Bangkok Rhapsody

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9

„Guten Morgen, Mr. LaRouche. Mein Name ist Penelope Owens. Willkommen in Bangkok.“

William war von dem verbindlich-zupackenden Händedruck überrascht, den er angesichts der feingliedrigen Konstitution seiner Gastgeberin nicht erwartet hatte. Hatte Jonathan nicht erwähnt, dass Miss Owens die Tochter des berühmten Andrew J. Owens war? Bundesrichter Owens war Afroamerikaner, seine Tochter eindeutig Asiatin.

„Sie sind also Melindas und Jonathans Mann in Bangkok?“

„Sieht so aus. Sie können mich gerne William oder Bill nennen.“

William betrachtete die Visitenkarte, die Penelope ihm zur Begrüßung überreicht hatte. Auf dem silbergrauen Karton mit Prägedruck las er: Penelope S. Owens, Associate Attorney, Goldstein & Schulman, Bangkok.

Vor ihm stand im Gegenlicht eine mittelgroße schlanke Frau in einem hellgrauen Businessanzug. Ihr seidiges schwarzes Haar lag auf schmalen Schultern und erhielt durch die Lichtstrahlen der Morgensonne zusätzliche reizvolle rötlich-orange Farbakzente, und William war froh, dass er sich wenigstens frisch rasiert hatte. Sein verknittertes, ausgebleichtes T-Shirt war ihm allerdings in diesem Moment ein wenig peinlich. Miss Owens griff nach einer Fernbedienung. Kurz darauf beendete die abgesenkte Jalousie die Lichtspiele in ihrem Büro in Bangkoks Witthayu Road, die unter westlichen Ausländern salopp Wireless Road genannt wurde.

„Okay, William, dann bin ich für Sie Penelope. Jonathan, der Büroleiter der Justizministerin, hat mich in groben Zügen über Ihren Auftrag informiert. Es geht um einen flüchtigen US-Staatsbürger mit dem Namen Mazzini. Sie sind Exposer? Ich verstehe von Ihrer Arbeit nicht viel und hoffe, dass ich Ihnen zumindest ein wenig behilflich sein kann“, eröffnete die Juristin, die William auf höchstens Ende zwanzig schätzte.

„Ein Exposer ist eine Art Spürhund. Seine Aufgabe ist es, den Fuchs aus seinem Versteck zu locken und sich dann zurückzuziehen, um Jägern die Bühne zu überlassen …“, versuchte sich William mit einem Vergleich.

„Ich nehme an, Mazzini ist der Fuchs? Dann kommt es auf Ihren Instinkt an?“ Sie hatten mittlerweile Platz genommen und Penelope musterte ihren Besucher. Sie hatte sich LaRouche deutlich jünger vorgestellt. Der Mann, der nun vor ihr saß, wirkte müde und für sein Alter von Anfang vierzig ein wenig verbraucht.

„Auf die Nase kommt es an“, bestätigte William. „Die Nase ist das wichtigste Organ eines Spürhundes. Kann es sein, dass Sie einen jüngeren Mann erwartet haben?“

William hatte eine Heftmappe mit dem Signet des Justizministeriums auf dem Schreibtisch entdeckt. Vermutlich waren darin die Informationen enthalten, die Jonathan für Penelope zusammengestellt hatte. Das Dossier enthielt vermutlich auch ein Foto des Spürhundes zur sicheren Identifikation, das in seinem Fall zweifellos aus längst vergangenen FBI-Tagen stammte. William kannte solche allgemeinen Memos, die bewusst spärlich gehalten waren, weil man nie wusste, in wessen Hände sie gerieten.

„Oh, wissen Sie William, mit Männern ist es wie mit Rotwein …“, entgegnete Penelope sichtlich verlegen. Sie fühlte sich ertappt. Sicher war es ein Zufall, dass dieser Mann ihren Gedanken aufgenommen hatte.

„ … je älter, desto besser? Das meinten Sie doch, oder?“, unterbrach William schmunzelnd und beobachtete, wie Penelope nach der Mappe des Justizministeriums griff, den Inhalt entnahm und damit ihren Schredder fütterte.

„Ehrlich gesagt habe ich ein paar ziemlich beschissene Jahre hinter mir, die mich mehr Kraft gekostet haben, als mir lieb war. Aber das hat Ihnen Jonathan womöglich schon verraten.“

„Nein, das hat man mir nicht verraten. Ich habe nur gehört, dass Sie einer der besten Personenfahnder des FBI waren. Sie kennen Bangkok und Südostasien seit über zehn Jahren, sprechen leidlich Thai und fließend Chinesisch. Sie stammen aus New Orleans, Louisiana, sind geschieden und führen eine Agentur für private Ermittlungen in New Jersey.“

„Haben Sie das alles dem Dossier entnommen?“ William deutete auf die geplünderte Mappe. „Stand dort auch, dass ich einen Vorgesetzten verprügelt, vor drei Jahren den Dienst quittiert habe und wegen eines Burn-out-Syndroms in einer Klinik behandelt wurde. Ist Ihnen darüber hinaus bekannt, dass sich meine sogenannte Agentur für private Ermittlungen vorwiegend mit der Suche nach entlaufenen Haustieren beschäftigt?“

William wollte sich mit seiner Offenheit nur selbst schützen. Diese verwirrend attraktive Frau war eindeutig zu jung für ihn und zudem spielten die Männer, für die sich Penelope womöglich interessierte, zweifellos in einer anderen Liga als er. Da erschien es ihm angebracht, ohne Umschweife klarzustellen, dass er alles andere als ein James Bond war und objektiv betrachtet nicht einmal sein eigenes Leben im Griff hatte.

„Nobody is perfect!“, kommentierte Penelope unbeeindruckt und lenkte wieder auf das eigentliche Thema ihrer Besprechung zurück. „Ich hoffe, Sie hatten wenigstens einen guten Grund, als Sie sich Ihren Vorgesetzten vorgeknöpft haben. Aber jetzt jagen Sie Larry Mazzini und das wird nicht einfach werden. Im Großraum Bangkok leben fast so viele Menschen wie in Texas.“

„Aber bestimmt nicht so viele Rindviecher“, gab William zurück und erntete für seinen mittelmäßigen Scherz einen mitleidigen Blick. „Penelope, ich vermute, Sie haben sich noch nicht mit der Psyche des Fuchses beschäftigt?“

„Mit der Psyche des Fuchses?“

„Unser Fuchs heißt Larry Mazzini“, rief William in Erinnerung. Dabei konnte er nicht verhindern, dass er ungehörig lange und direkt in Penelopes dunkelbraune Mandelaugen blickte. Er konnte sich nicht mehr erinnern, ob er seit seiner Scheidung von Ann-Louise einem weiblichen Wesen eine ähnlich intensive Aufmerksamkeit geschenkt hatte. Eine Lucky Strike würde jetzt guttun. Aber auf diese Art der Beruhigung musste er wohl oder übel noch eine Weile warten. Statt zu rauchen, fuhr er fort: „Ein Mensch wie Mazzini taucht nicht einfach unter.“

Penelope warf William einen überraschten Blick zu. „Nein, ich habe mich noch nicht mit Mazzini beschäftigt. Ich erwähnte bereits, dass die Informationen, die ich von Jonathan erhalten habe, nicht gerade detailliert waren. Warum sind Sie sich sicher, dass Mazzini sein Leben nicht zurückgezogen in einem angenehmen Versteck genießt?“

„Larry Mazzini versteckt sich nicht, und wenn er untertaucht, dann nur in äußerster Bedrängnis und für begrenzte Zeit. Er braucht die gesellschaftliche Anerkennung und die wird er nicht bekommen, wenn er sich in ein dunkles Loch verkriecht.“

In diesem Moment öffnete sich die Tür und eine Mitarbeiterin brachte ein Tablett mit Kaffee, Mineralwasser und einer Auswahl an Muffins. William stieg warmer Bananenduft in die Nase.

„Ihre Vermutungen beruhen zweifellos auf einer fundierten Persönlichkeitsanalyse. Ich verstehe, wenn das Justizministerium die im Umfeld des Exposers eingebundenen Personen nur mit Informationen versorgt, die unmittelbar mit ihren Aufgaben zusammenhängen. Ihr Job ist der des Spürhundes. Meine Aufgabe ist die Unterstützung und Beratung bei möglicherweise auftretenden juristischen Fragen und Problemen. Haben Sie schon gefrühstückt?“

„Eine Lucky Strike und eine Cola.“

Penelope zog eine Augenbraue in die Höhe.

„Dann greifen Sie zu, während ich Ihnen ein paar Information über Andy gebe.“

„Andy?“ William griff nach einem Bananen-Muffin.

„Ihr Fahrer, Laufbursche, Mädchen für alles. Wie Sie wollen. Ein ehemaliger Polizist. Sein Name ist Nurathat Chatchawan, sein Kurzname lautet Nut. Weil er früher Sergeant bei der Touristenpolizei war, hat er natürlich noch einen englischen Namen und nennt sich Andy.“

William nickte mit vollem Mund. Natürlich war ihm diese Vielfalt thailändischer Namensgebung bekannt, die Ausländer mitunter mächtig verwirrte.

„Zuverlässig? Vertrauenswürdig?“

„Ich denke ja. Wir haben schon gelegentlich mit Andy gearbeitet. Er spricht ausgezeichnet englisch und ist ein echter Bangkonian. Er ist gut vernetzt, hat Verbindungen zur Polizei und zur Halbwelt. Seine Kontaktdaten habe ich Ihnen auf die Rückseite meiner Visitenkarte notiert. Andy steht Ihnen ab sofort zur Verfügung.“ Penelope strich sich ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht.

„Was ist mit den lokalen Behörden? Ich arbeite, wie Sie wissen, zunächst inoffiziell und besitze lediglich ein Touristenvisum.“

„Jonathan hat der obersten Führung der Metropolitan Police einen Wink gegeben. Für den Moment sollte Ihnen das den Rücken freihalten. Wenn es Probleme gibt, rufen Sie immer zuerst mich an. Mein Mobiltelefon ist rund um die Uhr empfangsbereit“, erklärte Penelope und musterte William zum wiederholten Mal. Auch wenn er etwas heruntergekommen wirkte, sich nicht gerade vorteilhaft kleidete und bestimmt eine Mütze Schlaf benötigte, so hatte dieser Mann doch etwas an sich, das Penelope anzog. Er war athletisch gebaut, hin und wieder ließ er ein jugendliches provozierendes Lächeln aufblitzen, das ihr gefiel. Ein großer starker Junge, den es offenbar nicht störte, wenn man ihm die Patina seines Lebens ansah. War William für ein Abenteuer zu haben? Penelope verwarf ihren Gedanken umgehend. Nein, so ein Blödsinn. Der Mann war hier, um Mazzini zu enttarnen, und außerdem fünfzehn Jahre älter als sie.

„Penelope, Sie vertrödeln Ihre Zeit mit einem alten Mann. Ich habe Sie lange genug belästigt und verschwinde jetzt besser. Sie haben sicher noch eine Menge zu tun.“ William erhob sich, warf Penelope einen Abschiedsblick zu, wie er ihm solchermaßen charmant herausfordernd das letzte Mal vermutlich in der Collegezeit gelungen war. Als er mit gerader Haltung den Korridor hinab dem Ausgang der Kanzlei entgegenstrebte, spürte er die Blicke der Juristin fast körperlich. Noch im Aufzug steckte er sich zur Beruhigung eine Lucky Strike an und nahm sich vor, umgehend eine Wäscherei in der Umgebung seiner Pension zu suchen, die seine Polohemden ordentlich bügelte.

 

10

Die Telefonverbindung nach Singapur war instabil. Immer wieder gab es kurze Aussetzer, so dass Jürg Bertoli Mühe hatte, den wortreichen Ausführungen seines Geschäftspartners Lamkan Seng zu folgen. Lamkan erinnerte ihn an den Termin, zu dem sie gemeinsam nach China reisen und dort auf einflussreiche Vertreter der politischen Elite treffen wollten.

„Die Chinesen müssen handeln, sonst fliegt ihre schöne Volksrepublik auseinander“, hörte Bertoli, ging aber nicht näher auf die Prophezeiung seines Partners ein, die er nur zu gut kannte.

„Wenn wir erfolgreich … Huxley-Programm … Win-win-Situation … habe ich immer schon gesagt …“, rauschten die Satzfetzen aus dem fernen Singapur an Bertolis Ohr, der sich in Gedanken mit einem ganz anderen Problem beschäftigte. Als die Verbindung wieder einigermaßen intakt war, unterbrach er den aufgedrehten Lamkan. „Wäre es möglich, dass Sie mir Verstärkung schicken? Ich habe das Gefühl, wir sollten vorsichtiger sein.“

Zugegeben, es war nur eine leise Ahnung, die Bertoli umtrieb. Es lagen objektiv keinerlei Fakten vor, die zur Besorgnis Anlass gaben. Aber in der letzten Zeit ging alles zu glatt: Die Wirkungs- und Verträglichkeitsprüfungen waren erfolgreich abgeschlossen. Für Singapur lag die Zulassung der staatlichen Gesundheitsbehörde vor. Die Chinesen hatten überraschenderweise auf den ersten Kontaktversuch positiv reagiert. Und letztendlich war auch die Sache mit Hannah endgültig geklärt. Diese Erfolgsserie würde sich zukünftig fortsetzen, davon war Bertoli überzeugt, aber er wollte für alle Fälle gewappnet sein.

„Wie viele Männer brauchen Sie zusätzlich?“, rief Lamkan ins Telefon. Es war auch in seinem Interesse, dass ihr gemeinsames Unternehmen geschützt war. Er hatte schließlich die Finanzmittel für das Projekt zur Verfügung gestellt.

„Ich denke, wir sollten die Mannschaftsstärke verdoppeln, damit ein 24-Stunden-Sicherheitsdienst gewährleistet ist“, schlug Bertoli vor.

„Geht in Ordnung. Ich schicke Ihnen weitere sechs Männer“, versprach Lamkan und kritzelte einen Vermerk auf einen Notizblock. Gleich nach dem Gespräch mit Bertoli würde er den Geheimdienstchef anweisen, die geforderte Verstärkung nach Bangkok in Marsch zu setzen.

„Gibt es im Zusammenhang mit Hannah Neuigkeiten?“

„Ich denke, die Polizei wird die Nachforschungen in Kürze einstellen“, mutmaßte Bertoli.

„Ich habe nichts anderes erwartet“, kommentierte Lamkan, woraufhin die Verbindung nach Singapur zusammenbrach.

11

Die beiden ersten Nächte in Bangkok hatte William traumlos durchgeschlafen, nachdem er jeweils hundemüde und weit vor Mitternacht ins Bett gesunken war. Eine Wohltat. Schon deshalb hatte sich die Reise bereits gelohnt. So schrieb er das frühe Erwachen in der dritten Nacht und den anschließenden Tatendrang nicht der Zeitverschiebung, sondern seiner allgemeinen Erholung zu.

Er lag noch eine Weile, nur mit Boxershorts bekleidet, auf dem Bett. Erinnerungsfetzen an seine Kindheit und Jugend schossen ihm durch den Kopf. Dabei tauchten die üblichen starren Momentaufnahmen von seinem Vater auf, die William verzerrt und unendlich fern erschienen und die von einem vertrauten Brummen begleitet wurden. Vaters dunkel vibrierende Stimme, vermischt mit den gedehnten Vokalen des Louisiana-Dialekts, verlieh William bis heute das Gefühl, geborgen zu sein.

Um fünf Uhr beschloss William, seinen Tag zu beginnen. Auf dem Weg zur Dusche fiel sein Blick auf sein Spiegelbild. Nein, so konnte das auf keinen Fall weitergehen. Mazzini finden und zehn Pfund abnehmen, so lautete ab sofort seine Mission in Bangkok. Kurz darauf hatte er sich eine kurze Sporthose und ein T-Shirt übergestreift und die Joggingschuhe aus der Versenkung seines Koffers ausgegraben. Wenig später verließ William die Pension und stolperte durch die noch menschenleere finstere Gasse hinauf zur Charoen Krung Road. Dort erwischte er ein Taxi und nannte als Ziel den Lumphini-Park. Der Fahrer kniff die Augen zusammen, musterte seinen spärlich gekleideten Fahrgast, als wäre dieser ein Außerirdischer, und nahm anschließend einen kräftigen Schluck aus einer Miniaturflasche, auf der William zwei bunte Stiere erkannte. Er erinnerte sich an seine frühmorgendlichen Streifzüge durch Bangkok, als er noch in FBI-Diensten stand. Damals war ihm kein einziger Taxifahrer begegnet, der zu dieser Stunde noch nüchtern und ohne Aufputschmittel am Steuer saß.

Als William wenig später die beliebteste grüne Lunge Bangkoks erreichte, lag noch immer die Dunkelheit der Nacht über der zweieinhalb Kilometer langen beleuchteten Laufstrecke, auf der sich schon allerhand sportliche Frühaufsteher tummelten. Neben Einzelläufern und Kleingruppen waren ganze Herden einheitlich gekleideter Jogger unterwegs, manche schmetterten sogar im Laufschritt Marschlieder. An etlichen Ecken und auf freien Plätzen übten zumeist ältere Herrschaften Qigong, Tai-Chi oder geheimnisvolle Schwerttänze, begleitet von klassischer fernöstlicher Musik aus tragbaren Musikanlagen. William reihte sich in den Strom der Läufer ein. Verdammt, er hatte vergessen, wie es sich anfühlte, wenn man in der tropischen Schwüle des Morgengrauens schneller als in Schrittgeschwindigkeit unterwegs war. Er keuchte sich über die erste Runde, das Herz schlug ihm bis zum Hals und in seinen Schuhen lief der Schweiß zusammen. Erstaunlicherweise gewöhnte sich sein Kreislauf rascher als erwartet an die Belastung. Die zweite Umrundung war zwar noch kein wirkliches Vergnügen, aber die Qual war auszuhalten. Nach einer guten halben Stunde wechselte William in ein moderates Wandertempo, sog den Duft des erwachenden Bangkoks ein und traute seinen Augen nicht, als er eine Goanna-Echse am Ufer eines Teiches entdeckte. Der ein Meter lange, schleichenartige Waran gähnte William schläfrig an. Nach dieser Begegnung, die nach einem thailändischen Sprichwort Glück und ein langes Leben versprach, beendete William seine erste Sportstunde seit Jahren und gönnte sich an den bereits geöffneten Garküchen im Lumphini-Park ein gesundes Frühstück mit frisch gepresstem Fruchtsaft, einer scharfen Nudelsuppe und ein paar chinesischen Dampfnudeln.

Frisch geduscht und energiegeladen setzte er sich nach der Rückkehr in die Pension auf seine Terrasse, inhalierte zur Belohnung eine Lucky Strike und beschäftigte sich zum wiederholten Mal mit dem Dossier seiner Zielperson. Larry Mazzini war in der Welt herumgekommen. Er besaß neben der US-Staatsbürgerschaft noch die seines Geburtslandes Argentinien, wo er in den Jahren der Militärdiktatur zunächst Medizin studierte und anschließend eine Spezialausbildung an der Marineschule ESMA erhielt, der Escuela de Mecánica de la Armada, dem berüchtigten Foltergefängnis für politische Häftlinge. Dort erarbeitete er sich dank seiner effizienten Verhörmethoden den Ehrennamen El Comandante filigrana. Einige Zeit später verließ Mazzini Südamerika und war Ende der 1970er Jahre als selbstständiger Berater den kambodschanischen Roten Khmer beim Aufbau ihrer Konzentrationslager behilflich. Sein Renommee verhalf ihm später zu einer ähnlich gelagerten Tätigkeit in Burma, nachdem auch hier das Militär die Macht an sich gerissen hatte. Dann verlor sich seine Spur für geraume Zeit und es gab Gerüchte über seinen Tod. Durch einen Zufall fiel FBI-Beamten eine Liste von Honorarexperten in die Hände, die für die CIA nach den Anschlägen vom 11. September in ausländischen Untersuchungsgefängnissen mutmaßliche Terroristen sogenannten verschärften Verhören unterzogen hatten. Viele Indizien sprachen dafür, dass sich hinter einem besonders versierten Folterspezialisten aus Südafrika in Wahrheit Larry Mazzini verbarg.

William blies die Wangen auf: Über fünftausend ermordete Gefangene an der ESMA in Buenos Aires, zwei Millionen tote Akademiker, Intellektuelle und buddhistische Mönche in Kambodscha, ähnliche Resultate in Burma. Dazu in ungezählten Fällen die Missachtung amerikanischer Verhörvorschriften in den illegalen Folterzentren der CIA, die nicht nur in Einzelfällen zum Tode der Inhaftierten geführt hatten. Mazzini schien sich an Orten wohlzufühlen, wo das Quälen und Töten von Menschen zum Tagesgeschäft gehörte.

Eine Reihe von Nationen hatte einen internationalen Haftbefehl für Mazzini erwirkt, dem sich nach dem Ende des Terrorregimes der Roten Khmer auch Kambodscha anschloss. Eine Festnahme auf der Beerdigung seiner Mutter Holly auf dem Graceland-Friedhof von Chicago vor wenigen Jahren wurde in letzter Minute vereitelt. Seither schien Larry Mazzini wie vom Erdboden verschluckt zu sein.

„Sie wollen mir doch nicht erzählen, dass Sie schon pensioniert sind.“

Amüsiert musterte William seinen Gesprächspartner, der ihm in einem gut besuchten Schnellrestaurant eines Einkaufszentrums gegenübersaß. Nurathat Chatchawan, Kurzname Nut, internationaler Name Andy, ähnelte eher einem Informatikstudenten als einem Polizeibeamten im Ruhestand.

„Ich habe den Dienst quittiert“, gab Andy unbeschwert zurück, und William dachte an die gottverfluchten Nächte, in denen er sich das Hirn zermartert hatte, ob und wann er das FBI verlassen wollte.

„Khun William, wenn Sie wüssten, wie schwierig es in Bangkok ist, von dem Gehalt eines kleinen Polizisten eine Frau glücklich zu machen, geschweige denn eine Familie zu ernähren“, erläuterte Andy für einen Thai bemerkenswert offenherzig.

„Sie haben nur wegen der Bezahlung gekündigt?“

„Ich habe die Polizeiakademie mit Auszeichnung verlassen, spreche ein wenig Englisch und habe mich stets bemüht, meine Arbeit zur vollen Zufriedenheit meiner Vorgesetzten zu erledigen“, verteidigte sich der kaum Dreißigjährige mit der runden Metallbrille in fehlerfreiem Englisch und warf einen Blick auf sein teures amerikanisches Smartphone, das neben ihm lag.

„Man hat Sie nicht genügend beachtet? Sie sahen Ihre Leistungen nicht ausreichend honoriert?“ William wusste noch aus alten Tagen, wie schwierig es für ehrgeizige Talente in Thailand war, ohne Beziehungen wirklich Karriere zu machen.

„Wenn Sie das sagen, hört es sich besser an, als wenn ich es behaupte. Aber so in etwa ist’s gelaufen. Als Freelancer verdiene ich viel besser, bin mein eigener Chef und brauche kein tea money zum Überleben.“

Tea money? William erinnerte sich an einen thailändischen Polizeileutnant, der ihm vor Jahren beim gemeinsamen Trinkgelage vertraulich verraten hatte, dass er neben seinem Polizeisold mindestens das Dreifache an Schmiergeldern benötigte, um anständig leben zu können.

„Lassen Sie uns zum Geschäft kommen.“ William schob Andy einen Umschlag mit Fotos zu. „Das ist unser Mann: Larry Mazzini.“

Das Lokal erfreute sich zur Mittagsstunde großen Zulaufs. Außer William war kein weiterer Farang zu entdecken, und weder die hungrigen Gäste, noch die umherschwirrenden Bedienungen schienen sich für ihn und seinen Gesprächspartner zu interessieren. Andy betrachtete eingehend eine Aufnahme, die Mazzini als einen glattrasierten, schneidigen Marineoffizier mit einem akkurat getrimmten Oberlippenbart zeigte. Auf anderen Fotos sah man einen pausbäckigen, zufrieden wirkenden Geschäftsmann in edlem Zwirn und mit locker nach hinten frisierten pechschwarzen Haaren.

„Haben Sie den verkrüppelten Ringfinger bemerkt?“

„Angeblich ein Unfall“, gab William zurück und griff nach einer Farbfotografie. „Das ist die aktuellste Aufnahme, über die wir verfügen.“

Andy konzentrierte sich auf ein weiteres Foto: ein Mann in einem Arztkittel und mit einem hellblonden Mittelscheitel, dessen dunkelbraune Augen auf einem verängstigten Asiaten ruhten. Im Hintergrund war ein Kalender mit burmesischen Schriftzeichen zu erkennen.

„Diesen Mann will ich haben: dreiundsechzig Jahre alt, spricht sechs Sprachen und verfügt nicht nur in Südostasien über ein Netz von Sympathisanten und Informanten. Ein nicht zu unterschätzender, gefährlicher Gegner“, fasste William zusammen. Endlich näherte sich eine Kellnerin ihrem Tisch und legte ohne Begrüßung die Speisekarten auf den Stapel Fotos. Auf ihrer mintgrünen Schürze las William: „Try Flummies – Bangkok’s Best Choice.“ William reichte dem Mädchen die großformatige Menüauswahl zurück und bestellte eine Coca-Cola, Andy entschied sich für einen Café americano.

„Was meinen Sie mit gefährlich?“, wollte Andy wissen, als sich die Bedienung zurückgezogen hatte, und untersuchte dabei eine der Abbildungen mit einer Lupe.

 

„Mazzini ist ein Spezialist für Foltermethoden. Er entwirft die Szenarien für die Verhöre. Er choreografiert die Hinrichtungen, die Inszenierungen gleichen, um andere Gefangene gefügig zu machen. Angeblich tötet er nur in den seltensten Fällen selbst. Er liebt es zuzuschauen und genießt seine Macht über die Opfer und die Henker.“

Andy nickte und packte die Fotografien wieder in das Kuvert zurück. „Khun William, ich hoffe, ich kann Ihnen in ein paar Tagen erste Resultate liefern. Bangkok ist riesig, aber die Zahl der Farangs, die in Ihrem Fall infrage kommen, ist überschaubar. Ausländische Verbrecher, die in Bangkok untertauchen, wundern sich immer wieder, wie leicht sie zu finden sind, wenn sich die Spürhunde wirklich Mühe geben.“

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