Bangkok Rhapsody

Tekst
Przeczytaj fragment
Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

7

Nicht einmal zwei Wochen waren es noch bis zum thailändischen Loy-Krathong-Fest, der stimmungsvollen Verabschiedung der Regensaison, die sich in diesem Jahr ungewöhnlich ergiebig gezeigt hatte.

Am Nachmittag war wieder ein tropischer Wassersturm über Bangkok hinweggefegt. Wie gewöhnlich brachte dieses Naturspektakel nur eine kurze Abkühlung und Erleichterung. Mit dem einsetzenden Feierabendverkehr lag Thailands Metropole schon bald wieder unter einer dampfenden Dunstglocke aus Industrieemissionen und Verbrennungsprodukten der unzähligen mobilen Giftschleudern, die im Schneckentempo über den aufgeheizten Asphalt schlichen.

Die aufsteigende Verdunstung der Wassermassen, die das Unwetter ausgespuckt hatte, vermischte sich mit der säuerlich-scharfen Transpiration der sechszehn, vielleicht auch achtzehn Millionen, die Bangkok bevölkerten. Jedes einzelne dieser menschlichen Lebewesen mochte seine persönliche Strategie gegen dieses unerträgliche Gemisch haben, aber keines konnte verhindern, dass die Temperaturen an jedem verfluchten Tag eines Jahres zuverlässig die Dreißiggradmarke überschritten. Für einen Farang, einen weißen Ausländer, fühlte sich dieser Spätnachmittag ungefähr so an, als ob er den Deckel eines mit brodelnder Brühe gefüllten Waschzubers abhob und seinen Kopf in den heißen Wassernebel mit undefinierbaren Geruchsnoten steckte.

Jürg Bertoli verließ den Waggon des Bangkok-Transit-Systems an der Station Nana. Sofort wurde er vom Strom der dampfenden Leiber aufgesogen, die sich durch das Labyrinth aus Ladenpassagen und über die horizontalen und vertikalen Verbindungswege schoben. Aufgebockt auf turmhohe Betonstelzen, schwebte diese zähflüssige Parallelwelt hoch über dem darunterliegenden Gewirr der Boulevards und Gassen. Jeder schien in diesem Gewusel zu wissen, wohin er wollte, und auch Bertoli beschritt eine Rolltreppe, die ihn hinunter zur Einmündung der siebten Quergasse in den Sukhumvit Boulevard führte. Er bahnte sich den Weg zum Horny House am Ende der Soi Seven, vorbei an Verkaufsständen mit Plastiktand und buntem Kunstfaserfummel, Garküchen, Bierkneipen und den als Massagesalons getarnten Bordellen. Seine rechte Hüfte zwickte unerbittlich, aber die Fahrt mit einem Taxi ins vorabendliche Gewimmel der Gassen rund um Nana Plaza wäre ein zeitlich unkalkulierbares Unterfangen gewesen.

Als Bertoli das Horny House betrat, stand ihm der Schweiß auf der Stirn und unter den Hemdachseln zeichneten sich dunkelfeuchte Satteltaschen ab. Eine sparsam bekleidete Angestellte entbot mit aneinandergelegten Handflächen einen Wai, den traditionellen thailändischen Gruß. Dann reichte sie ihm ein gekühltes Handtuch und öffnete die Flügeltür zum Bühnensaal.

Es war das erste Mal, dass ihn Vitikorn in dieses Etablissement bestellt hatte, das zweifellos eine Perle im Geschäftsimperium des Polizeigenerals darstellte, dessen Amt als oberster Ordnungshüter Bangkoks nur eine Art Nebenbeschäftigung zu sein schien. Bertoli hatte Mühe, in dem mit barocken Imitaten und erotischen Anspielungen überladenen Raum die geschäftsführende Mama-san zu entdecken. Als sich seine Augen an die schummrige Beleuchtung gewöhnt hatten, sah er eine überschminkte Mittvierzigerin, deren Lesebrille an einer goldenen Kette über dem prall gefüllten Ausschnitt eines paillettenbesetzten Abendkleides baumelte. Sie sortierte mit atemberaubender Geschwindigkeit mächtige Geldbündel und addierte die Zwischensummen mit einer knatternden Rechenmaschine. Die Dame schien ganz und gar im Reich des Mammons versunken zu sein und erwies dem neuen Gast nicht die Spur einer Beachtung.

„Verzeihen Sie die Störung, mein Name ist Bertoli, ich bin mit Lieutenant General Vitikorn verabredet.“ Als die Mama-san den Namen Vitikorn vernahm, unterbrach sie den Zählvorgang und schenkte Bertoli das liebenswürdigste Lächeln, das sie mit ihrer Gesichtsmaske zustande brachte.

„Ah, Sie sind der Herr Doktor aus der Schweiz. Ich bin entzückt. Der Lieutenant General wird sicher jeden Moment erscheinen. Sie wissen ja, der Verkehr“, säuselte sie. „Bitte nehmen Sie doch Platz. Was darf ich Ihnen anbieten?“

Bertoli bestellte ein Mineralwasser und verschwand in der Herrentoilette, wo er den Kaltwasserhahn aufdrehte. Nur in aller Frühe, vor Sonnenaufgang, gab es für kurze Zeit Leitungswasser, auf das die Bezeichnung „kühl“ annähernd zutreffen mochte. So benetzte er nun mit dem lauwarmen Nass sein Gesicht und die Unterarme. Anschließend trocknete er sich mit einem der schneeweißen Handtücher sorgfältig ab. Dabei fiel sein Blick in den goldgerahmten Kristallspiegel über den Waschtischen. An seinen mediterranen Körperproportionen, bei denen ein längerer Oberkörper auf einem kürzeren Unterbau ruhte, war nun einmal nichts zu ändern. Aber die silbergraue Mähne, die sein Haupt krönte, stand ihm ausgezeichnet; dazu kamen der dunkelgraue Vollbart und die graublauen Augen – alles in allem ein gelungenes Arrangement, das seine Persönlichkeit stimmig betonte. Als er in den Gastraum zurückkehrte, nahm er einen Schluck eisgekühltes Mineralwasser und machte es sich auf einem Barhocker bequem.

Das Horny House war auf den ersten Blick ein erotischer Amüsierclub, wie es sie zu hunderten in Bangkok gab. Bertoli hatte allerdings schon von dessen Ruf als Geheimtipp für gepflegte Perversionen gehört. Nichts deutete zu dieser Tageszeit darauf hin, dass dieses Lokal Thailands Premiumadresse für anspruchsvolle Asiaten und westliche Ausländer war, die Sadomaso-Sex mit Kathoeys suchten; mit jungen Männern, die sich als Frauen in einem männlichen Körper fühlen. Nach ihren Showeinlagen auf der Drehbühne standen die willigen Ladyboys zahlungskräftigen Kunden als Lustobjekte in Separees, Suiten oder Folterkellern zur Verfügung. Die passende weiblich-erotische Kleidung, die Frisur und das Make-up waren für eine Kathoey das kleinste Problem. Die sehnsüchtig erträumten chirurgischen Eingriffe mussten dagegen mühselig verdient werden. Brustvergrößerungen, komplizierte Umbauten im Genitalbereich, Aufpolsterungen der Gesäßpartie, Hormonkuren – alle Hebel wurden in Bewegung gesetzt, damit eine Kathoey äußerlich ihrer Vorstellung einer perfekten Frau entsprechen konnte und ihre Seele ins Gleichgewicht zurückfand. Spitzenverdiener der Szene leisteten sich mitunter riskante operative Manipulationen an den Stimmbändern, damit endgültig alles Männliche an ihnen beseitigt war.

Um diese frühe Stunde herrschte im Horny House noch gähnende Leere. Das Revueprogramm begann nicht vor neun Uhr abends. Ein halbes Dutzend Nachwuchs-Kathoeys, denen man ihre noch nicht nachhaltig überwundene Männlichkeit ansah, alberten an einem Ecktisch herum. Einige stärkten sich für ihre Auftritte am späteren Abend mit allerlei Gesottenem und Gegrilltem. Andere waren dabei, sich aufzutakeln, künstliche Wimpern zu montieren und ihre Röckchen und ausgestopften Büstenhalter in Stellung zu bringen. Ein Klapperdürrer bat einen Kollegen um Hilfe bei seinen Versuchen, sein männliches Geschlechtsteil mit Klebeband zu bändigen und es zwischen seinen Beinen, in Richtung Anus eingeklemmt, verschwinden zu lassen.

Der einzige Gast des Hauses, neben dem wartenden Bertoli, war ein kolossaler Ausländer, eine gut zwanzig Jahre alte Ansammlung von Fett und Muskeln. Er trug einen Bürstenhaarschnitt, ein frisch gebügeltes Poloshirt und karierte Shorts, wie sie von Golfspielern an heißen Tagen bevorzugt werden. Sein Hintern bedeckte zwei nebeneinanderstehende Barhocker, der Oberkörper hing regungslos auf dem Tresen. Vor ihm standen, aufgereiht wie Paradesoldaten, ein halbes Dutzend Flaschen der australischen Biermarke Carlton Cold.

In diesem Augenblick öffneten sich die Flügeltüren des Foyers und Bertoli erkannte die gedrungene Silhouette von Vitikorn, dem Chef der Metropolitan Police of Bangkok. Der Lieutenant General stieg die Stufen zum Thekenbereich hinunter, nickte seiner Geschäftsführerin zu, die ihm ein Zeichen gab. Er umrundete die Theke und streckte seinem Gast die Hand entgegen. „Sorry, Dr. Bertoli, der Verkehr, Sie wissen schon …“

„Keine Ursache, Lieutenant General, ich bin auch erst vor ein paar Minuten angekommen“, gab Bertoli zurück. Natürlich war es dem Polizeidirektor von Bangkok nicht zuzumuten, sich von einem öffentlichen Verkehrsmittel wie der BTS-Schnellbahn zu einem Termin transportieren zu lassen. Sicher wartete draußen vor der Tür eine Dienstlimousine mit Fahrer, laufendem Motor und eingeschalteter Klimaanlage, damit sich der Innenraum des Fahrzeuges nicht aufheizte.

„Doktor, entschuldigen Sie mich bitte noch für einen Moment … etwas Geschäftliches … Sie verstehen …“

Vitikorn drehte seinen Zweizentnerkörper mit erstaunlicher Wendigkeit und hielt auf die Mama-san zu.

„Nit, mein Schätzchen, was gibt’s? Kann das nicht warten? Du siehst doch, ich habe Besuch“, vernahm Bertoli, der nur ein paar Meter entfernt am Tresen saß und über ein ausgezeichnetes Gehör und Kenntnisse in der thailändischen Sprache verfügte.

„Nur ein kleines Problem.“ Nit warf dem hellhäutigen Elefanten am anderen Ende der Bar einen verdrießlichen Blick zu.

„Was ist mit dem Fettwanst los? Hat er randaliert?“, wollte Vitikorn wissen.

„Der Junge hat sich verirrt. Hat wohl gedacht, hier gibt’s das Übliche zur Happy Hour. Hat sich anfangs ganz nett und spendabel mit Ai-Ai beschäftigt.“ Die Mama-san deutete auf eine schmalhüftige Kathoey in einer Schuluniform und Pigtail-Zöpfchen. „Dann wurde ein Separee bestellt. Vor Geilheit blind, hat der Kerl zunächst wohl nicht kapiert, dass zwischen den Beinen seiner Prinzessin etwas existiert, das er dort auf keinen Fall vermutet hatte.“

„Hm“, brummte der Polizeichef, „als er seinen Irrtum entdeckte, wurde er sauer, hat unsere kleine Ai-Ai beschimpft und jetzt will er die Zeche nicht bezahlen?“

 

„Ja, genau so ist’s gelaufen. Sie sind der Boss. Aber ich bin der Meinung, dass wir in derartigen Fällen keine Kulanz mehr zeigen sollten. Das spricht sich herum und die Konkurrenz macht sich über die zahnlosen Tiger des Horny House lustig. Der Hohlkopf soll die Getränke und die gebuchte Kathoey bezahlen und dann verschwinden. Außerdem sind schlafende Gäste nicht gut fürs Geschäft“, erklärte Nit mit einem Blick auf ihre diamantenbesetzte Armbanduhr.

„Vollkommen richtig, meine Süße“, lobte Vitikorn und verbarg seine dunklen Augen mit der teuren amerikanischen Sonnenbrille, die bisher im Ausschnitt seiner Uniformjacke gesteckt hatte. Dann trat er zu dem schnarchenden Ausländer und rüttelte an dessen Oberarm. Als daraufhin nur ein Grunzen ertönte, öffnete der Polizeigeneral den Reißverschluss der Gürteltasche, die sich vom Bauch des Mannes in den Bereich seiner Taillen-Speckringe verschoben hatte. Er entnahm einen neuseeländischen Reisepass mit einem gültigen Touristenvisum und dem Einreisestempel vom Vortag. Laut Ausweis war der Bursche dreiundzwanzig Jahre alt und hatte als Beruf Krankenpfleger angegeben. Vitikorn steckte den Pass in seine Brusttasche und verschloss den Beutel wieder. Dann zog er seinen Dienstausweis heraus. „Sir, darf ich Ihren Pass sehen“, brüllte er in das Ohr des schlafenden Riesen, der die Augen aufriss und fauchte: „Fick dich. Meinen Pass? Was geht dich mein Pass an?“

„Sir. Ich bitte vielmals um Verzeihung, dass ich Sie bei Ihrer Meditation unterbrochen habe. Ich bin Polizist. Wären Sie so freundlich und würden sich ausweisen?“

„Du Arschloch. Meditation? Verpiss dich.“

„Sir, möglicherweise haben Sie überhört, dass ich Polizeibeamter bin. Darf ich Ihren Pass sehen?“

Vitikorn hob seinen Dienstausweis in die Höhe. Mit glasigem Blick starrte der Neuseeländer auf die Schulterklappen der Polizeiuniform, wo etliche goldene Sterne in den Lichtreflexen einer kreisenden Glasmosaikkugel aufblitzten. Endlich hatte er begriffen und nestelte an seiner Gürteltasche herum.

„Mein Pass. Scheiße! War da drin. Ehrlich! Fuck, jetzt isser weg“, stammelte der Betrunkene. Vitikorn erkundigte sich bei Nit, wie viel Geld der verirrte Freier dem Horny House schuldete. Alles in allem seien es wohl um die fünftausend Baht, lautete die Schätzung der Geschäftsführerin. Wenn die Rechnung lieber in US-Dollar bezahlt werden wolle, gebe sie sich mit zweihundert Dollar zufrieden und man könne sich in Freundschaft trennen. Vitikorn nickte zustimmend, nachdem er den vorgeschlagenen Wechselkurs überschlagen hatte.

„Wo ist mein Pass?“, jammerte der Dickleibige.

„Sie können sich nicht ausweisen? Das ist eine ernste Sache. Mein Freund, kann es sein, dass Sie Ihre Rechnung nicht bezahlen wollen?“

Bertoli verfolgte aufmerksam das Geschehen und sah, wie Vitikorn beeindruckende Sorgenfalten auf seine Stirn zauberte.

„Das Bier zahl ich schon. Aber die Lady … also, wenn das ’ne verdammte Lady war … Fuck, dann bin ich ’n verdammtes Meerschweinchen.“

„Bangkok bietet seinen ausländischen Gästen unendlich viele Überraschungen. Ein Rat unter echten Männern: Bezahlen Sie Ihre Rechnung. Irrtümer sind bekanntermaßen die besten Lehrmeister des Lebens. Möglich, dass sich dann auch Ihr Pass wiederfindet, zum Beispiel auf der Toilette.“ Vitikorn deutete zu den kichernden Kathoeys an dem Ecktisch.

„Ich war nich’ auf der Toilette“, brachte der Tourist stockend vor.

„Was soll ich jetzt mit Ihnen machen?“ Vitikorn schüttelte sein Haupt. „Sie beleidigen einen Polizeibeamten. Sie wollen die gebuchte Lady nicht bezahlen. Sie sind ohne Pass unterwegs. Woher soll ich wissen, ob Sie sich überhaupt rechtmäßig im Königreich Thailand aufhalten? Womöglich sind Sie ein nordkoreanischer Spion, ein islamistischer Selbstmordattentäter oder ein kolumbianischer Drogenhändler. Alles ziemlich kompliziert, finden Sie nicht auch? Möchten Sie mit ins Polizeipräsidium kommen? Dort können wir dann alles in Ruhe klären. Ich habe heute allerdings schon Feierabend und morgen ist mein freier Tag. Sie werden dort übernachten müssen. Ich stehe Ihnen dann übermorgen ab zehn zur Klärung der Unstimmigkeiten zur Verfügung.“

Der Neuseeländer zuckte immer wieder nervös mit den Mundwinkeln. Er hatte sein komplettes jährliches Urlaubsbudget in den Fünftagetrip nach Bangkok investiert. Und nun drohte dieses Sechssternepolizeischlitzauge ihm mit einem Zwangsaufenthalt von zwei Nächten in einem thailändischen Gefängnis.

„Gibt’s da keine andere Lösung?“

„In Bangkok gibt es für alles eine Lösung.“ Vitikorns Blick streifte Nit, die sich bemühte, der auf Englisch geführten Verhandlung zu folgen.

„Die Beamten der Metropolitan Police haben großes Verständnis für die gelegentlichen Schwierigkeiten anständiger Touristen. Ich schlage vor, Sie bezahlen das Bier und die Lady, on top ein nettes Trinkgeld für die ehrliche Finderin Ihres Passes. Dann vergessen wir die ganze Sache einschließlich der Beamtenbeleidigung und Sie können Ihre Entdeckungsreise durch Bangkoks Amüsierbetriebe fortsetzen. Okay? Das wären dann zusammen genau dreihundert Dollar. Wir nehmen hier nur amerikanische Dollars“, bot Vitikorn überfreundlich an.

„Fuck, dreihundert Dollar für ein paar Bier? Das Mädchen war doch keins … ganz ehrlich … die hatte einen … ich hab’s genau gesehen … das ist Betrug“, beschwerte sich der Mann zaghaft.

„Es ist Ihre Entscheidung. Mein Wagen steht vor der Tür.“ Vitikorn rümpfte die Nase. Nicht einmal für eine Million Dollar würde ein betrunkener Farang die schneeweißen Ledersitze seiner Dienstlimousine beschmutzen.

„Go to hell! Ich zahl die verdammten dreihundert Bucks.“

Der Mann klaubte das Geld aus dem Lederbeutel um seinem Hals.

„Schön, dass Sie vernünftig sind“, lobte Vitikorn und händigte dem Neuseeländer den Reisepass aus. „Das gute Stück lag tatsächlich in der Damentoilette. Eine Kathoey hat es dort gefunden. Weiß der Himmel, wie er dort hingekommen ist.“

Der Mann packte mit einem kurzen Griff seinen Pass und schlich grußlos aus dem Horny House. Vitikorn reichte Nit zweihundert Dollar und winkte mit den restlichen fünf Zwanzigdollarscheinen hinüber zum Ecktisch.

„Und das ist für euch, meine kleinen Ladies.“

Die jungen Kathoeys sprangen ausgelassen kreischend auf und entboten Bangkoks Polizeichef anschließend unterwürfig ihren Wai.

Vitikorn kehrte zu Bertoli zurück und führte seinen Gast in ein Separee, wo Getränke und ein paar Kleinigkeiten zum Knabbern bereitstanden. Als man es sich auf den plüschigen Kanapees bequem gemacht und eine Bedienung die Gläser gefüllt hatte, öffnete Vitikorn ein paar Knöpfe seiner Uniformjacke, die über seinem Kugelbauch spannte, und schob seine Sonnenbrille auf die Stirn.

„Mit ihren Pässen verstehen die Farangs keinen Spaß“, stellte der Polizeigeneral fest.

„Eine wirklich beeindruckende Vorstellung. Der arme Kerl hatte keine Ahnung, wem er gegenüberstand.“

„Manche Farangs meinen doch tatsächlich, Bangkoks Polizei beschäftigt sich ausschließlich mit sich selbst. Das Gegenteil ist der Fall. Jedes Jahr bearbeiten wir über eintausend Morde, dazu wer weiß wie viele Suizide und Verkehrsunfälle mit Todesfolge.“ Vitikorn räkelte sich entspannt auf seinem Sofa.

„Und dann gibt’s da noch die Vermissten. Vermisste machen die meiste Arbeit. Ehrlich gesagt sind mir drei Morde lieber als eine Vermisstenanzeige“, beschloss Vitikorn den Schnelldurchlauf seiner beruflichen Bilanz.

„Wo wir gerade über Vermisste sprechen. Gibt es Neuigkeiten von Ihrer Frau Heather?“

„Hannah. Meine Frau heißt Hannah. Nein, bisher habe ich keine neuen Erkenntnisse erhalten.“

„Meine Beamten werden Ihre Frau finden. Ich gebe Ihnen mein Wort“, versprach der Lieutenant General und drückte einen Knopf, mit dem man die Bedienung rufen konnte. Bertoli schaute verstohlen auf seine Uhr.

„Sie wollen doch nicht schon gehen, ohne etwas gegessen zu haben? Bertoli, ich sage immer: Schöne Frauen und gutes Essen, allein dafür lohnt es sich, hart zu arbeiten.“

„Lieutenant General, darf ich ehrlich sein? Meine Frau ist deshalb verschwunden, weil sie mich verlassen hat. Ganz im Vertrauen, ich habe schon seit geraumer Zeit eine Geliebte. Möglicherweise hat Hannah etwas geahnt. Ich beichte Ihnen meinen Fehltritt, weil ich sicher bin, Ihre Mitarbeiter werden diese Tatsache über kurz oder lang herausfinden.“

Vitikorn verzog sein von Narben übersätes Gesicht zu einem breiten Grinsen. „Bertoli, Sie Casanova! Eine Geliebte! Gratuliere. Endlich benehmen Sie sich wie ein richtiger Mann.“

Bertoli ließ den Vergleich mit Casanova an sich abperlen und setzte eine verschämte Miene auf, was seinen Gesprächspartner erst recht in Laune versetzte.

„Eine einzige Frau im Leben? Welch ein Jammer! Ehrlich gesagt, kann ich mir genauso wenig vorstellen, dass eine Frau mit nur einem Mann …“ Vitikorn versuchte den Blick Bertolis zu erhaschen, der gerade dabei war, aus seiner Aktentasche ein Kuvert zu entnehmen.

„Entschuldigen Sie bitte die Verspätung. Sie hatten Dollar verlangt, die meine Bank erst besorgen musste.“

Bertoli schob den Umschlag über den Tisch. „Fünfundzwanzigtausend, wie gewöhnlich. Lieutenant General, es tut mir sehr leid, aber ich bin heute ein wenig in Eile. Gerne plaudern wir ein anderes Mal. Wenn Sie mich bitte entschuldigen?“

„Natürlich, mein Lieber. Wir sehen uns bald wieder“, antwortete Vitikorn, der die Geldlieferung nicht eines Blickes gewürdigt hatte. Die beiden Männer reichten sich die Hand und wenige Augenblicke später hatte Bertoli das Separee verlassen.

8

William LaRouche war Interkontinentalflüge gewohnt und litt selten unter Jetlag. Er war im Morgengrauen auf Bangkoks Suvarnabhumi International Airport gelandet und saß nun auf der Terrasse eines schlichten Apartments, das er in einer versteckten Gasse am Ufer des Chao Phraya gemietet hatte. Dem neugierigen Portier der Hotelpension, einem schnauzbärtigen Inder mit kleinen Mausaugen, hatte William erklärt, er sei Journalist, was seine künftige Tagesgestaltung rechtfertigen sollte, die sich deutlich von derjenigen herkömmlicher Touristen unterscheiden würde.

William sog die von Feuchtigkeit gesättigte Morgenluft ein, deren Temperatur sich schon wieder an die Dreißiggradmarke heranschlich und die sich so vollkommen von der herbstlich frischen Brise unterschied, die ihm noch vor wenigen Stunden in Hoboken um die Nase geweht war. Sein Blick ging hinunter zum mächtigen Chao Phraya, der sich einen Steinwurf von ihm entfernt behäbig und lauwarm durch das erwachende Bangkok schob. So geruhsam der Strom der Könige seiner Mündung zustrebte, so geschäftig ging es auf seiner Wasseroberfläche zu. Nagelnde Dieselschlepper zogen tief im Wasser liegende Lastkähne hinter sich her. Ein Fluss-Omnibus spuckte an der Oriental Pier Büroangestellte und adrett uniformierte Schüler der katholischen Assumption Convent School aus. Aquadynamisch geformte Longtailboote durchpflügten knatternd die Fluten, um Expressgüter aller Art zu den Empfängern in Bangkoks verzweigtem Kanalsystem zu liefern.

William zündete sich eine Lucky Strike an und blätterte in den Unterlagen, die ihm Jonathan am John F. Kennedy Airport in New York überreicht hatte. Seine Aufgabe war es also, einen amerikanischen Staatsbürger aufzuspüren, nach dem das Justizministerium schon seit Jahren fahndete. Die Zielperson hatte 1951 in Buenos Aires als uneheliches Kind eines mittelmäßigen und mittellosen italo-amerikanischen Revuegirls mit dem Namen Emily „Holly“ Mazzini das Licht der Welt erblickt und wurde auf den Namen Larry Mazzini getauft. Larrys Vater war dagegen eine echte Berühmtheit, wenn auch eine makabre. Selbst William hatte dessen Namen schon gehört. Als Larrys Erzeuger keine Verantwortung für Mutter und Sohn übernehmen wollte, kehrten Holly und der kleine Larry nach Amerika zurück, wo sie ein paar Jahre in Las Vegas lebten. Dann heiratete Holly einen Bauunternehmer, der mit Larry schlecht zurechtkam und ihn in ein Internat steckte. William schloss die Akte und besorgte sich aus dem Kühlschrank eine Coca-Cola. Er ließ den Metallverschluss aufschnappen und goss die Brause, deren Farbe dem schlammigen Ockerbraun des Chao Phraya zum Verwechseln ähnelte, in ein angestaubtes Long-Drink-Glas. In diesem Moment meldete sein Mobiltelefon einen Anruf.

„Billy, bist du gut angekommen?“

Es war Jonathans Stimme.

„Alles klar! Und wie geht’s dir, alter Mann?“ Seit dem Tagtraum im Sinatra-Park von Hoboken und seiner Entscheidung, Jonathans Bitte um Unterstützung Folge zu leisten, war William in aufgeräumter Stimmung. Er hatte seine Zweifel beiseitegeschoben und war auf dem besten Weg, sich tatsächlich auf seinen Einsatz zu freuen. Fast eine Dekade lang war er in Südostasien im Einsatz gewesen, die meiste Zeit davon als FBI-Agent im Legal Attaché Office der amerikanischen Botschaft in Bangkok. Drei Jahre waren seit seinem Abschied aus Thailands Hauptstadt mittlerweile vergangen, eine Ewigkeit angesichts des atemberaubenden Entwicklungstempos asiatischer Metropolen. William nahm sich vor, in den nächsten Tagen erst einmal mit wachen Sinnen durch die Stadt zu streifen. Er wusste, dass er nur erfolgreich sein konnte, wenn er das Gefühl für den Rhythmus Bangkoks zurückgewann.

 

„Mein Junge. Wie besprochen operierst du zunächst inoffiziell. Zur Sicherheit habe ich die Polizeidirektion von deinem Status in Kenntnis gesetzt. Die direkte Mithilfe der thailändischen Behörden benötigen wir allerdings erst nach der erfolgreichen Enttarnung der Zielperson. Hast du dich schon in der Niederlassung von Goldstein & Schulman gemeldet?“

„Mein Körper ist eben erst in Bangkok gelandet. Gib mir wenigstens noch ein paar Stunden, damit auch meine Seele ankommt.“

„In der Kanzlei wendest du dich an eine Miss Penelope Owens“, fuhr Jonathan unbeirrt fort. Er mochte William von ganzem Herzen, aber sein Junge hatte einen Auftrag angenommen und die Zeit drängte.

„Ist sie hübsch?“

Eine solche Frage wäre William vor zwei Tagen nicht im Traum eingefallen und er wunderte sich über seinen Übermut. War es das schwülheiße Klima, das ihn ans heimatliche Louisiana erinnerte? Oder wurden seine Lebensgeister durch den lange Zeit ruhenden, nun aber wieder aktivierten Jagdtrieb geweckt, der ihn in der Vergangenheit zu einem der erfolgreichsten Personenfahnder des FBI hatte werden lassen?

„Lass den Quatsch. Miss Owens ist eine versierte Juristin in Aaron Goldsteins Kanzlei und noch dazu die Tochter von Richter Andrew J. Owens, dem ehemaligen Vorsitzenden des Obersten Gerichtshofs.“

„Alles klar, eine solche Kombination verbietet natürlich gutes Aussehen“, warf William ein.

„Der lange Flug. Die Klimaveränderung. Dafür habe ich Verständnis. Leg dich noch ein paar Stunden aufs Ohr. Sieh zu, dass deine Seele ankommt. Und dann konzentriere dich auf deinen Job“, ermahnte Jonathan und war dabei heilfroh, dass William offenbar im Begriff war, das Schneckenhaus der Lethargie zu verlassen. „Mein Junge, ich freue mich, dass du den Auftrag angenommen hast. Du hast die richtige Entscheidung getroffen.“

Inne książki tego autora