Dracheneid

Tekst
0
Recenzje
Przeczytaj fragment
Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

Kapitel 3
Der Weg des Ritters

Nachdem die Mitglieder des Drachenrates etwas Zeit gefunden hatten, die einzigartigen Ereignisse in der grünleuchtenden Höhle zu realisieren, denen sie vor wenigen Augenblicken hatten beiwohnen dürfen, bat der Lorhdrache Okoriath sie zur Abschlussbesprechung in die heilige Ratshöhle. Nicht nur zu Adalberts Überraschung wurden auch der Jungritter Torgorix, der immer noch sehr verstörte Erik und der Ritter Knut von Tronte dazu eingeladen.

Nachdem der weiße Drache die drei Letzteren über die wesentlichen Ereignisse des heutigen Vormittages informiert hatte, bat er sie, sich zur weiteren Besprechung in die freie Loge der ehemaligen Gemarkung des Ostlandes zu setzen, sozusagen zur Linken Adalberts. Es benötigte keiner besonderen Drachenkenntnis, um zu sehen, mit welcher Ehrfurcht sich Torgorix auf den verwaisten Drachenplatz legte. Dabei blickte er immer wieder verstohlen zu seiner Mutter, als wenn er sie fragen wollte, ob er das denn auch wirklich dürfe. Als ihm Lady Coralljah wohlwollend zunickte, genoss er das dicke Kissen, welches ihm von einem Logenwächter unter das Kinn geschoben wurde.

„Es erschwert unser Vorhaben ungemein, dass ich von meiner Vorgängerin, der ehrenwerten Lorhdrachin Murwirtha, keinerlei Informationen erhalten habe und somit auch die geheime Formel nicht kenne, die Adalbert zur Übertragung der Seele Allturiths benötigt. Doch wir wären keine Mitglieder des Drachenrates, wenn wir uns dadurch entmutigen ließen. Probleme und Schwierigkeiten werden tatkräftig angegangen und schließlich gelöst. Wir wachsen an unseren Aufgaben.“

Jeder der Anwesenden erkannte deutlich, dass Okoriath sehr darüber verärgert war, dass er nicht über das wichtige Wissen verfügte, welches ihm als Lorhdrachen zugestanden hätte. Voller Tatendrang fuhr er dann jedoch fort: „Somit werden sich jetzt vier wesentliche Aufgaben für uns ergeben, denen wir unverzüglich nachgehen müssen und von deren Ausgang das Wohl des gesamten Drachenlandes abhängen könnte. Jede einzelne dieser Aufgaben ist ein Teil des gesamten Schutzplanes gegen die Bedrohung durch den Druiden Snordas mit seinen fürchterlichen Kriegshorden und darf nicht scheitern.

Trotzdem besteht keinerlei Zweifel daran, dass die höchste Priorität der Aufgabe zukommt, Allturiths Seele zu retten. In einer längeren Besprechung sind sich in der letzten Nacht die weise Lady Coralljah, die ehrenwerten Elfenkönige Trillahturth und Erithjull, unsere schlauer Freund Kronglogg, der erfahrene Ritter Rostorrh, der geschätzte Freund Olstaff und ich darüber einig geworden, dass uns die Rettung von Allturiths Seele nicht nur den Sohn von Zaralljah und Merthurillh wiederbringen wird, sondern von viel größerer Wichtigkeit für das Wohl des ganzen Landes sein könnte, als wir heute zu ahnen oder gar zu erkennen in der Lage sind.

Nicht nur aus den Berichten von Adalbert und den Geschehnissen von vorhin, sondern auch aus all den spärlichen Überlieferungen, die wir in der vergangenen Nacht zusammengetragen haben, können wir folgern, dass ein wiedergeborener Drache wahrscheinlich über unermessliche Macht verfügen würde. Daher unterliegt diese Aufgabe auch weiterhin der strengsten Geheimhaltung und nichts davon darf diese Mauern verlassen. Es sollte also nicht notwendig sein, zu erwähnen, dass jeder Einzelne von uns alles daran setzen muss, dieses Geheimnis zu wahren.“

Bei diesen Worten schaute der Lorhdrache Erik besonders eindringlich an, der sich in seiner Haut überhaupt nicht wohlfühlte.

„Mein lieber Freund Okoriath“, mischte sich der Waldelfenkönig ein, „einerseits bin ich davon überzeugt, dass Erik etwas aus seinen schlimmen Fehlern gelernt hat, und andererseits wird er in den nächsten Monden sicherlich keinerlei Möglichkeiten haben, irgendwo davon zu erzählen, denn er wird ja bei uns im Nasli Karillh seine Strafe dafür annehmen, dass er dem armen Zwerg Rognagg die Bartspitzen abgeschnitten hat. Die vor ihm liegende Zeit der Dienerschaft wird ihm viel abverlangen und außerdem wird er bei uns zur Schule gehen. Ihr selbst wisst, was da auf ihn zukommen wird. Es wird ihm als sowohl an Zeit als auch an Möglichkeiten fehlen, den sicheren Elfenwald in absehbarer Zeit zu verlassen.“

Okoriath nickte leicht schmunzelnd in Eriks Richtung, was darauf schließen ließ, dass wirklich eine harte Zeit vor dem Jungen lag, und wandte sich dann wieder Adalbert zu.

„Mein lieber Sohn Adalbert, um einmal mit Merthurillhs Worten zu sprechen, deine Aufgabe wird es sein, nach der Lorhdrachin Murwirtha im Eisgebirge zu suchen, um von ihr die geheime Formel zu erhalten.“

„Aber warum sollte sie mir denn die Formel verraten?“, fragte der Junge zweifelnd.

„Glaube mir, sobald du vor ihr stehst, wird Murwirtha wissen, dass du ein Parkardorrh, also ein Seelenträger bist. Außerdem gebe ich dir einen besonderen Botenstein mit, der schon von alters her nur vom Lorhdrachen persönlich an ausgewählte Boten übergeben wurde und dem Empfänger die Echtheit und Wichtigkeit des Trägers bestätigt. Murwirtha wird diesen Edelstein erkennen und dir Gehör schenken, vorausgesetzt, du findest sie, denn das wird die schwierigste deiner Aufgaben sein. Niemand weiß mit Bestimmtheit, ob die alte Drachenlady überhaupt noch lebt. Und wenn dem so sein sollte, kennt keiner ihren genauen Aufenthaltsort. Möge der große Wargos seine riesigen Schwingen schützend über dich halten und dir den rechten Weg weisen.“

Nun griff der Lorhdrache mit der rechten Vorderpranke an sein Horn und zog unter einer großen Panzerschuppe einen kleinen Gegenstand hervor, den er Adalbert reichte. Es war ein handtellergroßer, purpurner Rubin, der linsenförmig geschliffen war und auf dessen einer Seite drei alte Drachenrunen zu erkennen waren. Diese erinnerten Adalbert sofort an die Runen, die sie an der Höhlenwand gesehen hatten. Er nahm den Lederbeutel aus seiner Tasche, in dem er bereits den Wegstein transportierte, den er vom Troll Orax erhalten hatte. Adalbert legte den Botenstein dazu, verschloss den Beutel wieder und steckte ihn wieder in seine Hosentasche.

Unwillkürlich musste er an den Troll denken. Wie es seinem neuen Freund und Lebensretter wohl gerade ging? Hoffentlich war er mit seiner geheimen Widerstandsgruppe noch nicht aufgeflogen und konnte sich den neugierigen Blicken des schwarzen Magiers noch immer erfolgreich entziehen.

„Als Weggefährten werden dich der abenteuerlustige Elf Jordill, der genesene Keiler Tork und der junge Secundus Torgorix begleiten.“

Nun wandte sich der Lorhdrache an den völlig überraschten und strahlenden Torgorix und erklärte, dass er und seine Mutter, Lady Coralljah, sich darin einig seien, ihm diese erste Aufgabe zu übertragen.

„Wir sind beide davon überzeugt, dass du diesem Auftrag gewachsen bist. Spätestens nach deiner bedeutsamen Taufe weiß jeder, dass in dir etwas ganz Besonderes steckt. Deine Aufgabe besteht aber nicht nur darin, die drei zu begleiten und zu beschützen, sondern auch darin, unser Bote zu sein, der den Rat ständig über die Aktivitäten der Eisgruppe informieren wird. Geht davon aus, dass ihr zu dieser Zeit im hohen Eisgebirge mit klirrender Kälte konfrontiert sein werdet. Auch darin wird eine besondere Herausforderung für euch liegen, denn der Kampf gegen große Kälte und rutschiges Eis ist nicht leicht zu bestehen. Nur ein einziger falscher Tritt kann über euer Schicksal entscheiden, da die steilen Felsen des Eisgebirges oft weit über hundert Mannslängen tief sind.“

Das konnte den Jungritter Torgorix nicht entmutigen, denn er konnte ja fliegen und brauchte sich daher vor einem Absturz nicht zu fürchten. Er strahlte stolz über diese wichtige Aufgabe, die er vom Lorhdrachen persönlich erhielt, und freute sich auf das vor ihm liegende Abenteuer mit Adalbert, Jordill und Tork.

Mittlerweile hatte sich Okoriath an Adalberts Vater gewandt und schaute diesem fest in die Augen.

„Auch dir kommt eine besondere Aufgabe zu, erleuchteter Ritter. Dein Auftrag wird dich nach Kronenberg führen, der Königsstadt der Menschen. Du musst König Ekleweif von der ständig wachsenden Gefahr eines Angriffs durch Snordas’ Armee überzeugen. Diese Aufgabe wird sicherlich nicht einfach werden, denn der König ist träge und nicht besonders weitsichtig. Leider hat die Erbfolge ihn zum König bestimmt und nicht seinen jüngeren Bruder Norman, der im Gegensatz zu Ekleweif auch Elfen und Zwergen gegenüber sehr aufgeschlossen ist.

Natürlich darfst du dabei niemals etwas von der Drachenseelein der Brust deines Sohnes erzählen, aber das versteht sich ja von selbst. Doch dein Weg führt dich zuvor durch den Elfenwald Nasli Karillh, wo du eine gewisse Zeit verweilen wirst, weil du von König Erithjull persönlich viele Informationen über das Drachenland erhalten musst, die für deinen Auftrag sehr wichtig sind. Bisher bestand dein Leben nur aus den Farben Schwarz und Weiß. Es gab in deinem Leben nur die bösen Drachen und den guten Drachentöter, der das Land vor dieser angeblichen Gefahr befreien musste. Im Nasli Karillh wirst du erfahren, dass es noch unzählige Grautöne gibt, die zwischen Schwarz und Weiß liegen, dass sich Wahrheiten oft als gemeine Lügen herausstellen und offensichtliche Feinde manchmal die besten Freunde sein können. Außerdem wirst du mehr über die Geschichte unseres Landes erfahren. Fühle dich besonders geehrt, dass König Erithjull sich sofort dazu bereit erklärt hat, diese Aufgabe persönlich zu übernehmen!

Du wirst dem König also zuerst in den Elfenwald folgen. Auch du wirst auf deiner Mission zu deinem König nicht alleine reisen müssen, denn mein alter Freund Kronglogg, der Elf Trulljah und unser aller Freund, der prächtige Hengst Antha, werden dich bis zur Königsstadt Kronenberg begleiten. Ich hoffe, dass sie dich mit ihren wertvollen Erfahrungen bei der Vorsprache vor König Ekleweif unterstützen können.

 

Erik wird euch bis zum Elfenwald begleiten. Er wird dann aber dort bleiben, um sein neues Leben zu beginnen. Hoffen wir, dass er den rechten Weg der Tugend finden wird.

Du siehst, Ritter von Tronte, auch deine Aufgabe ist nicht ganz einfach und es hängt viel von ihrem Gelingen ab. Sollte es wirklich zum Krieg gegen Snordas’ Horden kommen, sind wir auf jeden Verbündeten dringend angewiesen.“

Okoriath sah Adalberts Vater lange in die Augen, als wollte er dort die Antwort auf die Frage finden, ob der Ritter dieser Aufgabe gewachsen war.

„Ich werde alles in meiner Macht Stehende dafür tun, Euch nicht zu enttäuschen, werter Lorhdrache! Den Eltern von Allturith habe ich bereits geschworen, alles zu tun, um ihnen ihren Sohn, den ich in meiner unverzeihlichen Unwissenheit getötet habe, zurückzubringen. Glaubt mir, ich werde meinen Schwur nicht brechen!“, erwiderte Knut von Tronte mit fester Stimme und verbeugte sich tief vor dem Lorhdrachen.

Es kam Adalbert noch immer seltsam vor, dass ausgerechnet sein Vater, der berühmteste Drachenjäger des ganzen Landes, plötzlich völlig anders über diese wunderbaren Geschöpfe dachte und sich hier sogar vor einem Drachen so tief verbeugte. Er freute sich sehr über diese Wandlung. Vielleicht hatte ja auch sein Brief etwas dazu beigetragen, den er ihm vor einer gefühlten Ewigkeit auf dem väterlichen Hof hinterlassen hatte.

***

Tief in den stinkenden Höhlen des Ostlandes unterhielt sich eine Frau, die seit Jahren eine Gefangene des Drachen Furtrillorrh war, mit dem Troll Orax.

„Du musst besser auf deine Freunde aufpassen, mein lieber Orax. Sonst wird es mit euch allen bald ein schlimmes Ende nehmen. Snordas hat überall seine Spione, die fieberhaft nach euch suchen. Besonders scheußlich sind die krabbelnden Kwarzorrhs. Letzte Nacht haben sie den armen Norgork getötet. Zum Glück hatte er seinen kupfernen Halsreif um, der ihn davor beschützte, dass seine Gedanken von Snordas oder von diesen grässlichen Krabblern gelesen werden konnten. Trotzdem wird eine dieser Bestien mit seinem grässlichen Horn, welches es dem armen Norgork in den Kopf gerammt hat, irgendwelche wichtigen Informationen aus seinem Gehirn herausgesogen haben, sonst wären heute Morgen nicht so viele Zargolls hier.“

„Mir sind sie auch schon aufgefallen. Um Norgork tut es mir sehr leid. Wir werden ihn vermissen. Er war jemand, auf den ich mich stets verlassen konnte. Als wir beispielsweise den Menschenjungen befreit haben, der mir seinerzeit das Leben gerettet hat, hatte Norgork die Befreiungsaktion perfekt vorbereitet“, erinnerte sich der große Troll wehmütig an seinen Kameraden.

„Siehst du, mein lieber Orax, genau das mag ich an dir. Du bist in der Lage, zu trauern. Außerdem machst du dir Gedanken nicht nur um deine Zukunft, sondern auch um die deiner Familie und Freunde. Das zeichnet dich besonders aus, denn ihr Trolle seid normalerweise nicht zu solchen Emotionen fähig.“

„Daran bist du ja nicht ganz unschuldig, ehrenwerte Mutter. Hättest du mich nicht vor vielen Wintersonnen nach meinem Kampf mit diesem riesigen Bären wieder gesund gepflegt, dann hätte ich dich wohl niemals wahrgenommen. Ganz im Gegenteil, würdest du nicht unter dem besonderen Schutz des Drachen Furtrillorrh stehen, hätte ich dich mit ziemlich großer Sicherheit schon längst erschlagen, denn mein Hass auf euch Menschen war unbeschreiblich groß. Doch du hast dich nicht davon blenden lassen und hast mich gepflegt, bis ich wieder gesund war. Durch diese Tat und unsere vielen Gespräche hast du mir gezeigt, dass es auch noch etwas anderes gibt als nur den blanken Hass, den uns Snordas und Furtrillorrh immerzu lehren. Ich kann zwar noch immer nicht verstehen, dass du uns, die wir dir so schlimme Dinge angetan haben, trotzdem lieben kannst, aber auch ich habe jetzt bei den Menschen einen Freund gefunden. Wer weiß, vielleicht wird es eines Tages für Adalbert und mich sogar möglich sein, uns in Zeiten des Friedens zu treffen.“

„Adalbert sagst du? So hieß auch mein kleiner Junge“, sagte die Frau leise zu sich selbst und wurde sehr traurig. „Wenn du wüsstest, wie sehr ich mir einen ehrlichen Frieden für unser schönes Drachenland wünsche, mein lieber Orax.“

***

„Etwas enttäuscht bin ich ja schon, dass uns Merthurillh nicht begleiten kann und Antha und Kronglogg mit meinem Vater mitgehen werden“, brachte Adalbert seine Unzufriedenheit darüber zum Ausdruck, dass seine Gruppe so klein war.

„Beide hätten uns sicher nur zu gerne begleitet, aber unser Lorhdrache hat anders entschieden – und das zu Recht. Merthurillh liegt immer noch im Heilschlaf. Wenn er daraus erwacht, wird er mit Zaralljah, dem Chronisten Olstaff und den Elfenkönigen Trillahturth und Erithjull weiter nach Hinweisen auf den seelenlosen Drachen suchen. Antha kann uns nicht in das unwegsame Hochgebirge begleiten, denn die steilen und rutschigen Hänge sind für Pferdehufe extrem gefährlich. Da war die Aufgabe, deinen Vater nach Kronenberg zu begleiten, wesentlich sinnvoller. Unsere Aufgabe verlangt, dass wir uns möglichst zielorientiert aufteilen, um größtmöglichen Erfolg zu haben. Auch Kronglogg hat getobt wie ein Taifun, als er erfuhr, dass er nicht ins Eisgebirge gehen darf. Du weißt ja, wie er sich aufregen kann, aber Lady Coralljah konnte ihn schließlich davon überzeugen, dass dein Vater dringender seine großen Erfahrungen benötigt als du“, beruhigte Jordill den leicht schmollenden Adalbert.

„Willst du damit etwa sagen, dass wir dir als Gesellschaft nicht ausreichen?“, fragte der blaufarbene Torgorix, der sich nun seinerseits in das Gespräch einbrachte.

„O nein, natürlich nicht! Da habe ich mich ja in etwas hineingeritten. Ich freue mich sehr, dass ihr drei bei mir seid“, erklärte Adalbert schnell, um keinen falschen Eindruck entstehen zu lassen, während er liebevoll den großen Keiler Tork zwischen den Ohren kraulte.

Dann wandte er sich an Torgorix: „Jordill und Tork konnte ich ja bereits auf früheren Reisen und Abenteuern gut kennenlernen und das hat uns zusammengeschweißt und unsere Freundschaft vertieft. Aber wir beide hatten seit deiner Drachentaufe kaum die Zeit, uns etwas länger zu unterhalten. Deine Verwandlung von einem kleinen, niedlichen Drachenwelpen zu dem großen und stattlichen Secundus, der uns nun begleitet, kam wirklich überraschend und ich kann es immer noch kaum glauben. Was ich dich aber schon immer fragen wollte, was hast du eigentlich empfunden und gefühlt, als du dich in dieser seltsamen Feuersäule verwandelt hast?“

„Diese Frage haben mir auch schon meine Mutter und die liebe Birgit gestellt, aber es fällt mir schwer, sie zu beantworten. Ich kann dir das nicht genauer erklären, aber ich hatte das Gefühl, dass du die ganze Zeit bei mir warst, als ich von dem glänzenden Licht umgeben war.“

„Das war ich doch auch, wir alle waren bei dir“, antwortete Adalbert verwundert.

„So meine ich das nicht. Irgendwie warst du auch in dem Licht und hast mir Mut zugesprochen. Ich konnte zwar erkennen, dass dein Körper vor der Feuersäule stand, aber deine Seele war bei mir. Natürlich klingt das seltsam, aber ich weiß, dass es genau so war“, versuchte Torgorix zu erklären, was er bei seiner Taufe empfunden hatte. Adalbert wunderte sich, dass er diesen Augenblick nicht auch so empfunden hatte, freute sich aber darüber, dass der Drache es so erlebt hatte.

„Du wirst nie auf alle Fragen die passenden Antworten finden, mein Freund Adalbert. Das Schicksal geht seine eigenen Wege und führt uns bewusst, oft aber auch unbewusst an Orte, die wir weder verstehen noch realisieren können. Ich glaube daran, dass du unserem lieben Torgorix tatsächlich zur Seite gestanden hast, als er deine Hilfe dringend nötig hatte. Du selbst hast bereits mehrfach festgestellt, dass mit dir Dinge geschehen sind, die du dir nicht erklären konntest. Nimm diese besondere Gabe, die du Torgorix unbewusst geschenkt hast, als ein wertvolles Geschenk an“, mischte sich Jordill ein und wollte dann neckend wissen: „Womit beschäftigst du dich denn sonst noch, seit wir vor zwei Tagen die Drachenschule verlassen haben?“

„Mit diesem und jenem. Manchmal frage ich mich, warum Torgorix nichts isst, wenn wir unsere Pausen machen, manchmal muss ich auch an meinen Vater denken, der sich so sehr gewandelt hat und mir am Kaltfließer in allerletzter Sekunde das Leben gerettet hat, sehr oft bin ich mit meinen Gedanken auch bei Merthurillh und hoffe, dass er bald wieder völlig gesund ist. Doch am meisten denke ich über Rorgath nach, der schon lange keinen Kontakt mehr zu mir aufgenommen hat. Ich habe Angst, dass ich ihn nicht mehr rechtzeitig finde.“

„Sorge dich nicht zu viel, sonst vernebelt sich dein Geist und wir können unseren Auftrag die geheime Formel zu finden nicht erfüllen. Wie ich eben schon sagte, vertraue mehr auf dein Schicksal“, versuchte ihn der kluge Elf abzulenken.

„Jordill spricht weise und erfahren, wie es sich für einen klugen Elfen geziemt. Wir Drachen können wesentlich stärker sein, als wir es selbst für möglich halten. Das hast du doch gesehen, als du mich in den dunklen Stollen weit unterhalb der Drachenschule gefunden hast. Ich hatte mich dort verängstigt zurückgezogen und wollte eigentlich nur noch sterben. Doch du hast es mit deiner liebevollen Art geschafft, dass ich wieder an mich glaubte und keine Angst mehr vor der heiligen Prüfung hatte, obwohl ich als halber Wasserdrache wusste, dass ich kein Feuer würde spucken können. Trotzdem kam aus meiner kleinen Kehle ein Feuer, wie ich es noch nie zuvor bei einem Jungdrachen – oder wie du gerade so nett sagtest – bei einem Drachenwelpen, gesehen habe.

Ich glaube fest daran, dass Rorgath nicht stirbt, bevor du ihn gefunden hast. Ich kann mich Jordill nur anschließen, vertraue deinem Schicksal. Und um deine Neugier zu befriedigen: Ich nehme momentan keine Nahrung zu mir, weil ich bald zur Drachenschule fliegen muss.“

„Was hat das denn damit zu tun?“, fragten Jordill und Adalbert zugleich.

„Naja, das ist mir etwas peinlich“, begann der Drache.

„Nun erzähl schon, wir werden dich auch ganz bestimmt nicht auslachen“, versprach Adalbert.

„Ich habe Angst, dass mir schlecht wird, wenn ich dort oben am Himmel fliege. Dann möchte ich nicht auch noch einen vollgefressenen Bauch haben. Außerdem befürchte ich, dass ich gar nicht fliegen kann, denn meine Flügel sind doch viel zu klein, schaut doch selbst“, forderte er die beiden Weggefährten auf und bereitete dabei demonstrativ seine großen und schillernden Schwingen aus, sodass er die wärmende Sonne verdeckte.

„Das sind mit Abstand die tollsten Flügel, die ich je bei einem Drachen gesehen habe“, rief Jordill begeistert und berührte sie vorsichtig.

„Sie sehen nicht nur besonders schön aus, sie sind bestimmt auch mindestens so groß wie die Schwingen von Merthurillh“, fügte Adalbert hinzu.

„Wenn du damit nicht fliegen kannst, dann werde ich von heute an meinen Onkel Tork nur noch tragen“, fügte der Elf hinzu und schlug übermütig ein Rad über den Keiler hinweg.

„In Wirklichkeit hast du gar keine Angst, dass du nicht fliegen kannst, mein lieber Torgorix. Du bist nur unglaublich aufgeregt vor deinem ersten Flug! Glaube mir, wenn ich fliegen könnte, dann würde es mir genauso gehen. Kannst du dir vorstellen, wie aufregend der erste Flug an Merthurillhs Brust war? Ich hätte mir vor Angst beinahe in die Hosen gemacht. Aber auf dieses Erlebnis hätte ich trotzdem nicht verzichtet. Ich glaube, dass dieser Flug das Schönste war, was ich in meinem Leben erlebt habe. Nun mach dir keine Gedanken, sondern flieg los und erobere die Lüfte, mein stolzer Drache!“, forderte Adalbert Torgorix auf.

„Das ist hier nicht die richtige Stelle“, versuchte Torgorix sich zu drücken.

„Es gibt keine bessere Stelle als genau diese hier. Das Gefälle des Hanges ist nur ganz schwach, der Wind steht günstig, du kannst mit Gegenwind starten und die Sicht ist umwerfend. Los, steig auf, du Wolkenstürmer!“, erwiderte Adalbert, der nun nicht mehr locker ließ.

„Los, steig auf, du Wolkenstürmer!“, rief jetzt auch der Elf. Als dann beide zusammen immer wieder diese Aufforderung im nicht wirklich melodischen Sprechgesang trällerten, konnte der arme Drache gar nicht anders, als mit seinen allerersten Flügelschlägen zu beginnen. Dabei stellte sich Torgorix so tollpatschig an, dass Adalbert überzeugt war, hier noch ein gutes Stück Arbeit vor sich zu haben.

„Du musst dich schon in den Wind drehen und viel kräftiger mit deinen Flügeln schlagen, sonst wird das nichts mit dir als Wolkenstürmer“, rief er in den auffrischenden Wind, der eine eisige Kälte zu ihnen herauf blies.

 

Plötzlich pfiff Jordill schrill und erschreckte den Drachen damit so sehr, dass dieser noch kräftiger mit seinen Flügeln schlug. Dadurch erhob sich der blauschimmernde Drache zwei oder drei Ellen in die Luft. Vor Überraschung vergaß er aber, weiter mit den Flügeln für Auftrieb zu sorgen und landete recht unsanft auf dem Bauch. Ein verärgertes Stöhnen kam aus den Tiefen seiner Drachenbrust.

„Du musst schon weiter mit deinen Flügeln schlagen, sonst fällst du vom Himmel wie ein Stein. Und wenn du landen willst, solltest du deine Beine dazu nutzen, nicht den Bauch!“, hänselte ihn der Elf. Adalbert konnte sich nicht mehr zurückhalten und lachte laut los. Jordill stimmte sofort mit ein und der Drache blickte sie etwas verärgert an.

„Na wartet, wer zuletzt lacht, lacht am besten. Ich werde euch schon noch beweisen, dass ich für die Lüfte geboren bin!“

Nur drei kräftige Schläge mit den riesigen Schwingen und Torgorix erhob sich erneut in die Luft.

„Los weiter! Steig auf, du Wolkenstürmer!“, schrie Adalbert voller Stolz auf seinen Freund gegen den eisigen Wind. Mit jedem Flügelschlag erhob sich Torgorix höher und höher und wurde zusehend sicherer in seinen Bewegungen.

„Ich kann es! Ich habe es euch doch gesagt, ich fliege!“, rief der überglückliche Drache den beiden am Boden zu. Dann plötzlich legte er die Flügel etwas an und schoss wie ein Blitz dem Eiswind entgegen.

Er kam näher und näher und langsam wurde Jordill besorgt. „Er muss wieder mit den Flügeln schlagen!“, flüsterte er. Der Drache war jetzt nur noch etwa fünfzig Mannslängen entfernt. Doch als ob er die fürsorglichen Worte des Elfen gehört hätte, erhob er sich mit fünf kräftigen Schlägen so weit in die Luft, dass er wieder auf einer Höhe mit ihnen war. Er änderte seine Flugrichtung und kam dann geradewegs auf die drei am Boden stehenden Freunde zugeschossen. Nur wenige Meter vor ihnen stieg er ruckartig senkrecht in die Luft empor und es schien fast so, als wollte Torgorix tatsächlich die Wolken erstürmen. Sein glückliches Freudengeschrei über seine neu gewonnene Freiheit war bis weit ins Tal hinunter zu vernehmen.

„Spätestens jetzt weiß jeder, dass wir hier sind“, sagte Adalbert etwas beunruhigt.

Was gäbe ich darum, auch wieder so fliegen zu können, erklang eine vertraute Stimme in Adalberts Kopf.

„Rorgath! Endlich höre ich dich wieder! Ich habe mir schon Sorgen um dich gemacht. Wo bist du?“, rief Adalbert laut.

Ich kann dir deine Fragen jetzt nicht alle beantworten, denn … zu schwach …

„Rorgath, ich kann dich nicht mehr verstehen!“, murmelte Adalbert, obwohl er wusste, dass die mentale Verbindung zu seinem Geistdrachen bereits abgerissen war.

Jordill schaute ihn fragend an und Adalbert erzählte ihm, dass der Geistdrache endlich wieder Kontakt zu ihm aufgenommen hatte.

„Du hast nun erfahren, warum unsere Gruppe so klein ist und uns weder Kronglogg noch Merthurillh noch der Hengst Antha begleiten und warum Torgorix nichts essen wollte. Nun hast du auch noch ein Lebenszeichen deines Geistdrachen erhalten. Damit war der Tag doch schon recht erfolgreich, oder was meinst du?“, fragte Jordill.

„Das stimmt. Trotzdem hätte ich gerne noch mehr von Rorgath erfahren. Aber wo ist eigentlich unser Fluganfänger?“

Beide schauten angestrengt in den Himmel empor, doch von Torgorix war weit und breit nichts zu sehen.

Gerade als sie entschieden hatten, nicht mehr länger zu warten, stieß Torgorix mit einem überschwänglichen Kampfschrei durch die Wolken hindurch und raste erneut auf sie zu. Schnell erkannten Adalbert und Jordill, dass er wohl direkt vor ihnen landen wollte, aber genauso schnell hatten sie auch begriffen, dass die Landeeinteilung nicht ganz stimmig zu sein schien. Adalbert brüllte ihm zu, dass er lieber durchstarten sollte. Doch der im Fliegen noch unerfahrene Drache war davon überzeugt, dass er alles unter Kontrolle hatte. Das Ergebnis war eine erneute Bruchlandung auf dem Bauch, die eine regelrechte Furche in den Rasen zog.

„Ich möchte ja nicht als Besserwisser erscheinen, aber wolltest du nicht auf deinen Beinen landen?“, fragte Jordill besorgt und Adalbert fügte hinzu: „Oje, das hat bestimmt wehgetan. Hast du dich verletzt?“

„Nein, nein! Es ist alles in bester Ordnung. Es ist halt noch kein Meister vom Himmel gefallen“, lenkte der Drache von seinen Schmerzen ab.

„Ein Meister nicht, aber ein ungelernter Drache“, erwiderte Adalbert frech, als er merkte, dass Torgorix unverletzt war.

Torgorix revanchierte sich mit einem leichten Flügelschlag gegen Adalberts Schulter, der diesen fast umhaute.

„Ihr glaubt gar nicht, wie wunderschön das ist, wenn man durch die Lüfte fliegen und dort oben die feuchten Wolken küssen kann. Dort oben habe ich einen Adler gesehen, der sogar noch viel höher flog als ich. Ich glaube, er hat mich beobachtet. Vielleicht hat er sich aber auch nur über mich amüsiert. In der Ferne konnte ich sogar die Drachenschule erkennen. Trotzdem ist das Fliegen ganz schön anstrengend und ich habe jetzt einen echten Drachenhunger. Ich könnt glatt ein Wildschwein fressen!“, sagte Torgorix mit einem verschmitzten Augenzwinkern zu Adalbert. Der Keiler Tork grunzte nur gelangweilt. Er wusste, dass er von dem Drachen nichts zu befürchten hatte.

„Wenn du wüsstest, wie sehr ich mir wünschte, fliegen zu können“, antwortete Adalbert sehnsüchtig und erinnerte sich daran, als er, festgebunden an Merthurillhs Brust, zum ersten Mal vom Boden abgehoben hatte und in den Himmel getragen worden war.

„Ich möchte mich bei euch bedanken, dass ihr aus mir einen echten Wolkenstürmer gemacht habt. Ohne euch hätte ich mich wohl nie getraut!“

Der Elf und Adalbert winkten ab. Sie wussten es besser. Kein Drache konnte auf Dauer den Lüften widerstehen.

Die kleine Gruppe machte sich nun wieder auf den Weg, um die alte Lorhdrachin Murwirtha zu finden. Dabei versuchte Torgorix krampfhaft, ein Humpeln zu verbergen.

***

„Mir tut der Hintern weh, ich kann nicht mehr reiten. Können wir nicht eine Pause machen?“, nörgelte Erik.

„Stell dich nicht so an, sonst wird nie ein ganzer Mann aus dir! Außerdem haben wir dir zuliebe doch erst vor zwei Stunden eine längere Pause gemacht“, maßregelte ihn Adalberts Vater.

„Wir sollten in Kürze an eine Stelle des Drachenblutflusses kommen, wo wir unseren Pferden eine längere Ruhepause gönnen können. Wir haben dann ungefähr die Hälfte des Weges zum Nasli Karillh geschafft und liegen damit gut in unserem Zeitplan“, lenkte der Elfenkönig Erithjull ein. Es war dem sensiblen Waldelfen anzumerken, dass er von den Erziehungsmethoden des ehemaligen Drachenjägers nicht allzu viel hielt.

„Was ist denn der Nasli Scharill?“, fragte Erik neugierig.

„Der Wald, der die Heimat der Waldelfen ist, zu denen auch ich gehöre, wird von uns Nasli Karillh genannt, was in deiner Sprache so viel bedeutet wie Lachender Wald. Östlich hinter dem Oberfluss und dem Mittensee heißt der Wald dann Trasli Karillh, was Weinender Wald bedeutet. Sein Name kommt daher, weil vor vielen Menschenleben eine wilde Horde Trolle und Orks über die dort lebenden Elfen hergefallen ist und nahezu alle Kinder entführt oder getötet hat. Zum zukünftigen Schutz vor solchen heimtückischen Überfällen hat sich ein Teil der stärksten und erfahrensten Elfen von den anderen getrennt und wurde zu den Grenzläufern, die ständig die Ostseite mit kleineren Streifen patrouillieren. Einen dieser besonderen Grenzläufer habt ihr bereits kennengelernt, nämlich Wortrillh. Da die Grenzläufer ein riesiges Gebiet vom Zwergenhain ganz im Norden, über die Grenze zum Kalten Land bis hinab in das Zentralland der Menschen überwachen müssen, haben sie sich in kleinen Gruppen organisiert, die eigenständig operieren. Durch diese besonders abgekapselte, für Elfen völlig untypische Lebensweise, wurden die Grenzgänger zu einer eigenen Elfengattung, die sich durch ihre isolierte Zurückgezogenheit, ihre wortkarge Art und ihr stark ausgeprägtes Misstrauen allen Fremden gegenüber auszeichnet“, erklärte der Elfenkönig.