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Wanderungen durch die Mark Brandenburg, Dritter Teil

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In dieser Kritik vermissen wir nur eines noch, was uns den Mann ganz besonders zu charakterisieren scheint, seinen bon sens in allen praktischen Dingen, wohin wir in erster Reihe auch die Politik rechnen, das klare Erkennen von dem, was statthaft und unstatthaft, was möglich und unmöglich ist. Über diese glänzendste Seite Bischofswerders gibt uns Massenbach in seinen „Memoiren zur Geschichte des preußischen Staates“ Aufschluß. Dieser (Massenbach) verfolgte damals, 1795 bis 1797, zwei Lieblings-Ideen: „Bündnis mit Frankreich“ und „Neu-Organisation des General-Quartiermeisterstabes“, – wohl dasselbe, was wir jetzt Generalstab nennen.

In den Memoiren heißt es wörtlich: „Ich suchte den General von Bischofswerder für meine Ansichten zu gewinnen. Es hielt schwer, diesen Mann in seinem Zimmer zu sprechen. Desto öfter traf ich ihn auf Spazierritten. Er liebte den Weg, der sich vor dem Nauenschen Tore auf der sogenannten Potsdamer Insel, längs der Weinberge hinzieht. Da paßte ich ihm auf, kam wie von ungefähr um die Ecke herum, und bat um die Erlaubnis ihn begleiten zu dürfen. Das Gespräch fing gewöhnlich mit dem Lobe seines Pferdes an; nach und nach kamen wir auf die Materie, die ich zur Sprache bringen wollte. Ich gebe hier eines dieser Gespräche, worin ich ihm, wie schon bei einer früheren Gelegenheit, ein Bündnis mit Frankreich empfahl.

Ich. (Massenbach.) Preußen muß sich fest mit Frankreich verbinden, wenn es sich nicht unter das russische Joch beugen soll.

Bischofswerder. Aber bedenken Sie doch, daß der König mit der Direktorial-Regierung kein Freundschaftsbündnis errichten kann. Unter den Direktoren befinden sich einige, die für den Tod ihres Königs gestimmt haben. Mit Königsmördern kann kein König traktieren.

Ich. Traktieren? Wir haben ja in Basel traktiert. Und gab der staatskluge Mazarin seinem Zöglinge nicht den Rat, den Königsmörder Cromwell seinen ‚lieben Bruder‘ zu nennen? Das Interesse des Staates entscheidet hier allein.

Bischofswerder. Man hat keine Garantie. Morgen werden die ‚fünf Männer‘ von ihren Thronen gejagt und nach Südamerika geschickt. Es ist eine revolutionäre Regierung.

Ich. Die englische Regierung ist es auch. Georg III. ist nicht nur ein schwacher Mann, er ist weniger als nichts; er ist wahnsinnig … Heute negoziieren wir mit Pitt, morgen ist ein Bute an der Spitze der Angelegenheiten. Die englische Regierung gibt uns auch keine Sicherheit. Wir haben mit der französischen Regierung unterhandelt; wir haben sie anerkannt; wir haben ihr eine diplomatische Existenz gegeben und uns dadurch den Haß aller Mächte zugezogen. Einmal mit diesem Hasse beladen, gehe man noch einen Schritt weiter…

Bischofswerder. Sie gehen zu weit, Massenbach. Eine solche Idee dem Könige vorzutragen, kann ich nicht wagen. Auch kann ich Ihrer Meinung nicht beipflichten. Allianz mit Frankreich! Das ist zu früh. Die Dinge in Frankreich haben noch keine Konsistenz.“

Dies war im Frühjahr 1796.

Die zweite, noch weit eingehendere Unterredung, so fährt Massenbach fort, die ich mit Bischofswerder um diese Zeit hatte, bezog sich auf die Neuorganisation des General-Quartiermeisterstabes. Ich bat um die Erlaubnis, ihm meinen Aufsatz über die Notwendigkeit einer „Verbindung der Kriegs- und Staats-Kunde“ vorlesen zu dürfen. Dies geschah denn auch an zwei Abenden, die ich bei Bischofswerder unter vier Augen zubrachte. Er machte, als ich geendet hatte, einige treffende Bemerkungen. Unter andern sagte er folgendes: „Selbst angenommen, daß dies alles nur politisch-militärische Romane wären, so würde doch die Lektüre derselben den Prinzen des königlichen Hauses ungemein nützlich sein, nützlicher als die Lektüre von Grandison und Lovelace. Die jungen Herren würden dadurch die militärische Statistik unseres Staates und der benachbarten Staaten kennen lernen.“

Das Ende meines Aufsatzes, so schließt Massenbach, ließ er sich zweimal vorlesen. Er lächelte. Als ich in ihn drang, mir dies Lächeln zu erklären, sagte er: „Der Generalstab wird, wenn Ihre Idee zur Ausführung kommt, eine geschlossene Gesellschaft, die einen entscheidenden Einfluß auf die Regierung des Staates haben wird. Ihr General-Quartiermeister greift in alle Staatsverhältnisse ein. Sein Einfluß wird größer, als der des jetzigen General-Adjutanten. So lange Zastrow der vortragende General-Adjutant ist, wird Ihre Idee nicht ausgeführt werden. Jetzt müssen Sie diese Idee gar nicht mehr zur Sprache bringen. Teilen Sie solche niemandem mit. Die Sache spricht sich herum, und Sie haben dann große Schwierigkeiten zu bekämpfen … Ihren Antrag wegen der Reisen der Offiziere des General-Quartiermeisterstabes will ich gern beim Könige unterstützen.“ (Dies geschah.)

Massenbach, der immer Gerechtigkeit gegen Bischofswerder geübt und nur seine Geheimtuerei, sein sich Verleugnen-lassen und sein diplomatisch-undeutliches Sprechen, das er „Bauchrednerei“ nannte, gelegentlich persifliert hatte, war nach diesen Unterredungen so entzückt, daß er ihre Aufzeichnung mit den Worten begleitet: „Ich gewann den Mann lieb; er erschien mir einsichtsvoll und ich konnte mich nicht enthalten, ihn zu embrassieren.“

Wenn nun auch einzuräumen ist, daß der immer Pläne habende Massenbach durch ein solches Eingehen auf seine Ideen bestochen sein mußte, so muß doch auch die nüchternste Kritik, die an diese Dialoge herantritt, eingestehen, daß sich überall ein Prinzip, und doch zugleich nirgends eine prinzipielle Verranntheit, daß sich vielmehr Feinheit, Wohlwollen, Verständigkeit und selbst Offenheit darin aussprechen. Ein Mann, wie Bischofswerder gewöhnlich geschildert zu werden pflegt, hätte eher eine Fluchtreise nach Berlin oder nach Marquardt gemacht, als daß er sich dazu verstanden hätte, sich einen langen Aufsatz über die Neu-Organisation des Generalstabes an zwei Abenden vorlesen zu lassen. In dieser einen Tatsache liegt ausgesprochen, daß er ein fleißiger, gewissenhafter, geistigen Dingen sehr wohl zugeneigter Mann war.32

Wir haben diese Zitate gegeben, um unsere Ansicht über den gesunden Sinn Bischofswerders, über seine Urteilskraft und seine politische Befähigung zu unterstützen; es bleibt uns noch die wichtige Frage zur Erwägung übrig: war er ein Rosenkreuzerischer Charlatan? Was wir zu sagen haben, ist das Folgende: Ein Rosenkreuzer war er gewiß, ein Charlatan war er nicht. Er glaubte eben an diese Dinge. Daß er, wie bei Aufführung einer Shakespeareschen Tragödie, mit allerhand Theaterapparat Geister zitierte, eine Sache, die zugegeben werden muß, scheint dagegen zu sprechen. Aber es scheint nur. Diese Gegensätze, so meinen wir, vertragen sich sehr wohl mit einander.

Es ist bei Beurteilung dieser Dinge durchaus nötig, sich in das Wesen des vorigen Jahrhunderts, insonderheit des letzten Viertels, zurückzuversetzen. Die Welt hatte vielfach die Aufklärung satt. Man sehnte sich wieder nach dem Dunkel, dem Rätselhaften, dem Wunder. In diese Zeit fiel von Bischofswerders Jugend. Wenn man die Berichte über Schrepfer liest, so muß jeder Unbefangene den Eindruck haben: Bischofswerder glaubte daran. Selbst als Schrepfer zu einer höchst fragwürdigen Gestalt geworden war, blieb von Bischofswerder unerschüttert; er unterschied Person und Sache. Es ist, nach allem, was wir von ihm wissen, für uns feststehend, daß er an das Hereinragen einer überirdischen Welt in die irdische so aufrichtig glaubte, wie nur jemals von irgend jemandem daran geglaubt worden ist. Der gelegentliche Zweifel, ja, was mehr sagen will, das gelegentliche Spielen mit der Sache ändert daran nichts. Wenn irgendwer, groß oder klein, gebildet oder ungebildet, mit umgeschlagenem weißem Laken den Geist spielt und auf dem dritten Hausboden unerwartet einem andern „Gespenst“ begegnet, so sind wir sicher, daß ihm in seiner „Geistähnlichkeit“ sehr bange werden wird. Ein solches Spiel, weitab davon, ein Beweis freigeistigen Drüberstehens zu sein, schiebt sich nur wie ein gewagtes Intermezzo in die allgemeine mystische Lebensanschauung ein.

So war es mit Bischofswerder. Was ihn bewog, den Aberglauben, dem er dienstbar war, sich je zuweilen auch dienstbar zu machen, wird mutmaßlich unaufgeklärt bleiben; ein von Parteistreit unverwirrter Einblick in sein Leben spricht aber entschieden dafür, daß es nicht zu selbstischen Zwecken geschah. Und das ist der Punkt, auf den es ankommt, wo sich Ehre und Unehre scheiden. Der Umstand, daß die ganze Familie, weit über die letzten Jahre des vorigen Jahrhunderts hinaus, in dieser Empfindungswelt beharrte, ist bei Beurteilung der ganzen Frage nicht zu übersehen und mag allerdings als ein weiterer Beweis dafür dienen, daß hier seit lange ein Etwas im Blute lag, das einer mystisch-spiritualistischen Anschauung günstig war.

 

Wir kommen in der Folge darauf zurück und wenden uns zunächst einem neuen Abschnitt des Marquardter Lebens zu.

Marquardt von 1803 bis 1833

Frau von Bischofswerder, geborene von Tarrach, verwitwete Gräfin Pinto

Beim Tode Bischofswerders war sein Sohn und Erbe erst acht Jahre alt; es trat also eine Vormundschaft ein. Diese Vormundschaft führte die Mutter und blieb, weit über die Minorennitätsjahre ihres Sohnes hinaus (den der Dienst in Berlin und Potsdam fesselte), nicht de jure aber doch de facto, die Regentin von Marquardt bis zu ihrem Tode. Auf diese dreißig Jahre richten wir jetzt unsere Aufmerksamkeit. Zunächst auf die Dame selbst.

Frau Generalin von Bischofswerder war eine geborene von Tarrach. Ihr Vater war der Geheime Finanzrat von Tarrach zu Tilsit, dessen Kinder es alle zu hohen Stellungen in Staat und Gesellschaft brachten. Sein Sohn war in den zwanziger Jahren preußischer Gesandter in Stockholm, eine jüngere Tochter vermählte sich mit dem Marquis von Lucchesini, die älteste, Wilhelmine Katharine, wurde die Frau des Günstlings-Generals und Ministers von Bischofswerder.

Aber sie wurde es erst in zweiter Ehe. Ihre erste Ehe schloß sie mit dem Grafen Ignaz Pinto, den Friedrich der Große um 1770 aus sardinischen Diensten nach Preußen berufen, zum Flügeladjutanten gemacht und zum Mitbegründer des unter ihm gebildeten Generalstabes, zum General-Feldbaumeister, zum Maréchal de logis de l’armée und zum Generaladjutanten ernannt hatte. Gleichzeitig hatte er ihm verschiedene Güter in Schlesien, darunter Mettkau im Neumarkter Kreise, sowie das Inkolat als schlesischen Grafen verliehen. Man sieht, es war dem Fräulein von Tarrach das seltene Glück beschieden, den Günstlingen zweier Könige die Hand reichen zu können.

Graf Pinto starb 1788. Seine Witwe, die Gräfin, war damals einunddreißig Jahre alt. Sie trat sehr bald zu Bischofswerder, der etwa um eben diese Zeit Witwer geworden war, in nähere Beziehungen, und klug und schön wie sie war, (sie „schoß“ ein wenig mit den Augen, und die medisierenden Hofleute sagten: elle est belle, mais ses yeux „ne marchent pas bien“), nahm das Verhältnis einen wirklichen Zärtlichkeitston an, der, wenigstens damals, zwischen Leuten von Welt zu den Ausnahmen zählte. Es scheint, dieser Ton überdauerte selbst die Flitterwochen, die sehr wahrscheinlich in den Sommer 1789 oder 1790 fielen. 1792 während des Champagne-Feldzuges wurde von französischen Truppen eine eben eingetroffene preußische Feldpost erbeutet und acht Tage später las irgend ein Montagnard in der National-Versammlung die Zeilen vor, die Frau von Bischofswerder an ihren Gemahl ins Feldlager gerichtet hatte. Der entschieden lyrische Grundton dieses Briefes erweckte die Heiterkeit der Versammlung.

Das war in den ersten Jahren. Aber die Intimität blieb. Ein Sohn und drei Töchter wurden aus dieser zweiten Ehe geboren, so daß damals im Marquardter Herrenhause alle Arten von Stiefgeschwistern anzutreffen waren: Kinder aus der ersten Ehe des Herrn von Bischofswerder, Kinder aus der ersten Ehe der Frau von Bischofswerder (mit dem Grafen Pinto) und Kinder aus der zweiten Ehe beider. Die gräflich Pintoschen Kinder scheinen übrigens nur ausnahmsweise in Marquardt gewesen zu sein, während die Bischofswerderschen Kinder aus seiner ersten Ehe mit dem Fräulein von Wilke bis zuletzt die freundlichsten Beziehungen zum Marquardter Herrenhause unterhielten.33

1803 starb der General. Wir haben seine Beisetzung geschildert. Seine Ehe, wie schon hervorgehoben, war eine glückliche gewesen und die Wahrnehmung, daß auch ein allmächtiger Minister irgendwo die Grenzen seiner Allmacht finden müsse, hatte weder seinen Frieden noch seine Heiterkeit getrübt. Die „Gräfin“, eine Benennung, die ihr vielfach blieb, hatte ihr Leben nach dem Satze eingerichtet, daß „wer der herrschefähigste sei, auch die Herrschaft zu führen habe“ und dies scheint uns der Ort, ehe wir in der Vorführung biographischen Materials fortfahren, eine Charakterschilderung der Frau einzuschalten. Ihren Mann, trotz all ihrer Herrschsucht, liebte sie wirklich und noch in den letzten Lebensjahren pflegte sie halb scherzhaft zu sagen: „wenn ich im Himmel meinem ersten Mann begegnen werde, so weiß ich nicht, wie er mich begrüßen wird, aber vor meinem Bischofswerder ist mir nicht bange.“

Die „Gräfin“, auch wenn uns nichts Zuverlässigeres vorläge, als das Urteil ihrer Neider und Tadler, war jedenfalls eine „distinguierte“ Frau. Es mußte seinen Grund haben, daß zwei Günstlinge sich um ihre Gunst bewarben. Ein Enkel von ihr mochte mit Fug und Recht schreiben: „Die in meinen Händen befindlichen Papiere, leider nur Bruchstücke, geben ganz neue Aufschlüsse. Reichen sie auch zu einer klaren geschichtlichen Darstellung nicht aus, so haben sie mir doch einen genügenden Anhalt geboten, die für Preußens Größe begeisterte, die kühnsten Wünsche und Pläne hegende Frau verstehen zu lernen und die Bitterkeit zu begreifen, als sie mehr und mehr einsah, daß nicht die Macht der Verhältnisse, sondern die Schwäche der Menschen alles vereitelte und häufig in das Gegenteil verkehrte.“ Wir haben nicht selbst Einblick in die Papiere, die hier erwähnt werden, nehmen dürfen, aber nach allem, was uns sonst vorliegt, sind wir geneigt, diese Schilderung für richtig zu halten. Sie war keine liebenswürdige, aber eine bedeutende Frau, ein ausgesprochener Charakter.

In den zahlreichen mehr oder weniger libellartigen Schriften jener Zeit, wie auch im Gedächtnis der Marquardter Dorfbewohner, von denen sie noch viele gekannt haben, lebt sie allerdings nur in zwei Eigenschaften fort, als habsüchtig-geizig und bigott-katholisch. In den mehrfach schon zitierten „Vertrauten Briefen“ finden wir zunächst: „Herrn von Bischofswerders Ehehälfte läßt sich jedes gnädige Lächeln mit Geld aufwiegen“ und an anderer Stelle heißt es: „Die in Südpreußen veranstalteten Güterverschleuderungen waren ihr Werk, indem sie ihrem Manne beständig sagte: Sie werden wie ein Bettler sterben, wenn Sie nicht noch die letzten Tage des Königs benutzen, um etwas für Ihre Familie zu tun.“

Das Fundament dieser Habsucht war mutmaßlich mehr Ehrgeiz als irgend etwas andres. Sie wußte: „Besitz ist Macht“ und die Jahre, so scheint es, steigerten diese Anschauung eher, als daß sie sie mäßigten. Ein Mann, der sie in ihren alten Tagen kannte, schreibt: „Sie war herb und hart, ertragbar nur im Verkehr mit kleinen Leuten und ausgiebig nur in Auflegung von Schminke.“

Ihr Katholizismus war von der ausgesprochensten Art, aber die Art, wie sie ihn übte, die Entschiedenheit im Bekenntnis auf der einen Seite und andererseits wieder in Toleranz gegen alle diejenigen, die nun mal auf anderem Boden standen, gereichte ihr zu hoher Ehre. Ignaz Feßler, früher Mönch, der zum Protestantismus übergetreten war, kam 1796 nach Berlin und – an Bischofswerder empfohlen – auch nach Marquardt. „Bischofswerder wollte mir wohl“, so schreibt er, „aber alles scheiterte an der Frau. Sie sah in mir nichts als den Abtrünnigen von der römischen Kirche. Sie beherrschte ihren Gemahl vollständig, und um des lieben Hausfriedens willen durfte er mich nicht mehr sehen.“ Diese Strenge zeigte sie aber nur dem Konvertiten. In Marquardt griff sie nie störend oder eigenmächtig in das protestantische Leben in der Gemeinde ein; hatte vielmehr eine Freude daran, die evangelische Kirche des Dorfes mit allem Kirchengerät und Kirchenschmuck, mit Altardecke und Abendmahlskelch zu beschenken.

Wir kehren nach diesem Versuch einer Charakterschilderung in das Jahr 1803 zurück. Ihren Gemahl hatte sie vollständig beherrscht; aber wenn sie nach der Seite des Herrschens hin, bis zum Tode Bischofswerders, des Guten zu viel getan haben mochte, so begannen doch nun alsbald die Jahre, wo die „Gewohnheit des Herrschens“ zu einem Segen wurde. Dieser Zeitpunkt trat namentlich ein, als die Franzosen ins Land kamen und auch die Havelgegenden überschwemmten. Der „Gräfin“ Klugheit führte alles glücklich durch. Sie wußte, wo ein Riegel vorzuschieben war, aber sie ließ auch gewähren. Eine rätselvolle Geschichte ereignete sich in jenen Jahren. Französische Chasseurs zechten im Saal; einer stieg in den Keller hinab, um eine Kanne „frisch vom Faß“ zu zapfen. Nun trifft es sich, daß das Marquardter Herrenhaus einen doppelten Keller hat, den einen unter dem andern. Wahrscheinlich erlosch das Licht, oder der Trunk schläferte den Chasseur ein, kurzum er kam nicht wieder herauf: sein Hilferuf verhallte, der Trupp, in halbem Rausche, verließ Schloß und Dorf, und des Franzosen wurde erst wieder gedacht, als es im Hause zu rumoren begann. Nun forschte man nach. An einer dunkelsten Stelle des Kellers lag der Unglückliche, unkenntlich schon, neben ihm ein halbniedergebranntes Licht. „Die Gräfin“ gab ihm ein ehrlich Begräbnis; da wurde es still. Sie ahnte damals nicht, daß sie im Glauben des Volkes, im Geplauder der Spinnstuben, diesen Spuk einst ablösen würde.

Die Franzosenzeit war vorüber, der Siegeswagen stand wieder auf dem Brandenburger Tor, die Kinder des Marquardter Herrenhauses blühten auf; die „Gräfin“, noch immer eine stattliche Frau, war nun sechzig. Die Jugend der Kinder gab dem Hause neuen Reiz; es waren seit lange wieder Tage glücklichen Familienlebens, und dies Glück wuchs mit der Verheiratung der Töchter. Die älteste, Luitgarde, vermählte sich mit einem Hauptmann von Witzleben (später General), der damals eine Kompagnie vom Kaiser-Franz-Regiment führte. Die zweite, Blanka, geb. 1797, von der die „Gräfin“ mit mütterlichem Stolz zu sagen pflegte:

 
Meine Blanka, blink und blank,
Ist die Schönst’ im ganzen Land
 

wurde die Gattin eines Herrn von Maltzahn; die jüngste, Bertha, geb. 1799, gab ihre Hand einem Herrn von Ostau, damals Rittmeister im Regiment Garde du Korps. Tage ungetrübten Glückes schienen angebrochen zu sein, aber nicht auf lange. Die beiden jüngeren Töchter starben bald nach ihrer Verheiratung, innerhalb Jahresfrist. Dem Tode der schönen Blanka ging ein poetisch-rührender Zug vorauf. Sie lag krank auf ihrem Lager. Da meldete der Diener, daß das „Kreuz“ aus Potsdam angekommen sei. Die junge schöne Frau hatte wenige Tage zuvor ein Kreuz, das sie auf der Brust zu tragen pflegte, einer Reparatur halber nach Potsdam hineingeschickt und sie bat jetzt, ihr das Andenken, das ihr schon gefehlt hatte, zu zeigen. Da trug man ihr ein Grabkreuz ans Bett, das von der alten Gräfin, an Stelle der Urne, für die große Gartengruft bestellt worden war. Sie wußte nun, daß sie sterben würde. Schon ein Jahr vorher war die jüngere Schwester, Frau von Ostau34 gestorben. Beide wurden in der Marquardter Kirche beigesetzt.

 

Die Jahre des Entsagens, der Erkenntnis von den Eitelkeiten der Welt, waren nun auch für das stolze Herz der „Gräfin“ angebrochen. Sie zog sich mehr und mehr aus dem Leben zurück; nur die Interessen der kleinen Leute um sie her und die großen Interessen der Kirche kümmerten sie noch; im allgemeinen verharrte sie in Herbheit und Habsucht. So kam ihr Ende. Sie starb, sechsundsiebzig Jahre alt, am 3. November 1833, im Hause der einzigen sie überlebenden Tochter, der (damaligen) Frau Oberst von Witzleben zu Potsdam und wurde am 6. November zu Marquardt, an der Seite ihres Gemahles beigesetzt. Die Rundgruft im Park schloß sich zum zweitenmal.

Die Rundgruft im Park schloß sich zum zweitenmal; aber die „Gräfin“, wie man sich im Dorfe erzählt, kann nicht Ruhe finden. Oft in Nächten ist sie auf. Sie kann von Haus und Besitz nicht lassen. Sie geht um. Aber es ist, als ob ihr Schatten allmählich schwände. Noch vor zwanzig Jahren wurde sie gesehen, in schwarzer Robe, das Gesicht abgewandt; jetzt hören die Bewohner den Hauses sie nur noch. Wie auf großen Socken schlurrt es durch alle unteren Räume; man hört die Türen gehen; dann alles still. Einige sagen, es bedeute Trauer im Hause; aber das Haus ist nicht Bischofswerderisch mehr und so mögen die Recht haben, die da sagen: sie „revidiert“, sie kann nicht los.

32Auch dies ist bestritten worden. Man gefiel sich darin, den König, seinen Günstling, den ganzen Hof als absolut unlitterarisch, als tot gegen alles Geistige darzustellen. Sehr mit Unrecht. Ignaz Feßler, in seinem Buche „Rückblicke auf meine siebzigjährige Pilgerfahrt“ (Breslau, W. G. Korn 1824) schreibt: Ich stand mit auf der Liste, die der Minister für Schlesien, Graf Hoym, als eine Art Konspiratoren-Verzeichnis beim Könige eingereicht hatte. Es traf sich aber, daß General von Bischofswerder, wenige Tage zuvor, einiges aus meinem „Marc Aurel“ dem Könige vorgelesen hatte, der nunmehr ohne weiteres den Namen Feßler durchstrich, dabei bemerkend: „Der ist kein Schwindelkopf, er ist monarchisch gesinnt, wie sein Marc Aurel zeigt.“ So geringfügig dieser Hergang ist, so lehrreich ist er doch auch. Er zeigt, ebenso wie das oben aus Massenbachs Memoiren Mitgeteilte, daß sich der Hof Friedrich Wilhelms II. (und in erster Reihe sein Generaladjutant) sehr wohl um literarische Dinge kümmerte, scharf aufpaßte und sich danach ein Bild von den Personen machte.
33Es waren dies zwei Töchter. Die eine, Karoline Erdmuthe Christiane, blieb unverheiratet und starb 1842. Über ihr Begräbnis in Marquardt berichten wir an anderer Stelle ausführlich. Die andere vermählte sich schon 1794 oder 1795 mit dem jungen Grafen Gurowski, dem Besitzer der Starostei Kolo. Die „vertrauten Briefe“ sagen von ihm: „Er war ein junger Krüppel mit einem kurzen Beine, sonst ein Ungetüm und unter den jungen Polen der verdorbenste. Ein Libertin, auf der untersten Stufe des Zynismus. Wenige Wochen nach der Heirat kam es zur Scheidung; er nahm dann teil an der Insurrektion, und trat später das schöne Gut Murowanna Goßlin an seine geschiedene Frau ab.“ Über die weiteren Schicksale dieser verlautet nichts. – Beide Fräulein von Bischofswerder waren übrigens sehr liebenswürdig, von feiner Bildung und Sitte. Nichts war unwahrer und bösartiger als eine Schilderung derselben in den mehrgenannten „Anmerkungen“ zu den Geheimen-Briefen, worin es heißt: „Les Demoiselles Bischofswerder sont deux petites filles mal élevées. L’ainée a dans ses yeux le flambeau de l’hymen. On les dit intriguantes. A propos jaloux. Au reste il faut distinguer les ridicules des vices et dire que jusqu’ici la conduite de ces Demoiselles est intacte.“ So die „Anmerkungen“. Die „Vertrauten-Briefe“, „Geheimen Briefe“ etc. jener Epoche sind nie impertinenter, wie wenn sie sich zu einer halben Huldigung oder Anerkennung herablassen.
34Auch hieran knüpft sich ein eigentümlicher Zwischenfall, freilich aus viel späterer Zeit. Herr von Ostau hatte sich wieder vermählt, die Kinder dieser zweiten Ehe waren herangewachsen und hatten nur eine ganz allgemeine Kenntnis davon, daß ihr Vater einmal in erster Ehe mit einem Fräulein von Bischofswerder vermählt gewesen sei. Ein Sohn aus dieser zweiten Ehe kam, während der Manövertage, nach Marquardt in Quartier. Er besichtigte Schloß, Park, Kirche und stieg auch in die Gruft. Ein Lichtstümpfchen gab die Beleuchtung; alles Staub und Asche; ein solcher Besuch hat immer seine Schauer. Der junge Offizier mühte sich, die Inschriften der einzelnen Särge zu entziffern; da las er plötzlich auf einem Bleitäfelchen: „Bertha von Ostau, gestorben 1824“. Die Begegnung mit diesem Namen an dieser Stelle machte einen tiefen Eindruck auf ihn.