Flagschiff Nescafé - Nestlés Aufstieg zum grössten Lebensmittelkonzern der Welt

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In drei Jahren um die Welt: die rasche internationale Verbreitung

Zur internationalen Verbreitung des Nescafés plante Nestlé, neben Orbe weitere Fabrikationseinrichtungen in Frankreich, Grossbritannien, Italien, Deutschland, Australien und in den Vereinigten Staaten zu installieren. Vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs konnte Nescafé in Europa allerdings nur noch in Grossbritannien, den Benelux-Ländern und Frankreich lanciert werden.64 Dabei kam dem Unternehmen entgegen, dass die teuren Egron-Sprühtrocknungsanlagen sowohl zur Herstellung von Milchpulver als auch von Löslichkaffee verwendet und die Investitionsaufwendungen daher mittels «Economies of Scope» relativ rasch amortisiert werden konnten.65

In der französischen Milchfabrik von Boué verfügte das Unternehmen bereits über einen horizontalen Sprühtrocknungsturm für Milchpulver, der ebenfalls zur Produktion von Nescafé verwendet werden konnte. Aus Hygieneüberlegungen war die parallele Nutzung für Milch- und Kaffeepulver allerdings nicht optimal. Deshalb entschieden sich die Techniker von Nestlé, eine vertikale Sprühtrocknungsanlage zu installieren, mit der wesentlich sauberer gearbeitet werden konnte. Zusätzlich mussten Kaffee-Extraktionseinrichtungen (Druckperkolatoren) beschafft werden.66

Vom Zweiten Weltkrieg überschattet, fiel die Einführung des Nescafés in Frankreich ab Juli 1939 jedoch ernüchternd aus: Die Verkaufszahlen waren 1939 und 1940 mit 2000 und 4000 Kisten pro Jahr etwa zehnmal geringer als in der Schweiz und bewegten sich damit etwa auf Augenhöhe mit den Umsatzzahlen in Belgien und den Niederlanden.67 Da die Niederlande nach dem Ersten Weltkrieg zu Nestlés wichtigstem Produktionsstandort aufgestiegen waren,68 hatte Nestlé dort seit längerem vorgesehen, neben gezuckerter und ungezuckerter Kondensmilch auch Milchpulver herzustellen. Die Einführung des Nescafés erwies sich nun als günstige Gelegenheit, eine Egron-Sprühtrocknungsanlage in Rotterdam zu installieren, die sowohl die Produktion von Milchpulver als auch von Instantkaffee zum Ziel hatte. Ebenso sprachen die liberale Aussenhandelspolitik und der verbreitete Kaffeekonsum in den Niederlanden für diesen Produktionsstandort – wobei Nestlé damals vorschwebte, von Holland aus die ganze Welt mit Milchpulver und Nescafé zu versorgen.69 Dieses Vorhaben scheiterte jedoch daran, dass Grossbritannien den Import von Instantkaffee auf ihrem Territorium untersagte. Nestlé entschied sich daher, Nescafé nicht in Rotterdam, sondern in Hayes im Grossraum London zu produzieren.70

Dieser Entscheid zeigt, dass die Nestlé-Direktion schon damals davon überzeugt war, dass Nescafé nicht nur in Ländern mit traditionell hohem Kaffeeverbrauch erfolgreich sein würde, sondern ebenso im britischen Commonwealth of Nations,71 wo im Gegensatz zu Kontinentaleuropa und Nordamerika hauptsächlich Tee getrunken wurde und Bohnenkaffee nur der Mittel- und Oberschicht bekannt war.72 Eduard Müller beschrieb das Marktpotenzial in Grossbritannien in einem Brief an den dortigen Marktchef folgendermassen: «I […] believe quite a number of people in your market, particularly those who belong to the upper middle class, know what good coffee tastes like, and I am sure that many hotels and restaurants, and seaside boarding houses, etc., serve coffee as well as tea. Besides, all the English tourists who have been abroad – and these are surely legion – have had many opportunities of acquiring a taste for coffee.»73 Dabei kam Nescafé entgegen, dass viele Engländer nicht wussten, wie man einen guten Kaffee selber zubereitete. Während in vielen europäischen Staaten die Filtermethode verwendet wurde, kochten viele Briten den Bohnenkaffee noch immer in der Kaffeekanne auf. Zudem wurde der Röstkaffee aufgrund des hohen Teekonsums nur sehr langsam in den Verkaufsgeschäften umgesetzt, sodass er bereits in den Regalen seinen Geschmack verlor, bevor er zu den Kunden gelangt war:74 «Visitors to Great Britain have been notoriously critical of the beverage served there as coffee […]»,75 äusserte sich der Zeitzeuge William Ukers über die Kaffeequalität auf den Britischen Inseln. Der lange haltbare und praktisch konsumfertige Nescafé hatte deshalb in England einen entscheidenden Vorteil gegenüber dem Bohnenkaffee.76

Gleichzeitig musste unbedingt vermieden werden, dass Nescafé als billige Kaffee-Essenz oder als Kaffee-Extrakt betrachtet wurde, welche vor allem in der Unterschicht verbreitet waren. Entsprechend wurde die Werbung den speziellen Verhältnissen angepasst, indem Nescafé nicht wie in der Schweiz als Massenprodukt, sondern als Premium-Produkt für die gehobenen Schichten vermarktet wurde: «[…] it must be realised, that Nescafé is a ‹class› article, and must not be confused with, or regarded as in the category of ordinary extracts. For this reason it does not compete in price with the cheap extracts […].»77 Deshalb war es entscheidend, wie die Vorteile des neuen Instantkaffees an den Kunden gebracht wurden: «First we should explain that Nescafé is made from the very best selected coffee beans only, carefully blended and freshly roasted, and prepared by a complicated secret process which ingeniously preserves the true character and delicate aroma of the choice beans from which it is made»,78 beschrieb Nestlé ihre Vorstellungen, wie das Produkt präsentiert werden sollte. Erst danach wurden als weitere Argumente die einfache und schnelle Zubereitungsart ohne Kaffeesatz genannt, welche auch bei herkömmlichen Kaffee-Extrakten wie Milkmaid Café au lait verwendet wurden. Ausserdem sollte Nescafé nur in erstklassigen Warenhäusern erhältlich sein, um den gehobenen Charakter des Produkts hervorzuheben.79 Bewusst streute Nestlé ihre Werbeschriften für Nescafé in Golf-, Tennis- und Jachtklubs sowie in Zeitungen, die vor allem in der britischen «Upper Class» verbreitet waren.80

Am 19. Juni 1939 wurde Nescafé in Grossbritannien eingeführt. Viele Grossverteiler, Kaffeehäuser und Kinos verlangten allerdings nur die grosse Nescafé-Dose. Nestlé bestand jedoch darauf, dass die Zwischenhändler auch die kleinen Aluminiumtuben in ihr Sortiment aufnahmen, denn viele Konsumenten wollten nicht gleich zu Beginn eine grosse Dose kaufen. Also mussten das neue Produkt und seine Vorzüge zuerst in kleiner Tubenform bekannt gemacht werden.81 Diese Strategie erwies sich als voller Erfolg: «First week’s sales exceeded expectations»,82 konnte Nestlé Ende Juni festhalten, wobei vor allem die Nachfrage nach Instantkaffee in Tubenform bemerkenswert war.83 Zusammen mit der Schweiz und den Vereinigten Staaten zählte Grossbritannien in den ersten Jahren zu den drei wichtigsten Märkten für Nescafé, wo bis 1940 über 80 Prozent der gesamten Verkäufe getätigt wurden.84

Parallel zur Entwicklung in Kontinentaleuropa und Grossbritannien waren bis Ende 1939 auch auf dem amerikanischen Kontinent in Sunbury (Ohio, Vereinigte Staaten) und Magdalena (Argentinien) die ersten Nescafé-Fabrikationsanlagen entstanden.85 In den Vereinigten Staaten, dem damals grössten Markt für Instantkaffee,86 erschien Nescafé im Juli 1939 und fand dort sofort grossen Anklang.87

In den Vereinigten Staaten ging Nestlé bei der Lancierung ihres neuen Löslichkaffees ebenfalls sehr vorsichtig vor: «[…] in 1938 the future of Nescafé was uncertain and the installation in the States was to be erected with a minimum of costs. Consequently the existing driers of the Merrell Soule type were used for making Nescafé.»88 Es zeigte sich jedoch bald, dass dieses Verfahren gegenüber der Egron-Sprühtrocknung erhebliche Nachteile aufwies: Der damit gewonnene Instantkaffee war von deutlich schlechterer Qualität und die Löslichkeit anfänglich ungenügend, weshalb Nescafé in den Vereinigten Staaten zuerst eher experimentell eingeführt wurde und erst in November 1939 von einer eigentlichen Lancierung gesprochen werden konnte.89

Weit gravierender als die technischen Schwierigkeiten war bei der Einführung in den Vereinigten Staaten jedoch das Problem, dass die Produktionskapazitäten in der Fabrik von Sunbury nicht genügten, um Nescafé in einem derart grossen Markt die führende Stellung zu sichern. Entsprechend zurückhaltend musste das Produkt vermarktet werden, denn es war nicht sinnvoll, grosse Werbekampagnen zu führen, aber die geweckte Nachfrage nicht befriedigen zu können.90 Trotzdem wurde bereits 1941 die Hälfte des weltweit hergestellten Nescafés in den Vereinigten Staaten verkauft, die ab diesem Zeitpunkt mit Abstand den grössten Absatzmarkt für Nescafé darstellten.91

Aber auch ausserhalb von Europa und Nordamerika fand Nescafé über die hervorragenden Distributionskanäle von Nestlé eine schnelle Verbreitung: In Argentinien (3000 Kisten) und Südafrika (2500 Kisten), wo Nestlé ab April 1940 den Instantkaffee in der Fabrik von Eastcourt lokal produzierte, sowie in Australien (1700 Kisten) und Malaysia (1100 Kisten), wo Kaffee damals noch praktisch unbekannt war, erreichte Nescafé sofort ansehnliche Umsätze. Bei seiner weltweiten Verbreitung kam dem neuen Pulverkaffee entgegen, dass sich die Nescafé-Dosen problemlos ins Distributionssystem der Kondensmilch-Dosen integrieren liessen und Nestlé dadurch «Economies of Scope» erzielen konnte. Zwei Jahre nach der Einführung in der Schweiz wurde das Instantgetränk bereits in über 30 Ländern92 und auf allen Kontinenten der Erde verkauft.93 «[…] the product was already known in 1940–41 in most countries of the world»,94 hielt ein Nestlé-Mitarbeiter später fest.

Die zwiespältige Bilanz im Zweiten Weltkrieg

Nescafé hatte in allen Ländern, in denen er eingeführt wurde, sofort einen sehr guten Ruf. Allerdings wurde die Lancierung des Instantkaffees durch den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs stark gestört. Ab April 1940 war der Vertrieb von Nescafé in den besetzten Gebieten des Deutschen Reiches und seiner Bündnispartner praktisch nicht mehr möglich, so in Frankreich, Belgien, den Niederlanden und in Norwegen. Gleichzeitig blieben Nestlés Verhandlungen mit den Achsenmächten um eine lokale Produktionsstätte in Deutschland oder Italien vorerst erfolglos. Dadurch waren die Schweiz und Grossbritannien die einzigen Märkte in Europa, auf denen Nescafé nach 1940 noch in grösseren Mengen verkauft wurde.95

 

Aber selbst in der Schweiz war die Produktion von Nescafé streng kontingentiert und von kürzeren Kriegsmassnahmen betroffen: Beispielsweise brachen 1942 die Umsatzzahlen des Nescafés wegen einer Kaffeerationierung zwischenzeitlich um zwei Drittel ein,96 während die Nachfragen nach Nescoré, dem aufgrund der Kaffeeknappheit ab 1943 neben Zichorien auch andere Ersatzprodukte beigemischt wurden,97 stark anstieg.98 Gleichwohl konnte die Produktion und der Verkauf in der Schweiz während der gesamten Kriegsdauer in dem Masse aufrecht erhalten werden, wie die Fabrik in Orbe von der Schweizer Regierung Kontingente zur Produktion von Kaffee zugesprochen erhielt. Diese waren aber oft unzureichend, um die grosse Nachfrage befriedigen zu können.99

Weil Nescafé den Kaffeegeschmack besser konservieren konnte als Bohnenkaffee, war er bei der Schweizer Bevölkerung besonders als Notreserve sehr beliebt, um auch bei allfälligen Rationierungen noch über einen guten Kaffee im Haus zu verfügen.100 Trotz allen Widrigkeiten des Kriegs konnten sich daher die Verkaufszahlen von Nescafé in der Schweiz mehr als verdoppeln.101

Von einer ähnlichen Situation wie in der Schweiz konnte Nescafé während des Zweiten Weltkriegs auch in Grossbritannien profitieren: Der Kaffee war dort im Gegensatz zum Nationalgetränk Tee nicht rationiert worden, was sich sehr positiv auf den Konsum von Instantkaffee auswirkte: Anstelle von Tee tranken die Briten während des Kriegs nun Nescafé.102

Aufgrund der beschränkten Verfügbarkeit von Kaffee und anderen Rohstoffen konnte die Fabrik in Hayes jedoch die auf 500 000 Kisten geschätzte Nachfrage in Grossbritannien nur zu etwa einem Fünftel sättigen.103 Im Hinblick auf die Nachkriegszeit pries es Nestlé deshalb in ihren Werbeschriften als grosses Glück an, wenn man sich in diesen harten Zeiten trotzdem eine Dose Nescafé auf dem britischen Markt ergattern konnte.104


Abbildung 6: Werbung für Nescafé in Grossbritannien, 1943.

Nescafé ersetzte während des Zweiten Weltkriegs nicht nur den rationierten Tee der Briten, sondern spielte auch als Stimulanzmittel bei der Soldatenverpflegung der beiden Krieg führenden Parteien eine aktive Rolle. Die Einführung des Nescafés auf der Seite der Achsenmächte war für Nestlé aus zwei Gründen von Interesse. Einerseits wollte das Schweizer Unternehmen mit der Installation einer Egron-Sprühtrocknungsanlage zur Herstellung von Milchpulver in ihrer norddeutschen Fabrik in Kappeln auch die Produktion von Pulverkaffee aufnehmen.105 Andererseits vermutete Nestlé zu Recht,106 dass nach Kriegsende bei der Einführung von löslichem Kaffee mit starkem Widerstand der bedeutenden, einheimischen Kaffeehandels- und Röstkaffeeindustrie zu rechnen war. Um diese Situation zu umgehen, war Nestlé bestrebt, die Bewilligung zum Verkauf von Nescafé noch während des Kriegs zu erlangen. Die Reichsbehörden waren jedoch nicht bereit, für den Import eines Luxusartikels wie Kaffee wertvolle Devisenbestände einzusetzen. Die Genehmigung der dazu notwendigen Verträge durch das Reichsernährungsministerium wären deshalb gescheitert, hätte die deutsche Tochtergesellschaft nicht das Oberkommando der Wehrmacht eingeschaltet. Nur dank dieser Instanz war es überhaupt möglich, die bereits vor dem Krieg geplanten Anlagen zur Produktion von Nescafé in Kappeln fertigzustellen. Zwar konnte Nestlé die Wehrmacht nicht überzeugen, Nescafé allgemein an ihre Truppen zu verteilen, das Oberkommando gab den neuen Instantkaffee aber sporadisch an gewisse Spezialtruppen ab.107 Zwischen 1943 und 1944 setzte Nestlé auf diese Weise in Deutschland insgesamt etwa 10 000 Kisten Nescafé ab.108

Ganz andere Dimensionen erreichte dagegen die Versorgung der alliierten US-Truppen mit Nescafé, an die Nestlé über 1300 000 Kisten Instantkaffee für die Land-, See- und Luftstreitkräfte lieferte. Nach dem Angriff auf Pearl Harbour 1941 stiegen die Vereinigten Staaten zum wichtigsten Absatzmarkt für Nescafé auf,109 wobei die Armee immer grössere Mengen von Nestlés Instantkaffeeproduktion in den Vereinigten Staaten absorbierte. Die Nachfrage nahm dermassen zu, dass die 1939 eröffnete Produktionsanlage in Sunbury an die Grenzen ihrer Kapazitäten stiess, die Bedürfnisse der Armee und der amerikanischen Zivilbevölkerung nach Nescafé gleichzeitig zu befriedigen. Erschwerend kam ausserdem hinzu, dass Nestlé ab Februar 1942 wegen Blechmangel Nescafé nicht mehr in Metalldosen verpacken durfte, sondern auf Glasverpackungen ausweichen musste.110

Im April 1942 wurde der Kaffee schliesslich als kriegswichtige Ware unter die Kontrolle der US-Regierung gestellt. Von diesem Zeitpunkt an konnten von Sunbury aus nur noch der Binnenmarkt und die US-Armee mit Instantkaffee beliefert werden. Die Versorgung Lateinamerikas musste Nestlé neu von Argentinien111 aus sicherstellen und in Ocotlan (Mexiko) eine zusätzliche Produktionsstätte für Nescafé einrichten, die im Juli 1942 ihre Kaffeeproduktion aufnahm.112 Weil die Milchfabrik in Ocotlan bereits über eine Egron-Sprühtrocknungsanlage verfügte, konnte Nestlé auch hier «Economies of Scope» nutzen, indem zur Milch- und Kaffeepulverherstellung dieselbe Anlage verwendet wurde.113

Weil die Fabrik in Sunbury trotz dieser Entlastung von ihren Produktionskapazitäten her weiterhin an Grenzen stiess und die US-Truppen dringend mit mehr Instantkaffee versorgt werden wollten, bewilligte die US-Regierung Nestlé schliesslich, in Granite City (Illinois) eine zusätzliche Instantkaffeefabrik zu errichten. Mit der Eröffnung von Granite City im Februar 1943 konnte Nestlé ihre Produktionskapazitäten in den Vereinigten Staaten auf annähernd eine Million Kisten pro Jahr erhöhen.114

Selbst mit dieser Erweiterung gelang es Nestlé aber nicht, den US-Markt regelmässig mit Nescafé zu beliefern, da die Militärverwaltung einen grossen Teil der Produktion für sich vorbehielt. Es kam deshalb vor, dass Nescafé in den Vereinigten Staaten während Monaten nicht erhältlich war. 1943 und 1944 wurden fast drei Viertel des in den Vereinigten Staaten hergestellten Nescafés den US-Streitkräften zur Verfügung gestellt.115 Aufgrund dieser Unbeständigkeit konnte Nescafé während des Zweiten Weltkriegs auf dem US-Markt keine feste Kundschaft gewinnen. Andererseits erntete die Marke bei der US-Armee grosse Anerkennung und wurde für ihre Verdienste von der US-Marine mehrmals mit dem «E-Award»116 und 1944 mit dem «Weissen Stern» für «[…] meritorious services on the production front»117 ausgezeichnet, wie der US-Vizekriegsminister Robert P. Patterson schrieb.

Zudem brachten die US-Soldaten Nescafé nach der Landung der alliierten Truppen in der Normandie als Notration in die von den Achsenmächten besetzten Gebiete Europas zurück. In den Niederlanden stiess Nescafé als Produkt der Befreiungstruppen bei der einheimischen Bevölkerung sofort auf grosse Sympathien, und in Frankreich wurde der von den US-Streitkräften verteilte Instantkaffee allgemein als Nescafé bezeichnet.118

Bekannt wurde Nescafé nach Kriegsende in Europa ebenfalls als Teil der Hilfslieferungen in den amerikanischen CARE-Notpaketen,119 welche die Bevölkerung in den vom Krieg gezeichneten Ländern mit lebensnotwendigen Gütern versorgten. Nicht selten wurden die Waren in diesen Paketen wie «der unverhoffte Lichtstrahl aus einer fernen, besseren Zukunft» wahrgenommen,120 denn in den kriegsgebeutelten Gebieten Westdeutschlands litten Ende des Zweiten Weltkriegs viele Menschen unter Nahrungsmangel, und wegen der schlechten hygienischen Verhältnisse herrschten zum Teil sogar Krankheiten wie die Ruhr, Typhus oder Diphterie. Viele Betroffene begegneten der Mangelwirtschaft mit Hamsterei, Improvisation und Schwarzmarktgeschäften.121 Dabei wurde Kaffee auf dem Schwarzmarkt oft als inoffizielles Zahlungsmittel verwendet. Vielfach war dieser allerdings gefälscht.122 Auch Instantkaffee war aufgrund seiner Knappheit als Tauschmittel sehr beliebt.123 Mit dem Marshall-Plan (1947) und der Währungsreform (1948) konnte der Schattenhandel und der Versorgungsmangel in Westdeutschland zwar überwunden werden,124 trotzdem existierte der illegale Handel mit Instant- und Röstkaffee zwischen den Deutschen und den amerikanischen Besatzungsangehörigen vereinzelt noch bis 1952 weiter.125

Über die amerikanischen Besatzungstruppen und Hilfspakete wurde Instantkaffee nicht nur der deutschen Bevölkerung bekannt,126 auch in einem traditionsbewussten Land wie Japan, wo vorwiegend Tee getrunken wurde, entstand dadurch eine moderne Kaffeekultur: Nach dem Zweiten Weltkrieg waren traditionelle Grundnahrungsmittel auf der fernöstlichen Inselgruppe so knapp, dass viele Japanerinnen und Japaner anstelle ihrer Schüssel Reis zu westlichen Nahrungsmitteln wie Kartoffeln und Brot greifen mussten, die von den Amerikanern zur Linderung der Not eingeführt worden waren. Ebenso lieferten die Vereinigten Staaten Milchpulver. Die Milch wollte allerdings nicht allen schmecken. Da die Japaner jedoch auf ihren Nährwert angewiesen waren, wurde sie mit Zucker und ein wenig Instantkaffeepulver, welches von den amerikanischen Besatzungstruppen eingeführt worden war, schmackhaft gemacht. Anfänglich zur Geschmacksverbesserung von Pulvermilch (als sogenannter Milk Modifier) verwendet, entwickelte sich daraus die japanische Löslichkaffeetradition.127

Die Karriere des Nescafés während des Zweiten Weltkriegs weist damit auf den ersten Blick erstaunliche Parallelen zu Coca-Cola auf: Beide Getränke wurden von der US-Armee als kriegswichtige Produkte angesehen und verbreiteten sich durch die US-Truppen auf dem ganzen Globus. Während Coca-Cola dadurch einen enormen Symbolgehalt als Verkörperung des «American Way of Life» erhielt und über die US-Armee innerhalb weniger Jahre im Ausland Fuss fassen konnte,128 lagen die Verhältnisse bei Nescafé etwas anders: Die von Nestlé an die US-Armee abgegebenen Einzelrationen wurden vielfach lediglich mit der Bezeichnung «Soluble Coffee Product» und einer Gebrauchsanweisung versehen, jedoch ohne den Markennamen zu nennen. Auf diese Weise konnten zwar der Ruf und die Popularität des Instantkaffees gestärkt werden, die Marke Nescafé profitierte davon allerdings nur bedingt. Neben Nestlé stellten 1944 nämlich auch zehn weitere Unternehmen – darunter G. Washington’s Coffee und General Foods – den US-Truppen Instantkaffee zur Verfügung, die vom Sonderstatus des Löslichkaffees bei den US-Truppen gleich doppelt profitierten: Erstens konnten die amerikanischen Röstkaffeeunternehmen unter dem Deckmantel der Anonymität wichtige Erkenntnisse zur Herstellung von sofort löslichem Kaffee sammeln, ohne dabei den Ruf ihrer Marke zu schädigen.129 Zweitens wurde der Patentschutz des Morgenthaler-Verfahrens durch die Kriegsbestimmungen in den Vereinigten Staaten weitgehend hinfällig.130 Im Gegensatz zu Coca-Cola konnte sich Nescafé deshalb durch die Unterstützung der US-Truppen gegenüber der amerikanischen Konkurrenz keinen Vorteil verschaffen.131 Ebenso blieben die Versuche, die Verwendung von Nescafé durch die US-Streitkräfte in der Nachkriegszeit als Werbeargument zu nützen, ohne grossen Erfolg.132 In Ländern wie Frankreich, wo Nescafé als Produkt der alliierten Befreiungstruppen einen ausgezeichneten Ruf hatte, wurden viele Konsumenten in den 1950er-Jahren dem Instantkaffee wieder abtrünnig und wandten sich wieder dem althergebrachten Röstkaffee zu, weil sie diesen für qualitativ besser hielten.133

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass der Zweite Weltkrieg die Verbreitung des Löslichkaffees in Grossbritannien, Japan, der Schweiz sowie teilweise auf dem amerikanischen Kontinent beschleunigte und Nestlé in den Vereinigten Staaten zu den wenigen Unternehmen gehörte, die während des Zweiten Weltkriegs im Kaffeegeschäft Gewinne erwirtschafteten.134 Anders ist die Situation dagegen in den übrigen europäischen Staaten und Asien, wo Nestlé die von Japan besetzten Gebiete nicht mehr versorgen konnte, sowie Australien einzuschätzen: Dort verzögerten oder verhinderten die Kriegswirren die Einführung von Nescafé.135 In Dennington (Australien) beispielsweise konnte Nestlé die Instantkaffeeproduktion erst im September 1946 in Betrieb nehmen, weil die australische Regierung Kaffee nicht als kriegswichtiges Gut betrachtete.136