Mythos, Pathos und Ethos

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Wenn man sich nicht einigen kann, dann ist es meistens am klügsten, daß man den Streitpunkt zunächst ausklammert und sich erst mit den Feldern beschäftigt, auf denen eine gemeinsame Lösung eher zu finden ist. So handhabten es auch die Union und die SPD, weshalb man bei den Sondierungsgesprächen gut vorankam und sich eine Große Koalition immer deutlicher am politischen Horizont abzeichnete. Hinzu kamen die Signale von der SPD-Spitze, die keinen Zweifel daran ließen, daß es letzten Endes um die Partei und nicht um Bernhard Schräder gehen würde, was der Betroffene so selbst auch bereits verlauten hatte lassen. Fest stand also, daß sich die Genossen in der letzten Konsequenz nicht quer stellen und entgegen aller anders lautenden Verlautbarungen Andrea Gerkel doch zur Bundeskanzlerin wählen würden, wenn es denn unbedingt sein mußte.

Derweil freute sich Egmont Sträuber schon auf die Zusammenarbeit mit Dan Mützewirsing im neuen Bundeskabinett, denn er hatte bereits ein Jahr zuvor in der Föderalismus-Kommission, in der sie Beide hervorragend zusammengearbeitet hatten, gute Erfahrungen mit dem Sauerländer gemacht gehabt. Gerkel und Schräder hatten jene Arbeit so gut es gegangen war ignoriert, wahrscheinlich hatte es ihnen auch irgendwie nicht in den Kram gepaßt gehabt, daß sich der SPD- und der CSU-Chef persönlich so gut verstanden hatten.

Fernab von all diesen Personalien sprach Friedbert Nerz von der CDU mit Lothar Schilli von der SPD bei einem gemeinsamen Frühstück im Café Einstein über die wirklich wichtigen Dinge, welche die Welt da draußen viel mehr bewegten.

"Mmh, das Croissant schmeckt aber wirklich lecker. Sie haben es gut, Herr Schilli, Ihre Rente ist wenigstens sicher", fand Nerz. "Da wäre ich mir nicht so sicher, jetzt kommt bestimmt bald die Rente mit 67", wandte jener ein. "Und wenn schon, Sie wird das alles nicht mehr betreffen. So Jungspunde wie ich haben es da schon schwerer." "Ach was, mein lieber Friedbert, Ihr von der Union findet doch immer einen Job in der Wirtschaft." "Ich glaube, Sie verwechseln uns da mit der FDP." "Eben gerade nicht. Die FDP-Politiker würden bloß jede Menge Unruhe in die Firmen bringen, die würden gegen die Gewerkschaften kämpfen und sich damit bei der Belegschaft unbeliebt machen. Ihr dagegen polarisiert nicht so und seid bei den Managern hoch angesehen." "Mal abwarten, ob das auch so bleibt. Die Gerkel wird in der Großen Koalition bestimmt keine einzige der Reformen beginnen, die sie damals in Leipzig versprochen hat." "Davon ist auszugehen, die will schließlich in vier Jahren wiedergewählt werden." "Aber Deutschland braucht unbedingt Reformen. Das, was der Schräder da fabriziert hat, das war ja ganz nett und natürlich besser als nichts, doch das darf und kann nur der Anfang sein." "Na ja, ich habe eher das Gefühl, den Leuten würde es schon wieder reichen." "Genau das ist das Problem. Dieses faule deutsche Volk ist fett und müde geworden. Die Leute sitzen träge vor dem Fernseher und schimpfen auf die Politik. Dabei sollten sie sich mal bewegen, flexibler werden und nicht meinen, der Staat würde schon alles für sie richten und erledigen." "Tja, die sind halt an den guten alten Sozialstaat gewöhnt und die im Osten noch mehr." "Das ist ja das Schlimme an der ganzen Sache. Eigenverantwortung klingt für die meisten Menschen im Land wie eine Drohung." "Na ja, wir reden uns leicht, wir sind ja abgesichert und fallen nicht tief. Stellen Sie sich doch zum Beispiel mal vor, wie die Kollegen von der FDP aufheulen würden, wenn ihre Partei eines Tages nicht mehr in den Bundestag käme. Da wäre das Geschrei groß." "Lieber Lothar, das ist eine hypothetische Frage, die Sie da aufwerfen, denn wir wissen Beide, daß die FDP immer ins Parlament gewählt werden wird." "Man wird ja wohl noch mal träumen dürfen", murmelte der Innenminister leicht verstimmt. "Und überhaupt, wann wechseln Sie denn endlich zu uns? Von Ihrer Politik her gehören Sie ja ohnehin schon längst zu unserer Partei." "Ach, wissen Sie, in meinem Alter reitet man weiter auf dem jahrelang gewohnten Pferd in den Sonnenuntergang." "Ein schönes Bild. Oh, was sehe ich da, ein Bierdeckel. Dürfte ich Ihnen darauf ganz kurz mein Konzept für eine Steuerreform vorstellen?" "Nein danke, dafür habe ich jetzt leider keine Zeit. Hat Euch das Debakel mit dem Kirchdorf denn noch nicht gereicht?" "Ganz im Gegenteil, jetzt bin ich nämlich mehr denn je von meiner Steuerreform überzeugt, nach der die Steuerpflichtigen ihre Einkommensteuererklärung zukünftig auf einem Bierdeckel machen werden können." "Du meine Güte, hört das denn niemals auf?" "Die Rechnung kommt zuletzt." "In unserem Fall zum Glück nicht, hier ist sie nämlich schon. Ich muß weg." "Typisch Sozi! Erst die Kosten verursachen und dann nicht dafür blechen wollen."

10.10.2005: Ganz Deutschland war von Anhängern der Großen Koalition besetzt. Ganz Deutschland? Nein, ein kleiner Bezirk in Bayern kämpfte tapfer gegen die schwarz-roten Eindringlinge und wehrte sich entschlossen gegen die Krönung ihrer Anführerin Andrea Gerkel. Lustig daran war allerdings, daß es sich dabei um Störfeuer aus den bayerischen Wäldern handelte, nämlich um den Bezirk Oberpfalz, dessen SPD-Delegierte es sich weder vorstellen konnten noch wollten, mit ihren Stimmen jene Frau Gerkel zur Kanzlerin zu wählen. "Ausgerechnet die Bayern-SPD", werden sich Schräder und Mützewirsing in jenem Moment gedacht haben, als sie das Fax aus Regensauf in den Händen hielten. "Mit der hat man doch nur Ärger." Seit Jahrzehnten im Landtag in der Opposition, deshalb verständlicherweise weit weg von der Realität und bereits bei der Agenda 2010 mit lauten Protesten und einer Unterschriftensammlung in den eigenen Reihen unrühmlich aufgefallen. "Was wollen die Deppen da unten nur von uns?" hat Bernd vielleicht den Dan gefragt und der hat wahrscheinlich nur mit den Schultern gezuckt. Ja, was wollten die denn eigentlich, diese Unzufriedenen aus dem tiefsten Bayern?

Sie hatten Angst vor einer Austrittswelle ihrer Mitglieder und das konnte man durchaus nachvollziehen, denn nachdem schon viele Genossen wegen der Agenda 2010 aus der Partei ausgetreten waren, konnte es leicht sein, daß etliche wegen der Großen Koalition folgen würden. Und wenn man ohnehin schon so einen schweren Stand bei den bayerischen Wählern hatte, dann würde einem ein solcher Aderlaß natürlich noch mehr schaden. Deshalb also das ganze Theater, doch würde es wirklich etwas nützen? Na ja, das blieb abzuwarten, vermutlich eher nicht. Hauptsache, man hatte laut aufgeschrien und damit allen Menschen im Land, insbesondere den eigenen Parteimitgliedern, gezeigt, daß man auf jene Große Koalition unter der Führung von Kanzlerin Gerkel nur zu gerne verzichten würde, wenn man denn nur könnte. Aber war das alles mehr als ein symbolischer Protest?

Mitte Oktober 2005: Jedoch hatte die Andrea noch ganz andere Probleme, die aus ihrer Sicht weitaus schwerwiegender waren. Sie hatte mal wieder Ärger mit Egmont Sträuber, nicht zum ersten und ganz bestimmt auch nicht zum letzten Mal. Der wollte neben sich selbst unbedingt Torsten Feehoffer als CSU-Minister durchdrücken, ausgerechnet den, den sie überhaupt nicht leiden konnte, weil er aus ihrer Sicht mindestens ein halber Sozialdemokrat war und da er ihre Kopfpauschale nicht so toll fand wie sie. Um den Torsten zu verhindern, hatte sie dem Micki Glas den Posten des Verteidigungsministers angeboten gehabt und angeblich hatte der auch zugesagt. Aber nicht mit Meister Ege! Da konnte der ganz fuchtig werden, wenn ihm jemand in seinem Personaltableau herumfuhrwerkte und dann noch dazu jene Frau, der er wenige Tage zuvor öffentlich die Richtlinienkompetenz abgesprochen hatte, welche die Verfassung dem Kanzler eigentlich garantierte. Sträuber stellte sich stur und setzte Feehoffer als Minister durch, auch gegen den Widerstand aus der CSU-Landesgruppe, in der Torsten aufgrund seiner Alleingänge nicht sonderlich beliebt war. Schön langsam fühlte sich Andrea Gerkel von Feinden und Gegnern umzingelt. Da waren einmal die acht sozialdemokratischen Ministerinnen und Minister, denen sie nicht über den Weg trauen konnte und wollte, und dann gab es da auch noch die drei Ex-Gegner; Sträuber, Schäufele und Feehoffer, die ebenfalls nicht gerade zu ihrem Fanclub gehörten. Na, das konnte ja was werden!

24.10.2005: Immer wieder Sträuber, der Mann bestimmte nun in einer Tour die Schlagzeilen. Auf dem Deutschlandtag der Jungen Union wurde er von frechen Jungchristdemokraten angegriffen und kritisiert, weshalb er sich so provoziert fühlte, daß er gnadenlos zurückschlug und ihnen im Grunde die selbe soziale Kälte vorwarf wie Gerkel, Frauder und Konsorten. Egmont stellte klar, wer den Wahlkampf verbockt hatte und das war aus seiner Sicht ganz bestimmt nicht er selbst. Mächtig teilte er aus, ganz zur Freude von seinen bayerischen Landsleuten im Saal, welche ihn stürmisch feierten und bejubelten, doch der Rest beharrte darauf, daß er mit seinen Äußerungen über die ostdeutschen Wähler und seinem sich nicht festlegen wollen vor der Wahl der Union gewaltig geschadet hätte. Klar, wenn er vor der Wahl gesagt hätte, welches Ministerium er denn gerne haben würde, dann wäre wohl alles anders gekommen. Inzwischen war es zwar raus, doch nun mußte er um jede zusätzliche Abteilung und Kompetenz kämpfen, die er seinem zukünftigen Wirtschaftsministerium noch angliedern wollte. Selbst mit der CSU-Landtagsfraktion hatte er Schwierigkeiten, weil die auf eine Entscheidung im Nachfolgestreit drängte, er aber wollte damit noch warten. An allen Ecken und Enden brannte es, zwar freute sich Egmonto bereits auf seinen neuen Job in Berlin, doch die andauernden Kämpfe und Widerstände zermürbten ihn zusehends.

Ein Gespräch, das es in sich hatte, fand zwischen Afroträne und Fysi statt. "Was ist das denn hier für ein ungeordneter Hühnerhaufen? Lauter Individualisten und dann auch noch diese schrecklichen Emanzen! Sag mal, bin ich hier etwa versehentlich bei den Grünen gelandet?" ärgerte sich Oswald. "Ach, das wird sich mit der Zeit schon finden, hoffe ick jedenfalls. Unsere Weiber sind ja nur so krawallig, weil sie halt zu den Grünen rüber schauen und sehen, welche Rechte und Posten die Frauen dort haben", erklärte Igor. "Mag sein, trotzdem nervt mich das Gegacker. Es ist schwer genug, zwei so unterschiedliche Parteien wie die WASG und die PDS unter einen Hut zu bringen, da brauchen wir nicht auch noch solche Störgeräusche aus den eigenen Reihen." "Alles halb so wild. Und wenn sie Dich irgendwann zu sehr nerven, dann heirate einfach eine von ihnen, so habe ich das damals auch gemacht und schon war Ruhe im Verein." "Tatsächlich? Na wenn das so ist, dann werde ich mir das mal merken. Momentan kommt das zwar noch nicht in Frage, aber schön langsam beginnt mich die Christine auch zu nerven. Egal, was machen wir jetzt hier eigentlich?" "Das wollte ich an sich Dich fragen." "Ach so. Hmh, schwierige Sache, das alles. Ich meine, ich war ja schon mal Partei- und Fraktionschef von der SPD, das ist wirklich ein komisches Gefühl, diese Leute zu sehen und zu treffen, früher machten die was ich sage und heute schauen sie fast alle an mir vorbei und grüßen mich überhaupt nicht mehr." "Na ja, daran gewöhnt man sich, wir von der PDS kennen das gar nicht anders. Früher waren wir schon froh darüber, wenn man uns nur ignoriert und nicht beschimpft oder bespuckt hat." "Du meine Güte, da tun sich ja Abgründe auf!" "Ach was, alles halb so wild. Wir Zwei werden den Bundestag schon rocken." "Davon kannst Du ausgehen. Aber wozu eigentlich?"

 

Anfang November 2005: Das Unglaubliche hatte stattgefunden! Die SPD hatte "versehentlich" ihren Parteivorsitzenden Mützewirsing aus dem Amt "geputscht" oder vielleicht doch eher gemobbt. Wie hatte das nur passieren können? Es war um die Wahl des neuen Generalsekretärs der SPD gegangen. Zwei Kandidaten hatten sich vorgestellt, wobei Mütze eindringlich darauf hingewiesen und darum gebeten hatte, für seinen Kandidaten Halo Nasserhövel zu stimmen. Doch darauf hatten die Abstimmenden keine Lust und so war Angelika Zahles zur neuen Generalsekretärin der SPD gewählt worden. Daraufhin hatte Mützewirsing seinen Rücktritt als Parteivorsitzender bekanntgegeben. Tja, so schnell konnte es also gehen in der Politik. In der SPD war man schockiert, erstaunt und überrascht gewesen, aber es half ja alles nichts, man brauchte nun einen neuen Parteivorsitzenden. Die Suche dauerte nur kurz, man bat Tobias Glatzeck darum, das tolle Amt anzunehmen und der sagte zu. Irgendwie schon spannend, was in der Politik alles möglich ist. Auf jeden Fall freuten sich viele Leute in der Partei darüber, daß die Zeit der "Basta-Politik" und die von Befehl und Gehorsam endlich vorbei zu sein schien. Es würde wieder mehr miteinander als übereinander geredet werden, hatte man sich vorgenommen und gute Vorsätze waren ja das Schönste und Wichtigste überhaupt.

Doch damit nicht genug, denn es gab in München einen Trittbrettfahrer, der die Gunst der Stunde nutzte und dem Dan aus dem Sauerland folgte. Egmont Sträuber hatte keinen Bock mehr auf die Gerkel und ihre CDU-Pygmäen in Berlin, weshalb er den Rücktritt Mützewirsings vom Parteivorsitz der SPD als Ausrede hernahm, um selbst nicht nach Berlin gehen zu müssen. Daraufhin brach in Bayern das große Chaos aus, denn Blackschein hatte sich schon so auf seinen neuen Job als Ministerpräsident von Bayern gefreut gehabt und die CSU-Abgeordneten waren überhaupt nicht begeistert von der Aussicht, wieder von Sträuber geschurigelt zu werden. Es ging also mal wieder, wie so oft, drunter und drüber im Freistaat.

18.11.2005: Und jedem Anfang wohnt ein Frauder inne. In jenem Fall waren es sogar derer zwei, doch nur einer von ihnen hatte als neuer Fraktionschef der Union wirklich was zu melden. Endlich wurde der Koalitionsvertrag der Großen Koalition unterzeichnet, die noch wenige Wochen zuvor für große Konfusion gesorgt hatte. Doch nun hatte sich alles beruhigt und man konnte miteinander auf vier gute Jahre anstoßen, auch wenn es gleich zu Beginn Streit gab, da Gesundheitsministerin Ursula Schnidt anscheinend vom Koalitionskurs abzuweichen gedachte. Nichtsdestotrotz freute man sich darüber, eine Einigung erzielt zu haben, Andrea Gerkel fieberte ihrer Wahl zur ersten deutschen Bundeskanzlerin entgegen und die Menschen in Deutschland waren froh darüber, daß bald endlich wieder regiert werden würde.

In Bayern herrschte das Chaos. Sträuber wollte sein Kabinett umbilden, die Freien Wähler träumten vom Einzug in den Bayerischen Landtag und hofften auf einen Sieg gegen die angeschlagene CSU, um dann gemeinsam mit SPD und Grünen regieren zu können. In den Umfragen erreichte die CSU gerade mal noch 45 Prozent der Wählerstimmen und das sorgte für Verärgerung bei den CSU-Granden. Von Sträuber wollten auch die Wähler nicht mehr viel wissen, er hatte jede Menge wiedergutzumachen, aber ob er das Vertrauen, das er verloren hatte, wiedergewinnen würde, war eine ganz andere Frage. Was für eine Tragödie!

Ende 2005: Ein turbulentes Jahr ging zu Ende, es war viel passiert. Schräder war nach sieben Jahren an der Spitze der Bundesregierung nicht mehr Kanzler, Andrea Gerkel führte eine Große Koalition an, Tobias Glatzeck war neuer SPD-Chef und damit der Aufsteiger des Jahres, der große Verlierer hieß Egmont Sträuber, welcher als Superminister nach Berlin hatte gehen wollen und als Suppenkasper nach Bayern zurückgekehrt war. Rot-Grün regierte in keinem einzigen Bundesland mehr, ein Bayer war Papst geworden und bei dem hatte sich Sträuber ausgeheult und über die Gerkel beschwert, was für ein Jahr! Es gab mit der Linken eine neue Partei im Bundestag, die FDP war trotz 9,8 % der Wählerstimmen der große Verlierer der Bundestagswahl und die Deutschen lehnten sich zurück, atmeten tief durch und hofften darauf, daß es fortan wieder ruhiger sowie gemütlicher zugehen würde.

05.10.2013: Die Ideen des Nerz

Egmont Sträuber saß mal wieder in der Bayerischen Staatskanzlei und schimpfte vor sich hin: "Diese blöde Gerkel! Nur weil die mich auflaufen hat lassen, stehe ich jetzt da wie der letzte Depp, mußte vor meinen eigenen Fraktionshanswurschten Abbitte leisten und wurde zum Verlierer des Jahres 2005 gekürt. Eine Ungeheuerlichkeit sondergleichen! Aber die werden sich noch umschauen dort droben in Berlin, denn wenn die meinen, daß ich jetzt buchstäblich weg vom Fenster wäre, dann haben sich die aber schwer geschnitten." Das waren ausgesprochene Drohungen, die der gute Mann nicht ohne Grund von sich gab, denn das Brüllen des bayerischen Löwen war doch wesentlich leiser geworden. In Berlin regierten Feehoffer und Glas als Minister im Bundeskabinett mit; irgendwie schon auch eine besondere Ironie der Geschichte, daß sowohl Gerkel als auch Sträuber ihren Willen durchgesetzt hatten. Andrea hatte unbedingt Glas als Minister haben wollen, um Feehoffer zu verhindern, Sträuber dagegen hatte auf Feehoffer gepocht gehabt. Durch seinen eigenen Rückzug saßen nun Beide als Minister in Berlin, von daher hatte es, was die Personalgeschichte anging, ein Remis zwischen Egi und Angie gegeben. Zugegeben, man könnte das als Schattenboxkämpfe abtun und darauf verweisen, daß es sich bei CDU und CSU um Schwesterparteien handelte, die zusammen gegen den politischen Gegner agierten, doch in Wirklichkeit war es natürlich so wie in jeder Familie: Selbstverständlich achtete die kleinere Schwester immer ganz stark darauf, nicht benachteiligt zu werden und so war es auch in jenem Fall. Wir befanden uns im Jahre 2006, Ende März um genau zu sein und in Deutschland hatten am vorangegangenen Wochenende sage und schreibe drei Landtagswahlen stattgefunden gehabt. Sträuber für seinen Teil hatte das Ganze wie immer mit Interesse beobachtet gehabt und ließ sein CSU-Präsidium in einem seiner äußerst beliebten Kurzvorträge Folgendes wissen: "Wir von der Union können durchaus zufrieden sein. Die CDU in Baden-Württemberg hätte beinahe die absolute Mehrheit der Sitze im Landtag erreicht, ein tolles Ergebnis für unseren Freund Harald Froettinger. Unsere Südschiene wird deshalb natürlich auch weiterhin Bestand haben und unsere beiden Länder werden die Lokomotiven für Deutschland sein, so wie es in den letzten Jahren und Jahrzehnten auch gewesen ist. Die SPD ist brutal abgestraft worden, wofür weiß ich jetzt auch nicht so genau, auf jeden Fall sind die Sozen drüben meilenweit von der Regierungsübernahme entfernt, genauso wie bei uns hier halt." Gelächter kam auf. "Ruhe! Ich möchte noch darauf hinweisen, daß es für uns von der CSU natürlich schon auch wichtig war, daß die CDU im Ländle weiterhin einen Koalitionspartner braucht, sonst hätten sich unsere Freunde in der Union am Ende gar noch eingebildet, sie würden mit uns auf einer Stufe stehen. Das können sie natürlich vergessen, denn die Partei der absoluten Mehrheiten in Europa war, ist und bleibt die CSU." Beifall kam auf. "Gut, daß die FDP und die Grünen drüben zugelegt haben, das spielt für uns jetzt keine große Rolle, Froettinger wird definitiv weiter mit den Liberalen koalieren, nur gut, daß es bei uns so was nicht gibt und auch nie geben wird, denn bei uns hier in Bayern kommt die FDP nicht mal in den Landtag, die wird hier einfach nicht gebraucht, denn die Partei, welche die Wirtschaft in Schwung bringt und hält, ist selbstverständlich unsere CSU." Zustimmendes Nicken war zu sehen. "Genug dazu. In Rheinland-Pfalz hat es für unsere Freunde von der CDU leider nicht gereicht, ganz im Gegenteil. Der absolute Supergau ist eingetreten, denn weil die blöden Grünen die Fünf-Prozent-Hürde nicht übersprungen haben, kann der dicke Pfälzer, damit meine ich jetzt nicht unseren geschätzten Altbundeskanzler Fohl, sondern Bert Kuck, in Zukunft allein regieren. Die CDU und die FDP sind in der Opposition gelandet, kein wirklich erfreuliches Ergebnis. Aber in Rheinland-Pfalz hat das leider schon eine jahrelange Tradition und wenn ich mir das Spitzenpersonal von der CDU dort so anschaue, dann wundert mich das kein bißchen." Sträuber schwieg für einen Moment, den der Eine oder Andere für ein kurzes Gähnen oder einen unauffälligen Blick auf die Uhr nutzte, während sich Meister Ege einen Schluck Wasser gegönnt hatte. "Keine Sorge, meine lieben Freunde, ich bin gleich fertig. In Sachsen-Anhalt wird es zukünftig eine Große Koalition unter CDU-Führung geben, was wir von der CSU ausdrücklich begrüßen, denn auf rot-rote Experimente darf und sollte man sich dort nicht einlassen. Die FDP wurde dort richtiggehend zerlegt, da sollten sich die Liberalen auch mal so ihre Gedanken machen, aber das ist jetzt ganz bestimmt nicht unser Problem. Gut, das zu den Wahlergebnissen, was bedeuten sie aber für unsere Große Koalition im Bund?" Sträuber schaute fragend in die Runde. Keiner traute sich eine Antwort zu geben, weil eh klar war, daß der Chef ohnehin alles besser wußte, weshalb man ihn einfach weiter labern ließ. "Die CDU und die SPD haben insgesamt betrachtet durchwachsene Ergebnisse erzielt, anscheinend hat sich keine der beiden Parteien in der Koalition in Berlin sonderlich oder außerordentlich profilieren können und das hat für die zukünftigen Landtagswahlen einen großen Vorteil." Alle horchten auf, bis auf jene, die schon längst abgeschaltet hatten und deshalb auf ihren Handys herumspielten. "Die Landtagswahlen werden, solange in Berlin CDU und SPD gemeinsam regieren, richtige Landtagswahlen sein und keine Abrechnung für Regierungshandeln in Berlin, eben weil wir Schwarzen und die Roten dort zusammenarbeiten. Es gibt also die erfreuliche Aussicht, daß in den nächsten Jahren überwiegend die landespolitische Komponente bei den Landtagswahlen die Hauptrolle spielen wird und das ist natürlich sehr zu begrüßen." Sträuber hatte fertig, ließ den huldvollen Beifall noch schnell über sich ergehen und verschwand danach eilig. "Was hat er jetzt eigentlich gsagt?" wollte ein CSU-Führungsmann von seinem Kollegen wissen. "Daß wir 2008 unser blaues Wunder erleben werden", antwortete jener. "Echt? Das hat sich aber für mich gar nicht so angehört." "Tja, man muß halt auch zwischen den Zeilen zuhören können." "Angeber." "Meinst jetzt mich oder den Sträuber?" "Beide."

Es war Mitte April, als Egmont Sträuber mal wieder unruhig sowie mißmutig durch sein Haus in Golfradshausen tigerte. "Was ist denn jetzt schon wieder, Egmont?" wollte seine Frau ein wenig indigniert von ihm wissen. "Ach, die blöde Süddeutsche macht wieder Stimmung gegen uns", beschwerte er sich. "Aber das ist doch immer so." "Nein, da gibt es schon Unterschiede. Zwar liegt die Süddeutsche Zeitung nicht auf einer Linie mit der CSU-Politik, aber wenn wir etwas Richtiges gut machen, dann werden wir von ihr durchaus mal gelobt. Aber jetzt tun die so, als ob wir den Sieg oder den Vorsprung, den wir uns in den vergangenen zweieinhalb Jahren erarbeitet haben, nur noch verwalten wollten." "Ist es denn nicht so?" "Ich würde ja weiter reformieren wenn ich könnte, aber die blöden Deppen in der Fraktion machen nicht mehr mit. Auf einmal begehrt das Stimmvieh auf und will mitreden, also beim Braus hätte es so etwas nicht gegeben." "Vielleicht bist ihnen einfach nur a bissal zu schnell." "Ach was! Das sind Lahmärsche! Konservativ sein heißt an der Spitze des Fortschritts zu marschieren und nicht die Hände vor den Bierbauch zu legen und nichts verändern zu wollen." "Aber Ihr habt doch in den letzten Jahren eh schon genug verändert." "Ja, aber das muß man auch machen, wenn das Land krisenfest für die Zukunft werden soll. Mit einer Zweidrittelmehrheit im Rücken kann man natürlich viel gestalten und anpacken, aber seit die Bremser und Blockierer in der Fraktion das Sagen haben, kann man das alles getrost vergessen." "Abwarten, vielleicht kommen schon bald wieder bessere Zeiten." "Das ist leider nicht zu erwarten. Diese Kleingeister bekommen ein bißchen Druck von der Basis und unseren Wählern und schon knicken sie ein, das sind Feiglinge, die den Leuten nur nach dem Mund reden." "Aber wenigstens versprechen die den Leuten nicht vor der Wahl das Gegenteil von dem, was sie dann nach der Wahl machen." "War das jetzt gegen den Schräder oder gegen mich gerichtet?" Egi fixierte seine "Muschi" mit einem strengen Blick. "Das kannst Du Dir aussuchen." "Also gegen den Schräder. Ja, da hast Du natürlich Recht, das waren schwere politische und moralische Fehler von dem." Sie schaute ihn skeptisch an. "Ja, ich gebe zu, ich habe den Leuten auch viel versprochen, was ich danach nicht eingehalten habe und wenn schon? Ich wollte denen ihre Stimme und nachdem der Schräder mit dem Wahlbetrug durchgekommen war, da dachte ich mir: Probierst es halt auch mal. Hat schließlich hervorragend funktioniert, das Ganze." "Ihr werdet Eure Quittung dafür 2008 schon bekommen." "Das glaube ich auf gar keinen Fall. Die Süddeutsche stänkert zwar immer mal wieder gerne gegen die CSU, aber am liebsten zieht sie über die SPD her und mit der Kritik an der trifft sie immer voll ins Schwarze. Dadurch, daß wir mit denen in Berlin zusammen regieren, können die uns nicht angreifen, deswegen werden die bei der Landtagswahl 2008 auch nicht von unseren Fehlern profitieren. Außerdem sind wir von der CSU politisch so weit von der bayerischen SPD entfernt, daß es da kaum Wähler geben dürfte, die von uns zu denen überlaufen." "Mag sein, aber da gibt es ja auch noch die Freien Wähler und die FDP." "Aber Kathrin, die kann man doch überhaupt nicht ernst nehmen. Selbst wenn die in den Landtag kämen, dann würden sie, genauso wie alle anderen Parteien außer die CSU, natürlich in der Opposition landen." "Ihr seid Euch Eurer Sache aber immer ganz schön sicher und glaubt, Ihr könnt Euch alles erlauben." "Aber selbstverständlich, denn wir von der CSU sind die einzig wahre und echte Bayernpartei und das wissen die Wähler im Freistaat auch." "Na dann kann ja nichts mehr schiefgehen." "Genau so ist es."

 

Es war im September, ziemlich genau ein Jahr nach der vorgezogenen Bundestagswahl, als in Berlin ein neues Abgeordnetenhaus und in Mecklenburg-Vorpommern ein neuer Landtag gewählt wurden. Egmont Sträuber hatte selbstredend auch dazu seinen Senf dazu zu geben, in dem Fall durften, beziehungsweise mußten, sich Zuber, Blackschein, Öder und Kehrmann das Geschwafel ihres Chefs anhören. "Diese schwulen Kommunisten in Berlin! Wird das denn nie ein Ende nehmen? Jetzt hat doch der Pobereit schon wieder die Wahl gewonnen und wird Regierender Bürgermeister bleiben. Aber das war ja auch kein Wunder, wenn bei der CDU der Friedrich Flüger antritt. Der holt für seine Partei gerade mal gut 21 Prozent der Wählerstimmen und behauptet danach tatsächlich allen Ernstes, die CDU wäre wieder da. Also da fehlen mir doch wirklich die Worte!" empörte sich Sträuber. "Na dann halt halt den Mund", werden sich die Anderen womöglich gedacht haben, auszusprechen wagte sich so eine Majestätsbeleidigung natürlich niemand von ihnen. "Wenigstens ist diese schreckliche Linkspartei ordentlich rasiert worden, aber es reicht leider immer noch für ein rot-rotes Bündnis und ich traue mich wetten, daß diese schwulen Kommunisten dort einfach so weiter regieren werden, als wäre nichts geschehen." Betroffenes, zustimmendes Nicken der anderen Anwesenden. "Und im Nordosten sieht es auch nicht besser aus." "Mecklenburg - das kann schon mal Vorpommern", versuchte sich Blackschein mit einem Scherz. Die Anderen lachten, nur Sträuber hatte natürlich mal wieder nicht zugehört, denn so etwas hatte er selbstverständlich überhaupt nicht nötig. "Ja, da marschiert jetzt die NPD in den Landtag von Meck-Pomm ein und alle erschrecken, regen sich auf und fragen: Wie kann das nur sein? Das kann ich Euch sagen: Weil dort die SPD mit den Kommunisten regiert, da ist es nämlich kein Wunder, daß dann auf einmal die Nationalisten auch im Parlament sitzen, denn die Extremen ziehen sich bekanntlich gegenseitig an", dozierte Sträuber. "Manchmal auch auf oder aus", flüsterte Kehrmann und die Anderen grinsten. "Ja, warum haben wir zum Beispiel hier in Bayern kein Problem mit den Rechtsradikalen?" fragte Sträuber in die Runde. "Weil wir selber recht radikal sind, was unsere Ausländerpolitik betrifft", hätte man an jener Stelle gerne eingeworfen, doch das tat, wie nicht anders zu erwarten gewesen war, keiner der Anwesenden. "Weil unsere CSU mit ihrem außerordentlich erfolgreichen Ministerpräsidenten und ihrem großartigen Innenminister Blackschein es erst gar nicht zuläßt, daß sich die Neonazis an den Stammtischen breitmachen. Rechts von der CSU darf es keine demokratisch legitimierte Partei geben, das hat schon Hans Werner Braus gesagt und daran hat sich bis heute nichts geändert." Alle nickten zustimmend. "Also, es wird wahrscheinlich sowohl in Berlin als auch in Mecklenburg-Vorpommern weiterhin ein rot-rotes Bündnis geben und wir dürfen diese Schmuddelkinder dann wieder durchfüttern im Länderfinanzausgleich. Das ist auch so eine spezifisch deutsche Ungerechtigkeit, daß die erfolgreichen Länder die faulen und unfähigen mitfinanzieren müssen. Der Lowereit stellt sich hin und läßt sich feiern und wählen für Dinge, die er mit unserem Geld finanziert!" entrüstete sich Sträuber. Danach verzog er sich in sein Büro, denn er hatte sich genug aufgeregt.

Aber es sollte alles noch viel schlimmer kommen für den bedeutendsten bayerischen Politiker nach HWB. "Die sind doch alle nicht mehr ganz richtig im Kopf! Was wollen mir diese Frankenbeutel anhängen?" schrie Sträuber voller Wut. "Ach, die sind immer noch sauer darüber, daß Du nicht nach Berlin gegangen bist. Die hatten sich schon so darauf gefreut, daß ihr Gunnar Blackschein endlich Ministerpräsident wird", bemerkte sein Intimus Nick Dröhnberger. "Die sollen sich mal nicht so haben, daran ist schließlich einzig und allein die Gerkel schuld. Und vielleicht noch ein kleines bißchen die SPD." Dröhnberger schaute seinen Chef fragend an. "Na das ist doch ganz klar: Wenn die Genossen den Mützewirsing nicht dazu gebracht hätten hinzuschmeißen, dann hätte ich keine gute Ausrede gehabt und trotz allem als Minister nach Berlin gehen müssen." Nick nickte verstehend. "So, jetzt aber wieder zurück in die Gegenwart: Was ist da überhaupt los in Franken? Wer ist eigentlich diese Mauli?" "Eine Landrätin aus Fürth, die sitzt übrigens auch im Vorstand unserer Partei." "Tatsächlich? Gut zu wissen, die ist mir noch gar nicht aufgefallen. Die will sich wohl jetzt wichtig machen, indem sie eine Mitgliederbefragung fordert, die entscheiden soll, wer 2008 als Spitzenkandidat für die CSU antritt. Die hat sie wohl nicht mehr alle! Ich regiere so oft und so lange wie es mir paßt. Was glaubt die eigentlich wer sie ist?" "Na ja, es gab da seit dem Rückzieher mit Berlin schon die eine oder andere kritische Stimme", gab Dröhnberger zu bedenken. "Papperlapapp! Das sind doch alles Dauernörgler, die schimpfen immer über irgendwas. Wenn der Baigel und der Lauter ihren Müll von sich geben, dann kann ich das doch wohl nun wirklich nicht ernst nehmen; es weiß doch schließlich jeder, daß die persönliche Avancen, äh, Aversionen gegen mich hegen." "Das stimmt natürlich, Chef." "Na also, damit wäre das auch geklärt. Du hast doch gute Verbindungen nach Franken. Ruf dort doch mal einen Deiner Spezis an und frag ihn, was mit der Mauli los ist! Erkundige Dich nach ihrem Privatleben und nach ihrem Alkoholkonsum, ich muß alles über diese Frau wissen. Schließlich hat man seine Feinde gut zu kennen, wenn man sie besiegen will und Wissen ist bekanntlich Macht." Sträuber ging und Dröhnberger machte sich an die Arbeit.