MAGAZIN für Abenteuer-, Reise- und Unterhaltungsliteratur

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Nehmen wir dieses gewiss zufällige Zusammentreffen von Vorstellungen als symbolisches Synonym, als streiflichtartige Erkenntnis, dass trotz mannigfacher Veränderungen in den Jahrzehnten seines Bestehens der Heftroman die Grundkonzeption seines Wollens nie verließ: Entspannung durch Spannung! Mögen sich Wertvorstellungen und allgemeines Lebensgefühl gewandelt, mögen technische Errungenschaften oder humanitäre Erkenntnisse die Basissituationen der Serien beeinflusst, sie sogar verändert haben – im Grunde ist der Heftroman noch immer der nuancenreiche Unterhalter, als der er um die Jahrhundertwende zu seinen Lesern kam. Dass er inzwischen, nachdem in den

zwanziger Jahren der Rundfunk und nach dem Zweiten Weltkrieg das Fernsehen nicht mehr „Alleinunterhalter“ sein konnte, wollten manche Stimmen schon zu seinem Todesurteil ummünzen. Nun, noch lebt der Heftroman, auch wenn er möglicherweise in näherer oder fernerer Zukunft unter die Fittiche seines zwar jüngeren, dennoch größeren Bruders, des milieuidentischen Taschenbuches schlüpfen muss. Doch das ist zu nicht geringem Teil eine Frage der Kostenentwicklung, deren Beantwortung nicht allein bei den Herstellern von Heftlektüre liegen kann, da sie allgemeinen Charakters ist.

Wer also einem Lesestoff nicht gram sein kann, der oft in schlimmen Niederungen von Sprache und Habitus weilte und dennoch stets das Hohelied des Sieges der Vernunft, der Wohlanständigkeit sang, der nie müde wurde, einer Fata Morgana ewiger Gerechtigkeit nachzujagen in einer Welt, die in Wirklichkeit so weit von der Erfüllung dieses Ideals entfernt ist, der drücke dem Heftroman die Daumen. Vielleicht kann er tatsächlich, wenn man ihm etwas hinter die bizarre Fassade sieht, auch unter veränderten Vorzeichen ein Produzent von Träumen sein. Denn wird nicht auch in ihm, der endlich jedes Rätsel transparent werden ließ, der die schwingende Waage menschlichen Erlebens jedes Mal für eine kurze Weile auspendelte – bevor mit dem nächsten Heft das neue Geheimnis entstand – wird also nicht auch in ihm ein Zipfel jenes imaginären Zielglaubens sichtbar, der trotz allem hoffen lässt? Wenn diese Frage für einen Wimpernschlag den langen Weg erhellen kann, von Carter bis Cotton und damit vom Großvater zum Enkel, die sie als Hefte in Händen hielten, wenn für den Moment des Augenblickes die Fäden sichtbar würden, die Vordergründiges verstellt hält, bin ich guter Dinge…


Rudolf K. Unbescheid

Marco Polo in Preußen. Über den „ältesten“ deutschen Reisebericht.

Der mündig und selbstbewusst gewordene Bürger hatte begonnen, sein irdisches Leben nüchtern und tätig auszugestalten. Kein Wunder, dass er dem Unterhaltungsbedürfnis wenig Raum lassen mochte. Belehrung war ihm wichtiger. Die nächsten Realitäten, das hieß Erde und Welt, Enge und Weite, mussten erfahren werden. An jedem geschichtlichen Ereignis, an jeder neuen Welterkenntnis nahm er regen Anteil. Neben ein vielschichtiges Fachschrifttum und eine reiche Chronikliteratur rückte die Reisebeschreibung. Gerade sie erfreute sich rasch zunehmender Beliebtheit, denn sie verband exotische Phantastik mit wirklichen oder nachempfundenen Erlebnissen und kam daher in ihrer unterhaltsam didaktischen Tendenz den frühbürgerlichen Interessen am ehesten entgegen.

Vorausgegangen waren einander stets ähnelnde lateinische und auch schon deutsche Vers und Prosabeschreibungen von Pilgerfahrten, die im 14. Und 15. Jahrhundert manchen demütigen oder handelstüchtigen Wallfahrer ins Heilige Land, ins spanische Santiago de Compostela oder nach Rom führten. Eine der erfolgreichsten dieser trotz aller Mängel doch die Kenntnis von Mittelmeerraum und Vorderem Orient erweiternden Erzählungen war das zwischen 1356 und 1371 entstandene Palästinabuch des unserem Karl May an Phantasie und Fabulierkunst nahestehenden Lütticher Arztes Jean de Bourgoigne. Er nannte sich John Mandeville und galt mehr denn 500 Jahre als unerschrockener Weltenbummler, bis die Forschung Ende des 19. Jahrhunderts feststellen musste, dass seine Erlebnisse samt und sonders erdichtet waren.

Das Hauptgewicht all dieser „Erlebnis“-Berichte lag auf der meist recht langatmigen Beschreibung berühmter Reliquien und heiliger Stätten. Indes deuteten auch erwähnte Meeresungeheuer mit bewaldeten Rücken, Magnetberge, kopflose Zweibeiner, schwimmende Inseln und andere Wunderlichkeiten auf die Bekanntschaft mit orientalischem Märchen und Sagengut hin, die ja die vorausgegangenen Kreuzzüge vermittelt hatten.

Ausnahme und zugleich Höhepunkt dieser frühen Reiseberichterstattung über „die grossen wunder dieser Welt“ bildet das Werk des Venezianers Marco Polo, der in den Jahren 1271 bis 1295 als erster Europäer Asien kreuz und quer bereist hatte. Er diktierte die Erinnerungen an seine Reisen, die ihn bis an den Stillen Ozean geführt, 1298/99 in genuesischer Kriegsgefangenschaft seinem Mithäftling Rustichello de Pisa, seiner Zeit bekannt als Bearbeiter französischer Abenteuerromane. Diese Aufzeichnungen erregten im Laufe des folgenden 14. Jahrhunderts beim „Lesepublikum“ beträchtliches Aufsehen und wurden schließlich zur wichtigsten Quelle ungezählter späterer Reisewerke über das mittelalterliche Asien: an die 140 Übertragungen und Bearbeitungen in vielen Sprachen sind erhalten. Und bereits 1477 erschien in Nürnberg – nach einem bayerischen Text aus toskanischer Vorlage – die erste deutschsprachige Buchausgabe; sie wird fälschlich noch heute in renommierten Lexika als erste deutsche Übersetzung mitgeteilt. Diese aber entstand schon einhundert Jahre früher!

Die erste deutsche Bearbeitung des berühmten Polo’schen Reisebuchs – und zugleich den „ältesten deutsch geschriebenen Reisebericht“ (Helm Ziesemer) – verdanken wir dem Deutschen Ritterorden! Denn diese Arbeit entstand bald nach 1350 im fernen ruhelosen Nordosten des Reiches, wo Ordensritter und Bürger unter besonderen politischen und sozialen Bedingungen eine ganz eigenständige Literatur von bemerkenswertem Rang und überraschender Ausstrahlungskraft schufen. Der Name des Autors wurde uns nicht überliefert; viele Künstler und Literaten des gotischen Zeitalters verblieben in der Anonymität. Aber zweifellos stammte der kenntnisreiche, schreibgewandte Bearbeiter der aufsehenerregendsten und folgenreichsten „Entdeckungsgeschichte“ des asiatischen Kontinents aus dem preußischen Küstenland. Sein Wortschatz, namentlich aus den Bereichen der Fischerei und Schifffahrt (etwa: leitnic, sigeler, wazzerwer, kescher, schifflouge), sowie Vergleiche mit Urkunden und Wirtschaftsbüchern des Deutschordensstaates beweisen es eindeutig. Ein Ordensritter oder Bürger des Landes? Wohl eher letzteres. Er war gebildet, beherrschte das Lateinische. In dieser Sprache lag ihm eine Übertragung der französischen Originalhandschrift vor. Er selbst schrieb in Ostmitteldeutsch; sein Text ist uns in Cod. 504 der Bibliothek des Benedektinerklosters Admont in der Steiermark bewahrt worden.

Natürlich legte der Verfasser seinem Werk das des Marco Polo zugrunde: diesen realistischen, ja nüchternen Bericht des Handelsmannes. Der Venezianer hatte exakt beobachtet, erfahren, sich erzählen lassen. Dann erzählte er selbst, auch von Land und Leuten der von ihm bereisten Länder, von ihren Religionen, von Besonderheiten in Verwaltung, Handel und Verkehr, vom Kriegswesen – zum Beispiel vom Einsatz der Kampfelefanten. Das zeitübliche phantastische Rankenwerk fehlte fast ganz. Vielmehr kann man in der Tat bei seinem Augenzeugenbericht „von vil elefantin und wunderlichin eynhom und von affin menschin gelich“ (ostmitteldeutsch) bereits von einer Naturbeschreibung sprechen; das sagenhafte Einhorn ist zum Nashorn geworden (Wenzlaff Eggebrecht). Und dennoch mussten die – anders als bei Mandeville – auf eigenem Erleben beruhenden Aufzeichnungen des venezianischen Ostasienfahrers seinen Zeitgenossen abenteuerlich genug Vorkommen.

So sehr abenteuerlich und wissenswert dazu, dass sich ein Bürger eines fernen Landes an die Arbeit begab, dieses wundersame Reisebuch seinen Mitbürgern bekannt zu machen. Aber seine Bearbeitung des lateinischen Marco Polo Textes geriet ihm unversehens über die schlichte Übersetzung hinaus zu einem durchaus eigenen Werk. Der mit den örtlichen Verhältnissen wohlvertraute Autor erlaubte sich mancherlei literarische Freiheiten. Er flocht höchst aufschlussreiche Bemerkungen über Sitten und Gebräuche der alten Pruzzen und Litauer ein, verbreitete sich über Fischfang und Schifffahrt an den baltischen Küsten und zählte weitere kulturgeschichtlich interessante Fakten auf, die nur ein im Ordensstaat Ansässiger so gründlich darzustellen vermochte. So fügte er etwa Polos Mitteilung von der Erfindung des Papiergeldes seinen Bericht über das Prägen russischer Münzen hinzu.

Alles in allem, ein preußischer Marco Polo, der auf seine Art teilnahm an grösser Entdeckungsfahrt und eigenes Fernweh seinen Lesern übertragen haben mochte. So spüren wir bereits in diesem „ältesten“ deutschen Reisebuch eines unbekannten Autors von der Bernsteinküste jene untergründige Spannung, die herrührte von der Polarität zwischen dem Bemühen des denkenden und tätigen Bürgers um weltweite Erfahrung des Seienden in jeglicher Gestalt – und der Enge, der Beschränktheit der frühbürgerlichen Lebensumstände: dieselbe Spannung zweifellos, die auch die spätere Reise und Abenteuerliteratur mitgeprägt hat.

Literaturhinweise:

Der mitteldeutsche Marco Polo aus der Admonter Handschrift. Hrsg. v. Ed. Horst von Tschamcr (Deutsche Texte des Mittelalters, Bd. 40), Berlin 1935 Karl Helm u. Walther Ziesemer, Die Literatur des Deutschen Ritterordens, Gießen 1951 F.W. u. E. Wentzlaff-Eggebert, Deutsche Literatur im späten Mittelalter 1250 1450, Bd. IH: Neue Sprache aus neuer Welterfahrung. Mit Lesestücken, u.a. 3 aus dem mitteldeutschen Marco Polo. Reinbek 1971 Peter Assion, Altdeutsche Fachliteratur, Berlin 1973 Günther Eis, Mittelalterliche Fachliteratur, Stuttgart 1962, 2. Auflage 1967

 


Thomas Ostwald

Neues um Sherlock Holmes

In der Einleitung zu meinem Artikel über die Entwicklung der Indianergeschichten bei Karl May erwähnte ich auch die berühmte Detektiv-Figur C. Doyles, den Meisterdetektiv Sherlock Holmes – oft kopiert, nie erreicht! Dadurch habe ich offensichtlich das Interesse einer größeren Leserschar angeregt, wie mir einige Zuschriften bewiesen. Nun, mit Doyles Figur werden wir uns im Graff-Anzeiger sicher noch häufiger beschäftigen, auch in Bezug auf die Romanheft-Serien, die in Deutschland ab 1907 erschienen (vgl. auch den Artikel von Werner G. Schmidtke!). Dieser Artikel soll einige Informationen zu Sherlock Holmes vorab bringen.

Zunächst einmal sei auf das „Holmes-Museum“ hingewiesen, das sich in einem Restaurant befindet und von einem findigen Geschäftsmann in der Northumberland Street (oder Road) Nr. 10, in der Nähe des Trafalgar Square in London eingerichtet wurde. Das „Restaurant-Museum“ ist voll von „Erinnerungsstücken“ an Doyles fiktive Figur – denn Sherlock Holmes hat nie gelebt! Der staunende Besucher findet die berühmte Geige, auf der der berühmte Detektiv – oft tief in Gedanken versunken – „herumgekratzt“ hat, natürlich seine berühmte karierte Mütze (Deerstalker-Mütze), die Pfeife und vieles andere. Bei diesen Formen der Verehrung fühlt sich mancher Leser vielleicht an Karl Mays Figuren erinnert, denen teilweise ja noch heute ähnliches widerfährt – siehe auch meine Ausführungen in dem erwähnten Artikel in Bezug auf die plötzliche Realisierung Winnetous, wenn der Segeberger Darsteller auftritt.

Doch damit noch lange nicht genug – Sherlock Holmes begeistert auch heute noch zahlreiche Leser durch seine scharfsinnigen Kombinationen, und Doyles Bände, einmal im Heyne-Verlag als Taschenbücher erschienen, haben inzwischen den Verlag gewechselt und kommen nach und nach wieder als Neuauflagen bei Ullstein heraus. Noch immer greift der Krimi-Freund, trotz der zahlreichen „modernen Detektive“, denen Computer und große Polizeizentralen mit riesigen Karteiarchiven zur Verfügung stehen, gern wieder auf den „Altmeister“ zurück.

Die „Welt am Sonntag“ berichtete am 8. Juni 1975: „Der Detektiv, der so viele Geheimnisse enthüllte, gibt inzwischen selber Rätsel auf: Sherlock Holmes, fast neunzig Jahre alt und schon mehrfach gestorben, erlebt in Amerika ein Comeback, das die Krimifans staunen lässt. Allein in den letzten Monaten erschienen sechs neue Bücher zum Thema, obwohl es schon zweitausend (!) Schriften über den Mann gibt, dessen Verstand so scharf ist wie sein Profil.“ Man hört, liest und staunt: zweitausend Schriften über eine fiktive Figur! Wann endlich kommt jemand auf die Idee, eine Biographie Winnetous zu erstellen? Das Rezept, nach dem auch schon Baring-Gould verfuhr, habe ich bereits im GA 5 beschrieben: Sorgsame Auslese und Auswertung jedes kleinen Details, das der Autor in den zahlreichen Geschichten „preisgegeben hat“. Baring-Gould wusste schließlich über Stouts Detektiv-Figur Nero Wolfe besser Bescheid als der Autor selbst! Seine Wolfe-Biographie (und hier kann ich mich gleich korrigieren) erschien im Jahre 1972 im Ullstein-Taschenbuch Verlag, ist jedoch leider vergriffen und bestenfalls noch antiquarisch zu bekommen. Auch seine Holmes-Biographie, genauso herrlich zu lesen wie der Wolfe-Band, ist seit Jahren vergriffen. Aber der Holmes-Fan kann jetzt wieder aufatmen – zahlreiche Biographien kommen auf den amerikanischen Buchmarkt, und vielleicht erscheint auch die eine oder andere wieder in deutscher Sprache. Gleich einflechten muss ich dabei, dass mir z.Zt. noch keine bibliographischen Angaben vorliegen und ich deshalb weder Verlag noch Preis dem Interessenten angeben kann.

Ach so, Sie meinen, diese Biographien wären kaum wissenschaftlich zu nennen und bestenfalls etwas für „ganz verrückte Holmes-Fans“? Da muss ich widersprechen, denn auch Sherlock Holmes ist inzwischen auf der Couch des Psychiaters gelandet – warum dann nicht auch eine Untersuchung Winnetous? „Die Welt“ schreibt weiter: „Mr. Holmes jedoch gehört zu den wenigen Romanfiguren, denen regelrechte Biographien gewidmet wurden. Die amüsanteste dürfte die von Williams S. Baring-Gould sein, die zu dem Schluss kommt, Holmes sei im Jahre 1957 im Alter von 103 Jahren auf einer Londoner Parkbank gestorben und habe sich in den letzten Tagen seines Lebens ausschließlich von „gelee royale“ ernährt.

Während Baring Gould selber Detektiv-Arbeit leistete und jede Seite aller Holmes-Stories auf biographische Details abklopfte, wendet Nicholas Meyer in seinem soeben in New York erschienenen Roman „The Seven-Percent-Solution“ („Die Sieben-Prozent-Lösung“) andere Methoden an. Wobei der Titel nicht die Lösung eines Falles meint, sondern die siebenprozentige Kokain-Lösung, die sich der Meister laut Conan Doyle gelegentlich zu injizieren pflegte – aus Langeweile, weil er seine Probleme immer so schnell löste.

Nicholas Meyer stützt sich in seinem Roman auf einen fiktiven Bericht des Holmes-Freundes Dr. Watson, der in den Stories bekanntlich als Ich-Erzähler auftritt. Dieser Bericht, in hohem Alter aufgezeichnet, wird nun freilich den Verehrern des Superdetektivs nicht so recht schmecken; denn er kratzt heftig an einigen Tabus, die das Idol umgeben.

Watson-Meyer erzählt vom jungen Studenten Holmes, der hoffnungslos kokainsüchtig ist und dessen Lehrer Professor Moriarty heißt. Mit Tricks und Tücke gelingt es Watson, ihn nach Wien zu locken. Dort machte gerade der junge Dr. Sigmund Freud seine ersten psychoanalytischen Experimente (zeitlich käme das durchaus hin).

Freud fordert den Holmes-Komplex zutage: auf der Psychiater-Couch! An dieser Stelle möchte ich das Zitat aus der „Welt“ kurz unterbrechen, um alle May-Kenner und Freunde aufmerksam zu machen, wie sich doch die Bilder gleichen: Man lese und staune, was den Komplex des Superdetektivs einst verursachte: „Die Mutter hat den Vater betrogen, der Vater hat sie dafür umgebracht. Und der böse Professor Moriarty hat dem Studenten alles erzählt. So wird der Weiterhin Holmes’ erklärt, so gerät Professor Moriarty in der Sicht seines Studenten zum Weltfeind Nr. 1. Erst als Holmes geheilt ist und nur noch gelegentlich kokst, wendet er sich zusammen mit Watson der Detektivarbeit zu.“

Eine große Gefahr der Verleumdung besteht immer dann für eine (auch fiktive) Romanfigur, wenn sie sich wenig dem „schwachen Geschlecht“ widmet und ständig von einem männlichen Begleiter beraten und unterstützt wird. Nicht erst seit der Frage des Homosexuellen-Magazins „Him“: Winnetou schwul? ist dem May-Freund dieses Problem bekannt: A. Schmidt spukt noch immer mit seinem „Sitara“ in zahlreichen Köpfen umher. Der Schaden, der durch solche oft als „Clownerie“ bezeichneten Abhandlungen entstehen kann, trifft den Autor am wenigsten: May ist lange tot, und auch Doyle lebt nicht mehr, denn, fast möchte man sagen natürlich, widerfuhr seinem Helden ähnliches. Ein Beispiel davon nennt die „Welt“ ebenfalls: „Die BBC drehte 1964 eine zwölfteilige Fernsehserie. 1970 machte sich Billy Wilder in dem Film „The Private Life of Sherlock Holmes“ (in Deutschland bisher nicht gezeigt) insofern einen Jux, als er eine russische Ballerina einführte, die den Meister beschwor, mit ihr ein Kind mit Wunderhirn zu zeugen. Dr. Watson hat größte Mühe, den widerstrebenden Holmes von dem Verdacht der Homosexualität freizuhalten.“ Nun, was um Winnetou und Old Shatterhand gemunkelt wurde und noch wird, muss hier nicht noch extra erwähnt werden. Dass aus solchen „Männerfreundschaften“ Rückschlüsse auf die Autoren gezogen werden, ist völlig unsinnig. Man sollte doch dabei nicht vergessen, dass jeder „Held“ ein Pendant braucht, um zum einen seine Überlegenheit immer wieder zu demonstrieren (Holmes lässt Watson immer erst seine eigenen Schlüsse ziehen, dann spielt er „kaltlächelnd“ seine – fast immer zutreffenden – Gedankengänge aus), zum anderen aber auch, um einen Vertrauten zu haben, der weiß, wie der „Held“ handeln würde und ihn deshalb in der oft zitierten „letzten“ Minute aus der Gefahr retten kann. Ein Held ohne Gegenstück würde schließlich langweilig und öde wirken. Dabei darf das Pendant durchaus auch „Held“ sein, in seinen

Eigenschaften an den „Haupthelden“ heranreichen und ihn auch in einigen wenigen Dingen übertreffen.

Das macht dann den „Haupthelden“, mit dem der Leser sich identifizieren kann, gleich wieder menschlicher. Mit anderen Worten: Die „Hauptfigur“ braucht einen Handlanger, der die Fehler machen darf, die vom anderen dann wieder ausgebügelt werden. Selbst verständlich muss auch die Hauptfigur hin und wieder Fehler begehen, um nicht völlig unglaubwürdig zu Autor Conan Doyle werden. Dann darf die zweite Verkörperung des Helden, die weniger „glänzende Ergänzungsperson“, beweisen, dass sie würdig ist, der Freund des Helden zu sein.

Sherlock Holmes bietet noch einige interessante Vergleichsmöglichkeiten zum Werk Karl Mays, auf die wir später eingehen werden. Er wurde in fast hundert Sprachen übersetzt und rangiert damit – wenn man den Angaben des verstorbenen Doyle-Sohnes glauben darf – direkt hinter der Bibel. Holmes regte immer wieder zu Nachdichtungen an, wie auch Mays Winnetou und Old Shatterhand. Zahlreiche Autoren griffen die Gestalt des „Superdetektivs“ auf und veränderten sie im Grunde nur geringfügig (vgl. Schmidtke, a.a.O.). Das berühmte Krimi-Team Dannay/Bennington, die gemeinsam unter dem Pseudonym „Ellery Queen“ veröffentlichen, versuchten sogar mit der Holmes-Figur die mysteriösen Morde des „Rippers“ – natürlich in fiktiver Form – aufzuklären. 1967 erschien bei Ullstein: „Sherlock Holmes gegen Jack the Ripper“, ein Roman, in dem Holmes herausfindet, dass der Ripper nach Art der Vampire zu bestimmten Zeiten mordet, um sein Leben zu verlängern (mit dem Blut der Opfer). Auch dieses Buch ist leider vergriffen.

Es wäre hier noch nachzutragen, dass Sherlock Holmes selbst Auskunft gibt, warum er überhaupt einen Begleiter braucht: „Wenn ich mich bei meinen verschiedenen kleinen Untersuchungen mit einem Gefährten belastet habe, so geschah dies nicht zufällig oder aus einer Laune heraus! Watson besitzt nun einmal ein paar beachtliche Charakterzüge, die er in seiner Bescheidenheit kaum bemerkt oder doch ebenso untertreibt, wie er meine Leistungen überschätzt. Ein Verbündeter, der unsere Schlussfolgerungen und Handlungen voraussieht, kann leicht gefährlich werden – bleibt hingegen die Zukunft ein stets gut versiegeltes Buch für ihn und stürzt ihn jede neue Entwicklung in ungläubiges Staunen, ist er ein geradezu idealer Helfer“ (zitiert aus der Geschichte „Der bleiche Soldat“, Zitat wiedergegeben im Ravensburger Taschenbuch 239, „Sherlock Holmes und Dr. Watson“).

Kurze Hinweise zu Doyle, die wir dem Handbuch der Literatur, Bl-Verlag, S. 242, entnommen haben:

Sir Arthur Conan Doyle wurde am 22. Mai 1859 in Edinburgh geboren und starb in Crowborough (Sussex) am 7. Juli 1930. Nach dem Studium der Medizin wurde Doyle praktischer Arzt in Southsea. Später unternahm er Reisen nach West-Afrika und in die

Polargegend. In den letzten Lebensjahren interessierte sich Doyle stark für den Spiritismus, über den er einige Studien veröffentlichte. Durch psychiatrische Studien angeregt, begann er Detektivromane zu schreiben, die Weltruhm erlangten; im Mittelpunkt stehen Sherlock Holmes, der Meisterdetektiv, und sein Freund Dr. Watson.

Relativ unbedeutend blieben Doyles Romanzen und seine historischen Romane. Hauptwerke: A study in scarlet (R., 1887, eine der ersten Holmes-Geschichten). Abenteuer des Dr. Holmes (R., dt 1895/96). Der Hund von Basketville (R., dt. 1903). History of spiritualism (Studie 1936). Ausgabe: Sir A.C.D., Ges. Werke in Einzelausgaben, dt. Übersetzung hrsg. von N. Eme, Hamburg 1959 ff. Auf ca. 20 Bände berechnet.

Literatur: Norden, P., CD. A biography. Engl. Übers. New York 1967,

Nachtrag dazu:

Auch das Thema „Sherlock Holmes“ reizte mich immer wieder, und so habe ich für den KIBU-Verlag insgesamt sechs Holmes-Geschichten geschrieben, die später als Taschenbuch-Sammelbände in einem anderen Verlag noch einmal erschienen und teilweise auch als Hörbücher herauskamen.