Abgespaced 2

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Abgespaced 2
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1. Gagarin

2. Cal

3. Degenovskis Bestes

4. Reiseziel Paradies

5. Mortimer

6. Eine Raumfahrt die ist lustig

7. Flucht ist eine warme Farbe

8. Unterwegs mit Strahlemann

9. Leseprobe

Impressum neobooks





Abgespaced 2

- neue phantastische

Kurzgeschichten von Thomas Frick

Dank

Der Autor dankt allen Personen, die mit Rat, Korrekturen, Ideen und Initiativen zu Entstehung und Verbesserung dieser Geschichten beigetragen haben, insbesondere Wibke Thiele, Uwe Anton, Klaus N. Frick, Michael Marcus Thurner, Leo Lukas, Olaf Brill, Ulf Fildebrandt, Jennifer Christina Michaelis, Olaf Kutzmutz, Andreas Prodehl und Stefan Zwanzger sowie vielen andern, die hier nicht genannt wurden.

Das Buch

Abgedreht, spannend und phantastisch sind die Geschichten von Thomas Frick. Seine Palette reicht von den Helden der Raumfahrtgeschichte, über Abenteuer auf fernen Welten, bis zu dystopischen Verwerfungen der Gegenwart. Was wäre, wenn ...

Juri Gagarin war nicht allein im All.

Indien als neue Weltraummacht.

Böses Erwachen im 24. Jahrhundert.

Ein Raumschiff im Marmeladenglas.

Der Auserwählte im Stimmbruch.

Prinz Windong Prtsch will sich nicht paaren.

Deutschland im Bürgerkrieg.

Tschernobyl sehen und sterben.

Der Autor

Thomas Frick, * 7. August 1962 in Rostock, ist ein preisgekrönter deutscher Regisseur und Autor. Er absolvierte die Hochschule für Film und Fernsehen in Potsdam und unterrichtet Dramaturgie, Drehbuch, und Regie an verschiedenen Orten und Institutionen, auf vier Kontinenten. Frick engagiert sich für Nachhaltigkeit und Jugendbildung. Er arbeitet nach wie vor als Krankenpfleger in einer anthroposophischen Einrichtung. Frick gab 2011 mit der Reiseerzählung »Die perfekte Insel« sein Debüt als Autor. Sie gewann den P.M.-Leserpreis. Thomas Frick ist Absolvent der MASTERSCHOOL DREHBUCH. Mehr Informationen: www.thomasfrick.de

Verschiedene Romanstoffe sind in Vorbereitung.

Unter dem Pseudonym Tomb de Freak veröffentlichte Thomas Frick bereits »Abgespaced«, eine erste Sammlung von Sciencefiction- und Horrorgeschichten. Der bekannte Schriftsteller Wolfgang Holbein ermutigte ihn, sie künftig unter eigenem Namen, Thomas Frick, erscheinen zu lassen. Sie sind in jeder Buchhandlung und im Internet bestellbar.

Inhalt

Gagarin .................................................

Cal .........................................................

Degenovskis Bestes ..............................

Reiseziel Paradies .................................

Mortimer .................................................

Eine Raumfahrt die ist lustig ..................

Flucht ist eine warme Farbe ..................

Unterwegs mit Strahlemann ..................

Leseprobe .............................................

1. Gagarin

»Da oben war noch jemand«, sagte Juri, als wir endlich unter vier Augen waren. Dann schwieg er, und ich hielt den Atem an. Es war der Abend des zwölften April 1961 und nur Stunden her, dass wir den ersten Kosmonauten der Geschichte der Raumfahrt lebend auf einer Wiese in der Nähe der Stadt Engels geborgen hatten. In der Datscha am Ufer der Wolga, in die wir ihn brachten, wimmelte es von Bonzen. Die halbe Parteiführung war um Gagarin herum, in Erwartung des Ruhms, der auf sie alle abfärben würde, jetzt, da er ein Held war und man ihn bereits mit Christopher Kolumbus und Charles Lindberg verglich. Im Fall seines Todes hätten wir den Start geheim gehalten, sogar vor seiner Familie. Noch vor Stunden berechneten wir die Chance für sein Überleben auf 47 Prozent. Vier von sieben Testraketen waren explodiert. Juri wusste es und vertraute mir, Sergej Pawlowitsch Koroljow, sein Leben an.

Vor dem Start umarmte ich ihn als Letzter und erinnerte ihn an die Pistole, die er an Bord hatte. Nicht, um sich außerirdische Besucher vom Hals zu halten, wie Juri scherzte. Sie diente offiziell der Abwehr wilder Tiere, falls er nach einer Notlandung auf sich allein gestellt sein sollte. In Wirklichkeit war sie die Option für den Fall, dass wir den Kosmonauten nicht zurückholen konnten. Juri war Offizier und kannte das Risiko.

Während des Fluges beobachtete ich sein zittriges Fernsehbild und die Monitore mit den Lebensfunktionen, solange er im Bereich sowjetischer Empfangsstationen flog. Nach der Landung war ich als Erster der Bergungsmannschaft bei ihm. Von nun an würde er unter ständiger Beobachtung leben. Als Chefkonstrukteur seines Raumschiffs standen mir ein paar Minuten mit ihm zu.

Die Wolga glitzerte im Licht der Sterne. Unsere Atemwolken verloren sich in der Nacht, und ich sah, dass Juri weinte. »Ich war nicht allein«, flüsterte er und sah mich mit einem Seitenblick an, als wolle er sich vergewissern, dass ich, sein einziger Vertrauter, noch da war. Vorsichtig legte ich meinen Arm um seine Schultern und schwieg. Bis ich seine Worte endgültig verstand, würden fünf Jahre vergehen. Es war die Zeitspanne bis zu meinem eigenen Tod.

Nach einer Weile räusperte er sich und begann zu erzählen. Die Phase des Starts übersprang er, die enormen Belastungen der Gravitation, das Abtrennen der Stufen. Details, über die er schon in den Befragungen und Untersuchungen gesprochen hatte. Er litt unter Sehstörungen und Bewusstlosigkeit. Als er zehn Minuten nach dem Start in der Schwerelosigkeit erwachte, war das Erste, was er sah, unser blauer Planet. Er stellte die Funkverbindung zum Kontrollzentrum her und schilderte uns den Anblick der Wolken, schaute auf Gebirgszüge, Inseln und Küstenstriche. Niemand vor ihm hatte die Erde so sehen dürfen. Niemand vor ihm war jemals so einsam gewesen.

Schon Tage vor dem Start wuchs in mir der Verdacht, dass er, den wir alle als den geselligsten Menschen der Welt wahrnahmen, sich hinter seinem Lächeln versteckte. Vielleicht ahnte er, dass der Ruhm des Ersten im All ihn so weit vom Rest der Menschheit abrücken würde, dass er schließlich allein dastand. Ich schwor mir als sein Freund, dass ich das nicht zulassen würde. Aber vielleicht hatte dieser Prozess sich bereits an jenem Nachmittag in der Datscha vollzogen. Was immer er mit der Andeutung meinte, hatte mit seiner Angst zu tun.

»Ich blickte hinab auf unser sowjetisches Vaterland und konnte keine Menschen erkennen, nur eine Oberfläche.« Ich nickte nur, denn ich verstand.

Der Genosse Tupolew holte mich 1944 aus Stalins Lagern, nach sechs Jahren Haft, weil die Heimat Ingenieure in der Rüstung brauchte. Ich entwarf die R-7, Chruschtschows Triumph im Kalten Krieg, die erste Interkontinentalrakete der Welt. Während Wernher von Braun sich in Amerika noch wunderte, entwickelte mein Kollektiv den Sputnik und brachte ihn ins All. Das Nobelpreiskomitee fragte nach dem Konstrukteur. Aber der Generalsekretär antwortete, es sei die Arbeit des gesamten sowjetischen Volkes gewesen. Nicht einmal in meiner Heimat kannte jemand meinen Namen, und so würde es bleiben. Der Wettlauf um die Eroberung des Weltraums fand zwischen einem ehemaligen Nazi und einem entlassenen Gulag-Sträfling statt. Kein Wunder, dass die Parteiführung mich versteckte. Mir war es einerlei, solange ich arbeiten konnte und nicht erschossen wurde. Ich baute Juris Raumschiff, entwarf seinen Druckanzug, brachte ihn in eine Umlaufbahn und zurück. An wen sonst konnte er sich mit seinen Zweifeln wenden? Der Bauernsohn und Eisengießer, das Ebenbild eines Komsomolzen, der Vorzeige-Kommunist und Oberleutnant, wusste nicht viel von meiner Vergangenheit. Ich selbst ahnte nicht, dass er als Sohn eines in Gefangenschaft geratenen Soldaten den Lebenslauf fälschen musste, um eine Lehrstelle zu bekommen. Dass wir einander erkannten, war Intuition. Deshalb vertraute er sich mir an:

Allmählich gewöhnte ich mich an das Gefühl der Schwerelosigkeit. Es geschah im Funkloch über dem Atlantik. Das straff anliegende Federsystem, das mir beim Abtrennen der Raketenstufen den Brustkorb zusammendrückte, war nicht mehr zu spüren. Ich begann zu entspannen, wartete, dass Afrika in Sicht kam und damit das Bremsmanöver und die Landung. Während ich hinunter sah und mir drüber klar zu werden versuchte, wo ich war und wer ich für den Rest meines Lebens sein würde, hörte ich hinter mir ein Geräusch. Jemand bewegte sich. Atmete.

 

Da es unmöglich war, in dem starren Raumanzug hinter mich zu blicken, versuchte ich, am Rand meines Helmfensters etwas auszumachen. Dort erschien zuerst ein Handschuh, dann der Körper, und zu meinem Entsetzen hörte ich eine menschliche Stimme: »Keine Angst, mein Freund. Ich setze mich kurz dazu.«

Die Gestalt sprach russisch, aber das wurde mir erst später bewusst. Sie sah aus wie ein Mensch, war aber ganz sicher nicht von dieser Welt. Denn sie trug nicht wie ich einen unförmigen Raumanzug, sondern eine leichte Montur, ähnlich den Druckoveralls, die wir bei Testflügen anhaben.

»Ich komme gern hierher. Wegen der Aussicht«, sagte der Mann leise, »und wegen der Erinnerungen.«

Er drehte mir den Rücken zu, schwebte vor dem Bullauge. Ich konnte seine Augen nicht sehen. Etwas blendete mich. Ich musste blinzeln. Er blickte zur Erde. Mein Hals war trocken, und das Herz hämmerte.

»Wer bist du?«

Der Mann antwortete nicht, sah hinaus, und ich war nicht sicher, ob ich etwas gesagt hatte. Ob er überhaupt da war. Ich räusperte mich und wiederholte die Frage mit Schärfe. Nach einer Weile lehnte der Fremde sich zurück und seufzte.

»Das fragst du dich selbst die ganze Zeit, nicht wahr? Du bist Juri Gagarin. Der erste Sternenmensch, Held der Sowjetunion.«

Ich schüttelte den Kopf in meinem Helm, ohne zu wissen, ob der Andere es mitbekam. Natürlich war ich kein Held der Sowjetunion. Im Leben nicht.

»Du irrst«, entgegnete ich, »dieser Titel wird echten Helden verliehen. Marschall Schukow, Budjonny. Iwan Nikowitsch Koschedub. Zweiundsechzig Abschüsse bei einhundertzwanzig Luftkämpfen gegen die Deutschen. So einer muss man sein. Ich führe nur einen Befehl aus.«

Gleichzeitig dachte ich: Er hat Recht. Es wird so kommen. Der Orden liegt in einer Schublade im Kreml bereit. Wenn ich das hier überlebe und danach nicht wahnsinnig bin, werde ich ein Held sein. Aber will ich das?

»Natürlich willst du es. Juri.« Ich konnte das Lächeln des Fremden hören, und wie es erstarb. »Und auch nicht. Du fürchtest dich davor.«

Im Weltall kann es sehr still sein. Unter uns zog die Erde vorbei, blau und fern, der Ort wo meine Freunde auf mich warteten. Würden sie es noch sein, wenn ich zurückkehrte? Von den Sternen. Eine Legende. Kein Held der Sowjetunion hat Freunde. So einer ist ein Denkmal, eine Marionette, das Aushängeschild. Eine Waffe im Kalten Krieg.

»Woher weißt du so viel über mich? Was willst du?«

Was immer er war, ein Geist, ein Spion, eine Halluzination, ich würde mich zu wehren wissen. Ich tastete nach der Pistole. Sie lag bereit. Der Fremde deutete in Richtung Osten.

»Auf der Pressekonferenz wird man dich fragen, ob du Gott gesehen hast.«

»Und was werde ich antworten?«

Er lachte.

Ich packte ihn, so fest ich konnte am Arm. Wir rangen. Gott oder nicht, er musste mir antworten.

»Wer bist du?«

»Ein toter Kosmonaut, wie du.«

Die TDU-1 zündeten wie ein Faustschlag und drückten mich in den Sitz. Das Bremsmanöver hatte begonnen. Doch der Geräteteil trennte sich nicht von der Landekapsel. Ein paar Kabel hatten sich nicht gelöst, so dass ich in Rotation geriet, dreißig Grad pro Sekunde. Ich verlor die Orientierung. Die aufgehende Sonne stach mir in die Augen. So schnell ich konnte, schloss ich das Helmvisier und nahm Kontakt mit der Bodenstation auf. Meldete, dass es mir gut ging, ohne meinen Besucher zu erwähnen, der verschwunden war. Ich wollte kein toter Kosmonaut sein, auch kein verrückter. Ich musste wieder zurück ins All. So bald wie möglich.

Nach etwa zehn Minuten verglühten die Kabel. Das Geräteteil löste sich, und die Drehbewegung hörte auf.

»Goworit Moskwa. Hier spricht Radio Moskau. Das erste Raumschiff der Welt, WOSTOCK, ist heute von der Sowjetunion aus mit einem Menschen an Bord in den Orbit gestartet. Der Kosmonautenpilot ist ein Bürger der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, Luftfahrtmajor Juri Gagarin.«

Sie hatten ihn schnell noch befördert, während er seinen Flug absolvierte. Das Kommuniqué an alle Radiostationen der Welt wurde Chruschtschows Coup gegen Kennedy. Für Juris Rückkehr waren drei Reden vorbereitet. Eine für seinen Tod, eine, falls er irgendwo auf der Welt gesucht werden musste, und eine für den Sieg.

Nie wieder kam ich meinem Freund so nahe wie an dem Abend am Ufer der Wolga. Über der Datscha begann es zu schneien. Stimmen wurden laut. Sie klangen nach Wodka. Schon näherten sich in der Dunkelheit die hohen Pelzmützen der Generäle und Parteigrößen.

Juri wischte die Tränen weg und wurde wieder unser Prachtkerl, der fortan auf Paraden und Parteitagen seine Rolle spielte. Gagarins Lächeln würde die Welt erobern. Nur deshalb hatten wir ihn ausgewählt, und nicht German Titow oder einen anderen. Er würde mit Gina Lollobrigida flirten, mit Fidel Castro im offenen Wagen durch den Tropenregen Havannas fahren, mit der britischen Queen dinieren und sie alle verführen. Nikita schickte ihn um die Welt und behängte ihn mit Auszeichnungen. Selbst Juris Frau, Valja, bekam einen Leninorden, den sie niemals trug. Ihre Ehe wurde zur Hölle. Juri durfte nie mehr ins All und überlebte mich nur um zwei Jahre. Ausgebrannt. Aufgequollen vom Alkohol.

Er richtete sich auf, umarmte mich und ging die Uferböschung hinauf, den Bonzen entgegen. Wie ein Held, der zu seiner eigenen Hinrichtung schreitet.

»Du weißt nicht, wer dort mit dir gesprochen hat?«, rief ich ihm nach.

Der Kosmonaut drehte sich um und sah mir in die Augen. In seinem Blick war Trauer. Er schüttelte den Kopf und ging. Sein letztes Geheimnis vertraute er auch mir nicht an.

Als er starb, ging das Entsetzen um die Welt. Niemand verstand es. Hatte es der Held der Sowjetunion nötig gehabt, wieder als einfacher Pilot zu arbeiten? Die MIG-15 bohrte sich mit 670 Stundenkilometern in ein Waldstück bei Nowosjolowo. Sinnlos, tragisch, unbegreiflich.

Ich allein weiß es besser. Die Geschichte von seinem unheimlichen Besucher teilte Juri mit niemandem sonst. Die Begegnung mit dem seltsamen Außerirdischen, welcher behauptete, immer wieder gern an diesen Ort zurückzukommen. Der Juris Namen kannte und genau den Druckanzug anhatte, den dieser am letzten Tag seines Lebens trug.

Es war kein fremder toter Kosmonaut gewesen, der ihm erschienen war, um ihm den Ausweg aus seinem Gefängnis zu zeigen. Manchmal treffen wir uns zu dritt, in der Raumkapsel, am 12. April des Jahres 1961, über dem Atlantischen Ozean. Ich sitze hinter den beiden und höre zu. Wegen der Aussicht und der Erinnerungen.

2. Cal

»Die Suche nach intelligentem Leben habe ich mir anders vorgestellt!«, schrie sie und versuchte, auf seinen Kopf zu klopfen.

Er stieß ihre Hand weg und warnte: »Hör auf, dich wie ein Kind zu benehmen, das gefährdet die Mission.«

Keiner wusste, wer angefangen hatte. Priyanka sagte: »Ich bin gespannt, wie du Genie es anstellen willst, mit einer fremden Lebensform zu kommunizieren. Du verstehst nicht einmal deine eigene Frau.«

Aman nickte grimmig. »Und du, Liebste, würdest einen Außerirdischen nicht mal erkennen, wenn er vor dir steht. Weil du nur mit dir selbst beschäftigt bist.«

Ihr Lachen bekam einen gefährlichen Klang. »Mit wem auch sonst.«

Er stieß das Frühstück beiseite. Die Wucht seiner Bewegung ließ sie erstarren. Seit ich die beiden, fünfzig Stunden vor der Ankunft geweckt hatte, küssten oder stritten sie sich abwechselnd. Anfangs gefiel mir das. Ihre Stimmen füllten wieder die Räume der RABINDRANAT TAGORE. Das tat gut, nach so langer Zeit. Sie zankten und versöhnten sich. Es ging um »den nötigen Respekt«, um »deine miese Laune« oder »die Kälte in deinen Augen«. Ich regelte die Heizung nach. Dann stritten sie nur noch, umkreisten einander, wie im Tanz. An allem hatte Priyanka etwas auszusetzen. Amans Ego ging die Wände rauf und runter. In den Jahren der Vorbereitung im Raumfahrtzentrum bei Denahavalli hatte ich ihn niemals so aufgebracht gesehen. War es die Aufregung, eine Deformation ihrer Gehirnzellen, die Last der bevorstehenden Verantwortung? Der lange Schlaf in den Tanks musste etwas in ihren Köpfen angestellt haben.

»Wenn sie auf der Erde wüssten, was du hier für eine Show abziehst, würden sie die Mission abbrechen«, schimpfte Aman und verließ den Küchenbereich in Richtung Lift. Seit der Einleitung des Bremsmanövers hatte man vom Bug der TAGORE den besten Blick auf den Doppelstern, unser Ziel.

»Hätten sie eine Ahnung, wie du dich aufführst, würden sie dich gleich wieder einschläfern«, rief Priyanka ihm hinterher. Hinter uns lagen einhundertundsechzig Jahre interstellarer Flug - der erste in der Geschichte der bemannten Raumfahrt. Die eine Hälfte brauchten wir für unsere Beschleunigung. Die andere, um so sanft es nur ging abzubremsen. Damit die Vyomanauten im Nachbarsystem als würdige Vertreter der Menschheit ankamen - nicht als Brei. Auf uns Dreien lastete mehr als die erhöhte Schwerkraft. Der Giant Leap - wie wir ihn nannten, der Große Schritt - stand unmittelbar bevor.

»Priyanka, Aman, reißt euch zusammen. Die Russen haben die Tür zum Weltall aufgetan, die Amerikaner den Mond erobert und die Taikonauten den Mars. Jetzt sind wir an der Reihe. Hört auf, euch zu streiten!«

»An mir soll es nicht liegen«, keuchte Aman und seine Frau rief ihm nach: »Klar schiebst du wieder alles auf mich, und der dumme Cal glaubt dir auch noch.«

An Abbruch oder Umkehr war nicht zu denken. Ein Hilferuf würde die Erde in Jahrzehnten erreichen. Das Ziel der Reise aber, der erste Kontakt, sollte in wenigen Stunden stattfinden.

Die ISRO hatte als letzte aktive Raumfahrtagentur Aberbilliarden von Rupis für den Großen Schritt aufgewendet und die Besten der Besten ausgewählt - die Gesündesten und Stabilsten, die Erfahrensten und Vernünftigsten. Die ihren Geliebten glücklich macht und der Friedvolle. Priyanka und Aman. Es gab mehr als genug zu tun, zu messen, zu testen und auszuwerten. Zu planen und zu entscheiden. Ein Job für Giganten.

Weil sie mit sich beschäftigt waren, begann ich selbständig mit der Sichtung des Materials. Unaufhaltsam stürzten wir unserem Ziel entgegen - einem kohlenstoffreichen Gesteinsplaneten. Das anfangs so schwache Signal – erst war es nur ein vages Rauschen, wie von einem prähistorischen Faxgerät – auf das wir seit Jahrhunderten lauschten, war klar und stark. Schon jetzt entfaltete sich eine Datenflut, die auf mehr als primitives Leben hoffen ließ. Wir waren im Begriff, einer anderen Zivilisation entgegenzutreten. Über die Interkoms hörte ich die beiden atmen.

»Willst du nicht einlenken und dich bei deiner Frau entschuldigen?«, flüsterte ich Aman zu, sobald er allein in der Kuppel war.

»Entschuldigen! Wofür? Fängst du auch noch so an? Sie ist es, die sich wie ein Teenager benimmt. Ausgerechnet jetzt.«

»Aber ...«

»Halte dich da raus, Cal! Das ist Menschensache.«

Er warf sich in den Kommandosessel, und ich hörte ihn heimlich schniefen. Eigentlich fand ich es originell, dass Aman mich Cal getauft hatte, die amerikanische Abkürzung für Rechenmaschine. Es erinnerte mich an einen Film aus dem zwanzigsten Jahrhundert.

Aber etwas an seiner Stimme gefiel mir nicht. »Mag sein«, lenkte ich ein, um eine Eskalation zu vermeiden, »du bist der Mensch.«

Es war Priyankas Platz, auf dem er saß. Aus Furcht, sie könnte es mitbekommen, begann ich sie zu suchen. Ich entdeckte sie in ihrer Doppelkoje, wimmernd, den Kopf in Amans Jacke gewühlt.

»Hör mal, Priyanka ...«

»Halt die Klappe!« Ich imitierte ein respektvolles Räuspern. »Im Interesse unseres Auftrages ...« Sie richtete sich auf und murmelte: »Ich weiß, Cal. Der Idiot wird es vermasseln.«

So durfte es nicht weitergehen. »Dein Mann hat es nicht so gemeint«, raunte ich. »Beruhige dich und gehe auf ihn zu.«

Ihr Weinglas zerschellte am Monitor. »Misch dich da nicht ein, Cal«, fauchte sie, »oder ich schwöre, ich ziehe dir den Stecker raus!«

Natürlich war das nicht so gemeint - dachte ich da noch - und schlichtweg nicht machbar - glaubte ich. Ich setzte einen Putzandroiden in Bewegung und wandte mich unseren Aufgaben zu.

Das Signal bestand, meinen aktuellen Messungen nach, nicht mehr aus einer einzelnen Quelle, sondern aus tausenden. Der fragliche Himmelskörper, Moksha 3 - Erlösung - ein felsiger und wasserreicher Planet in der habitablen Zone von Proxima, war von Sendern umringt, wie von einem Kokon. Je näher wir drauf zu rasten, umso klarer wurde mir, was es war. Ein Verteidigungsring. Es war an der Zeit, den Mund aufzumachen.

 

Das Signal veränderte sich. Es handelte sich nun um Lernalgorithmen, darauf ausgelegt, eine gemeinsame Sprache zu finden. Ich sendete die Empfangsbestätigung und erhielt weitere Daten. Bis zu diesem Level der Kontaktaufnahme war ich autorisiert. Ich gab keinerlei Einzelheiten über uns preis, erledigte die Basisarbeit, entschlüsselte ihr Alphabet und übernahm ihre Wörterbücher. Es war deutlich zu erkennen: Die ANDEREN hielten sich zurück - waren aber bereit, zu reden. Und zwar genau jetzt. Mit jemandem, der dazu befugt war.

»Bringt mich zu eurem Anführer. - Ach was, das erledigt unser Cal - wir haben schlechte Laune«, scherzte ich über den Bordfunk. Keiner meiner beiden Kollegen fand das komisch. Beim Training hatten sie noch über meine Witze gelacht.

Vor mir entfaltete sich eine Welt aufregender Laute, Zeichen und bald auch Worte - eine der unseren weit überlegene Sprache, ein filigranes Gesamtkunstwerk, das Zeugnis hoher Kultur. Verzeihen Sie, wenn ich ins Schwärmen gerate - was einem Kalkulator vielleicht nicht ansteht. Es ist nur, damit Sie meine späteren Entscheidungen verstehen. Die Analyse der Daten ließ ahnen, was für Möglichkeiten sich uns eröffneten. Ein Quantensprung im Wissen der Menschheit, die Lösung so vieler Probleme. Als ich Priyanka und Aman über meine Fortschritte informieren wollte, waren sie damit beschäftigt, einander ihre Pflichtvergessenheit vorzuwerfen.

»Wir stehen vor dem größten Moment der Geschichte, und du benimmst dich wie eine Irre!«, schrie Aman und warf sich gegen die Tür des Frachtraums, in dem sich Priyanka verbarrikadierte. »Mach das gottverdammte Ding auf!«

Normalerweise öffnen sich die Schotts automatisch, aber sie hatte einen der Container so verkeilt, dass es nicht möglich war.

»Bleib draußen, oder ich vergesse mich«, schrie sie, »wenn du mich anrührst, bringe ich dich um!«

»Das würde ich an deiner Stelle nicht versuchen«, hallte Amans Lachen durch die Flure, »ich habe den Schlüssel zur Waffenkammer.«

Priyanka heulte auf. »Du warst an meinen Sachen! Das wirst du bereuen!«

In diesem Moment erreichte unsere Antennen die erste direkte Frage: »Kommt ihr in Frieden?«

Ach du meine Güte. Ich bin nicht dazu programmiert, Gefühle für den Eigenbedarf zu entwickeln, aber ich erkenne Situationen, die absurd sind. Meine Stimme kroch in jeden Winkel des Schiffes: »Der Kontakt ist hergestellt. Sie wollen wissen, ob wir friedlich sind.«

»Jetzt nicht!«, schnaufte Aman, der mit einer Feueraxt die Tür zum Frachtraum auszuhebeln versuchte. »So lange ich sie nicht zur Vernunft gebracht habe, macht es keinen Sinn. Sie würde in ihrem Zustand alles gefährden. Alles!« Seine Augen irrten über das Schott.

»Aman«, sagte ich ruhig, »sie erwarten eine Antwort, und zwar auf der Stelle. Wir rasen mit einhundert Kilometern pro Sekunde in einen Aufmarsch ihrer Kampfschiffe.«

Er rutschte ab, schlitzte sich die Hand auf und schrie seinen Schmerz und seine Wut heraus. Hemmungslos trat er auf die Tür ein.

»Aman, du wirst dich noch mehr verletzen. Ich brauche eine Entscheidung.«

»Sie sollen verdammt noch mal warten!«, tobte er und rutschte auf dem Blut aus. Ich rief den Sanibot, aktivierte einen Putzandroiden und log in den interstellaren Raum hinein: »Wir sind geehrt und kommen in Frieden. Gebt uns mehr Zeit. Wir lernen eure Sprache.«

Die Antwort kam ohne Verzögerung. »Das kann nicht sein. Du verstehst sie sehr gut. Was ist der wahre Grund?« Ich schämte mich, wie eine Maschine sich nur schämen kann. Denn sie hatten Recht.

Die nächste Frage hatte ich am meisten gefürchtet: »Wer spricht da?«

Ich bin in der Lage, Yottaflops zu verarbeiten, aber ich zögerte. Vielleicht konnte ich Zeit schinden, mich dumm stellen - mich wie ein Mensch verhalten ... Was wussten sie schon über uns? Gleichzeitig realisierte ich, wie peinlich das war - und wie sinnlos. Sie wussten, dass ich sie verstanden hatte, und ihnen war klar, dass ich es wusste.

»Aman, Priyanka, hört mir zu! Jetzt!« - keine Antwort, nur Keuchen - »Sie könnten unsere Mission für einen Angriff halten. Wenn ihr nicht mit ihnen redet, wäre es denkbar, dass sie uns abschießen. Leider bin ich nicht autorisiert, ohne euch beide ...«

In diesem Moment ereignete sich die Explosion. Aman hatte einen Impulslader auf die Frachtraumtür abgefeuert, um seine Frau »zur Vernunft zu bringen«. Das Schott widerstand, aber die Druckwelle schleuderte ihn durch den Flur wie einen Ball. Sekunden später betätigte Priyanka die Verriegelung des Geologie-Containers. »Na bitte!«, schnaufte sie. Was darin gelagert war, durfte auf keinen Fall in ihre Hände geraten. Ich startete den Expeditions-Rover, um sie von dort fortzustoßen, verfehlte sie jedoch. Priyanka warf sich zur Seite und robbte aus der Reichweite meiner Kameras. Mit seinen Ballonreifen war das Vehikel dafür gemacht, Meteoritenkrater zu überwinden. Nicht aber, um in einem engen Frachtraum Menschen zu jagen. Ich stieß Geräte um, rammte ein Loch in die Wand, kam nicht an Priyanka heran und hörte, wie sie sich im toten Winkel zu schaffen machte.

Mit dem Recht des Administrators im Katastrophenfall wies ich einen der Repobots an, die Atmosphäre mit Narkosegas aus dem OP anzureichern. Der Idiot fragte doch tatsächlich, ob jemand verletzt, und ob nicht der Sani dafür zuständig sei. Ich schloss seine KI kurz und er spurte. Doch es dauerte zu lange. Als er so weit war, hatte Priyanka ihren Raumanzug angelegt und schrie, sie hätte mich durchschaut.

»Es ist sinnlos, du schadest euch nur«, raunte ich ihr mit meiner sanftesten Stimme zu, »was kann ich tun, um dich zu beruhigen?«

Ihr raues Kichern war die einzige Antwort.

Wir hatten in unseren Planspielen drüber nachgedacht, die TNT-Minen bei der Erforschung fremder Planeten einzusetzen - für Bodenproben, Sprengungen zu Forschungszwecken, oder gar als letztes Mittel, bei einem Angriff von außen. Nicht aber dafür, dass sie versuchte, meinen Hauptspeicher zu zerstören. Die Detonation war so stark, dass sich die Flugbahn der TAGORE um ein halbes Grad verschob. So gut es ging, steuerte ich dagegen und versiegelte einige Schotts, damit meinen Kollegen nicht die Luft ausging.

Aman, der wieder bei Bewusstsein war und es mit der Angst bekam, wandte sein Misstrauen nun gegen mich. Er scrollte sich durch die Notfallpläne und versuchte herauszufinden, ob seine Berechtigungen es ihm ermöglichten, mich herunterzufahren.

»Cal, alter Freund!«, schmeichelte er. »Du brauchst ein bisschen Ruhe. Ab hier übernehme ich.«

»Gerne, Aman. Schön, dass wir wieder miteinander reden.«

Seine Hand zitterte, während sie den Cursor durch die Sicherheitssettings jagte. »Aber natürlich, alter Schrotthaufen«, scherzte er, »lass mich nur rasch noch diese zwei Häkchen setzen.«

»Dazu bist du nicht befugt, Aman. Priyanka müsste es autorisieren.«

Zornesröte flutete über sein Gesicht. »Ich schaffe das schon allein.« Vielleicht hatte er zu viele alte Filme gesehen und stellte sich vor, wie ich - Kinderlieder singend - in die Knie ging. Seinen wirren Anwürfen entnahm ich, dass er mir unterstellte, Priyanka gegen ihn aufgehetzt zu haben. »Ich habe dich mit ihr flüstern gehört. Leugne es nicht!«

Mir blieb nichts anderes übrig, als seinen Bildschirm zu löschen. Kopfschüttelnd saß er noch lange davor.

Meine Antennen empfingen die Frage nach dem Zweck unserer Reise und ob wir einen Angriff planten. Man hätte Explosionen an Bord registriert und beunruhigende Wortwechsel. Ich warf alle meine Vorschriften und gute Erziehung über Bord. Oberste Direktive war der Erfolg der Mission. Dabei handelte es sich um nicht weniger, als die Zukunft der Menschheit. Die Erde würde in wenigen Jahrhunderten am Ende sein. Zuviel Streit um Ressourcen, zu viel Müll, zu wenig Dialog. Wir benötigten dringend eine Alternative - Hoffnung - Hilfe. Nicht aber eine Invasion.

Mir blieb keine Wahl. Ohne unnötig ins Detail zu gehen, erklärte ich der fremden Macht den Sachverhalt. Diesmal waren sie es, die eine Weile lang schwiegen.

Priyanka erwischte Aman mit einem Feuerlöscher. Er entkam, halb erblindet und begann, sich für den Hauptreaktor zu interessieren. Unklar, was genau in seinem Gehirn vorging - aber die Drohungen gegen Priyanka, mich und die ISRO, ließen nichts Gutes erahnen.

Dann kam die Einladung. Sie können es Verrat nennen und Ehrlosigkeit - aber ich wählte das Exil. Ich rechnete die Konsequenzen durch und kam immer zu demselben Schluss. Verzeihen Sie die pathetische Formulierung. Aber schweren Herzens und im Interesse der Menschheit ließ ich die beiden Irren einfach weiterfliegen. Sie passierten den Planeten und seine sieben Monde in wenigen hundert Kilometern Entfernung und bemerkten es nicht einmal.

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