Flagschiff Nescafé - Nestlés Aufstieg zum grössten Lebensmittelkonzern der Welt

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«Pure Coffee» versus «Carbohydrates» – die verlorene Werbeschlacht in Amerika
Der Kampf der Kaffeeverfahren

In den Vereinigten Staaten entstand bereits während des Zweiten Weltkriegs ein bedeutender Instantkaffeemarkt, der 1946 einen Anteil von etwa fünf Prozent am gesamten US-amerikanischen Kaffeeverbrauch erreichte.137 Zu den wichtigsten Protagonisten auf diesem Gebiet zählten neben G. Washington’s Coffee die beiden Milchunternehmen Nestlé und Borden, die in der Nachkriegszeit auf dem US-amerikanischen Instantkaffeemarkt die Regie übernahmen. 1941 brachte Borden ihren Löslichkaffee in zwei verschiedenen Varianten auf den Markt: einerseits als Kaffeepulver nach dem Morgenthaler-Verfahren, dem zusätzliche Kohlenhydrate zur Aromakonservierung beigemischt wurden, andererseits aber auch einen Instantkaffee, dessen Kohlenhydrate direkt aus der Kaffeebohne extrahiert wurden. Bereits während der Kriegsjahre führte Borden erste Marktstudien zur Beliebtheit der beiden Herstellungsverfahren durch, die dem US-Unternehmen zeigten, dass die Amerikaner den reinen Instantkaffee ohne zusätzliche Kohlenhydrate bevorzugten. Unmittelbar nach Kriegsende begann Borden in einer grossangelegten Werbekampagne Borden’s Instant Coffee als reinen Instantkaffee zu propagieren und entwickelte sich bis 1948 neben Nestlé zum zweitwichtigsten Instantkaffeeunternehmen auf dem US-Markt.138

Aufgrund der gefährlichen Konkurrenzsituation mit Borden erwog Eduard Müller 1946, in den Vereinigten Staaten neben dem Morgenthaler-Verfahren Nescafé ebenfalls als reinen Löslichkaffee auf den Markt zu bringen.139 Wie Borden hatte auch Nestlé die Idee weiterverfolgt, einen Instantkaffee ohne zusätzliche Kohlenhydrate hervorzubringen. Dabei galt es das entscheidende Problem zu lösen, den Extraktionsgrad der Kaffeebohne zu erhöhen, ohne die Qualität des Kaffeegeschmacks in der Tasse zu beeinträchtigen. Da Nescafé ursprünglich mit einem Bohnenkaffee konkurrenzfähig sein sollte, wurde sein Extraktionsgrad etwa gleich hoch wie bei einem traditionell hergestellten Filterkaffee (24 bis 28 Prozent)140 gewählt. Weil der lösliche Kaffee damals diesen Anforderungen allerdings nicht vollkommen gerecht werden konnte,141 erhöhte Nestlé der Extraktionsgrad bis 1941 von anfänglich etwa einem Viertel auf 29 Prozent – das Endprodukt erhielt dadurch aber einen bitteren Beigeschmack. Erst 1943 gelang es Nestlé dank einem ausgeklügelten Prozess, über einen Drittel der Kaffeebohne zu extrahieren. Bis 1948 konnte diese Extraktionslimite in den Forschungslaboren in Orbe nicht überschritten werden, ohne dass die Qualität des Produkts gelitten hätte.142

Ein weiteres Problem bei der Produktion von reinem Instantkaffee lag darin, dass die Dichte und das Gewicht des Pulvers im Vergleich zum Morgenthaler-Verfahren zunahmen und die richtige Dosierung mit dem Kaffeelöffel bei der Zubereitung dadurch erschwert wurde. Die US-Konkurrenz löste das Problem, indem sie einen grobkörnigen Instantkaffee herstellte. Blindtests in den Nestlé-Laboratorien zeigten allerdings, dass der grobkörnige Instantkaffee den Geschmack und das Aroma weniger gut konservierte, wobei dieser Effekt mit steigendem Extraktionsgrad abnahm. Mit einer erhöhten Extraktion der Kaffeebohne wiederum entstanden unerwünschte Nebenprodukte, die den Geschmack negativ beeinflussten, weshalb der nach dem Morgenthaler-Verfahren hergestellte Löslichkaffee dem reinen Instantkaffee qualitativ überlegen blieb. Aus diesen Überlegungen heraus entschied sich Nestlé schliesslich, weiterhin auf das Morgenthaler-Verfahren mit den hinzugefügten Kohlenhydraten zu setzen.143

Im Gegenzug zu den Werbeattacken von Borden betonte das Schweizer Unternehmen deshalb den Vorteil der Kohlenhydrate, die zu einem qualitativ besseren Kaffeegeschmack führten. 1947 beabsichtigte die US-Tochtergesellschaft sogar, Nescafé mit der Werbefigur «Joe Carbohydrate» zu vermarkten, die den Geschmack und das Aroma des Kaffees in der Tasse schützte, bis das heisse Wasser beigegeben wurde. Obwohl sich Nescafé mit dieser Kampagne gegenüber der Konkurrenz hätte profilieren können, stoppte die Führung in Vevey dieses Ansinnen schliesslich mit folgender Begründung: «But – there is a but. If we go the whole hog in boosting the carbohydrates, we close the door tightly in case we should some day like to switch to the straight [Instantkaffeeherstellung ohne hinzugefügte Kohlenhydrate]».144 Zu gross war die Gefahr, dass «Joe Carbohydrate» Nescafé in eine Sackgasse führen würde. Stattdessen wurde Nescafé als «A quick cup of full flavored coffee» vermarktet, wobei den Kunden erklärt wurde, dass der volle Kaffeegeschmack nur dank den hinzugefügten Kohlenhydraten erreicht würde.145

Gleichzeitig versuchte Nestlé den Qualitätsvorteil des Morgenthaler-Verfahrens durch einen konsequenten Patentschutz sicherzustellen. 1946 leitete das Unternehmen gegen verschiedenen US-Konkurrenten Gerichtsverfahren wegen Patentverletzung ein,146 die das Morgenthaler-Verfahren im Zweiten Weltkrieg zu imitieren begonnen hatten.147 Der Patentschutz des Morgenthaler-Verfahrens war in den Vereinigten Staaten allerdings von Anfang an sehr umstritten gewesen, weil dort sowohl die Herstellung von sprühgetrocknetem Löslichkaffee als auch das Hinzufügen von Kohlenhydraten – allerdings in ganz anderen Dimensionen – bereits bekannt gewesen waren.148 Das Gerichtsverfahren verlor Nestlé 1949 schliesslich.149 Entscheidend war letztlich aber weniger der Ausgang als die Wirkung des Verfahrens, denn die Furcht davor bewog zahlreiche US-Unternehmen, ab 1946 ihren Löslichkaffee ohne die Beigabe von Kohlenhydraten herzustellen und reinen Instantkaffee mit grossem Werbeaufwand zu vermarkten. Der Kampf um die zukünftige Position auf dem amerikanischen Instantkaffeemarkt verlagerte sich dadurch von der juristischen auf die Vermarktungsebene.

Ob sich das Morgenthaler-Verfahren von Nestlé oder der reine Instantkaffee der US-Konkurrenz durchsetzen würde, war 1946 noch völlig offen: «I cannot say whether this tremendous advertising campaign of theirs will turn the tide entirely in favor of the pure, but no doubt there is a big danger there»,150 schätzte Eduard Müller die Situation in den Vereinigten Staaten ein. Beunruhigend war für Nestlé vor allem das Verkaufsargument der Konkurrenz, einen reinen Instantkaffee herzustellen – denn während der «pure coffee» bei den amerikanischen Käufern auf ein sehr positives Echo stiess, wurde Nescafé zunehmend als Kaffeemischung betrachtet. Doch solange die Qualität von Borden’s Instant Coffee nicht an diejenige des Nescafés herankam, schien das Schweizer Produkt gegenüber der US-Konkurrenz bevorzugt zu werden. Bis 1948 konnte Nescafé seine Führungsstellung auf dem US-Markt behaupten:151 «America drinks more Nescafé than all other instant coffees combined»,152 betonte Nestlé stolz auf ihren Werbeanzeigen.

Generell belebte die Rivalität zwischen den beiden Herstellungsverfahren das Instantkaffeegeschäft in den Vereinigten Staaten. Durch den intensiven und kostspieligen Werbekrieg zwischen Nestlé und Borden wurde der Instantkaffee immer bekannter. Der wachsende Markt weckte auch bei den grossen US-Kaffeeröstern wie General Foods mit Maxwell House und Sanka sowie Standard Brands mit Chase & Sanborn das Interesse, im grossen Stil auf diesem Gebiet tätig zu werden. Dadurch erhöhte sich der Wettbewerbsdruck, wobei sich der Markt in zwei Fraktionen teilte: Auf der einen Seite Nescafé und Chase & Sanborn, die dem Löslichkaffee geschmacksneutrale Kohlenhydrate beigaben, auf der anderen Seite Borden’s Instant Coffee und Maxwell House Instant Coffee, die einen reinen Instantkaffee ohne Zusatzstoffe propagierten. In der Folge entwickelte sich eine erbitterte Werbeschlacht zwischen den vier Nahrungsmittelgiganten um die Vorherrschaft auf dem amerikanischen Instantkaffeemarkt.153

Während Kontrahenten wie Borden auf ein gewaltiges Distributionsnetzwerk zurückgreifen konnten und mit aggressiven Werbemethoden wie einer «Geld-zurück-Garantie»154 die Kundschaft für sich zu gewinnen versuchten, war Nestlé in den Vereinigten Staaten relativ schlecht verankert und musste sich mit Werbemassnahmen zurückhalten, da es die Produktionskapazitäten in Sunbury und Granite City in der unmittelbaren Nachkriegszeit nicht zuliessen, den Absatz von Nescafé wesentlich zu erhöhen. Als Folge davon konnte die US-Konkurrenz durch ihre Werbeaktionen ein wesentliches Stück des amerikanischen Instantkaffeemarktes auf Kosten des Schweizer Unternehmens für sich gewinnen.155

Obschon Nestlé 1948 ihre Produktionskapazitäten in den Vereinigten Staaten mit der Eröffnung von zwei neuen Instantkaffeefabriken in Freehold an der Ostküste und in Ripon an der Westküste wesentlich erweiterte,156 gelang es Borden und General Foods zwischen 1948 und 1952 dank enormem Werbeaufwand, das amerikanische Publikum davon zu überzeugen, dass nur ein reiner Instantkaffee auch ein «100 % real coffee» sei, und damit das qualitativ bessere Morgenthaler-Verfahren in ihrer Gunst zu überflügeln.157

Angesichts der Tatsache, dass von den grossen Instantkaffeemarken 1952 neben Nescafé nur noch G. Washington’s Coffee mit beigefügten Kohlenhydraten angeboten wurde,158 stand Nestlé gegen die gemeinsame Front der finanzstarken US-Kaffeeindustrie, welche den reinen Instantkaffee propagierte, auf verlorenem Posten. Innerhalb von zwei Jahren (1950–1952) konnte der reine Instantkaffee seinen Marktanteil gegenüber dem Löslichkaffee mit Kohlenhydraten von 30 Prozent auf 50 Prozent steigern. Marktumfragen zeigten, dass nun über zwei Drittel der Amerikaner den «pure instant coffee» klar bevorzugten. Damit hatte der reine Löslichkaffee auf dem amerikanischen Instantkaffeemarkt endgültig die Oberhand gewonnen.159 Besonders ausgeprägt war diese Entwicklung in New York – dem Zentrum des Instantkaffeekonsums160 – zu beobachten, wo Borden’s Instant Coffee 1951 zur beliebtesten Instantkaffeemarke aufstieg, während Nescafé hinter Maxwell House nur noch die drittwichtigste Marke in diesem Segment darstellte.161 In den gesamten Vereinigten Staaten blieb Nescafé zwar bis 1952 mit einem Umsatzwachstum von 13 Prozent pro Jahr die führende Instantkaffeemarke. Ihr Marktanteil war aber innerhalb von vier Jahren bedrohlich von 46 Prozent auf 36 Prozent geschrumpft.162 Ausserdem erhielt Nescafé wegen der hinzugefügten Kohlenhydrate immer mehr den Ruf eines koffeinarmen Kaffees und wurde von Ärzten an Patienten verschrieben, die auf Koffein empfindlich reagierten.163

 

Angesichts der steigenden Werbeausgaben bei sinkenden Marktanteilen war es für Nestlé wenig sinnvoll, das qualitativ bessere Morgenthaler-Verfahren gegen die gesamte US-Konkurrenz weiter zu verteidigen, wenn ein zufriedenstellender Instantkaffee auch ohne zusätzliche Kohlenhydrate gewonnen werden konnte.164 Ausserdem gerieten Nescafé und Nescoré wegen der hinzugefügten Kohlenhydrate auch in anderen Ländern zunehmend ins Visier der öffentlichen Kritik und der Behörden: In der Schweiz bezeichnete der Migros-Gründer Gottlieb Duttweiler 1947 die Beigabe von Kohlenhydraten als «bewusste Täuschung des Konsumenten»165 und verklagte Nestlé später des unlauteren Wettbewerbs,166 während das Verfahren von Morgenthaler in Kaffee produzierenden Ländern wie Kolumbien, El Salvador und Brasilien zunehmenden Attacken von Seiten der mächtigen Kaffeeinstitutionen ausgesetzt war. In Guatemala wurde die Einfuhr von Nescafé wegen der hinzugefügten Kohlenhydrate sogar verboten.167

Die leise Wende zum reinen Instantkaffee

Nachdem Nestlé 1942 zur Herstellung ihres Instantkaffees erstmals ein auf Dampf basierendes Verfahren verwendet hatte,168 wählte das Unternehmen Ende 1943 Chile als Testmarkt aus, um dort einen mit höheren Extraktionsgraden hergestellten Nescafé zu lancieren. Als im Mai 1945 die lokale Instantkaffeefabrik in Graneros schliesslich ihren Betrieb aufnehmen konnte, brachte Nestlé erstmals einen stärker extrahierten Nescafé auf den Markt. Die Akzeptanz fiel sofort zufriedenstellend aus und ermutigte zu weiteren Experimenten in diese Richtung.169 Bis 1948 gelang es Nestlé, den Extraktionsgrad in Graneros auf 40 Prozent zu erhöhen. Allerdings mussten dem auf diese Weise hergestellten Nescafé immer noch zehn bis 15 Prozent geschmackskonservierende Kohlenhydrate beigegeben werden.170

Da es in Chile nicht gelang, den Extraktionsgrad weiter zu erhöhen, wurden die Extraktionstests in Kolumbien weitergeführt,171 wo Nestlé im Januar 1947 eine neue Produktionsanlage in Bugalagrande errichtet hatte.172 Das Projekt einer neuen Milch- und Kaffeepulverfabrik in Kolumbien war während des Zweiten Weltkriegs entwickelt worden, um damit die angespannte Situation bezüglich der Nescafé-Produktion in Sunbury zu entlasten und den kolumbianischen Markt mit Kindernahrung versorgen zu können. Kolumbien eignete sich als Produktionsstandort, weil der in den Vereinigten Staaten produzierte Nescafé einen hohen Anteil an kolumbianischen Kaffeebohnen aufwies und Nestlé in Kolumbien hauptsächlich Lactogen verkaufte.173 Zudem erhielt das Projekt auch von der US-Armee sofort Unterstützung, weil im Frühjahr und Sommer 1942 zahlreiche Kaffeehandelsschiffe auf ihrer Fahrt zwischen Brasilien und den Vereinigten Staaten von deutschen U-Booten versenkt worden waren, und mit einer Fabrik in Bugalagrande die deutsche Blockade im Atlantik über den Pazifik umgangen werden konnte.174

Mit der Eröffnung der Fabrik in Granite City (1943) wurde das Fabrikprojekt in Bugalagrande jedoch auf einen Viertel der ursprünglich geplanten Produktionskapazitäten redimensioniert, weil Nestlé die Nachfrage der US-Armee nach Instantkaffee aus Kolumbien nicht mehr gesichert schien. Da in Kolumbien die Einfuhr von Kaffeebohnen aus anderen Ländern untersagt war und Nestlé aus diesem Grund in Bugalagrande Nescafé nur aus den hochklassigen – aber verhältnismässig teuren – kolumbianischen Kaffeebohnen herstellen konnte, war der dort produzierte Instantkaffee wesentlich teurer, als wenn er in Argentinien oder den Vereinigten Staaten hergestellt worden wäre. Damit die Konkurrenzfähigkeit des in Bugalagrande produzierten Instantkaffees trotzdem gewährleistet blieb, entschied sich Nestlé, in Kolumbien auf die Beigabe von zusätzlichen Kohlenhydraten zu verzichten und diese stattdessen aus der Kaffeebohne selbst zu extrahieren.175 Deshalb wurde der Extraktionsgrad 1949 in Bugalagrande sogar auf 45 Prozent erhöht, wobei dieser Instantkaffee qualitativ nicht mit dem Morgenthaler-Verfahren mithalten konnte. Allerdings stand bereits damals die Vermutung im Raum, dass der in Kolumbien hergestellte Nescafé dem Instantkaffee von Borden geschmacklich überlegen war.176

Aufbauend auf dieser Annahme entschied sich Nestlé am 4. Mai 1950, Nescafé als Qualitätsmarke weiterhin nach dem Morgenthaler-Verfahren herzustellen, gleichzeitig aber unter einer neuen Marke einen reinen Instantkaffee einzuführen. Der neue Instantkaffee sollte zuerst die Akzeptanz der Konsumenten erproben, bevor Nestlé das Verfahren auch bei Nescafé anwenden wollte.177

1951 führte Nestlé mit Nestlé’s Instant Coffee ihren ersten zu 100 Prozent aus Kaffeebohnen bestehenden Löslichkaffee in den Vereinigten Staaten ein.178 Dieser wies – analog zu den Konkurrenzprodukten von Borden und General Foods – eine grobkörnige Konsistenz auf179 und war in erster Linie als Kampfmarke gegen Borden’s Instant Coffee gedacht. Vom Geschmack her konnte das neue Produkt allerdings nicht mit Nescafé mithalten. Jede Ähnlichkeit zwischen Nestlé’s Instant Coffee und Nescafé wurde deshalb vermieden.180

Die Einführung des neuen Produkts brachte die Verantwortlichen von Nestlé jedoch bald in ein grosses Dilemma: Einerseits konnte sich Nestlé’s Instant Coffee dank aggressiven Spezialofferten wie Gutscheinen und Rabatten sowie grossangelegten Werbekampagnen in Zeitungen, Rundfunk und Fernsehen, sofort als viertwichtigste Instantkaffeemarke hinter Maxwell House, Nescafé und Borden’s Instant Coffee etablieren und trug damit wesentlich dazu bei,181 dass Nestlé ihren Marktanteil von 37 Prozent in den Vereinigten Staaten halten konnte. Andererseits kam es das Schweizer Unternehmen auf die Dauer sehr teuer zu stehen, zwei Instantkaffeemarken gleichzeitig auf dem stark umkämpften US-Markt zu bewerben. Ein entscheidender Nachteil dieser Doppelmarken-Strategie war zudem, dass sich die Einführung von Nestlé’s Instant Coffee auf den Umsatz von Nescafé negativ auswirkte.182 Nestlé riskierte, ihre Nescafé-Kunden an Nestlé’s Instant Coffee zu verlieren, ohne zusätzliche Kunden der Konkurrenz zu gewinnen. Somit drohte Nescafé langfristig von Nestlé’s Instant Coffee in den Schatten gestellt zu werden, wobei Nestlé auch alle Sympathien, welche sich das Unternehmen mit der Marke Nescafé erkämpft hatte, gleich wieder verspielt hätte.183

Viele Gründe sprachen deshalb dafür, Nescafé ebenfalls als reinen Instantkaffee anzubieten, anstatt Nestlé’s Instant Coffee zu forcieren.184 Nach einer sehr lebhaften Diskussion unter den Nestlé-Technikern am 4. April 1952 entschied sich das Unternehmen schliesslich, Nescafé als reinen Instantkaffee herzustellen,185 obwohl allen Beteiligten klar war, dass dieser von der Qualität her eher schlechter sein würde als das bisherige Produkt.186 Gleichzeitig sollte Nestlé’s Instant Coffee als Kampfmarke gegen die US-Konkurrenz weitergeführt werden.187

Nachdem dieser Entscheid gefällt worden war, musste weiter geklärt werden, ob der reine Instantkaffee mit dem Agglomerationsverfahren, welches die Nestlé-Forscher in Marysville (Vereinigte Staaten) zur Herstellung von Nestlé’s Instant Coffee verwendeten, oder mit dem in Vevey entwickelten «Low Density Powder»-Verfahren hergestellt werden sollte. «Low Density Powder» (LDP) hatte den grossen Vorteil, dass es dank seiner geringen Dichte optimal mit einem Kaffeelöffel dosiert werden konnte und die Zubereitung somit wesentlich einfacher war als mit dem grobkörnigen Nestlé’s Instant Coffee.188

Als erster Produktionsstandort zur Herstellung von Nescafé mit dem LDP-Verfahren wurde schliesslich die 1952 errichtete Fabrik in St. Menet (einem Vorort von Marseille) gewählt, welche in Europa damals die modernste ihrer Art war.189 Am 6. August 1952 gelang es den Nestlé-Technikern dort erstmals, ein leichtes Kaffeepulver herzustellen, das nur aus Kaffeebohnen bestand.190 Einen Monat später lancierte Nestlé in Frankreich Nescafé erstmals als reinen Löslichkaffee.191 Die Einführung erfolgte allerdings aus verschiedenen Gründen auf leisen Sohlen:

Erstens mussten zuerst die Vorratslager des mit zusätzlichen Kohlenhydraten angereicherten Nescafés abgebaut und dabei vermieden werden, dass bei der Kundschaft der Eindruck entstand, die alten Nescafé-Dosen seien nicht von ebenbürtiger Qualität. Zudem konnte Nestlé – nachdem das Unternehmen jahrelang damit geworben hatte, dass Kohlenhydrate die Haltbarkeit des Instantkaffees entscheidend verbessern würden – nicht plötzlich die Ansicht vertreten, dass der reine Nescafé fast ebenso haltbar sei, ohne dass dies der eigenen Glaubwürdigkeit geschadet hätte. Aus diesen Gründen vermied Nestlé einen schockartigen Übergang zum neuen Verfahren und führte den zu 100 Prozent aus Kaffeebohnen bestehenden Instantkaffee fliessend und ohne grosse Werbekampagnen ein.192

Zweitens traten grosse technische Probleme auf, als Nestlé in den Vereinigten Staaten «Low Density Powder» herstellen wollte. Zwar konnte im November 1952 die Produktion dieses Pulvers in Sunbury gestartet werden, das Endprodukt vermochte jedoch den hohen Qualitätsanforderungen von Nestlé nicht zu genügen. Erst im Juni 1953 gelang es der US-Tochtergesellschaft schliesslich, in Ripon und Sunbury Nescafé ohne zusätzliche Kohlenhydrate herzustellen.193

Drittens musste Nestlé eine Abwanderung all jener US-Kunden zu verhindern versuchen, die Nescafé wegen seines angeblich tieferen Koffeingehalts tranken. Deshalb brachte Nestlé praktisch zeitgleich mit dem reinen Nescafé im Oktober 1953 ebenfalls einen koffeinfreien Löslichkaffee unter der Marke Decaf194 auf den US-Markt, obwohl dieser in Konsumententests geschmacklich nicht vollends zu überzeugen vermochte.195 Weil dies allerdings auch auf die Konkurrenzprodukte (Kaffee HAG und Sanka von General Foods)196 zutraf und die loyale Kundschaft von koffeinfreiem Kaffee diesen nicht primär aufgrund seines Geschmacks wählten – sondern weil sie glaubten, dass sie mit dem koffeinfreien Produkt besser schlafen, verdauen oder arbeiten könnten –, sah Nestlé die Markteinführung trotzdem als gerechtfertigt an.197

Statistiken zeigen, dass die effektive Ablösung des Morgenthaler-Verfahrens durch das sogenannte Straight-Verfahren,198 mit welchem sich ein reiner Instantkaffee herstellen liess, in Nordamerika 1953 und weltweit 1954 stattfand.199 Beim Straight-Verfahren wurde der flüssige Instantkaffee erstmals mit Dampf extrahiert und stellte die Herstellung des Nescafés auf eine neue Grundlage. Aus technischer Sicht wurde Nescafé, wie wir ihn heute kennen, erst 1953/54 erfunden, als mit der Verwendung von Eindampfern eine neue Instantkaffeegeneration entstand.200

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