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Wanderungen durch die Mark Brandenburg, Dritter Teil

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Sakrow unter Baron Fouqué von 1779 bis 1787

Der Graf Hordt hatte keine Kirchenrechnung gehalten, weil er wenig da war. Bei der neuen Herrschaft drang ich oft darauf, aber die Baronesse Fouqué antwortete darauf: „hat doch der Graf Hordt auch keine gehalten.“ – Ich habe in nachstehendem, avec pardon, immer nur von der Baronesse zu sprechen. Dès-lors règne la Baronne. Der Gemahl bedeutet wenig. Monsieur le Comte de Schmettau est l’Aide de l’économie et – du reste.



1779, in demselben Jahre, in dem die neue Herrschaft nach Sakrow gekommen war, starb in dem benachbarten Kartzow Herr Prediger

Woltersdorf

. Er war ein Schwätzer, beliebt beim großen Haufen, weil er immer „weiland“ und „selig“ bei der Hand hatte. Dem Branntwein ergeben bis ans Ende mit vielen Ärgernissen. Seine Witwe wurde Haushälterin beim Baron von Monteton. Sein Nachfolger war Herr Schulte, ein Jüngling voll Eigendünkel, der sich bald beflissen zeigte, unserem Orden große Schande zu machen.



1780 den 30. November erging an mich Befehl, verschiedene Fragen hinsichtlich der Kirchenländereien mit möglichster Genauigkeit zu beantworten. Dies konnte ich nicht; Kirchenrechnung war nie gewesen. Die Herrschaft war damals in Brandenburg; der Baron hatte sein eigen Haus daselbst, wo sie den Winter zubrachten. Dazu kam, das Kirchenrechnungsbuch war noch beim Grafen Hordt. Wem muß das nicht auffallen! „Wie leger“ würde die Herrschaft ausrufen, wenn unsereiner so etwas täte.



Zum Gesangbuch-Streit.

 Im selben Jahre 1780, am 1. Dezember, publizierte ich das neue Gesangbuch und kündigte an, daß ich über vierzehn Tage ausführlicher von der Sache reden wollte.



Währenddem entstanden schon allerhand Unruhen in dem orthodoxen Nachbardorf, gestiftet und unterhalten von dem Küster, wie das allerorten der Fall war. Madame Oberamtmann redete von nichts, als daß man wolle „neuen Schmu“ machen.



Inzwischen (am 15.) hielt ich meine Rede über Kolosser 3,16.



Bei der Applikation sagte ich unter anderm: als König David von den vielen Kriegen, die er führen mußte, zur Ruhe kam, richtete er seine ganze Sorge auf die innere Verbesserung des Landes, namentlich auf das Kirchenwesen und öffentlichen Gottesdienst. Er entwarf den Plan, wonach der Nationaltempel sollte gebaut werden, und ordnete die Kirchenmusik nebst jeder äußeren gottesdienstlichen Verrichtung an.



Etwas Ähnliches geschieht jetzo und schon seit zehn Jahren in den protestantischen Ländern. Jeder gute Fürst führt

bessere Kirchenlieder

 ein, weil die bisherigen

nicht

 zweckmäßig waren. Nunmehr ist auch in diesem Lande ein neues Gesangbuch angefertigt worden. Ein Drittel unsrer Lieder konnte wegen unbekannter Melodien nicht gesungen werden, das zweite Drittel hatte gar nichts zur Erbauung und das dritte Drittel konnte in einzelnen Stellen noch besser sein.



Ich kann von der ganzen Veränderung um so freimütiger reden, als es nicht meine Sache ist, die ich führe. Auch soll die königliche Verordnung nicht etwa

verteidigt

 werden; das wäre ein lächerlicher Einfall. Ich will nur überzeugen, daß die Sache gut und nützlich sei. Ich will eure Gemüter gegen die schiefen Urteile anderer verwahren und euch zu einem Betragen bewegen, das euch Ehre macht.



Der Wert eines Liedes dependiert von dessen innerer Güte. Wenn der Ausdruck deutlich, der Begriff richtig, der Ton rührend, der Gedanke erhaben, gleich faßlich dem Verstande und dem Herzen, passend zur Erweckung und Stärkung der Gottseligkeit ist – dann ist das Lied gut. Unseren meisten Liedern fehlet die Deutlichkeit die Richtigkeit, die Verständlichkeit, die Anständigkeit, das Lehrreiche.



Darauf beantwortete ich den Einwurf, daß „

Gottes Wort verfälscht worden sei

“.



So gedachte ich es gut zu machen und machte es übel. Denn es hieß bei den Bauern:

ich hätt’ ihren alten Glauben verachtet

.



Die Herrschaft kaufte gleich zwanzig Stück und gleich mit Neujahr 1781 sang ich neu; der erste auf dem flachen Lande in der ganzen Provinz. Selbst Herr Teller, der erste in

Berlin

, sang nur vierzehn Tage eher.



1781, am 10. Januar, fand man zu Berlin folgendes, als Beitrag zum

Gesangbuchstreit

 bemerkenswertes

Pasquil

 an dem

Galgen

 angeschlagen:



„So hat uns der Teufel abermals drei Apostel auf den Hals geschickt, die unser Gesangbuch gotteslästerlich verdorben haben. Spalding, Teller, Dieterich. Kaum sind es fünfzehn Jahre (es war im März 1766), als Spaldings Name zum ersten Male am Galgen stand, und nun kommt er wieder mit zwei Bestien, Teller und Dieterich, und machen ein neu Gesangbuch. Jesu Christi wahre Gott- und Menschheit verleugnen sie. Jesu Leib und Blut im Abendmahl verleugnen sie. Verwerfen die Lehre vom Satan, wollen es sei keine Hölle, keine Ewigkeit, da doch die Bibel dieses alles deutlich beweiset. Verwerfen die alten Lieder, auch

die

, welche Lutherus gemacht. Verdrehen, zerstümmeln, zerhacken die alten schönen Lieder, daß sie aussehen, als hätten sie die Henkersknechte auf ihre Fleischklötze gelegt. Dies alles tun die drei Höllenbrände: Spalding, Teller, Dieterich. Diese drei sind des Teufels Apostel, nebst dem Prediger Stork (oder Stark). Dieser dumme Mensch gehört nicht auf die Kanzel, sondern als ein Schulknabe in die Schule. Er kann die Einsetzungsworte noch nicht lesen, viel weniger beten; stottert, so oft er eine Predigt tut, aus dem verfluchten neuen Gesangbuche her. Kann der verfluchte Hund nicht einen Vers aus dem alten Porst herbeten? So gottlos handeln unsre verfluchten Geistlichen, davon die drei Bestien: Spalding, Teller, Dieterich die drei Heerführer sind. Ach Gott im Himmel sieh darein, und laß Dich das erbarmen.“



(Es folgen nun kurze Notizen über Acker, Ackerzins und allerhand Wirtschaftliches aus den Jahren 1782 und 1784. Davon stehe hier nur folgendes: im Jahre 1782 verkauften meine Kinder ihre gewonnene Seide. Sie erhielten vierzig Taler zwölf Groschen. In anderen Jahren in der Regel nur dreißig Taler, auch weniger.)



1785. Eins meiner Hauptleiden ist mein Küster. Vorgestern brachte mir sein Söhnlein folgenden Zettel:



Montag.

 Wird Gerste geharkt und eingefahren.



Dienstag.

 Schule gehalten.



Mittwoch.

 Habe Besuch.



Donnerstag.

 Zu Markt.



Freitag.

 Schule gehalten.



Sonnabend.

 Nach Döberitz.



Weil hiervon nichts abzuändern ist, so werden Sie diese Woche gütigst als Hundstage ansehen.“



Mein Küster ist ein unausstehlicher Mensch. So viel möglich, vermeide ich mündliche Unterredung. Er ist zu voll, hört nicht wieder auf. Daher schreib ich das notwendigste. Der vorstehende Zettel bezieht sich auf eine Unterredung wegen der Sommerschule. Man sagt: Die Seminaristen der Realschule wären immer solche Kerls von hohem Nagel. Der „Herr“ wird ihnen da in Fleisch und Blut verwandelt. Als ich herkam, trug er Manschetten. Ich nicht. Nach Jahr und Tag legte er sie ab. Er wäre der vortrefflichste Rabulist geworden. Chef de parti ist er gern und bei jeder Gelegenheit Rat und Memorialschreiber der Bauern. Die Frau von Wülknitz sagte mal zu mir: „ich möchte gerne meine Turmuhr abändern lassen. Rekommandieren Sie mir doch jemand.“ – Mein Küster versteht sich darauf. – „Ach, um Gottes Willen verschonen Sie mich mit dem Menschen! Ich habe ihn schon hier gehabt. Aber der Kopf hat mir acht Tage von seinem Geschwätz weh getan.“ Übrigens warne ich meinen einstigen Nachfolger, wenn er je diese Zeilen liest: alle Leineweber stecken mit dem Küster unter einer Decke.



1786 am 27. Mai. So habe ich ihn denn erlebt den Anfang meines sechzigstes Jahres, nicht frisch und munter, aber doch nicht eigentlich krank oder untätig. Mein Gott, an Dich sei mein erster Gedanke und mein bester Dank! Aber nun auch noch eine Bitte: laß mich, Deinen Diener in Frieden fahren, sobald meine Kräfte nicht mehr hinreichen, meinen ganzen Beruf selbst zu bestreiten. Ich will treu arbeiten, so lange ich kann, aber wenn das aufhört, dann gönne mir meine Bitte, und erlöse mich von dem Übel dieses Daseins auf einmal!



28. Mai. Herr Trappiel, Prediger in Marquardt, ist erblindet. Noch schaudert meine ganze Seele! Der Mann, in der ärmsten Lage, der wie ein Tagelöhner arbeitete, dem jede Witterung gleichviel war – er ist blind. Ich höre es, erschrecke und schwimme mit meinem Wagen durch die Wasser den Sipunts nach Marquardt … O Gott, sende ihm Hilfe! Rühre den Patron des Orts; er

kann

, gib ihm

wollen

.



29. Mai starb der Geheime Rat Stelter; im Zimmer des Königs, beim Vortrage, rührte ihn der Schlag. Er war Homme de fortune – aus einem Kammerdiener Geheimer Rat! Doch hat er großes Lob der Geschicklichkeit und Applikation in seinem Posten. Madame und der Kommerzienrat Damm kannten sich genau.



1787 um Neujahr trat die Fouquésche Familie mit dem Grafen Hordt in Unterhandlung wegen

Rückkaufs von Sakrow

. Es kam zustande. Auf Johannis war die Übergabe.



Der Baron von Fouqué war reformiert; Graf Schmettau auch. Die Baronesse lutherisch. Die ersten Jahre ging sie jährlich zweimal zur Kommunion, immer mit der Gemeinde, und immer nur als die erste von den Frauenspersonen. In den letzten Jahren war sie sehr freundschaftlich mit mir und den Meinigen.



Sakrow von 1787 bis 1794

Der Graf Hordt hatte in Berlin eine reiche Witwe geheiratet, die schon drei Männer und darunter einen Herrn v. H. gehabt hatte. Der Sohn dieser Dame, Leutnant im Regiment Gendarmes, sollte nun Sakrow bewirtschaften.



Den sechsten Sonntag Trinitatis hielt ich in Sakrow Abendmahl. Herr v. H., der nunmehrige Besitzer, war da und ich speiste wie gewöhnlich bei ihm. Ein Leutnant, Hr. von Sobbe, vom Regiment Herzog Friedrich, ingleichen ein Frauenzimmer, waren auch da. Über Tisch kam eine Amme herein mit einem Kinde. „Es ist mein Sohn“, sagte er. Und nun hätte ich nur fragen dürfen: „Und die Mutter?“ Aber ich vermied alle Weitläufigkeit. Es war ein allerliebstes Kind. Das Frauenzimmer wird Mamsell genannt.

 



Sonntag den 15. September war ich wieder in Sakrow. Traf niemand. Der Leutnant war abermals des Morgens um acht Uhr weggefahren. Auch war der Graf Hordt zweimal dagewesen, einmal mit seiner Gemahlin. Nach mir hat er nicht gefragt. Des Morgens kommen sie an, besehen sich, essen zu Mittag, fahren wieder ab.



Weihnachten 1787. Den 29. Dezember taufte ich des Küsters Söhnlein. Herr von H. war Gevatter und schickte seinen Jäger. Er kam mit der Mamsell ins Küsterhaus, als wir uns eben zu Tische setzen wollten. Sie blieb, er ging weg; dann kam er noch mal und ließ sie herausrufen. Sie kamen nicht wieder.



Neujahr. Der Herr Leutnant war da, fuhr aber unter der Kirche ab.



Sexagesima. Es fiel mir diesmal auf: gerade in der Minute, da ich an dem einen Ende hereinkam, fuhr der Dorfherr zum andern heraus. Seit dem fünfundzwanzigsten Sonntag Trinitatis vorigen Jahres hatte ich ihn nicht gesehen.



Elften Sonntag Trinitatis hielt ich Abendmahl. Dann ins Schloß. Nebst der Herrschaft war zu Tische Herr Jäger Sonnenberg aus Gatow, cum uxore. Den 4. August fuhr ich nach Döberitz. Unterdes war Herr von H. cum amasia hier gewesen.



Den zweiten Advent hielt ich Abendmahl. Der Herr Inspektor Schübe speiste mit. Er kommunizierte mir die Memoiren d’un comte suédois. Der schwedische Graf schließt mit folgenden Versen:





Las d’espérer et de me plaindre

Des grands de la terre et du sort,

C’est ici que j’attends la mort

Sans la souhaiter, sans la craindre.



Den 28. November starb zu Lentzke Frau Marie Luise, geb. von Schlegel, verehelichte Baronesse von Fouqué, im neunundvierzigsten Jahre ihres Alters, nach einem sechswöchentlichen Krankenlager.



Den 11. Januar. Wegen des außerordentlich vielen Schnees konnte ich ohne Lebensgefahr weder auf Weihnacht noch Neujahr nach Sakrow fahren. Heute wagte ich es, weil der Einwohner Weber gern seinen verstorbenen Sohn feierlich beerdigen lassen wollte. Ich predigte und begrub. Der Herr des Gutes war da. Ich ging nachher herauf, traf ihn cum annexis. 25. Januar. Der Weg war überaus beschwerlich. Ich fuhr einundeinehalbe Stunde. Er und sie waren da. Zwischen dem 11. und 25. war das zweite Kind verstorben. Man überreichte mir eine kleine Summe Geld und sagte: „Für den verstorbenen Junker.“



8. März. Predigt über die Epistel. Er war nicht da, hat in Berlin abermals einen Sohn taufen lassen. – Schwerer Tag für mich. Bittre Kälte, dabei Ostwind. Ich fuhr also gegen den Wind und war schon seit acht Uhr in der Arbeit und Kälte gewesen. Fünf Frauen und sechs Männer kamen zur Kirche. Mein Körper fror zusammen; meine Seele war ganz niedergeschlagen. Fand nirgends ein freundlich Gesicht. – Auch du, Sakrow, so klein du bist, auch du bist seit 1776 herabgesunken. Die Exempel deiner Vorgesetzten haben dich verdorben. Unter Hordt war Sakrow fromm, denn er war zu der Zeit bigott. Unter Fouqué ward es leichtsinnig, endlich frech. Der Küster hatte oft nur drei Zuhörer. Das Verständnis der Baronin mit dem Grafen Schmettau wirkte schädlich auf die Sitten. Unter von H. ist alles frank und frei.



12. April. Ostertag. Achtundvierzig Zuhörer. Er hatte Fremde aus Berlin. Welch Exempel geben unsere Vorgesetzten!



Pfingsten. Der Herr Superintendent hat am Himmelfahrtstage mit außerordentlicher Lobeserhebung vom Könige und seiner Gottesfurcht gesprochen, da er einen seit zehn Jahren abgeschafften Fasttag wieder hergestellt hat. Was doch alles vorkommt!



Den 30. August, nachmittags 3 Uhr traute ich den Jäger Lindner. Es war wie Jahrmarkt und Puppenspiel. Der Roggenkranz hatte hunderte von Potsdamern nach Sakrow gezogen. Die Kirche war so voll, daß ich kaum mein Plätzchen vor dem Altare behielt; Toben, Schreien der Kinder, Lachen über meine Worte, alles machte, daß ich mich kurz faßte. Die Braut war ein Affe; sie zog sich die Handschuh an, anstatt sich die Hände zu geben. An eben dem Tage hat der Oberst von Winning auf Glienicke seinem Jäger die Hochzeit gemacht, auf eine anständige Art. Die Gemeinde war aufs Schloß invitieret. Er und sein Sohn führten den Bräutigam in den Saal, sie und die älteste Tochter die Braut. Es wurde ordentlich gesungen, geopfert, alles gespeiset.



Den ersten Epiphanias hielt ich Abendmahl. Der Herr Baron von H. ging auch mit, kniete sogar mit vor dem Altar. Im übrigen war er noch geiziger wie Graf Hordt. Zu Tische war der Herr Leutnant von Öttinger mit. Mamsell war so beredt, wie die Hausfrau zu sein pflegt. Man nahm es mir recht im Ernst übel, daß ich meine Tochter nicht mitgebracht hatte, denn man hatte sie namentlich invitieret.



20. November. In der Berlinischen Zeitung hieß es heute: Seine Königliche Majestät haben den einzigen Sohn des verstorbenen Geheimen Legationsrat und Gesandten am dänischen Hofe, Herrn August Ferdinand von H., Erbherrn auf Sakrow, aus ganz besonderen Gnaden und in Rücksicht der von seinen Voreltern dem königlichen Hause geleisteten distinguierten Dienste in den Grafenstand allergnädigst erhoben. Der Großvater des Grafen mütterlicherseits war Heinrich Graf von Podewils, erster Kabinettsminister, welche Würde er dreißig Jahre bis zu seinem Tode bekleidet hat.



1791. Am Sonntag Reminiscere, den 20. März, war der Jäger Lindner betrunken und haselierte mit den beiden Frauensleuten rechts und links ganz unverschämt. Ich ärgerte mich gewaltig und schalt ihn. Der Jäger wollte mich später zur Rede setzen. Ich schrieb darüber an die Herrschaft. Den nächsten Sonntag kamen sie hierher und sagten: „daß sie die Leute, die den Lärm unterstützt, gerichtlich wollten bestrafen lassen.“ Das ist geschehen. Den Jäger Lindner hat er ans Regiment abgeliefert, weil er in all den vorgekommenen Fällen als Urheber befunden worden ist. Sein Intimus Plage hat am Sonntage vor der Kirchtür etliche Stunden mit einem Zettel vor der Brust gestanden, rechts und links ein Gerichtsdiener.



Meine Pfarre ist eine beschwerliche Pfarre. Sakrow (nur Filial) liegt eine Meile ab, auf einer Straße, die niemand bereiset als ich, was denn beim Schnee desto beschwerlicher fällt, noch dazu, da es durch die Heide geht, wo der Wind oft sehr zusammen treibt. Es ist in allem Betracht ein verdrießlich Filial, und doch muß ich es alle vierzehn Tage bereisen. Gott! Du weißt es, wie ich dann den ganzen Tag über vom Morgen bis Abend fahren und reden muß, wie sauer es mir jetzt wird in der Hitze des Sommers, in der Kälte des Winters. Aber du weißt es auch Gott, wie treu ich darin gewesen bin, auch für Sakrow, das mein Vorgänger nur sah, wenn die Herrschaften da waren. Und doch achten sie mich gering und versagen mir das Kleinste. Werd’ ich eine Wandlung erleben? Nein.



Bornstädt



Nun weiß ich auf der Erde

Ein einzig Plätzchen nur,

Wo jegliche Beschwerde,

Im Schoße der Natur,

Wo jeder eitle Kummer

Dir wie ein Traum zerfließt,

Und dich der letzte Schlummer

Im Bienenton begrüßt.



Waiblinger

Bornstädt und seine Feldmark bilden die Rückwand von Sanssouci. Beiden gemeinsam ist der Höhenzug, der zugleich sie trennt: ein langgestreckter Hügel, der in alten Topographien den Namen „der Galberg“ führt. Am Südabhange dieses Höhenzuges entstanden die Terrassen von Sanssouci; am Nordabhange liegt Bornstädt. Die neuen Orangeriehäuser, die auf dem Kamme des Hügels in langer Linie sich ausdehnen, gestatten einen Überblick über beide, hier über die Baum- und Villenpracht der königlichen Gärten, dort über die rohrgedeckten Hütten des märkischen Dorfes; links steigt der Springbrunnen auf und glitzert siebenfarbig in der Sonne, rechts liegt ein See im Schilfgürtel und spiegelt das darüber hinziehende weiße Gewölk.



Dieser Gegensatz von Kunst und Natur unterstützt beide in ihrer Wirkung. Wer hätte nicht an sich selbst erfahren, wie frei man aufatmet, wenn man aus der kunstgezogenen Linie auch des frischesten und natürlichsten Parkes endlich über Graben und Birkenbrücke hinweg in die weitgespannte Wiesenlandschaft eintritt, die ihn umschließt! Mit diesem Reiz des Einfachen und Natürlichen berührt uns auch Bornstädt. Wie in einem grünen Korbe liegt es da.



Aber das anmutige Bild, das es bietet, ist nicht bloß ein Produkt des Kontrastes; zu gutem Teile ist es eine Wirkung der pittoresken Kirche, die in allen ihren Teilen deutlich erkennbar, mit Säulengang, Langschiff und Etagenturm, aus dem bunten Gemisch von Dächern und Obstbäumen emporwächst. Diese Kirche ist eine aus jener reichen Zahl von Gotteshäusern, womit König Friedrich Wilhelm IV. Potsdam gleichsam umstellte, dabei von dem in seiner Natur begründeten Doppelmotiv geleitet: den Gemeinden ein christliches Haus, sich selber einen künstlerischen Anblick zu gewähren. Auch für Bornstädt wählte er die Basilika-Form.



Über die Zulässigkeit dieser Form, speziell für unser märkisches Flachland, ist viel hin und her gestritten worden, und es mag zugestanden werden, daß sie, samt dem daneben gestellten Kampanile, vorzugsweise ein coupiertes Terrain und nicht die Ebene zur Voraussetzung hat. Deshalb wirken diese Kirchen in den flachen und geradlinigen Straßen unserer Residenzen nicht eben allzu vorteilhaft, und der unvermittelt aufsteigende, weder durch Baumgruppen noch sich vorschiebende Bergkulissen in seiner Linie durchschnittene Etagenturm, tritt – an die Porzellantürme Chinas erinnernd – in einen gewissen Widerspruch mit unserem christlichen Gefühl. Mit unseren baulichen Traditionen gewiß! Aber so unzweifelhaft dies zuzugestehen ist, so unzweifelhaft sind doch die Ausnahmen, und eine solche bietet Bornstädt. Es wird hier ein so malerischer Effekt erzielt, daß wir nicht wissen, wie derselbe überboten werden sollte. Der grüne Korb des Dorfes schafft eine glückliche Umrahmung und während das Hochaufragende des Etagenturms etwas von dem Poetisch-Symbolischen der alten Spitztürme bewahrt, wird doch zugleich dem feineren Sinn eine Form geboten, die mehr ist als der Zuckerhut unserer alten Schindelspitzen. Der Ruf dieser hat sich nur, faute de mieux im Zeitalter der Laternen- und Butterglocken-Türme entwickeln können.



Die bornstädter Basilika samt Säulengang und Etagenturm ist ein Schmuck des Dorfes und der Landschaft; aber was doch weit über die Kirche hinausgeht, das ist ihr

Kirchhof

, dem sich an Zahl berühmter Gräber vielleicht kein anderer Dorfkirchhof vergleichen kann. Wir haben viele Dorfkirchhöfe gesehen, die um ihres landschaftlichen oder überhaupt ihres poetischen Zaubers willen einen tieferen Eindruck auf uns gemacht haben; wir haben andere besucht, die historisch den bornstädter Kirchhof insoweit in Schatten stellen, als sie

ein

 Grab haben, das mehr wiegt als alle bornstädter Gräber zusammengenommen; aber wir sind nirgends einem Dorfkirchhofe begegnet, der solche Fülle von Namen aufzuweisen hätte.



Es hat dies einfach seinen Grund in der unmittelbaren Nähe von Sanssouci und seinen Dependenzien. Alle diese Schlösser und Villen sind hier eingepfarrt, und was in Sanssouci stirbt, das wird in Bornstädt begraben, – in den meisten Fällen königliche Diener aller Grade, näher und ferner stehende, solche, deren Dienst sie entweder direkt an Sanssouci band, oder solche, denen eine besondere Auszeichnung es gestattete, ein zurückliegendes Leben voll Tätigkeit an dieser Stätte voll Ruhe beschließen zu dürfen. So finden wir denn auf dem bornstädter Kirchhofe Generale und Offiziere, Kammerherren und Kammerdiener, Geheime-Räte und Geheime-Kämmeriere, Hofärzte und Hofbaumeister, vor allem – Hofgärtner in Bataillonen.



Der Kirchhof teilt sich in zwei Hälften, in einen alten und einen neuen. Jener liegt hoch, dieser tief. Der letztere (der neue) bietet kein besonderes Interesse.



Der alte Kirchhof hat den freundlichen Charakter einer Obstbaumplantage. Die vom Winde abgewehten Früchte, reif und unreif, liegen in den geharkten Gängen oder zwischen den Gräbern der Dörfler, die in unmittelbarer Nähe der Kirche ihre letzte Rast gefunden haben. Erst im weiteren Umkreise beginnt der Fremdenzuzug, gewinnen die Gäste von Sanssouci her die Oberhand, bis wir am Rande des Gemäuers den Erbbegräbnissen begegnen. Wir haben also drei Zirkel zu verzeichnen: den Bornstädter-, den Sanssouci- und den Erbbegräbnis-Zirkel.



An einige Grabsteine des mittleren, also des Sanssouci-Zirkels, treten wir heran; nicht an solche, die berühmte Namen tragen (obschon ihrer kein Mangel ist), sondern an solche, die uns zeigen, wie wunderbar gemischt die Toten hier ruhen. Da ruht zu Füßen eines Säulenstumpfes Demoiselle Maria Theresia

Calefice

. Wer war sie? Die Inschrift gibt keinen Anhalt: „Gott und Menschen lieben, Gutes ohne Selbstsucht tun, den Freund ehren, dem Dürftigen helfen – war ihres Lebens

Geschäft

.“ Ein beneidenswertes Los. Dazu war sie in der bevorzugten Lage, diesem „Geschäft“ zweiundachtzig Jahre lang obliegen zu können. Geboren 1713, gestorben 1795. Wir vermuten eine reponierte Sängerin.

 



Nicht weit davon lesen wir: „Hier ruht in Gott Professor Samuel

Rösel

, geboren in Breslau 1769, gestorben 1843. Tretet leise an sein Grab, ihr Männer von edlem Herzen, denn er war euch nahe verwandt.“ Wer war er? Ein gußeisernes Gitter, einfach und doch zugleich abweichend von allem Herkömmlichen, schließt die Ruhestätte ein; um die rostbraunen Stäbe winden sich Vergißmeinnicht-Ranken und zu Häupten steht eine Hagerose.



Noch ein dritter Fremder an dieser Stelle: Heinrich Wilhelm

Wagenführer

, geboren zu Neuwied 1690. Er wurde vom Rhein an die Havel verschlagen, wie es scheint zu seinem Glück. Der Grabstein nennt ihn mit Unbefangenheit „einen vornehmen Kauf- und Handelsmann zu Potsdam.“ Diese Inschrift, mit den Daten, die sie begleiten, ist nicht leicht zu entziffern, denn ein alter Ulmenbaum, der zur Seite steht, hat sein Wurzelgeäst derart über den Grabstein hingezogen, daß es aussieht, als läge eine Riesenhand über dem Stein und mühe sich, diesen an seiner Grabesstelle festzuhalten. Gespenstisch am hellen, lichten Tag!



Wir gehen vorbei an allem, was unter Marmor und hochtönender Inschrift an dieser Stelle ruht, ebenso an den Erbbegräbnissen des dritten Zirkels und treten in eine nach links hin abgezweigte Parzelle dieses Totenackers ein, die den Namen des „

Selloschen

 Friedhofs“ führt. Die Sellos sind Sanssouci-Gärtner seit über hundert Jahren. Ihre Begräbnisstätte bildet eine Art vorspringendes Bastion; ein niedriges Gitter trennt sie von dem Rest des Kirchhofs. Hier ruhen, außer der „Dynastie Sello“, mit ihnen verschwägerte oder befreundete Sanssoucimänner, die „Eigentlichsten“.



• Karl

Timm

, Geheimer Kämmerier, gestorben 1839.



• Emil

Illaire

, Geheimer Kabinettsrat, gestorben 1866.



• Peter

Josef Lenné

, Generaldirektor der königlichen Gärten, gestorben 1866.



• Friedrich Ludwig

Persius

, Architekt des Königs, gestorben 1845.



• Ferdinand

von Arnim

, Hofbaurat, gestorben 1866.



Denkmal an Denkmal hat diese Begräbnisstätte der Sellos zugleich zu einer Kunststätte umgeschaffen: Marmorreliefs in der Sprache griechischer und christlicher Symbolik sprechen zu uns; hier weist der Engel des Friedens nach oben; dort, aus dem weißen Marmorkreuz hervor, blickt das Dornenantlitz zu uns nieder, das zuerst auf dem Schweißtuche der heiligen Veronika stand. Nur die Sellos, die eigentlichen Herren des Platzes, haben den künstlerischen Schmuck verschmäht: einfache Feldsteinblöcke tragen ihre Namen und die Daten von Geburt und Tod.



Sie haben den künstlerischen Schmuck verschmäht, nur nicht den, der ihnen zustand. Die alten Gärtner wollten in einem Garten schlafen. So viele Gräber, so viele Beete, – das Ganze verandaartig von Pfeilern und Balkenlagen umstellt. Die Pfeiler wieder hüllen sich in Efeu und wilden Wein, Linden und Nußbäume strecken von außen her ihre Zweige weit über die Balkenlagen fort, zwischen den Gräbern selbst aber stehen Taxus und Zypressen, und die brennende Liebe der Verbenen spinnt ihr Rot in das dunkelgrüne Gezweig.



Aus der Selloschen Begräbnisparzelle sind wir auf den eigentlichen Kirchhof zurückgeschritten.



Noch

ein

 Denkmal verbleibt uns, an das wir heranzutreten haben: ein wunderliches Gebilde, das, in übermütigem Widerspruch mit Marmorkreuz und Friedensengel, den Ernst dieser Stunde wie ein groteskes Satyrspiel beschließt. Es ist dies das Grabdenkmal des bekannten Freiherrn Paul Jakob

von Gundling

, der Witz und Wüstheit, Wein- und Wissensdurst, niedere Gesinnung und stupende Gelehrsamkeit in sich vereinigte, und der, in seiner Doppeleigenschaft als Trinker und Hofnarr, in einem

Weinfaß

 begraben wurde. In der Bornstädter Kirche selbst, in der Nahe des Altars. Über seinem Grabe ließ König Friedrich Wilhelm I. einen Stein errichten, der trotz des zweifachen Neubaus, den die Kirche seitdem erfuhr, derselben erhalten blieb. Dies Epitaphium, ein Kuriosum ersten Ranges, bildet immer noch die Hauptsehenswürdigkeit der Kirche. Hübsche Basiliken gibt es viele; ein solches Denkmal gibt es nur einmal. Ehe wir eine Beschreibung desselben versuchen, begleiten wir den Freiherrn durch seine letzten Tage, auf seinem letzten Gange. Wir benutzen dabei, mit geringen Abweichungen, einen zeitgenössischen Bericht:



„von Gundlin