Die perfekte Insel

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Die perfekte Insel
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Thomas Frick

Die perfekte Insel

Abenteuer Malediven (mit zahlreichen Abbildungen)

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

7. Mai 2007

8. Mai 2007

9. Mai 2007

10. Mai 2007

11. Mai 2007

12. Mai 2007

13. Mai 2007

14. Mai 2007

15. Mai 2007

16. Mai 2007

17. Mai 2007

18. Mai 2007

Impressum neobooks

7. Mai 2007

Johoho, Piraten haben’s gut! Die Südsee ist was Tolles! Azurblauer Ozean, bunte Riffe, exotische Fische und kleine einsame Inseln. Jeder will einmal im Leben selbst fühlen, wie es dort ist – im weißen Sand, im warmen Wasser und unter Palmen. Der Stoff, aus dem die Sehnsüchte sind. Unsere salzig feuchten Träume. Kinostoff.


Und es gibt eine ganz eigene Sorte Verrückte, die träumen davon, auf einer solchen Insel zu arbeiten. So einer bin ich, Thomas Frick, Filmemacher, Reisender, Froschmann, professioneller Träumer. Ich bin gerade in einer schwierigen Lebensphase und deshalb für Abenteuer zu haben. Und nachdem mein junger Padawan-Schüler, mein Freund und Produzent Stefan, nach unserem ersten gemeinsamen Film und Festivalerfolg „Dangerous Animal“ mitten in Hollywood seinem Kinoidol George Lucas die Hand schütteln durfte, fragte er mich im Überschwang der Gefühle, was für einen Drehort ich mir als Nächstes vorstellen könnte.

Ich sagte es ihm.

Und so fanden wir uns am 7. Mai 2007 – nach ausgiebigen Google Earth- und Fotocommunity-Recherchen, nach telefonischen Expertenbefragungen, langen nächtlichen Skype-Sitzungen und einer gemeinsamen Drehbuchwoche in Dubai – auf den Malediven wieder. Genauer gesagt auf Dhiffushi – oder wie die Insel in der Tourismusbranche heißt: Holiday Island.Die am äußersten südlichen Rand des Ari Atolls gelegene ca. 700 Meter lange und 100 Meter breite Märcheninsel präsentierte sich genau so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Schneeweißer Sand, azurblaues Wasser, grüne Kokospalmen, dazu ein blauer Postkartenhimmel – jedenfalls von Weitem – und es war die ganze Zeit so heiß, als hätte jemand den Heizlüfter angelassen.

Auf dem Hinweg hatten wir einen unfreiwilligen Zwischenaufenthalt gehabt. Wegen der Zeitumstellung, Übermüdung und einer allzu demonstrativen Coolness und Routine beim Jetsetten verpassten wir den Anschlussflieger in Doha, der Hauptstadt von Katar. Aber für Stefan war so etwas kein Beinbruch, er brauchte nur einen Internetanschluss, um etwas aus der Situation zu machen.

Statt einer Nacht auf dem Flughafen oder einer Kette anstrengender Ersatz-Dreiecksflüge über Sri Lanka oder ein sonstiges Land entschied er sich für die wesentlich entspanntere Variante – think positive –, einen Fünf-Sterne-Aufenthalt. Wann sonst hätte man schon mal das sagenumwobene Katar zu sehen bekommen? Das Malheur brachte mir eine Nobelnacht im „Ritz-Carlton“, eine Stadterkundung per Taxi sowie einen halben Tag am Luxus-Pool ein und endete mit einem traditionellen Essen in einem Terrassenrestaurant am Meer zu Füßen einer gigantischen „Orry“-Statue, einem Qatari Oryx, dem vom Aussterben bedrohten Maskottchen der Asienspiele 2006.

Wir hatten anderthalb Tage Drehortsuche verloren, aber die Zeit wurde uns nicht lang, da es viel zu bereden gab, und dank Wireless LAN nutzten wir die Pause zu weiteren Recherchen. Am Abend ließen wir uns zum Flughafen fahren. Dort saßen wir zur Sicherheit lieber noch ein paar Stunden herum und schließlich ging es weiter mit „Qatar Airlines“ – vier Stunden ostwärts nach Malé.

Unsere Plätze waren zwar nebeneinander, allerdings ganz hinten im Flugzeug, wo es keine Fenster gab, sodass uns der spektakuläre Landeanflug über die Atolle, den ich mir schon so lange ausgemalt und herbeigewünscht hatte, entging. Nur einmal, ganz kurz, bei einer Kurve auf den letzten Kilometern konnte ich durch das Bullauge der Hintertür einen Blick auf eines der vielen kleinen Atolle werfen, ein hellgelber Kranz im blauen Meer, wie auf einem Kalenderbild. Dann legte sich das Flugzeug gerade und das Bild war wieder so unwirklich wie der Traum, den ich so viele Jahre geträumt hatte.

Der Malé International Airport sah auf den ersten Blick aus wie eine einzige blau gestrichene Halle mit ein paar Kontrollschaltern und dem Charme eines 70er Jahre James-Bond-Films.Stefan stürzte sofort zu einem Wireless-LAN-Punkt, kaufte einen Chip und versuchte während der zwei Stunden bis zur Weiterfahrt, Mails zu verschicken, um seine beruflichen Unternehmungen aufrecht zu erhalten, aber er bekam keine Verbindung.

Ich sah mir unterdessen einen Kiosk an, der mich an die 80er Jahre auf Rügen erinnerte, und ich kaufte mit Stefans Geld eine Landkarte – oder sollte man sagen: eine Wasserkarte – des gesamten Archipels mit allen Atollen und einzelnen Inseln, die aber wegen der Gesamtausdehnung der Malediven auf dem Papier kaum zu erkennen und zu unterscheiden waren. Dann drehte ich eine Runde durch den Wartesaal und machte Videoaufnahmen „von Land und Leuten“. Die Hitze und erst recht die Luftfeuchtigkeit waren unangenehm hoch und ich begann mir Sorgen um meine erst vor Kurzem gekaufte Sony HC3E HDV-Kamera zu machen. Ich hatte schon einmal eine Videokamera auf einer Reise eingebüßt, vor über zehn Jahren in Costa Rica. Auch dort hatte die Technik das schwül heiße Tropenklima nicht überlebt. Aber das Risiko musste ich erneut eingehen, schließlich hatte ich die Kamera u. a. deshalb mit, um sie unter realen Reisebedingungen zu testen. Ich wollte unbedingt herausfinden, ob ein Dreh damit möglich war – und das galt nicht nur für die Kamera.

Nachdem noch einige weitere Reisende von einem späteren Flug zu uns gestoßen waren, kletterten wir in ein so genanntes „Speedboot“ und verließen in beinahe gemütlicher Fahrt den Hafen. Weil ich unterwegs filmen wollte, hatte ich mich in der Schlange ganz vorne angestellt und einen Fensterplatz in der ersten Reihe ergattert.

Es schaukelte schon heftiger, als wir an Malé vorbei auf die Lagune tuckerten. Die gesamte Hauptstadt der Malediven ist im Laufe von fünf Jahrhunderten auf eine knapp zwei Quadratkilometer kleine Insel am Rande des Süd-Malé-Atolls gequetscht worden und wirkt mit ihren dicht gedrängten Häusern und deren arg durcheinander gewürfelten Fassaden ein bisschen wie Venedig auf Speed.

Mein Orientierungssinn ist eigentlich ganz passabel und ich bildete mir ein, dass wir ihn in den nächsten Tagen sicherlich noch gut brauchen würden, da wir etliche im Ozean verstreute Inseln besuchen und miteinander vergleichen wollten, um den perfekten Drehort für unser nächstes Projekt „Dangerous Island“ zu finden.

Bei unserem ersten gemeinsamen Kurzfilm-Abenteuer vor vier Jahren war es ähnlich abgelaufen: Eine Recherchewoche allein mit Stefan in Tunesien, um die richtige Oase zu finden, und dann, zwei Monate später, kamen wir bestens vorbereitet mit einer sechsköpfigen Crew zurück, um das Epos zu verwirklichen, was uns – Oh Wunder! – auch tatsächlich gelungen war. Der neue Film würde sicher ungleich aufwendiger werden, aber man wächst schließlich mit seinen Aufgaben.

Ich hatte mir auf Google Earth diverse Kandidaten für Drehorte ausgesucht und war gespannt, wie schwer es sein würde, sie in der Realität wiederzufinden. Ich versuchte, auf der Karte mitzuverfolgen, an welchen Inseln wir gerade vorbei brausten, sozusagen als Training für die nächsten Tage, verlor aber schon nach einigen Erfolgen die Orientierung. Alle maledivischen Inseln bedecken zusammen weniger als 300 Quadratkilometer Fläche, also nicht einmal so viel wie die Stadt München, erstrecken sich aber, westlich von Indien gelegen, über eine Länge von ca. 800 Kilometern quer durch den Indischen Ozean bis südlich des Äquators.Diese Zahlen lesen sich recht nüchtern, was sie bedeuten, wurde mir jedoch erst jetzt allmählich klar.

Nachdem wir ein paar bewohnte Inseln hinter uns gelassen hatten und schon eine Weile lang von Welle zu Welle klatschten, war am Horizont Brandung auszumachen und ich vermutete dort voller naiver Hoffnung bereits die ersten Inseln des gegenüberliegenden Ari-Atolls. Aber ich irrte mich gewaltig, denn es war erst das Außenriff des Süd-Malé-Atolls, das wir schließlich nach vierzig mühsamen Minuten stampfend und schlingernd hinter uns ließen.

Die Zeitangaben der Crew, wie lange wir eigentlich bis zur Ankunft auf Holiday Island brauchen würden, waren immer ein bisschen vage gewesen und die Hoffnung, bald da zu sein, löste sich rasch in fliegendem Schaum auf.

 

Das offene Meer war wesentlich bewegter als das Wasser in der Lagune und der pubertäre Kapitän jagte das Boot mit voller Geschwindigkeit in die erste große Welle hinein. Es bumste gewaltig, aber das war nicht etwa ein Versehen, sondern scheinbar die normale Art, zu reisen. Manchmal gelang es dem Skipper für einige Augenblicke, ruhig auf ein paar Wellenkämmen entlangzureiten, aber alle zwanzig Sekunden erwischte er ein Wellental, in welches das gesamte Schiff mit beängstigendem Krachen hineinstürzte, um gleich darauf wieder mit Schwung herauskatapultiert zu werden. Es war wie auf dem Rummelplatz. Mein Magen ging ganz langsam in die Knie und bettelte: Umkehren!

Aber der Spaß wiederholte sich mit beängstigender Gnadenlosigkeit alle Viertelminuten und die Antwort auf meine bang vorgetragene Frage nach der Entfernung bis zum nächsten Atoll war: „Nur zwei Stunden!“

Es gibt nichts Trostloseres als die offene See, wenn sie nicht nett zu einem ist und einfach kein Ende nehmen will. Der Skipper suchte sich einen scheinbar nicht existierenden Punkt am Horizont und bretterte stur drauf zu, ohne dass sich für absehbare Zeit das Geringste veränderte oder sich sonst irgendetwas Hoffnung Machendes ereignete. So sehr die Augen sich auch anstrengten – kein rettendes Inselchen kam in Sicht, kein Silberstreif glänzte am Horizont. Der Rumpf ächzte bei jedem neuen Schlag, die Materialfrage stellte sich und ich dachte voller Ehrfurcht an die alten Seefahrer, die das „Kap der Stürme“ mit nichts als Holz und Würmern unter den Füßen umrundet hatten.

Ich merkte schnell, dass mein Fensterplatz in der ersten Reihe ungefähr dem ersten Platz in einer aus den Schienen springenden Achterbahn entsprach. Selbst Stefan, mein rollercoastergestählter Vergnügungsparkjunkie sah ein wenig grünlich aus. Es war einfach nicht fair hier vorne, da man bei jedem Auf und Ab auch noch gründlich von seiner Stuhllehne verprügelt wurde.

Irgendwann fasste ich mir ein Herz und ließ mich wie eine Flipperkugel Schritt für Schritt und Hopser für Hopser in den weiter hinten gelegenen Teil des Schiffes werfen.

Oben auf der Brücke war es etwas ruhiger als in dem stickigen Bauch unserer wild auf und ab hüpfenden Jahrmarktsgondel. Ich hangelte mich das Treppchen hinauf und fragte mich etliche blaue Flecke später, wie die Crew das wohl aushielt. Die aber saß da wie ein Rudel Sphinxen bei einer Sonntagnachmittag-Nilpartie und der Käpt’n starrte nur unbewegt durch seine verspiegelte Sonnenbrille aufs Meer. Für ihn war es vermutlich ein ruhiger Tag. Seine mitreisenden Kumpels oder Offiziere fixierten mich wie die Bösewichter in einem Spionagefilm, aber wenigstens ließen sie mich gnädig bei ihnen herumstehen bzw. umhertaumeln.

Ich heftete die Augen so fest es ging an imaginäre Punkte am Horizont, so wurde mir wenigstens nicht schlecht.Endlich kam weit voraus etwas Ungewisses in Sicht. Es war eine immerhin schon mal weitläufig zu unserem Atoll gehörende Insel und ich verstand plötzlich das wahre Glück der Seefahrer aller Länder und Zeiten – Land in Sicht!

Land! Ich war froh, dass ich nicht angekettet in einem hin und her federnden Mastkorb hocken musste, um danach Ausschau zu halten.Es dauerte noch ewig, dann waren wir wieder in ruhigeren Gefilden, gondelten an Eilanden vorbei, die ich mit Hilfe der Karte und meiner vorhergehenden Studien bei Google Earth sogar wiedererkannte. Jetzt wurde es beinahe gemütlich, dem coolen Kapitän fielen bei so viel Beschaulichkeit die Augen zu, während ich mich nicht traute, ihn zu wecken, und mit klopfendem Herzen nach Riffen Ausschau hielt. Und schließlich tauchte unsere neue Heimat – Holiday Island – auf.

Auf einem azurblauen Eierkuchen thronte ein sattgrünes Häubchen aus Palmen, Palmen und noch mehr Palmen. Mir als altem Palmenfreak ging das Herz auf.


Was von Weitem wie eine unbewohnte Robinson-Insel aussah, bestand aber, näher besehen, aus über hundert gut getarnten Hütten, hatte eine eigene Hafeneinfahrt und einen gut 200 Meter langen Steg, vor dem schon ein paar Wasserflugzeuge dümpelten. Man glaubte jeden Moment Indy angerannt kommen zu sehen, verfolgt von vergifteten Indianerpfeilen.

An der Rezeption knöpfte sich Stefan sofort einen der Empfangsmanager vor und erklärte ihm, dass wir mitnichten Touristen seien, sondern die Macher eines Filmkunstwerkes, welches hier demnächst ganz viel Geld ins Land pumpen würde. Na ja, nicht heute, nicht morgen und wenn es so weit wäre, dann kämen wir mit vielleicht zehn Leuten wieder. Aber er machte auch gleich Ernst und noch vor unserem Zimmerschlüssel hatten wir für den nächsten Tag eine Verabredung zu einer Rundfahrt mit einem Dhoni, wie die einheimischen Boote hier heißen.

Unsere Behausung lag fast am Ende der Insel, es war heiß und schwül unter den Palmen. Kaum hatten wir in den Luxusappartments eingecheckt, die alle am Ufer der schmalen Insel lagen, befanden wir uns auch schon im Tiefschlaf. Die zwanzig Minuten Koma im wackelnden Flugzeug letzte Nacht waren eindeutig zu wenig gewesen.

Zufällig erwachte ich, als es draußen schon fast dunkel war. Stefan reagierte nicht, also ging ich alleine zum Strand – kein allzu weiter Weg. Die Sonne war zwar schon untergegangen, aber auch so bot sich ein umwerfendes Schauspiel explodierender Farben und Gefühle. Die Sehnsucht nach der Frau meines Herzens, die sich vor einiger Zeit von mir getrennt hatte, die ich aber um alles in der Welt gern bei mir gehabt hätte, das Glück, hier zu sein, und das Leid, es nicht teilen zu können, diese absurde Lebenssituation haute mich glatt um.

Beim Warten aufs Abendbrot las ich „Ubik“, einen surrealen Science-Fiction-Roman von Philip K. Dick über eine sich auflösende Welt, in der sich alles in die Vergangenheit zurückentwickelt, indem es frühere parallel existierende Formen annimmt.

Das Essen war nicht schlecht, aber es schmeckte mir nicht wirklich. Der Gedanke an frühere Half-Pension-Dinner mit meiner liebsten Reisegefährtin stimmte mich trübselig. Ich hatte diesen Effekt erwartet und es war klar, dass mich die Parallelwelten meiner Urlaubserinnerungen in Depressionen stürzen würden, aber ich konnte mir auch einreden, ich sei schließlich nicht zum Spaß hier, und so begann ich mich also tapfer durch das Vier-Sterne-Büfett zu graben, um mich für die kommenden Aufgaben zu stärken.Stefan ließ sich nicht blicken und der Kellner fragte mich nach meiner werten Gemahlin, ob die wohl noch käme. Holiday Island ist eine reine Honeymoon-Insel, ausgerichtet auf pauschale romantische Zweisamkeit. Ich zog probehalber den Bauch ein, als eine ansehnliche Urlauberin in kurzen Höschen vorbeischwebte, aber dann streckte ich ihn gleich wieder doppelt so weit vor, weil ich mir plötzlich unendlich albern vorkam, und floh ins Internetcafé „Cyberstation“, um eine der ersten Mails zu schreiben, aus denen schließlich dieser Bericht entstand.

Und da saß natürlich schon längst Stefan, der mich netterweise gleich auf seinem Account weiterarbeiten ließ. Das war schon traumhaft. Stefan bezahlte alles. Ich hatte in Malé Geld getauscht, es aber seitdem nicht wieder angefasst. Die Vereinbarung war die, dass Stefan der Produzent war, der Boss, und dass wir hier seinen Film vorbereiteten, er würde ihm später gehören, ich durfte ihn immerhin machen. Natürlich arbeiteten wir zusammen – und das sogar sehr gut. Im Dezember war ich schon für eine Woche zu Gast in Dubai gewesen, um zusammen mit Stefan das Drehbuch zu schreiben. Er hatte mir alles gezeigt und bezahlt – einschließlich Wüstentouren und Nobelhotels – und ich hatte mich immer gefragt, warum. Es war wie in Tunesien. Er war endlich wieder George und ich war Steven und nur ganz heimlich fragte ich mich, ob Lucas für Spielberg auch immer alles bezahlt, wenn sie zusammen einen Film drehen, und wann Stefan wohl die Lust daran verlieren würde. Das Boot für morgen zum Beispiel sollte schlappe 350 Dollar kosten, davon mache ich sonst einen ganzen Urlaub.

Als ich den Preis hörte und ein bisschen verlegen herumdruckste, predigte mein Mäzen mir Großzügigkeit und Vertrauen in Investitionen. Bei aller Freundschaft würde er keinen Pfennig investieren, wenn er nicht sicher sei, dass es des die Saat für einen ungewöhnlichen Film wäre, der jeden einzelnen Cent wert sei.

Dieser Gedanke gefiel mir.

8. Mai 2007

Am nächsten Morgen war Stefan schon los – ohne mich – zum Frühstück und ich hatte den Verdacht, er wollte sich so wenig wie möglich mit mir sehen lassen, aus Angst, geköpft zu werden. Diese Strafe, so hatte er erfahren, sieht die Scharia, die islamische Gesetzgebung, vor, wenn man als schwul entlarvt wird. Tatsächlich gab es hier nur ganz normale Hetero-Pärchen jeden Alters und einige glückliche Familien.


Am Büfett entdeckte ich einen Omelettemacher – ein Charakterkopf; er ähnelte Sammy Davis junior – mit riesiger weißer Papierkochmütze, wie ein Karnevalskoch, der machte mir ein Omelett mit herrlich vielen Zwiebeln und ich begann allmählich, mich wohlzufühlen. Aber Knoblauch hätte er nicht, sagte er streng, so etwas gäbe es ja wohl nur am Abend.

Ich haute mir den Wanst voll und folgte dann Stefan ins Internetcafé, aber am Tage war die Verbindung auch nicht besser. Das läge am Satelliteninternet und den Wolken, erklärte der junge Operator.

Ich wollte erst gar nicht, aber Stefan kaufte vorsichtshalber eine große Tube Sonnencreme mit einem betonartigen Schutzfaktor, der vermutlich im Iran auch zum Schutz gegen Atomraketen benutzt wird. Stefan ließ als Bewohner von Dubai den abgebrühten Sonnenbrand-Kenner heraushängen und warnte mich noch mehrmals davor, aufs Eincremen zu verzichten. Ich hingegen hielt das Zeug für schädlicher als die Sonne selbst und meinte, ein Hemd würde reichen.

Im Bungalow checkten wir die bisher gemachten Videoaufnahmen. Wir konnten die Kamera direkt an den Zimmerfernseher anschließen und obwohl er kein 16:9-Format darstellen konnte, also die Bilder auf ein seltsames Hochkantformat quetschte, sahen die ersten Versuche schon gar nicht mal so übel aus. Bereits auf der Hinfahrt waren wir an vielversprechenden Inseln vorbeigekommen, die zwar zum Teil bewohnt waren, aber zur Not schon als Drehort gepasst hätten. Nur eine brauchbare Inseltotale, also eine unverbaute kleine Insel mitten im Meer, hatten wir noch nicht gesehen. Und natürlich gab es eine Menge Details, die wir alle an einem einzigen Ort zu finden hofften: Palmen, die direkt ins Wasser reichten, Kokosnüsse, eine Sandbank, einen malerischen Strand, begehbare Wege und Lichtungen im Inneren, geheimnisvolle Tiere, am besten Haie, und all das natürlich in der besten Saison menschenleer, aber in der Nähe eines guten, aber billigen Hotels.

Dann verpackte ich die Kamera zusammen mit einem frischen Akku und einer leeren Kassette im nagelneuen Unterwassergehäuse. Ich war sehr gespannt, ob das funktionieren würde oder ob die Kamera etwa bei der erstbesten Gelegenheit absoff.

Wir machten uns mit unseren Schnorchelsachen und je zwei großen Wasserflaschen auf den Weg zum Boot, das bereits auf uns wartete. Die Besatzung sah aus wie durchschnittlich vierzehn und in der Mitte des Dhonis stand eine große Kühlbox, randvoll mit in Silberfolie verpacktem Essen.

Erst mal gab es eine Diskussion, denn anstelle der am Vortag mit der Rezeption vereinbarten drei Inseln sollten nur die ersten beiden angefahren werden. Ich argwöhnte Faulheit und Missmanagement und sah uns schon in einem Sumpf nicht eingehaltener Absprachen und Aufmüpfigkeit versinken. Stefan klärte das aber, ganz der coole Producer, und endlich ging es los.


Auf dem Vordeck des Dhonis lag ein kleines abgewetztes hölzernes Ruderboot, das zwar nicht so aussah, als ob es schwimmen könnte, dafür aber wie die perfekte Materialisierung der Nussschale, die mir beim Drehbuchschreiben als Transportmittel für unseren Postmann vorgeschwebt hatte. Wir engagierten es auf der Stelle.

Zwischen der Nachbar-Hotelinsel „Sun Island“ und einer nur für Einheimische zugänglichen Insel namens Fenfushi entdeckten wir im Vorbeifahren noch ein kleineres Inselchen, das bisher noch von niemandem erwähnt worden war, mir aber auf Anhieb sehr gut gefiel. Es hieß Tholofushi. Da wir dort aber keine Erlaubnis zum Landen hatten, tuckerten wir, ohne uns näher damit zu befassen, weiter; die ersten vierzig Minuten nach Bodofinolhu – immer parallel zu dem weiß schäumenden und bis hierher hörbaren Außenriff, das in einigen Kilometern Entfernung den ganzen Horizont entlang zu sehen war. Die Sonne feuerte fast senkrecht herab, wie im Kino, aber durch den Seewind war es angenehm kühl. Witzigerweise war ich es, der sich mit der dicken Sonnenpampe einschmierte. Stefan winkte gelangweilt ab: „Ja, später …“

 

Hinter Bodofinholu folgten ein paar Kilometer Sandbänke. Eine von ihnen krönte ein grüner Klecks aus Buschwerk, keine Palmen, aber immerhin unsere erste einsame Insel, auf die wir nun durften.

Wir lehnten eine Überfahrt mit der Nussschale heldenhaft ab und ließen uns samt Schnorchelzeug und Kamera zu Wasser. Ich hatte in diesem Jahr noch nicht angebadet und ließ mich mit einem Gefühl von leichter Aufregung ins Wasser gleiten. Es war warm, warm wie in einer Badewanne, aber es war immerhin nass. Das Gehäuse schien fürs Erste dichtzuhalten, aber ein anderes Problem wurde spätestens jetzt sehr deutlich: Die verdrehbare Videoausspiegelung des Camcorders wird klugerweise mit einem Spiegel so umgeleitet, dass man das Bild bequem von hinten durchs Unterwassergehäuse betrachten kann. So weit die Theorie, die für schummerige japanische Bergseen auch zutreffen mag, aber hoch über unseren Köpfen ballerte etwas, was man schon getrost als Äquatorsonne bezeichnen durfte. Und diese war so extrem hell, jedenfalls so viel heller als der ausgespiegelte Minimonitor, dass ich nichts sehen konnte, nicht einmal, ob die Kamera überhaupt an war, geschweige denn Einzelheiten des Displays.

Wenn ich das geblendete Auge direkt an das Gehäuse presste, war ein bisschen zu erkennen. Also hieß es: wassertreten, Taucherbrille abnehmen und nachgucken. Aha, die Kamera war im Standby-Modus. Also: einschalten, Brille aufsetzen und tauchen. Zum Abschalten die gleiche Prozedur. Oder hatte ich in meiner Aufregung einmal zu oft gedrückt?

Aber immerhin, ich machte die ersten Unterwasserbilder mit der neuen Technik – was allerdings noch nicht so viel einbrachte, denn außer Sand, abgestorbenem Korallenschrott und ein paar wenigen mehr oder minder bunten Fischlein war nichts Spektakuläres auszumachen. So schnorchelten wir voller Neugierde auf die Insel zu.

Irgendwann nach 200 Metern wurde es so flach, dass ich die Flossen ausziehen musste, sie unter den Arm klemmte und aufrecht und barfuß auf die Insel zu marschierte. Es piekte ganz unromantisch in die Sohlen und ich ging vorsichtig wie ein Storch, dachte an Seeigel und Steinfische. Bei Letzteren sagt man, man könnte nach einem Stich getrost weiterschwimmen. Ein Arzt lohne nicht, weil man eh nach zwanzig Minuten tot sei. Eventuell solle helfen, die Stelle mit über siebzig Grad heißem Wasser abzubrühen. Na immerhin, dreißig Grad waren es ja schon überall.

Stefan war wie immer schneller und nahm den weißen ebenso stacheligen Strand zuerst in Besitz. Viel zu sehen war nicht, außer einer Menge Müll, von Touristen dagelassen oder angeschwemmt.

Ein bisschen ratlos latschten wir herum und machten uns gegenseitig Mut. Klar, zur Not könnte man hier irgendetwas drehen, was wie eine einsame Tropeninsel aussehe, aber ohne Palme war das Ganze doch nur ein Haufen Sand und der Busch war viel zu klein für die Verfolgungen und anderen Handlungselemente.Ich knipste mit der Sony im Fotomodus ein paar Gipfelfotos und sah dabei vor greller Helligkeit nicht einmal, ob ich gerade im Tele- oder Weitwinkelbereich war.

Indessen hatte unsere Besatzung das Beiboot zu Wasser gelassen und zwei Jungs von der Crew stakten uns langsam entgegen. Mangels Ruder stießen sie sich mit einer weißen Stange ab. Als Stefan einstieg, war das halbe Ding schon voller Wasser. Ich jauchzte vor Entzücken, das schrottige Teil, das bei der kleinsten Bewegung abzusaufen drohte, war perfekt für den Film. Dieses Minischiffchen war so armselig, dass damit die Charakterisierung des Postmanns ganz von alleine funktionierte.

Wieder im Dhoni stürzten wir uns auf unsere Wasserflaschen. Ich sagte Stefan, dass sein Rücken schon ein bisschen rot sei. Und weiter ging es – die nächsten vierzig Minuten mit Volldampf zur Insel Huruelhi, die schon ganz klein am Horizont zu sehen war.

Je näher wir kamen, desto optimistischer wurden wir, denn hier sah es schon viel besser aus. Über einem langen hellen Traumstrand stand ein saftig grüner Wald aus Büschen und wunderschönen Kokospalmen. Ein vor Anker liegendes Boot störte uns zunächst nicht weiter, klar mussten wir damit rechnen, dass auch andere Leute hier unterwegs waren.

Wir ankerten, sprangen ins Wasser und schwammen an Land.Am Strand standen ein paar einsame weiße Sonnenschirme herum, aber zum Glück waren es transportable, die wir natürlich zum Drehen entfernen würden.

Von Nahem war die Insel noch schöner: ein perfekter weißer Strand, mehrere Palmengruppen und das Ganze nicht zu groß und nicht zu klein. Eine sandige Lücke in den Büschen führte zu einer Lichtung unter einer Gruppe von Palmen, unter denen ein Büfett aufgebaut war und ein paar Leute auf Romantik machten. Eine Art Bodyguard kam eilig auf uns zu und teilte uns unmissverständlich mit, diese Insel gehöre dem Hilton-Hotel und dass wir die Insel sofort verlassen müssten, wenn wir nicht zufällig Gäste seien.Wir hatten laut unserer Rezeption eine Erlaubnis, aber der gute Mann wusste natürlich nichts davon. Bevor ich anfangen konnte, zu diskutieren und auf unsere leider nur mündliche Genehmigung vom Holiday-Island-Management zu pochen, kam Stefan mir mit einem charmanten Lächeln zuvor. Er mimte vollstes Verständnis. Ober er sich als Ehrenmitglied des Hilton-Clubs – oder so ähnlich – mal am Strand umsehen dürfte? Vermutlich allein die Tatsache, dass er solche Wörter überhaupt kannte, ließ den Bodyguard strammstehen und er erlaubte uns einen ganz, ganz kurzen Blick aufs Paradies.Wir gönnten uns einen halbstündigen Spaziergang rund um die Insel und danach schnorchelten wir noch ausgiebig in den heiligen Gewässern.

Das Hausriff war ansehnlich, es gab keine großen oder seltenen Fische, aber immerhin eine Menge intakter Tischkorallen mit schönen Fischschwärmen, über die ich im Blindflug und ein wenig zu hektisch – mit der Kamera auf Dauerbetrieb – dahinplanschte, nie ganz sicher, ob sie tatsächlich an war.

Wegen der vorangegangenen Stürme und Regengüsse war das Wasser relativ trübe und es herrschte eine starke Strömung. Trotzdem tat es wieder einmal gut, nach Jahren über einem Korallengarten zu schweben. Es war wirklich schon verdammt lang her.

Auf der folgenden etwa 25 Kilometer langen Fahrt quer durch das Süd-Ari-Atoll zu einem Inselchen namens Dhehassanu Lonu Bui Huraa hatten wir dann ausgiebig Zeit, zu relaxen. Ich stürzte mich, inzwischen hungrig, auf die Lunchbox. Darin waren Melonen, bei denen mir schon vom Geruch schlecht wurde, kalte pappige Pommes frites mit Ketchup, der sich weigerte, die schützende Flasche zu verlassen, und etwas, was zunächst wie Hühnersandwich aussah und nach allem Möglichen roch.Ich aß es gierig und hatte das zweite Ding schon halb herunter, als ich merkte, dass es wohl doch Thunfisch enthielt. Dazu sei erwähnt, dass mich seit frühester Kindheit wenn nicht eine Fischallergie, doch zumindest eine ausgeprägte Aversion gegen alle Arten von Seafood plagt und ich jedes Mal die Farbe wechsle, wenn ich geräuchertem Aal, Seelachs, Shrimps, Seetang, ja, selbst Delfin in Dosen auch nur zu nahe komme.

Stefans Rücken war inzwischen krebsrot. Ich sagte es ihm und piekte ihn zur Untermalung noch einmal mit dem Finger an, aber es schien ihn, den sonnenerprobten Wüstensohn und Dubaianer, einfach nicht zu interessieren. Ich prophezeite ihm also eine unschöne Nacht.


Unermüdlich pflügte das Dhoni durch die Wellen. Die Besatzung traute sich nicht an die Lunchbox, vermutlich nicht, weil es ihnen nicht schmeckte, sondern weil sie einfach nicht durften. Wenigstens konnte Stefan ihnen ein paar von den Melonenstückchen verabreichen. Es war ein seltsames Bild: die drei braungebrannten einheimischen Skipper, dicht um das Steuerrad gedrängt, und in der vorderen Hälfte des Schiffes die beiden Weißen bzw. Roten, die eine irrsinnige Summe Geldes dafür ausgaben, sich menschenleere Inseln anzusehen, beim Anblick eines verranzten Miniruderbootes fast auf die Knie sanken und die tolle Kiste mit den Leckereien verschmähten.

Und dann kamen wir nach einer Stunde Fahrt zu der Insel mit dem langen Huraah-Namen und wollten gar nicht erst aussteigen, obwohl es sogar einen schicken langen Steg gab und Wellenbrecher sowie riesengroße Sonnenschirme, also richtig gemütlich, erschlossen, zivilisiert.

Stefan lief pro forma doch mal schnell die paar Meter zur Inselmitte und kehrte gleich kopfschüttelnd wieder um. Man hatte uns eine leere Insel nur mit ein paar Palmen versprochen, das Satellitenbild hatte es auch so gezeigt, aber die Zivilisation hatte bereits zugeschlagen. Das hier war ein totaler Reinfall.

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