Veyron Swift und der Orden der Medusa

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Z serii: Veyron Swift #2
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Moore räusperte sich und musterte den Geistlichen scharf.

»Ist ja gut, Pater«, raunte er ungehalten. Er wandte sich wieder Veyron zu, der nicht nun nicht länger gelangweilt im Sessel lümmelte, sondern aufrecht und voller Anspannung dasaß. Tom erkannte, dass Veyrons Gehirn gerade zu Höchstleistungen warmlief.

»Als Gregson das hörte, schlug er vor, dass ich mich mit Ihnen treffen soll. Sie könnten mir weiterhelfen. Also, wie sehen Sie die Lage? Glauben Sie, Sie können dieses Mysterium aufklären?«, endete Moore und warf dem Monster-Ermittler einen ratlosen Blick zu.

Veyron legte die Fingerspitzen aneinander und schloss kurz die Augen. Blitzartig sprang er aus dem Sessel und begann hastig im Wohnzimmer auf und ab zu gehen.

»Zwei Wochen! Da haben Sie tatsächlich ganze zwei Wochen vertrödelt, ehe Sie zu mir kamen? Du liebe Zeit, nur selten habe ich solche Nachlässigkeit erlebt«, hielt er den beiden Herren in strengem Tonfall vor.

»Ich nehme an, die Lady befindet sich in Ihrer Begleitung? Lassen Sie sie bitte hereinrufen. Ich muss mich mit ihr unterhalten. Dann werde ich Ihnen sagen, woher sie kommt und wer sie ist.«

Moore zückte ein Funkgerät und gab den beiden Constables Anweisungen durch. Nur kurze Zeit später klingelte es erneut an der Haustür. Tom eilte los. Sein Zorn auf Veyron war für den Moment verraucht. Die Aussicht, wieder in ein spannendes Abenteuer gezogen zu werden, ließ ihn vor Aufregung und Freude fast in die Luft springen. Er eilte den Flur hinunter, öffnete die Haustür und ließ die beiden Constables eintreten. In ihrer Begleitung befand sich eine junge Frau, vielleicht Anfang zwanzig, relativ schlank und wie Tom fand, auch recht hübsch. Sie hatte eine auffallend helle Haut trotz ihrer südländischen Herkunft. Zumindest ließen ihn das ihre dunklen Augen und das ebenso dunkle Haar vermuten. Sie trug es in einer altmodisch wirkenden Frisur aus winzigen Locken, am Hinterkopf zu einem Knoten gebunden. Ihr Blick wirkte jedoch sehr verstört. Sie zuckte zusammen, als die Constables sie ins Haus schoben. Tom hatte sofort Mitleid mit ihr und begann, sich zu fragen, was für schreckliche Erlebnisse die arme Frau plagten. Hoffentlich konnte Veyron ihr helfen.

Er führte die Polizisten und die Frau ins Wohnzimmer und bedeutete ihnen, auf der Couch Platz zu nehmen. Aber die Constables bevorzugten es zu stehen. Sie nahmen Positionen am Fenster und an der Tür ein. Fürchteten sie etwa, die junge Frau könnte fliehen? Tom verstand dieses Misstrauen nicht. Ratlos, was sie tun sollte und was man mit ihr vorhatte, setzte sich die Frau auf das Sofa. Sie erschrak, als ein paar alte Federn in der Sitzauflage quietschten.

Veyron Swift wirbelte zu ihr herum, als hätte ihn eine Wespe gestochen und musterte sie einen Moment eingehend. Dann wandte er sich an Pater Felton und Inspektor Moore.

»Was haben Sie in den vergangenen zwei Wochen mit der jungen Miss gemacht«, fragte er. Seine Stimme klang kalt und emotionslos, nur auf Wissen aus und enthielt keinerlei Anschuldigung.

»Nach dem Unfall blieb sie zunächst ein paar Tage im Krankenhaus, in der geschlossenen Abteilung und unter Bewachung. Ein paar Mal hat sie versucht zu fliehen, kam aber nicht weit. Draußen auf der Straße ist sie sofort wieder umgekehrt und ins Krankenhaus zurückgerannt. Der Verkehr machte ihr noch größere Angst, als Spritzen und Bandagen. Man hat sie mit Beruhigungsmitteln versorgt und ich habe zwei erfahrene Constables abgestellt, falls sie wieder zu fliehen versuchte. Ich werde sie einweisen lassen müssen, wenn wir nicht bald mehr über sie erfahren«, erklärte Moore.

»Sie behauptet, eine Art Prinzessin zu sein, die Tochter eines Cäsars, eine Nobilissima. Ich fürchte, um ihren Verstand ist es geschehen, vielleicht wegen des Unfalls. So was soll es doch durchaus geben«, mischte sich Felton wieder ein.

Veyron brachte beide Männer mit einem Handzeichen zum Schweigen.

»Vielen Dank für Ihre Ausführungen, Gentlemen«, sagte er. »Ihre Annahmen sind zutreffend – von Ihrem Standpunkt aus. Natürlich standen Ihnen nicht die Informationen zur Verfügung, über die ich verfüge. Anderenfalls hätten Sie beide Ihren Fehler sofort begriffen und erst gar nicht der Suggestion Inspektor Gregsons bedurft, um den Weg zu mir zu finden. Nun lassen Sie mich die Identität unseres Schützlings lüften.«

Er trat vor Iulia und verbeugte sich knapp. »Ich würde gerne einen Blick auf Eure Füße und Hände werfen, wenn Ihr es gestattet. Habt keine Angst, diese Untersuchung dient nur zu Demonstrationszwecken.«

Die junge Frau rümpfte die Nase, weil Veyron so nahe vor ihr stand, aber sie nickte dennoch.

»Ita«, sagte sie.

»Das ist Latein und heißt ja«, glaubte Felton kundtun zu müssen. »Ich hatte ganz vergessen zu erwähnen, dass sie lateinisch spricht, wenn sie schimpft oder betet, was sie oft tut. Sie bittet immer wieder Jupiter und Minerva um Beistand, vollkommen lächerlich. Ansonsten spricht sie ein sehr gutes Englisch, wenngleich mit einem Akzent, vielleicht südländischer Herkunft.«

Veyron bückte sich, nahm ihr rechtes Bein in seine Hände, schob die Hose zurück und schnüffelte an der glatten Haut auf. Er wiederholte das an ihren Händen und Unterarmen. Jeder konnte es hören. Tom war das oberpeinlich, wie auch allen anderen Anwesenden. Veyron trat zurück, erhob sich wieder und bedankte sich mit einem ehrfurchtsvollen Nicken bei der jungen Frau. Mit einem triumphierenden Lächeln wandte er sich wieder seinen anderen Gästen zu.

»Ganz eindeutig. Die junge Frau ist eine echte Prinzessin«, schlussfolgerte er.

Moore und Felton sprangen zugleich auf und protestierten.

»Das ist lächerlich! Woher wollen Sie so was wissen?«

Veyron seufzte. Er setzte sich wieder in seinen alten Ohrensessel und warf den beiden Gentlemen vorwurfsvolle Blicke zu. Etwas beschämt ob ihres Ausbruchs, setzten sie sich wieder.

»Sie übersehen die Fakten, Inspektor, Sie ebenso, mein lieber Pater. Zunächst einmal sind da ihre Hände. Perfekt manikürte Fingernägel, die Handflächen weich, keine Narben, fast keine Hornhaut, keine Schwielen. Diese Hände tun nicht viel, es sind keine Arbeiterhände. Daraus lässt sich schlussfolgern, dass unsere Klientin seit ihrer Jugend noch nie viel arbeiten musste. Außerdem hat sie zahlreiche helle Stellen an den Fingern, die auf das Tragen von Ringen hindeuten, großen und teuren Ringen. Sie stammt also aus bestem Hause, wurde seit jeher mit Schmuck verwöhnt, den sie gewohnt ist, ständig zu tragen. Wo ist der Schmuck abgeblieben?«

»Sie trug keinen Schmuck, als sie gefunden wurde«, ergänzte Moore.

Veyron nickte.

»Also hat sie ihn abgenommen, um ihre Identität zu verschleiern. Anhand des Schmucks hätte man sie ansonsten zu leicht identifizieren können. Das deutet nicht nur auf Kostbarkeiten hin, sondern auch auf Siegel- und Zeremonienringe. Sie muss also eine Person von herausragender Stellung sein – da wo sie herkommt, versteht sich.

Nun zu ihren Füßen. Dasselbe wie an den Händen. Sehr weiche Sohlen, kaum Hornhaut, manikürte Zehennägel. Ihre Füße tragen für gewöhnlich weiche Schuhe und Sandalen, keine engen Stiefel, auch keine Turnschuhe. Ihre Beine sind schlank, die Muskulatur weich. Sie betreibt also nur wenig Sport und überhaupt bewegt sie sich nicht allzu viel. Sie ist Reiterin; seit Kindheitstagen. Das verrät mir die O-Formung ihrer Beine, aber keine Sport- oder Jagdreiterin, wegen der etwas schwachen Muskulatur. Also benutzt sie ihr Pferd nur gelegentlich als Reisemittel, um von A nach B zu kommen. Diesen Luxus können sich nur Personen in gehobener Stellung leisten.

Zuletzt noch eine Analyse ihrer Haut. Sie ist sehr weich und sauber. Obwohl das meiste inzwischen abgewaschen wurde, konnte ich noch leichte Spuren von Honig und verschiedenen Duftölen ausmachen, die bei uns absolut unüblich sind. Auch das ein eigentlich unübersehbarer Hinweis darauf, dass Lady Iulia aus allerbestem Hause kommt. Sie ist eine Prinzessin, normalerweise von einer ganzen Schar Diener umschwärmt, die ihr alle Lasten abnehmen.

Ach ja, ich hatte Maresia vergessen. Nun, dieses Land können Sie gar nicht kennen, Pater. Es ist auf keiner Landkarte zu finden und auch in keinem Lexikon. Das Imperium Maresium liegt nämlich in Elderwelt.«

Moore und Felton sahen sich ratlos an. Ihren Mienen nach zu urteilen, waren sie sich darüber einig, dass Veyron sie zum Narren hielt. Moore sprach es auch aus.

Veyron zischte ungehalten und drückte mit den Fingern seine Augenlider zu.

»Halten Sie Inspektor Gregson für einen Idioten?«, fragte er Moore unwirsch.

»Natürlich nicht! Bill ist ein guter Mann. Der weiß, was er tut.«

»Halten Sie sich selbst für einen Idioten?«

»Jetzt werden Sie aber unverschämt!«

»Ja oder nein?«, Veyrons Strenge duldete kein Widerwort.

»Nein, natürlich nicht«, grummelte Moore.

»Wenn also Gregson kein Idiot ist und Sie auch nicht, wieso denken Sie dann, er hätte Sie zu einem Idioten geschickt?«

Moore schnappte nach Luft, doch er wusste nichts, was er darauf antworten könnte. Veyron sprang zornig aus seinem Sessel und marschierte mit forschem Schritt durchs Wohnzimmer.

»Gentlemen, ich muss Sie bitten, mir vollkommen zu vertrauen. Elderwelt ist ein Reich, das für die Augen der Menschen unsichtbar ist. Dennoch existiert es und ist keine Fantasie. Ich bin selbst schon dort gewesen und Tom ebenso. Wenn Sie immer noch Zweifel haben, rufen Sie Inspektor Gregson an und fragen sie ihn. Er wird es bestätigen.«

Moore und Felton waren ganz kleinlaut geworden. Tom empfand eine gewisse Genugtuung, denn natürlich sprach sein Pate die Wahrheit.

Veyron hatte sich inzwischen wieder Iulia zugewandt und überließ die beiden Gentlemen ihren eigenen Gedanken.

 

»Prinzessin, entschuldigt, dass ich mich erst jetzt vorstelle. Ich bin Veyron Swift, Berater für ungewöhnliche Fälle. Ich bin ein Freund der Elbenkönigin Girian und ebenso des Zaubererordens der Simanui. Ihr müsst mir erzählen, was Euch hierher gebracht hat und warum Ihr die Simanui so verzweifelt sucht.«

Veyron setzte sich wieder in seinen Sessel.

Prinzessin Iulia, offenbar überglücklich, dass ihr endlich jemand Glauben schenkte, begann vor Freude fast zu weinen. Mit einem Schlag wich alle Verzweiflung aus ihrem Gesicht. Sie fiel auf die Knie und dankte den Göttern, dass ihre Gebete endlich erhört wurden. Die Polizisten und der Priester sahen sich nur überrascht an. Veyron lächelte vielsagend, Tom dagegen vor Erleichterung. Es brauchte ein paar Augenblicke, ehe Iulia sich wieder fasste, hinsetzte und mit ihrer Geschichte begann.

2. Kapitel: Iulias Geschichte

»Das Unglück verfolgt mich. Ich weiß gar nicht, wo es seinen Ursprung nahm. Schon immer hatte die kaiserliche Familie viele Gründe zum Trauern, doch so schlimm wie in den letzten vier Jahren war es nie zuvor. Ich fürchte um all meine Verwandten. Der Tod bedroht sie.

Wie Ihr vielleicht wisst, bin ich Iulia Livia, Tochter des Honorius Livius Caesar. Dort, wo ich herkomme nennt man mich nur Iulia, daher bitte ich Euch, es ebenfalls zu tun. Ich bin die Enkeltochter des Tirvinius Caesar Augustus. Er ist Kaiser des Imperium Maresium. Wir Maresier sind Abkömmlinge des legendären Römischen Reiches. Unsere Vorfahren gelangten in der Zeit Kaiser Neros nach Elderwelt, und bis heute hat sich die römische Lebensart in unserem Reich erhalten. Doch es war erst der vergöttlichte Illaurian, der unsere Stadt, Gloria Maresia, nach dem Vorbild Roms umbauen ließ und viele vergessene Sitten wiederbelebte. Mein Großvater ist sein Nachfolger als Augustus. Seither teil sich die kaiserliche Familie in zwei Zweige: die Aurelier, die ihre Abstammung direkt auf Illaurian zurückführen, und die Livier, die dem Haus meines Großvaters entspringen.«

Veyron hielt die Augen geschlossen, doch sein Gesicht verriet die tiefe Konzentration, in die er versunken war.

»Ich verstehe, dass Ihr sehr stolz auf Euren großen und edlen Stammbaum seid, Prinzessin. Bitte konzentriert Euch dennoch lediglich auf jene Elemente, die für das Problem, welches Euch plagt, von Bedeutung sind«, sagte er.

Die maresische Prinzessin nickte gehorsam.

»Wie Ihr wünscht. Der oberste der Aurelier war Talarius, der Neffe meines Großvaters und verheiratet mit Marcia Pelena, der Enkeltochter des vergöttlichten Illaurian. Den beiden wurden viele Kinder geschenkt: drei Töchter und drei Söhne, deren Ältester Nero Caesar ist.

Talarius und mein Vater Honorius verstanden sich prächtig. Sie waren wie Brüder, Talarius ein begabter Feldherr, mein Vater dagegen ein geschickter Redner. Keiner neidete dem anderen seinen Erfolg. So kamen sie auf die Idee, ihre ältesten Kinder miteinander zu vermählen, um die Verbindung der beiden kaiserlichen Familienzweige zu stärken. Wir waren erst vierzehn und kannten uns seit Kindheitstagen. Der junge Nero wurde mein Gemahl. Das liegt jetzt acht Jahre zurück.

Es hätte eine glückselige Zeit werden können, doch nur kurz nach unserer Hochzeit verstarb Talarius, von einem alten Neider feige vergiftet. Es war eine abscheuliche Tat; die Empörung im ganzen Imperium war immens. Talarius galt als ein Volksheld, der die wilden Barbaren aus Turanon im Norden erfolgreich bekämpft hatte. Umso entsetzlicher waren daher die Umstände seines Ablebens.«

Die Prinzessin machte eine kurze Pause und befeuchtete mit der Zunge ihre Lippen.

Tom eilte sofort in die Küche und holte ihr ein Glas Wasser. Ohne jeden Dank nahm sie es entgegen, schaute ihn dabei nicht einmal an. So was Unhöfliches hatte Tom bisher kaum erlebt. Er schüttelte den Kopf.

Iulia schien ihren Fehler zu bemerken.

»Verzeiht mir, junger Herr. Ich bin die Sklaven im Palast gewohnt, die einem alles reichen. Bitte nehmt meine Entschuldigung an«, sagte sie.

Veyron räusperte sich laut.

»Zurück zum Tod des Helden Talarius«, raunte er ungeduldig.

Iulia nickte und fuhr fort. »Um diese Zeit geschah es, dass wie aus dem Nichts Marcus Corvinus Consilianus auftauchte, ein junger Soldat der Prätorianergarde. Zunächst fiel er niemandem groß auf. Seine Herkunft war unbedeutend, der Sohn eines einfachen Eques, eines Mitglieds des Ritteradels. Doch es begab sich etwas, das ihn bis in die Spitze des Reiches beförderte. Durch einen seltsamen Zufall rettete er Großvater Tirvinius das Leben, als dieser während einer Reise in den Hinterhalt einer Räuberbande geriet. Aus Dank beförderte ihn Tirvinius in den Rang eines Gardepräfekten. Consilian gehörte fortan zum engsten Beraterkreis des Kaisers. Ich habe nie erlebt, dass einer seiner Ratschläge schlecht oder unklug gewesen wäre. Tirvinius begann immer öfter auf ihn zu hören und Consilians Einfluss wuchs beständig weiter.

Was für politisches Talent! Sogar der Senat, ansonsten der Streitsucht anheimgefallen, schenkte Consilian sein Vertrauen, so klug und weise wusste er Reden zu halten. Er war tüchtig, hatte mit Erlaubnis des Kaisers die gesamte Reichsverwaltung reformiert und sie effizienter gemacht. Die Einführung des kaiserlichen Verwaltungsamtes geht allein auf Consilian zurück.

Einem einzigen Mann war Consilian nichtsdestotrotz ein Dorn im Auge: meinem Vater. Honorius fühlte sich zurückgesetzt und es störte ihn sehr, dass ein einfaches Mitglied des Ritterstandes größeren Einfluss am Hofe genoss als der leibliche Erbe des Augustus.«

Veyron hob interessiert die Augenbrauen, als er all das hörte.

»Aha, ein zweiter Seian«, erkannte er.

Iulia schüttelte aufgebracht den Kopf.

»Ihr könnt Consilian nicht mit dieser Gestalt unserer Ahnen vergleichen. Seianus war ein vom Ehrgeiz angetriebener Verräter und Mörder, aber Consilian ist bescheiden, weise und gütig. Er hat noch nie irgendetwas für sich verlangt. Das Amt als Präfekt der Garde wurde ihm vom Kaiser verliehen, ohne dass er sich darum beworben hätte. Consilian arbeitet allein zum Wohl des Reiches«, verteidigte Iulia den Mann.

Veyron nickte. »Ich verstehe«, behauptete er. Ein spitzbübisches Lächeln huschte über seine dünnen Lippen.

»Ich nehme an, Euer Vater ist schließlich ebenfalls durch ein Unglück ums Leben gekommen?«

Iulia rang erschrocken nach Luft, ihr Gesicht wurde blass. Tom glaubte, die vielen, widerstreitenden Gefühle der jungen Frau deutlich zu erkennen.

»Woher wisst Ihr das?«, schnappte sie.

Veyron zuckte nur mit den Schultern.

»Lediglich eine Vermutung, Prinzessin. Des Weiteren vermute ich, dass der Tod Eures Vaters bis heute noch nicht aufgeklärt wurde.«

»Bei Juno, genauso ist es geschehen. Aber das war noch längst nicht alles.« Ein Hauch von Furcht schwang in ihrer Stimme mit.

»Es ist jetzt fünf Jahre her, dass mein Vater starb. Erneut war die Trauer groß im ganzen Reich. Großvater Tirvinius traf der Tod seines einzigen leiblichen Kindes besonders schwer. Er hat sich auf eine einsame Insel zurückgezogen und seither keinen Fuß mehr in die Hauptstadt gesetzt. Doch das Leben ging weiter. Mein junger Gemahl, Nero Caesar, war der Nächste in der Thronfolge. Das Volk feierte seine Adoption durch den Augustus.«

Veyron schmunzelte, als er das hörte. Er rieb sich die Hände und bedachte Iulia mit einem wissenden Blick. Tom hätte wetten können, dass Veyron längst in der Lage war, das weitere Geschehen genau vorauszusagen.

»Consilians Einfluss beim Kaiser wurde nach dem Tod Eures Vaters noch größer. Das Verhältnis zwischen dem Augustus und seinen neuen Erben verschlechterte sich deshalb«, sagte er.

Iulia nickte, den Kopf beschämt zur Seite gedreht.

»So war es. Ihr könnt Gedanken lesen, Meister«, rief sie.

Veyron lächelte in sich hinein. Mit einem Wink seiner Hand, forderte er Iulia auf, fortzufahren. Die Prinzessin leistete dem gehorsam Folge.

»Marcia Pelena war nun die Herrin des Hauses der Aurelier, überaus stolz darauf, vom direkten Blute Illaurians abzustammen. Sie ist streng, gebieterisch und in Philosophie zeigt sie sich ebenso bewandert wie in Politik. Sie diskutiert mit Senatoren und Philosophen, beherrscht mehrere Sprachen fließend und ist eine ausdauernde Sportlerin. Sie kann sogar mit Schwert und Speer umgehen. Manchmal benimmt sie sich wie eine Amazone, führte sogar einmal eine Legion in die Schlacht. Für eine maresische Fürstin ziemt sich ein solches Verhalten jedoch nicht.

Dieser Stolz nahm weiter zu, nachdem Talarius verstorben war. Ihr gefiel der wachsende Einfluss Consilians nicht, und sie fürchtete, Tirvinius könnte ihn ihren drei Söhnen vorziehen. Daher sprach sie bei zahlreichen Gelegenheiten gegen Consilian und hetzte ihre Söhne gegen den wichtigsten Ratgeber des Augustus auf.

Consilian begegnete diesen Anschuldigungen mit Gleichmut. Bei keiner einzigen Gelegenheit verteidigte er sich, sondern überließ allein dem Senat oder seinem Herrn die Entscheidung. Beispielhaft, wie es jeder Beamte sein sollte, erfüllte er seine Pflicht als Verwalter des Reichs, befolgte loyal die Gesetze und Anweisungen des Augustus. Ich sagte ja schon, einen vorbildlicheren und selbstloseren Politiker hat das Imperium noch nicht erlebt. Natürlich erntete er dafür Hass, ebenso mein Großvater.

Nero begann, böse Reden gegen Consilian zu halten. Vor dem Senat stellte er die Entscheidung meines Großvaters infrage. Das war eine Erniedrigung des Kaisers, und das in aller Öffentlichkeit. Ich war entsetzt, denn selbst mir gegenüber wollte sich Nero nicht zusammen reißen. Er nannte meinen Großvater einen Narren, der auf beiden Augen blind sei. Consilian, den bravsten aller Bürger und tüchtigsten aller Politiker, hieß er einen Verräter und Mörder. Ich war fassungslos, Meister Swift, schlichtweg fassungslos.«

Veyron kniff die Augen kurz zusammen. Iulia atmete mehrmals tief durch, rang um Fassung. Die vergangenen Ereignisse nahmen sie immer noch mit. Tom fürchtete, sie könnte jeden Moment ohnmächtig zusammenbrechen.

»Also habt Ihr Euch jemanden anvertraut«, erkannte Veyron. Tom konnte aus dem Gesicht seines Paten ablesen, dass dieser schon viel weiter dachte. Veyron wusste bereits, was geschehen war noch ehe die Prinzessin davon berichtete.

»Was hätte ich tun sollen? Was Nero da tat, war Hochverrat. Er meinte sogar, dass es klug wäre, mit aller Gewalt gegen Consilian vorzugehen. Er hoffte, er könne den Senat gegen diesen Mann aufbringen. Ich hatte keine Wahl, ich musste jemanden davon erzählen. Ein Blutbad stand zu befürchten und ich wusste nicht, was in meinen Mann gefahren war. Nero war immer so ein netter und guter Mensch gewesen, mit dem Herz eines Künstlers und dem Verstand eines Philosophen. Für Politik oder das Militär hatte er sich nie viel interessiert. Doch jetzt schien er mir wie ausgewechselt, ein Intrigant und Usurpator!

Also erzählte ich meiner Mutter davon, und sie wiederum vertraute sich Consilian an. An ihn konnte sie sich stets wenden, seit mein Vater verstorben war, auch davor zog sie ihn schon des Öfteren ins Vertrauen. Er ist ein meisterhafter Zuhörer, voller Verständnis und weiser Ratschläge. Nie hat er dafür einen Gefallen erbeten, ein wahrer Ritter, wenn Ihr versteht was ich meine.«

»Consilian hat – als Ehrenmann – natürlich keine Anklage erhoben, sondern die Entscheidung dem Augustus und dem Senat überlassen«, schlussfolgerte Veyron. Iulia bestätigte das.

»Ich sehe, Ihr beginnt, Consilian zu begreifen. Was für ein anständiger Mensch er doch ist. Es wäre sein gutes Recht gewesen, vor dem Senat Anklage gegen diese Verleumdungen zu erheben; vom Verrat am Augustus ganz zu schweigen.

Mein Großvater war nicht so nachsichtig. Er erhob Anklage und fällte auch das Urteil. Verbannung aus der Hauptstadt und Kerker auf Loca Inferna, der schrecklichsten Insel im ganzen Reich. Ich versichere Euch, das wollte ich nicht. Zwei Jahre ist das jetzt her, solange ist der arme Nero schon in jenem schrecklichen Gefängnis eingekerkert. Was habe ich nur getan? Was ist, wenn er dort stirbt noch bevor ihm vergeben wurde? Es heißt, sie lassen ihre Gefangenen dort verhungern. Ich weiß nicht, ob ich mir das jemals verzeihen kann.«

Iulia wirkte regelrecht verzweifelt, biss sich in die Fingernägel. Sie zitterte am ganzen Körper.

Veyron blieb natürlich davon gänzlich ungerührt.

 

»Die Ehe mit Nero wurde natürlich umgehend geschieden.«

Iulia nickte stumm. Es brauchte einen Moment, ehe sie wieder Worte fand.

»Er wurde aus der Thronfolge ausgeschlossen und verstoßen. Sein jüngerer Bruder, Claudius Caesar, empörte sich gegen den Ratschluss des Augustus und erhob Anklage gegen Consilian, den er als gemeinen Verschwörer bezeichnete. Das erregte ebenfalls den Zorn des Augustus. Mein Großvater ließ nun auch den Claudius verhaften und in den Stadtkerker sperren. Dort sollte er bleiben, bis er wieder zu Verstand käme. Dieses Urteil erschien mir zu hart, viel zu hart. Zusammen mit ihren ältesten Söhnen wurde dann auch noch Marcia Pelena verbannt und ins Exil geschickt. Mein Großvater war ihres stolzen Gehabes schon lange überdrüssig. Sie war einfach zu ehrgeizig und ihr Einfluss auf ihre Söhne verderblich gewesen.

Mir tut es vor allem um Nero leid. Ich verstehe immer noch nicht, wie er sich zu solch einem abscheulichen Verhalten hinreißen lassen konnte.«

Tom fand die ganze Erzählung dramatisch und traurig. Er mochte sich gar nicht ausmalen, welche Qualen die beiden jungen Prinzen in den schrecklichen Verliesen litten. Veyron allerdings schmunzelte. Tom fand das nicht nur absolut unpassend, sondern obendrein geschmacklos. Veyron sollte sich ruhig was schämen.

»Ich nehme jedoch nicht an, dass Prinz Neros sonderbares Verhalten der Grund dafür ist, dass Ihr die gefährliche Reise von Maresia nach Fernwelt unternommen habt, um dort die Simanui zu finden«, meinte Veyron schließlich.

Iulia verneinte das. »Es war gar nicht meine Absicht gewesen, überhaupt nach Fernwelt zu gelangen. Schuld daran ist die alte Ennia, meine Großmutter mütterlicherseits«, erklärte sie.

»Eines Abends verlangte sie nach mir. Sie ließ mir bestellen, sie hätte dringende Angelegenheiten mit mir zu besprechen und wollte nicht, dass meine Mutter oder Consilian von unserem Treffen erfuhren. Ich fand dieses geheimnisvolle Getue albern, aber Ennia war eine Nichte des vergöttlichten Illaurian, ich schuldete ihr also Gehorsam, selbst ihren Schrullen gegenüber. Sie ist nicht mehr die Jüngste, wenn Ihr versteht worauf ich hinaus will.

›Ah, Iulia, gut, dass du kommst. Wir haben wichtige Dinge zu bereden, die keinerlei Aufschub dulden. Zulange habe ich geschwiegen, doch jetzt, wo die Familie der Aurelier darnieder liegt, muss ich mein Schweigen brechen‹, begrüßte sie mich. Mir fiel auf, dass sie in ihren Räumen alle Vorhänge zugezogen und die Fenster geschlossen hatte. Niemand sollte uns sehen. Sie hatte sogar alle Sklaven nach draußen geschickt, wir waren vollkommen allein.

›Sicher hast du bereits von den neuen Morden unter dem Senatorenadel gehört?‹, fragte sie mich. Ich hatte durchaus davon gehört; jeder in Gloria Maresia wusste davon. Fünf Senatoren waren in den letzten Wochen auf mysteriöse Weise ums Leben gekommen. Die Vigiles, die Stadtpolizei, sprach von Todesfällen, aber nicht von Morden. Das sagte ich ihr auch, aber Ennia lächelte nur hämisch und winkte ab.

›Es sind Morde, das versichere ich dir. Ich habe mit dem Präfekten Lucius Antoninus gesprochen. Weißt du, wie die Senatoren ums Leben gekommen sind, Marcus Blasius, Gaius Gilbadius und die anderen drei? Sie wurden versteinert!‹

Natürlich wusste ich das bereits. Aber mir wollte beim besten Willen niemand einfallen, der in der Lage war, einen Menschen zu versteinern. Würde ein Mörder nicht jemanden einfach erstechen oder erdrosseln? Dann holte Ennia plötzlich eine kleine Figur unter ihrer Tunika hervor. Es war ein kleines, kunstvoll gestaltetes Gorgonenhaupt, gemacht aus weißem Marmor, mit vergoldeten Schlangenhaaren.

›Der Orden der Medusa, so nennen sie sich. Es ist eine professionelle Mörderbande. Schon seit Jahren schlagen sie immer wieder vereinzelt zu und hinterlassen bei jedem ihrer Opfer ein solches Gorgonenhaupt. Schon lange haben sie unsere Familie im Auge. Wir sind alle in Gefahr, Iulia, Aurelier wie Livier. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis der Orden der Medusa erneut zuschlägt und einen von uns erwischt‹, erklärte meine Großmutter. Sie klang ganz gefasst, überhaupt nicht aufgeregt oder verängstigt. Da wusste ich, dass sie es absolut ernst meinte.

›Aber wer steckt dahinter‹, fragte ich.

Ennia lachte kurz auf, offenbar amüsiert ob meiner Ratlosigkeit.

›Eine uralte und böse Macht, mein Kind. Uralt und den Menschen feindlich gesonnen. Allein Medusa ist in der Lage Menschen in Statuen zu verwandeln. Sie will Rache an uns nehmen, an jedem Menschen. Mit dieser Gefahr können wir nicht fertig werden, nicht mit Medusa, der Gorgonenkönigin. Wir brauchen die Simanui. Jemand von uns muss sie um Beistand bitten. Ich aber bin zu alt dafür. Die Strapazen einer solchen Reise würde ich nicht überleben‹, sagte sie.

Ich schlug vor, sie solle doch einfach Boten aussenden, aber sie war sofort dagegen.

›Niemand außerhalb der Familie darf auf diese Reise gehen. Du musst das tun, Iulia. Ich kann weder deine Mutter noch deinen Onkel Livius schicken. Er ist ein Trottel, der viel zu viel herumschwätzt. Auch den jungen Gaius Aurelius, oder eine seiner Schwestern, wage ich nicht einzuweihen. Ich fürchte, dass sofort Verdacht auf sie fallen wird. Sie sind von aurelischem Blut und stehen unter Beobachtung. Deiner Mutter kann ich auch nicht mehr vertrauen, Consilian hat ihr Herz erobert.‹

Ich wurde sofort wütend, weil selbst Ennia in diese verächtliche Haltung gegenüber Maresias fähigstem Mann verfiel. Sofort verteidigte ich den Prokurator, aber Ennia wurde zornig. Der Ernst in ihrer Stimme ließ mich sofort wieder verstummen.

›Consilian ist nicht vertrauenswürdig! Ich verdächtige ihn, und das mit gutem Grund. Woher, denkst du, habe ich dieses Gorgonenhaupt? Glaubst du, es lag einfach vor meiner Haustür herum, oder ich habe es auf dem Markt gekauft? Nein, ich habe es aus Consilians Villa! Dort lag es, auf einem Tisch, einfach so!‹ Sie schrie beinahe und schüttelte ihre kleinen Fäuste.

Ich war zu erstaunt und schockiert, um etwas zu erwidern.

›Vielleicht hat der Orden der Medusa auch Consilian im Visier‹, versuchte ich eine andere Erklärung zu finden, denn dies erschien mir viel wahrscheinlicher als Ennias Paranoia. Sie litt selbst nach sieben Jahren noch immer unter dem vorzeitigen Tod ihres geliebten Sohnes Talarius. Auch die Verhaftungen von Pelena, Nero und Claudius hatten sie schwer mitgenommen. In jeder Ecke vermutete sie Verrat gegen das Haus der Aurelier. Ihr Zorn richtete sich dabei auf den armen Consilian.

Ich dagegen wusste, dass die erst kürzlich ermordeten Senatoren allesamt Freunde und Unterstützer Consilians waren. So war es für mich nur logisch, dass der Orden nach Consilians Leben trachtete. Aber mit Ennia brauchte ich das nicht zu erörtern.

›Ich gehe zu den Simanui, ich werde die alten Zaubermeister um Hilfe ersuchen, ganz so, wie du es wünschst‹, tat ich meinen Entschluss kund. Wenn Medusa und ihre Leute es schafften, selbst in Consilians Villa einzudringen und dort ihre Warnungen zu hinterlassen, dann war tatsächlich ganz Maresia in höchster Gefahr.

Ennia fiel mir sofort um den Hals, küsste mich auf die Stirn und begann, vor Freude zu weinen. Ich half ihr auf die nächste Liege. Sie beruhigte sich wieder.

›Du wirst mit nur wenigen Getreuen reisen können, deine Sklavinnen müssen zuhause bleiben. Du wirst erklären, dass du nach Neavenna reist, um dich ein paar Tage zu erholen. Ich gebe dir mein schnellstes Pferd und zwei treue Sklaven mit, die mir schon seit Jahrzehnten ohne jeden Tadel dienen. Lass eine deiner Freundinnen mit deiner Kutsche nach Neavenna fahren. Ich bin sicher, du findest eine, der du vertrauen kannst. Vielleicht weihst du sie besser gar nicht erst ein, sondern machst ihr diese Luxusreise einfach zum Geschenk. Danach begibst du dich nach Osten. über die Grünen Hügel hinweg, bis in das Hochland. Von dort zum Mons Coronus, dem höchsten Berg Maresias. Es ist eine Reise von drei Tagen, wenn du keine langen Pausen machst. Meine Sklaven kennen den Weg. Meide alle Herbergen, reise mit nur wenig Gepäck. Kleide dich einfach, du darfst kein Aufsehen erregen .Deinen Schmuck lass zurück, auch die Siegelringe. Meine Sklaven werden Proviant für eure Reise dabei haben.‹