Veyron Swift und der Schattenkönig

Tekst
Z serii: Veyron Swift #3
0
Recenzje
Przeczytaj fragment
Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

»Heilige Scheiße!«, stieß er aus, wollte aufspringen und die Waffe herumreißen. Zu spät! Der Fremde holte aus und hieb zu.

Robs drei Kollegen, Miller, Anderson und Lacey, wirbelten herum, als sie seinen Schrei hörten, konnten gerade noch sehen, wie sein kopfloser Leichnam zu Boden ging. Sein Mörder schien dagegen spurlos verschwunden. Das Dach war so leer wie schon den ganzen Abend. Keiner verstand, was da vor sich ging.

»Wir werden angegriffen«, war alles, was Sergeant Miller noch feststellen konnte. Einen Herzschlag später spürte er, wie er etwas glühend heißes seinen Rücken durchstieß. Den Aufschrei seiner Kameraden hörte er noch, dann wurde die Welt für ihn schwarz.

»Sergeant Miller, sofortige Meldung! Anderson, Lacey? Irgendjemand! Miller, melden Sie sich, verdammt noch mal! Was ist da oben los?«, herrschte der Teamleiter, Inspector Lester, durchs Mikro. Er saß zusammen mit einem Kollegen im gepanzerten ARV-Einsatzfahrzeug, um das Vorgehen seines Teams zu koordinieren. Durch die zehn Helmkameras des Teams hätte er das Gefechtsfeld überblicken können sollen. Was er jedoch zu Gesicht bekam, überstieg sein Fassungsvermögen. Aus dem Schatten eines seiner Männer stieg eine Dampfwolke hervor, schwärzer als die Nacht. Im Nu manifestierte sie sich als riesiger Krieger, in etwas wie eine schwarze Kutte gehüllt, die Kapuze tief über den Kopf gezogen, in der einen Hand ein dunkles Schwert, in der anderen einen Dolch. Mit einem einzigen Streich hatte er den einen Mann halbiert und einem anderen die Kehle durchgeschnitten. Der dritte Kollege verlor zuerst den Arm, der das Sturmgewehr hielt, dann seinen Kopf. Der letzte Überlebende seines Teams – Marve – wirbelte als noch rechtzeitig herum, um einen Schuss abzugeben, doch der Fremde hatte sich bereits wieder in Dampf aufgelöst. Im gleichen Augenblick wuchs er hinter Marve aus dessen Schatten in die Höhe. Das Poltern und Rollen der Helmkamera ließ keine Frage offen, auf welche Weise der arme Marve sein Ende fand.

»Vier Mann am Boden! Oh mein Gott, vier Mann am Boden!«, brüllte eine weibliche Stimme – Sue – in der Leitung. Schüsse knallten. Lester blickte von Monitor zu Monitor. Der schwarze Krieger tauchte überall auf, nur um gleich wieder zu verschwinden.

Lesters Stellvertreter schrie entsetzt: »Das ist doch kein Mensch! Nie und nimmer ist das ein Mensch!« Er schleuderte den Kopfhörer fort, schnappte sich ein Schnellfeuergewehr und stürmte nach draußen. Durch die Lautsprecher schallten die Schreie des Todeskampfs seines Teams. Lesters konnte nur fassungslos zuschauen. Die Kameras Sechs, Sieben und Acht zeigten verwackelte Bilder vom Fallen, Stürzen und Davonrollen. Das ganze Team, dachte Lester entsetzt, allesamt enthauptet und geschlachtet wie eine Herde wehrloser Schafe. Die weltbeste Spezialeinheit der Polizei innerhalb von Sekunden vernichtet!

»Nein, nicht! Wir ergeben uns«, hörte Lester die Rufe seines Stellvertreters draußen vor dem Wagen. Im nächsten Moment war er still, viel zu still. Etwas polterte zu Boden. Lester wurde schwindlig. Schüsse knallten, prallten pfeifend am Metall des Einsatzfahrzeugs ab.

»Die gehen durch ihn durch«, kreischte Sue, das letzte noch lebende Mitglied des SCO-19-Teams. »Er ist wie ein Schatten!«

Schwarzes Metall sirrte durch die Nacht, Sues Keuchen erklang, dann war es still. Lester spürte, wie ihm feucht und warm im Schritt wurde. Oh mein Gott, ich mach in die Hose, dachte er. Er blickte durch die gepanzerte Scheibe nach draußen. Da stand er, der Fremde. Wie der Tod persönlich sah er aus, doch in das gepanzerte ARV könnte er kaum eindringen. Lester spielte mit dem Gedanken, Gas zu geben und den Kerl einfach über den Haufen zu fahren. In diesem Moment hob der Fremde sein schwarzes Schwert; Flammen züngelten die Klinge entlang und ballten sich an der Spitze zu einer Kugel aus Feuer. Dann schoss der Flammenball auf das ARV zu, hüllte es ein. Lester schrie auf und hob die Arme vors Gesicht.

Wenige Augenblicke später explodierte das ARV, wurde vom magischen Feuer des Angreifers in sämtliche Einzelteile auseinandergerissen – zusammen mit Inspector Lester und allem technischen Schnickschnack, den die Polizei gegen Kriminelle und Terroristen aufzubieten wusste.

Tom kämpfte darum, am Bewusstsein zu bleiben, während die Vampire – er zählte drei – vom Fensterbrett in die Wohnung sprangen. Es waren große Männer mit breiten Schultern, von Kopf bis Fuß in schwarze Lederkombis gehüllt. Waffen trugen sie keine bei sich, aber die brauchte ein Vampir auch nicht. Ihre Kraft, die das Fünf-, vielleicht sogar Zehnfache eines Mannes betrug, reichte völlig.

Als Erstes packten sie die beiden SCO-19-Polizisten, hoben sie mit Leichtigkeit vom Boden und schmetterten sie gegen die Wände. Dann rissen die Vampirattentäter ihre Münder auf und bleckten ihre langen, weißen Fangzähne. Tom ahnte bereits, was kommen würde, denn ihre Fingernägel waren messerscharfe Krallen. Ohne Schwierigkeiten zerfetzten sie die schusssicheren Westen der Polizisten, schlugen ihnen die Zähne in den Hals und brachen ihnen mit einer Handbewegung das Genick. Sergeant Hooper erging es nicht besser. Ein Vampir packte ihn an der Weste und schleuderte ihn durch den Raum, sodass das Wandregal unter seinem Aufprall auseinanderbrach. Dann sprang ihn der Unhold in hohem Bogen an. Das Letzte, was Tom von Hooper hörte, war ein armseliges Keuchen, danach das schaurige Knacken und Brechen von dessen Halswirbeln.

Plötzlich knallten zwei Schüsse. Der Vampir brüllte auf, ein schauderhafter Schrei, eines wahren Monsters würdig. Er wirbelte herum und starrte sein nächstes Opfer an: Agent Hunter.

Zitternd hatte sie sich erhoben und auf den Vampir gefeuert. Der fasste sich jetzt an den Rücken und sah fasziniert zu, wie ihm das Blut von den Fingern tropfte.

»Du bist als Nächstes dran – und lecker siehst du auch noch aus!«, brüllte der Vampir. Mit einem einzigen Satz war er bei ihr, packte sie mit der Rechten und hob sie an. Mit der Linken verdrehte er ihr das Handgelenk, sodass sie die Waffe fallen lassen musste. Hilflos zappelte sie in der Pranke des Vampirs, der diesen Moment mit boshaftem Vergnügen auskostete.

Tom konnte nicht hinsehen. Sie saßen in der Falle, alle am Boden, bewusstlos oder zumindest orientierungslos. Es gab nur eine einzige Hilfe, nur eine einzige Chance auf Rettung. Er konzentrierte sich und schrie: »Helfen Sie uns, Professor Daring! Bitte, helfen Sie uns! Bei der Macht der Simanui, bei den Kräften des Lichts, HELFEN SIE UNS!«

Wie aus dem Nichts durchschnitt plötzlich ein Lichtstrahl den spärlich beleuchteten Raum. Ein Schwert, ein langes zweischneidiges Rapier, erschien in der Luft, die Klinge mit einem Muster aus hell leuchtenden Saphiren besetzt. Das Daring-Schwert, die magische Waffe aus Elderwelt, die Tom gehorchte. Sie war erfüllt vom Geist des mächtigen Zauberers und Simanui, Professor Lewis Daring. Vampire wie Menschen erstarrten angesichts der Erscheinung. Tom war geistesgegenwärtig genug, vorzuspringen und die Waffe zu packen. Sofort fühlte er sich stärker, durchströmt von Zuversicht und Mut. Ehe der Vampir begriff, wie ihm geschah, hieb Tom auch schon mit aller Kraft zu, trennte dem Monster die Hand ab, mit der er Hunters Gurgel umklammerte. Der Vampir zischte und wich zurück. Doch das half ihm wenig. Tom stieß ein wütendes Brüllen aus, zog das Schwert von unten nach oben, spaltete den Vampir mit einem einzigen Streich von Schritt bis Stirn. Rauchend stürzten die leblosen Hälften zu Boden, Fleisch und Muskeln vergingen augenblicklich zu Asche, schwarzer Qualm stieg auf. Tom war, als vernähme er ein armseliges Wimmern jenes dämonenhaften Geistes, von dem alle Vampire besessen waren und der ihnen das schier ewige Leben und ihre enorme Stärke verlieh. Jetzt schied er dahin und verflüchtigte sich ins Nichts.

»Gut gemacht, Tom. Aber da sind noch zwei von denen unterwegs. Wo sind sie hin?«, hörte er Veyron hinter sich rufen. Sein Patenonkel rappelte sich eben auf die Füße und half dann Jane beim Aufstehen.

»Raus ins Treppenhaus, ich konnte es gerade noch sehen«, keuchte Jane und wischte sich Staub und Splitter von ihrem Blazer. Sie hatte einige blutige Kratzer im Gesicht, genau wie Veyron. Tom vermutete, dass er ähnlich lädiert war. Während sie den Überfall relativ gut weggesteckt hatten, zitterte Agentin Hunter am ganzen Körper. Sie schien drauf und dran, einfach wegzurennen.

Veyron berührte sie an der Schulter. »Es ist wohl besser, Sie bleiben vorerst in unserer Nähe, Miss Hunter«, meinte er zu der jungen Agentin. »Willkins, helfen Sie Darrow. Ich glaube, er ist noch bewusstlos.«

»Nein, ist er nicht«, erklang gleich darauf die Stimme des jungen Playboys. Im Gegensatz zu allen anderen hatte er nicht einen Kratzer abbekommen. Erstaunt sah er sich in der verwüsteten Wohnung um. »Wow! Ist ja wie in einem richtigen Actionfilm«, sagte er und begann zu kichern.

Willkins packte ihn am Arm und schüttelte ihn. »Das ist die Wirklichkeit, Danny! Reißen Sie sich zusammen. Und jetzt raus hier!«, schimpfte sie und stieß ihn vor sich her. Darrow verzichtete auf eine Erwiderung, sondern tat, wie ihm befohlen. Tom, wild entschlossen, allen Kreaturen der dunklen Seite den Garaus zu machen, schritt voran. Den drei Männern von SCO-19 konnten sie nicht mehr helfen. Hausmeister Driscoll war es nicht besser ergangen. Die Vampire hatten sich zu zweit auf ihn gestürzt, ihm das Genick gebrochen und anschließend sein Blut gekostet.

»Hoffentlich schließen die sich ihren Mördern nicht später noch an«, bemerkte Jane beim Vorbeilaufen.

Veyron schüttelte den Kopf. »Unwahrscheinlich. Vampirismus überträgt sich nicht durch den Biss; das ist ein weitverbreiteter Irrtum. Dafür müssten Menschen schon das Blut eines Vampirs trinken oder ein konzentriertes Serum, das die Meister der dunklen Künste herzustellen verstanden. Das geht bei Leichen jedoch schlecht. Los, weiter – und haltet euch von den Aufzügen fern. Wir gehen über die Treppe.«

 

Tom eilte voran, das Daring-Schwert erhoben. Die leuchtenden Juwelen warfen einen hellen Schimmer an die Wände. Wachsam blickte er sich nach allen Seiten um. Es waren immer noch zwei Vampir-Attentäter unterwegs; sie konnten ihnen überall auflauern.

»Ich hab meine Waffe vergessen, ich hab meine Waffe vergessen«, hörte er Agent Hunter immer wieder rufen.

Jane erwiderte darauf, dass Hunter froh sein könne, nicht ihr Leben verloren zu haben.

Stufe für Stufe eilten sie voran, und obwohl es nur vom vierten Stock nach unten ging, hatte Tom das Gefühl, sie folgten einer nicht enden wollenden Treppe. Allmählich setzten auch bei ihm Schock und Angst ein. Er musste jedoch einen kühlen Kopf bewahren und durfte sich nicht zur Panik verleiten lassen.

Endlich kamen sie unten an. Tom vergewisserte sich, dass draußen kein Gegner lauerte. Dann schlüpften sie vorsichtig zur Haustür hinaus. Draußen sah es nicht besser aus als oben in Hunters Wohnung. Leichen lagen überall herum, die brennenden Trümmer eines Einsatzfahrzeugs der Polizei rauchten auf der Straße, wie von einer Panzerfaust gesprengt.

»Heiliger Strohsack«, keuchte Tom, »waren das auch die Vampire?«

»Nein«, sagte Veyron. Er war auf den Stufen zum Hauseingang stehen geblieben, die Augen wie in Trance auf das brennende Fahrzeug gerichtet. »Er ist es gewesen. Er ist wieder da«, flüsterte er.

Tom folgte dem Blick seines Paten. Vor dem brennenden Fahrzeug entdeckte er einen Schatten, eine unwirkliche schwarze Gestalt, fast wie ein Geist. Seelenruhig stand sie dort, ein schwarzes Schwert in den schwarzen Panzerhandschuhen haltend. Flammen züngelten an der Klinge entlang.

»Ich glaub, ich spinne«, keuchte Tom. »Ein Flammenschwert! Veyron, wer oder was ist das?«

»Das ist kein Vampir, Tom. Er ist etwas viel Schlimmeres«, erklärte Veyron halblaut.

Als wollte der schwarze Dämon Veyrons Worte unterstreichen, richtete er sein flammendes Schwert auf die Reihe geparkter Autos. Fasziniert und schockiert zugleich sah Tom zu, wie ein Feuerball von der Klinge wegschoss, Darrows Porsche traf und explodieren ließ. Gleich darauf sprang das Feuer über auf Janes Dienstwagen – mit demselben fatalen Ergebnis. Fahrzeug für Fahrzeug explodierte, die ganze Reihe.

Die Wucht der Explosionen schmetterte sie zu Boden; es regnete verbranntes Plastik, glühende Metallspäne und Glassplitter.

»Oh nein, mein Wagen! So eine Scheiße!«, hörte Tom Danny heulen. Der junge Mann war schon wieder auf den Füßen und stolperte auf sein zerstörtes Auto zu. Der mordgierige Schatten setzte sich ebenfalls in Bewegung. Doch im nächsten Moment war er verschwunden, hatte sich aufgelöst in eine schwarze Dampfwolke und war eingetaucht in einen der zahlreichen Schatten.

Tom verstand nicht, was hier passierte, aber Veyron schien wie üblich mehr zu wissen. Er sprang zu Tom, packte das Daring-Schwert und richtete die Klinge nach oben. »Zeit für etwas Zauberei, Professor«, rief er den Geist des Schwerts an. Plötzlich schossen blau leuchtende Blitze aus der Klinge, trafen die Straßenlaternen und ließen die Lampen aufleuchten. Heller und heller wurde das Licht, gleißend weiß, bis es Tom in den Augen brannte. Auf der False Lane wurde es taghell.

»Rennt um euer Leben, das wird ihn aufhalten – und die Vampire auch«, rief Veyron. Er stieß Tom voran, während Jane Darrow am Arm packte und mitzerrte. Hunter folgte ihnen wie ein angeleinter Hund. Von dem schattenhaften Schwertträger und seinen Vampiren war nichts zu sehen. Tom vermutete, dass sie das grelle Licht der Straßenlaternen mieden, weil es in Vampiraugen brannte. Und welche Wirkung es auch immer auf den wandelnden Schatten haben mochte, es hielt ihn zumindest fern.

Sie bogen gerade um die Ecke in die Bishop’s Bridge Road, als hinter ihnen der Simanui-Zauber endete. Die Lampen der Laternen explodierten eine nach der anderen, von der Energie des Zauberschwerts vollkommen überlastet.

Veyron erreichte eine Bushaltestelle, gerade rechtzeitig, um einen der roten Stadtbusse zu erwischen. Er sprang vor dem Doppeldecker auf die Straße und behinderte seine Weiterfahrt. Wütend öffnete der Fahrer die Tür und bedachte ihn mit einigen üblen Beleidigungen.

Veyron zögerte keinen Moment, sprang in den Bus, packte den Fahrer am Kragen und zerrte ihn nach draußen. »Tut mir leid, aber wir requirieren Ihr Dienstfahrzeug. Bitte rufen Sie umgehend Polizei, Feuerwehr und Krankenwägen in die False Lane. Vielen Dank«, sagte er dem Mann, dann wandte er sich an die wenigen Fahrgäste. »Alles aussteigen, dies ist ein Notfall!«

Die Leute schlichen eingeschüchtert zum Ausgang. Innerhalb von Sekunden war der Bus leer, dafür flüchteten nun Jane, Hunter, Darrow und Tom hinein. Veyron setzte sich hinter das Steuer, schloss die Türen und drückte das Gaspedal durch.

»Wir fliehen wirklich mit einem Bus?«, rief Hunter ungläubig.

Jane schubste die Agentin in den nächsten Sitz. »Gut erkannt«, raunzte sie. »Und jetzt halten Sie endlich mal den Rand. Veyron, wo fahren wir eigentlich hin?«

Er gab ihr keine Antwort, sondern raste mit Höchstgeschwindigkeit die Bishop’s Bridge Road hinunter, überholte andere Autos, wo immer es ging. Auf der Gegenfahrbahn wichen die Fahrzeuge hupend aus, rumpelten teils sogar auf die Gehsteige. Zum Glück waren um diese Uhrzeit kaum noch Fußgänger unterwegs.

Tom blickte in das Gesicht seines Paten. Veyron wirkte wie in Panik. Zum allerersten Mal, seit er ihn kannte, zeigte sein Patenonkel Nerven. »Veyron, wo fahren wir hin? Reden Sie mit mir!«

Veyron kurbelte wie verrückt am Lenkrad, zwang den großen, roten Bus eng um die Kurve, bog nach rechts in die nächste Straße ein. Tom, Danny und die beiden Frauen wurden in die Sitze gepresst.

»Wir müssen in Bewegung bleiben. Porchester Road, da haben wir jetzt grüne Welle, wenn wir die Geschwindigkeit halten. Auf allen anderen Abbiegungen kommen wir bei Rot zum Stehen«, erklärte Veyron hastig.

»Die haben uns so oder so. Da, schauen Sie mal!«, rief Danny und zeigte nach draußen.

Tom traute seinen Augen nicht. Ein Vampir rannte neben ihnen auf der Straße her, so unglaublich schnell, dass er alle Fahrzeuge überholte.

Eben rumpelten sie die Lord Hills Bridge rauf, eine alte Eisenbahnbrücke, als der Vampir an die Seite des Busses sprang und sich festkrallte. Veyron riss das Lenkrad nach links, ließ den Bus in das Brückengeländer krachen. Funken flogen, Metall barst, der Bus kam gefährlich ins Schlingern. Aber Veyron behielt die Kontrolle, ruderte hin und her, und im Nu waren sie wieder auf geradem Weg unterwegs. Den Vampir hatte es zwischen den Metallträgern des Brückengeländers in mehrere Stücke gerissen, die jetzt dampfend am Boden lagen und zu Asche zerfielen – das Schicksal eines jeden toten Blutsaugers.

Wie versprochen kamen sie bei Grün über die Ampel, bogen links in die Harrow Road ab, unter der Westway-Schnellstraße hindurch. Tom schüttelte den Kopf und sah sich im Bus um. Jane lag am Boden, während sich Hunter in die Rückenlehne des Sitzes vor ihr geklammert hatte.

Danny war dagegen auf den Beinen und kämpfte sich zur Heckscheibe nach hinten. »Wow! Junge, den hat’s erwischt! Super, Mr. Swift! Aber da ist noch einer, und der Kerl holt auf!«, rief er aufgeregt.

Veyron warf einen Blick in den Rückspiegel, trat das Gaspedal voll durch und ließ den Bus vorwärtsschießen. »Halt dich bereit, Tom. Mal sehen, was für Reaktionen der Kerl hat«, sagte Veyron mit einer Spur seiner üblichen Gelassenheit.

Als Veyron den Bus nach rechts riss und in Borune Terrace einbiegen ließ, schwammen sie noch immer auf der grünen Welle. Er schrammte an einem geparkten Auto vorbei, dass es herumwirbelte, sich überschlug und dem Vampir in den Weg polterte. Doch der Unhold war ein trainierter Killer, sprang einfach über Fahrzeug hinweg und holte weiter auf. Er sprang hoch durch die Luft, genau auf die Heckscheibe zu. Sie zersplitterte unter dem Aufprall und schleuderte Danny zu Boden. Der Vampir schwang sich in den Fahrgastraum, die Zähne gefletscht und seine Klauen bereit zum Zuschlagen.

Danny hob abwehrend die Hände. »Bleib mir bloß vom Hals, du Monster!«, schrie er.

Tom packte das Daring-Schwert und hechtete nach hinten. Zu spät! Er würde zu spät kommen! Doch dann traute er seinen Augen nicht. Als der Vampir sich auf den armen Danny stürzte, packte eine unsichtbare Kraft den Attentäter und beförderte ihn rücklings wieder aus dem Fenster hinaus. Danny schlug in Panik die Arme vors Gesicht, und auch Tom lief weiter auf ihn zu, aber der Vampir blieb verschwunden. Tom eilte zur zerstörten Heckscheibe und blickte nach draußen. Der Attentäter lag ein ganzes Stück hinter ihnen am Boden – jedoch noch immer lebendig. Während sie sich immer weiter von ihm entfernten, schüttelte er den Kopf, erhob sich wankend und nahm die Verfolgung wieder auf.

Tom wandte sich erstaunt an Danny. »Was war das eben? Haben Sie den Mistkerl etwa gerade hinauskatapultiert?«

Danny setzte sich auf und kratzte sich verwundert am Kopf. »Also, ich hab nichts gemacht. Vielleicht war’s dein cooles Zauberschwert?«

Tom warf einen nachdenklichen Blick auf das Daring-Schwert. Ihm war nicht aufgefallen, dass der Geist des Professors einen Zauber gewirkt hätte. Aber das war jetzt auch unwichtig. Der Vampir hatte sie bereits wieder eingeholt. Bevor der Unhold erneut in den Bus eindringen konnte, packte Tom Dannys Hand und zog ihn mit sich nach vorn.

Hilfe suchend schaute er zu Veyron. Der hatte den herannahenden Vampir offenbar bemerkt, denn der Gesichtsausdruck seines Paten zeigte allerhöchste Konzentration. So, wie dessen Blicke hin und her sprangen, mussten seine Gedanken rasen.

»Riskant, aber könnte klappen«, murmelte Veyron gerade.

Der Bus schoss auf die nächste Kreuzung zu. Veyron riss das Lenkrad herum, zog die Handbremse und gab gleichzeitig Gas. Auf Höhe Chichester Road schleuderte der Bus um die Kurve; das Heck schlug aus und kam gefährlich ins Kippen. Veyron gab noch mehr Gas, sodass die Drehung immer schneller wurde, bis die Reifen qualmten. Im nächsten Moment wurde der Vampir vom Heck erfasst. Der Aufschlag ging durch die ganze Fahrgastzelle, ein ohrenbetäubender Knall. Einer Kanonenkugel gleich schoss eine schwarze Masse davon, gegen die Wand des nächsten Hauses. Veyron ruderte am Lenkrad, gab Bremsen und Gas frei, und der Bus jagte nach links in die Chichester Road davon.

»Der steht nicht mehr auf«, meinte er lapidar.

Danny klatschte begeistert in die Hände. »Haben Sie gerade einen Drift gemacht? Mit einem London City Bus? Mit einem Bus

Veyron zuckte nur beiläufig mit den Schultern. »Mathematisch war es machbar und physikalisch nicht unmöglich, da wir nicht voll besetzt sind. Wichtig war nur, einmal komplett herumzukommen, um die kritische Masse zu erreichen, einem Vampir auch wirklich alle Knochen zu brechen. Das sind verdammt zähe Burschen«, dozierte er gelassen.

Die Freude über den Triumph währte nur kurz. Tom bemerkte es als Erster. Aus seinem eigenen Schatten trat plötzlich schwarzer Dampf hervor. Schon im nächsten Moment manifestierte sich der verhüllte Dämon inmitten der Reisekabine, in den Händen sein schwarzes Schwert. Sofort war Tom auf den Beinen, das Daring-Schwert zum Kampf erhoben. Die Juwelen glühten hell. Der Fremde zögerte keinen Moment, machte einen Ausfallschritt, schlug mit seinem Schwert zu. Tom parierte den Hieb und musste sich anstrengen, seine Waffe nicht sofort fallen zu lassen. Normalerweise focht das Daring-Schwert fast von allein, er brauchte es eigentlich nur festzuhalten.

Diesmal war sein Gegenüber jedoch kein vorwitziger Schrat, sondern ein Dämon von unglaublicher Macht. Eine ganz andere Energie lag in seinen Hieben, eine, die es mit dem Geist des Daring-Schwerts aufnehmen konnte. Tom ächzte unter dem zweiten Schlag seines Feindes, unter dem Dritten wich er zurück. Der Schattendämon setzte ihm nach, und mit nur einer einzigen geschickten Drehung seiner Klinge hebelte er Tom die Waffe aus der Hand. Das Daring-Schwert wirbelte davon, zum allerersten Mal im Duell besiegt. Tom ließ sich rücklings fallen und entging einem vierten Hieb, der ihn ansonsten enthauptet hätte. Er rutschte ein Stück über den Boden. Als er aufblickte, ragte der Schatten über ihm auf, das Schwert zum Stich erhoben.

»Tom!«, hörte er Jane rufen. Sofort war die Polizistin bei ihm, stieß ihn mit dem Fuß zur Seite und hob die Hände. Der Schatten zögerte jedoch nicht; es schien ihm nicht einmal in den Sinn zu kommen, dass man sich ergebende Feinde verschonen könnte. Er stach Jane in die Hüfte.

 

»VEYRON«, kreischte sie verzweifelt.

Tom riss entsetzt die Augen auf, als er Jane Willkins zusammenbrechen sah. Er stürzte zu ihr, nahm sie in die Arme und versuchte sie in Sicherheit zu schleppen. Der Schatten war ihm egal, und es kümmerte ihn auch nicht, als dieser erneut sein schwarzes Schwert hob, um sie beide zu töten.

Doch dazu kam es nicht. Eine unsichtbare Macht packte den Schatten und katapultierte ihn zwischen die Sitzreihen.

Veyron ließ den Bus von einer Seite zur anderen schwanken, indem er pausenlos am Lenkrad kurbelte. Chichester Road neigte sich dem Ende zu, ging über in Delamare Terrace – und gleich dahinter lag der Paddington Branch, ein für die Schifffahrt freigegebener Kanal. Veyron hielt mit Vollgas darauf zu.

Mit einem markerschütternden Knall durchbrach der Bus das stählerne Geländer und stürzte zwischen den verankerten Kuttern und Hausbooten in den Kanal. Tom sah noch, wie der Schattendämon in schwarzen Dampf vaporisierte und im Dunkel zwischen den Sitzlehnen verschwand, als hätte es ihn nie gegeben. Im nächsten Moment erfolgte der Aufprall, der Tom nach hinten gegen die letzte Sitzreihe schleuderte, Jane noch immer fest in den Armen. Wasser begann, durch die zerborstene Heckscheibe in den Bus zu strömen.

Danny Darrow kam zu ihm geklettert, zog Tom auf die Füße. Gemeinsam hoben sie Jane hoch und schoben sie vorsichtig durch die Heckscheibe nach draußen. Inzwischen lag sie auf einer Linie mit der Wasseroberfläche. Nicht mehr lang und sie würden komplett untergehen.

»Raus, oder wir sitzen da drin in einer Mausefalle«, sagte Danny.

Nachdem Tom sich vergewissert hatte, dass Veyron und Hunter ihnen folgten, kletterte er hinter Danny nach draußen. Sie schwammen mit Jane auf die Kaimauer zu. Die Polizistin hatte zwischenzeitlich das Bewusstsein verloren, doch jetzt erlangte sie es wieder. Sie schrie auf und begann, um sich zu schlagen. Tom hielt sie fest und erklärte ihr, dass alles in Ordnung sei, sie wären in Sicherheit.

Er schaute sich um. Hinter ihnen tanzten die Köpfe von Agent Hunter und Veyron auf dem Wasser.

»Da hin!«, rief er und steuerte mit Jane das nächste Hausboot an.

Leute säumten plötzlich den Kai, leuchteten mit Taschenlampen in Richtung des halb versunkenen Busses. Einige warfen ihnen von den Hausbooten aus Leinen zu und zogen sie an Land.

Tom und Danny kümmerten sich sofort um Jane, die sich kaum aufsetzen konnte. Sie streifte sich den Blazer ab und zerriss ihr Hemd an der Stelle, wo das Schwert des Schattendämons sie getroffen hatte. Tom wollte den Blick von der scheußlichen, tiefen Wunde abwenden und konnte es nicht. Das Blut floss in regelrechten Strömen, bis Jane ihre Hand mit dem Stofffetzen darauf presste.

»Ruft einen Notarzt! Ruft irgendwer den Notarzt! Hilfe!«, schrie Tom die herumstehenden Leute an.

Jane sank zusammen. Hunter riss einem Schaulustigen das Smartphone aus den Fingern und tippte eine Nummer.

»Wir bleiben am Wasser, bis der Krankenwagen kommt. Im Wasser greift seine Magie nicht. Hier sind wir sicher«, erklärte Veyron halblaut.

Tom packte seinen Paten am Arm. »Wer um alles in der Welt war das? Von einer solchen Kreatur habe ich noch nie zuvor gehört.«

Veyron atmete tief durch. »Er war einmal ein Mensch, jetzt ist er der schrecklichste Dämon, den die Welt je gesehen hat. Er ist einer der Sieben Schatten, der engsten Vertrauten des Dunklen Meisters, absolut loyal und vollkommen gewissenlos«, erklärte er.

Tom schaute zu Jane, die am Boden lag und zitterte.

»Mir ist kalt. Das ist der Schock, schnell, deckt mich zu und sorgt dafür, dass ich nicht das Bewusstsein verliere«, befahl sie ihren beiden Freunden.

Veyron nahm von einem der Umstehenden eine Decke entgegen und breitete sie über Jane. Tom, der nichts weiter tun konnte, dachte über die Worte seines Paten nach. Der Dunkle Meister! Schon zweimal hatten sie es mit seinen Anhängern, einmal sogar mit seinem Geist zu tun bekommen, nun also auch noch mit seinen obersten Handlangern. »Wer ist er, dieser Dämon? Und woher kennen Sie ihn?«

Veyron prüfte Janes Puls, und der ernste Gesichtsausdruck, den er machte, gefiel Tom gar nicht.

»Er ist der Schattenkönig, die rechte Hand des Dunklen Meisters. Ich hatte schon einmal mit ihm zu tun«, sagte Veyron leise. Er beugte sich über Jane und redete auf sie ein, wach zu bleiben.

»Was ist passiert?«, hakte Tom nach.

Es verging ein Moment, ehe Veyron antwortete. »Ich habe verloren.«