Asian Princess

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9



Geräuschlos öffnete sich die Tür und ein Mann schlüpfte in den Gewölbekeller. Suwannee presste ihren Körper an die kalte Fliesenwand. Die Erschöpfung, die ihr Gehirn zunehmend lähmte, war mit einem Schlag verflogen. Sie spürte, wie die Fesseln in ihre Haut schnitten und der verklebte Mundknebel bei jeder noch so kleinen Bewegung an ihrer Gesichtshaut zerrte.



Der Mann schloss die Tür und wandte sich seiner Gefangenen zu. Suwannee erschrak. Sein Gesicht war hinter einer Maske versteckt. Die eingefrorene, grinsende Mimik des grellbunten Plastikmaterials wirkte gespenstisch und passte weder zur Gestalt des Trägers noch zu seiner Bekleidung. Der Mann war groß, seine Füße steckten in weißen Gummistiefeln und seinen Körper verhüllte ein weiter, gleichermaßen weißer Arbeitskittel. Eine Haube verbarg sein Haar und er trug Gummihandschuhe. Das schaurige Arrangement, die Maske ausgenommen, ähnelte der Berufskleidung von Akkordschlächtern in einer Fleischfabrik. In Suwannees Gehirn rasten die Eindrücke durcheinander und blockierten jeden einigermaßen vernünftigen Gedanken. Immerhin war ihr eingefallen, wen die Maske parodieren sollte. Es war die deutsche „Wir-schaffen-das“-Bundeskanzlerin, was dem Ganzen eine verrückte Note verlieh.



„Guten Tag, Suwannee. Entschuldige, dass ich dich habe warten lassen.“ Der Mann sprach in ein winziges Mikrofon, das an seinem Kragen befestigt war und in Verbindung mit einem elektronischen Verstärker in seiner Kitteltasche stand. Durch das Gerät wurde seine Stimme unnatürlich verzerrt und zusätzlich immer wieder in ihrer Tonlage verändert.



„Ist dir kalt? Ich schalte gerne den Heizlüfter an“, bot der Mann an und trat ein paar Schritte näher an die Matratze heran, auf der Suwannee zusammengeschnürt lag.



„Die Fesseln können wir ein wenig lockern, wenn du nichts dagegen hast. Und sobald wir uns einig sind, wie es weitergeht, werde ich auch das Klebeband entfernen. Dann kannst du essen, trinken und Zähne putzen. Zugegeben, das ist kein Fünf-Sterne-Niveau, aber du sollst dich wie ein Gast fühlen.“



Der Mann kniete sich hinunter und entspannte die Beinfesselung, sodass Suwannee ihre Unterschenkel ein wenig ausstrecken konnte. „Ich habe gelesen, dass Thailänder gewöhnlich fünfmal am Tag essen. So kann ich dich natürlich nicht verwöhnen. Aber ich garantiere dir, dass du nicht verhungern wirst. Ich bin kein Unmensch und dein Wohlbefinden ist mir viel wert.“



Mit einem kurzen harten Ruck entfernte er die Verankerung des Klebebands in Suwannees Nacken. „Das fühlt sich doch schon viel besser an, nicht wahr? Jetzt kannst du nicken und den Kopf schütteln. Das sollte erst einmal für unsere Konversation reichen. Hast du verstanden?“



Suwannee nickte mit aufgerissenen Augen.



„Du wirst dich fragen, was das alles soll. Das Prinzip unserer Zusammenarbeit ist folgendes: Dir wird es gut gehen, wenn es mir gut geht. Natürlich gilt auch der Umkehrschluss: Wenn es mir schlecht geht, wird es sich nicht vermeiden lassen, dass auch du leiden wirst. Du verstehst mich doch?“



Wieder nickte Suwannee.



„Du kannst nichts dafür, dass du einen reichen Vater hast. Ich gönne dir dein sorgenfreies Leben. Ich vermute, du weißt nicht einmal genau, wie viel Geld deine Familie besitzt. Dein Vater wird es auch nicht wissen. Das ist ein Problem vieler reicher Menschen, andererseits vielleicht aber auch ein Vorteil.“ Der Mann fixierte durch die Augenschlitze seine Gefangene. Ihr Frösteln hatte sich verringert, seit die warme Luft aus dem elektrischen Lüfter strömte.



„Würde es Daddy tatsächlich bemerken, wenn ihm dreißig Millionen fehlen? Dollar oder Euro, das spielt zunächst keine Rolle. Die Details klären wir später. Ich wette, der Verlust einer solchen Summe bereitet ihm keine allzu großen Kopfschmerzen. Der Preis für das Leben seiner einzigen Tochter ist geradezu lächerlich. Was meinst du, bist du deinem Vater dreißig Millionen wert?“



Suwannee hatte den Kopf gesenkt. Der Mann konnte keine Reaktion auf seine Frage feststellen, woraufhin auch er schwieg. Er zog sich den Metallstuhl heran, setzte sich mit übereinandergeschlagenen Beinen auf die pinkfarbene Polsterung und wartete. Das Frischluftgebläse verstummte, das Pendeln der nackten Glühbirne verebbte und die Minuten verstrichen.



„Suwannee, wir spielen hier kein Spiel“, brach der Mann endlich sein Schweigen. „Ich rate dir, nicht die beleidigte Prinzessin zu geben. Das könnte böse enden. Wenn ich dich etwas frage, schaust du mich an und antwortest mir. Ist das klar?“



Suwannee drehte den Kopf zur Seite und schloss die Augen. Der Mann ließ sich langsam von dem Stuhl auf den Boden gleiten und rutschte auf den Knien dicht zu seiner Gefangenen. Suwannee spürte, wie sich die Distanz zwischen ihnen immer weiter verringerte. Sie konnte ihn bereits riechen. Kurz darauf traf sie eine im Gummihandschuh steckende, flache Hand klatschend auf die Wange. Das Klebeband vor dem Mund verwandelt ihren Schrei in ein dumpfes Grunzen. Der Mann packte ihr Haar und riss ihren Kopf ruckartig in die Höhe. Die Merkel-Maske war nun keine zehn Zentimeter von ihr entfernt. Durch die Sehschlitze sah Suwannee das Weiße in den Augen ihres Entführers. Der Mann stieß sie auf die Matratze und kehrte zu dem pinkfarbenen Stuhl zurück.



„Ich setze Gewalt nur im Notfall ein. Ich rate dir gut, es nicht darauf ankommen zu lassen. Noch einmal: Wir sind ein Team und es gelten meine Regeln. Verstanden?“



Diesmal nickte Suwannee.



„Gut. Dann können wir jetzt überlegen, wie wir unsere Zusammenarbeit sinnvoll und effektiv gestalten“, jaulte die verzerrte Stimme aus der Kitteltasche des Vermummten. Suwannee musterte ihren Entführer. Der Schlag in ihr Gesicht war nicht mit voller Wucht ausgeführt worden. Ihr Schrei danach war eher eine Schreckreaktion als der Ausdruck eines tatsächlichen Schmerzes gewesen. Der Mann wirkte auf den ersten Eindruck souverän, aber sie hatte das Gefühl, dass er von irgendetwas getrieben wurde. Diente seine Maskierung und die elektronische Sprachverfremdung womöglich dazu, seine Unsicherheit zu verbergen?





10



Twang Bai Leng schob sich widerwillig einen Löffel einer undefinierbaren Flüssigkeit zwischen die wenigen Zähne, die ihm geblieben waren. Der sehnige kleine Mann spuckte die brackige Brühe, in der ein paar Fischabfälle dümpelten, wieder aus. Sein Blick fiel auf Min-Min. Von den ursprünglich siebzehn burmesischen Deckarbeitern, mit denen der verrostete Fischtrawler aus der südthailändischen Hafenstadt Krabi-Town ausgelaufen war, waren bereits fünf Männer Krankheiten, Unfällen oder ihrer Erschöpfung zum Opfer gefallen. Twang und seine verbliebenen Kollegen befanden sich seit mehr als sechs Monaten ununterbrochen auf See, und er konnte sich nicht mehr entsinnen, wie es sich anfühlte, wenn der Boden unter den Füßen nicht dem Rhythmus des Meeres gehorchte. Um nicht vollends die zeitliche Orientierung zu verlieren, schnitt Twang jeden verfluchten Morgen, den er auf diesem Höllenkahn aufwachte, eine Kerbe in einen der Holzpoller, an denen die Taue der Netze befestigt wurden. An manchen Tagen schien es ihm, als habe er am Horizont eine verschwommene Küstenlinie erkennen können. Aber wahrscheinlich waren es nur Sinnestäuschungen gewesen, ausgelöst durch die flirrende tropische Hitzeglocke, unter der sich die Seeleute tagein, tagaus abrackerten. Twang wusste, dass sich Min-Mins restliche Lebenspanne nur noch in ein paar Tagen bemaß und er dann, wie all die anderen armen Teufel, im Nirgendwo des Indischen Ozeans verschwinden würde. Er wandte den Blick von seinem Landsmann ab. So und nicht anders würde es kommen, wenn nicht ein Wunder geschah.



Die Schleppnetze des Trawlers waren zur Reparatur eingeholt worden. Bis zum Sonnenuntergang, wenn es zur zweiten Fangschicht läutete, sollten die Männer ihre Arbeit erledigt haben. Man hatte es bei der Jagd vor allem auf die Thunfische abgesehen, von denen die prächtigsten Exemplare auf den Tischen teurer Restaurants landeten und der Rest in der riesigen Fischfabrik im Industriehafen von Krabi in Konservendosen abgefüllt wurde. Twang und die anderen von der Sonne schwarz gerösteten burmesischen Seelen mussten die wertvolle Beute vom minderwertigen Beifang trennen, der wiederum zu Krustentierfutter für thailändische Garnelenfarmen weiterverarbeitet wurde. Täglich, meist gegen Spätnachmittag, kreuzte das Mutterschiff auf und sammelte den Rohfang der Werksflotte ein, auf deren Kuttern alle drei Wochen die Kapitäne und die Offiziere wechselten. Meist waren es Malaien oder Thais, deren Gemeinsamkeit darin bestand, dass kaum einer von ihnen der burmesischen Sprache mächtig war.



Twang spürte, wie auch seine Kräfte mit jedem zusätzlichen Tag schwanden. Es hämmerte in seinem Schädel, seine Handflächen waren von den groben Tauen zerschunden. Durchfall und Erbrechen plagten ihn schon seit Wochen, und manchmal wusste er nicht einmal mehr die Namen seiner Gefährten, mit denen er die täglichen Vierzehnstundenschichten durchlitt. Twang riss sich zusammen. Er wollte nicht so enden wie die Kameraden, die während der Arbeit zusammengebrochen waren.



Vor einer Ewigkeit war Twang einmal stolzer Eigentümer eines kleinen Fischkutters gewesen. Die Erinnerung trieb ihm die Tränen in die Augen und doch gab er sich ihr fast täglich hin, weil sie ihn am Leben hielt. Es waren verwaschene Bilder aus einer anderen Welt, aus einem anderen Leben. Jeden Morgen waren er und zwei seiner Söhne hinaus ins Irrawaddy-Delta geschippert. Auch damals hatte gelegentlich ein verirrter Thunfisch im Netz gezappelt, wenn die auflaufende Flut in das verästelte Labyrinth des Vaters aller burmesischen Ströme drängte. Die harte Arbeit als Fischer hatte sie nicht reich gemacht, aber sie konnten bei den Bauern Fisch gegen Obst, Gemüse oder einen Sack Reis eintauschen und niemand seiner achtköpfigen Familie musste hungern. Es war sogar Geld für den Schulbesuch seines ältesten Sohnes in der fernen Metropole Rangun übrig. Vor acht Jahren beendete dann ein Zyklon Twangs Traum von einer besseren Zukunft für seine Kinder. Mit rotierender Wut zerstörte der Wirbelsturm „Nargis“ nicht nur sein Haus, sondern zerschmetterte auch den Kutter, seine Lebensgrundlage, und riss drei Familienmitglieder mit in den Tod. Als die letzten Ersparnisse aufgebraucht waren und die Lage immer verzweifelter wurde, entschloss sich Twang fortzugehen. Er hatte Glück und fand Arbeit auf einer thailändischen Palmölplantage nahe der malaysischen Grenze. Dort hatte man ihm sechs US-Dollar Tageslohn versprochen. In Wahrheit wurden allerdings weniger als drei Dollar ausbezahlt, den Rest behielt der Aufseher und nannte diesen Abzug Kommission. Natürlich konnte Twang so niemals die sechshundert Dollar begleichen, die er einem Landsmann für die Beschaffung der gefälschten Arbeitserlaubnis und die Vermittlung dieser Arbeitsstelle schuldete und die sich durch astronomische Zinsen mittlerweile auf einen Betrag geschraubt hatten, dessen Höhe nur noch der Gläubiger kannte. Als ihm ein weiterer Vermittler anbot, ihn auszulösen und ihm gleichzeitig eine Stelle auf einem thailändischen Fischtrawler garantierte, hatte es Twang zunächst für eine glückliche Schicksalsfügung gehalten. Er liebte den Fischfang und hoffte, so sein Heimweh ein wenig besser ertragen zu können. Wie hätte er ahnen können, dass es ihn gleichsam in die Hölle verschlagen würde?

 



Twang zwang sich zwei weitere Löffel der gehaltlosen Suppe in seinen ausgemergelten Körper, als der Kapitän auftauchte. Seine blaue Uniform war zerschlissen und mit Speiseresten bekleckert. Aber der Mann war stark und brachte gewiss das Doppelte von Twangs Gewicht auf die Waage. In der Offiziersmesse wurde schließlich ordentlich aufgetischt. Der Mann zündete sich eine Zigarette an und blies den Rauch gegen die Windrichtung der salzig-schwülen Brise.



„Männer! Bewegt euch! Ihr werdet nicht fürs Herumlungern bezahlt!“ Er war der erste Kapitän seit Monaten, der wenigsten seine Befehle auf Burmesisch beherrschte.



„Käpt’n … Sir …“ Twang saß mit überkreuzten Beinen im Schatten eines löchrigen Sonnensegels, unter dem die Besatzung ihre wenigen Ruhepausen verbrachte.



„Käpt’n, Sie müssen Min-Min mit dem Mutterschiff in ein Krankenhaus bringen.“ Twang blickte hinüber zu einem schmächtigen Kerlchen, das in seinem Erbrochenen lag. Der Kapitän sah überrascht auf und Twang erschrak über sich selbst. Was war in ihn gefahren? Was ging ihn das Schicksal des kleinen Min-Min an? Hatte er nicht genug eigene Sorgen?



„Min-Min wird sterben, wenn Sie ihn nicht zu einem Arzt bringen“, hörte sich Twang noch einmal und ihm war im selben Moment klar, dass er einen unverzeihlichen Fehler begangen hatte. Merkwürdigerweise blieb der Kapitän seelenruhig und verzog keine Miene. Hatte er überhaupt vernommen, was Twang verlangt hatte?





11



Nach seiner ersten Nacht auf deutschem Boden erwachte William erstaunlich erfrischt und ausgeruht. Es war noch keine sechs Uhr. Er zog die Vorhänge zurück und sah in einen unfreundlich düsteren Morgen hinaus, was ihn aber nicht weiter störte. Von seinem Zimmer in der obersten Etage des Hotels hatte er einen Blick auf die weltberühmte Schlossruine, die in der verschwommenen morgendlichen Dämmerung geheimnisvoll am Hang des Königstuhls thronte. William verspürte noch immer keinen Appetit, dafür aber Lust auf Bewegung und erinnerte sich an einen Hinweis an der Rezeption, der für die kostenlose Nutzung der hoteleigenen Fahrräder warb.



„Sie finden alle interessanten Sehenswürdigkeiten in direkter Umgebung unseres Hotels“, erläuterte der Portier, als er William einen Stadtplan und den Schlüssel für das Fahrradschloss überreichte. „Und wegen dem Wetter machen Sie sich mal keine Sorgen. Das wird noch!“



William schob das Rad auf den Vorplatz des Hotels, wo ihn Nieselregen empfing und ihm, obwohl es erst Mitte September war, ein empfindlich frischer Wind entgegenblies. Er konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal ein Fahrrad bestiegen hatte. Hauptsache, die Bremsen waren in Ordnung, dachte er und radelte los. Auf dem Weg in die Altstadt passierte William eine Bäckerei, die den drolligen Namen

Bio-Bäcker Mahlzahn

 trug. Ein heißer Kaffee wäre jetzt das Richtige. Er schwang sich vom Sattel und betrat den Laden, in dem ihn der Duft der frischen Backwaren und deren Vielfalt schier überwältigte. Er bestellte auf Deutsch einen doppelten Espresso, wobei ihn die Bedienung musterte.



„Sie sin net von do?“



William konnte nur ahnen, was die Frage zu bedeuten hatte, und nickte.



„Mir hen do d’ Gruschlbeer-Kuche im Ogebot …“ Die Frau deutete auf ein Blech mit Stachelbeerkuchen.



„Danke. Ich nehme lieber ein Sandwich.“



William schaute unschlüssig auf das Angebot belegter Vollwertbrötchen.



„Alla hopp! Bei uns heese die Sändwitsch efoch Weck. Wolle Se een Keesweck? Mir hen aach Griweworscht …“



William ließ sich ein Käsebrötchen einpacken, nahm den letzten Schluck Espresso und setzte seine Entdeckungstour fort. Er rollte durch die noch weitgehend verwaiste Fußgängerzone der Heiliggeist-Kirche entgegen. Zögerlich riss die graue Wolkendecke über dem Neckartal auf und ein paar schüchterne Sonnenstrahlen wagten sich hervor. Der Wind pfiff William allerdings unverändert um die Ohren und trieb den Regen wie feine Nadeln auf sein Gesicht. Vor Kurzem hatte er sich noch in tropischer Hitze am Stand von Koh Samui geräkelt. Jetzt zog er den Kragen seines Blousons heran und bereute, dass er keine Mütze mitgenommen hatte. Er fand einen Unterstand und entfaltete den Stadtplan. Der Portier hatte nicht gelogen, alle im Plan markierten touristischen Hotspots befanden sich im Umkreis von höchstens zwei Kilometern zum Hotel. William versuchte die Pfaffengasse zu finden. Endlich entdeckte er das schmale Sträßlein auf der Karte. Dort also wohnte die Tochter seines Auftraggebers. Die Entfernung dorthin schätzte er auf wenige Hundert Meter.



William trat in die Pedale, aber der stramme Westwind bremste ihn, sodass er es gemächlicher angehen ließ. Wie mochte sich die verwöhnte thailändische Milliardärstochter bei diesen, im Vergleich zu ihrer Heimat, ungemütlichen klimatischen Bedingungen fühlen? Schätzte sie den gemächlichen Rhythmus dieser übersichtlichen Provinzstadt oder plagte sie die Sehnsucht nach der rastlosen Geschäftigkeit der Shopping- und Nightlife-Metropole Bangkok? Hatte sie womöglich einen Verehrer gefunden, den sie vor ihrem strengen Vater geheim halten wollte? William kannte die standesbewusste Denkweise asiatischer Eliten, wenn es um die Beziehungen ihres heiratsfähigen Nachwuchses ging. Suwannee war hübsch. Wäre sie an Kontakten interessiert, würde sie in Heidelberg zweifellos nicht lange alleine bleiben.



Pfaffengasse siebzehn. Es war mittlerweile kurz vor sieben. Suwannees Apartment befand sich in einem modernen sechsstöckigen Gebäude, dessen Glasfassade sich durchaus mit den benachbarten Barockgebäuden längst vergangener Epochen vertrug. William parkte das Fahrrad neben dem Hauseingang und sah, wie ein älterer Mann in einem Arbeitskittel aus dem Zugang zum Hinterhof heraustrat. William hob die Hand zum Gruß. „Guten Morgen! Mein Name ist LaRouche. Wohnt hier eine Suwannee Pisuphan?“



„Was geht Sie das an?“



Der Mann warf William einen abweisenden Blick zu, sprach dafür aber ein akzentfreies Deutsch.



„Ich bin ein Freund der Familie Pisuphan“, behauptete William. „Ich bin gestern aus Bangkok angekommen. Sind Sie der Hausverwalter? Miss Pisuphan wohnt doch hier oder habe ich mich in der Adresse geirrt?“



„Hab sie seit Tagen nicht gesehen.“



„Ich habe eine Nachricht für Miss Pisuphan. Können Sie sich erinnern, wann Ihnen das Mädchen das letzte Mal begegnet ist?“



„Sie kommen aus Bangkok?“



„Ja. Der Vater macht sich ein wenig Sorgen, wie es seiner Tochter so weit weg von zu Hause geht.“



„Er macht sich Sorgen? Das glaube ich gerne! Grund genug hätte er!“



„Wie meinen Sie das?“



„Wie ich das meine?“ Der Mann im grauen Kittel zögerte. „Ich meine das so, wie ich es gesagt habe. Wenn das meine Tochter wäre …“



William schenkte dem Hausmeister einen interessierten Blick. Der Mann wollte offenbar etwas loswerden.



„Also, ich weiß ja nicht, wie die Jugend da drüben in Asien so ist. Aber wenn Sie mich fragen, das junge Ding treibt es zu toll! Das hier ist ein ordentliches Haus!“



„Hm.“ William nickte verständnisvoll. „Ich verstehe. Sie können mir gerne sagen, was Sie stört. Ich kenne Suwannee Pisuphan und könnte mit ihr reden.“



„Sie verstehen gar nichts!“



„Versuchen könnte man es doch“, widersprach William.



„Zwecklos! Die grüßt nicht einmal!“, beschwerte sich der Mann beleidigt und schob einen Altpapier-Container vor den Hauseingang.



„Seien Sie doch bitte so nett und versuchen Sie sich zu erinnern, wann Sie Suwannee zum letzten Mal gesehen haben. Es wäre sehr wichtig für mich.“



„Ha! Wer sind Sie überhaupt? Woher soll ich wissen, ob es stimmt, dass Sie aus Bangkok kommen? Ist mir auch egal. Ich muss jetzt meine Arbeit machen … Und eins will ich Ihnen noch sagen: Ich mach’ drei Kreuze, wenn die endlich auszieht. Dann kehrt hier wieder Ruhe und Ordnung ein.“



Der Hausmeister wandte sich von William ab, griff nach einem Besen und widmete sich dem Kampf mit dem durcheinanderwirbelnden Laub.



„Vielen Dank für die Auskünfte!“, rief William ihm zu, als er wieder sein Fahrrad bestieg. Im Fahren schob er eine Hand in die Hosentasche und tastete nach dem Schlüssel zu Suwannees Penthouse, den Arusa Pisuphan ihm anvertraut hatte.





12



Die Sonne stand hoch über der Andamanensee und brannte erbarmungslos auf den gemütlich dahingleitenden Trawler. Der Kapitän setzte zum letzten Zug an seiner Zigarette an. Dann schnippte er die Kippe in die silbrig glitzernde See. „Wenn Min-Min stirbt, wirst du eben doppelt so hart arbeiten müssen! So einfach ist das!“



Twangs Hände ballten sich zu Fäusten. So wie sein Landsmann wollte er nicht krepieren: jämmerlich und ohne einen Funken Würde. Mit einem Mal fühlte der Burmese etwas, das er längst verloren geglaubt hatte. Er spürte eine unbändige Wut, die ihn wie eine Droge beflügelte.



Der Kapitän lehnte an der Reling und nahm ab und an einen Schluck aus einer kleinen Schnapsflasche, die er anschließend immer wieder gewissenhaft in seiner Brusttasche verstaute. Die heutige Ausbeute an Thunfisch und passablem Beifang lag in Kühlcontainern unter Deck verstaut. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis das Mutterschiff am Horizont auftauchen würde, um die Ladung zu übernehmen. Der Kapitän überlegte, ob er bei dieser Gelegenheit ein paar neue Arbeiter anfordern sollte. Seine Besatzung war verbraucht und noch dazu aufmüpfig. Wenn sogar der besonnene Twang abenteuerliche Forderungen stellte, war es höchste Zeit. Der Kapitän kannte sich aus. Für eine offene Meuterei waren die Burmesen zu schwach, eine anständige Arbeitsleistung war von ihnen aber gleichermaßen nicht mehr zu erwarten. Wertloses Lumpengesindel! Verächtlich spuckte er über die Reling. Die Direktoren der Fischfabrik in Krabi hatten keine blasse Ahnung, unter welchen Umständen sich Männer wie er für den Profit der Firma aufrieben.



Twang sah, wie sich der Kapitän abwandte und die Offiziersmesse ins Visier nahm. Nur eine Armlänge von ihm entfernt blitzte die Klinge eines vergessenen Filetiermessers auf. Das Sonnensegel über den Köpfen der apathischen Mannschaft flatterte im Gegenwind der gemächlichen Fahrt. Langsam streckte Twang seine knochige Hand nach der Stichwaffe aus und ließ den Kapitän dabei nicht aus den Augen. Er fühlte sich so lebendig wie schon lange nicht mehr. Seine Finger umschlossen den Metallgriff und er schob seinen ausgelaugten Körper in die Höhe. Twangs nackte Fußsohlen fanden, obwohl sie schmerzten, überraschend festen Halt auf den sich wiegenden Schiffsplanken. Sein Rückgrat spannte sich, sein Schritt fuhr aus, und als sich der Kapitän umblickte, um zu schauen, wer sich ihm mit tapsendem Geräusch näherte, bohrte sich die Klinge von hinten in dessen linke Schulter. Ein wütender Aufschrei gellte über das Boot. Die burmesischen Seeleute hoben ihre Köpfe und sahen, wie Twang mit dem Messer in der Faust zu einem zweiten Hieb ausholte. Im selben Moment peitschte ein Schuss über das Deck und die Männer unter dem Sonnensegel wurden Zeugen, wie ihr Landsmann mit zerschmettertem Schädel zu Boden ging. Eine großkalibrige Kugel hatte Twangs Stirn aus kürzester Entfernung zerschlagen und war durch den Hinterkopf wieder ausgetreten. Twang Bai Leng, der Fischer aus dem Mündungsdelta des Irrawaddy-Flusses, war im Alter von nicht einmal vierzig Jahren im Kampf um seine letzte Würde gefallen.

 



Als die Offiziere heraneilten, steckte der Kapitän in aller Seelenruhe seine Pistole hinter den Gürtel se

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