Czytaj książkę: «Tod eines Jagdpächters»
© 2011
eBook-Ausgabe 2011
Rhein-Mosel-Verlag Brandenburg 17, D-56856 Zell/Mosel Tel. 06542-5151 Fax 06542-61158 Alle Rechte vorbehalten ISBN: 978-3-89801-807-4 Lektorat: Gabriele Korn-Steinmetz Umschlagsfoto: Cornelia Czerny
Thomas Sutter
Tod eines Jagdpächters
Kriminalroman
RHEIN-MOSEL-VERLAG
Für meinen Sohn Max, dem ich noch viele Bücher widmen möchte und für Ben, meinen treuen Begleiter auf dem Jakobsweg.
Der Rausch des Jägers
Allein der Gedanke an Pirsch erweckte ein großartiges Gefühl. Sich anschleichen, auflauern, im Hinterhalt geduldig warten, bis der Finger sich am Abzug leicht krümmte. Das erhabene Gefühl des Erlegens. Jedem Raubtier ist dieser Triumph bekannt.
Karl Nirbach hatte sich immer als Raubtier gefühlt, aber im Alltag hatten die Triumphe sehr nachgelassen. Im Geschäftsleben konnte er nicht mehr wie früher zuschlagen. Fette Beute machen war weitaus schwerer geworden. Erfolge waren lange nicht mehr so leicht wie in seinen Jahren in Köln und der ersten Zeit hier in der Eifel. Stattdessen zeichneten sich mittlerweile sogar Niederlagen ab. Die verflixte Staatsanwaltschaft wollte es doch wirklich wissen. Sie würde ihm nichts anhaben können, aber das Prozedere lähmte trotzdem, und die Firma, die er seiner Frau überschrieben hatte, in der er aber immer noch die Fäden zog, hatte Kunden verloren.
Deshalb hatte es ihn besonders gewurmt, in den letzten Wochen seiner Jagdleidenschaft nicht mehr frönen zu können. Seinem Ausgleich, bei dem die Triumphgefühle nie ausblieben.
Sämtliche Hochstände in seiner Pacht waren verwüstet worden. Leere Alkoholflaschen, Müll und Uringeruch waren noch das Harmloseste gewesen. Zwei Hochstände waren angesägt, und ein dritter war in Brand gesetzt worden. Zum Glück hatte er die Mistkerle erwischt. Auch ihnen hatte er, wie dem Wild, nachts aufgelauert. Er hatte sich in einer Art um sie gekümmert, die er seit seiner Jugend kannte und die er für richtig hielt: Keine Polizei. Was auf die Fresse, das wurde immer besser verstanden als Worte. Dabei war er nicht zimperlich vorgegangen. Die Burschen hatten richtig was abgekriegt.
Bei dem vollen Mond hatte er die Taschenlampe gar nicht erst eingeschaltet. Die Lichtstrahlen der matten Scheibe hatten den Weg durch die Tannen erkennen lassen, und es gab nicht viel Unterholz, über das er stolpern konnte. Ein leichtes Lüftchen bog die Bäume und das Knarren klang wie Seufzer. Kleinere Äste knackten unter seinen schweren Schuhen, dann fühlte er wieder leichten, federnden Boden. In der Ferne rief ein Käuzchen.
Mit seinem Schienbein stieß er gegen einen quer liegenden Stamm, aber er strauchelte nicht und brauchte auch jetzt die Lampe nicht einzuschalten, um darüber hinwegsteigen zu können.
Er hatte die Wildschweine flüchten gehört, aber er wusste, sie würden wiederkommen. Höchstens ein, zwei Stündchen in Ruhe auf dem Hochstand ausharren, dann waren sie wieder da.
Mit seinen fünfundfünfzig Jahren war er zeitweilig immer noch die Ungeduld in Person, aber nicht bei der Jagd. Da war Ungeduld ein Fremdwort für ihn. Das Adrenalin, das die Jagd im Körper aktivierte, verursachte genüssliche Wachsamkeit.
Der Wald wurde lichter, und es waren nur noch wenige Meter bis zur Rodung. Der Hochstand lag noch etwa zweihundert Meter weiter am Rande der Lichtung. Vor einer Woche hatte er ihn säubern und ausbessern lassen. Im Gegensatz zu den Wildschweinen würden diese jugendlichen Vandalen nicht noch mal hier auftauchen. Die hatten ihre Lektion bekommen und würden kein weiteres Unwesen mehr treiben. Dafür hatte er gesorgt.
Zuerst dachte Nirbach an ein Glühwürmchen. Aber der winzige glühende Punkt, der einige Meter von ihm entfernt stakkatoartig herumflirrte, war zu schnell für ein Glühwürmchen. Außerdem tanzte er über den Boden und flog nicht in der Luft.
Ein Schreckgedanke lähmte ihn. Konnte es wirklich das sein, was er befürchtete? Argwöhnisch beobachtete er, wie das rote Lichtchen im Zickzack auf ihn zuwanderte und ihn berührte. Wie es sprunghaft an ihm hochkletterte bis zur Brustgegend. Der Jagdpächter griff mit der Hand danach, aber da zeigte sich das rote Fleckchen auf seinem Handrücken, und als er die Hand zurückzog, blieb es wieder an seiner Brust kleben. Langsam bewegte es sich noch ein wenig nach links, wo es genau in der Herzgegend verharrte.
Er duckte sich, riss das Nachtsichtfernglas hoch und spähte in die Richtung, aus der der rote Punkt zu kommen schien. Entlang des Waldrandes war nichts zu erkennen. Auch zwischen den Tannen nahm er nichts Verdächtiges wahr. Dann aber erspähte er tief im Dickicht die Umrisse einer auf dem Bauch liegenden Gestalt in mindestens zweihundert Metern Entfernung, die mit einem Gewehr auf ihn zielte.
Bis zu den schützenden Bäumen war es zu weit, deshalb warf er sich zu Boden. Es gab ein paar Bodensenken und direkt vor ihm befand sich ein kleiner Hügel, dennoch fand das rote Lichtchen ungehindert den Punkt zwischen seinen Augenbrauen. Sofort zwängte er sich tiefer in die Kuhle.
Die Nacht war kühl, trotzdem begann ihm der Schweiß aus allen Poren zu strömen. Er spürte kein Adrenalin, das die Vorfreude der Jagd eben noch durch seine Venen gepumpt hatte, sondern nacktes, nervenzerreißendes Entsetzen.
Langsam tastete er nach seinem Gewehr, obwohl er befürchtete, dass dies seinen Beobachter zum Todesschuss anstacheln könnte. Sein Gewehr befand sich noch in der Tasche. Mit zittrigen Fingern begann er die Druckverschlüsse zu öffnen, und er fühlte das harte Holz seiner Waffe. Sollte er nicht einfach liegen bleiben? Was wollte der Schütze von ihm? Angst einjagen? Das war ihm gelungen. Aber Nirbach würde das nicht einfach so hinnehmen. Er hatte es schon mit einigen harten Jungs aufgenommen und er hasste es, sich vor diesem Mistkerl da drüben im Wald so zu erniedrigen. Der Kerl bluffte. Wahrscheinlich wollte er nur seinen Spaß haben. Aber dem Jagdpächter war absolut nicht nach Spaßen zumute. Er würde abdrücken, sobald er den Unbekannten im Visier hatte.
Seine Finger krampften sich um den Gewehrschaft. Zentimeter für Zentimeter, sehr bedacht, die Waffe am Boden zu halten, zog er sie aus der Hülle zu sich heran. Der rote Punkt war nicht mehr zu sehen. Vielleicht hatte derjenige, der ihm nach dem Leben trachtete, aufgegeben und war abgehauen.
Mit einer schnellen Bewegung wagte Nirbach, das Visier des Gewehrs an das rechte Auge zu bringen. Dann nahm er den roten Punkt, der von seiner Nase zur Stirn wanderte, wieder wahr. In seinem Visier erschienen die fernen Umrisse einer menschlichen Gestalt. Nirbach hatte den Finger bereits am Abzug, aber die Millisekunde, ihn durchzuziehen, blieb ihm nicht mehr.
Ein Anfang ist gemacht
Zuerst hatte er geplant, den Wagen weiter weg zu parken und einige Kilometer durch den nächtlichen Wald zu gehen. Aber das wäre zu riskant gewesen. Er hätte dabei auf andere Jäger stoßen können.
So hatte er das Auto vor dem Fußballplatz abgestellt, der zwischen Loch und Aichen lag. Es war ruhig hier oben. Nachts kam niemand hierher. Das hatte er ausgekundschaftet. Und selbst wenn, der Wagen war gestohlen und nicht mit ihm in Verbindung zu bringen. Morgen würde er ihn irgendwo in Bonn abstellen.
Eine Sache war nun vom Tisch. Ein Teil der Rechnung war beglichen. Aber nur ein Teil, und damit war es nicht getan. Die Wahrheit musste vollständig ans Licht. Vorher würde er keine Ruhe geben. Er fühlte sich sehr gut mit seiner Aufgabe. Einer Aufgabe, die seinen Fähigkeiten entsprach. Schade, dass er heute Nacht nicht durch den Wald wandern konnte. Mit dem Gewehr auf dem Rücken durch den nächtlichen Wald. Wie beim Training, bei dem er immer der Beste gewesen war.
Zahllose Nächte hatte er nachts im Wald verbracht. Eine mondhelle Nacht wie heute war nicht nötig, um im Busch zurecht zu kommen. Er brauchte nur wenige Minuten, bis sich die Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, dann bewegte er sich nachts genauso sicher im Wald wie tagsüber.
Dieser Nirbach hätte sich vorher überlegen sollen, wem er übel mitspielt. Aber Männer wie er überlegen sich solche Dinge nicht. Sie verhalten sich rücksichtslos, so lange, bis sie schließlich an den Falschen geraten. Und dann kann es unter Umständen keine Zeit für Reue mehr geben. Nirbach hatte nichts mehr zu bereuen. Aber seine Frau und dieser Lakai Klötsch. Für die beiden hielt er noch einige Überraschungen bereit.
Langsam fuhr er mit dem Wagen vom Parkplatz in Richtung Aichen. Das Dorf bestand höchstens aus zehn, fünfzehn Häusern und war tausendmal verschlafener als Loch. Die Wahr-scheinlichkeit, hier gesehen zu werden, war gering. Unten bog er auf der Schnellstraße rechts ab. Beim Gasthof »Vier Winden« fuhr er links Richtung Neukirchen und Rheinbach.
Kriminalhauptkommissar Manfred Beltel kommt auf den Hund
Es war wirklich verflixt. Gestern hatte man Manfred Beltel diesen kleinen Köter untergeschoben. Heute war er von der Arbeit nach Hause gekommen und hatte sein Plumeau zerbissen und die Treppe mit Federn übersät vorgefunden. Nun hatte er dem kleinen Biest den Gefallen getan und war mit ihm spazieren gegangen. Kaum war er unterwegs, klingelte sein Handy. Die Dienststelle. Er solle sofort in ein Waldgebiet nahe der Madbachtalsperre kommen. Ein Umweg nach Hause, um die Töle loszuwerden, kostete Zeit. Das Biest musste mit, aber scheinbar waren Autos nicht seine Sache. Auch nicht, wenn es sich dabei um einen wunderschönen Oldtimer handelte, wie den 501 BMW Baujahr 1956. Beltel hatte den Wagen vor drei Jahren von einem Onkel geerbt und restaurieren lassen.
Er liebte das Auto in erster Linie aufgrund von Erinnerungen. Als Dreikäsehoch hatte er auf dem Beifahrersitz neben seinem Onkel kaum über die Windschutzscheibe hinausgucken können. Auf herrlichen Spritztouren hatte er in dem Auto die Welt im Umkreis von bis zu fünfzig Kilometern entdeckt.
Es widerstrebte ihm von ganzem Herzen, den Hund in den Wagen und auf die Polster zu lassen, aber leider ging es nicht anders.
Beltel gab den Versuch sofort auf, den Stinker in den Wagen zu hieven. Der Dackel – oder was für eine Rasse war es eigentlich? – hatte sofort gefährlich geknurrt, als Beltel sich nur zu ihm hinuntergebeugt hatte. Außer Dackel wusste Beltel wirklich nicht, was für eine weitere sture Promenadenmischung da noch seine Gene hinterlassen haben könnte.
Mist, es eilte doch! Trick siebzehn half. Ein Leckerli als Vorspeise, ein weiteres auf den Rücksitz. Der Hund war drin. Aber noch mehr Leckerlis halfen nicht, das Bellen abzustellen. So klein wie er war, so frech und so laut gebärdete er sich. Beltel musste das Viech unbedingt wieder loswerden und zwar schon morgen!
Er stellte das Auto auf dem Waldparkplatz oberhalb der Madbachtalsperre ab. Einige Abendschwimmer hatten ihre Fahrzeuge ebenfalls dort geparkt. Der Sommer hatte gerade erst angefangen und wirklich warm konnte das Wasser noch nicht sein. In jungen Jahren war er selbst sogar schon im Frühling in einen der Seen gesprungen und hatte es von allen seinen Freunden immer am längsten im Wasser ausgehalten. Er konnte Plantschen und Kindergeschrei hören. Das Kläffen des zurückgelassenen Hundes begleitete ihn weit auf dem Waldweg. Dann vernahm er die Stimmen der Kollegen und nach circa hundert Metern, zwischen den Bäumen, sah er sie auf einer Lichtung. Der Köter klang nun, Gott sei Dank, weit entfernt. Kriminalhauptkommissar Hans Funk kam ihm entgegen. Er sah mitgenommen aus.
»Verdammte Sauerei, Manfred«, sagte Funk und wies auf einen jungen Beamten in Uniform. »Der Kollege aus Euskirchen hat kotzen müssen.«
Der junge Mann war leichenblass, aber Funk sah ebenfalls danach aus, als könne sich sein Magen bald umdrehen. Beltel ahnte, was ihn erwarten würde. Die Spurensicherung war noch nicht abgeschlossen.
Langsam ging er auf den Körper zu, der wenige Meter vor ihm lag.
Der Kopf des Mannes war halb weggeschossen und das, was von seinem Schädel noch übrig war, bot einen grausigen Blick auf Gehirnreste. Er trug Jägerkleidung. Ein Gewehr war halb unter ihm eingeklemmt.
Die Wiesenblumen und das Gras hinter ihm waren über mehrere Quadratmeter blutrot gesprenkelt, dazwischen klebten verteilt Klümpchen von Hirnresten.
Beltel hatte in den langen Jahren, die er bei der Mordkommission war, schon einiges zu Gesicht bekommen. Trotzdem konnte er sich, genau wie Kollege Funk, eines flauen Gefühls im Magen nicht erwehren. Die von der Spurensicherung waren da schon um einiges hartgesottener. Die haute so schnell nichts um. Da die Sonne schon ziemlich tief stand und nicht mehr viel Licht gab, wurden die ringsum aufgebauten Flutlichter aktiviert. Dem sich bietenden Bild wurden Sequenzen eines Horrorfilms beigemischt: Rotglühendes Sonnenlicht, das durch den Wald bis auf die Lichtung vordrang, dazu das künstliche Scheinwerferlicht, das sich auf das Blut und die grausigen Hirnreste konzentrierte.
Funk war Beltel gefolgt und stand jetzt neben ihm.
»Wer hat ihn gefunden?«, wollte Beltel von seinem Kollegen wissen.
»Ein Mitarbeiter namens Klötsch«, erklärte Funk. »Der Tote heißt Nirbach. Bauunternehmer, oder vielmehr Ex-Bauunternehmer und Jagdpächter. Klötsch ist der Geschäftsführer der Firma, die Nirbachs Frau Viola gehört. Er war heute Morgen mit ihm verabredet, Nirbach ist aber nicht aufgetaucht. Da er auch den ganzen Tag über telefonisch nicht erreichbar war, ist Klötsch am späten Nachmittag bei ihm zuhause vorbei gefahren. Da er wusste, dass Nirbach letzte Nacht jagen wollte, hat er sich dann hier im Waldgebiet umgesehen.«
»Was wissen wir über den Toten?«, erkundigte sich Beltel.
»Ziemlich wohlhabend. Seine Villa ist nicht weit von hier. Seine Frau ist zurzeit im Urlaub. Klötsch wird sie anrufen und ihr mitteilen, was passiert ist. Er hatte leider nicht mehr die Zeit, auf dich zu warten, aber er kommt morgen früh ins Präsidium. Hab ihn für halb neun bestellt. Er hat was von drei Jungs erzählt, mit denen sein Boss vor vier Nächten ein unangenehmes Zusammentreffen hatte. Ich hab ihre Namen notiert. Sie wohnen hier in Loch. Da sollten wir am besten heute Abend noch vorbeischauen.«
»Unangenehmes Zusammentreffen?«, hakte der Kriminalhauptkommissar nach.
»Die Burschen haben sich an Hochständen vergriffen. Jugendlicher Vandalismus. Klötsch wollte nicht so richtig mit der Sprache raus. Er sagte nur, Nirbach hätte sich die Jungs ordentlich vorgeknöpft. Scheinbar hat er sich dabei aber arg gehen lassen. Ich konnte so viel verstehen, dass Nirbach es nicht bei einer kleinen Abreibung belassen hatte. Einer der Jungs hat angeblich gedroht, Nirbach umzubringen«, erklärte Funk.
»Gut, fahren wir gleich mal nach Loch. Ich rede noch kurz mit den Leuten von der Spurensicherung.«
Der Kriminalhauptkommissar erfuhr, dass keine tatrelevanten Spuren gefunden worden waren. Es gab auch keinerlei Kampfspuren und nur Fußabdrücke, die von Nirbach selbst stammten. Auch das Todesgeschoss war noch nicht aufgetaucht. Wahrscheinlich war das Projektil genau unter dem Toten tief in den Boden eingedrungen. Im Falle eines Querschlägers oder mehrerer abgegebener Schüsse würde man die Erde in einem großen Umkreis sieben müssen. Aber dass Nirbach aus einiger Entfernung mit einem Präzisionsgewehr erschossen worden war, stand fest.
Auf dem Rückweg zum Auto war Beltels Kopf voller dunkler Gedanken. Funk redete, aber der Hauptkommissar hörte nur mit einem Ohr hin.
»Sieht so aus, als hätten diese Jungs dem Jagdpächter einen Grund zum Hass geliefert«, sagte Funk. »Wenn du mich fragst, ich glaube, da wollte sich jemand rächen.«
Beltel wusste, dass man mit voreiligen Schlüssen vorsichtig sein musste. Dieser Job im Wald sah nicht nach der Tat von ein paar Jungs aus. Vielmehr schien dies das Werk eines Profis zu sein. Sein Gefühl sagte ihm, dass die Lösung nicht einfach sein würde.
Dann spukte da auch plötzlich wieder das Problem mit dem Hund in seinem Kopf herum. Diese kleine Plage brachte sein Leben vollkommen durcheinander.
Im Moment hatte er sich offenbar beruhigt. Kein Kläffen war zu hören. Aber so wenig Beltel das Tier kannte, so sicher war er, dass das Kerlchen gleich wieder nerven würde.
»Kennst du dich mit Hunden aus?«, wandte er sich an Funk, der neben ihm ging.
»Mit Hunden? Wieso?«
»Seit gestern Abend habe ich einen. Vollkommen unfreiwillig. Der Nachbar meiner Haushälterin hat ihn mir gebracht. Sie musste plötzlich ins Krankenhaus und der Nachbar kann sich nicht um das Tier kümmern, da er allergisch gegen Hundehaare ist.« Beltel erwähnte nicht, dass seine Haushälterin zur Alkoholentgiftung in die Ehrenwallsche Klinik nach Ahrweiler eingeliefert worden war. Er war selbst total überrascht gewesen, als er davon erfuhr. Karin Münch hatte ihre Arbeit immer sehr gut erledigt. Sie war sauber und zuverlässig. Beltel hätte bei ihr nie ein Suchtproblem vermutet, aber seit sie geschieden war, hatte sie anscheinend ihre Probleme mit Alkohol zu lösen versucht und dies vor ihrer Umwelt längere Zeit verborgen.
Beltel mochte die Frau, sie hatte ihre Arbeit immer gut gemacht, aber die Sache mit dem Hund war zu viel. Er musste das Tier in eine Tierpension geben. Nur wie sollte er auf die Schnelle eine geeignete finden? Dieser Fall mit dem toten Jagdpächter würde ihn vollkommen in Anspruch nehmen. Da konnte er nicht mit einem Dackel in der Gegend herumfahren und Hundepensionen abklappern.
Funk grinste. »Du bist also auf den Hund gekommen?« Etwas ernster fügte er hinzu: »Meine Eltern hatten mal einen Hund. Ich bevorzuge aber Katzen. Marga und ich haben eine. Molly, ein Schmusetier.«
»Das heißt, du kannst mir also auch nicht weiter helfen?«
»Du dachtest, ich hätte mich um den Hund kümmern können?«
»Hätte ja sein können. Aber ich versteh schon. Du hast ’ne Katze und ich nehme an, Marga …«
»Richtig, Marga wäre da garantiert nicht mit einverstanden.«
Beltel hatte es schon geahnt. Terror Dog, weiß Gott, welche Rasse, erwachte sofort, als sie auf den Parkplatz traten und ließ seinen Aggressionen freien Lauf. Funk grinste und Beltel schüttelte verdrossen den Kopf.
Die netten Kollegen
Irgendein Witzbold hatte Beltel das Kalenderblatt vom Mai auf den Tisch gelegt, auf dem ein Dackelwelpe mit großen Augen aus dem Körbchen lugte. Solche Albernheiten waren Standard in seiner Abteilung. Aber nicht nur dort wurde ihm blöd und albern mitgespielt. Sondern auch in seiner Verwandtschaft. Seine Nichte Susanne, die in Bonn studierte, hatte ihn ohne sein Wissen bei einer Internet-Single-Börse angemeldet.
Susanne, die Tochter seiner Schwester, war sein Liebchen. Zwar total schräg, schrill und verzogen, aber tiefsinnig, intelligent und mitfühlend, wenn es drauf ankam. Insofern war er gern der Ansprechpartner, wenn es um Probleme der jungen, selbstbewussten Studentin ging. Meistens waren es wohlhabende Liebhaber, mit denen regelmäßig Beziehungsstress auftauchte, über den sie offen und ausführlich mit ihm, dem eingefleischten Junggesellen, sprach. Mitfühlend, wie sie sein konnte, schien sie es für nicht glaubhaft zu halten, dass er mit seinem Junggesellendasein zufrieden sein könnte. So hatte sie ihm eine Internet-Annonce als Partnersuchender Single eingebrockt. Dummerweise hatte er auf der Arbeit davon erzählt und einige der »netten« Kollegen hatten sofort komplottartig etwas ausgeheckt. Sie hatten ein zu ihm passendes weibliches Profil erfunden, sich ebenfalls in der Internet-Partnerbörse angemeldet und ihn mit charmanten E-Mails aus der Reserve gelockt.
Aus Spaß hatte er sich tatsächlich dazu verleiten lassen, der Anfrage einer vermeintlichen Dame, die so kultiviert und intelligent schreiben konnte, zu antworten. Von Anfang an hatte er aber durchblicken lassen, dass er keinesfalls an einer Partnerschaft interessiert sei, aber er könne sich so etwas wie eine E-Mail-Freundschaft vorstellen. Es war zu dem Austausch einiger Mails gekommen, im Laufe derer die vermeintliche Dame langsam dann doch irgendwie zu aufdringlich wurde und er an dem Punkt angelangt war, nicht mehr zu antworten. Hinterher stellte sich heraus, dass seine lieben Kollegen regelmäßig die Köpfe zusammengesteckt hatten, um diese Mails zu verfassen.
Zwar hatten sie den Scherz nicht auf die Spitze getrieben und sich davor gehütet, eine dieser Mails auszudrucken und irgendwo auf der Etage an ein schwarzes Brett zu hängen, aber das Getuschel und Gekicher in den Büros hatte sie entlarvt.
Er hatte einige Tage gebraucht, um dem Kollegenkreis den dämlichen Scherz zu verzeihen. Auch mit Susanne, die ihm diese Geschichte eingebrockt hatte und der er bis dahin noch nie etwas übel genommen hatte, hatte er eine ganze Woche nicht reden wollen. Aber da er gerade Susanne nicht lange böse sein konnte, hatte er hinterher sogar ein wenig darüber lachen können.
Nun ergötzten sich die Dämel an seiner Hundemisere, aber ihm war wieder nicht nach Witzen zumute. Letzte Nacht hatte der Hund ihn zwar schlafen lassen, und heute hatte er alle Decken, Kissen und was sonst noch den Zähnen des Biests anheimfallen könnte, in einem Schrank in Sicherheit gebracht, aber die Befürchtung, wieder eine böse Überraschung zu erleben, sobald er nach Hause käme, ließ ihn nicht los.
Anfangs hatte er versucht, Susanne anzurufen, in der Hoffnung, dass sie das Tier vielleicht zu sich nehmen könnte, aber nur ihren Anrufbeantworter erreicht. Dann hatte er mit dem Nachbarn seiner Haushälterin telefoniert und ihn gebeten, in Hundepensionen nach einem freien Platz zu fragen.
Der Nachbar informierte ihn über die Hintergründe, die Frau Münch betrafen. Von ihm hatte er erfahren, dass seine Haushälterin mit einer Überdosis Tabletten in ihrer Wohnung aufgefunden worden war. Ein Selbstmordversuch? Beltel hatte es erst nicht glauben wollen. Karin Münch befand sich mittlerweile auf der geschlossenen Abteilung der Dr. von Ehrenwallschen Klinik und war vorerst telefonisch nicht erreichbar. Beiläufig hatte Beltel nach dem Namen des Hundes gefragt. »Butz« klang ja eigentlich niedlich und gestern Abend hatte der Kriminalhauptkommissar auch eine andere Seite des Tieres kennengelernt. Nach einem Spaziergang hatte der Dackel im Wohnzimmer auf dem Sessel gelegen und ihn beim Grübeln beobachtet. Beltel sah es überhaupt nicht gern, dass sich ein Tier auf seinem bequemen Sessel breitmachte, dies hatte ihn geärgert. Er hatte erst gar nicht versucht, den Hund dort runterzujagen, weil er ahnte, dass er nicht nur niedlich, sondern eigensinnig und vielleicht auch bösartig sein konnte, wenn man ihm nicht seinen Willen ließ.
Seiner Gewohnheit, in einem Buch abendliche Entspannung zu finden, war er nicht nachgegangen. Noch hatte er, wie sonst, Musik aufgelegt und etwas Jazz gelauscht. Zu dieser Entspannung gehörte das Alleinsein, und da war dieses beobachtende Wesen in seinem Sessel, das den gewohnten Rhythmus total störte. Als er auch noch ein überlegenes Grinsen in dem Hunde-mischlingsgesicht zu entdecken glaubte, hatte er kapituliert und sich entschieden, sofort ins Bett zu gehen.
Er warf das Kalenderblatt in das Altpapier. Dann entdeckte er das Fax, das halb unter dem Dackelbild gelegen hatte.
Die Anfrage bezüglich Nirbachs und Klötschs etwaigen Vorstrafen war eingetroffen. Nirbach hatte in Köln einen Saunaclub betrieben. Eine Anzeige wegen Förderung der Prostitution hatte ihm eine Geldstrafe eingebracht und eine Betrugsgeschichte hatte zu einer Bewährungsstrafe geführt.
Klötsch hatte noch Besseres zu bieten. Schwere Körperverletzung, Förderung der Prostitution und Einbrüche waren mit einigen Jahren hinter Gittern geahndet worden. Seit den letzten vierzehn Jahren jedoch gab es keinen Eintrag mehr in der Strafregisterkartei.
Der Kriminalhauptkommissar hatte auch die Jugendlichen überprüfen lassen. Frank Bach und Markus Fromm waren noch nicht mit dem Gesetz in Konflikt gekommen, Ralf Schmitter dagegen hatte schon einiges auf dem Kerbholz. Wiederholte Körperverletzung und mehrfacher schwerer Diebstahl waren im Strafregister des Jungen vermerkt. Er hatte jede Menge Sozialstunden leisten müssen und er hatte auch schon den Jugendknast kennengelernt. Zurzeit gab es noch eine offene Bewährung, die er sich eingehandelt hatte, weil er einem Erzieher des Heims, in dem er noch vor einem Jahr gewohnt hatte, eine Cola-Flasche über den Kopf geschlagen hatte. Ralf Schmitter war offensichtlich ein schlimmes Früchtchen. Gestern Abend hatten Beltel und Funk noch mit Frank Bach und Markus Fromm geredet. Schmitter hatten sie nicht angetroffen.
Beltel sah auf die Uhr. Es war neun und Klötsch war noch nicht erschienen. Er wählte Funks Nummer.
»Was ist mit unserem Besuch, hat er sich vielleicht bei dir gemeldet?« Auch Funk hatte nichts gehört.
»Wer hat das Kalenderblatt auf meinen Tisch gelegt, Hans?«, fuhr der Hauptkommissar ärgerlich fort.
Funk erklärte, nichts von einem Kalenderblatt zu wissen.
»Okay«, sagte Beltel, wohl wissend, dass Funk flunkerte, »aber ich finde die Geschichte wirklich nicht lustig. Das Fax aus dem Vorstrafenregister ist mir erst gar nicht aufgefallen, und da geht es mir nah, wie ernst hier die Arbeit genommen wird.«
Natürlich wurden auch in der Mordkommission trotz der Ernsthaftigkeit der Fälle oft Späße getrieben und gelacht. Das gehörte einfach dazu. Eine ständige dunkle, ernste Stimmung trug nicht viel zu klaren Gedanken bei. Aber Beltel war von dem Problem mit dem Köter genervt und er hatte sich Luft machen müssen. Augenblicke später tat ihm seine Verärgerung schon wieder leid. »Schon gut, Hans, aber mir ist wirklich nicht nach Lachen zumute. Ich komme mit einer Menge klar, aber so was …«