Die straf- und bußgeldrechtliche Verantwortlichkeit der Diensteanbieter sozialer Netzwerke im Internet

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bb. Gefährdungsdelikte

Bei den Gefährdungsdelikten ist zwischen dem sog. konkreten Gefährdungsdelikt, dem sog. abstrakten Gefährdungsdelikt und dem sog. abstrakt-konkreten Gefährdungsdelikt zu unterscheiden.

(1) Konkrete Gefährdungsdelikte

Wie das Erfolgsdelikt in Form des Verletzungsdelikts beinhaltet auch das konkrete Gefährdungsdelikt einen tatbestandlichen Erfolg, der losgelöst von der Handlung selbst ist. Denn Voraussetzung der Strafbarkeit ist der Eintritt einer konkreten, im Tatbestand vorausgesetzten Gefahr, die von der tatbestandlichen Handlung trennbar ist (z.B. die Gefahr für Leib oder Leben in § 315c Abs. 1 StGB).196 Konkrete Gefährdungsdelikte sind daher im Ergebnis als Erfolgsdelikte zu qualifizieren.197 Sie besitzen einen zum Tatbestand gehörenden Erfolg i.S.d. § 9 Abs. 1 Var. 3 StGB.

(2) Abstrakte Gefährdungsdelikte

Ob ein solcher Erfolg auch bei abstrakten Gefährdungsdelikten zu bejahen ist, ist umstritten. Denn anders als konkrete Gefährdungsdelikte setzen diese keinen Gefahrerfolg voraus, der über die Tathandlung hinausgeht.198 Einen von der Handlung trennbaren tatbestandlichen Erfolg besitzen abstrakte Gefährdungsdelikte nicht. Es handelt sich um reine Tätigkeitsdelikte, bei denen die bloße Vornahme der Handlung bzw. Tätigkeit bereits zu einer Strafbarkeit führt, da bereits der Handlung selbst eine abstrakte Gefahr innewohnt (z.B. § 316 StGB). Die Gefahr selbst ist aber kein Tatbestandsmerkmal des jeweiligen abstrakten Gefährdungsdelikts.199

(a) Theorie vom Ort der realisierten Gefahr

Zum Teil wird aber vertreten, dass im Falle einer Realisierung der abstrakten Gefahr ein Erfolg i.S.d. § 9 Abs. 1 Var. 3 StGB vorliegt.200 Dieser sei immer dort belegen, wo Rechtsgüter geschädigt wurden oder es zu Gefährdungen gekommen ist, die nach dem Zweck des jeweiligen Straftatbestands verhindert werden sollen.201 Dies ist aus verschiedenen Gründen abzulehnen.

Zum einen handelt es sich – wie bereits erwähnt – bei der Gefahr gerade nicht um ein Tatbestandsmerkmal. Die realisierte Gefahr kann zwar vielleicht noch als „Erfolg“ gesehen werden. Mangels der Bezugnahme des Tatbestands auf sie, handelt es sich aber nicht um einen „zum Tatbestand gehörenden“ Erfolg.202 Denn für die Erfüllung des gesetzlichen Tatbestands ist sie nicht relevant.203 Die Auslegung widerspricht damit dem klaren Wortlaut des § 9 Abs. 1 Var. 3 StGB.204

Zum anderen spricht auch die Änderung durch das 2. StrRG vom 4.7.1969 gegen diese weite Auffassung. Denn vor der Änderung durch das 2. StrRG205 war der Wortlaut des § 3 Abs. 3 Var. 3 StGB a.F. deutlich weiter, sodass eine Tat an jedem Ort begangen war, an dem der Erfolg eingetreten ist. Die Einschränkung, dass es sich um einen „zum Tatbestand gehörenden“ Erfolg handeln muss, beinhaltete § 3 Abs. 3 Var. 3 StGB a.F. gerade nicht und wurde erst durch das 2. StrRG eingeführt.206 Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, dass der Gesetzgeber eine solche Einschränkung nicht bezweckt habe, da sich dies jedenfalls im Wortlaut des § 9 Abs. 1 Var. 3 StGB nicht widerspiegelt.207 Im Hinblick auf die Tatbegehung über das Internet überzeugt ein Rückgriff auf den Willen des historischen Gesetzgebers und eine Bevorzugung desselben gegenüber dem klaren Wortlaut der Regelung auch deshalb nicht, da das Internet und dessen Folgen für die Möglichkeiten der Tatbegehung im Jahr 1969 überhaupt nicht absehbar waren.208

(b) Theorie vom Ort der möglichen Realisierung der Gefahr

Eine darüberhinausgehende Ansicht will einen Erfolg sogar überall dort annehmen, wo sich die abstrakte Gefahr auch nur realisieren könnte.209

Im Ergebnis würde dies dazu führen, dass Internetdelikte immer dem deutschen Strafrecht unterliegen.210 Es wäre „eine unangemessene Allzuständigkeit des deutschen Strafrechts“ gegeben, die „im Ausland straflose Äußerungshandlungen hier [Anm.: in Deutschland] unter Strafe“ stellen würden, wobei eine Strafverfolgung faktisch ausgeschlossen wäre, da die Beschuldigten sich nicht im Inland aufhalten.211

Auch aus völkerrechtlicher Sicht ist eine so weitgehende Anwendung des deutschen Strafrechts abzulehnen. Denn aus dem Nichteinmischungsgrundsatz des Völkerrechts folgt, dass die Tat einen legitimierenden Inlandsbezug aufweisen muss, damit deutsches Strafrecht anwendbar ist.212 Zur Annahme eines solchen legitimierenden Inlandsbezugs ist „die bloße Möglichkeit der Realisierung einer abstrakten Gefahr [...] nicht ausreichen[d]“, sondern darüber hinausgehend der Eintritt eines Erfolgs zumindest im Sinne der Realisierung der Gefahr im Inland erforderlich.213

(c) Theorie vom Tathandlungserfolg

Nach einer weiteren Auffassung ist auf das Vorliegen eines Tathandlungserfolgs und damit auf eine Erfolgskomponente abzustellen, die der Handlung selbst innewohnt.214 Hierbei kann es sich zum Beispiel um den Erfolg der Verbreitung oder des öffentlichen Zugänglichmachens von rechtswidrigen Schriften bzw. Informationen handeln.215 Jedenfalls aus sprachlicher Sicht erscheint es nicht fernliegend, bei der Vornahme der Handlung des Verbreitens und öffentlichen Zugänglichmachens auch von einem entsprechenden Erfolg zu sprechen, wenn die Handlung zu einer tatsächlichen Verbreitung oder Zugänglichmachung geführt hat. Dabei wird von Sieber zwischen der sog. Push- und Pull-Technologie unterschieden.216 Sofern die Information gezielt auf einen Computer im Inland übermittelt wird (Push-Technologie), soll ein Tathandlungserfolg des Verbreitens im Inland gegeben sein. Ruft hingegen ein inländischer Nutzer die Information von einem ausländischen Server ab (Pull-Technologie), liegt keine Handlung desjenigen vor, der die Information vom Ausland aus in das Internet eingestellt bzw. auf dem ausländischen Server gespeichert hat, die zu einem Tathandlungserfolg im Inland führt.217

Letztlich führt aber die Annahme eines Erfolgs unter Rückgriff auf eine Erfolgskomponente, die bereits in der Handlung selbst angelegt bzw. eine Voraussetzung der Handlung selbst ist, dazu, dass der Taterfolg auf die Tathandlung erweitert wird. Das Resultat hiervon ist eine Vermischung von Tathandlung und Taterfolg.218 Der Taterfolg ist danach zwingender Ausfluss der Tathandlung und geht nicht über diese hinaus. Das Abstellen auf einen Tathandlungserfolg ist daher abzulehnen.219

Darüber hinaus liegt ein Tathandlungserfolg des öffentlichen Zugänglichmachens nur dann im Inland vor, wenn die rechtswidrige Information gezielt auf einen Server im Inland übermittelt und auf diesem gespeichert wird.220 Für den ausländischen Diensteanbieter eines sozialen Netzwerks bedeutet dies, dass dessen im Ausland handelnder Nutzer in der Regel keinen Tathandlungserfolg im Inland begründet, da sich die Server des sozialen Netzwerks regelmäßig nicht im Inland befinden.221

(d) Rechtsprechung des BGH

Auch nach Auffassung des BGH besitzen abstrakte Gefährdungsdelikte keinen zum Tatbestand gehörenden Erfolg i.S.d. § 9 Abs. 1 Var. 3 StGB.222

Dies widerspricht auch nicht dem Sinn und Zweck abstrakter Gefährdungsdelikte.223 Mit diesen Delikten wird die Strafbarkeit eines bestimmten Verhaltens vorverlagert, da bereits das Verhalten selbst besonders gefährlich ist.224 Der Schutz bestimmter Rechtsgüter soll erhöht werden.225 Die deshalb vom Gesetzgeber vorgenommene Ausweitung der Strafbarkeit nach vorne, kann nach Auffassung des BGH aber dazu führen, dass aus völkerrechtlicher Sicht eine Beschränkung bei „Sachverhalte[n] mit internationalem Bezug“ sogar geboten ist.226 Denn anderenfalls könnte zwischen der Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts und dem Schutzbereich der Norm nicht mehr unterschieden werden.227

Die damit bestehende Gesetzeslücke, die eine gezielte Grenzüberquerung zur Begehung abstrakter Gefährdungsdelikte über das Internet ermöglicht, müsste der Gesetzgeber selbst schließen, „falls er dies für erforderlich erachtet“.228 Insoweit ist der Gesetzgeber mit dem 60. Gesetz zur Änderung des StGB vom 30.11.2020229 und Blick auf die Strafbarkeit nach den §§ 86, 86a, 111 und 130 StGB bei Handlungen im Ausland tätig geworden, indem er § 5 StGB angepasst hat.

(e) Zwischenergebnis

Im Ergebnis ist daher festzuhalten, dass abstrakte Gefährdungsdelikte keinen zum Tatbestand gehörenden Erfolg i.S.d. § 9 Abs. 1 Var. 3 StGB besitzen. Handelt der Haupttäter im Ausland, kann eine Anwendung des deutschen Strafrechts bei Vorliegen eines abstrakten Gefährdungsdelikts deshalb nicht über den Erfolgsort begründet werden.

(3) Abstrakt-konkrete Gefährdungsdelikte

Ob dies auch für abstrakt-konkrete Gefährdungsdelikte (sog. Eignungsdelikte) gilt, ist im Folgenden zu Untersuchen. Diese setzen – ebenso wie abstrakte Gefährdungsdelikte – in ihrem Tatbestand nicht den Eintritt einer konkreten Gefahr voraus. Aus dem Tatbestand ergibt sich aber, dass die Handlung bei Betrachtung der konkreten Tatumstände gefahrengeeignet sein muss.230 Es gehört daher zwar nicht der Eintritt einer konkreten Gefahr zum Tatbestand, aber die generelle Gefährlichkeit der Handlung oder des Tatmittels.231

(a) Alte Rechtsprechung des BGH

Hieraus hatte der 1. Strafsenat des BGH mit Urteil vom 12.12.2000 (1 StR 184/00) jedenfalls für § 130 Abs. 1 und 3 StGB gefolgert, dass das abstrakt-konkrete Gefährdungsdelikt der Volksverhetzung aufgrund seiner Eignungsformel einen zum Tatbestand gehörenden Erfolg beinhaltet.232 Auch wenn eine konkrete Gefahr zur Erfüllung des Tatbestandes nicht erforderlich sei, müsse doch geprüft werden, „ob die jeweilige Handlung bei genereller Betrachtung gefahrengeeignet ist“.233 Dies setze im Rahmen von § 130 Abs. 1 und 3 StGB „eine konkrete Eignung zur Friedensstörung“ voraus, welche „nicht nur abstrakt bestehen“ dürfe, sondern „konkret festgestellt“ werden müsse.234 Für abstrakt-konkrete Gefährdungsdelikte, die zwischen den abstrakten und den konkreten Gefährdungsdelikten angesiedelt sind, bedeute dies, dass sie unter dem „Gesichtspunkt des Erfolgsorts mit konkreten Gefährdungsdelikten vergleichbar“ seien, „weil der Gesetzgeber auch hier eine zu vermeidende Gefährdung – den Erfolg – im Tatbestand der Norm ausdrücklich bezeichnet“, sodass bei diesen Delikten „ein Erfolg im Sinne des § 9 StGB dort eingetreten“ ist, „wo die konkrete Tat ihre Gefährlichkeit im Hinblick auf das im Tatbestand umschriebene Rechtsgut entfalten kann“.235

 

Bei dieser Entscheidung handelte es sich um eine der wohl umstrittensten Entscheidungen des Internetstrafrechts.236 Einer der Hauptkritikpunkte besteht darin, dass die Eignung zur Gefährdung keinen eigenständigen tatbestandlichen Erfolg, sondern vielmehr eine Anforderung an die Handlung stellt bzw. eine Eigenschaft dieser darstellt.237

(b) Neue Rechtsprechung des BGH

Der Auffassung des 1. Strafsenats ist der 3. Strafsenat des BGH mit Beschluss vom 3.5.2016 (3 StR 449/15) entgegengetreten.238 Dieser führt aus, dass jedenfalls „das Merkmal der Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens im Sinne von § 130 Abs. 3 StGB [...] keinen zum Tatbestand gehörenden Erfolg“ umschreibt.239 Im Ergebnis stellt das Gericht damit fest, dass abstrakt-konkrete Gefährdungsdelikte ebenso wie abstrakte Gefährdungsdelikte keinen zum Tatbestand gehörenden Erfolg besitzen.240 Denn nach den Ausführungen des 3. Strafsenats erfordert eine potentielle Gefahr, wie sie ein abstrakt-konkretes Gefährdungsdelikt voraussetzt, keine „von der tatbestandsmäßigen Handlung räumlich und/oder zeitlich abtrennbare Außenweltsveränderung“ im Sinne eines zum Tatbestand gehörenden Erfolgs.241

Der Beschluss des 3. Strafsenats führt insofern zu einer Änderung der umstrittenen BGH-Rechtsprechung aus dem Jahr 2000, was dem Senat auch bewusst war.242 Denn der 3. Strafsenat führt aus, dass er ein Anfrageverfahren nach § 132 Abs. 3 GVG nicht durchführen muss, da er nunmehr alleine „für Entscheidungen über Revisionen in Strafsachen gegen die Urteile der Strafkammern zuständig“ ist, „sofern sie – unter anderem – Fälle der Volksverhetzung (§ 130 StGB) betreffen“.243 Zudem waren die Ausführungen des BGH für den zu entscheidenden Sachverhalt überflüssig, da das Gericht die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts im konkreten Fall bereits aus § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB hergeleitet hat.244

Bei abstrakt-konkreten Gefährdungsdelikten ist deshalb im Ergebnis ebenfalls und übereinstimmend mit der neuen Rechtsprechung des BGH davon auszugehen, dass sie keinen zum Tatbestand gehörenden Erfolg i.S.d. § 9 Abs. 1 Var. 3 StGB besitzen.

cc. Ergebnis zum Erfolgsort

Einen zum Tatbestand gehörenden Erfolg i.S.d. § 9 Abs. 1 Var. 3 StGB setzen lediglich Verletzungsdelikte und konkrete Gefährdungsdelikte voraus. Keinen solchen Erfolg besitzen hingegen abstrakte und abstrakt-konkrete Gefährdungsdelikte. Die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts über den Erfolgsort im Inland kann daher nach überzeugender Auffassung nur bei Verletzungsdelikten und konkreten Gefährdungsdelikten begründet werden.

c. Begrenzung der Anwendung deutschen Strafrechts

Trotz dieses bereits restriktiven Ergebnisses durch den Ausschluss abstrakter und abstrakt-konkreter Gefährdungsdelikte stellt sich die Frage, ob auch im Hinblick auf Erfolgsdelikte in Form der Verletzungsdelikte und konkrete Gefährdungsdelikte eine Einschränkung der Anwendbarkeit deutschen Strafrechts geboten ist, wenn der Täter im Ausland gehandelt hat und ein zum Tatbestand gehörender Erfolg im Inland eintritt; dies deshalb, da es Sachverhalte gibt, die bis auf einen tatbestandlichen Erfolg, der zufällig im Inland eintritt, keinerlei weiteren Bezug zum Inland beinhalten. Hierbei handelt es sich vor allem um Fälle, in denen sowohl Täter als auch Opfer, aber auch die sonstigen Tatumstände keinen Inlandsbezug haben und das erfüllte Delikt dem Schutz des Opfers selbst dient.

Beispielhaft wird regelmäßig der Fall genannt, dass ein US-Amerikaner einen anderen US-Amerikaner in englischer Sprache, in einem englischsprachigen Forum, das auf einem Server in den USA gehostet bzw. gespeichert wird, beleidigt.245 Sofern diese Beleidigung von einem Internetnutzer im Inland zufällig abgerufen bzw. wahrgenommen wird, ist § 185 StGB erfüllt und ein Beleidigungserfolg im Inland gegeben.246 Das deutsche Strafrecht wäre anwendbar.

Dies erscheint jedoch wegen der Zufälligkeit des Erfolgseintritts im Inland und des daher grundsätzlich fehlenden Inlandsbezugs als unbillig. Würde bereits der zufällige Erfolgseintritt im Inland zur Anwendung deutschen Strafrechts genügen, würde dies übertragen auf andere Jurisdiktionen dazu führen, dass sich Diensteanbieter und Nutzer ggf. hunderten Rechtsordnungen gegenüber verantworten müssten und diese selbst dann zu beachten wären, wenn die Diensteanbieter und Nutzer ihre Geschäftstätigkeit und Handlungen überhaupt nicht auf sie ausrichten, was schlicht unzumutbar wäre;247 schlimmer noch: Sie wären selbst dann strafrechtlich verantwortlich, wenn die Handlung in ihrem Heimatland, von welchem aus sie gehandelt haben, straffrei ist.248 Zudem müssten die deutschen Staatsanwaltschaften wegen des Legalitätsprinzips des § 152 Abs. 2 StPO bei jeder über das Internet verbreiteten und in Deutschland strafbaren Information zunächst einmal Ermittlungen aufnehmen.249

Die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts ist deshalb – nach überzeugender Auffassung – auch bei Vorliegen eines zum Tatbestand gehörenden Erfolgs im Inland von einem zusätzlichen und besonderen Inlandsbezug der Tat abhängig zu machen.250 Denn gerade grenzüberschreitende Internetsachverhalte bedürfen im Hinblick auf das Völkerrecht eines sinnvollen und legitimierenden Anknüpfungspunkts zum Inland, um die Anwendung des nationalen Rechts zu rechtfertigen.251 Der bloße Umstand, dass bei Internetsachverhalten ein weltweiter Abruf der nach deutschem Recht rechtswidrigen Information möglich ist und damit auch Nutzer in Deutschland diese abrufen und wahrnehmen können, begründet für sich genommen keinen sinnvollen und legitimierenden Anknüpfungspunkt.252

Zur Begründung eines besonderen Inlandsbezugs, der über den bloßen Erfolgseintritt im Inland hinausgehen muss und damit die Anwendung deutschen Strafrechts rechtfertigt, werden mit einem objektiven (siehe aa.) und einem subjektiven (siehe bb.) Ansatz sowie einem Rückgriff auf § 7 StGB (siehe cc.) im Wesentlichen drei Begründungsansätze vertreten. Zudem stellt sich die Frage, ob die Anwendung des deutschen Strafrechts durch Art. 296 EGStGB ausgeschlossen sein könnte (siehe dd.).

aa. Der objektive Ansatz eines besonderen Inlandsbezugs

Zum Teil findet sich die Auffassung, dass die Tat einen objektiven besonderen Bezug zu Deutschland haben muss.253 Dieser soll dann zu bejahen sein, wenn strafbare Informationen „in deutscher Sprache erscheinen, wenn sie sich speziell auf deutsche Sachverhalte oder Personen beziehen oder wenn aus sonstigen Gründen ein besonderer, für andere Länder nicht vorliegender Anknüpfungspunkt an Deutschland gegeben ist“.254

bb. Der subjektive Ansatz eines besonderen Inlandsbezugs

Demgegenüber ist es nach dem subjektiven Ansatz erforderlich, dass der Täter gerade „über das Internet in Deutschland wirken will“ und diesbezüglich ein „finales Interesse“ hat.255

cc. Rückgriff auf § 7 StGB zur Begründung eines besonderen Inlandsbezugs

Eine weitere Auffassung will den besonderen Inlandsbezug unter Rückgriff auf § 7 StGB begründen. Danach ist es erforderlich, dass „sich die Tat gegen einen Deutschen richtet (arg. e § 7 Abs. 1 StGB), der Täter zur Zeit der Tat Deutscher war bzw. es nach der Tat geworden ist (arg. e § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB) oder der Täter zur Zeit der Tat Ausländer war, im Inland betroffen und nicht ausgeliefert wird (arg. e. § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB)“.256

dd. Nichtanwendbarkeit deutschen Strafrechts analog Art. 296 EGStGB?

Zudem stellt sich die Frage, ob Art. 296 EGStGB zu einer Beschränkung der Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts führen könnte, da dieser jedenfalls für § 86 Abs. 1 StGB in Bezug auf Zeitungen und Zeitschriften eine Einschränkung vorsieht. Danach ist § 86 Abs. 1 StGB nicht anzuwenden auf Zeitungen und Zeitschriften, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereiches des EGStGB, also im Ausland, in ständiger, regelmäßiger Folge erscheinen und dort allgemein und öffentlich vertrieben werden.

Zweck der Regelung war der Zeitungsaustausch zwischen der früheren DDR und der BRD.257 Mag im Hinblick auf die Verbreitung noch eine analoge Anwendung der Voraussetzungen des allgemeinen und öffentlichen Vertriebs in Betracht kommen, gilt das nicht für eine Übertragung auf andere Straftatbestände. Denn der Vertrieb einer Schrift erfolgt allgemein, wenn „sie einem individuell nicht bestimmbaren Personenkreis zugänglich [ge]macht“ wird, und ist öffentlich, wenn „der Verkauf ‚in der Öffentlichkeit‘ geschieht“, also „im Straßenhandel, in Kiosken oder in öffentlich zugänglichen Buchhandlungen“.258 Die so hergestellte Öffentlichkeit kann durchaus noch als mit einer über das Internet hergestellten Öffentlichkeit vergleichbar betrachtet werden. Eine analoge Anwendung kann sich jedoch wenn überhaupt nur auf die Zeitungen und Zeitschriften und damit einen Ausschluss des § 86 Abs. 1 StGB für den Online-Bereich beziehen. Durch den alleinigen und ausdrücklichen Verweis auf § 86 Abs. 1 StGB macht der Gesetzgeber deutlich, dass Schriften unter den Voraussetzungen des Art. 296 EGStGB allein in Bezug auf diesen Straftatbestand privilegiert sein sollen, während andere strafbare Inhalte weiterhin vom deutschen Strafrecht erfasst werden sollen.259 Die Regelung ist als Ausnahmevorschrift eng auszulegen, weshalb eine analoge Erweiterung auf andere Straftatbestände ausscheidet.

Eine analoge Anwendung des Art. 296 EGStGB zur Begrenzung der Anwendbarkeit deutschen Strafrechts bei Internetsachverhalten und insbesondere der Verbreitung von Inhalten über soziale Netzwerke ist damit grundsätzlich abzulehnen.