Veyron Swift und der Orden der Medusa

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Z serii: Veyron Swift #2
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Tom hörte bereits Polizeisirenen und das prägnante Heulen eines Krankenwagen. Die alte Lady, die gerade zwei gemeingefährliche Verbrecher ausgeschaltet hatte, kümmerte das nicht weiter. Sie setzte sich hinter das Steuer des Jaguars, machte die Türen zu und fuhr los. War das zu fassen? Die Alte klaute gerade das Auto der Schurken!

»Ich glaub, ich bin im falschen Film«, japste Tom fassungslos.

Der Wagen hielt neben ihm, die Lady öffnete die Beifahrertür.

»Einsteigen, junger Mann, sonst gibt’s den Hosenboden voll!«, krächzte sie ihn herrisch an. Tom fielen fast die Augen aus dem Kopf.

Unter dem albernen, violetten Lidschatten und dem knallroten Lippenstift, weiß geschminkt, übersät mit Altersflecken und der zottligen grauen Perücke, hätte er sie fast gar nicht erkannt.

Die wehrhafte Dame war niemand anderes als sein Patenonkel, Veyron Swift!

Tom sprang sofort ins Auto, schnallte sich an und Veyron fuhr los.

»Was ist da eben passiert? Was soll das alles? Warum sind Sie als Großmutter verkleidet«, fragte Tom. »Was wollten diese Typen überhaupt von mir?«

»Von dir? Gar nichts. Sie wollten etwas von mir. Wegen Prinzessin Iulia. Ich sagte ja bereits, dass sich die junge Dame in Gefahr befindet. Ich fürchte, wir wurden in diese Sache gegen unseren Willen hineingezogen. Aber ich habe alles genauestes geplant«, erklärte Veyron. Tom schaute durch die Heckscheibe hinaus. Zahlreiche Passanten hatten sich nun um die ausgeschalteten Kidnapper versammelt, Polizei und Krankenwagen waren auch schon da. Veyron bog in eine Seitenstraße ab.

»Gregsons Männer. Zum ersten Mal pünktlich. Der Mann macht sich noch«, sagte er und beschleunigte.

»Wo wollen Sie überhaupt hin?«, wollte Tom wissen.

»Nach Elderwelt. Aber jetzt müssen wir erst einmal Willkins abholen. Die Sache ist noch nicht gänzlich ausgestanden, Tom.«

Zwanzig Minuten später hielten sie vor 270b Reigate Street. Tom und Veyron stiegen aus und klingelten. Willkins ließ die beiden ein. Mit dem Lift fuhren sie hoch in den vierten Stock, wo Jane sie bereits erwartete. Sie trug wieder nur Jeans und Bluse, an den Füßen Turnschuhe. Neben ihr stand ein mächtig bepackter Rucksack, an dem ein Paar Bergschuhe und eine dicke Jacke baumelten. Jane fiel die Kinnlade nach unten, als sie Veyron in seinem Großmutter-Aufzug erkannte. Sie begann zu lachen, wundervoll hell und befreit.

»Wollen Sie kleine Kinder erschrecken? Halloween ist doch erst in drei Wochen«, kicherte sie.

Veyron zog sich die staubige Perücke vom Kopf, warf sie ihr entgegen. Sie fing sie auf und musste nur noch lauter lachen. Ohne darauf einzugehen, packte er den Rucksack und schleppte ihn zum Aufzug.

»Sie sind albern, Willkins! Dabei sind Sie gar keine siebzehn mehr. Los jetzt, kommen Sie schon in den Lift, wir haben keine Zeit zu verlieren«, rief er ihr zu.

Ratlos schenkte sie Tom einen fragenden Blick, doch der konnte nur mit den Schultern zucken.

»Wir haben es eilig, ein paar Typen sind hinter uns her«, klärte er sie auf.

Jane schloss sofort die Tür und sperrte ab.

»Ich hoffe, ich hab‘ nichts abzuschalten vergessen. Wenn meine Bude abfackelt, zieh ich bei euch beiden ein. Dann müsst ihr mich monatelang aushalten«, beschwerte sie sich und stieg zusammen mit Tom in den Lift.

Unten auf der Straße schlug Jane sofort den Weg zu ihrem alten, feuerroten VW Golf ein, doch Veyron packte sie am Handgelenk, zog sie zu dem schwarzen Jaguar. Ohne weitere Worte warf er ihren Rucksack in den Kofferraum.

»Warum nehmen wir nicht meinen Wagen? Wo haben Sie überhaupt dieses Auto her? Sie besitzen doch gar keines.«

Veyron machte ihr die Beifahrertür auf und ließ sie einsteigen. Tom musste auf der Rückbank Platz nehmen, was ihm gar nicht passte (für gewöhnlich saß er lieber vorne). Veyron stieg ein und startete den Motor.

»Ihr Wagen ist verwanzt«, sagte er mit finsterem Ernst.

Jane schaute ihn skeptisch an. »Woher wissen Sie das? Was ist denn überhaupt los?«

Veyron deutete auf die andere Straßenseite, wo ein schmutziger Van mit verwaschener, blauer Firmenaufschrift stand.

»Ist Ihnen der Vauxhall gegenüber noch nicht aufgefallen? Der parkt seit gestern Nacht da, seit Tom bei Ihnen übernachtet hat. Drinnen sitzen zwei Männer, die den Auftrag haben, ihn zu entführen. Ich bin sicher, die würden nicht zögern, Sie zu töten. Das sind Profis, Söldner und Berufskiller. Gerade eben versuchen sie mit ihrem Auftraggeber Kontakt aufzunehmen, da unser unerwartetes Auftauchen, noch dazu in diesem Wagen, nicht zu ihrem Plan gehört.«

Jane machte große Augen. Sie beobachtete den Lieferwagen jetzt mit professionellem Interesse. Die Polizistin in ihr war geweckt.

»Okay. Was haben Sie vor?«

»Ganz einfach: Ich warte.«

»Warten? Worauf?«

Er deutete auf die Straße, wo sich ein alter Sportwagen näherte, aus dem lauter Rap zu hören war. Drinnen saßen vier Jugendliche, mit dicken Muskeln bepackt, überall tätowiert und Sonnenbrillen auf den Nasen.

»Darauf. Pünktlich wie bestellt.«

Die vier Jungs parkten ihren Wagen direkt neben dem Van.

Endlich fuhr Veyron los. So schnell es der Motor des verbeulten Jaguars zuließ, raste er die Straße hinunter, dann bog er in Richtung Innenstadt ab. Tom und Jane beobachteten den Sportwagen durch die Heckscheibe. Er blockierte immer noch den Weg des Lieferwagens. Zwei Männer stiegen aus und beschwerten sich, doch die Jugendlichen im Sportwagen weigerten sich wegzufahren.

»Simon Woods und seine Jungs. Üble Burschen, aber sie schuldeten mir wegen des Trolls von Woking, der drei aus ihrer Gang aufgefressen hat, noch einen Gefallen«, erklärte Veyron mit einem amüsierten Lächeln.

Jane wirkte alles andere als begeistert.

»Sie lassen sich mit diesen Typen ein? Das sind Gangster, Veyron. Typen von der allerschlimmsten Sorte.«

»Irrtum, Willkins. Diese Jungs und ihre Familien werden in Ghettos angesiedelt, erhalten keine vernünftige Bildung und keine ordentlichen Jobs. Man lässt sie einfach links liegen, nur um dann noch kräftig auf sie draufzuhauen, wenn mal was schiefläuft. Niemand ist da, um diesen Menschen einen Weg in die Zukunft zu zeigen. Es ist unsere Gesellschaft, die von der allerschlimmsten Sorte ist«, konterte er mit ungewöhnlich scharfem Ton.

Jane war sofort wieder still und blickte verlegen aus dem Fenster. Tom wagte auch nichts zu sagen. Irgendwie saß er hier zwischen den Stühlen.

»Wo geht‘s jetzt eigentlich hin? Wir können ja nicht ewig mit einem gestohlenen Wagen rumfahren«, wechselte er das Thema.

Jane wäre am liebsten durch die Decke gegangen. »Was? Der Wagen ist gestohlen? Swift, Sie haben den Verstand verloren!«

»Ganz im Gegenteil. Ich habe dieses Fahrzeug Toms Fast-Entführern entwendet. Die sitzen jetzt bei Gregson auf dem Revier und werden sich ausschweigen. Niemand wird uns verfolgen, also bleiben Sie ganz entspannt. Ich fahre auch bloß bis King’s Cross, dort steigen wir in den Zug nach Milton Keynes um. Karten habe ich bereits gekauft.«

»Warum mit dem Zug?«

»Wegen möglicher Verfolger. Da Zugfahren heutzutage fast anachronistisch ist, werden unsere Gegner es am wenigsten erwarten. Bis die wissen, wo wir hin sind, genießen wir bereits die Freuden Elderwelts.«

Veyron versprach nicht zu viel. Er ließ den verbeulten Jaguar einfach am Straßenrand stehen und sie marschierten in den riesigen Bahnhof. Freitagmittag gingen sie im Getümmel Londons komplett unter. Dennoch wanderten Toms Blicke überall hin. Jede Person, die ihm irgendwie seltsam vorkam, beobachtete er genau. Erst als sie in den Zug eingestiegen waren, wurde er etwas ruhiger.

Veyron besetzte ein Abteil und warf Janes Rucksack auf die Gepäckablage. Er selbst hatte nur eine alte, karierte Reisetasche aus Filz dabei, die perfekt zu dem altmodischen Rock und der albernen selbstgestrickten Jacke passte. Danach verschwand er auf der nächsten Toilette. Jane, wachsam aber aufgeregt, blieb in der Tür des Abteils stehen und spähte in alle Richtungen. Sie bedauerte es mehrmals, dass sie ihre Dienstwaffe nicht eingepackt hatte

»Ich hab das Gefühl, die werden wir noch brauchen. Mein Gott, worauf habe ich mich da nur eingelassen?«, murmelte sie und klopfte mit den Fingern nervös gegen den metallenen Türrahmen.

Nach einer Viertelstunde kehrte Veyron zurück, jetzt wieder ganz er selbst, das schwarze Haar zerzaust, ein breites, schelmisches Grinsen in seinem hageren, falkenhaften Gesicht. Anstatt des modrigen Großmutteraufzugs trug er jetzt Hemd, Hose und eine Anzugweste.

Er könnte glatt als seriöser Geschäftsmann durchgehen, dachte Tom. Aber nur, wenn man ihn nicht besser kennt!

»Setzen Sie sich endlich, Willkins. Unsere Verfolger sind wir los und wir werden wohl auch nicht weiter von ihnen behelligt werden«, sagte Veyron und schob die junge Polizistin ins Abteil. Eher widerwillig ließ sie sich in einen der Sitze fallen, während Veyron sich entspannt hinlümmelte und die Beine übereinander schlug.

»Der ganze Ärger begann vor ziemlich genau zwei Wochen. Ich bekam Emails mit wenig freundlichem Inhalt. Ganz offen wurde mir gedroht. Zunächst nur per Text, später folgten dann Fotos von Tom, aufgenommen auf der Straße, vor der Schule und auch vor Ihrer Wohnung. Sofort war mir klar, dass es jemand ziemlich ernst meinte«, erklärte er.

Jane schüttelte erschrocken den Kopf.

»Sie hätten uns informieren sollen. Die Polizei besteht nicht nur aus Idioten, wissen Sie? Inspektor Gregson hätte sicher was unternehmen können«, meinte sie.

»Sehr pflichtbewusst, Constable, sehr pflichtbewusst. Aber leider blieb mir dieser Weg versperrt. Ich bekam auch Fotos von Ihnen, von Gregson und von jedem anderem aus dem Revier. Ein falscher Schritt von mir und Sie hätten auf eine Kollegenbeerdigung gehen können – eventuell auch auf Ihre eigene. Das musste ich verhindern. Zurück zu meinem neuen Feind. Seine Textnachrichten ließen erkennen, dass ich mich um jeden Preis aus gewissen Angelegenheiten heraushalten sollte. Mir war nur nicht klar, aus welchen. Seit dem Tommerberry-Desaster, oder den Schneetroll-Flop in Schottland, hatte ich eigentlich gar nichts mehr zu tun. An meinem Fliegenprojekt – das von Tom und Mrs. Fuller massiv sabotiert wurde, nur um das noch anzumerken – konnte mein Feind ja wohl kaum Anstoß genommen haben.

 

Also bat ich meinen unbekannten Gegner um eine Unterredung. Ich antwortete einfach auf seine Emails. Mir war natürlich klar, dass die Absender gefälscht waren, aber ebenso rechnete ich damit, dass mein Feind eine Möglichkeit besaß, um meine Antworten zu erhalten.

Schließlich wurden mir Adresse und ein Termin genannt, mit sehr präziser Uhrzeit. Das verriet meinen Feind als meisterhaften Planer und obendrein vielbeschäftigt, außergewöhnlich wohlhabend und sehr gut bezahlt. Mein Gegner hoffte wohl, mich damit überraschen zu können.

Es wäre ihm wohl auch gelungen, wäre ich nur irgendein Hinterhofdetektiv, ein Amateur, der sich auf das Verlegen von Abhöranlagen versteht und untreuen Ehemännern hinterher spioniert. Mir war natürlich sehr schnell aufgefallen, dass in den letzten zwei Wochen etwas nicht stimmte. Ich kenne jeden Bewohner der Wisteria Road, weiß wie ihre Hunde heißen und welche Autos sie fahren. Da fällt ein Umzugstransporter natürlich sofort auf; wohlwissend, dass niemand in der Straße weder ein- noch auszog. 111 Wisteria Road wurde professionell beschattet. Aber ich hatte nicht vor, mich ungestraft beobachten zu lassen. Ich musste herausfinden, was hier gespielt wurde und welche Geschütze mein Feind noch gegen mich auffahren könnte. Dazu war es erst einmal notwendig, das Haus zu verlassen, heimlich und ungesehen«, erklärte er. Veyron ging davon aus, dass seine beiden Begleiter sich den Rest der Geschichte nun selbst zusammenreimen konnten. Als er jedoch die erwartungsvollen Gesichter von Jane und Tom registrierte, begriff er seinen Irrtum und fuhr fort.

»Da habe ich Mrs. Hardfist erfunden, eine alleinstehende, sehr alte und gebrechliche Frau, die jeden Morgen mit ihrem Rollator einen kleinen Spaziergang in die Stadt macht. Zugegeben, einen sehr ausgedehnten Spaziergang, der sie nicht nur zu Toms Schule, sondern auch zu Ihnen, Willkins, und zu Inspektor Gregson führte.«

Veyrons Grinsen wuchs in die Breite, als er sich für seine eigene Genialität bewunderte. Tom fand dieses selbstverliebte Gehabe fast unerträglich, aber er musste zugeben, dass die Ergebnisse eindeutig für seinen Paten sprachen.

»Sie müssen wissen, dass 111 Wisteria Road einen zweiten Keller besitzt. Ich habe ihn vor neun Jahren ausheben lassen, als ich mit meiner Arbeit als Berater für unnatürliche Ereignisse und mythische Wesen begann. Sollte mich einmal eine Horde Kobolde angreifen, bräuchte ich einen schnellen Fluchtweg. Von diesem Keller führen mehrere Tunnels in die Keller der ganzen Nachbarschaft, auch unter der Straße hindurch. Auf diese Weise konnte ich jeden Morgen unerkannt 111 Wisteria Road verlassen.«

Tom musste vor Begeisterung lachen.

»Ist ja irre. Cool«, meinte er.

Jane fand das dagegen weniger lustig. Sie schüttelte nur entgeistert den Kopf.

»Sie haben doch einen totalen Dachschaden! Was Sie da gemacht haben, ist im höchsten Maße illegal. Wissen wenigstens Ihre Nachbarn von diesen Tunnels?«

Veyron sah sie an, als habe sie den Verstand verloren.

»Natürlich nicht«, entrüstete er sich. »Ansonsten wäre der Sinn und Zweck dieser Tunnel ja vollkommen umsonst. Warum glauben Sie wohl, nennt man sie Geheimtunnel? Weil sie geheim sind, ebenso die Türen. Noch keiner der Nachbarn hat sie entdeckt. Ich kenne selbstverständlich die morgendlichen Angewohnheiten meiner Nachbarn und weiß, wann ich gefahrlos welchen Tunnel benutzen kann. 114 Wisteria Road wird zum Beispiel in der Tat von einer alten Lady bewohnt, doch die liegt seit vier Wochen im Krankenhaus und kommt erst übermorgen wieder zurück. Dieser Umstand kam meiner kleinen Täuschungsnummer natürlich zu Gute. Zurück zu meinen weiteren Maßnahmen:

Jetzt stand dieser Termin in jenem besagten Restaurant in Londons Innenstadt an. Wen traf ich dort? Charles Fellows, einer der meistgesuchtesten Verbrecher der Welt«, erklärte Veyron weiter. Er erzählte den beiden von dem Treffen und wiederholte jedes Wort, das gesprochen wurde, erwähnte jede Geste, jedes falsche Lächeln oder Aufblitzen der Augen. Er ließ kein einziges Detail aus. Wenn sie gefragt hätten, er hätte ihnen sogar sagen können wie oft die Warnlichter am London Eye in jener Nacht geblinkt hatten.

Tom war beeindruckt wie ruhig und vorwitzig sein Pate in dieser Situation geblieben war. Jane dagegen schien im höchsten Maße aufgeregt und eingeschüchtert. Sie spielte nervös mit ihren Fingern und warf pausenlos wachsame Blicke hinaus auf den engen Gang.

»Sie sind verrückt! Einer der gefährlichsten Männer der Welt erpresst Sie, setzt Killer und Entführer auf uns andere an – und was tun Sie? Anstatt sich bei der Polizei zu melden, spielen Sie mit diesem Fellows auch noch Spielchen! Ist Ihnen klar, in welche Gefahr Sie Tom da gebracht haben? Ihre Nachbarn, den Inspektor und mich – eigentlich jedermann?«

Veyron schloss die Augen und seufzte laut.

»Willkins, Sie müssen sich wirklich entspannen. Machen Sie sich keine Sorgen, die Gefahr ist fürs Erste gebannt.«

»Das ich nicht lache!«

»Sie kennen den Rest der Geschichte nicht. Ich habe Ihnen noch nichts von Mrs. Hardfists Wirken berichtet. Dazu komme ich gleich, doch zuerst will ich Ihnen erklären wie es mir gelang, Ihren und Toms Kopf aus der Schlinge zu ziehen.

Ich sagte schon, dass ich bereits vor dem Treffen über Fellows verschiedene Handlanger im Bilde war. Nun musste ich jedoch Gegenmaßnahmen ergreifen. Sie würden staunen, Willkins, wer mir noch den einen oder anderen Gefallen schuldet oder mir bereitwillig Unterstützung anbietet. Menschen, über die Sie die Nase rümpfen oder Sie belächeln. Meine unsichtbaren Freunde, so nenne ich sie, die Bettler, die Obdachlosen, die Graffiti-Sprayer oder die heimatlosen Ghetto-Kids.

Noch während ich auf dem Weg zum Treffen mit Fellows war, wurde bereits sein Untergang eingeleitet. Meine unsichtbaren Freunde kontaktierten Woods, gaben ihm meine Anweisungen weiter. Auf diese Weise wurde Toms Fluchtfahrrad bereitgestellt. Auch die drei Schläger lauerten ihm rechtzeitig auf, um einen Zugriff von Fellows Leuten zu verhindern und Verwirrung zu stiften. Ort und Zeit waren präzise geplant, ebenso das Auftauchen von Woods Leuten vor Ihrem Wohnhaus, Willkins. Auch Mr. Puttner war zur rechten Zeit da, um Tom die Tore seines Grundstücks zu öffnen. Ich hatte die ganze Verfolgungsjagd vorausberechnet, die Geschwindigkeiten des Fahrrads und des Verfolgungsfahrzeugs so genau wie möglich bestimmt. Alle Mechanismen haben funktioniert, keiner meiner vier Ausweichpläne musste eingeleitet werden.

Die einzigen kleinen Zutaten, die ich noch hinzufügen musste, war die Manipulation von Toms Smartphone und eine Webcam in seinem Rucksackverschluss, damit ich beobachten konnte, was hinter ihm geschah. Natürlich noch das Daring-Schwert für Notfälle. Ich selbst hielt mich, als Mrs. Hardfist verkleidet, den ganzen Morgen schon bereit. Den Rest der Geschichte kennen Sie ja.«

Tom lachte laut auf, als er all das hörte. Er klatschte in die Hände.

»Phantastisch, echt cool. Das ist ja der Wahnsinn.«

Nur Jane blieb noch immer skeptisch, wenngleich sie sich ein anerkennendes Lächeln nicht ganz verkneifen konnte.

»Eine meisterhaft inszenierte Flucht, das stimmt. Aber das Hauptproblem löst sie natürlich nicht. Fellows ist immer noch dort draußen. Wenn es stimmt, was Sie über diesen Kerl sagen, sind seine Killer jetzt hinter uns her«, meinte sie.

Veyron stieß einen höhnischen Lacher aus, wurde aber gleich wieder ernst.

»Ich bezweifle sehr stark, das Mr. Fellows dazu überhaupt in der Lage sein wird«, erwiderte er.

Jane und Tom blickten ihn staunend an, was Veyron listig lächeln ließ.

»Ich sollte vielleicht endlich von Mrs. Hardfists Meisterstück erzählen. Was für eine tüchtige alte Lady! Nachdem ich Fellows kontaktiert hatte und Adresse und Uhrzeit unseres Treffpunkts übermittelt bekam, bemühte ich Mrs. Hardfist für einen kleinen Ausflug in die City. Ich hatte ein paar Stunden Zeit. Zweifellos würden Fellows Agenten bereits in jenem Restaurant warten, falls ich vorher mal vorbeischaue. Fellows ist kein Dummkopf. Mit einem Besuch von Mrs. Hardfist rechnet jedoch nicht einmal er. Eine krumme, übelriechende alte Schachtel, der man nicht zu nahe kommen will. Die watschelt in das Hilton, hinein in den Aufzug und rauf ins Restaurant, von jedermann ungläubig angestarrt. Sie marschiert von Kundschaft zu Kundschaft, murmelt, geifert, schnappt sich ein paar Zuckerpäckchen und steckt sie in die Taschen. Ein freundlicher Kellner kommt zu ihr und komplimentiert sie hinaus. Mrs. Hardfist beschimpft ihn als Rüpel und steigt in den nächsten Bus. Jedermann lacht über diesen Vorfall, auch Fellows Handlanger.

Zu Hause verwandelt sie sich dann zurück in Veyron Swift, der nun die Zuckerpäckchen nimmt und manipuliert. Er mischt dem Zucker ein Betäubungsmittel bei. Und zwar jenes, welches der gute, alte Mr. Tommerberry entwickelt hat.

Das war der einzig lohnenswerte Aspekt an diesem Reinfall: Ein neuartiges Sedativ, das ein temporäres Koma hervorruft – Tommerberrys bemitleidenswerter Versuch, den eigenen Tod zu fingieren. Ein versuchter Versicherungsbetrug, wie langweilig. Für uns alle jetzt jedoch ein Glücksfall. Ich nehme also die präparierten Zuckerpäckchen mit zu meinem Treffen mit Fellows. In einem Moment vorgespielter Nervosität und Ungeschicklichkeit, tausche ich die echten durch die falschen aus, schütte sie in meinen Kaffee, trinke dann jedoch aus Fellows Tasse. Dieser nun aus der meinen und tappt so in meine Falle. Tommerberrys Sedativ braucht ein paar Stunden, bis es zu wirken beginnt. Fellows kehrt in seine Absteige zurück und schläft ein; vor dem Fernseher, beim Pokern oder wo auch immer. Das Sedativ ruft einen komatösen Zustand hervor, Fellows Handlanger können ihn nicht mehr aufwecken. Zweifellos lassen sie ihn in ihrer Panik im Stich und fliehen. Wenn er wieder zu sich kommt – etwa heute Abend – steht er vor den Trümmern seiner Organisation. Er wird untertauchen müssen, denn Gregson und sogar der MI-5 sind ihm auf den Fersen. Vielleicht gelingt ihm die Flucht, aber ich bezweifle es. Das, meine liebe Willkins, ist dann das Ende der Geschichte und zweifellos auch das Ende von Mr. Charles Fellows.«

Seinen Triumph auskostend, verschränkte er die Arme hinter dem Kopf und schloss die Augen.

Von Jane war für den Rest der Fahrt nach Milton Keynes kein einziges kritisches Wort mehr zu hören. Misstrauisch blieb sie dennoch, als wollte sie nicht so ganz glauben, dass es Veyron wirklich gelungen war, innerhalb von Stunden jenen Mann restlos zu besiegen, den die ganze Ermittlerelite der Welt bislang vergebens zu verhaften versucht hatte.

Auch Tom war nicht ganz wohl in seiner Haut. In Kürze würden sie nach Elderwelt zurückkehren. Dieser unheimliche Consilian würde dort auf sie warten. Um ihm das Handwerk zu legen, würde es sicher mehr brauchen, als ein paar billige Tricks.