Auf Wiedersehen, Bastard! (Proshchay, ublyudok!) 3 – Showdown in Kroatien

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Leipzig
16. August

»Und das kommt tatsächlich von der NSA?« Sorokin blickte abwechselnd den alten Herrn und die Papiere in der offenen Mappe an.

»So ist es.« Dieser Herr berlinerte unüberhörbar.

»Das sind aber private E-Mails und Telefonate.«

Der Mann vom Bundesnachrichtendienst lief einmal durch den Raum, schob die altmodische Brille zurecht und raunte: »Warum nicht? Nichts spricht dagegen, dass die Nationale Sicherheitsbehörde der Amerikaner so etwas tut. Würden sie darauf verzichten, hätten wir diese Warnung jedenfalls nicht erhalten.«

Die Worte dieses Mannes klangen wie die eines Politikers in den Nachrichten, der die amerikanische Spionage in Schutz nehmen wollte. »Und was habe ich mit der Sache zu tun?« Sorokin war nicht wohl zumute bei der Sache.

»Sie? Sie sind doch aus Russland.«

»Was bitte hat Russland damit zu tun?« Erst schüttelte er das Haupt, dann hob Sorokin die Top-Secret-Mappe an und ließ sie zurück auf den Tisch fallen. »Das hier …«, er schaute abermals auf den oberen Zettel, »… spielt in Jugoslawien.«

»In Kroatien«, verbesserte der BND-Mann. »Jugoslawien gibt es bekanntlich nicht mehr. Kroatien können wir getrost als unser Handlungsgebiet bezeichnen. Und außerdem … Wir haben keinen besseren Mann als Sie gefunden. Das sollte Ihnen eine Ehre sein.« Er drehte wieder eine Runde durch das Büro. »Davon abgesehen: Die Ameise hat eine Familie, ein leicht südländisches Aussehen und reichlich Erfahrung.«

Die Ameise – das war Sorokins Pseudonym in SEK-Kreisen – beobachtete den alten Herrn, dem es dem Aussehen nach nicht schlecht zu gehen schien. »Was soll das heißen? Sie wollen meine Familie benutzen?«

»So ist es«, antwortete der Mann skrupellos.

»Das kann ich nicht zulassen.« Sorokin erhob sich jetzt. »Tut mir leid.«

»Nehmen Sie sofort wieder Platz!« Die tiefe Stimme schlug zu wie ein Befehl. Eine kurze Pause entstand, während dieser Mann in einem Kalender blätterte, ohne etwas finden zu wollen. Die Luft im Raum stand still. Sorokin ließ sich zurück auf den Stuhl fallen und wartete. Jetzt setzte sich der alte Herr ebenfalls auf einen Stuhl, allerdings auf der anderen Seite des Schreibtisches, drehte die Mappe zu sich herum und entnahm ihr einige Dokumente. »Vertrauen Sie mir. Ihre Familie hat damit nichts zu tun. Sie wird in Kroatien Urlaub machen wie tausende andere Familien, die dafür viel Geld bezahlen müssen. Sie fliegen gemeinsam mit Frau und Kindern nach Zadar, wohnen in einem erstklassigen Hotel und nehmen ganz allein Kontakt zu einem Mittelsmann auf, welcher Sie in die Nähe des Verdächtigen bringen wird. Sie werden sehen, Ihre Familie wird Ihnen für die schönen Tage dankbar sein. Und außerdem sind Sie der Bundesrepublik Deutschland noch einen Gefallen dafür schuldig, dass wir Sie und Ihre eingewanderte Familie so nett aufgenommen haben. In anderen Nationen zählen Ameisen zu den unerwünschten Parasiten.«

Während ihm das zuletzt Gesagte sauer aufstieß, starrte Sorokin das Bild an, das ihm der BND-Mensch unter die Nase hielt und schließlich auf den Tisch legte.

»Das Zielobjekt ist männlich, etwa neunundzwanzig Jahre alt. Einen Namen haben wir noch nicht. Er nennt sich selbst Pilot und ist kroatischer Serbe.«

»Pilot?«

»Nun ja. Auf Kroatisch Pilot.«

»Und was heißt Pilot auf Deutsch?«

»Pilot.«

Die Ameise fühlte sich veralbert. »Ist er etwa ein Flieger?«, fragte Sorokin erstaunt, doch der Mann zuckte nur mit den Schultern.

Er tippte stattdessen auf einen der Zettel. »Hier hatte er Telefonkontakt mit einem gewissen Božidar. Es ist von Saksonija die Rede und von MANPADS. Sie wissen, was das bedeutet?«

»MANPADS? Das sind schultergestützte Kurzstrecken-Boden-Luft-Lenkwaffensysteme.«

Der alte Mann nickte. »MANPADS sind handlich und können von einem einzigen Mann bedient werden. Oder natürlich auch von einer Frau. Das Erstellen der Feuerbereitschaft dauert rund dreißig Sekunden. Das Ziel wird mit dem Laser angestrahlt und die Rakete fliegt anhand des Laserstrahls direkt hinein. Kabumm!« Er erhob sich wieder. »Afghanistan, Irak und Nordafrika haben uns gezeigt, dass man nicht unbedingt nur Luftziele anvisieren muss. Bei festen Zielen am Boden funktionieren die Dinger viel besser. Unsere Spezialisten gehen davon aus, dass es durchaus möglich ist, dass der Pilot einen terroristischen Anschlag in Sachsen plant. Ich verrate Ihnen wahrlich kein Geheimnis, wenn ich Ihnen sage, dass alle eingeweihten Leute – sowohl bei unserer Gefahrenabwehr als auch in den Gremien auf Bundesebene und in der sächsischen Staatsregierung – von einem gewissen Unbehagen befallen sind.« Jetzt stand der Mann hinter Sorokin, der dessen rechte Hand auf seiner rechten Schulter spürte. »Selbstverständlich kann es möglich sein, dass dieses Unbehagen unbegründet ist und dass hinter all dem nur ein übler Scherz steckt. Die uns vorliegenden Informationen wurden allerdings über einen Zeitraum von acht Wochen gesammelt. Sollte da etwas dran sein, dann muss es nicht zwingend ein Hubschrauber sein, der abgeschossen wird, was allerdings von allen erdenklichen Zielen noch das angenehmste wäre. Das Ziel könnte nämlich auch ein sächsischer Kindergarten oder eine Leipziger Schule sein. Mit den schwedischen RBS 70-Boliden kann man Ziele aus acht Kilometern Entfernung treffen. Die Rakete erreicht eine höhere Geschwindigkeit als Mach Zwei und funktioniert auch im Dunkeln ganz gut. Der Schütze hätte auf jeden Fall das Überraschungsmoment auf seiner Seite. Nähert sich die Rakete dem Ziel und erreicht sie den Ansprechradius des Näherungszünders, dann wird der Splittergefechtskopf gezündet. Bei einem Direkttreffer hingegen wird der Sprengkopf durch den Aufschlagzünder gezündet. Wie auch immer, sie explodiert. Selbst wenn Sie, wie dieser Superman aus dem Kino, die Rakete fangen würden, sie würde Sie oder ihn in viele kleine Teile zerfetzen oder wie ein Sieb durchlöchern.« Er klappte die Mappe zu. »Bei Gelegenheit zeige ich Ihnen gern ein paar unschöne Aufnahmen aus unseren Lieblingskrisengebieten. Glauben Sie mir, guter Mann, ich spaße nicht. Niemand macht irgendwelche Späße mit solchen Dingen.« Erneut nahm er Platz, schwieg und starrte Sorokin an.

»Mit dem Flugzeug?«, fragte der Hüne schließlich.

»So ist es. Sie fliegen mit einer Passagiermaschine. Vor Ort erhalten Sie alle notwendigen Ausrüstungsgegenstände.«

Sorokin zwang sich ein winziges Grinsen ins Gesicht. »Das klingt eher nach James Bond als nach einem durchdachten Auftrag.«

»James Bond? Dass ich nicht lache.« Der Mann blieb ernst. »Wir befinden uns in der Realität, mein Lieber, nicht in einem Roman oder gar in einem Film. Und die Gegenseite schon gar nicht.«

Erneut versank Sorokin in Schweigen. Er sah den Kindergarten von Anton und Natascha. Er sah weinende Kinder zwischen Trümmern.

Ruckartig erhob sich der Hüne und streckte die rechte Hand aus. »Okay. Ich übernehme den Auftrag.«

Der alte Herr schlug ein. »Nach allem, was ich über Sie gehört und gelesen habe, habe ich nichts anderes erwartet. Morgen früh neun Uhr findet eine geheime Dienstbesprechung im Sächsischen Landtag statt. Fragen Sie nach der Kulturausschuss-Tagung. Zu keinem ein Wort. Ihrer Familie erzählen Sie am besten, dass Sie in Dresden eine dienstliche Anerkennung in Form einer Auszeichnung erhalten haben, verbunden mit einer Urlaubsreise. Alle Unterlagen erhalten Sie morgen früh. Und seien Sie pünktlich.« Nun erst ließ der Mann Sorokins Pranke los. Und er lächelte.

*

»Was ist denn passiert?« Fedor lauschte. Er hatte seiner Stiefmutter die Frage abgenommen.

Die fünfköpfige Familie saß beim Abendessen am Tisch. Gerade noch rechtzeitig war Sorokin aufgekreuzt. Der kleine Anton kniete auf einem dicken Kissen und stützte den Kopf mit der linken Hand ab. Hin und wieder fielen ihm die Augen zu oder er gähnte herzhaft.

»Ich muss morgen früh ziemlich zeitig nach Dresden in den Landtag.«

»Und warum?«, fragte Fedor, dessen Finger vorsichtig ertasteten, was es zum Abendbrot gab.

Jekaterina Sorokin schob einen Becher zu Fedors Hand. »Das ist der Fleischsalat, den du so gern isst.« Vor einem Jahr noch hieß die Mutter Wolkowa. Nach der Hochzeit hätte sie in Russland den Nachnamen Sorokina geführt. Doch in Deutschland wollte man das nicht zulassen. Das weibliche »a« am Namensende wurde ihr genommen, im Ausweis stand lediglich Jekaterina Sorokin.

»Danke«, flüsterte Fedor und wartete auf eine Antwort des Vaters.

Der aber kaute erst zu Ende.

In der Zwischenzeit schmierte Jekaterina Sorokin dem kleinen Anton ein Schnittchen und ließ ihn abbeißen. »Du kannst dann gleich ins Bett gehen«, sagte sie.

Doch Anton protestierte, allerdings sehr leise und weinerlich: »No ya khochu televizor.«

»Rede bitte deutsch, Antoschka. Und ganz bestimmt wirst du heute nicht mehr fernsehen. Deine Augen fallen ja schon zu.« Erneut ließ Jekaterina Sorokin den Jungen von der Schnitte abbeißen. Die Häppchen wurden allerdings immer kleiner.

»Mir scheint, als hätten sie eine Überraschung für mich geplant«, sagte Sorokin in diesem Moment. »Vielleicht eine Auszeichnung.«

»Das wäre ja prima. Verdient hast du sie längst«, meinte Jekaterina Sorokin.

»Wir sind hier nicht in Sowjetrussland. In Deutschland ist eine Belobigung die Ausnahme.«

»Und wofür?«, fragte Fedor. »Wofür solltest du eine Auszeichnung bekommen?« In seiner Frage schwang eine gewisse Häme mit.

Sorokins Antwort war für den blinden Jungen äußerst unbefriedigend. »Keine Ahnung.« Er biss in sein Brot und sprach nun doch mit vollem Mund: »Morgen weiß ich jedenfalls mehr.«

Zadar
17. August

Die jungen Männer – Božidar, Darko und Zlatko – saßen auf den Steinen unmittelbar an der Bucht am Kanal von Zadar unweit des Dörfchens Petrčane in der kroatischen Gespanschaft Zadar, das gerade einmal fünfhundert Einwohner zählte. Es war hochsommerlich heiß.

 

Die Bucht wurde von den beiden Halbinseln Punta Skala und Radman Skala gebildet. Das Dörfchen Petrčane war zweigeteilt. Direkt am Meer lag der Ortsteil Donje Petrčane und weiter oben, nur Minuten entfernt, gab es Gornje Petrčane. Zwölf Kilometer entfernt, in südöstlicher Richtung, befand sich die wunderschöne Stadt Zadar. Die jungen Leute interessierten sich heutzutage kaum noch für Fischfang und Landwirtschaft, sie wussten längst, dass Tourismus, Autoverkauf und Software-Entwicklung die besseren Einnahmequellen waren.

Etliche Touristen befanden sich auf dem Ausflugsboot, welches durch die Bucht schipperte, ein umgebautes Boot, das früher als Fischkutter gedient hatte.

Doch Božidar, Darko und Zlatko zählten sich nicht zum Durchschnitt der kroatischen Bevölkerung. Nach seinem Studium im Ausland hatte der siebenundzwanzigjährige Božidar eine moderne Informatikfirma in Zadar gegründet, die vornehmlich Programmieraufträge für deutsche Firmen ausführte. Sie verdienten nicht schlecht für kroatische Verhältnisse.

Todor, der vierte Mann im Bunde, der aber nicht in Božidars Firma TRRK angestellt war, trug trotz der hohen Temperaturen einen maßgeschneiderten Anzug und darunter ein weißes Hemd. Der braun gebrannte, muskulöse Mann stand nah am Ufer und hob jetzt gerade den rechten Arm, als würde er eine große Waffe tragen und mit dieser auf das Touristenboot zielen.

»Bumm. Bumm. Bumm«, flüsterte er. Er blies den imaginären Rauch vom unsichtbaren Lauf seiner Waffe weg und blickte hinüber zur alten Bartholomäuskirche, die noch aus dem 12. oder 13. Jahrhundert stammte und unablässig von Touristenströmen begafft wurde. Deutlich war der hohe Glockenturm an der Stirnseite zu erkennen.

Todor ließ den rechten Arm sinken und drehte sich rasch um. Dann lief er mit kurzen, eiligen Schritten auf den untersetzten, kahlköpfigen, jedoch mit einem üppigen Vollbart gesegneten Božidar zu, ergriff dessen pinkfarbenes T-Shirt und riss derb daran.

»Wiederhole, was du gesagt hast! Sag es mir ins Gesicht!« Seine Stimme klang unbeherrscht.

Božidar, der von seinen Freunden Darek genannt wurde, trat sogleich den geordneten Rückzug an. »Es war nicht so gemeint.«

Noch ließ der Stärkere das T-Shirt nicht los. Im Gegenteil, er krallte sich tiefer hinein. »Wie war es dann gemeint?«

Einen Moment zögerte der Bärtige und suchte nach den richtigen Worten. »Dein Hass …«

»Was ist mit meinem Hass?«, fauchte Todor.

»… dein Hass passt nicht in unsere Zeit«, vollendete Božidar die Erklärung und blickte Todor ängstlich abwartend an.

Der ungleich Kräftigere zog ihn am T-Shirt hoch und so nah an sich heran, dass sich beider Gesichter fast berührten. »Du hast keine Ahnung, wie sehr mein Hass in unsere heutige Zeit passt, Darek. Besuchen dich in jeder Nacht die verfluchten Träume? Nein! Sie kommen zu mir! Immer nur zu mir!«

Božidar lächelte mitleidig.

Zlatko kam ihm zu Hilfe. »Darek meint damit, dass es falsch ist, dass Unschuldige für deinen Hass bezahlen müssen.«

Todor gab Božidar einen Stoß, sodass der Schwächere in den Dreck fiel, und zog sich Anzug und Binderknoten zurecht. »Was werdet ihr tun, wenn die NATO in einigen Jahren erneut in unsere Heimat einmarschiert und eure Frauen und Kinder umbringt? Seid ihr erst dann so weit zu begreifen, woher mein Hass kommt? Waren meine Eltern schuldig? Oder waren sie nicht auch Unschuldige, die ermordet wurden?« Er streckte den rechten Arm aus und half Božidar auf. Dann strich er ihm den Schmutz vom Rücken. »Ihr habt nichts damit zu tun. Absolut nichts. Hätte ich euch als Fremder mit der Programmierung beauftragt, dann hättet ihr mir euren Preis gesagt und ihr hättet es getan. Die Routinen könnten ebenso in einem Spielzeugroboter eingesetzt werden. Es ist mein Krieg. Und es bleibt mein Krieg, völlig egal, ob ihr damit einverstanden seid oder nicht.« In aller Ruhe holte Todor seine Zigaretten aus dem Jackett und zündete sich eine an. Langsam zog eine schmale Qualmwolke durch seine Lippen. »Nur«, flüsterte er, »sollte einer von euch der Meinung sein, mich an irgendwen verpfeifen zu müssen, dann gnade ihm Gott.« Todor schoss mit dem rechten Fuß ein Steinchen die Böschung hinunter. »Ihm wird dann weder Zoilo, Simeon, Grisogonus noch Anastasia helfen können.« Zadar stand unter dem Patronat dieser vier Schutzheiligen. Erneut zog Todor an seiner Zigarette. Er wechselte das Thema, seine Stimme klang wieder gefasst und deutlich. »Wann also seid ihr fertig?«

Darko, der bislang geschwiegen hatte, hüstelte, bevor er sprach: »In zehn Tagen bekommst du, was du bestellt hast. Bis dahin sollten wir uns aus dem Weg gehen, Todor.« Er schaute nicht hinauf zu seinem Auftraggeber. Unsicher setzte Darko hinzu: »Und danach erst recht.«

Todor nickte zunächst einige Male, dann erst sagte er: »Das ist zu spät! Ich verlange, dass ihr eher fertig seid! Ihr übergebt die Daten am ausgemachten Ort. Anschließend werdet ihr am gleichen Ort euer Bargeld finden. Geht jetzt! Geht jetzt!«, brüllte er plötzlich.

Božidar, Darko und Zlatko verschwanden augenblicklich. Sie wechselten kein Wort, während sie durch die Büsche zum Weg liefen.

Lange noch stand Todor da und blickte hinaus in die Bucht, beobachtete das Urlauberschiff und kratzte sich mehrmals am Hals. Dann verschwand auch er. Den weißen Opel Kadett hatte er in der Nähe geparkt.

Kaum saß er am Steuer, da klingelte sein Handy. Ein Blick auf das Display verriet Todor, dass es wichtig war.

»Ja?«, fragte er. Das Gespräch wurde in serbischer Sprache geführt.

»Es ist alles arrangiert.«

»Sind die Partner zuverlässig?«

»Absolut.«

»Wann kehrst du zurück? Es könnte sein, dass ich dich brauche.«

»Die Maschine geht morgen früh. Ich bin gegen sechzehn Uhr im Quartier.«

»Nein. Zweiundzwanzig Uhr ist besser«, sagte Todor.

»Okay. Treffen wir uns um zweiundzwanzig Uhr.«

Das Gespräch war beendet.

»Wenigstens auf Stokan kann ich mich verlassen«, flüsterte Todor, warf das Handy auf den Beifahrersitz und fuhr – eine Staubwolke auf dem unbefestigten Weg hinterlassend – los.

Dresden
17. August

»Die Tagung vom Kulturausschuss, wo findet die statt?« Sorokin warf ganz nebenbei einen Blick auf die Armbanduhr des Servicemitarbeiters im Sächsischen Landtag: 8:45 Uhr.

Kurz danach betrat er einen Raum, vor dem sich zwei verkabelte Sicherheitsleute langweilten.

Sechs Augen starrten Sorokin an, während er die Tür schloss, gemächlich zum Tisch ging, einen Stuhl ergriff, diesen einen guten Meter vom Tisch wegzog und sich setzte.

»Guten Morgen.«

Der alte Mann vom BND war nicht anwesend. Ohne ersichtlichen Grund war Sorokin darüber erleichtert.

Die drei Herren nickten ihm zu. Einer öffnete einen Koffer. »Okay. Kommen wir gleich zur Sache.« Er zeigte in den Koffer. »Hier finden Sie die offizielle Urkunde des Sächsischen Landtages, die Reiseunterlagen, die Flugtickets und ein chiffriertes Dokument für die Übernahme weiterer Dinge für Ihren ungetrübten Aufenthalt am Bestimmungsort. Das Dokument vernichten Sie. Alle Telefongespräche, die mit Ihrem Einsatz zu tun haben, führen Sie mit diesem Smartphone. Sollten die vierzehn vorgesehenen Tage nicht ausreichen, dann liegen die Dokumente für die Verlängerung Ihres Aufenthaltes an der Rezeption bereit. Täglich um zweiundzwanzig Uhr schicken Sie einen Bericht an die siebte Adresse der gespeicherten Kontakte. Der Bericht wird vom Handy automatisch kodiert. Im extremen Notfall, und nur in diesem, schicken Sie per SMS dreimal die Eins an die dritte Adresse. Unter Umständen helfen Ihnen dann unsere Verbündeten vor Ort.« Er hielt einen winzigen USB-Stick hoch. »Auf diesem Stick ist der Zugang zur elektronischen Kartei, selbstaktivierend mit Ihrem Code. Sie können die Kartei jederzeit löschen. – Haben Sie alles verstanden?«

Anatolij Sorokin nickte.

Der Mann schloss den schwarzen Aktenkoffer und schob ihn über den Tisch. »Ändern Sie den Verschlusscode. Noch steht er auf viermal Null.« Dann stand er auf, trat auf Sorokin zu und hielt ihm die rechte Hand hin. »Man nennt Sie tatsächlich die Ameise?«, fragte er lächelnd.

Die beiden anderen Herren erhoben sich gleichzeitig.

»So sagt man.« Der Hüne zwang sich ein Lächeln ins Gesicht, das eher wie ein verächtliches Grinsen wirkte. »Ist das schon alles? Bekomme ich kein mit Raketenwerfern und Laserkanonen ausgestattetes Werbefahrzeug?«

»Machen Sie keine Witze. Sie wissen, welche Hoffnung wir mit Ihrem Einsatz verbinden?«

»Das weiß ich. Und ich hoffe, dass all Ihre Befürchtungen sich nicht bewahrheiten.«

»Okay. Dann viel Glück und einen angenehmen Aufenthalt im DVR-Hotel Borik.«

Wortlos, jedoch nickend, drückten auch die beiden anderen Herren die rechte Hand der Ameise. Daraufhin verließ Sorokin den Raum und kurz danach das ehrwürdige Gebäude des Sächsischen Landtags, nachdem er freundlich dem Servicemitarbeiter zugenickt und durch einen Blick auf dessen Armbanduhr festgestellt hatte, dass es mittlerweile 8:52 Uhr war.

Der alte Mann vom BND betrat den Raum, schloss hinter sich die Tür und trat ans Fenster, als wäre er nur aus einem einzigen Grund erschienen: Er wollte den schönen Blick auf das morgendliche Dresden genießen.

»Denken Sie wirklich, dass es vernünftig ist, einen Mann aus den Reihen der Polizei eine solch brisante Aufgabe erledigen zu lassen?«, waren die Worte des Herrn, welcher Sorokin vor wenigen Sekunden den Koffer übergeben hatte.

»Ich kann und will keinen BND-Mitarbeiter einsetzen, und schon gar keinen aus einer unserer Residenturen in diesen Südländern«, raunte der Alte am Fenster, ohne sich dabei umzudrehen. »Die Agenten vor Ort werden beobachtet oder sie haben sich längst auf Geschäfte mit den politischen Eliten und der organisierten Kriminalität eingelassen.« Eine kurze Pause folgte. »Oder eben beides.«

»Wer legitimiert die Aktion?«, fragte einer der beiden anderen Herren, der wahrscheinlich ein Abgeordneter des Sächsischen Landtags war.

»Verlangen Sie von mir Rechenschaft?« Jetzt stand der Alte mit dem Rücken zum Fenster. »Bitteschön: Unsere Abteilung für Internationalen Terrorismus und Internationale Organisierte Kriminalität – kurz TE – ist zuständig für die Aufklärung grenzüberschreitender Gefahren des internationalen Terrorismus und der international organisierten Kriminalität. Seit Jahren tauschen wir Informationen mit der NSA aus, die wir über unsere Fernmeldeverkehrsstelle in der Bad Aiblinger Mangfall-Kaserne weiterleiten. Egal, was Sie in der Bildzeitung darüber gelesen haben, die Zusammenarbeit zwischen BND und NSA in Bad Aibling basiert auf einem Abkommen, welches bereits am 28. April 2002 geschlossen wurde und das lediglich die Zusammenarbeit zwischen BND und NSA – die es bereits seit Anfang der Sechziger gibt – verlängerte und in die richtigen Bahnen lenkte. Die NSA wurde darauf aufmerksam, dass ein serbokroatischer Anschlag auf bundesdeutsche Einrichtungen bevorstehen könnte. Übrigens basiert das alles sehr auf Annahmen; die meisten erweisen sich als Irrtümer. Aufgrund der doch recht klaren Hinweise, dass eventuell auch Bundeswehrangehörige oder Nachrichtendienstleute beteiligt sein könnten, gingen die Informationen sofort an die zuständigen Abgeordneten im Bundestag. Es kam zu einer Sitzung eines personell eng begrenzten Bundestagsausschusses, in dem die weitere Vorgehensweise besprochen wurde. Den Abgeordneten wurde zudem eine Akte vorgelegt, laut der es durchaus möglich sein könnte, dass unsere Hauptzielperson, der Pilot, bereits 2008 für die paramilitärische Organisation ›Armee der Republik Kosovo‹ tätig gewesen sein könnte, welche sich zu einem verheerenden Sprengstoffanschlag auf das Gebäude des Internationalen Zivilbüros der EU-Sondergesandten in Priština im Kosovo bekannt hatte. Gewisse Persönlichkeitsmuster des Piloten deuten auf eine Beteiligung hin. Sie erinnern sich vielleicht, dass der Kosovo damals drei meiner BND-Mitarbeiter verdächtigte, die man wahrscheinlich so nur außer Landes schaffen wollte. Dahinter steckte vermutlich der Premierminister des Kosovo, ein ehemaliger Guerilla-Kämpfer, der unserer Europäischen Union den Stinkefinger offerierte. Das nur am Rande. Die Bundestagsabgeordneten beschlossen schließlich die jetzige Vorgehensweise. Die besagt, dass der Sächsische Landtag offiziell die Aktion leitet – deshalb sind Sie, meine Herren, jetzt hier – und dass meine Person eine der wenigen ist, die auf Seiten des Nachrichtendienstes etwas davon wissen.«

 

»Warum wird ausgerechnet die Ameise auf den Piloten angesetzt?«, fragte der dritte Herr, welcher bislang regungslos und schweigend seinen Stuhl warmgehalten hatte.

Der Alte trat zwei Schritte auf ihn zu: »Die Ameise wurde uns von Seiten der SEK-Führung in Sachsen empfohlen. Unsere Recherche bewies zudem, dass die Ameise tatsächlich bestens geeignet ist.«

Noch einmal meldete sich der Abgeordnete zu Wort: »Verraten Sie uns bitte, weshalb man annimmt, dass Agenten des BND oder Angehörige der Bundeswehr in den geplanten Anschlag involviert sind?«

»Nein«, antwortete der Alte sofort.

»Es würde meinem Gewissen aber guttun.«

Der Alte blickte den Mann sekundenlang an, dann nickte er flüchtig. »Es hat was mit der Beschaffung der Waffen zu tun, die für diesen Anschlag eingesetzt werden könnten. Aber, speziell für Ihr Gewissen: Am Ende des Tages werden wir der Meinung sein, das Richtige getan zu haben.«

Nun war es an dem Abgeordneten, den BND-Mann sekundenlang anzustarren, um schließlich das Gespräch zu beenden. »Ich mag keine Sätze, die im Futur II stehen. Politiker, die diese grammatikalische Form benutzen, sind für mich unglaubwürdig. Sie sind Fantasten.«

»Zum Glück werde ich nie ein Politiker gewesen sein«, waren die abschließenden Worte des Alten. »Zum Glück.« Worauf sein Gesicht zum ersten Mal in dieser Runde grinste.

*

Beim Verlassen des Gebäudes blendete die tief stehende Sonne Sorokin. Also fingerte er seine Sonnenbrille aus der Jacketttasche, setzte sie auf und schob sie zurecht. Dann lief er zu seinem Fahrzeug, schaltete die Klimaautomatik ein und fuhr quer durch Dresden Richtung BAB 4. Am erstbesten Parkplatz hielt er an, öffnete den schwarzen Koffer, stellte innen für jedes Schloss einen neuen vierstelligen Nummerncode ein und entnahm einer kleinen Mappe die Flugscheine. Der Flieger würde bereits am nächsten Morgen um 4:34 Uhr vom Flughafen Leipzig-Halle starten. 4:34 Uhr! Welch eine familienlogistische Herausforderung!

Nachdem Sorokin das neue Smartphone betrachtet hatte, nahm er sein altes Handy zur Hand und wählte die heimische Nummer.

»Ja. Es ist eine Auszeichnung«, sagte er kurz angebunden. »Wir fliegen morgen in aller Frühe nach Kroatien. Kannst du bitte die Koffer packen, Katie?« Trotz der Klimaautomatik lief Sorokin Schweiß über die Schläfen. Er musste die eigene Familie belügen. Die eigene Familie! Zum allerersten Mal!