Veyron Swift und der Schattenkönig

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Z serii: Veyron Swift #3
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»Was hat Ernie denn ausgefressen?«, wollte Tom wissen und deutete auf Rodgers’ knallrot angelaufenes Mopsgesicht.

Seine beiden Freunde schauten ihn dermaßen verwundert an, als würde das die ganze Welt wissen, mit Ausnahme von Tom. »Weißt du das gar nicht? Fraud ist verknallt. Und zwar in Lilly«, klärte ihn Bill auf.

Tom machte große Augen. »In Stevie Rodgers Schwester? Okay, wer ist das nicht? Sie ist aber auch wirklich heiß.«

Bert stimmte ihm zu. »Gute Gene in der Rodgers-Familie: die Schönheit für die Mädels und die Muckis für die Jungs. Der arme Ernie.«

»Der Idiot hat Lilly einen Liebesbrief geschrieben. Hätte ich ihm gar nicht zugetraut, so viel Traute«, ergänzte Bill.

»Hat sie das etwa ihrem Bruder gesagt?« Tom war entsetzt.

Doch Bill schüttelte sofort den Kopf. »Nein, hat sie nicht. Lilly hat es aber ihre Freundinnen wissen lassen. Zu denen gehört ja auch Vanessa, die mit Stevie geht. Die hat es ihm dann gesteckt. Und Stevie ist der Meinung, dass Ernie Fraud nicht zu seiner Schwester passt.«

Tom nickte nur. Seine Aufmerksamkeit galt dem Geschehen rund um Fraud und Rodgers. Gerade fingen dessen Kumpel an, Ernie hin und her zu schubsen. »Okay, das reicht. Ich greif ein«, entschied er und machte einen Schritt nach vorn.

Bert packte ihn am Arm. »Lass das! Das geht uns nichts an. Die sind zu fünft und wir nur zu dritt. Und Fraud wird davonlaufen. Hör bloß auf, Tom!«

Tom riss sich los und ging weiter, nur Bill folgte ihm zögernd. »Warten wir doch lieber auf Norman und John. Dann ist es ausgeglichen«, versuchte Bill ihn zu bremsen.

In diesem Moment sah Tom Ernie zu Boden gehen und die Fäuste von Stevies Kumpeln fliegen. Nein, er würde nicht mehr länger warten. Die Entscheidung war gefallen.

In Elderwelt hab ich mich mit Schraten, Kobolden, Trollen und Fenriswölfen angelegt, dachte er. Ich werde jetzt bestimmt nicht vor einem Rugbymeister und seinen Schlägern kneifen.

»Hey! Hört auf, ihr Idioten«, rief er in Rodgers Richtung und begann zu rennen.

Sofort wirbelte der zu ihm herum, blanken Zorn im Gesicht.

»Oh Mann, da kommen die drei Trolle«, hörte Tom einen der Handlanger (George oder so ähnlich) höhnen.

Drei? Tom schaute kurz über die Schulter. Ja, Bert hatte seine Furcht überwunden und nahte heran.

»Halt dich da raus, Packard!«, drohte Rodgers.

Doch Tom wurde kein bisschen langsamer. Das schien zumindest die vier Handlanger etwas zu verunsichern.

»Lasst Ernie in Ruhe. Der arme Kerl hat es schwer genug. Was seid ihr nur für Feiglinge?«, schalt Tom sie.

Die Bande lachte, allein Rodgers fand das gar nicht lustig. »Verzieh dich, Packard – oder du bist derjenige, der ein paar aufs Maul kriegt!«

»Kannst es ja mal versuchen, Rodgers. Ich bin schon mit schlimmeren Typen fertig geworden. Lass Ernie in Ruhe, dann brauchst du morgen auch nicht zu erklären, wo du die gebrochene Nase herhast.«

Tom stand seinem Kontrahenten jetzt direkt gegenüber, war nur wenige Zentimeter von ihm entfernt. Rodgers bebte vor Zorn; seine Kumpels begannen, Tom, Bill und Bert einzukreisen.

»Kannst du wenigstens Karate?«, raunte Bill leise zu Bert.

»Hey, ich bin Intellektueller! Meine Waffe ist die Feder, nicht das Schwert«, versuchte der einen Witz daraus zu machen. Rodgers Kumpel fanden ihn nicht besonders lustig.

Anspannung lag in der Luft wie ein straff gezogenes Seil. Jeden Moment würde es reißen. Tom kannte dieses Gefühl zur Genüge und war auf alles gefasst; er war ein Kämpfer, trainiert durch die Abenteuer in Elderwelt. Rodgers würde es gleich zu spüren bekommen.

Doch dann sprangen dessen vier Kumpels vor und stürzten sich auf ihn, Bill und Bert. Es entbrannte ein Gerangel. Aus dem Augenwinkel sah Tom seine beiden Freunde mit je einem der Schläger kämpfen, dann packten die anderen beiden ihn von hinten an den Armen und hielten ihn fest. Tom trat wütend um sich und erwischte ein ums andere Mal ihre Schienbeine. Schreiend ließ der eine los, sodass Tom sich auch aus dem Griff des anderen winden und seinen Gegner stellen konnte. Er spürte, wie ihm das Adrenalin durch die Adern schoss, wie es seine Reaktionen beschleunigte, wie er fast wie von allein Schläge parierte und selbst welche austeilte. Er wollte es nicht zugeben, doch ein kleiner Teil von ihm genoss es. Einer von Rodgers Kumpels sackte zu Boden, keuchte und hielt sich mit schmerzverzerrtem Gesicht den Brustkorb. Tom wusste, wo er hinschlagen musste. Veyron Swift war ein meisterhafter Lehrer gewesen. Seit ihrem ersten Abenteuer hatten sie immer wieder mal ein wenig trainiert – und noch mehr nach ihrem zweiten.

Doch auch auf ihrer Seite gab es Verluste. Bert lag schon am Boden, und Bill rang mit gleich zwei Gegnern. Da griff auch Rodgers ein, schneller und stärker als seine Spießgesellen. Sein Faustschlag erwischte Tom mitten im Gesicht. Er schmeckte warmes Blut, das ihm aus der aufgeplatzten Lippe übers Kinn lief. Den nächsten Schlag konnte er gerade noch abwehren, aber nicht den Tritt in die Kniekehle, den ihm einer von Rodgers’ Handlangern verpasste. Noch ein Schlag von Rodgers, den er parierte. Aus den Augenwinkeln sah Tom, wie Ernie Fraud flüchtete und lauthals um Hilfe rief. Der eine Schläger wollte ihm nachsetzen, doch Tom holte ihn mit gestrecktem Bein von den Füßen. Mit wütendem Gebrüll warf sich Rodgers nun auf Tom, doch der verpasste dem Kerl einen dermaßen harten Kinnhaken, dass dessen Zähne knirschten. Den entfesselten Zorn seines Feindes konnte Tom damit jedoch nicht eindämmen. Rodgers war nicht umsonst Rugbymeister. Schmerz machte ihn nur noch wilder.

»Ich bring dich um, Packard!«, brüllte er.

Plötzlich quietschten Autoreifen, lautes Hupen ließ zum Schlag erhobene Fäuste in der Luft verharren. Ein schwarzer Range Rover preschte mitten auf den Spielplatz. Rodgers Kumpels suchten sofort das Weite. Er selbst versuchte ebenfalls zu fliehen, doch Tom hielt ihn fest.

Jetzt flogen die Wagentüren auf, und zwei kräftige Männer in Anzügen sprangen heraus. Sie stürmten vor, packten Rodgers und schleuderten ihn zur Seite.

»Mr. Packard?«

Tom nickte benommen.

»Sie müssen mit uns mitkommen«, befahl der eine streng, während der andere Bill und Bert auf die Beine half.

»Warum«, fragte Tom und wischte sich Blut aus dem Gesicht.

Der Mann zückte seine Dienstmarke. »CID. Wir haben ein paar wichtige Fragen«, sagte er.

Tom wollte protestieren, aber dann kam ihm in den Sinn, dass Veyron vielleicht einen neuen Fall ergattert hatte. Die Neugier ließ seine Kampfeslust schlagartig verpuffen. Er stand auf, warf Stevie Rodgers einen letzten zornigen Blick zu und folgte den beiden Männern zum Wagen.

»Ich meld mich später, wenn ich weiß, was los ist«, rief er Bill und Bert zu.

Rodgers’ Zorn war dagegen noch lange nicht verflogen. »Das ist noch nicht zu Ende, Packard!«, brüllte er, dann sprang er auf und rannte davon.

Bill und Bert riefen ihm ein paar sehr unflätige Namen hinterher. Mehr bekam Tom nicht mehr mit. Die Männer schoben ihn auf die Rückbank, machten die Tür zu und stiegen vorn ein. Eine verdunkelte Scheibe trennte das hintere Abteil von den Fahrersitzen. Die Fahrt ging los.

Tom war nicht allein. Neben ihm saß eine junge Frau, sie mochte wohl Mitte zwanzig sein, relativ hübsch und in einen ähnlich teuren Anzug gekleidet wie die beiden Männer vorn. Ihr langes Haar trug sie zu einem strengen Pferdeschwanz zusammengeknotet. Das gänzlich ungeschminkte Gesicht ließ sie ein wenig burschikos wirken.

»Wie ich sehe, kamen wir keinen Moment zu spät. Tut mir leid, dass wir nicht schneller waren. Wir erhielten die Nachricht über Ihren Aufenthaltsort erst vor zehn Minuten«, erklärte die Frau und reichte Tom ein Taschentuch.

Er nahm es dankend an und tupfte sich Blut von der aufgeplatzten Lippe. Erst jetzt spürte er die Schmerzen in der Brust, an den Armen und im Gesicht. »Kein Problem. Aber wir hätten das schon geschafft. Ich hatte diesen Rodgers schon fast am Boden«, log Tom.

Die Frau kicherte. »Natürlich«, meinte sie nur.

Tom schaute sie genauer an. »Sie sind nicht vom CID. Gregson schickt normalerweise Willkins, Brown oder den Idioten Palmer«, stellte er fest.

Sie nickte. »Nein, das war nur die Story, die wir Ihren Freunden erzählen mussten, Mr. Packard. Sie haben ja einen gewissen Ruf an Ihrer Schule, darum schien uns das glaubhaft. Ich bin Agent Hunter vom MI-6.«

Jetzt war Tom wirklich sprachlos. Es verging fast eine Minute, bis ihm etwas einfiel, das ihm weder blöd noch peinlich vorkam. »Wow.«

Und sofort war es ihm peinlich. »’Tschuldigung. Aber das ist echt … wow! Dürfen Sie mir das überhaupt sagen?«

»Natürlich. Wir fahren zum MI-6-Hauptquartier, darum wäre es wohl sinnlos, das geheim zu halten. Das kennt eh schon die ganze Welt«, erklärte Hunter. Sie lächelte, als sie Toms verdutztes Gesicht bemerkte. »Der Direktor will Ihren Patenonkel treffen, doch der bestand darauf, dass auch Sie an diesem Treffen teilnehmen«, führte sie weiter aus, als erriete sie seine vielen unausgesprochenen Fragen.

»Okay. Wie haben Sie mich überhaupt gefunden? Beobachten Sie mich schon länger?«

»Ja – zumindest, seit der Direktor mit Ihrem Patenonkel Kontakt aufgenommen hat. Das war vor zwei Wochen. Ich bin Judy.«

»Wie Ernie Frauds Facebook-Freundin«, murmelte Tom. Dann wurde ihm die Bedeutung dieser Tatsache bewusst. »Na klar, Sie sind es! Darum hat Ernie die Nähe zu meinen Kumpels und mir gesucht. Sie haben ihn als Spion eingesetzt! Also, das ist gemein, richtig gemein sogar.«

Hunter zuckte beiläufig mit den Schultern. »Der Zweck heiligt die Mittel, Mr. Packard. Ernie hält große Stücke auf Sie. Es war also recht leicht, ihn zu rekrutieren. Als Gegenleistung erhielt er ein wenig Verständnis und Freundschaft. Hat ihm nicht geschadet – und uns geholfen. Ohne diese kleine Maßnahme hätte dieser Rodgers Sie wohl zu Mus verarbeitet.«

 

Tom kam nicht darum herum, dem zuzustimmen. Auf die anschließend Frage, was der MI-6 von Veyron wollte, erhielt er jedoch ebenso wenig eine Antwort wie darauf, zu welcher Abteilung Agent Hunter gehörte. Sie lächelte stets nur, zückte ihr Smartphone, tippte irgendwelche Nachrichten ein und tat so, als existiere er gar nicht. Die Unterhaltung war für sie wohl beendet, und Tom begnügte sich damit, aus dem Fenster zu blicken und den Häuserzeilen zuzusehen, die an den Fenstern vorbei wischten.

Wie lang die Fahrt genau dauerte, vermochte er nicht zu sagen, so aufgeregt, wie er war. Irgendwann tauchte jedoch das unverwechselbare Hauptquartier des Special Intelligence Service am Vauxhall Cross auf. Tom war von der majestätischen Erscheinung des riesigen Gebäudes beeindruckt, das Elemente einer antiken Zikkurat mit moderner Architektur in sich vereinte. Von Mitarbeitern wurde es daher auch ›Babylon an der Themse‹ oder scherzhaft ›Legoland‹ genannt.

Der Range Rover hielt vor dem Haupteingang. Hunter und Tom stiegen aus, während die anderen beiden Agenten weiterfuhren. Die Agentin führte Tom ins Gebäude, vorbei an Sicherheitskontrollen und einige Korridore entlang, bis sie zu einem Aufzug kamen. Tom erblickte viele Mitarbeiter in teuren Anzügen und kam sich selbst schon fast ein wenig wie James Bond vor. Das war alles so aufregend!

Er stieg mit Hunter in den Aufzug und versuchte, sich so viele Details einzuprägen wie möglich. Wer konnte schon sagen, ob er jemals wieder ins Hauptquartier des MI-6 käme.

Ein paar Augenblicke langten sie in einem der oberen Stockwerke an, gingen einen weiteren Korridor hinunter und betraten ein geräumiges Vorzimmer. Das ist ja wirklich so ähnlich wie im Kino, dachte er.

Sie wurden ins Büro des Direktors vorgelassen, wo Veyron bereits in einem der Besuchersessel lümmelte. Tom fand es fast ein wenig peinlich, dass sich sein Pate nicht einmal jetzt anständig hinsetzen wollte.

Hinter dem wuchtigen Schreibtisch saß ein Mann mittleren Alters. »Ah ja, Mr. Packard. Setz dich, mein Junge. Danke, Hunter. Sie können gehen«, sagte er freundlich.

»Keine Ursache, C«, sagte die Agentin und verließ den Raum.

Also wurde der Direktor des MI-6 von seinen Mitarbeitern wirklich C genannt! Tom fand das sehr aufregend. Es verlieh den James-Bond-Filmen doch glatt Authentizität. C deutete auf einen der freien Sessel. Fast ehrfürchtig nahm Tom Platz.

Der Direktor langte über den Tisch und reichte Tom die Hand. »Willkommen beim SIS, Tom. Ich darf doch Tom sagen, oder?«, begrüßte er ihn. »Dein Onkel ist der loyalste Mensch, der mir je begegnet ist. Er weigerte sich partout, ein Wort zu sagen oder mich anzuhören, ehe du nicht dabei wärst.«

»Tom ist mein Assistent und hat mir schon in zahlreichen Fällen beigestanden. Sie können vor ihm absolut frei reden, anderenfalls hätte ich ihn sowieso in alles eingeweiht, was heute hier besprochen wird«, erläuterte Veyron, ohne C oder Tom dabei anzublicken. »Da wir nun vollzählig sind, können wir vielleicht beginnen, ohne noch mehr Zeit zu verschwenden. Ich hoffe nur, Sie können den Streit mit Ihrer Frau beilegen, sowie wir hier fertig sind. Besser wir beeilen uns, Ihre beiden Hunde warten sicher aufs Gassigehen.«

Der Direktor starrte Veyron für einen Moment verblüfft an, ging aber nicht weiter darauf ein, sondern kam gleich zur Sache. »Mr. Swift, ich wende mich heute in einer dringenden Angelegenheit an Sie, die von nationalem Interesse ist. Sagt Ihnen die Zaltianna Trading Company etwas?«

Tom schaute zu seinem Patenonkel. Natürlich kannten sie die ZTC! Diese Firma war in eine üble Sache verwickelt gewesen, auf die sie im Lauf ihres letzten Abenteuers gestoßen waren.

»Ich bin nur entfernt damit vertraut«, log Veyron zu Toms Überraschung.

»Die ZTC ist die vielleicht größte Transport- und Logistikflotte unserer Zeit. Gegründet von einem gewissen Avron Zaltic, verschifft sie Waren im Milliardenwert. Die Auftraggeber der ZTC gehören zu den kriminellsten Personen und Organisationen auf der ganzen Welt. Waffenschmuggel, Sklavenhandel, es gibt kaum ein schmutziges Geschäft, in das die ZTC nicht verwickelt ist. Nur beweisen kann man es ihr nicht. Natürlich stehen solche Konzerne unter unserer Beobachtung. Wir haben zum Beispiel erfahren, dass die ZTC viele tausend Tonnen vorbehandelter Rohstoffe und Maschinenbauteile hat verschwinden lassen. Das kommt immer wieder vor, und niemand weiß so recht, wie sie das anstellen«, führte C aus.

Veyron zuckte gelangweilt mit den Schultern. »Ähnliche Sachen sind mir auch zu Ohren gekommen. Ich verstehe jedoch nicht, wieso Sie meine Hilfe benötigen. Der MI-6 besitzt ganz kompetente Agenten; meistens jedenfalls«, meinte er.

Der Direktor hob ob dieser leisen Kritik nur kurz die Augenbrauen. »Wir benötigen Ihre Expertise als Fachmann für unnatürliche Angelegenheiten. Ich weiß aus zuverlässiger Quelle, dass Sie der einzige Mann Englands sind, der für diese Art von Aufgabe infrage kommt. Unsere Agenten haben einige Nachrichten zwischen verschiedenen ZTC-Abteilungen abgefangen, in denen die Rede von Elderwelt ist, womit offensichtlich ein anderer Ort gemeint ist als unsere Erde. Es ging darin auch um einen bestimmten Gegenstand: das Horn des Triton.«

Veyron legte die Fingerspitzen aneinander, als er das hörte. Seine eisblauen Augen strahlen neu entfachte Neugier aus. »Fahren Sie bitte fort.«

»Soweit wir es entschlüsseln können, scheint die ZTC daran interessiert, jenes Horn des Triton zu finden und aus dieser Elderwelt in die Unsrige zu bringen.«

Veyron richtete sich kerzengerade auf, seine Blicke huschten hin und her. »Sie wissen natürlich, um was es sich bei dem Horn des Triton handelt?«, wollte er vom SIS-Direktor wissen.

Dieser zeigte ein schräges Lächeln. »Natürlich. Unsere Agenten haben alle erhältlichen Informationsquellen konsultiert. Es handelt sich dabei um das Gehäuse einer Meeresschnecke, das Tritonshorn«, sagte er und blickte kurz auf seine Schreibtischplatte und las von einem Zettel ab: »Charonia tritonis. Beheimatet in subtropischen und tropischen Gewässern. Die Art ernährt sich von Seesternen und Muscheln. Das Gehäuse des Tritonshorns wird gelegentlich als Trompete benutzt, ähnlich dem japanischen horagai. Auch von anderen Kulturen ist das bekannt. Australien bemüht sich schon länger, das Tritonshorn auf die Rote Liste zu bekommen, denn an manchen Riffen ist diese Riesenschnecke vom Aussterben bedroht.«

Tom seufzte enttäuscht. »Das klingt ja wirklich nach einer lohnenden Mission für den MI-6. Rettet die Schnecken! Was ist nun das Problem? Dass die ZTC illegale Tritonshörner schmuggelt?«, meinte er sarkastisch.

C schmunzelte über seine offensichtliche Ungeduld. »Nein, Tom. Ich war mit meinen Ausführungen noch nicht ganz fertig. Unsere weiteren Recherchen haben ergeben, dass der Name auf einer alten griechischen Sage beruht. Nach ihr soll der griechische Meeresgott Triton ein derartiges Schneckengehäuse als Signalhorn benutzt haben. Er konnte damit Stürme heraufbeschwören oder die See ruhig und friedlich halten. Unsere Agenten sind der Überzeugung, dass dies nicht einfach nur ein Mythos ist, sondern, dass es dieses Horn tatsächlich gibt. In Elderwelt. Wir wissen aus sicherer Quelle, dass Sie, Mr. Swift, Elderwelt schon mindestens einmal besucht haben.«

Veyron sagte lange nichts. Es schien fast so, als wäre er zur Statue erstarrt. Schließlich stand er auf und schüttelte den Kopf. »Ich bedaure, ich muss ablehnen. Gehen wir einmal davon aus, dass das Horn des Triton tatsächlich existiert, so bezweifle ich doch massiv, dass die Menschheit schon so weit ist, mit dem Werkzeug einer Gottheit vernünftig zu hantieren«, sagte er, die Stimme tief und ernst.

»Was?«, entfuhr es Tom ungläubig. »Aber Veyron! Die ZTC ist hinter diesem Horn her!«

»Mag sein. Sie besitzt es jedoch nicht, ansonsten hätte sich die Zahl der Schiffsunglücke bereits dramatisch erhöht«, konterte Veyron. »Ich wiederhole es noch einmal: Ich lehne diesen Auftrag ab. Komm Tom, wir sind hier fertig.«

Der Direktor seufzte, erhob sich und öffnete ihnen die Tür. »Es ist sehr schade, dass Sie Ihrem Land keinen Dienst erweisen wollen«, meinte er.

Veyron stopfte seine Hände in die Hosentaschen und schlenderte auf den Ausgang zu. »Ich stehe nicht im Dienste Ihrer Majestät, Direktor. Des Weiteren bin ich davon überzeugt, dass England – und der ganzen Welt – besser damit gedient wäre, das Horn des Triton nicht aufzuspüren. Goodbye.«

C zuckte mit den Schultern. »Wie Sie meinen. Gestatten Sie mir noch eine abschließende Frage?«

»Selbstverständlich.«

»Woher wissen Sie, dass der Haussegen bei mir und meiner Frau schief hängt? Das weiß niemand.«

Veyron deutete auf Cs Krawatte. »Der Knoten wurde miserabel gebunden. Hinzu kommen die Hundehaare an Ihrer Hose – von zwei verschiedenen Schäferhundrassen, eine Gelbbacke und ein Tiger, wenn ich mit nicht irre. Nicht zu vergessen die Falten Ihres Hemds. Sie haben wohl auf der Couch übernachtet, wenn ich mir die zerknitterten Stellen auf der rechten Seite und dem Rücken ansehe. Dass Sie in einem derart schlampigen Aufzug zur Arbeit fahren, ist ungewöhnlich für Sie. Auf sämtlichen Fotos in Ihrem Büro sind Anzug und Krawatte nämlich in tadellosem Zustand. Folglich legen Sie weitaus weniger Wert auf Ihr Äußeres als Ihre Frau. Auf den Familienfotos auf Ihrem Schreibtisch kann man sehen, wie stolz sie auf Sie ist. Ihre Frau ist also diejenige, die Ihre Krawatten bindet, die Hosen bürstet und dafür sorgt, dass Sie jeden Morgen frisch gebügelte Hemden tragen. Nur heute nicht. Warum? Ein Streit mit Ihrer Frau erschien mir da als Grund nur logisch.«

Tom war ebenso sprachlos wie der Direktor. Er konnte nicht sagen, ob der Chef der Spione wütend darüber war, innerhalb von Sekunden all seiner privaten Geheimnisse beraubt zu sein. Wenn ja, dann verbarg er es geschickt. Immerhin gelang ihm ein höfliches Lächeln.

»Hunter hatte schon recht: Sie wären unser Mann gewesen, Mr. Swift. Vielleicht überlegen Sie es sich noch anders? Hier ist die Karte von Agent Hunter; sie ist Ihre Ansprechpartnerin. Goodbye«, sagte C und reichte Veyron eine Visitenkarte.

Der gab sie sofort an Tom weiter. »Danke, kein Interesse«, meinte er kalt und trat ins Vorzimmer.

Tom folgte seinem Patenonkel zögernd. Das durfte doch einfach nicht wahr sein! Zwei Klienten an einem Tag, und beide Male hatte Veyron abgelehnt. War er denn total übergeschnappt?

Sie hatten das MI-6-Gebäude noch keine hundert Meter hinter sich gelassen, als Veyron in die Hände klatschte und kurz auflachte. »Volltreffer, mein lieber Tom! Ruf Mr. Darrow an und sag ihm Bescheid, dass ich seinen Fall annehme.«

Tom konnte nur verwirrt dreinschauen. »Ach? Jetzt also doch? Was hat Ihre Meinung geändert? Und warum helfen wir Danny Darrow, seine verschwundene Freundin zu finden, anstatt den MI-6 zu unterstützen? Der will immerhin verhindern, dass die ZTC das Horn des Triton in die Finger bekommt. Erinnern Sie sich noch, was wir über diesen Verein in Elderwelt herausgefunden haben? Das sind Gangster der übelsten Sorte.«

»Ich habe nichts vergessen, Tom. Und wir helfen Mr. Darrow nicht, seine Freundin zu finden, sondern das Horn des Triton.«

Tom riss die Augen auf. Jetzt verstand er gar nichts mehr. »Ja, wie? Sie sagen Nein zu C, wollen aber das Horn trotzdem suchen? Ihnen geht’s schon noch gut, oder? Ich glaub, Sie reden wirres Zeug.«

»Ganz und gar nicht, mein lieber Tom. Es war die ganze Zeit meine Absicht, das Horn zu finden, nur nicht für den MI-6 oder sonst irgendeine Organisation dieser Erde. Die Menschheit ist nicht reif für solche Wunderwerkzeuge. Wir erweisen der Welt einen Dienst, indem wir dieses Horn finden und sicherstellen, dass es niemand anderes tut«, erklärte Veyron. Er marschierte mit so schnellen Schritten weiter, dass Tom Mühe hatte, mitzuhalten.

»Aber was hat Danny Darrow damit zu tun? Das versteh ich nicht«, sagte er fast schon verzweifelt. Mit den raketenschnellen Überlegungen seines Patenonkels konnte er nicht mithalten. Er brauchte Informationen – und wie üblich geizte Veyron damit.

Dieser lachte höhnisch auf. »Mr. Darrow? Nichts – aber seine vermisste Freundin. Ich war blind, Tom! Natürlich waren mir zu dem Zeitpunkt nicht alle Fakten bekannt, ansonsten wäre ich schon viel eher darauf gekommen. Du hattest recht, als du sagtest, dass das Buch über griechische Mythologie von Professor Daring etwas bedeuten müsse. Natürlich wusstest du nicht, was. Aber ich vermag es jetzt zu erkennen. Darrows verschwundene Freundin war eine Agentin des MI-6. Nur das erklärt ihr plötzliches Erscheinen und ihr ebenso geheimnisvolles, spurloses Verschwinden, als habe sie nie existiert. Miss Fiona Smith. Sie war zwar imstande, das Horn des Triton zu identifizieren, aber nicht, es zu finden. Der MI-6 weiß nicht, wie er seine Agenten nach Elderwelt schaffen soll, darum wollte man mich engagieren. Ruf Willkins an und bestell sie ins Harrisson’s Café. Sag ihr, sie soll das Formular für einen Hausdurchsuchungsbefehl mitbringen.«

 

Tom zückte sein Smartphone und begann die entsprechende Nummer zu suchen. Dann hielt er noch einmal inne. »Was haben Sie denn überhaupt vor?«

»Wir verüben heute Nacht einen kleinen Einbruch, Tom.«