen Menschenfrauen Talassairs, auf eine Perücke und diese wuchtigen Abendkleider verzichtete. Sie trug eine elegante Robe in Smaragdgrün. In Toms Augen war sie eine wahre Schönheit, gertenschlank, langes, blondes Haar und ein feines Gesicht mit himmelblauen Augen, die einen sofort in ihren Bann zogen. Sie schien nur allerhöchstens fünf Jahre älter zu sein als Tom. Ihm wurde abwechselnd heiß und kalt, je länger er sie anstarrte.

»Ach, und dies ist Miss Julie Morton«, stellte Floyd die Dame mit reichlich Verspätung vor. »Wie unhöflich von mir. Farin, du musst mich das nächste Mal sofort auf so einen Fehler aufmerksam machen. Das ist unverzeihlich.«

Julie Morton lachte darüber nur, griff über den Tisch und nahm Floyds Hände in die ihren. Ihre filigranen Finger streichelten über seinen Handrücken und der König schenkte ihr sofort seine ganze Aufmerksamkeit.

»Das ist nicht so schlimm, Floyd. Hier am Tisch sind wohl die meisten Leute von höherem Rang als ich«, sagte sie lachend. Den Zwergen war anzusehen, wie stolz und wichtig sie sich auf einmal vorkamen.

»Sie tragen gar nicht die übliche Tracht von Talassair, Miss Morton«, bemerkte Hunter im neugierigen Tonfall.

Die junge Frau wandte sich ihr zu und nickte. »Das stimmt. Ich bin noch nicht so lange auf Talassair. Der König hat mich erstes letztes Jahr dorthin eingeladen.«

»Aus welchen Land Elderwelts kommen Sie denn?«

Julie Morton lachte kurz und schüttelte dann den Kopf. »Aus gar keinem! Ich komme aus Housten, Texas«, erklärte sie, was den anderen vier Fernweltlern die Sprache verschlug.

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