Za darmo

Wanderungen durch die Mark Brandenburg, Dritter Teil

Tekst
iOSAndroidWindows Phone
Gdzie wysłać link do aplikacji?
Nie zamykaj tego okna, dopóki nie wprowadzisz kodu na urządzeniu mobilnym
Ponów próbęLink został wysłany

Na prośbę właściciela praw autorskich ta książka nie jest dostępna do pobrania jako plik.

Można ją jednak przeczytać w naszych aplikacjach mobilnych (nawet bez połączenia z internetem) oraz online w witrynie LitRes.

Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

Bernhard Daniel Schmidt,

Pastor zu Fahrland 1751 bis 1774

Bernhard Daniel Schmidt war der Vater unsres „Schmidt von Werneuchen“. Tragen wir ihm schon um deswillen ein gewisses Interesse entgegen, so wächst dasselbe unter dem Eindruck jener Aufzeichnungen, die wir von Pastor Moritz, seines Nachfolgers Hand in der Chronik finden. Pastor Moritz war ihm nicht hold, konnte ihm nicht hold sein, da er unter der „legèren Praxis“ seines Amtsvorgängers zu leiden hatte, dennoch tritt einem in diesem letzteren eine unverkennbare liebenswürdige Persönlichkeit entgegen. Wir geben nun die einzelnen Sätze, wie sie sich zerstreut in der Chronik finden.

„Bernhard Daniel Schmidt, bis dahin Feldprediger beim Cadettenkorps, bekam die Pfarre durch Cabinetsordre und trat sie 1751 an, am 6. Februar.“

„Er vermählte sich am 13. Juli ebengenannten Jahres (1751) mit Sophie Samson, ältesten Tochter des Stallmeisters Samson zu Potsdam. Sie starb am 7. Juli 1752.“

„Anfang der sechziger Jahre verheiratete sich Prediger Schmidt zum zweitenmal. Er hatte Vermögen mit der Frau und liebte Windmacherei.“

„Prediger Schmidt hat die Pfarre um mehrere ihrer Einnahmen gebracht. Er nahm alles leicht. Die Tonne Most erhalte ich noch immer nicht, trotzdem sie in der Matrikel steht. Er hat’s einschlafen lassen, wie manches andre. Wenn ihm diese Einnahme nichts war, durfte er annehmen, daß sie seinem Nachfolger auch nichts sein würde? Was fürchtete er? Er stand ja bei allen Herren der Kammer und der Forst in ausnehmendem Credit! Jene gaben ihm eine Woorte, diese gaben ihm die Planken dazu, und das alles, weil er ein so einnehmender Herr war, der ihre ganze Gesellschaft immer zu lachen machte. – Nun ist es zu spät. Bei meinem Anzuge wußte ich von diesen Dingen nichts. Die „vornehme Frau“ verschmähte es, mit mir darüber zu reden.“

„Gleich bei seinem Amtsantritt sagte Pastor Schmidt: Von Ostern bis Johanni wird täglich, aber nur vormittags Schule gehalten; von Johanni bis Michaeli nur zweimal in der Woche.“

„Herr Schmidt stand gut zu seinem Küster. Als ihm dieser Anzeige machte, daß er am andern Tage verreisen wolle, antwortete jener: warum sagt Er mir das? hab ich Ihm denn schon gesagt, wohin ich morgen verreisen will?“

„Prediger Schmidt hatte die Pforte machen lassen. Er pflegte durch dieselbe nach seiner Plantation oder Woorte zu gehn, in kurzem Schlafrock, à la main die Flinte.“

„Pastor Schmidt liebte Wortspiele nicht nur in seinen Predigten, sondern auch bei sonstigen Vorfällen. Bei der Leichenrede von einem Weinmeister sprach er vom Weinberge und beim Tode eines Leinewebers mußte aus Hiob die Weberspule herhalten.“

„Bei Pastor Schmidt war alles flott und kurz angebunden. Sein eigner Küster sagte: Und wenn ich an einem Tage an drei Orte kam, so fand ich meinen Pastor auch da. Er scheute sich nicht vor dem Teufel. Wenn er Beichte hielt, so sagte er: ‚heran ihr Sünder, bekennt und bessert euch‘ und damit war es aus.“

Hiermit schließen die Aufzeichnungen über Schmidt. Es ist kaum möglich, in zehn, zwölf Sätzen ein vollständigeres Charakterbild zu geben: ein Lebemann, Jäger, Anekdotenerzähler, splendid, nie kleinlich, sich und andern es leicht machend, voll Verständnis für die Bauernnatur, derb, humoristisch und deshalb beliebt. Daneben konnte sein erster Nachfolger nicht bestehen, dessen Leben wir nun, nach seinen eigenen Worten geben.

Johann Andreas Moritz,

Pastor zu Fahrland 1774-1794(Selbstbiographie)

„Ich wurde zu Magdeburg den 27. Mai 1721 geboren. Mein Vater war Bürger und Schneidermeister daselbst. Im sechsten Jahre ward ich eine vaterlose Waise. Bis 1736 war ich ins Gymnasium der Altstadt gegangen und saß in Quarta. Mein Bruder, damals Student in Halle und Mentor des jungen Frilinghausen (er schreibt so; wahrscheinlich Freylinghausen) brachte mich ins Hallische Waisenhaus, wovon Pastor Frilinghausen Kondirektor war und zwar unter die Waisenkinder. Es war auf Ostern. Gesund und frisch kam ich nach Halle, bekam aber gleich im ersten Jahre eine Augenentzündung und schleppte mich damit die sechseinhalb Jahre, in welchen ich alle Klassen der lateinischen Schule bis Selekta, worin ich ein Jahr saß, durchlief.

Auf Michaelis 1742 ging ich einundzwanzig Jahr alt auf die Universität zu Halle und, verlassen von allem Beistand, stümperte ich mich zwei Jahre durch. Ich informierte des Tisches wegen auf dem Waisenhause.

1744 ging ich in Kondition nach Siegen zu dem Baron von Host, Chefpräsidenten der Grafschaft Siegen und Teklenburg. Sein dritter Sohn war mein Eleve. Der Vater war cholerisch, sehr scharf in der Kinderzucht; die Mutter war das Gegenteil. Sie verzärtelte den Sohn bis zum toll werden. Auch fand ich eine französische Mamsell vor, dies Kreuz aller Hofmeister.

1747 ging ich nach Halle zurück in dem frommen Vorsatz, mich den Anstalten zu widmen. Allein es war alles verändert und nach längerem Aufenthalt in Berlin nahm ich auf Ostern 1749 in Uetz eine Stelle als Hofmeister bei dem Junker von Hacke an. Nach sechseinhalb Jahren brachte ich meinen Eleven auf das Ritterkollegium und war willens mich abermals nach Berlin zu wenden, als mir die Pfarre zu Geltow durch den Herrn Inspektor Lieberkühn angetragen wurde. ‚Sie ist freilich schlecht, aber doch besser für Sie, als wieder eine Kondition.‘

Auf Michaelis 1756 bezog ich die Pfarre Geltow, verpachtete die Ackerwirtschaft und behielt den Garten und Weinberg zu meiner Beschäftigung. 1759 heiratete ich meine selige Frau, damals Witwe des Bürgermeisters Pauli in Werder, mit welcher ich drei Töchter gezeuget habe.

Als ich auf die Pfarre Geltow examiniert und ordiniert wurde, war der Herr von Danckelmann Chef des Konsistorii. Als wir, es war außer mir noch ein Examinandus, abtraten, sagte er zu den geistlichen Herren: ‚Der Moritz hat geantwortet und spricht gut latein.‘ ‚Er ist Schulmann‘, erwiderte Rat Hecker, ‚schade, daß Geltow eine so schlechte Pfarre ist.‘ —

Mit 1756 begann der lange Krieg und seine sieben Jahre haben mich wie sieben magere Kühe ganz aufgefressen. Ich hatte verpachtet, empfing baar zweihundert Taler und der Preis aller Lebensmittel stieg ungeheuer im Preise; ich lebte recht dürftig. Nach Ende des Krieges bat ich das Konsistorium um eine bessere Stelle. Ich wurde angewiesen, mich wieder zu melden; aber in dem Winkel Geltow erfuhr ich nichts, oder erfuhr es zu spät.

Erst 1773 ward ich wieder rege. Der Prediger Schmidt in Fahrland war tödlich krank, die Pfarre in großem Ruf und meine Freunde lagen mich an, noch diesen Versuch zu tun.

Den 2. Dezember 1773 starb Herr Schmidt. Schon am andern Tag bekam ich einen Expressen, schleunig nach Potsdam zu kommen und schon am 4. Dezember wurde die entsprechende Petition dem Könige vorgelegt und mit den gewöhnlichen Formalitäten bewilligt. Das Konsistorium akzeptierte die Königlichen Ordre ohne Widerrede und der Geheimrat Lamprecht erklärte öffentlich, daß ich die Pfarre verdiene, worauf in der Session vom 9. Dezember die Gastpredigt dekretiert und dem Inspektor Befehl zugeschickt wurde, dieselbe abzuhalten.

Soweit war alles gut; aber bald darauf veränderte sich mein Horizont; die Menschen verkehrten meine Freude in Traurigkeit.

In Fahrland entstand Unruhe aus Kabale. Die Bauern sagten: ‚wie lange werden wir den Mann haben, er ist ja schon alt, er ist ja nicht des Herfahrens wert.‘ – Dies war eigentlich nur der Widerhall der Intrige, die im Pfarrhause geschmiedet ward und deren Bolzen der Küster Kaplitz verschoß. Woltersdorf, Pastor zu Kartzow und Priort, saß auch in diesem Rat und schickte sich recht gut dazu. Der Plan war, den Kandidaten Korthym zur Pfarre zu verhelfen, welcher dann aus Dankbarkeit heiraten sollte. Hier war also eine große Klerisei interessiert: erst die Witwe, dann deren Schwester, die Predigerin in Döberitz, und der Küster, der von meinem Vorgänger zum Kantor präkonisiert worden war, indem er nach abgelegter Singeprobe kurzweg zur Gemeinde sagte: ‚seht hier Euren Kantor!‘

Küster Kaplitz kam nach Geltow herüber, horchte meinen Küster aus und da er hörte, daß ich die Schule fleißig besuche, fürchtete er sich und dachte mit dem jungen Korthym besser fertig zu werden. Auch meine Armut ward bei diesen Gesprächen nicht vergessen.

Nach langem Zögern wurde endlich die Gastpredigt auf den 6. Februar 1774 angesetzt. Ich ging nach Worms, wie Luther. Keine lebendige Seele war, der ich mich anvertrauen konnte. Aber soviel achtete ich mich doch, daß ich dem Inspektor (Superintendent) dem Günstling des Pfarrhauses, in der Sakristei freimütig heraussagte: ‚wenn die Bauern mich zu pöbelhaft behandeln, so entsage ich der Pfarre und Sie können es auf mein Wort mit ins Protokoll setzen.‘

Die Kirche war außerordentlich voll Menschen, für mich gegen Geltow gerechnet, etwas Neues. Aber ich redete ohne Stottern und ohne Konzept. Ich handelte von der Kraft des göttlichen Worts, zur Besserung und Beruhigung des Menschen. Alle Honoratiores waren mit der Predigt zufrieden; die Einwürfe der Bauern beschränkten sich darauf: ‚ich sei schon alt und man hätte mich hinten bei den Fischern nicht hören können.‘ Das Konsistorium erteilte mir nichts destoweniger die Vokation.

Gegen Abend fuhr ich mit dem Herrn Inspektor bis an die Nedlitzer Fähre zurück. Merkwürdig war und ist mir noch sein Sentiment über meine Predigt. ‚Sie lieben‘, sagte er, ‚den dogmatischen Vortrag. Ihr Vorfahr (Pastor Schmidt) redete gern in Gleichnissen und Bildern; er würde das Gleichnis vom Samen durch die ganze Predigt durchgeführt haben.‘ Ich antwortete: ‚nach meinem Begriffe sind die Gleichnisse nur Erläuterung des Lehrsatzes, dieser aber ist die Hauptsache, also auch das Hauptaugenmerk des Lehrers. Er soll unterrichten. Ich liebe den ernsthaften Ton und den moralischen Gehalt. Den Teufel laß ich an seinen Ketten liegen; Rechtschaffenheit des Herzens, Unschuld des Lebens sind meine Hauptsache.‘

 

Ich erhielt danach meine Vokation.

Im September aber verfiel ich in eine schwere Krankheit, welche mich dem Tode so nahe brachte, daß man mich oft für todt hielt. Zweimal wärend dieser Zeit war meine Pfarre bereits vergeben. Der Grund meiner Krankheit war der große Verdruß, den ich während des Vakanz-Jahres durch die schwarze Kabale in Fahrland auszustehen hatte. Dann kamen, wenn nicht glückliche, so doch ruhigere Jahre.“

Über diese Jahre hat Pastor Moritz nicht mehr in einer fortlaufenden, geordneten Lebensbeschreibung, sondern in einzelnen tagebuchartigen Notizen berichtet. Einige davon sind sehr charakteristisch; wir geben zwei, drei derselben, die dem Todesjahre des großen Königs (1786) und dem ersten Regierungsjahr Friedrich Wilhelms II. angehören.

1786

Anfang August. Noch nie in meinem ganzen Leben hat jemand meinen Geburtstag gefeiert. Vorgestern feierte der Kammerhusar, Herr Neumann, den Geburtstag seiner Schönen, Mamsell Schultzen, und zwar in Sanssouci, in seinem Zimmer, welches etwa zwanzig Schritt von des Königs Zimmer ab ist. Es war eine Gesellschaft von sechzehn Personen, darunter unser Fahrlander Oberamtmann, und ich höre, daß die prächtige Mahlzeit bis zu dreihundert Taler wert gekostet haben soll. Gegessen wurde von silbernen Tellern, begleitet von Konfituren und ähnlichen Aufsätzen. Der Vater der Schönen, ein Prediger aus Thüringen, ist dabei gewesen, ein überaus aufgeräumter Mann, der an allen Vergnügungen lauten Anteil nahm und unter anderen auch sein Stammbuch den neuen Freunden und Teilnehmern seines Glücks präsentierte. Einer von den Gästen fängt schließlich zu singen an. „Pst, pst!“ fallen mehrere dazwischen, bis ein anderer ruft: „Singt ihr man. Der Alte ist schon zu Bette; er hört es nicht mehr.“ Wie schnöde gegen den ablebenden, einst so gefürchteten König! Erst nach zwei Uhr sind sie auseinandergegangen. Sie, die Mamsell Schultzen, ist ein wahres Stück Fleisch und man könnte auf dem Brustwerk Wache stehen! (Neumann wurde bald vergessen. Er kaufte das Haus des von Fouqué in Brandenburg und zog dahin. Die Ehe soll erbärmlich sein, bis zum Scheiden. Neumanns Glück war aus, aber das des Kammerhusaren Schöning stieg, steigt noch unter Belohnung seiner vormaligen geheimen Korrespondenz zwischen dem Thron und dessen Erben.)

Nachschrift. Den 16. August ward der König sprachlos und verlor sein Bewußtsein; den 17. in der Nacht vom Mittwoch auf den Donnerstag um zwei Uhr starb er; den 18. ward er beigesetzt.

Der große Mann! immer verehrungswürdig und jeder neue Tag macht ihn verehrungswürdiger und unvergeßlich.

1787

Im März. Aus dem Kirchenbuche geht hervor, daß „Unechte“ (Illegitimi) im vorigen Jahrhundert etwas sehr Seltenes waren. Wie sich die Zeiten ändern! Niemanden rührt das mehr, ist alltäglich geworden, und die Prediger dürfen darob nicht murren. Jetzt, 1787, ist Befehl da, es recht laut auf der Kanzel zu sagen, daß keine Frauensperson darob soll getadelt werden. Das war eine der ersten Sorgen Friedrich Wilhelms II. (9. November 1786), daß „gefallene Weibspersonen von allem Schimpf und aller Schande verschont bleiben sollen“.

Am 28. August kam hier eine Eskadron Husaren von Goltz, sonst Belling, an. Am 30. früh marschierten sie weiter nach Zachow. Der Stab lag hier, die vier übrigen Eskadrons auf den nächsten Dörfern. Der Oberst ist Herr Göcking (seit dieser Regierung von Göcking), Bruder des berühmten Dichters Göcking. Sie marschieren zur Armee nach Westfalen, kommen von Stolpe in Pommern, vierundvierzig Meilen hinter Berlin und treffen erst im Oktober in Westfalen ein.

September 20. Heute sind die Regimenter zum Manöver angekommen. Friedrich der Große hatte immer schön Wetter. Der heutige Anfang ist schlecht.

September 21. bis 25. Heute Abend wurde in Potsdam des Königs Geburtstag gefeiert. Das 1. Bataillon Garde führte eine Komödie auf. Zur Illumination hat die ganze Garnison beigetragen, jeder Stabsoffizier zwei Louisdor. Das Fräulein von Voß, welches jetzt, nach Entfernung der Encken (Gräfin Lichtenau) das Haus des Mylord Mareschal bewohnt, hat dasselbe auch prächtig illuminiert gehabt.

Weihnachten 1787

„Dreizehn Jahre stehe ich nun hier im Amt. Mein Gott! Du zeichnetest mir eine rauhe Bahn meines Lebens, gabst mir eine ängstliche Seele, mittelmäßig Brot, verwöhnte Zuhörer, keinen Gönner, starkes Gefühl der Sittlichkeit, unverletzbare Ehrlichkeit, strengen Ton im Vortrag, keinen lauten Beifall. Und doch mein Vater diente ich treu, meinte es mit jedermann gut. Doch ich stehe ja noch da, tätig, anständig gekleidet, hinlänglich satt, ohne Schulden, Vater dreier Töchter, deren ich mich nicht schämen darf und keiner kann etwas lästern als: Du bist ein Samariter und hast den Teufel. Gelobt sei Gott: Hosianna dem Sohne Davids, mit ihm stehe ich, mit ihm falle ich. Und nun nur eine Bitte noch: für mich – verlaß mich nicht im Alter; für die meinigen – leite sie nach deinem Rat und nimm sie endlich mit Ehren an.“

Hiermit schließen wir unsre Auszüge aus Chronik und Tagebuch. Was den Verfasser derselben angeht, so muß es immer wieder gesagt werden: es ist nicht möglich, sich gegen das Charaktervolle seiner Erscheinung zu verschließen. Und dadurch flößt er uns ein tieferes Interesse ein. Er war ein Ehrenmann, brav, bieder, gerecht; unsentimental, aber voll tiefer Empfindung wo Empfindung an der rechten Stelle war. Ja, was ihm bei seinen Lebzeiten am meisten bestritten zu sein scheint: er war gütig, opferbereit, in Wahrheit ein barmherziger Samariter. In Geltow, selbst am Hungertuche nagend, hatte er die Hungrigen seiner Gemeinde gespeist, und jederzeit war es ihm Herzensbedürfnis, in heißem Gebete Gottes Gnade für die Unglücklichen anzurufen. Das alles erhellt aus seinem Tagebuche. Und nichts von eitler Schaustellung, von bloßem Gefühlsgepränge, konnte sich mit einmischen, denn er schrieb dies alles nur für sich: kein fremdes Auge, so lang er lebte, hat mutmaßlich diese Aufzeichnungen je gesehen.

Eine innerste Bravheit und Tüchtigkeit zieht sich durch das ganze Buch wie durch das Leben des Mannes hindurch, und doch, an derselben Stelle wo Pastor Schmidt, die Flinte à la main glücklich gewesen war und glücklich gemacht hatte, wollte ihm weder das eine noch das andere gelingen. Er war unbeliebt, unpopulär und blieb es bis zuletzt.

Woran lag es? Sonderbar zu sagen, er hatte wohl die echte charaktervolle, sich an rechter Stelle betätigende Liebe, aber er hatte nicht die leichte Liebenswürdigkeit, und wenn wir Umschau halten, so scheint es fast, als ob bei den Menschen diese leichtwiegende Tugend schwerer wöge und wichtiger wäre als die ernstere Schwester. Die skrupulösen Leute, die nichts leicht nehmen, die wenig lachen, die nie fünf gerade sein lassen, jene korrekten, witz- und humorlosen Naturen, die sich immer auf den Rechtsstandpunkt stellen, oder wohl gar auf ihr persönliches Recht sich steifen, – diese peinlich-bedrücklichen Integritäts-Leute sind nie angesehen bei der Masse, wenn sie nicht nebenher noch eine freigebige Hand haben. Und diese können sie kaum haben, denn ihre Eigenart besteht eben darin, sich auch beim geben noch die Frage „nach dem Rechte“ vorzulegen. Vor allem aber, selbstverständlich, beim fordern und empfangen. Und dies ist das allerschlimmste. Statt über das hinzugehen, was ausbleibt, empören sie sich beständig über die Unbill, die in diesem Ausbleiben liegt, und unter Mißmut, Gereiztheit, Bitterkeit vergehen ihnen die Tage, niemandem zur Freude, am wenigsten sich selbst.

Dieser Gruppe von Freudlosen gehörte auch unser Pastor Moritz an; er hatte keine Spur von jener christlich-leuchtenden Serenität, die dem liebenswürdig angelegten Naturell aus dem „sie säen nicht, sie ernten nicht“ erwächst, und so bracht’ er es denn mit seiner ganzen Korrektheit in Geldsachen, mit seinen Klagen, Vorstellungen und Protesten, die immer nur darauf hinausliefen, daß der Heckenzaun noch nicht gemacht und die Tonne Most noch nicht geliefert worden sei, zu nichts andrem, als daß man ihn für einen unerquicklichen Geizhals hielt. Er war es nicht (im Gegenteil er gab, er half), aber man darf sagen, er hatte die Allüren des Geizes. Und an dieser Stelle ist der Bauer am empfindlichsten, deshalb am empfindlichsten, weil er sich am besten selbst darauf versteht und jede kleine Nüanze, nach selbsteigner Praxis und Erfahrung, am leichtesten entdecken und verfolgen kann.

Noch einmal, an einer gewissen ablehnenden Nüchternheit, an einem cholerisch gearteten Rechtsgefühl, das schließlich, als das Feuer verglüht war, in Art von Melancholie umschlug, scheiterte unser Pastor Moritz; – es bewährte sich an ihm, unser Glück oder Unglück wurzelt in unserm Charakter. Ohne Liebe sank er hin.

Aber wir Nachgebornen stehen anders zu ihm, und dem Bedrücklichen seines Wesens entrückt, können wir uns an seiner Bravheit und Tapferkeit ausrichten, an ihm messen. Er war in vielen Stücken ein guter Typus seiner Zeit und speziell auch des märkischen Charakters.

Die glücklich geänderten Zeiten werden von selbst dafür Sorge tragen, daß die Schwächen der Männer jener Epoche sich in uns mindern, Schwächen, die in der Sterilität des Bodens und aller Lebensverhältnisse ihren Grund hatten. Aber an uns ist es, dafür zu sorgen, daß ihre Vorzüge uns verbleiben: ihre Einfachheit, ihre Festigkeit, ihr Haushalten und ihre Treue.

Sakrow

Nach den Tagebuch-Aufzeichnungen eines havelländischen Landgeistlichen27

 
Erröten ließ er die bescheidne Schande
In ihrem ehrbar schonenden Gewande
Und zog der Lust den Schleier vom Gesicht.
 
Annette von Droste-Hülshoff

Sakrow unter dem Grafen Hordt von 1774 bis 1779

Sakrow, als ich dies Filial erhielt, befand sich im Besitze des schwedischen Grafen Hordt; seine Gemahlin war eine Gräfin Wachtmeister. Gleich nach Empfang meiner Vokation schrieb ich von Geltow aus an den Grafen und bat für Sakrow um sein Akzessit. Es hieß in meinem Briefe: „Ich weiß, daß das Dorf Sakrow eine ecclesia vagans ist; ich respektiere diese Independenz und sehe die Kollation als eine freie Gnade an. Wenn Euer Hochgeboren nichts mehr verlangen als einen Mann, der in seinem Dienste solide ist, so bin ich der Mann dazu … Ganz natürlich wäre hier der Ort, mich gegen die schwarze Kabale meines eigentlichen Pfarrdorfes zu verteidigen, weil es ihr doch gelungen ist, ihre Verleumdungen auch bis Sakrow auszudehnen. Die Zeit aber, die alles entdeckt, wird auch dieses aufdecken.“

Hierauf bekam ich folgende Antwort: „Euer Hochehrwürden an mich geschriebene Briefe habe ich richtig erhalten; da es aber noch lange Zeit hat, bis das Gnadenjahr um ist, so werden Sie mir wohl nicht verdenken, daß ich nicht eile. Unter der Zeit hoffe das Vergnügen zu haben, Sie persönlich kennen zu lernen. Finde ich, was ich suche, nämlich einen wahren Seelsorger seiner Gemeinde, so wird die Vokation nicht lange ausbleiben. – Was die „Kabale“ anbetrifft, von der Sie sprechen, so ist mir dieselbe nicht nur unbekannt, sondern das Wort Kabale allein schon ist mir unerträglich, insonderheit in Sachen, wo man Gott sein Schicksal überlassen, und von ihm erwarten muß, was er zu unserem Seelenheil bestimmt.“

Der Graf, so fährt das Tagebuch fort, schreibt von Seelenheil wie ein Pietist, wofür er auch in seiner Gegend gehalten wurde. Das Wort Schicksal, welches kein Hallenser verträgt, mag er verdauen. Er ärgert sich über den Ausdruck Kabale, wie mir Hofrat Brandhorst erzählt, bloß deshalb, weil es ihm seine eigene ehemalige Kabale zu Stockholm ins Gedächtnis ruft, worüber er öfter Gewissensvorwürfe haben soll.

 

Der 11. p. trinitatis führte mich zur Vakanz-Predigt nach Sakrow. Ich predigte über die Sonntags-Epistel und entwickelte den wahren Begriff der Bekehrung. Der Graf lobte mich ins Gesicht; die Gräfin bat sich die Predigt abschriftlich aus.

Während des Kaffees trat ein gemeiner Mann in den Saal. Er ward von der Herrschaft sehr freundlich bewillkommt, ihm ein Stuhl neben der Gräfin gesetzt und ein Glas Wein gereicht (mir nicht). „Kennen Sie diesen Mann?“ „Nein!“ „Es ist ein wahres Kind Gottes, der Weinmeister Reuter von Krampnitz. Lernen Sie ihn kennen.“

Ich erwartete nun des Grafen Erklärung über die Vokation. Allein er schwieg. Beim Abschied bat ich nochmals darum. „Ich werde Ihnen meine Meinung schriftlich melden.“

Ich ging ohne Freudigkeit weg, und diese Freudigkeit sollte mir auch nicht kommen, als endlich des Grafen Brief eintraf, in dem er mir einen Gehalt von sechzig Talern versprach, weil das Korn, das laut Matrikel der Stelle zugehört, soviel betrage. Dies war nicht richtig, es betrug mehr, und so schrieb ich denn, der Herr Graf möchte es entweder beim Alten (Naturallieferung) belassen, oder sich ans Ober-Konsistorium wenden. Wie sehr ich hierdurch den schwedischen Reichsgrafen aufgebracht und was er für böse Worte im Zorn gegen mich ausgestoßen, das habe ich wohl erfahren, mag es aber nicht niederschreiben.

[1775.] Der Graf war also mein Feind und suchte sich anderwärts zu helfen. Der Kandidat Korthym sollte sich ordinieren lassen – die Waisenhaus-Direktion widersetzte sich. Er (der Graf) bot es dem Prediger Hollmann in Ütz an, aber der war zu ehrlich, um im Trüben zu fischen. Prediger Schmidt in Döberitz war bereit, wenn ihn der Graf wollte abholen und zurückfahren lassen. Aber der Graf wollte nicht plus, sondern minus. Endlich wandte er sich an den irrenden Ritter, Herrn Magister Kindleben, damals Prediger in Kladow, ein Mann von der schlechtesten Aufführung, der es mit Freuden annahm, aber bald seinen Posten niederlegte, um der öffentlichen Kassation zuvorzukommen.

Mit Anfang des August kam der Küster Wurm aus Sakrow zu mir, ein Mann, wie zum Küster gebaut, ohne den gewöhnlichen Nagel im Kopf. „Der Graf ist in der Enge“, sagte er, „jetzt ist es Zeit, schreiben Sie.“ – „Ich! schreiben! der Graf hat Unrecht.“ – „Ja, das hat er; aber er ist doch ein großer Herr (Wurm war vorher Bedienter des Grafen gewesen), geben Sie nach.“ – Und ich gab nach. Wir wurden einig. Ich ward nebst meiner Frau zu Tische gebeten. Nach Tisch standen der Graf und ich am Fenster. „Sie sind mein Mann, wir sind für einander gemacht.“ „Ja“, sagte ich, „es sei so für meine Person. Mein Nachfolger bleibe ungebunden. Hier ist meine Hand.“

[1777.] Graf und Gräfin waren wenig hier. Sie lebten in Berlin. Nur einmal ist die Gräfin bei mir zum Abendmahl gegangen, am Sonntage vor der Predigt. Sie war ganz schlecht gekleidet, comme en negligé.

Es war auch in Berlin, wo sie am 13. Juli 1777 starb. Ihre Leiche wurde nach Sakrow gebracht. Über Stolpe kam sie und ward mit einer Fähre, (die dazu angeschafft wurde und seit der Zeit da ist) übergesetzt. Ich war gegen sechs Uhr abends bestellt, und als ich kam, stand der Sarg schon im Salon und die Träger dabei. Ich ging hinauf zu ihm. „Wie wollen es der Herr Graf gehalten wissen?“ „Sie gehen mit dem Küster voran. Unterwegs wird nicht gesungen. Bei dem Grabe singen Sie: Jesus meine Zuversicht. Dann tun Sie ein Gebet; darauf wird weiter gesungen und das Grab zugeworfen.“ Und so geschah es. Er hatte sich an einen Baum gelehnt und zog etliche Male das Schnupftuch heraus. Nach vier Wochen bestellte Herr Lüdicke (Schreiber und Faktotum) eine Leichenpredigt, brachte auch den Lebenslauf. Ich hielt sie, aber der Graf war bei dem König. Niemand vergoß eine Träne. Es sah für eine Gräfin etwas kahl aus.

Die verstorbene Gräfin wurde den 16. Juni 1722 geboren. Ihr Vater war Graf Karl Wachtmeister, königlich schwedischer Admiral und der Großvater Graf Johann Wachtmeister, Reichsrat und Großadmiral der ganzen schwedischen Flotte. Die Frau Mutter war Henriette Baronesse von Metsch und die Großmutter eine Gräfin Archenberg. – Im zwanzigsten Jahre ihres Alters ward sie mit dem Grafen Johann Ludwig Hordt, damals königlich schwedischer Oberst, jetzt königlich preußischer Generalleutnant und Gouverneur der Feste Spandau, Erbherr auf Sakrow, vermählt. In dieser Ehe hat sie vier Kinder geboren, davon nur noch der zweite Sohn lebt, Graf Karl Ludwig Hordt, geboren 1749, jetzt Leutnant beim Regiment Prinz Leopold von Braunschweig zu Frankfurt an der Oder und Adjutant des Prinzen. In den letzten Jahren stand sie manche Schwachheit des Körpers aus. Es waren gichtische Zufälle, die ihren Tod beschleunigten. Von Person ansehnlich, hatte sie das ganze air de grandesse. Sie sah aus wie die Ernsthaftigkeit selbst. Daher stutzte ich, als sie einst von dem liederlichen Kindleben sagte: „er war ein allerliebster Mann, sprach gut französisch und konnte einen recht zu lachen machen.“ Es heißt, daß die Ehe keine glückliche war. Die fromme Miene hatte sie ganz und besuchte oft den Weinmeister Reuter.

Seit dieser Beerdigung habe ich den Grafen nicht wieder in Sakrow gesehen. Er war seit des Lentulus Abreise beständig bei dem König und ging 1778 mit zu Felde als Chef eines Freiregiments. Beim Ende den Krieges 1779 verzürnte er sich mit dem König, nahm seinen Abschied, wohnte zu Berlin und verkaufte Sakrow an den Baron von Fouqué, Sohn des berühmten Generals.

Man muß dem Grafen Hordt die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß er das elende Sakrow umgeschaffen hat. Das schöne Wohnhaus, der ganze Plan des Gehöftes, des Gartens und des Dörfleins, alles kommt von ihm her. Wenn ich Sakrow jetzt mit dem von 1750 vergleiche, so kann ich sagen, Sakrow war damals ein Ratzenloch. Hordt kaufte es, wie man sagt, für fünfzehntausend Taler, baute stark, erholte sich in der Heide und verkaufte es an Fouqué für dreiundzwanzigtausend Taler, doch inkl. vielen Meublements. Der Gräfin Zimmer blieb in statu quo. Der Graf, wenn er in Sakrow war, lebte sehr eingezogen. In meinen Jahren habe ich keine fremde Seele bei ihm getroffen. Er mochte es nicht überflüssig haben. Gegen mich hat er sich geizig betragen. Nichts von Generosität habe ich von ihm aufzuweisen. Der Schreiber Lüdicke war sein Herz und Werkzeug, tätig und wirtschaftlich, übrigens falsch wie eine Schlange und dumm wie ein Schöps.

27Diese Aufzeichnungen sind im wesentlichen wörtlich wiedergegeben, nur selten gebot es sich, einzelne Worte, Namen, Sätze fortzulassen oder umgekehrt zur Erklärung einzuschalten. Alles trägt den Stempel des Ernstes, der Wahrheit und absoluter Phrasenlosigkeit. Das letztere führt zu einer gewissen Herbheit; nichts ist beschönigt, das Leben, eignes wie fremdes, gegeben wie es war. Darin liegt aber, bei manchem ästhetisch Anfechtbaren, auch wieder der Wert dieser Notizen. Sie geben ein Zeit- und Sittenbild aus dem letzten Viertel des vorigen Jahrhunderts; die Laxheit des Herrenhauses, die Kümmerlichkeit der Pfarren, beide finden eine gleich treffende Darstellung.