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Wanderungen durch die Mark Brandenburg, Dritter Teil

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Die Seeschlacht in der Malche

 
Of Nelson and the North
Sing the glorious day’s renown.
 
Thomas Campbell

Die Mittel-Havel, wie schon hervorgehoben, ist eine lange Kette von Seen, Buchten und Becken.

Eins dieser Becken, unmittelbar nördlich von Spandau, ist die „Malche“, die so ziemlich den ganzen Raum zwischen dem Eiswerder und der Zitadelle füllt. Eine prächtige Breite, die zunächst einen Wiesenplan und, daran anschließend, den „Saatwinkel“ und die Jungfernheide in Flanke und Rücken hat, während sich die Bastionen und der Rundturm der Festung in der blauen Tiefe spiegeln.

Diese Havelbuchtung nun, samt ihren Ufern, war in der Joachimischen Zeit, und zwar im Jahre 1567, der Schauplatz eines „Wasser- und Landgefechts“, über das Leutinger in seiner Topographia marchica ausführlich berichtet. Diesem Berichte entnehmen wir das Folgende:

Kurfürst Joachim II., unser allergnädigster Herr, nachdem er abends spät mit seinem Hofstaate aus der Festung Spandow angekommen war, sandte, um den Bewohnern einen Schrecken zu bereiten, des Morgens ganz früh einige seiner Trabanten nach der Stadt Spandow, zum Hause des damaligen Bürgermeisters Bartholomäus Bier, welchen sie, da noch alles schlief, mit starkem Pochen an seiner Haustür erweckten. Da derselbe beim Öffnen der Tür die Trabanten des Kurfürsten erblickte und sogleich den Befehl erhielt, sich anzukleiden und die Trabanten zum Kurfürsten nach der Festung zu begleiten, erschrak er sehr und konnte sich nicht darin finden, wie er dazu käme, unter militärischer Gewalt nach der Feste abgeführt zu werden. Seine Frau, welche ebenfalls hinzugekommen war, war noch mehr erschrocken und fing schon ein gewaltiges Klagen an. Zugleich gab ihm der Anführer der Trabanten eine an die ganze Bürgerschaft gerichtete kurfürstliche Order. Der Herr Bürgermeister sandte eine Magd eiligst nach dem Stadtdiener Strohband. Dieser, in gleicher Aufregung wie sein Herr, kam halb angekleidet und in Pantoffeln herbei. Er erhielt den Auftrag, sogleich zu allen Viertelmeistern zu gehen, um ihnen den kurfürstlichen Befehl, der ebenfalls auf ein Erscheinen vor dem hohen Herrn hinauslief, bekannt zu machen.

Während nun Strohband lief, um die Bürger zu bestellen, und der Herr Bürgermeister sich in aller Eile angekleidet hatte, mäßigte sich sein Schrecken, weil ihm sein gutes Gewissen sagte, daß der Kurfürst so wenig mit ihm wie mit der Bürgerschaft etwas Schlimmes im Sinne haben könne, da seines Wissens keine Sache vorlag, welche den Unwillen des hohen Herrn verdiente. Nachdem er seine Frau damit getröstet und beruhigt hatte, ging er getrosten Mutes mit den Trabanten ab. Einige alte Frauen und Mägde, welche früh aufgestanden waren, um die Kühe vor den Hirten zu treiben, als sie sahen, daß der gestrenge Herr Bürgermeister in der Mitte von Trabanten des Kurfürsten zur Feste geleitet wurde, kreuzten und segneten sich und liefen schnell, um die Neuigkeit zu hinterbringen. Jeder zerbrach sich den Kopf. Endlich kam denn auch der Krummstock, der allen Bürgern den uns schon bekannten Befehl brachte. Die Neugierde wuchs und die Frauen vergaßen die Morgensuppe; aber schon um sechs Uhr morgens zog die ganze löbliche Bürgerschaft, Viertelmeister und Ratmänner voran, zum Tore hinaus der Festung zu.

Als der Herr Bürgermeister Bier auf der Festung angekommen war, wurde er alsbald dem gnädigen Kurfürsten vorgestellt, und als dieser ihm freundlichst entgegenkam, fiel ihm ein schwerer Stein vom Herzen, und er vernahm nun vom Kurfürsten, daß er sich über den kleinen Schrecken, welchen ihm sein Spaß vielleicht verursacht hätte, beruhigen möchte; indessen wünsche er, daß die Bürgerschaft zu dem Vergnügen, welches er sich heute vorgesetzt habe, ihm willig die Hand bieten möge; er habe nämlich ebenfalls die Berliner und Cöllner Bürger dazu beordert, daß sie auf Schiffen mit den Spandauern ein Gefecht bestehen möchten, und selbige hätten sich dazu bereit erklärt und würden wohl bereits dazu unterwegs sein; ein Gleiches wünsche er von ihnen; Waffen habe er mitgebracht, Schiffe möchten sie nehmen, wo sie solche fänden; die Anordnung überließe er dem Bürgermeister, und er mache ihn heut zugleich zum Admiral der Flotte.

Der Zug der Bürger kam indessen auf der Festung an. Der Kurfürst trat ihnen mit seinem Gefolge, den Herrn Bürgermeister in der Mitte, entgegen und sagte ihnen:

„Lieben Kinder, Spandower! Ihr habt wohl wer weiß was gedacht, daß ich Euren Bürgermeister entführt und überhaupt Euch so in Alarm gebracht habe. Indessen ist es so schlimm nicht. Es ist nichts weiter, als daß Ihr Euch heute mit den Berlinern zu Wasser und vielleicht auch zu Lande schlagen sollt. Waffen liegen dort, und Brustharnische und Helmhauben auch; diese nehmt. Der Herr Bürgermeister wird alles weiter anordnen, und wehrt Euch tapfer!“

Nun wurden ihnen hölzerne Spieße, alle von einerlei Länge und Stärke, Helme und Harnische zugeteilt, damit sie sich zum Streit bewaffnen sollten. Jetzt zurückgekehrt zur Stadt, verwandelte sich der Schrecken in Jubel und alles beeiferte sich, das Seinige beizutragen, um den Spaß vollkommen zu machen.

Da der neue Spandower Groß-Admiral wußte, daß die feindliche Berliner Flotte aus dreißig Segeln bestehen würde, so suchte er in der Eile aus den stets hier beiliegenden Stromschiffen ebenfalls einige zwanzig zusammenzubringen und solche zu bemannen; geübte Steuerleute waren auch bald gefunden und jedes Schiff wurde mit einigen zwanzig Streitern unter einem Anführer besetzt.

Auf das Admiralschiff wurde der Stadtmusikus bestellt, und so wohl gerüstet und geordnet erwarteten sie den Feind.

Die Flotte hatte sich bei der Festung links, vor dem Platze an der hiesigen Schleuse, vor Anker gelegt. Auch hatte der Herr Bürgermeister die Vorsicht gebraucht, die Fischer vom Kiez zu beordern, daß sie mit ihren Kähnen bei der Hand sein und wenn einer der Schiffer und Streiter über Bord fiele, denselben sogleich retten möchten.

Die Anführer auf den Schiffen waren folgendermaßen verteilt:


Die übrigen Anführer waren die Bürger: Martin Krokow, Klaus Marreligs, Peter Damitz, Andreas Raschan, Matthis Rürmundt, Sebastian Reinicke, Veit Wenzlow, Klaus Schumann, Jürgen Rohrschneider, Kurt Kiepert, Traugott Kühnert, Gottfried Schönicke, Jonas Müller, Ignatz Rasenack, an der Zahl vierundzwanzig.

Um neun Uhr endlich sah man die vereinte Berliner und Cöllner Flotte, die sich am Tegelschen See armiert und formiert hatte, die Havel herunter gesteuert kommen; sie steuerten, den Eiswerder rechts lassend, nach der kleinen Malche, und legten sich dort vor Anker, um sich zum Streit noch besser anzuschicken und dann das Signal zu erwarten. Voran lag das Admiralschiff mit dem Berliner Wappen, einem Bären im weißen Felde, am Vorderteil. Alle Schiffe waren mit prächtigen Flaggen und die Segelbäume und Stangen mit bunten Bändern geschmückt, die Steuerleute und Ruderer trugen runde Hüte mit roten Bändern umwunden und grüne Federbüsche.

Die meisten Schiffe waren mit Zelten von buntbemalter Leinwand überspannt, doch so, daß die Streiter, welche mit denselben Waffen wie die Spandower versehen waren, sich auf den Schiffen verteilt befanden. Alles gewährte einen prächtigen, imposanten Anblick. Freude und Jubel waren unter Begünstigung des schönsten Wetters allgemein.

Endlich wurde von der Bastion der Festung, auf welcher sich der Kurfürst mit seinem Hofstaate eingefunden hatte und von welcher aus er das Ganze übersehen konnte, das Zeichen zum Angriff durch einen Kanonenschuß und durch den Schall der Trompeten gegeben. Im Nu war jetzt die ganze Wasserfläche, welche den großen und den kleinen Malche-See zwischen der Festung und dem Eiswerder bildet, mit Schiffen bedeckt. Unter dem Donner der Kanonen und dem Schalle der Trompeten, welche unaufhörlich vom Walle der Festung ertönten, bemühten sich beide Parteien, einander so viele Schläge und Stöße zu erteilen, um wo möglich eine die andere zum Weichen zu bringen. Und wie es denn gewöhnlich zu gehen pflegt, so ging es auch hier, die Gemüter erhitzten sich zu sehr, so daß das Spandower Admiralschiff zwei von den Berliner Schiffen dergestalt überfuhr, daß deren Steuermänner ins Wasser gestoßen wurden und auch einige Streiter durch den Stoß über Bord fielen. Durch das Herbeieilen der Fischer wurden diese glücklich wieder herausgefischt.

Nachdem das Gefecht zwei Stunden gedauert hatte und es, trotz der Brustharnische und der Helme, manchen blauen Fleck und Beulen gegeben hatte, auch auf keiner Seite nur ein Haar breit der Sieg gewichen war, wurde das Zeichen zum Abbruch des Gefechts gegeben und die Schiffe zogen sich unter gegenseitigen Drohungen und Neckereien (Leutinger: „Spottereien“) der Mannschaften in ihre vorigen Stellungen zurück. Zugleich kam der Befehl, daß der Sieg auf dem Nachmittage zu Lande entschieden werden sollte. Die Berliner verließen ihre Schiffe und lagerten sich dort auf dem Felde, „der Plan“ genannt; die Spandower gingen, um sich ihre Beulen zu besehen, einstweilen nach Hause, und die Anführer, um sich zu beraten, wie sie den Nachmittagskampf mit Ehren bestünden. Denn sie verhehlten sich nicht, daß sie bei ihrer geringeren Zahl es nur der großen Geschicklichkeit ihrer Steuerleute und Ruderer zu verdanken gehabt hätten, daß sie nicht besiegt worden wären. Auch war gewiß, daß sich die Zahl der Streiter ihrer Feinde aus der Zahl der Schaulustigen aus Berlin noch erheblich vermehren würde. Sie entschlossen sich also, einen Sukkurs aus dem städtischen Kämmereidorfe Staaken nebst den zur Stadt gehörigen Weinbergen, und was sie sonst noch aufzutreiben wußten, herbeiholen zu lassen.

 

Die Anzahl der Berliner war, wie Leutinger versichert, über fünfzehnhundert Mann. Die Spandower dagegen waren höchstens achthundert Mann.

Der Gottfried Schönicke wurde demnach in aller Stille beordert, ein Pferd zu nehmen und damit nach Staaken zu reiten, um dort die Bauern und Knechte, soviel wie anwesend wären und einen guten Knüppel führen könnten, zusammen zu nehmen, solche quer übers Feld und nach der Gegend der Valentins-Insel zu führen, um von dort auf Kähnen nach dem Saatwinkel geführt zu werden. Dann sollte Schönicke während des Gefechts, unter Begünstigung der vielen Gebüsche, durch die Haselhorst den Berlinern in den Rücken fallen.

Der Schönicke führte seine Sache, da er die Kähne dort richtig vorfand, so gut aus, daß er sich schon nachmittags um drei Uhr an Ort und Stelle befand, ohne daß die Berliner etwas davon ahnten. Nachmittags um zwei Uhr fing die Anordnung zur Feldbataille an. Es wurden zwei Schlachtordnungen formiert; die erste hatte auf ihrem rechten Flügel die Bürger von Berlin, auf dem linken Flügel standen die Cöllnischen, zum Hinterhalt waren die übrigen Berliner aufgestellt. In der Mitte hielt der Kurfürst mit einem kleinen Teile seiner Trabanten; auf der einen Seite hatten sie die Festung und den Graben, auf dem linken Flügel die Spree, hinter sich aber den Wald.

Die Berlin-Cöllner nun, welche so gut postiert waren, glaubten schon den Sieg in den Händen zu haben und triumphierten laut, forderten dabei immer die Spandower auf, heraus zu kommen. Die Spandower hingegen erkannten ihre Schwäche und das Unvorteilhafte ihrer Lage, doch munterten sie sich einander auf und erwarteten nur die Zeit, von der sie glaubten, daß ihr angeordneter Hinterhalt angekommen sein könnte. Sie zogen nun getrost, in kleinere Haufen geteilt, dem Feinde entgegen und der Streit begann. Man hielt sich wacker hüben und drüben. Der Sieg schien nicht zu wissen, wohin er sich neigen solle. Dennoch würden die Spandower schließlich überwunden worden sein, wenn nicht Gottfried Schönicke mit seinen leichten Truppen angekommen wäre. Dieser kam plötzlich von der Haselhorst den Berlinern in den Rücken, der Hinterhalt derselben war bald in die Flucht geschlagen und nun ging es über die Hauptarmee los. Diese sah ihre Gefahr, hielt sich mit Erbitterung noch eine Weile, aber die „Staakenschen“ unter Gottfried Schönicke gaben auch hier den Ausschlag und trieben endlich die vereinte Berlin-Cöllnische Armee in die Flucht.

Der Streit war so heftig geworden, daß selbst das Pferd des Kurfürsten von einem Spieße getroffen wurde. Die Nacht brach herein und der Kurfürst ließ nun durch Herolde das Ende des Streites ausrufen. Dies war ein Glück; die Erbitterung war groß und ohne diesen Abbruch des Gefechts würde Blut geflossen sein.

Die Berliner zogen sich darauf durch den Wald, die Jungfernheide, nach Berlin zurück und die Spandower hatten die Freude, daß ihnen der Kurfürst sagte: Kinder, ihr habt euch brav geschlagen!

Das Belvedere

im Schloßgarten zu Charlottenburg
 
Verschlossene Fenster,
Nichts ein noch aus,
Nur Spinnen und Gespenster
Sind hier zu Haus.
 

Es regnet. Auf den Plüschbänken des Charlottenburger Omnibus sitzt ein halbes Dutzend fröstelnde Gestalten, gleichgiltig oder verstimmt, jeder einen abtröpfelnden Alpakka in Händen. Keiner spricht. Ein Dunst, wie wenn Wäsche trocknet, nebelt um uns her, und ein Kautschuk-Mantel neben mir ist nicht angetan, die klimatischen Verhältnisse zu bessern.

Es regnet, und am Ende mit Recht. Schreiben wir doch den 19. November! Wer mag da Sonnenschein fordern, wenn es ihn lüstet, den Charlottenburger Schloßgarten zu besuchen. Was von den Menschen gilt, gilt auch von den Tagen; man muß sie nehmen, wie sie sind.

Da ist das „Knie“. Seine Rundung ist heute völlig reizlos. Das „türkische Zelt“ sieht noch untürkischer aus als gewöhnlich, und bei Morellis hocken drei Sperlinge auf dem schräg gestellten Gartentisch, ziehen die Köpfe ein und schütteln die Federn. Nur die grüne Kuppel des Schlosses hat gewonnen; sie sieht blau aus, frischer als sonst.

An den leeren Gewehrpfosten vorüber, trete ich an das halboffene Parkgitter; der Türhüter schüttelt den Kopf. An solchem Tage Besuch! Er scheint die Frage ergründen zu wollen, ob ich Untat gegen mich oder gegen andere sinne. Ein Unglücklicher oder …

„Ich möchte nach dem Belvedere. Erst durch die Orangerie, dann grade aus; nicht wahr?“ So Lokalkenntnis und Unbefangenheit heuchelnd, schreite ich an dem Bediensteten vorüber, der sich schließlich seinem Mienenspiele nach, damit beruhigt: Freitag ist Besuchstag.

Asternbeete, Balsaminen; dann vorüber an den Kübeln des Gewächshauses; noch ein Fliesengang und die Breite des eigentlichen Parkes liegt vor mir. An der Rückseite des einen Schloßflügels hin stehen die Büsten römischer Kaiser, Nero, Titus, Trajan; mir zunächst Tiberius. An seiner Nase hängt ein Regentropfen, fällt ab und erneut sich wieder. Es sieht so gemütlich, so einfach-menschlich aus, daß man glauben könnte, seine „Wiederhersteller“ hätten Recht.

Weithin sichtbar laufen die Gänge des Schloßgartens bis zum Flusse nieder, parallel mit ihnen ein Wasserbecken, halb Graben, halb Teich. Die Alleen sind kahl. Nur einzelne Bäume, die windgeschützter standen, halten noch das je nach der Art in allen Herbstesfarben spielende Laub fest; die Eiche goldbraun, die Birke orangefarben, der Ahorn gelb; aber die meisten Blätter fielen ab und liegen an tieferen Stellen zusammengeweht, oder schwimmen auf dem Wasser, das uns bis in die Mitte des Parks begleitet.

Hier biegt das Wasser (der Teichgraben) plötzlich rechtwinklig ab und durchschneidet den Weg. Eine Brücke führt darüber hin und unterhält den Verkehr zwischen den beiden Ufern. Diesseits stand ein Alter und harkte das Laub zusammen.

Ist dies die Brücke mit der Klingel?

Ja. Aber es kommt keiner mehr.

Ich weiß, Papa. Die alten Moosköpfe sind tot.

Er nickte und harkte weiter.

In der Tat befand ich mich an der vielgenannten „Klingelbrücke“, einer ehemaligen Besuchsstation des Gartens, die viele Jahre hindurch neben dem Mausoleum ihren Platz behauptet hatte. Der ernsten Erhebung gab man hier ein heitres Nachspiel. Alles drängte herzu; wurde dann die Klingel gezogen, so erschienen langsam und gravitätisch, aber immer hungrig, die berühmten Mooskarpfen des Charlottenburger Parkes an der Oberfläche. Uralte Bursche, wenn ich nicht irre, durch König Friedrich Wilhelm I. eigenhändig an dieser Stelle eingesetzt. Ein eigentümlicher Sport, der darauf hinauslief, Hellinge, Milchbrote, Kringel in die immer geöffneten Karpfenmäuler zu werfen, nahm dann seinen Anfang. Er erinnerte an Ähnliches im zoologischen Garten, und man darf sagen: wie sich die Schrippe zum Elefanten verhält, so verhielt sich die Semmel zum Karpfen. Alte Frauen, nicht viel jünger wie die krokodilartigen Ungeheuer der Tiefe, saßen hier sommerlang mit ihrem Backwerk und sahen aus, als gehörten sie mit dazu. Es hatte etwas Spukhaftes, diese Altersanhäufung und die Kinderwelt dazwischen.

Dieser Sport indessen sollte plötzlich ein Ende haben. Der Winter vierundsechzig kam, das Wasser fror bis auf den Boden, die Karpfen suchten zu retirieren, immer tiefer, aber das Eis kam ihnen nach, und eingemauert in ihrem Moorgrund, wasser- und luftlos, mußten sie ersticken. Als im April das Eis aufging, stiegen sie wieder an die Oberfläche, aber tot. Noch am selben Tage wurden sie am Ufer begraben. Es waren sechsunddreißig Stück, keiner unter einhundertundfünfzig Jahre, keiner unter vier Fuß; alle trugen sie die Karpfenkrone. „Wir haben nun neue eingesetzt,“ brummte der Alte, „aber was will das sagen; sie sind wie Steckerlinge.“

Dieser wohlgemeinte Satz hatte mir Mut gegeben. „Ich will nach dem Belvedere, Papa.“

„Nach’s Belfedehr. Ja, ja, da müssen Sie bis auf die Insel. Immer grad aus. Die Fähre geht nicht mehr. Aber rechts weg, wo der rote Werft steht, da is’n Steg. Nehmen’s sich in Acht; is alles frisch gestrichen mit Teer. Da drüber weg.“

„Dank schön, Papa.“ Damit stapfte ich weiter, durch Laub und aufgeweichte Gänge hin, dem Rande des Parkes zu, voll wachsenden Dankes gegen den Erfinder der Gummischuhe. Endlich stand ich an einem schmalen, von der Spree her abgezweigten Wassergraben; zwei Pfosten hüben und drüben und ein Tau dazwischen zeigten mir, daß dies die Fährstelle sei. Nach rechts hin also mußte die Brücke sein. Richtig. Der frische Teergeruch ließ keinen Zweifel. Ich schritt über die schmale Bohlenlage hin.

Der Regen ließ einen Augenblick nach und gestattete einen Umblick. Ich stand ersichtlich auf einer Insel, der magre Boden mit dünnem Gras überzogen, die Ufer von blutrotem Werft eingefaßt. Nach Westen hin Wiesenland, von Spree-Armen und Eisenbahnbrücken durchzogen; am Horizonte grau in grau der Spandauer Turm; unmittelbar vor mir aber ein seltsamer, jalousienreicher Bau, rund, mit vier angeklebten flachen Balkonhäusern und einem kupfernen Dachhelm, auf dessen Spitze drei Genien mit Genhimmelhaltung eines goldenen Fruchtkorbes beschäftigt waren. Rokoko durch und durch. Im Grundriß ein kurzes Kreuz, mit rundem Mittelstück. Dies war das Belvedere. Die drei Genien mit dem Blumenkorb, unverkennbar an das Marmorpalais erinnernd. Die Tage der Lichtenau standen wie auf einen Schlag vor mir: Sentimentalität und Sinnlichkeit, Schäferspiele und kurze Röckchen, Antonius und Cleopatra. Nur alles trivialisiert. Statt des Pharaonenkindes eine Stabstrompetertochter.

Ein Gartenarbeiter, wie ich bald wahrnahm, hatte in einem der angeklebten Häuschen ein Unterkommen gefunden: es fand sich ein Schlüssel, der eine der Haupttüren öffnete. Das Erdgeschoß, einst als Küchen- und Wirtschaftsraum benutzt, war interesselos; eine schlank gewundene, von einem sauberen Eisengitter eingefaßte Treppe führte in den ersten und zweiten Stock. Wir stiegen hinauf. Ich hatte dieselbe Empfindung, als ging es hinunter in eine Gruft. Abgestorbenes ringsum. Nur mumienhaft erhalten.

Die Einrichtung beider Stockwerke ist dieselbe: ein einziges saalartiges Rundzimmer.

Der Saal des ersten Stockwerkes ist der reichere; der Fußboden parkettiert, die Wände rhombisch getäfelt mit rotbraunem Pflaumbaumholz. An der weißen Decke kristallne Leuchter. Reliefdarstellungen aus dem Apollo- und Diana-Mythus umziehen, halb fries-, halb supraportenartig, die obere Rundung, während Ottomanen und Polsterstühle, in ihren Lehnen selbst wieder geschweift, dem Rund der unteren Boisierung folgen. Zahlreiche Bilder, meist englische Stiche nach den Dramen Shakespeares, stehen gruppenweis, die Rückseite nach vorn, an den Wänden umher. Die dunkle Täfelung, dazu der blaue Moiré-Stoff, der alle Polster überzieht, geben dem Zimmer einen festlichen, beinah ernsten Charakter.

Anders der Rundsaal des zweiten Stockes. Hier ist dieselbe Art der Ausschmückung aber ins Heitere übertragen. Wie dort Braun und ein tieferes Blau den Ton angeben, so lacht hier alles in Weiß und Rot und Gold. Konsolen, mit Tongefäßen in gefälliger Form, laufen girlandenartig um die Rundung her, und die scharlachnen Seidenüberzüge, als sei es an ihrer leuchtenden Pracht nicht genug, haben ihr Rot noch mit bunten Malereien, mit Blumen und Buketts geschmückt. Wie im Zimmer des ersten Stockes, so lehnen sich auch hier zwei Balkons und ein Kabinett an den Rundbau an; das Kabinett marmoriert und mit Wandleuchtern von Goldbronze reich verziert.

In diesem Kabinett nun, nur durch zwei halb zurückgeschlagene Gardinen von dem Rundsaal getrennt, saß König Friedrich Wilhelm II. Es war in den ersten Jahren seiner Regierung. Eine Aufführung schien sich mit einer Art von Feierlichkeit vorzubereiten. Und so war es. In den goldbronzenen Wandleuchtern brannten ein paar Kerzen, aber ihr Licht, durch die schweren Gardinen zurückgehalten, fiel nur in einzelnen Streifen nach vorn hin in den Saal.

In diesem herrschte Dämmer. Der König hatte den Wunsch ausgesprochen, die Geister Marc Aurels, des Großen Kurfürsten und des Philosophen Leibnitz erscheinen zu sehen. Und sie erschienen. Wie man dabei verfuhr, darüber berichte ich an anderer Stelle. Nur dies noch. Dem Könige war gestattet worden, Fragen an die Abgeschiedenen zu richten; er machte den Versuch, aber umsonst. Es gelang ihm nicht, auch nur einen Laut über die bebenden Lippen zu bringen. Dagegen vernahm er nun seinerseits von den heraufbeschworenen Geistern strenge Worte, drohende Strafreden und die Ermahnung, auf den Pfad der Tugend zurückzukehren. Er rief mit banger Stimme nach seinen Freunden; er bat inständig, den Zauber zu lösen und ihn von seiner Todesangst zu befreien. Nach einigem Zögern trat Bischofswerder in das Kabinett und führte den zum Tod Erschöpften nach seinem Wagen. Er verlangte zur Lichtenau zurückgebracht zu werden, ein Wunsch, dem nicht nachgegeben wurde. So kehrte er noch während derselben Nacht nach Potsdam zurück.

 

Das war, wie schon angedeutet, mutmaßlich Anfang der neunziger Jahre. Bestimmte Zeitangaben fehlen.

Von jenem Abend an stand das Belvedere fünfzig Jahre lang leer. Es war, als wäre es an dieser Stelle nur aus der Erde gewachsen, um als Rokoko-Schaubühne für eine Geisterkomödie, hinterher aber um als Wahrzeichen dafür zu dienen, daß das alles einmal wirklich war.

Durch ein halbes Jahrhundert hin waren die Plätze wie verfehmt. Marmorpalais, Belvedere, Marquardt, das Eckardtsteinsche Haus, auch andere noch; man mied sie, man nannte sie kaum. Erst Friedrich Wilhelm IV., innerlich freier, machte einen Versuch, den Bann der neunziger Jahre zu durchbrechen. Das Marmorpalais sah wieder Gondeln an seiner Treppe; die Miniatur-Büste der Lichtenau, ein Chef d’oeuvre, wurde an altem Platze aufgestellt; was einst Abneigung erweckt hatte, weckte wieder Interesse. Auch das Belvedere schien wieder zu Ehren kommen zu sollen. Von seinem Balkone aus sah der heitere König, dessen eigene sittliche Integrität ihm die Milde, auch nach dieser Seite hin, zum Bedürfnis machte, in Dämmerstunden, beim Teegeplauder, das Spreetal hinunter, freute sich der Segelkähne, die kamen und gingen, der langen Züge, die rasselnd, dampfend vorübersausten, der dunklen Flächen des Grunewaldes hier, der Jungfernheide dort, endlich des roten Spandauer Turmes, der die Zickzack-Festungswerke drüben am westlichen Horizont hoch überragte.

Das waren die Wiederbelebungsversuche für das Charlottenburger Belvedere. Aber sie kamen und gingen wie bloße Träume. Bald schlief der Bau mit seinen drei Rokoko-Genien weiter. Er schläft noch.

Etwas Unheimliches ist drumher, das nicht abzutun ist. Was ist es? Ist es, weil es ein Spukhaus war, weil Gespenster hier umgingen?

Nein, denn man spielte hier nur Gespenst.

Aber fast scheint es, als ob ein doppeltes Grauen eben daraus erwuchs, daß die Geister, die hier auftraten, nur ein Schein, eine Lüge waren.