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Wanderungen durch die Mark Brandenburg, Dritter Teil

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Zwei „heimlich Enthauptete“

 
Auch Tröstliches kommt ans Licht der Sonnen.
Romantisch verloren, menschlich gewonnen.
 

Geschichten von „Enthaupteten“, wie wir sie vorstehend in dem Falkenrehder Kapitel erzählt, am liebsten aber von „heimlich Enthaupteten“, haben hier zu Lande immer eine Rolle gespielt und sich neben den „weißen Frauen“ und „vergifteten Apfelsinen“ in unseren Volkssagen erhalten.

Unter diesen „heimlich Enthaupteten“ stehen, noch über den General von Weiler hinaus, Graf Adam Schwarzenberg († 1640) und General von Einsiedel († 1745) obenan.

Erst neuere Forschungen haben festgestellt, daß beide Geschichten, wie die Weilersche, bloße Erfindungen sind und jedes eigentlichen Anhalts entbehren. Verdachtgründe lagen vor und die Gesamtsituation ließ dergleichen als möglich erscheinen.

Dies genügte. Wir beginnen mit dem Graf Schwarzenberg-Fall und zeigen zuerst wie das Gerücht entstand, dann wie es widerlegt wurde.

1. Graf Adam Schwarzenberg

1755 kam Prinz August Wilhelm von Preußen, ältester Bruder Friedrichs des Großen, mit seiner Schwester der Prinzessin Amalie nach Spandau. Bei dieser Gelegenheit besahen sich die beiden Königlichen Geschwister auch das Innere der Nikolai-Kirche. Bei der Begräbnistafel des Grafen Schwarzenberg blieb der Prinz erstaunt stehen, indem er zu seiner Umgebung äußerte: „Wie? Ist der Graf nach dem Tode George Wilhelms nicht nach Wien gegangen und dort verstorben? Diese Tafel ist wohl nur zum Schein hier angebracht?“ Aller Gegenversicherungen ungeachtet blieb der Prinz auf seiner Meinung bestehen und um sich vollständig von dem Sachverhalt zu überzeugen, befahl er, das Grab zu öffnen. Nachdem dies geschehen, erhielt der Page von Dequede von dem Prinzen die Weisung hinabzusteigen und zu sehen, ob sich wirklich ein Leichnam im Gewölbe befinde. Der beherzte Page kam nach einiger Zeit mit dem halb vermoderten Kopfe eines Menschen wieder zum Vorschein. Der Prinz besah den Kopf genau und rief dann unwillig: „Ja, das ist er. Man werfe ihn nur wieder hin!“

Diesem Befehle folgte der Page buchstäblich und als unmittelbar darauf Kirchendiener und Maurer in die Kirche kamen, um das Grab wieder zu schließen, bemerkten sie, daß der Kopf auf der Brust des Leichnams lag. Daraus entstand das Gerücht, daß Graf Schwarzenberg enthauptet worden sei. 1777 ließ der Prediger des damals zu Spandau in Garnison liegenden Regiments Prinz Heinrich einen Aufsatz drucken, in dem er die Enthauptung bereits als ausgemachte Tatsache hinstellte. Er beschrieb sogar den Ort in der Spandauer Heide, wo die Hinrichtung stattgehabt hätte und fügte noch hinzu, daß man „im Jahre 1755 bereits den Körper des Grafen ohne Sarg, nur zwischen einigen Brettern liegend, vorgefunden habe.“

Aber durch eben diesen Aufsatz wurde auch die Anregung gegeben, näher nachzuforschen und das Gerücht auf seine Grundlosigkeit zurückzuführen.

Oberst von Kalkstein, der ehemalige Kommandeur des Regiments, wollte Gewißheit haben und ließ am 20. August 1777 abermals das Gewölbe öffnen, wobei außer dem Herrn Obersten noch folgende Personen zugegen waren: Regiments-Chirurgus Laube, der Garnison-Prediger, Justizrat Lemcke, Adjutant von Bardeleben, Konrektor Dilschmann, Inspektor Schulz und Dr. Heim (der spätere „alte Heim“, damals, von 1776 bis 1783, Arzt und Physikus in Spandau).

Den Deckel fand man neben dem Sarge sehr zertreten; der Sarg selbst war mit violettfarbenem Samt ausgeschlagen und mit goldenen Tressen besetzt; der Leichnam ruhte auf Kissen von weißem Taft. Bekleidet war der Graf mit einer langen spanischen Weste von Silberstoff, an der Seite hatte er einen bereits verrosteten, mit goldener Tresse verzierten Degen, seidene, fleischfarbige Strümpfe bedeckten die Beine, und auf den Füßen trug er schwarzlederne Schuhe mit sehr dicken Sohlen. Ein schwarzsamtner, mit einer goldenen Rundschnur besetzter, niedergeschlagener Hut lag auf dem Körper und neben demselben der Kopf.

Dr. Heim nahm den Kopf in die Hand, um ihn genau zu untersuchen; hierbei fand sich, daß derselbe mit Kräutern angefüllt und einbalsamiert war. Die Knochen waren noch nicht vermodert und die sieben Halswirbel fanden sich im Sarge sämtlich unverletzt vor. Heim erklärte: „Der Graf ist nicht enthauptet worden, sondern eines natürlichen Todes gestorben.“ Auch wurde eine Urkunde darüber ausgestellt, die sich bis diesen Augenblick in einem verschlossenen Kasten des Spandauer Kirchen-Archivs befindet.

2. General von Einsiedel

Ziemlich um dieselbe Zeit, als in Spandau die Enthauptungssage von Graf Adam Schwarzenberg aufkam, also in den Jahren unmittelbar vor Ausbruch des siebenjährigen Krieges, hieß es auch in Potsdam, als ob die beiden Nachbarstädte auf diesen Punkt hin eifersüchtig gewesen wären: „General Einsiedel sei heimlich enthauptet worden.“ Die Sache machte insofern noch ein gesteigertes Aufsehen, als alles, was den „katholischen Grafen“ (Schwarzenberg) anging, um ein Jahrhundert zurücklag, während die Einsiedel-Enthauptung eine Art Tages-Ereignis war. Lange hielt sich der Glaube daran, bis endlich auch dieser „heimlich Enthauptete“ von den Tafeln der Geschichte gestrichen wurde.

Wir geben, wie in dem Schwarzenberg-Fall, zunächst die Umstände, die die Sage entstehen ließen.

Gottfried Emanuel von Einsiedel wurde 1690, wahrscheinlich im Herzogtum Sachsen-Weißenfels, geboren. Er trat 1707 in die preußische Armee, wurde „seiner ansehnlichen Körperlänge wegen“ ein Liebling Friedrich Wilhelms I., trat in das rote Leib-Bataillon (die spätere Riesen-Garde) und machte den Feldzug gegen die Schweden mit. Er avanzierte, vermählte sich mit Margarethe von Rochow aus dem Hause Reckahn, und erhielt, neben anderen Donationen, im Jahre 1726 das ehemalige Wartenbergsche Haus in Potsdam, nebst angrenzenden Wohngebäuden, zum Geschenk. Auf dieser Stelle errichtete er das Einsiedelsche Haus, das noch existiert und als „Hotel Einsiedler“ jedem Potsdam-Besucher bekannt geworden ist. Das Allianz-Wappen der Familien von Einsiedel und von Rochow über der Tür erinnert noch an den Erbauer.40

Die Huld, die von Einsiedel unter Friedrich Wilhelm I. erfahren hatte, verblieb ihm auch unter dessen Nachfolger. Friedrich II. ernannte ihn zum General-Major und zum Chef des neu formierten Grenadier-Garde-Bataillons. Mit diesem nahm er an dem zweiten schlesischen Kriege teil und erhielt nach der Einnahme Prags den Befehl über sämtliche, die Garnison dieser Hauptstadt bildende Truppen. Es war ein höchst schwieriges Kommando, die Besatzung zu schwach, um sich auf die Dauer zu halten, dazu völlig unzuverlässig. In der Nacht vor dem Abzuge, der endlich stattfinden mußte, desertierten fünfhundert Mann von den Wachen, während die nicht im Dienst befindlichen Mannschaften der Sicherheit wegen in ihre Quartiere eingeschlossen wurden. Während des Abzuges selbst steigerte sich das Übel; jede Minute brachte Verluste, die Geschütze blieben in den grundlosen Wegen stecken, ganze Bataillone lösten sich auf.

General von Einsiedel, als er mit den Überresten seines Korps in Schlesien angekommen war, wurde vor ein Kriegsgericht gestellt. Schuldlos, wie er war, konnte seine Freisprechung kaum ausbleiben. Aber die Gnade des Königs war verscherzt. An dem Feldzuge des nächsten Jahres durfte er nicht teilnehmen; er blieb in Potsdam, wo er am 14. Oktober 1745 starb.

Als wenige Monate später die Grenadiere heimkehrten und das Haus ihres Chefs verödet fanden, hieß es alsbald: er sei heimlich enthauptet. Mit allen Details wurde es erzählt. Der Scharfrichter aus Berlin sei mit verbundenen Augen herübergeholt worden; nachts, im Keller seines eigenen Hauses, habe die Hinrichtung stattgefunden; in eben diesem Keller sei seine Leiche auch verscharrt worden.

Die Zweifel, die laut zu werden versuchten, wurden niedergeschlagen, und man muß einräumen, daß die Sache nicht nur ein verdächtiges Ansehen, sondern auch manches um und an sich hatte, was die Annahme mehr oder weniger direkt zu unterstützen schien. Die Vorgänge in Prag, das Kriegsgericht, die Ungnade des Königs waren Tatsachen; in das Kirchenbuch der Garnisonkirche war sein Tod nicht eingetragen. Was aber schwerer als alles andere ins Gewicht fiel und dem Verdacht, von ganz anderer Seite her Nahrung zuführte, war der Umstand, daß das Ländchen Bärwalde (damals noch eine preußische Enklave im Kursächsischen) Einsiedelscher Besitz war und bei allen Schwarzsehern und Geheimniskrämern alsbald die Frage anregte: ob nicht, mit Rücksicht auf die Lage dieses Besitzes, ein Einverständnis von Einsiedels mit dem sächsischen Hofe angenommen werden müsse? Solche Frage, einmal angeregt, wurde selbstverständlich immer bestimmter mit „ja“ beantwortet, und in Potsdam, wie im Ländchen Bärwalde selbst herrschte zu Anfang dieses Jahrhunderts nicht der geringste Zweifel mehr. Generalleutnant von Einsiedel war und blieb „heimlich enthauptet“, und die Bärwalder steigerten sich bis zu der grotesken Vorstellung, „daß das Haupt, um die Hinrichtung auch im Tode noch zu cachieren, auf höchst sinnreiche Weise an dem steifen Uniformkragen (den es damals gar nicht gab) befestigt worden sei.“ Gegen all diese Annahmen war nichts zu machen. Die heimlich bestrafte Untat hatte ein siegreich romantisches Interesse, während der Gegenbeweis prosaisch und undankbar war.

 

Und doch kam die Zeit, wo er geführt werden mußte. Friedrich Wilhelm IV., der in der immer wieder angeregten Frage endlich klar sehen wollte, gab dem General Kurt von Schöning Auftrag: „die Sache ins reine zu bringen.“ Die Resultate dieser Untersuchung liegen nun vor.

Es sind zunächst zwei Aufzeichnungen, zwei Dokumente, die den Gegenbeweis übernehmen. Das erste derselben ist eine Zessionsurkunde, eine gerichtliche Konvention, worin der Einsiedelschen Familie der Besitz des Ländchens Bärwalde zugesichert wird. In dieser Konvention vom 7. Oktober 1745, die also nur sieben Tage vor dem Hinscheiden des Generals von diesem selber ausgestellt wurde, nennt er sich: Sr. Kaiserlichen Majestät wohlbestallter General-Leutnant, Oberst über ein Bataillon Grenadier-Garde, Erbherr zu Bärwalde etc., woraus ersichtlich, daß die Ungnade des Königs keine besonders strenge und bedrohliche gewesen sein kann. Dieser würde sonst unzweifelhaft, vor Ausbruch und Rückkehr der Truppen, einen andern Chef des Garde-Bataillons ernannt und den Namen von Einsiedels gestrichen haben.

Das zweite, wichtige Dokument ist das Kirchenbuch zu Meinsdorf, im Ländchen Bärwalde, in dem wir von der Hand des damaligen Pfarres Presso folgende Aufzeichnungen finden: „… Gedachter Herr General-Leutnant von Einsiedel ist gestorben zu Potsdam den 14. Oktober 1745, früh acht Uhr, im 57. Jahre; den 16. ist er im Erbbegräbnis zu Wiepersdorf beigesetzt worden. Den 30. Januar 1746 ist ein feierliches Leichenbegängnis gehalten, der Parade-Sarg von der Reinsdorfer Grenze eingeholt und die Leichenrede vom Herrn Hofprediger Ösfeld aus Potsdam gehalten worden.“

Für die absolut Ungläubigen reichte freilich auch dieses Dokument nicht aus. Dieselben entnahmen aus dieser Pressoschen Kirchenbuch-Notiz weiter nichts, als die Beisetzung in Wiepersdorf (statt der Verscharrung im Keller), wohingegen der Beweis, daß dieser beigesetzte von Einsiedel kein zuvor Enthaupteter gewesen sei, immer noch erübrigte.

Auch diese letzte Burg der Romantik mußte zerstört werden.

Es gab nur einen Weg. Man stieg in die Gruft hinunter, der Sarg wurde geöffnet, in welchem der General von Einsiedel wohlerhalten lag. Eine Art Mumifizierung, wie in so vielen Grüften der Mark, war eingetreten. Der Körper erwies sich völlig unversehrt, derart, daß er sich am Kopfe in die Höhe heben ließ. Eine Trennung von Haupt und Leib hatte also nicht stattgefunden.

Auch dieser „heimlich Enthauptete“ der Volkssage war uns also genommen.

Wust

Das Geburtsdorf des Hans Hermann von Katte
 
Und so schreiten
Die Zeiten
In Kriegestanz
Und Ruhmesglanz,
Bis all’ ihr Stolz und all’ ihr Mut
In Demut bei den Toten ruht.
 

Die märkischen Sagen von „heimlich Enthaupteten“: vom General von Weiler in Falkenrehde, vom Grafen Adam von Schwarzenberg in Spandau, vom General von Einsiedel in Potsdam, sind, wie wir es in den beiden voraufgehenden Kapiteln gezeigt haben, von der Geschichte widerlegt worden. Aber Blut, wie überall, floß auch bei uns. Es wurde von Zeit zu Zeit (und nicht eben allzuselten) auch wirklich enthauptet, und das Dorf, dessen Namen dieses Kapitel trägt, erinnert, wie kein anderes, an solche Wirklichkeiten. Wust ist ein alter Sitz der Familie von Katte. Wir führen das Dorf in wechselnden Zeiten und verschiedenen Bildern am Auge unserer Leser vorüber.

Wust 1707

Ein klarer Septembertag. Von Jerichow her, auf breiter Straße, deren junge Ebereschenbäume in roter Pracht stehen, kommen zwei Reiter, beide gut beritten, beide in Küraß und Klapphut, aber doch unverkennbar Herr und Diener. Der Weg führt auf Wust zu, dessen neuaufgesetzter Kirchturm eben sichtbar wird. Tausend Schritt vor dem Dorfe hält der rechte Reiter, hebt sich in den Bügeln auf und blickt freudig auf das stille märkische Dorf. Er mag es wohl, er ist hier zu Haus, und da wo das Doppeldach zwischen den Pappeln sichtbar wird, hat er gespielt. Er ist hier zu Haus; mehr noch, er ist der Herr dieses Dorfes. Seit Knabenjahren war er wenig hier, aber so oft er kam, ging es ihm ans Herz. Nun gibt er seinem Pferde die Sporen, der Diener folgt und in starkem Trabe geht es bis auf den Vorplatz, die Rampe hinauf. Sie sind erwartet: ein Hausverwalter, in verschossener Livree, steht im Portal des Herrenhauses, ein Knecht nimmt das Pferd und ein alter Hühnerhund mit langem Behang, dessen Braun überall schon ins Grau schimmert, richtet sich auf von der sonnigen Stelle, auf der er lag. Er erkennt seinen alten Spielkameraden und wedelt langsam hin und her. Aber er ist zu alt, um sich noch lebhaft zu freuen. Er reckt sich, schnappt nach einer Fliege und legt sich wieder.

Der Angekommene ist Hans Heinrich von Katte, Kürassieroberst, ein Liebling des Königs. Er kommt aus den Niederlanden, wo er an den Kämpfen gegen den Marschall Villeroi teilgenommen und in der Schlacht bei Ramillies mit seinem Regimente fünfzehn feindliche Geschütze genommen hat. Er hatte seit jenem Tage auch den Neid entwaffnet. Aber dasselbe Jahr, das ihm so viel der Ehren brachte, hatte ihm sein bestes Glück geraubt. Seine Gemahlin, eine geborne von Wartensleben, war ihm in den Krieg gefolgt und in Brüssel gestorben. Von dort aus war sie nach Wust zurückgeführt worden. Ihr Gemahl kam jetzt, um an ihrem Grabe zu beten und das einzige Kind, das sie ihm zurückgelassen, auf seinen Knien zu schaukeln.

„Wo habt Ihr den Junker?“

„Er spielt im Garten; des Pastors Kinder sind mit ihm.“

„Da laßt uns sehen, ob er den Papa wiedererkennt.“

Der Kürassier-Oberst schritt durch die ganze Reihe der Zimmer hin, bog dann links in den Gartensalon ein und trat ins Freie. Auf einem Rasenplatze spielte ein halbes Dutzend Kinder. In der Mitte war das Gras ausgerodet und aus dem gelben Sande des Untergrundes eine Burg aufgeführt, mit Kastell und Graben. Inmitten all der Herrlichkeit stand ein kleiner stubsnasiger Blondkopf, nicht hübsch, aber mit klugen Augen.

„Hans Hermann, Junge, kennst Du mich noch?“

Der Junge sah verwundert auf. Endlich schien es in ihm zu dämmern und er ging ruhig auf den Vater zu.

Dieser hob ihn in die Höhe, küßte und streichelte ihn, und sagte dann: „Hans Hermann, wir müssen gute Freunde sein, Du mußt mir allerhand erzählen. Komm, ich habe Dir auch eine Kanone mitgebracht.“ Damit gingen sie in die Halle des Hauses zurück, wo der Diener inzwischen ein Kaminfeuer angezündet hatte. Eine Magd trug ein Frühstück auf, während der Vater seinen Blondkopf auf den Knien schaukelte, und mit Heiterkeit die Fragen beantwortete, die das Kind unbefangen stellte.

Der Oberst nahm einen Imbiß, ließ den Jungen an dem Sherry nippen, den er in seiner Satteltasche mitgebracht hatte, und sagte dann: „Hans Hermann, nun wollen wir in die Kirche gehen.“

„Ich mag nicht.“

„Wir wollen uns den Stein ansehen, unter dem die liebe Mama schläft.“

„Ich mag nicht.“

Der Papa nahm aber den Jungen bei der Hand, der sich nun willig führen ließ, und so schritten sie auf die Kirche zu, an deren altem Seitenportal der Küster bereits mit seinem Schlüsselbund stand und wartete. Er war ein Mann von fünfzig.

„Guten Tag, Jerse, wie geht’s?“

„Et jeiht jo, gnädige Herr, man en beten to oll.“

„Man kann nicht immer jung bleiben. Wenn man nur mit Ehren alt geworden ist. Was machen die Kinder?“

„Et jeiht jo, gnädige Herr, man en beten to veel.“

„Ja, Jerse, das ist Eure Schuld.“

Jerse schmunzelte. Der Oberst streichelte dem Jungen das lockige Haar und fuhr dann fort:

„Ich hoffe, daß alles in Ordnung ist. Wann kam der Steinsarg?“

„Gistern wiern’t fief Wochen, un de Steinhauer wier glieks mit dabi un hett alles sülvst moakt. Un denn hebben wi de gnädge Fru mitsamst den höltern’n Sarg insett.“

„Das ist recht, Jerse. Und nun schließt auf. Ich will erst sehen, wie es in der Kirche aussieht“.

Sie traten in das Mittelschiff. Nicht weit von der Kanzel war ein Reliefbild in die Wand eingelassen, ein Reiter in der Tracht des dreißigjährigen Krieges. Der Oberst blieb stehen. Es war das Bildnis seines Vaters. Daneben war ein zweiter Stein, eine seltsame Rokoko-Arbeit. Minerva, mit drei Marabouts auf dem Haupte, sah einen vierzehnjährigen Knaben auf sich zuschreiten, der ihr, huldigend, einen Apfel überreichte. Alles buntbemalt. Die bunte Farbe reizte die Neugier des Kindes.

„Was ist das?“

„Das ist eine Göttin. Weißt Du, was eine Göttin ist?“

„Nein. Ich will nur wissen, wer der Junge mit dem Apfel ist.“

„Das ist Dein Oheim. Er war sehr fleißig und ist ganz jung gestorben“.

„Ich will nicht fleißig sein.“

„Nun hört, Jerse, wie der Junge aus aller Art ist.“

„Dat wahrd en richt’gen Junker, gnädge Herr. Wat brukt so’n lütt’ Junker veel to liernen! Et givt all so veel davun.“

„Nun, Jerse, wollen wir in die neue Gruft.“

Damit traten alle Drei durch die kleine Seitentür wieder auf den Kirchhof hinaus und schritten auf einen Neubau zu, der augenscheinlich erst vor Jahresfrist an die Ostseite der Kirche angebaut worden war, eine sehr einfache Architektur mit zwei Gitterpforten und einer Klapptür in Front. Das Äußere war öde, das Innere noch mehr. In dem frisch geweißten Raume stand ein einziger Steinsarg, ein Marmor-Sarkophag, kunstvoll und reich gearbeitet, dessen prächtige Schönheit in diesem schmucklosen Raume einen seltsamen Eindruck machte.

Der Oberst nahm seinen Knaben an die Hand und trat an den Sarg heran. Er blickte lange auf denselben. Dann beugte er sich zu dem Kinde nieder und küßte es auf die Stirn.

Das Kind sah sich ängstlich um, drängte sich an den Vater und sagte: „Komm, ich mag hier nicht sein.“

Und nun gingen sie über den Kirchhof wieder auf das Herrenhaus zu. Alles war still, wie ausgestorben. Aber ein Sonnenschein lag auf dem Dach und Küster Jerse, der zurückgeblieben war, läutete Mittag.

Es sollten noch stillere Tage kommen. Ohne Sonnenschein und ohne Läuten.

Wust 1730

Dreiundzwanzig Jahre waren ins Land gegangen. Vieles hatte sich geändert und nur Wust und sein Herrenhaus waren unverändert geblieben. Der „Dienst“ hielt nach wie vor den Gutsherrn in der Ferne fest, jetzt in der Ostprovinz des jungen Landes, in Königsberg, aber der junge Oberst von damals war inzwischen ein alternder Generalleutnant geworden. Und Geschicke bereiteten sich vor, die innerhalb dreier Monate seine Seele völlig beugen und brechen sollten.

Verweilen wir einen Augenblick bei dem Vorspiele zu dieser Tragödie. Am 5. August hatte, unter Mitwissen und Beihilfe verschiedener Personen, darunter der Leutnant Hans Hermann von Katte, ein Fluchtversuch des Kronprinzen stattgefunden. Die Nachricht davon lief durchs Land. Zwanzig Tage später war sie in Königsberg und noch am selben Tage schrieb der Generalleutnant an seinen Bruder, den Kammerpräsidenten von Katte in Magdeburg:

Mein lieber Bruder!

Mit was Betrübniß ich diese Feder ansetze, ist Gott bekannt. Ihr werdet von eurem Sohn aus dem Reich leider erfahren haben, wie unsere gottlosen Kinder sich in das größte Labyrinth gesetzet, und hat euer Sohn solches dem Major von Rochau geschrieben. Dieser hat mir dessen Brief mit der Ordonance anhero gesandt, da ich eben anitzo hier in Königsberg sein und bleiben muß. Ich hab es als meine Pflicht erachtet, meinen Sohn zu abandonniren, meinen Eid und meine Schuldigkeit vorzuziehen, und Eures Sohnes Schreiben dem Könige mit einer Estafette zu senden. Hat mein Sohn in seinem dessein nicht reussiret, so wird ihn der König wohl arretiren lassen. Ich kann nichts weiter tun als seufzen, ihn Gott und des Königs Erbarmung überlassen. Adieu, mein lieber Bruder. Gott stärke uns in unserem Elend. Ich bin euer treuer Bruder

H. H. Katt.

Dieser Brief trägt das Datum Königsberg, 25. August. Es ist sehr bemerkenswert, daß der Vater Hans Hermanns von Katte in diesem Schreiben sich ganz auf die Seite des Königs stellt. Die Loyalität ging noch über das Vaterherz. Es darf nicht wunder nehmen, da aus späteren Briefen hervorgeht, daß dem Generalleutnant damals noch der Gedanke fern lag, der König werde aus der Affäre ein Kapital-Verbrechen machen. Man kannte das cholerische Temperament Friedrich Wilhelms, seine strengen Ansichten über „Dienst“, nichtsdestoweniger rechnete man auf Gnade. Niemand erwartete ein Äußerstes. Aber gerade das Äußerste kam. Das Votum des Kriegsgerichts zu Köpenick hatte auf dauernde Gefängnisstrafe gelautet. Der König, aus souveräner Machtvollkommenheit, stieß das Urteil um und (vielleicht ein einzig dastehender Fall in der Geschichte) schärfte das Urteil und verwandelte die Kerkerstrafe in Tod, unter Anfügung jener berühmt gewordenen Worte: „es wäre besser, daß Katte stürbe, als daß die Justiz aus der Welt käme.“

 

Das war am 1. November. Am 2. November kannte Hans Hermann von Katte sein Schicksal, am 3. begann seine Überführung nach Küstrin, am 5. mittags traf er ein und am 6. früh fiel sein Haupt.

Über all dies hab ich in dem Kapitel „Die Katte-Tragödie“, Band II. Seite 302 bis 343 ausführlich berichtet.

Die letzte Szene der Tragödie, die Beisetzung, führt uns wieder nach Wust.

Ein bleierner Novemberhimmel hing über Dorf und Landschaft, auf Feldern und Wegen standen Wasserlachen, und an den Ebereschenbäumen blinkten einzelne Regentropfen. Es war um die fünfte Stunde, die Sonne, die den ganzen Tag über nicht geschienen hatte, blinzelte im Untergehen über die triste Landschaft hin.

Denselben Ebereschen-Weg, den damals der Oberst von Katte entlang trabte, kam jetzt ein schmaler Leiterwagen mit zwei mageren Pferden herauf. Der Kutscher ging nebenher, müde und matt, und tappste durch die Regentümpel, die zu umgehen ihm den Weg verlängert hätte. Der Wagen selbst gab ihm keinen Platz mehr, denn auf dem schmalen Brett stand ein langer Sarg, schwarz gestrichen, schmucklos, ohne Haspen und Beschlag.

Es dunkelte schon, als das Fuhrwerk vor dem Herrenhause hielt. Auf dem Vorplatze standen mehrere Leute aus dem Dorf, in ihrer Mitte der alte Jerse, ein siebziger jetzt, mit einer Laterne in der Hand. Zwei von den Tagelöhnern nahmen die Pferde vorn am Zügel und Jerse schritt vorauf. So bogen sie quer über die Straße, nach der gegenüber gelegenen Seite des Dorfes ein, und fuhren langsam über den holprigen Kirchhof hin, bis sie vor der angebauten Gruft hielten.

Drinnen war alles unverändert geblieben; ein einziger Steinsarkophag in einem weiß getünchten Raume. „Nu droagt em in“, sagte Jerse, und die beiden Männer, die bis dahin die Pferde geführt hatten, suchten jetzt an dem Sarge umher, um einen Handgriff zu finden. Aber nichts derart war da. So schoben sie denn das Brett, auf dem der Sarg stand, von vorn nach hinten, faßten das Brett oben und unten und trugen es, samt dem Sarge, in den Anbau hinein. Als sie in der Mitte der Gruft standen, fragte der Vorderste: „wo sall he hen?“ Jerse schien unschlüssig und trat an den steinernen Sarkophag: „’t is ehr Söhn. Awer et jeiht nich. Stellt em in de Eck.“ Und sie setzten alles nieder, hoben den Sarg einen Augenblick und zogen das Brett fort. Und nun schlossen sich die Torflügel wieder, und über den Kirchhof hin, an den schattenhaft dastehenden Kreuzen vorbei, verschwand das Fuhrwerk im Dunkel. Jerse blieb noch. Er leuchtete außen an der Gruft umher und murmelte, wie greisenhafte Leute tun, Unverständliches vor sich hin, schüttelte dabei den Kopf und tappte zuletzt, wie ein Irrer, zwischen den Gräbern hin in seine Wohnung zurück.

So wurde Hans Hermann von Katte beigesetzt. Ohne Sang und Klang. Seine Familie hatten seinen Leichnam freigebeten und die Gnade des Königs hatte es gewährt.

40Eben dieses Einsiedelsche Haus hatte, vielleicht aus derselben oder vielleicht auch erst aus späterer Zeit stammend, ein Holzbildwerk an seiner schrägen Eckfront, den Diogenes in der Tonne darstellend. In den dreißiger Jahren dieses Jahrhunderts verschwand es, wurde später unter altem Gerümpel entdeckt, wieder hergestellt und aufs neue an seinem alten Platz befestigt, wo es sich bis diese Stunde befindet.