Mythos, Pathos und Ethos

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Es war also alles ein kleines bißchen kompliziert und es wurde auch dadurch nicht besser, daß es immer mehr Stimmen gab, die das ganze Spektakel für äußerst bedenklich hielten und nicht glaubten, daß das Bundesverfassungsgericht den Weg für Neuwahlen frei machen würde.

Darüber redeten auch die unmittelbar davon Betroffenen: "Du, Bernd, was machen wir eigentlich, wenn das mit den Neuwahlen doch nicht funktioniert?" wollte Mützewirsing wissen. "Dann haben wir die Arschkarte gezogen und müssen bis September 2006 weiter regieren", antwortete Schräder. "Das wäre ja furchtbar! Also auf den Nöler können wir uns, glaube ich, verlassen, was die Neuwahlen angeht." "Wollen wir das Beste hoffen. Eigentlich kann der ja gar nicht anders als den Weg freimachen, weil er es sich sonst mit Gerkel, Sträuber, und Festerbelle ein für allemal verschissen hätte." "Ganz genau. Aber die Klappe kann der auch nicht halten, von Vertraulichkeit hat der Typ scheinbar noch nie etwas gehört." "Allerdings, der Kerl ist wahrlich ein Schwätzer. Na ja, wenigstens steht der auf unserer Seite, zumindest in dieser Frage. Aber daß jetzt meine größten Kritiker in der Vertrauensfrage für mich stimmen wollen, das finde ich schon sehr makaber." "Da geht es mir ganz genauso, so eine verlogene Bande." "Man merkt, daß Du Deinen Laden überhaupt nicht mehr im Griff hast, Mütze." "Das kann man wohl sagen. Egal, Augen zu und durch heißt es jetzt. Hoffentlich macht das blöde Verfassungsgericht mit. Dort sieht man es ja überhaupt nicht gerne, wenn ein Kanzler plötzlich Neuwahlen möchte, nur weil es mit dem Regieren nicht mehr so leicht geht." "Die sollen sich mal nicht so haben. Noch ein Jahr mit uns an der Regierung und Deutschland ist endgültig am Boden. Ich habe denen eine Steilvorlage geliefert, die müssen sie jetzt nur noch verwandeln." "Das sind Richter, keine Fußballer." "Leider." Daraufhin machten sich die Beiden vom Acker.

10.07.2005: Die Grünen gab es ja auch noch und die machten sich das Leben mal wieder selber schwer, eine Disziplin, in der sie richtig gut waren. Auf einmal wurde gefordert, man müsse neben Ansgar Mischer noch eine Spitzenkandidatin aufstellen, weil das mit der Doppelspitze bei den Grünen so üblich und quasi Vorschrift sei und um Frau Gerkel von der CDU eine Frau entgegenzusetzen. Gerade noch konnte der Zwergenaufstand der Basis von den Parteioberen niedergeschlagen werden, aber es waren mal wieder unschöne Bilder, die da ins Land gesendet wurden. Die Wähler bestraften Selbstbeschäftigung bei den Parteien meist mit Liebes- sowie Stimmentzug, von daher würde sich der alleinige Spitzenkandidat der Grünen, Bundesaußenminister Mischer, mächtig ins Zeug legen müssen. Schwarz-Gelb wollte man verhindern, aber auf Rot-Grün hatte man nach all den Jahren auch nicht mehr richtig Bock und wenn die Linken ins Parlament kamen, dann würde es ohnehin eine Große Koalition geben. Von daher präsentierte man ein ambitioniertes eigenes Programm, mit dem man sich beispielsweise von CDU/CSU distanzierte, welche eine Erhöhung der Mehrwertsteuer forderten.

Genau jene Forderung sorgte für Unruhe beim potentiellen Koalitionspartner. Die FDP sprach sich klar und deutlich gegen eine Erhöhung der Mehrwertsteuer aus, ließ aber zugleich verlauten, an jener Frage werde eine Koalition mit der Union nicht scheitern. Man hoffte also auf enttäuschte potentielle CDU/CSU-Wähler, die man einzufangen gedachte. Na ja, in der Union selbst gab es Stimmen, die verlangten, man müsse den Leuten vor der Wahl sagen, was man nach der Wahl vorhabe, aber Andrea Gerkel hätte das lieber vermieden, um keine potentiellen Wähler/innen zu verschrecken. Noch hatte man einen ausreichenden Vorsprung in den Umfragen, aber Kanzler Schräder war alles zuzutrauen. Festerbelle riet seiner Duz-Freundin Andrea von einem Fernsehduell mit dem Medienkanzler ab, doch sie war nicht die Frau, die sich von einem Mann, noch dazu einem im Vergleich zu ihr politischen Leichtgewicht, gute Ratschläge geben ließ. Schließlich hatte sie schon genügend andere Männer im Laufe ihres politischen Lebens aus dem Weg geräumt oder links liegen gelassen. Ihre große Stärke bestand darin, daß sie oft sowie gerne unterschätzt wurde und deshalb blieb sie ruhig sowie gelassen, denn wenn sich die Union keine großen Fehler leistete, dann war ihr der Wahlsieg am 18.September 2005 nicht mehr zu nehmen. Nicht einmal das Bundesverfassungsgericht konnte und würde ihren Siegeszug stoppen, davon war die Frau felsenfest überzeugt.

22.07.2005: "Bundespräsident löst das Parlament auf - Nöler gibt Weg für Neuwahl frei", lautete die Schlagzeile in der SZ. Es war also endlich vollbracht. Um 20.15 Uhr am 21.07.2005 erschien plötzlich der Thorsten auf den bundesdeutschen Bildschirmen und schwafelte was von Untergang und Chaos, wenn es nicht bald eine Neuwahl geben würde, weshalb er sich nach sorgfältiger Abwägung der verschiedenen Interessen sowie Argumente und Anhörung aller Seiten eben doch für diesen Schritt entschieden hätte. Vorher hatte es ein genervtes Warten auf die Entscheidung des Bundespräsidenten gegeben, denn der ließ lange nichts von sich hören, um dann plötzlich doch aus der Versenkung heraus aufzutauchen und den Startschuß für den Wahlkampf, der bereits längst schon angelaufen war, zu geben. Nun ja, jeder hatte halt mal sein eigenes Tempo und daß er sich die Entscheidung nicht leicht gemacht hatte, das glaubte man dem Nöler Thorsten sofort. Doch damit ging der Zirkus erst so richtig los, denn nun machten sich zwei Abgeordnete aus dem Regierungslager (eine SPD-Frau und ein Grüner) auf den Weg zum Bundesverfassungsgericht, um dort gegen die Neuwahlentscheidung des BP zu klagen. Außerdem echauffierten sich etliche Kleinparteien darüber, daß sie innerhalb kürzester Zeit Tausende von Unterstützerunterschriften abzuliefern hatten, um für die Wahl zugelassen zu werden, was in der Kürze der verbleibenden Zeit aber überhaupt nicht machbar wäre. Auch sie begaben sich nach Karlsruhe um zu klagen.

Ganz anders sah die Stimmungslage selbstverständlich beim Bundeskanzler aus. Der war hochzufrieden, schließlich hatte der Bundespräsi seiner Einschätzung zugestimmt und so konnten die Dinge genau den Lauf nehmen, den er sich vorgestellt hatte. Manchmal klappte alles eben doch wie am Schnürchen.

Nicht alle freuten sich jedoch über jene Entscheidung, insbesondere Juristen und Verfassungsexperten sahen das Ganze sehr skeptisch und hofften nun darauf, daß das BVG dem unwürdigen Spuk ein Ende bereiten würde. Es blieb also weiterhin spannend und das war für die Medien natürlich eine feine Sache.

Ende Juli 2005: Marina Kohlfeier war vor dem Untersuchungausschuß aufgetreten, in dem es um die Wahlmanipulationen von Mitgliedern der Münchner CSU ging. Als Zeugin hatte man sie geladen und das aus ihrer Sicht völlig zurecht, denn sie wies alle Anschuldigungen gegenüber ihrer Person auf das Schärfste zurück und zeigte sich als die Unschuld vom Lande, die vielleicht etwas naiv und blauäugig in diesen Haufen von Übeltätern geraten war. An die entscheidenden Gespräche, Aussagen und Telefonate, die sie getätigt haben sollte, konnte sie sich erstaunlicherweise nicht mehr erinnern und ansonsten hatten die anderen Zeugen das Ganze, entweder absichtlich oder versehentlich, alles falsch dargestellt, auf jeden Fall hätte sie nie jemanden erpreßt und so weiter und so fort. Wem sollte man also glauben? Einem jungen Parteifreund, der wegen Urkundenunterdrückung verurteilt worden war oder einer mit allen Abwassern gewaschenen Frau, bei der die Lüge zum täglichen Brot zu gehören schien? Na ja, irgendwie auch egal, schließlich war sie ja zurückgetreten und da bei solchen Untersuchungsausschüssen meistens ohnehin nichts Interessantes herauskam, konnte man getrost den Aktendeckel schließen. Nur eine Nachricht ließ dann doch noch aufhorchen, denn die Mari gab an, in der Politik bleiben zu wollen. Plante da etwa jemand die Rückkehr auf die große politische Bühne, nachdem in wenigen Jahren Gras über die ganze Sache gewachsen war?

Mitte August 2005: Er hatte es mal wieder geschafft, Egmont Sträuber war in aller Munde und die Medien überschlugen sich mit Nachrichten und Hintergrundinformationen. Was war passiert? In einigen seiner Wahlkampfreden hatte Meister Ege darauf hingewiesen gehabt, daß man "leider nicht überall so kluge Bevölkerungsteile wie in Bayern" habe und daß er es nicht akzeptiere, "daß der Osten bestimmt, wer in Deutschland Kanzler wird. Die Frustrierten dürfen nicht über Deutschlands Zukunft bestimmen." Damit hatte er sich in ganz Deutschland natürlich außerordentlich beliebt gemacht. Alle anderen Politiker widersprachen dem Sträubi, manche zeigten sich schockiert, andere empört, doch im Grunde waren sie dem "Frustrierten aus Bayern" allesamt unheimlich dankbar, denn er mobilisierte auf die Art und Weise seine politischen Gegner stärker als sie selbst das wahrscheinlich geschafft hätten. Die Linkspartei war begeistert, denn einen besseren Wahlhelfer als den Sträuber konnte man sich überhaupt nicht vorstellen. Schon verständlich, daß die Kanzlerkandidatin nicht eben erfreut war.

"Mensch, Egmont, hat das denn wirklich unbedingt sein müssen?" wollte Gerkel etwas angesäuert wissen. "Aber Andrea, ich habe doch nur darauf hinweisen wollen, daß der Fysi und der Afroträne frustrierte Versager sind, denen man dieses Land nicht anvertrauen darf", verteidigte sich Egmont. "Das ist mir schon klar, aber das Medienecho ist verheerend." "Dafür kann ich doch nichts. Im Endeffekt habe ich nur die bayerische und die baden-württembergische Bevölkerung gelobt und motivieren wollen, zur Wahl zu gehen." "Ja, aber in Wirklichkeit hast Du damit alle Ossis, die mich nicht mögen, motiviert zur Wahl zu gehen." "Äh, das wollte ich nicht. Aber Dein Brutto-Netto-Verwechseln und das, was der Bönschohm über die ostdeutsche Mentalität gesagt hat, haben uns auch nicht gerade weitergeholfen." "Genauso wenig wie Deine Forderung, die Union müsse mindestens 42 Prozent der Stimmen bei der Wahl bekommen." "Aber wir brauchen doch ein ambitioniertes Ziel, wir wollen schließlich diese Wahl gewinnen." "Selbstverständlich wollen wir das, Du Dusel, allerdings wird uns das nicht gelingen, wenn Du andauernd die Wähler im Land beschimpfst." "Aber was soll ich denn sonst machen?" "Du bist doch nur sauer, weil Du wegen den Ossis vor drei Jahren nicht Bundeskanzler geworden bist." "Das ist, äh, eine Unterstellung, die ich, äh, nicht auf mir sitzen lassen kann. Denn ich war in Nord- und Westdeutschland genauso unbeliebt wie im Osten." "Das stimmt wiederum. Wie dem auch sei, halte Dich in Zukunft bitte etwas zurück, sonst verlieren wir wegen Dir noch die Wahl." "Aber Andrea, das ist doch überhaupt nicht möglich. Diese Wahl kannst nicht einmal Du verlieren." "Na vielen Dank aber auch. Dank Dir wird diese blöde Linkspartei immer stärker und wenn es ganz dumm läuft, dann können wir nicht mal mit der FDP zusammen regieren, weil dafür unsere Stimmen nicht reichen." "Macht doch nichts, dann koalieren wir halt mit der Linkspartei." "Sehr witzig Egmont, wirklich sehr witzig. Ich habe eh schon den Verdacht, daß Du ein Agent von denen bist." "Also wirklich, äh, das ist doch die, äh, Höhe! Ich habe mit diesen Sozialisten nichts gemein." "Na ja, da wäre ich mir nicht so sicher, Du mit Deiner CSU, Deiner Christlich Sozialistischen Union." "So etwas muß ich mir nicht bieten lassen, Frau Ferkel, äh, Christensen, äh, Gerkel! Ich bin der größte und stärkste Gegner dieser Populisten und Volksverdummer." "Sehr gut, mein lieber Egmont, das höre ich gerne. Also, auf sie mit Gebrüll, aber keine Wähler mehr beleidigen, verstanden?" "Äh, also gut, äh." "Na also, es geht doch." "Aber es macht so viel Spaß, über die Frustrierten herzuziehen." "Das weiß ich doch, Egi, von mir aus kannst Du das auch weiterhin gerne machen. Aber nicht in der Öffentlichkeit, verstanden?" "Na gut." "Sehr schön. Gut, dann sind wir uns ja einig. Und schöne Grüße an Deine Muschi!" "Was haben Sie nur immer mit dieser dämlichen Katze?" "Ich meine doch Deine Frau, Du Dödel." "Ach so, natürlich. Vielen Dank und hoffentlich wird Ihr Jochen nicht sauer." "Der heißt nur so, aber in Wirklichkeit ist der ganz süß." "Also einmal Kanzlerinnengatte Süß-Sauer." Sie lachten Beide gequält und legten genervt auf.

 

"Nur die dümmsten Kälber wählen ihren Metzger selber", hatte der Über-Bayer den Ossis noch hinterhergeworfen gehabt. Entschuldigen wollte er sich für seine Äußerungen auch nicht und das aus gutem Grund. Nicht umsonst wurde darüber spekuliert, Sträuber betreibe die Ossi-Schelte lediglich, um in Bayern ein starkes Ergebnis zu erreichen, damit er nach der Wahl mit seiner CSU auf mehr Stimmen kam wie die FDP. Denn nur in jenem Fall hätte Sträuber die freie Auswahl eines Ministeriums gehabt. Erst einmal verzettelte er sich jedoch in seinem Kampf gegen die Linkspartei: Zunächst erklärte er sich zu einem Fernseh-Duell mit Oswald Afroträne bereit, doch wenig später ruderte er bereits wieder zurück und wollte nur ein Print-Duell haben. Schade, dabei wäre es höchst spannend gewesen zu erleben, was sich Egmont und Oswald so alles an den Kopf werfen; dabei hätten sie doch Beide genüßlich über den Mann, der jeden von ihnen einst besiegt hatte, Bundeskanzler Schräder, herziehen können und sich darob wahrscheinlich bestens verstanden. Im Osten wollte man Sträuber nach seinen Äußerungen nicht mehr sehen, was jenen nicht sonderlich gestört haben dürfte, schließlich hatte er selbst von den Ossis auch schon lange die Schnauze voll. Andrea Gerkel dagegen mußte natürlich schon in Ostdeutschland auftreten und wurde dort, vor allem dank Sträuber, mit lautstarken Pfiffen empfangen. Das würde sie ihm garantiert niemals vergessen.

Ende August 2005: Ganz anders sah es zwei Wochen später auf dem CDU-Jubelkonvent aus, wo alle Ministerpräsidenten die Parteivorsitzende und Kanzlerkandidatin in den höchsten Tönen lobten und sich selbst natürlich auch angemessen rühmten. Jede Menge Klatschvieh hatte man angekarrt gehabt, die Stimmung war bestens, man freute sich auf den Wahltag, da man einen haushohen Sieg der Union erwartete und so wurde auch Egmont Sträuber freundlich begrüßt und fleißig beklatscht. Man war ja schließlich nicht nachtragend und wollte es sich mit dem CSU-Parteivorsitzenden, der durchaus empfindlich sein konnte, nicht verscherzen, in der Hoffnung, er würde sich zukünftig ruhiger verhalten.

Derweil ging es hinter den Kulissen voll zur Sache, denn die Steuerpläne von Raul Kirchdorf, dem designierten Finanzminister der CDU, sorgten für erhebliche Unruhe in den eigenen Reihen. Der "Professor aus Heidelberg" hatte ein radikales Steuerkonzept entwickelt gehabt, das extrem polarisierte, weshalb die Unions-Politiker versuchten, es hinter den eigenen Steuerplänen zu verstecken oder es als "wünschenswert, aber nicht machbar" zu bezeichnen. An den Wahlständen sorgte jedoch die Tatsache, daß die Union auf einmal zwei Steuerkonzepte vorliegen hatte, für jede Menge Konfusion. Nichtsdestotrotz stärkte Andrea Gerkel ihrem neuen Liebling demonstrativ den Rücken, was blieb ihr auch Anderes übrig?

Anfang September 2005: Sträuber dagegen hatte Schwierigkeiten, denn er fand in jenem Wahlkampf seine Rolle einfach nicht. Schräder hatte ihn mit seiner Neuwahl-Entscheidung am meisten von allen überrumpelt und so suchte der weise Mann aus Oberbayern verzweifelt seinen Platz im Wahlkampfteam der Union, ohne fündig zu werden. Am liebsten wäre er natürlich Bundeskanzler geworden und demzufolge als Kanzlerkandidat angetreten, doch das war mit der CDU dieses Mal definitiv nicht zu machen. Von daher mischte er zwar munter mit, hielt sich jedoch an keine Absprachen und wurde so immer mehr zur losen Kanone der Union, bei der man nie wußte, ob sie auf den politischen Gegner oder die eigenen Leute zielte und feuerte. Was für ein Drama! Aber im Grunde war es Sträuber ohnehin egal, wer unter ihm als Kanzlerin oder Kanzler regierte, schließlich hielt er nach wie vor sich selbst für den Allergrößten. Außerdem zweifelten viele in seiner Partei daran, daß er sich in ein Kabinett einfügen könnte, da er es ja seit zwölf Jahren gewohnt war, selber den Ton anzugeben und das Wort zu erteilen oder die ganze Zeit selbst zu reden.

Kaum zu glauben, aber wahr, Andrea kam auch nach Bavaria. So zum Beispiel zum Wahlparteitag der CSU in München, wo sie jener Partei verbal einige Freundlichkeiten zukommen ließ, weshalb sie nach ihrer Rede von dankbaren Bayern so heftig und ausdauernd beklatscht wurde, daß sich sogar König Egmont dazu genötigt sah, auf die Bühne zu steigen, um ihr zu gratulieren. Selbstverständlich war es für die Union unheimlich wichtig, in Bayern ein ausgezeichnetes Wahlergebnis zu erreichen, denn im Süden Deutschlands holten CDU und CSU bekanntlich immer die meisten Stimmen und da Sträuber 2002 über 58 % der Wählerstimmen hinter sich vereinigen hatte können, wollte man drei Jahre später nicht gar so brutal abfallen, auch wenn natürlich klar war, daß die CSU mit einer Kanzlerkandidatin Andrea Gerkel auf gar keinen Fall in solche Regionen vorstoßen würde können, das wußten alle, die ein wenig Ahnung hatten.

Weitaus interessanter für die meisten CSU-Delegierten war ohnehin die Frage, was ihr geliebter Sträuber nach der Wahl zu tun gedachte. Würde er Bayern verlassen, um in Berlin Deutschland auf Vordermann zu bringen? Oder würde er doch lieber ein starker bayerischer Ministerpräsident und CSU-Vorsitzender bleiben, welcher der Kanzlerin zukünftig von München aus viele gute Ratschläge zukommen ließ? Wenn man die CSU-Basis darauf ansprach und nachfragte, dann wurde sehr schnell deutlich, daß die Mehrheit der Leute sich dafür aussprach, daß Sträuber in München blieb und das war durchaus bemerkenswert. Er genoß also weiterhin allerhöchstes Ansehen im Freistaat und schien von seiner Strahlkraft viel weniger verloren zu haben als befürchtet. Oder glaubten die Befragten etwa, Sträuber würde die CSU in Berlin blamieren und rieten ihm deshalb von einem Wechsel in die Hauptstadt ab?

06.09.2005: Es hatte tatsächlich stattgefunden und nun gab es wieder genug zu schreiben über jenes Kanzler-Duell, das da zwei Tage vorher am Abend über die Bildschirme geflimmert war. Schräder hatte gesiegt, so sah es jedenfalls die Mehrheit der Fernsehzuschauer, wenngleich überall hinzugefügt wurde, daß sich Andrea Gerkel ganz tapfer geschlagen hätte. 90 Minuten lang hatten sich die beiden Kontrahenten "duelliert" und 20 Millionen Fernsehgeräte hatten das Spektakel in die deutschen Wohnzimmer übertragen gehabt. Inhaltlich Neues hatte man dabei nicht erwarten dürfen und dementsprechend auch nicht geliefert bekommen. Andrea Gerkel lächelte sich durch die Sendung, um sympathisch und weniger kalt zu wirken, so wie es drei Jahre zuvor bereits Egmont Sträuber himself praktiziert hatte. Schräder war so telegen und professionell wie immer, der Mann hatte einfach eine Affinität zu Fernsehkameras, da machte ihm niemand etwas vor. In den Umfragen, wen die Leute lieber als Kanzler hätten, lag Schräder schon lange wieder deutlich vor Gerkel, nur bei den Parteien haperte es aus seiner Sicht noch etwas. Schwarz-Gelb lag ganz knapp vor Rot-Grün und der Linken, aber da es noch viele unentschlossene Wähler gab, von denen Schräder durch seinen Fernsehauftritt etliche für sich und seine Partei gewonnen haben dürfte, bestand Anlaß zur Hoffnung. Es wurde viel geredet an jenem Abend und ein Mann stand dabei ganz besonders im Mittelpunkt. Raul Kirchdorf, der neue "Steuer-Mann" der CDU, für den Bundeskanzler Schräder der Union gar nicht genug danken konnte. Wen wunderte es da, daß einer der Moderatoren Andrea Gerkel einmal, wahrscheinlich versehentlich, als "Frau Kirchdorf" ansprach? Das war zweifellos das absolute Highlight der gesamten Veranstaltung gewesen, traurig aber wahr.

07.09.2005: Im Bundestag ging es noch einmal heftig zur Sache. Alle beschimpften sich so gut sie konnten, beleidigten einander so kreativ wie möglich und hielten ihre Wahlkampfreden eins zu eins im deutschen Parlament. Irgendwie durchaus verständlich, denn der Wahltag rückte unerbittlich näher, von daher galt es, die eigenen Reihen geschlossen hinter sich zu versammeln und den politischen Gegner noch einmal frontal anzugreifen, damit das doofe Volk vor den Bildschirmen endlich mal merkte was Sache war und deshalb endgültig die notwendigen Konsequenzen daraus zog. Festerbelle traf dabei eher zufällig und unbeabsichtigt auf Ansgar Mischer. Jener versuchte, so wie immer, den FDP-Mann zu ignorieren, doch der nahm seinen ganzen Mut zusammen und sprach den Außenminister an: "Hallo, Herr Mischer! Ich weiß gar nicht ob Sie’s wußten, aber ich werde schon bald Ihr Nachfolger", behauptete Guildo. "Sie, Gu-ildo, werden nicht mal Staatssekretär im Auswärtigen Amt", höhnte Ansgar. Damit hatte er Festerbelle schwer getroffen, doch der ließ nicht locker. "Sie werden schon sehen und sich dann bei mir entschuldigen. Außerdem haben Sie heute selbst "Kanzlerin" gesagt und die Frau Gerkel gemeint." "Mag sein, daß ich mich da versprochen habe, vielleicht war es ja auch ironisch gemeint, das weiß ich bei mir manchmal leider selber nicht so genau, aber Ihr Gelben werdet genauso wie wir nach der Wahl in der Opposition landen." "Nein, das werden wir nicht. Wir waren jetzt schon sieben Jahre lang in der Opposition und das tut einer Partei wie der FDP überhaupt nicht gut. Vielleicht werden wir sogar zweistellig." "Das wird Euch alles nichts nützen, weil es für Schwarz-Gelb garantiert nicht reicht. Da könnt Ihr Euch dann bei der Linkspartei dafür bedanken." "Pah, mit denen rede ich doch gar nicht, mit diesen Kommunisten und Salon-Bolschewisten!" "Genug jetzt. Noch bin ich hier der Außenminister und deshalb tue ich nun das, was mein Amt von mir verlangt und gehe nach draußen", ließ Mischer von sich hören und ging. "Arroganter Schnösel!" entfuhr es Festerbelle. "Ach, haben Sie gerade eben etwa wieder in den Spiegel geschaut, Gu-ildo?" "Dieses Schmierblatt nehme ich doch gar nicht freiwillig in die Hand." "Wenn Humor eine Krankheit wäre, dann wären Sie und Sträuber als Einzige dagegen immun."

08.09.2005: Die Neuwahl rückte immer näher, das Rennen wurde immer enger, die SPD holte merklich auf und dann geschah es. Die NPD in Dresden sabotierte auf einmal das ganze Spektakel, indem eine ihrer Direktkandidatinnen mit 43 Jahren plötzlich an einem Hirnschlag verstarb. Was das bedeutete war sonnenklar: Es würde in Dresden in einem Wahlbezirk eine Nachwahl geben müssen und zwar voraussichtlich zwei Wochen nach der Bundestagswahl, also Anfang Oktober. Das hatte den Wahlkämpfenden gerade noch gefehlt! Womöglich noch einmal zwei Wochen warten und bis dahin um jede der 230000 verbliebenen Stimmen kämpfen, denn es konnte ja durchaus sein, daß ausgerechnet in Dresden entschieden wurde, wer neuer Bundeskanzler wird. Da ein ganz knappes Rennen erwartet wurde, kam es vielleicht tatsächlich auf das Dresdner Ergebnis an und so stellten sich diverse Fragen. Zum Beispiel, ob man nicht mit der Veröffentlichung des Wahlergebnisses bis Anfang Oktober warten müßte, nachdem die Dresdner auch gewählt hatten. Schließlich wußten die ja sonst im Voraus schon wie es stand und ausschaute, weshalb sie möglicherweise gar nicht, anders oder sogar taktisch wählten. Schwierige Fragen gab es da also zu beantworten, es schien so, als stünde jene erzwungene Neuwahl unter keinem guten Stern. Für die NPD hatte das Ganze den Vorteil, daß sie auf jene Art und Weise auch mal bundesweit erwähnt wurde, so daß viele Leute mitbekamen, daß die Nationalen auch zur Wahl standen.

 

Guildo Festerbelle war derweil immer noch munter in ganz Deutschland unterwegs, er kannte dabei keinerlei Berührungsängste, ging auf die Leute zu und warb um Stimmen für seine Partei. Jene glaubte nach wie vor felsenfest daran, mit der Union alsbald die Regierung zu stellen und jene Überzeugung manifestierte sich in der Forderung nach drei Ministerien für die Liberalen. Na ja, jedenfalls kämpfte der gute Mann um jede Stimme und gab alles, genauso wie seine Kolleginnen und Kollegen von den anderen Parteien. Auffallend war, daß die FDP als solche im deutschen Volk gar nicht so unbeliebt zu sein schien; kein Wunder, schließlich hatte sie seit sieben Jahren nichts mehr zu melden und war deshalb für die aktuelle Lage auch nicht mitverantwortlich. Andererseits stieß der ehemalige Spaßpolitiker Guildo Festerbelle doch recht häufig auf Skepsis und Zurückhaltung, was wohl auch mit seinem oft dröhnenden Auftreten zu tun hatte. Man konnte manchmal wirklich meinen, der Mann wäre der Vorsitzende einer Volkspartei, so wie er das Maul aufriß, doch da sich dahinter womöglich nur Unsicherheit verbarg, welche es zu kaschieren galt, verzieh man ihm das Getöse, aber nur, wenn man mal hinter seine Fassaden schaute. Wie auch immer, er war guten Mutes und freute sich schon auf sein künftiges Ministeramt. Würde er reüssieren oder sein blaues Wunder erleben, so wie die Wählerinnen und Wähler in Dresden, die am "Blauen Wunder" wohnten und deshalb am 18.September noch gar nicht zur Wahl gehen durften?

In der Union ging währenddessen die Debatte um Raul Kirchdorf und sein Steuermodell munter weiter. Mittlerweile hatten sich alle Beteiligten auf die Sprachregelung geeinigt, daß erst einmal das Unionskonzept umgesetzt werden würde und dann könne man weiter sehen. So wollte man die verwirrte Basis und die irritierten potentiellen Wählerinnen und Wähler beruhigen. Der Professor aus Heidelberg ordnete sich zunächst ein, um des lieben Friedens Willen, doch wer ihn kannte, wußte genau, daß er, sobald er deutscher Finanzminister wäre, sofort loslegen würde, ohne Rücksicht auf Stimmungen und Verluste. Genau das fürchteten viele Leute bei CDU und CSU auch, deshalb blieb die Angelegenheit hochinteressant. In der FDP hatte der Professor mit seinem Steuermodell jedenfalls viele Freunde gefunden, vielleicht hätte er lieber für die Liberalen antreten sollen.

Aber es gab da ja auch noch den amtierenden Bundeskanzler, welcher so freundlich war, der SZ ein Interview zu gewähren. In dem sprach er von den notwendigen Reformen, lästerte ein wenig über die weltfremden Vorstellungen des Herrn Kirchdorf und zeigte sich fast so selbstbewußt wie der unvermeidliche Festerbelle. 38 Prozent der Wählerstimmen peilte er nun als neues Ziel für seine SPD an, in den Umfragen stand sie gerade bei 34, wohingegen die Union bei 42 % gehandelt wurde. Schräder glaubte daran, das noch verändern zu können, denn seiner Ansicht nach befand sich die SPD im Aufwind und da die Deutschen ohnehin ihn lieber als Bundeskanzler wollten, nahm er für sich in Anspruch, auch nach der Neuwahl weiter zu regieren, mit welchem Koalitionspartner auch immer. Daß es zusammen mit den Grünen wohl nicht reichen würde, wußte er genauso gut wie alle Anderen auch, doch so etwas sagte man natürlich nicht öffentlich, sondern hielt sich statt dessen lieber alle Optionen offen. Demzufolge war es für ihn das Wichtigste, daß seine Partei auch zukünftig die stärkste Fraktion im Bundestag stellte, denn dann würde man, also der Nöler Thorsten, der Bundespräsi, ob er wollte oder nicht, dem bliebe da gar nichts Anderes übrig, die SPD ein weiteres Mal mit der Regierungsbildung beauftragen. Schräder war guter Dinge und das war keineswegs nur gespielt, denn er kannte sich gut genug um zu wissen, daß er immer zu Wahlkampfzeiten zu absoluter Hochform auflief. Wie passend.

13.09.2005: Dialekt und Dialektik sind ja normalerweise zwei Paar Schuhe. In Kulmbach war das jedoch anders, denn dort wurde Bernhard Schräder von der örtlichen SPD-Abgeordneten als schöner Mann bezeichnet, was sich im fränkischen Dialekt natürlich ein wenig anders anhörte. Noch lustiger war dann allerdings, was Schräder daraus machte, denn der bedankte sich für das Kompliment, er wäre ein "scheener Mao". Damit hatte er die Lacher natürlich auf seiner Seite, doch ganz unpassend war das Wortspiel eigentlich nicht, denn selten war Schräder beim Regieren so sozialdemokratisch wie bei seinen Wahlkampfauftritten gewesen. Plötzlich hatte man da dann auf einmal das Gefühl, bei dem Mann könne es sich tatsächlich um einen waschechten Sozialdemokraten handeln; etwas, das man sich in den vorangegangenen Jahren nun beim besten Willen nicht vorstellen hatte können. Klar, in der Stunde der Not versammelten sich alle Beteiligten hinter dem Leitwolf, dem Alphatier und hofften, jenes würde das Ruder noch einmal herumreißen. An eine Fortsetzung von Rot-Grün dachte niemand mehr, denn es würde mit großer Wahrscheinlichkeit fünf Fraktionen im neuen deutschen Bundestag geben, von daher war das quasi unmöglich. Aber irgendwie hatte sich die Stimmung breitgemacht, es könne vielleicht doch noch etwas gehen.

Wie schon mal erwähnt, Oppositionen werden nicht gewählt, sondern Regierungen werden abgewählt und genau das bekam die Union immer deutlicher zu spüren. Je näher der Wahltermin rückte, desto knapper wurde der Vorsprung der Oppositionsparteien auf die Regierung. Von 45 oder 42 Prozent für CDU/CSU war schon längst keine Rede mehr, mittlerweile wäre man wohl bereits mit 40 oder gar den ominösen 38,5 % zufrieden gewesen, die Sträuber drei Jahre zuvor als Wahlergebnis eingefahren hatte. Schräder kämpfte, denn das beherrschte er, aber würde es reichen? Die Umfragen hatten sich beruhigt gehabt, Schwarz-Gelb lag hauchdünn vorne, aber das hatte noch nichts zu bedeuten, denn entscheidend waren nicht die Ergebnisse der Meinungsforscher, sondern das an der Wahlurne. Wer konnte schon mit Sicherheit ausschließen, daß Mao Schräder nicht doch wieder die Wahl gewinnen und als Bundeskanzler weitermachen würde können?

Mitte September 2005: "Auf die Unentschlossenen kommt es an", behauptete die SZ in ihrer letzten Ausgabe vor der Wahl und damit lag sie wohl richtig. Es wurde fleißig über mögliche Koalitionen spekuliert, doch wesentlich interessanter war eine andere Sache: Scheinbar gab es immer noch unheimlich viele Wählerinnen und Wähler, welche nicht wußten, daß die Zweitstimme die entscheidende war und das gab dann doch ziemlich zu denken. So kam es, daß Grünen-Wähler auch ihre Erststimmen dem Kandidaten der eigenen Partei gaben, welcher jedoch ohnehin keine Chance auf das Direktmandat hatte, anstatt den SPD-Kandidaten zu wählen, der mit den Stimmen der Grünen-Sympathisanten vielleicht seinen Konkurrenten von der Union überflügeln hätte können. Tja, dumm gelaufen.