Czytaj książkę: «Sukkubus»
Tobias Bachmann
Sukkubus
Tödliche Leidenschaft
erotischer Roman
Tobias Bachmann
wurde 1977 in Erlangen geboren und veröffentlicht seit 1998 Erzählungen, Novellen und Romane; vornehmlich in den Genres der unheimlichen Phantastik (Horror, Science Fiction, Dark-/Urban- Fantasy), aber auch Krimis und Thriller werden von ihm umgesetzt. 2009 erhielt er den Vincent Preis in der Kategorie «Bester Horror-Roman deutschsprachig” für sein Buch Dagons Erben. Mehrere seiner Erzählungen wurden bereits für den Vincent Preis und den Deutschen Science Fiction Preis nominiert.
Tobias Bachmann ist verheiratet und lebt mit seiner Familie im Fränkischen Seenland. 2014 erscheinen neben »Sukkubus – Tödliche Leidenschaft« auch Kurzgeschichten von Bachmann bei Elysion-Books (»Türchen öffne dich« und »Alles Liebe – zum Fest der Hiebe«).
mehr unter: www.Tobias-Bachmann.de
Tobias Bachmann
Sukkubus
Tödliche Leidenschaft
erotischer Roman
ELYSION-BOOKS TASCHENBUCH
BAND 4076
Auflage: Oktober 2014
VOLLSTÄNDIGE TASCHENBUCHAUSGABE
ORIGINALAUSGABE
© 2014 BY ELYSION BOOKS GMBH, LEIPZIG
ALL RIGHTS RESERVED
UMSCHLAGGESTALTUNG: Ulrike Kleinert
www.dreamaddiction.de LEKTORAT: Inka-Gabriela Schmidt www.inwisch.de LAYOUT &WERKSATZ: Hanspeter Ludwig www.imaginary-world.de PRINTED IN POLAND ISBN 978-3-942602-55-6
Inhalt
Prolog
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebtes Kapitel
Achtes Kapitel
Neuntes Kapitel
Epilog
Für Karo! Die Liebe in diesem Buch ist für Dich.
»Succubi (von lat. succumbere = sich beschlafen lassen): Dämonen, die in Frauengestalt erscheinen, sozusagen als weiblicher Teufel, und als Geisterbraut fungieren. Das maskuline Gegenstück sind die Incubi. Succubi und Incubi waren als Spukgestalten schon in der mittelalterlichen Dämonologie bekannt.«
Aus: Horst E. Miers – »Lexikon des Geheimwissens«, Goldmann, 1993.
»Ein Sukkubus bekommt von einem schändlichen Manne Samen; ist jener eigens diesem Mann zugeordnet, und will sich nicht bei der Hexe zum Inkubus machen, so wird jenen Samen derjenige Dämon dem Weibe oder der Hexe überbringen, der derselben zugeordnet ist; und zwar wird er sich bei der Hexe zum Inkubus machen unter einer bestimmten Konstellation, die ihm dienlich ist, sodass ein also Geborener oder eine also Geborene an Kräften stark zur Vollbringung von Hexentaten werden wird.«
Aus: Malleus Maleficarum – »Der Hexenhammer – die verschiedenen Arten und Wirkungen der Hexerei und wie solche wieder behoben werden können«, verfasst von den beiden Inquisitoren Jakob Sprenger und Heinrich Istitoris (a.D. 1484).
Prolog
Rufus Laurant war nackt, als er über die Straße rannte. Sein Glied befand sich in höchster Erregung und wippte bei jedem Schritt schmerzhaft auf und nieder.
Gerne hätte er es anders gehabt. Kleidung war dabei nicht sein dringendstes Bedürfnis. Wenn nur die verdammte Erektion nicht wäre.
Er blickte nach rechts und sah blendende Scheinwerfer auf sich zurasen. Vor Schreck stolperte er und rettete sich gerade noch auf den Bürgersteig, als das Auto auch schon hupend an ihm vorüberfuhr.
Laurant rappelte sich wieder auf und blinzelte durch die Nacht. Seine Brille hatte er irgendwo verloren.
Auf der anderen Straßenseite machte er eine Bewegung aus. Das konnte nur sie sein.
Panisch hechtete er durch die Büsche. Heckenrosen rissen ihm dabei die Haut auf.
Er achtete nicht auf den Schmerz, sondern kämpfte sich weiter durch das Gestrüpp, das mit angespitzten Fingern nach ihm zu greifen schien.
Endlich hatte er es überwunden. Er fand sich auf einer nur kärglich beleuchteten Parkanlage wieder. Wiese, Kieswege und arrangierte Blumenbeete, die im Schein der Leuchtstoffröhren ebenso grau wirkten wie der Rest der Stadt.
Er rannte weiter, versuchte auf der Wiese zu bleiben, da aufgrund der Kieselsteine seine baren Füße schmerzten. Das Barfußlaufen war er nicht gewohnt.
Was er brauchte, war ein Versteck. Doch so schön die Parkanlage auch sein mochte, nirgends war ein Ort, der einen ausreichend vor den Blicken der Verfolgerin schützen würde.
Weiter, trieb er sich an, immer weiter. Nur nicht umschauen.
Er umrundete einen Brunnen und blickte sich entgegen seines Vorsatzes doch um.
Seine Verfolgerin war ganz nah.
Er konnte das Funkeln in ihren Augen sehen.
Dann war sie verschwunden.
Irritiert blieb Laurant stehen. Wo war sie abgeblieben?
Er guckte nach links, nach rechts, vor und zurück, doch nirgends war sie auszumachen.
Plötzlich packte ihn etwas am Schwanz und wirbelte ihn herum.
Schmerzenstränen schossen ihm in die Augen. Laurant stürzte zu Boden.
Am eigenen Schwanz gepackt, dachte er. Wie ein Tier. Nur dass Tierschwänze für gewöhnlich hinten sind.
Breitbeinig stand sie über ihm.
Mit irgendetwas hatte sie seine Gliedmaßen fixiert. So schnell, dass er sich nicht mehr rühren konnte. Einzig sein Penis zuckte wild hin und her.
»Wir bringen zu Ende, was wir angefangen haben«, sagte die Stimme der Wollust.
Sie hatte ihn verführt und er hatte sich verführen lassen. So weit so gut. Dass die Sache aber nicht enden wollte, das verstörte ihn. Er wusste nicht, was sie ihm alles eingeflößt hatte, aber es war zu viel des Guten. Daher war er, kaum hatte sich ihm die Möglichkeit geboten, geflohen.
Jetzt legte sie ihr kurzes Röckchen ab und spielte so an sich herum, dass er es sehen konnte.
Der Eingang zur Hölle, dachte er.
Dann setzte sie sich abermals auf ihn und die Penetration begann von neuem.
Doch was ihn anbelangte, so war da keine Lust.
Es schmerzte mehr, als dass es ihn befriedigte.
Er konnte nur hoffen, dass sein Glied bald schlappmachen würde. Dass die Wirkung des Cocktails unterschiedlichster Potenzmittel endlich nachließ.
Ein weiteres Mal kam es ihm. Er konnte nicht sagen, das wievielte Mal.
Niemals im Leben hätte er gedacht, dass dergleichen möglich war.
Und weiter ging es: Penetration und Erguss. Penetration und Erguss.
Es war Folter. Vergewaltigung.
Und wenig später Mord, als Rufus Laurants Körper kollabierte, die fortwährende Flut künstlich herbeigeführter Erregung nicht mehr verarbeiten konnte.
Rufus Laurant war tot.
Und über München ging die Sonne auf.
Erstes Kapitel
»Einige Okkultisten glauben, dass die Phantasie des Menschen ein unstoffliches Sperma absondert, wenn sie durch wollüstige und unzüchtige Vorstellungen erregt wird. Aus diesem Sperma würden dann die Incubi und Succubi geboren.«
Aus: R.e. l. Masters – »Die Teuflische Wollust – Sex und Satanismus«, Lichtenberg, 1968.
Eins
Wenn es eines gab, wonach sich Alvin Mauser sehnte, dann war es ein Fall von Ehebruch. Nicht, dass es ihn besonders gereizt hätte, in menschlichen Tragödien zu graben. Doch im Endeffekt versprach ein Ehebruch stets schnelles Geld.
Ein solcher Fall war rasch gelöst. Der oder die Hintergangene beauftragte ihn mit der Beschattung des jeweiligen Ehepartners. Mauser brauchte nicht mehr zu tun, als ein paar Fotos schießen. Innerhalb einer Woche gab es entweder den Beweis, dass es eine heimliche Affäre gab, oder es hatte sich nichts dergleichen ergeben. Egal, welche Variante vorherrschte, sein Auftraggeber war damit stets zufrieden und Mauser konnte ruhigen Gewissens seine Rechnung mitsamt Spesenquittung überreichen.
Doch nicht einmal ein harmloser Ehebruch verirrte sich in sein Büro. Gelangweilt stand er am Fenster und blickte die vier Stockwerke hinunter auf die Münchner Freiheit.
Es war Sommer. Die Leute schwitzten unter einer Gluthitze. Man sah es selbst aus dieser Entfernung. Mauser dankte sich selbst für die Investition in seinen Deckenventilator. Leise nahm er Runde um Runde und sorgte für ausreichend kühle Luft.
Das Telefon klingelte. Er wartete vier Mal, dann hob er ab. »Privatdetektei Mauser, womit kann ich helfen?«
»Du klingst ja schwer beschäftigt«, meldete sich Juliette und kicherte.
»Das bin ich auch. Ich schiebe die Steuererklärung von einer Seite meines Schreibtisches zur anderen. Du glaubst gar nicht, was das für eine Arbeit ist.«
»Schwitzt du auch so wie ich?«
»Schwitzen ist gar kein Ausdruck. Ich zerfließe hier förmlich.«
Wieder ihr Lachen. Das Lachen, das seinen Magen auch nach zwölf Jahren Ehe noch auf Schmetterlingskurs zu bringen vermochte.
»Wie sieht es aus?«, fragte Juliette. »Lässt du dich heute Abend von mir zum Essen einladen?«
»Wie wäre es denn, wenn zur Abwechslung ich dich zum Essen einladen würde?«, wagte er den Versuch.
»Ach Alvin. Ich weiß doch, wie es um deine Finanzen steht.«
»Ein Abendessen hat nur schwerlich etwas mit meinem Finanzhaushalt zu tun. Die Steuer macht mir Sorgen. Nicht die Einladung zum Abendessen mit meiner Frau.«
»Sei doch nicht gleich wieder so echauffiert«, sagte sie. Ihr Dialekt stahl sich bei dem letzten Wort deutlich hindurch. Für gewöhnlich versuchte sie ihre französische Herkunft zu verbergen. Doch wenn sie leicht aufgebracht war, gelang ihr das nicht. Alvin gefiel das.
»Ich bin nicht echauffiert«, sagte er und äffte ihren Slang nach.
»Du kennst mein Angebot.«
»Was für ein Angebot?«
»Wir legen unsere Konten zusammen und du bist deine Geldsorgen los.«
Alvin seufzte. »Soll ich dir schon wieder erklären, warum ich das nicht will? Ich will mich nicht von dir abhängig machen.«
»Aber das machst du doch gar nicht.«
»Eben! Würden wir unsere Konten zusammenlegen, dann würde ich das aber tun. Glaub mir Juliette: Lieber habe ich Schwierigkeiten, die Miete für mein Büro zu zahlen, als mich beruhigt zurückzulehnen, da ich weiß, dass meine Frau für die Miete aufkommt. In dem Fall bräuchte ich mich überhaupt nicht mehr um einen Auftrag kümmern.«
»Ist ja gut, Schatz. Ich hab verstanden.«
Eine Pause herrschte. Doch kurz bevor diese unangenehm zu werden drohte, sagte Juliette: »Lädst du mich trotzdem zum Abendessen ein?«
Er grinste. Sieg auf der ganzen Linie, dachte er. »Na klar. Um Sieben bei unserem Italiener?«
Unser Italiener, das war das Bella Italia am Stachus. Hier kehrten sie häufig ein, wenn sie es etwas romantischer haben wollten. Nicht weil das Restaurant romantisch war, sondern weil es sie stets an den Beginn ihrer Beziehung erinnerte.
»Das klappt«, sagte sie. »Bis dann.«
Alvin legte den Hörer auf und lehnte sich zurück. Fall gelöst.
Doch nein: Das war ja gar kein richtiger Fall. Die richtigen Fälle fanden nur im Kino statt. Oder in der Zeitung. Er zog die letzte Ausgabe der ABENDZEITUNG vom Schreibtisch und schlug sie auf. NEUER SEXMORD prangte da ganz groß die Überschrift. Darunter: »Welche Rolle spielte das neue Opfer, Rufus Laurant (56) bei der brutalen Mordserie?«
Das war in der Tat eine interessante Frage, befand Mauser. Laurant war ein Top-Manager, der in der High Society agierte wie kein Zweiter. Schwarzgelder flossen in diesen Kreisen ebenso in Strömen, wie auf abendlichen Cocktailpartys der Champagner. Dabei war Laurant bereits das vierte Opfer, das man aus eben diesen Kreisen gefunden hatte. Eine Skurrilität gab es in der Mordserie auch: Es schien sich bei dem Täter nicht um das übliche Profil eines Serienkillers zu handeln, sondern die Opfer, die allesamt den elitären Kreisen angehörten, wurden ausnahmslos vergewaltigt. Jedoch auf etwas … nun ja … ungewohnte Weise.
Mehr aus Langeweile als aus wirklichem Interesse heraus hatte sich Mauser vergangenen Abend mit Kommissar Harmann im Hofbräuhaus getroffen, der ihm nach der zweiten Maß Bier einige geheime Details verraten hatte. Das Indiz der Vergewaltigung war nicht auf einen männlichen Täter zurückzuführen. War das noch nicht ungewöhnlich genug, so hatten die Opfer kurz vor ihrem Tod auf nicht freiwilliger Basis Verkehr gehabt. Und zwar – wenn man dem Gerichtsmediziner Glauben schenken durfte – unzählige Male.
»Wie kann man das denn feststellen?«, hatte Mauser seinen ehemaligen Schulfreund gefragt.
»Man hat erektionsfördernde Mittel im Blutkreislauf gefunden«, wusste Harmann. »Außerdem wurde scheinbar so kurioses Spielzeug wie Penispumpen angewendet.«
»Ist ja ekelhaft.«
»Ja. Man hat alles daran gesetzt, eine Erektion beim Opfer herbeizuführen und diese auch zu halten.«
»Kam es zur Ejakulation?«
»Bei allen. Ja. Mehrmals. Unnatürlich oft, wie der Gerichtsmediziner wusste. Hab ihn gefragt, was das heißen soll. Dann hat er mich gefragt: ›Wie oft war das Häufigste, dass Sie an einem Tag zum Erguss kamen?‹ – ich hab gesagt: ›so vier Mal vielleicht‹. Da war ich noch jung. Noch nicht so ausgelaugt wie heute und die Mädchen waren noch frisch und neugierig genug. – Daraufhin hat er wissentlich genickt und mich gefragt, wie sich mein bestes Stück nach dem vierten Mal angefühlt habe. Ob ich der Meinung sei, ich könne noch weitere vier Mal. Ich habe verneint und er hat gesagt, die Refraktärzeit eines durchschnittlichen Mannes liege bei durchschnittlichen vierundzwanzig Stunden.«
»Was ist denn eine Refraktärzeit?«, wollte Mauser wissen.
»Das ist die Zeit, die du brauchst, um ihn nach einem Orgasmus erneut hochzukriegen.«
»Und wie war die Refraktärzeit der Opfer?«
»Nach dem männlichen Orgasmus wird das Enzym Prolaktin ausgeschüttet, das dafür sorgt, dass die Frau sich schon sehr bemühen muss, ihn noch einmal auf Touren zu bringen. Nun gibt es aber Medikamente, die den Prolaktinspiegel für eine gewisse Zeitspanne hemmen. Ein solches Medikament findet bei Parkinson-Patienten Verwendung. Unsere Opfer hatten es völlig überdosiert in ihrem Blutkreislauf. Die hatten einen Dauerständer und müssen laut unserem Pathologen regelmäßig immer wieder aufs Neue gekommen sein, bis der Körper zusammengebrochen ist.«
»Sexuelle Folter?«
»Vergewaltigung. Von einer Frau!«
Kurz darauf hatten sie das Thema gewechselt.
Angewidert schob Mauser die Zeitung von sich. So langweilig es auch war, keinen Fall zu haben, so war er auch froh, nicht in Harmanns Haut zu stecken. Der hatte nämlich massive Probleme seitens der Staatsanwaltschaft. Der Druck sei kaum zum Aushalten, hatte er seinem Freund gestern anvertraut. Zwar hatte Mauser gefragt, ob er helfen könne – sie hatten da so ein stillschweigendes Abkommen – aber Harmann hatte abgewunken. »Vergiss es, Alvin. Wenn unser beider ›Eine-Hand-wäscht-die-andere-Prinzip‹ bei diesem Fall rauskommt, dann wird der Bundespräsident persönlich Lynchjustiz an mir begehen. Das ist kein Fall wie jeder andere. Die Opfer sind bedeutende Persönlichkeiten des Landes.«
Mit Harmann war Mauser buchstäblich bereits durch dick und dünn gegangen. Sie hatten gemeinsam die Schulbank gedrückt, sich dann für ein paar Jahre aus den Augen verloren und sich auf der Polizeischule wiedergetroffen. Doch während Harmann seine Karriere bis zum heutigen Tage stetig vorangetrieben hatte und nun als Hauptkommissar die Mordkommission leitete, hatte Mauser nach den ersten paar Jahren Streifendienst seine Polizeikarriere wegen einer künstlerischen Begabung an den Nagel gehängt: Er wollte Musiker werden. Doch der ersehnte Durchbruch im Jazz stellte sich trotz guter Ambitionen nicht ein, weswegen er nebenher zum Geldverdienen die Detektei Mauser gründete. Immerhin lernte er bei einem seiner Auftritte – er spielte seinerzeit Saxophon in einer kleinen Combo mit bedeutungslosen, aber gut improvisierten Standards – Juliette kennen.
Alvin war sofort fasziniert von ihrer graziösen Ausstrahlung gewesen. Mit ihrem langen dunkelrot gefärbten Haar, ihrem dunklen Teint, in dem grünfunkelnde Augen lagen, hatte sie ihre Reize schnell zur Geltung bringen können. Hinzu kam ihr französischer Akzent. Im Nachhinein sprach er stets von Liebe auf den ersten Blick.
Bereits zwei Jahre später hatten sie sich eine gemeinsame Wohnung gesucht und ein weiteres Jahr darauf das Ehegelübde abgelegt. Seitdem warteten sie vergeblich darauf, Kinder zu bekommen. Doch wenn er ehrlich zu sich selbst war, war er froh, dass der Kinderwunsch sich nie erfüllt hatte. Im weitesten Sinne war er zufrieden mit seinem Leben. Er hatte eine wunderbare Frau, um die ihn andere Männer beneideten, und einen spannenden Beruf, sofern es denn mal einen Fall gab, den Harmann ihm zuschob. Leider war das schon seit Längerem nicht mehr eingetreten und die aktuellen Fälle, mit denen der Hauptkommissar betraut wurde, ließen eine Zusammenarbeit kaum zu.
Er blickte auf die Uhr und entschied sich zu einer vorzeitigen Mittagspause.
Mauser griff nach seinem Jackett und schaltete den Anrufbeantworter ein. Danach verließ er das Büro, sperrte die Tür ab und ging den Gang entlang, bis er den Aufzug erreichte, der außerhalb des Gebäudes nach unten führte.
Der gläserne Aufzug entließ ihn neben dem Karstadt-Kaufhaus auf der Schellingstraße. Der Verkehr brauste durch die flirrende Mittagshitze. Fensterscheiben waren heruntergekurbelt. Aus den Fahrzeugen schepperte laute Musik und das Röhren der Klimaanlagen war allgegenwärtig. Diverse Passanten gaben sich dem Einkaufsstress hin.
Mauser wandte sich nach links und lief die Leopoldstraße entlang. In der Apotheke zur Münchner Freiheit kaufte er sich eine Packung Ibuprofen und einen Badezusatz für ›Wohlfühlmomente‹, der dort gerade beworben wurde. Danach bog er links in die Herzogstraße ein und erreichte alsbald in der Wilhelmsstraße das Il Bocco, eine kleine, aber feine Pizzeria. Hier gab es Pasta und Espresso für recht günstiges Geld, geschmacklich jedoch außergewöhnlich mediterran. Kaum zu glauben, dass es dergleichen im Herzen Bayerns zu finden gab.
Er bestellte noch einen Espresso-Grappa nach und sinnierte über den heutigen Tag. Um sieben Uhr in der Früh war er aufgewacht. Juliette war natürlich nicht da gewesen. Sie hatte die letzten Nächte in einem Hotel irgendwo in Berlin verbracht, wo sie als politische Dolmetscherin die vergangene Woche wegen irgendwelcher französischer Austauschtage gebraucht wurde. Heute würde sie zurückkommen, und er freute sich schon darauf, sie wiederzusehen. Am Abend zuvor hatte er die gemeinsame Wohnung aufgeräumt.
»Lass einen Mann nie eine Woche alleine in deiner Wohnung«, hatte er damals gesagt, als sie frisch zusammengezogen waren und Juliette das erste Mal für längere Zeit fortmusste.
»Wieso denn nicht?«
»Männer wie ich räumen nicht auf«, lautete seine Antwort. »Männer wie ich fangen an, sich Pizza zu bestellen und ein Sixpack nach dem nächsten zu trinken, wenn sie alleine sind. Männer wie ich lümmeln auf dem Sofa und rülpsen. Männer wie ich trinken Schnaps und schauen sich unanständige Filme an.«
»Soll ich absagen und lieber hier bei dir bleiben?«
»Männer wie ich räumen erst in letzter Sekunde auf. Vorausgesetzt, sie lieben ihre Frau. Unterstehe dich also, eher als vereinbart heimzukommen. Es könnte noch nicht aufgeräumt sein. Und glaub mir: Eine Wohnung, wie sie Strohwitwer führen, steht der Chaostheorie in nichts nach.«
Juliette hatte gelacht und war angenehm überrascht gewesen, dass die Wohnung picobello in Schuss war, als sie wieder zurückkam. Danach hatte sie nach Alvins unanständigen Filmen gefragt, und sie hatten sich einen angeschaut. Seitdem hatte sich dieser Ablauf in ähnlichen Variationen zu einer Art Ritual entwickelt.
Das Problem war nur: Alvin sah sich im Normalfall keine unanständigen Filme an. Seit über zehn Jahren war er daher dazu verdammt, sich immer einen solchen zu besorgen, sobald seine Frau mal beruflich ein paar Tage weg war. Sie bestand darauf. Und irgendwie schmeichelte es ihm.
Heute Morgen war er daher nicht direkt in sein Büro an der Münchner Freiheit gegangen, sondern hatte sich zunächst diesen Pornofilm angeschaut, den er sich aus dem Internet bestellt hatte. Es war ein Film, in dem ausnahmslos vermeintliche Lesben miteinander Verkehr hatten und das Beste an dem ganzen Film war letztlich die Musik gewesen: träumerisch jazzige Midtempo- bis Downbeat-Nummern. Das Saxophon brillierte auf exorbitant hohem Niveau und für kurze Zeit hatte sich Mauser überlegt, ob das nicht eine Möglichkeit für ihn sei: Musik für Pornofilme zu schreiben.
Nachdem er sich im Beisein des Filmes erleichtert hatte, verwarf er diesen Gedanken wieder. Er hatte geduscht und sich mit reichlicher Verspätung ins Büro aufgemacht. Da er dieses alleine betrieb, gab es auch keinen Menschen, mit dem er hätte sprechen können oder vor dem er sich hätte rechtfertigen müssen. Er hatte die Post geöffnet – Rechnungen und Mahnschreiben – hatte sie teilweise via Onlinebanking beglichen und dann zum hundertsten Mal versucht, seine Steuererklärung anzufangen. Wenig später war er trüb vor sich hin sinnierend auf dem Bürostuhl eingenickt.
Er brauchte einen Fall. Wenn auch nicht zur Abdeckung seiner Finanzen – denn das wusste er: Sollte es hart auf hart kommen, würde ihm Juliette aushelfen, ohne mit der Wimper zu zucken – so doch zur Abschaltung dieser gähnenden Langeweile.
Er zahlte und verließ das Lokal. Rechts daneben befand sich die sogenannte Autorenbuchhandlung ABC. Ein kleiner aber feiner Laden, der vor rund vierzig Jahren einmal von einer Autorenvereinigung gegründet worden war und seitdem versuchte, gegen den Mainstream zu existieren.
Noch nie hatte Mauser etwas darin gekauft. Jetzt blieb er stehen und betrachtete die Auslage: Bücher mit Tiefgang zumeist. Richtige Literatur. Keine Thriller oder Fantasysachen. Er nahm ein Buch von Paul Auster näher in Augenschein, als ihm durchs Schaufenster hindurch eine Frau auffiel. Dabei handelte es sich nicht um die sympathische Buchhändlerin, die er vom Sehen her kannte. Nein: Es war ein wunderlich hübsches Ding. Ein Anblick, der ihm unverzüglich in Mark und Bein schoss.
Dabei war es weniger die Schönheit der jungen Frau, die ihn in seinen Bann zog; obgleich sie nach allen gängigen Schönheitskriterien definitiv als schön galt. Daran bestand für Mauser nicht der geringste Zweifel. Vielleicht war sie ja Model oder Ähnliches, wobei er befand, dass dafür ihr Outfit nicht passend war. Sie trug ein schlichtes, dünnes Sommerkleid, das enganliegend ihre Rundungen perfekt zur Geltung brachte. Dazu Flip-Flop-Sandalen, in denen sie barfüßig vor der Ladentheke stand und sich mit der Buchhändlerin unterhielt.
Mauser beobachtete sie unverblümt durch das Schaufenster, wie sie eine Strähne ihres dunklen Haares hinters Ohr schob. Das Gesicht war weich und konturenreich. Aber da war noch etwas anderes, was ihn faszinierte. Der Detektiv konnte nicht recht sagen, was es war. Eine Art Aura, die von der Frau ausging, deren Alter er auf fünfundzwanzig schätzte. Die Ausstrahlung an sich. Er sah sie lachen und ihre weißen Zähne aufblitzen. Sie blickte zum Fenster und ihre Blicke trafen sich. Etwas zu lang für einen flüchtigen Moment.
Mauser zwang sich, auf das Buch in seiner Hand zu blicken und tat so, als hätte er daran Interesse. Plötzlich ging die Ladentür auf und die Frau mit dieser magischen, nicht näher definierbaren Ausstrahlung ging lächelnd an ihm vorüber. Sie hatte sich eine Sonnenbrille aufgesetzt. Während sie vorbeilief, schob sie eine Plastiktüte mit einem Buch in ihre Handtasche, die sie sich unter den Arm klemmte. Eine Woge süßlichen Parfüms brandete an Mausers Nase.
Er legte das Buch zurück auf die Auslage und blickte ihr nach. Intuitiv beschloss Mauser, ihr zu folgen.