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Wanderungen durch die Mark Brandenburg, Dritter Teil

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Wanderungen durch die Mark Brandenburg, Dritter Teil
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Theodor Fontane

Wanderungen durch die Mark Brandenburg, Dritter Teil Havelland

Vorwort zur zweiten Auflage

Auch diese neue Auflage des

dritten

 Bandes der Wanderungen hat eine Umgestaltung erfahren. Wie bei Band I und II ist alles dem Spezialtitel

Nicht

-Entsprechende fortgelassen und durch ausschließlich Havelländisches oder doch dem Flußgebiet der Havel Angehöriges ersetzt worden. Auf diese Weise kamen hinzu: das Havel-Luch, Oranienburg, Tegel, Fahrland, die Fahrlander Chronik, Sakrow, „Wer war er?“, Falkenrehde, „Zwei heimlich Enthauptete“ und

Wust

, das Geburtsdorf Hans Hermanns von Katte. Daran schließt sich noch Kloster

Chorin

, das, wiewohl außerhalb des Flußgebietes der Havel gelegen, um

Lehnins

 willen, dessen Tochterkloster es war, mit herangezogen wurde. Wobei zugleich der Wunsch mitwirkte, dem mehrere Kapitel umfassenden Abschnitt von der Kolonisation der Mark durch die Zisterzienser wenigstens annähernd einen Abschluß zu geben.



Das Historische (im Gegensatze zu „Oderland“) tritt im ganzen genommen in diesem dritten Bande zurück, und Landschaft und Genre prävalieren.



An nicht wenigen Stellen entstand für mich die Frage, ob ich nicht, über die bloße Form hinaus, auch

inhaltlich

 zu Änderungen zu schreiten und von einem inzwischen erfolgten Wechsel der Dinge Notiz zu nehmen hätte. Um ein paar Beispiele zu geben: das Friedrichsche Ehepaar auf der Pfaueninsel ist gestorben, Etzin ist niedergebrannt und der in Trümmern liegende Teil der Lehniner Klosterkirche ist neuaufgebaut worden. Ich hab’ es aber mit Rücksicht darauf, daß alles Umarbeiten und Hinzufügen in der Regel nur Schwerfälligkeiten schafft, schließlich doch vorgezogen, das Meiste so zu belassen, wie sich’s etwa um’s Jahr 1870 dem Auge präsentierte und bitte den Leser, wo sich die Benötigung dazu herausstellen sollte, dies freundlichst im Auge behalten zu wollen.



Berlin

, 24. April 1880.



Theodor Fontane.

Havelland



Grüß Gott Dich, Heimat … Nach langem Säumen

In Deinem Schatten wieder zu träumen,

Erfüllt in dieser Maienluft

Eine tiefe Sehnsucht mir die Brust.

Ade nun Bilder der letzten Jahre,

Ihr Ufer der Saône, der Seine, Loire,

Nach Kriegs- und fremder Wässer Lauf

Nimm, heimische Havel, mich wieder auf.





Es spiegeln sich in Deinem Strome

Wahrzeichen, Burgen, Schlösser, Dome:

Der

Julius-Turm

, den Märchen und Sagen

Bis Römerzeiten rückwärts tragen,

Das

Schildhorn

, wo, bezwungen im Streite,

Fürst Jakzo dem Christengott sich weihte,

Der

Harlunger Berg

, der an oberster Stelle

Weitschauend trug unsre erste Kapelle,

Das

Plauer Schloß

, wo fröstelnd am Morgen

Hans Quitzow steckte, im Röhricht verborgen,

Die

Pfaueninsel

, in deren Dunkel

Rubinglas glühte Johannes Kunckel,

Schloß

Babelsberg

 und „

Schlößchen Tegel

“,

Nymphäen, Schwäne, blinkende Segel, —

Ob rote Ziegel, ob steinernes Grau,

Du verklärst es, Havel, in Deinem Blau.





Und schönest Du alles, was alte Zeiten

Und neue an Deinem Bande reihten,

Wie schön erst, was fürsorglich längst

Mit liebendem Arme Du umfängst.

Jetzt Wasser, drauf Elfenbüsche schwanken,

Lücher, Brücher, Horste, Lanken,

Nun kommt die Sonne, nun kommt der Mai,

Mit der Wasser-Herrschaft ist es vorbei.

Wo Sumpf und Lache jüngst gebrodelt,

Ist alles in Teppich umgemodelt,

Ein Riesenteppich, blumengeziert,

Viele Meilen im Geviert.

Tausendschönchen, gelbe Ranunkel.

Zittergräser, hell und dunkel,

Und mitteninne (wie das lacht!)

Des roten Ampfers leuchtende Pracht.

Ziehbrunnen über die Wiese zerstreut,

Trog um Trog zu trinken beut,

Und zwischen den Trögen und den Halmen,

Unter nährendem Käuen und Zermalmen,

Die stille Herde, … das Glöcklein klingt,

Ein Luftzug das Läuten herüberbringt.





Und an dieses Teppichs blühendem Saum

All die lachenden Dörfer, ich zähle sie kaum:

Linow, Lindow,

Rhinow, Glindow,

Beetz und Gatow,

Dreetz und Flatow,

Bamme, Damme, Kriele, Krielow,

Petzow, Retzow, Ferch am Schwielow,

Zachow, Wachow und Groß-Behnitz,

Marquardt-Ütz an Wublitz-Schlänitz,

Senzke, Lenzke und Marzahne,

Lietzow, Tietzow und Rekahne,

Und zum Schluß in dem leuchtenden Kranz:

Ketzin, Ketzür und Vehlefanz.





Und an Deinen Ufern und an Deinen Seen,

Was, stille Havel, sahst all

Du geschehn

?!

Aus der Tiefe herauf die Unken klingen, —

Hunderttausend Wenden hier untergingen;

In Lüften ein Lärmen, ein Bellen, ein Jagen,

„Das ist Waldemar“, sie flüstern und sagen;

Im Torfmoor, neben dem Kremmer Damme,

(Wo Hohenloh fiel) was will die Flamme?

Ist’s bloß ein Irrlicht?.. Nun klärt sich das Wetter,

Sonnenschein, Trompetengeschmetter,

Derfflinger greift an, die Schweden fliehn,

Grüß Gott Dich Tag von

Fehrbellin

.





Grüß Gott Dich Tag, Du Preußen-Wiege,

Geburtstag und Ahnherr unsrer Siege,

Und Gruß

Dir

, wo die Wiege

stand

,

Geliebte Heimat, Havelland!



Potsdam

, im Mai 1872.



Die Wenden

und die Kolonisation der Mark

durch die Zisterzienser

Die Wenden in der Mark

1.

Geographisch-Historisches



Lichthelle Götter,

Höret,

Höret unser Flehen um Sieg!

Wir kämpfen für Leben und Freiheit,

Für Weib und Kind.

Notschirmer Radigast,

Krieghelfer Svantevit,

Leidwahrer Triglaw,

O, verleihet uns Sieg!



Karl Seidel

Am Nordufer der Mittel-Havel, den ganzen Havelgau und südlich davon die „Zauche“ beherrschend, lag die alte Wendenfeste

Brennabor

. Ihre Eroberung durch Albrecht den Bären (1157) entschied über den Besitz dieses und der benachbarten Landesteile, die von da ab ihrer Christianisierung und, was insonderheit die Havelgegenden angeht, auch ihrer Germanisierung rasch entgegen gingen. Diese Germanisierung, soweit sie durch die Klöster erfolgte, soll uns in den nächsten Kapiteln beschäftigen; unsere heutige Aufgabe aber wendet sich ausschließlich der heidnischen Epoche

vor

 1157 zu und versucht in dieser Vorgeschichte der Mark eine Geschichte der märkischen Wenden zu geben. Dieser Ausdruck ist nicht völlig korrekt. Es soll heißen: Wenden, die,

noch ehe es eine „Mark“ gab

, in demjenigen Landesteile wohnten, der später Mark Brandenburg hieß.



Zuerst ein Wort über die Wenden überhaupt. Sie bildeten den am meisten nach Westen vorgeschobenen Stamm der großen slavischen Völkerfamilie; hinter ihnen nach Osten und Südosten saßen die Polen, die Südslaven, die Groß- und Klein-Russen.



Die Wenden rückten, etwa um 500, in die halb entvölkerten Lande zwischen Oder und Elbe ein. Sie fanden hier noch die zurückgebliebenen Reste der alten Semnonen, jenes großen germanischen Stammes, der vor ihnen das Land zwischen Elbe und Oder inne gehabt und es – entweder einem Drucke von Osten her nachgebend, oder aber durch Abenteuerdrang dazu getrieben – im Laufe des fünften Jahrhunderts verlassen hatte. Nur Greise, Weiber und Kinder waren teilweis zurückgeblieben und kamen in Abhängigkeit von den vordringenden Wenden.

Diese

 wurden nunmehr der herrschende Stamm und gaben dem Lande sein Gepräge, den Dingen und Ortschaften ihre wendischen Namen. Als nach drei-, vier- und fünfhundert Jahren die Deutschen zum ersten Male wieder mit diesem Lande „zwischen Elbe und Oder“ in Berührung kamen, fanden sie, wenige Spuren ehemaligen deutschen Lebens abgerechnet, ein völlig slavisches, d. h. wendisches Land vor.



Das Land war wendisch geworden, ebenso die östlicheren Territorien zwischen Oder und Weichsel. Aber das

westliche

 Wendenland war doch die Hauptsache. Hier, zwischen Oder und Elbe, standen die berühmtesten Tempel, hier wohnten die tapfersten und mächtigsten Stämme.



Dieser Stämme, wenn wir von kleineren Gemeinschaften vorläufig absehen, waren drei: die

Obotriten

 im heutigen Mecklenburg, die

Liutizen

 in Mark und Vorpommern und die

Sorben

 oder Serben im Meißnischen und der Lausitz.



Unter diesen drei Hauptstämmen der Westwenden, ja vielleicht der Wenden überhaupt, waren wiederum die

Liutizen

, denen also die märkischen Wenden als wesentlicher Bruchteil zugehörten, die ausgedehntesten und mächtigsten. Mit ihnen stand und fiel die Vormauer des Slaventums, und der beste, zuverlässigste und wichtigste Teil der ganzen Wendengeschichte ist die Geschichte dieses Stammes, die Geschichte der

Liutizen

. Šafařik sagt von ihnen: „Unter den polabischen, d. h. den an der Elbe wohnenden Slaven waren die Liutizen oder Lutizer oder Weleten durch ihre Volksmenge und Streitbarkeit, wie durch ihre Ausdauer bei alten Sitten und Gebräuchen, die berühmtesten. Ihr Name wird in den deutschen Annalen von Karl dem Großen bis zu ihrer völligen Unterwerfung (1157) öfter denn irgend ein anderer Volksname genannt; er herrscht sogar in altdeutschen Sagen und Märchen. In russischen Volkssagen wird er noch heutigestags vom Volke mit Schrecken erwähnt.“ So weit Šafařik. Ehe wir indessen zu einer kurzgefaßten Geschichte der Liutizen überhaupt übergehen, schicke ich den Versuch einer politischen Geographie des Liutizer-Landes voraus.



Die Liutizen, wie schon angedeutet, hatten ihre Sitze nicht bloß in der Mark; einige ihrer hervorragendsten Stämme bewohnten Neu-Vorpommern, noch andere das heutige Mecklenburg-Strelitz. Sie lebten innerhalb dieser drei Landesteile: Mark, Strelitz, Vorpommern, in einer nicht genau zu bestimmenden Anzahl von Gauen, von denen folgende die wichtigsten waren oder doch die bekanntesten gewesen sind.

 



In der Mark

: die

Brizaner

 in der Priegnitz; die

Morizaner

 in der Gegend von Leitzkau, Grabow, Nedlitz; die

Stodoraner

 und Heveller in Havelland und Zauche; die

Spriavaner

 im Teltow und Nieder-Barnim, also zu beiden Seiten der Spree; die

Rizianer

 in der Nähe von Wriezen, am Rande des Oderbruches hin; die

Ukraner

 in der Nähe von Pasewalk.



In

Pommern

 und

Mecklenburg-Strelitz

: die

Chizziner

 in der Nähe von Güstrow; die

Circipaner

 um Wolgast herum; die

Dolenzer

 um Demmin und Stolp; die

Ratarer

 oder Redarier zwischen Ober-Havel, Peene und Tollense; die

Woliner

 auf Wollin und Usedom; die

Rugianer

 oder

Ranen

 auf Rügen. Kleinere eingestreute Gaue waren:

Sitna

 oder Ziethen; der

Murizzi

-Gau am Müritz-See; der

Dossaner

 Gau an der Dosse bei Wittstock.



Unter allen diesen Völkerschaften, Stämmen und Stämmchen, man könnte sie Clans nennen, waren wohl die Ranen und die Redarier am wichtigsten, beide als Hüter der zwei heiligsten Tempelstätten Rethra

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  Darüber, wo Rethra oder Ratare stand, schwebt noch immer der Streit. Man nennt folgende Orte: Stargard (Mecklenburg), Malchin, Röbel (am Müritz-See), Rhesa, Strelitz, Prillwitz, Kuhschwanz. Der letztere Ort, unpoetischen Klanges, hat zur Zeit die größten Chancen, als „Rethra“ anerkannt zu werden.



 und Arkona. Die Ranen außerdem noch ausgezeichnet als Seefahrer und siegreich über die Dänen.



Die märkischen Wenden konnten nach dieser Seite hin mit den Wenden in Pommern und Mecklenburg nicht wetteifern, aber andererseits fiel ihnen die Aufgabe zu, in den jahrhundertelangen Kämpfen mit dem andringenden Deutschtum beständig auf der Vorhut zu stehen, und in dem Mute, den die Spree- und Havelstämme in diesen Kämpfen entwickelt haben, wurzelt ihre Bedeutung. Wenn die Ranen, und namentlich auch die Retarier, wie ein Stamm Levi, kirchlich vorherrschten, so prävalierten die märkischen Wenden politisch. Brandenburg, das wir wohl nicht mit Unrecht als den wichtigsten Punkt dieses märkischen Wendenlandes ansehen, wurde neunmal erobert und wieder verloren, siebenmal durch Sturm, zweimal durch Verrat. Die Kämpfe drehten sich mehr oder weniger um seinen Besitz.



Die ersten Berührungen mit der wendischen Welt, mit den Volksstämmen zwischen Elbe und Oder, fanden unter Karl dem Großen statt; sie führten zu nichts Erheblichem. Erst unter dem ersten Sachsenkaiser, Heinrich dem Finkler, wurde eine Unterwerfung der Wenden versucht und durchgeführt.



Diese Kämpfe begannen im Jahre 924 durch einen Einfall Heinrichs in das Land der Stodoraner und durch Wegnahme Brennabors. Dieser Wegnahme folgten Aufstände der Retarier, Stodoraner und Ukraner, woran sich dann neue deutsche Siege reihten.



Es war eine endlos ausgesponnene Kette, in der jedes einzelne Glied so Ursach wie Wirkung war. Die deutsche Grausamkeit schuf wendische Aufstände, und den wendischen Aufständen folgten erneute Niederlagen, die, von immer neuen Grausamkeiten des Siegers begleitet, das alte Wechselspiel wiederholten. So war es unter Kaiser Heinrich, und so war es unter Otto dem Großen. Zweimal wurden die Wenden in blutigen Schlachten niedergeworfen, 929 bei Lunkini (Lenzen),

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  Von dieser Schlacht bei

Lunkini

 (Lenzen) findet sich in „Widukinds sächsischen Geschichten“ eine ausführliche Beschreibung. Die Christen belagerten Lunkini, als die Nachricht eintraf, daß ein großes Wendenheer zum Entsatz der bedrängten Festung heranrücke und während der Nacht das Lager der Christen überfallen wolle. Ein furchtbares Unwetter indes, heftige Regengüsse hinderten den Angriff des Feindes. So kam der Morgen, und die Christen schickten sich nun ihrerseits zum Angriff an. Die Zahl der Wenden war so groß, daß, als die Sonne jetzt hell auf die durchnäßten Kleider der hunderttausend Wenden schien, ein Dampf zum Himmel aufstieg, der sie wie in eine Nebelwolke hüllte, während die Christen in hellem Sonnenlicht heranzogen und ob dieser Erscheinung voll Hoffnung und Zuversicht waren. Nach hartem Kampfe flohen die Wenden; da ihnen aber eine Abteilung den Weg verlegt hatte, so stürzten sie einem See zu, in dem Unzählige ertranken. Die Chronisten geben das Wendenheer auf 200 000 Mann an. „Die Gefangenen wurden alle, wie ihnen verheißen, an einem Tage geköpft.“



 935 am Dosa-Fluß (an der Dosse), aber ihre Kraft war ungebrochen, und der Tag kam heran, der bestimmt war, alle Niederlagen quitt zu machen. Dies war die Schlacht am Tanger-Fluß 983. Da von dieser Zeit an das schon halb tot geglaubte Wendentum einen neuen Aufschwung nahm und noch einmal in aller Macht und Furchtbarkeit aufblühte, so mag es gestattet sein, bei den Vorgängen einen Augenblick zu verweilen, die zu dieser Schlacht am Tanger führten.



Mistewoi

 war Obotritenfürst und bereits Christ geworden. Er hielt zum Herzog Bernhard, der damals Markgraf von Nordmark war, und fühlte sich demselben an Macht, Geburt und Ansehen nah genug, um um dessen Nichte anzuhalten. Der Markgraf versprach sie ihm;

Mistewoi

 aber, um ganz in die Reihe christlicher Fürsten einzutreten, zog zunächst mit tausend wendischen Edelleuten nach Italien und focht an Kaiser Ottos Seite in der großen Schlacht bei Basantello. Als er zurückgekehrt war, erschien er vor Markgraf Bernhard und wiederholte seinen Antrag. Dieser schwankte jetzt aber, und ein anderer deutscher Fürst, der zugegen war, raunte dem Markgrafen zu: „Mit nichten; eines deutschen Herzogs Blutsverwandte gehört nicht an die Seite eines

wendischen Hundes

.“ Mistewoi hatte gehört, was der Nebenstehende halblaut vor sich hin gesprochen hatte, und verließ die Halle. Bernhard, der das nun Bevorstehende ahnen mochte, schickte dem tödlich verletzten Wendenfürsten Boten nach, aber dieser ließ nur antworten: „Der Tag kommt, wo die Hunde beißen.“ Er ging nun nach Rethra, wo der Haupttempel aller wendischen Stämme stand, und rief – die Obotriten standen selbstverständlich zu ihm – auch alle

liutizischen

 Fürsten zusammen und erzählte ihnen die erlittene Schmach. Dann tat er sein Christentum von sich und bekannte sich vor dem Bilde Radegasts aufs neue zu den alten Göttern. Gleich darauf ließ er dem Sachsengrafen sagen: „Nun hab acht, Mistewoi der Hund kommt, um zu bellen und wird bellen, daß ganz Sachsenland erschrecken soll.“ Der Markgraf aber antwortete: „Ich fürchte nicht das Brummen eines Bären, geschweige das Bellen eines Hundes.“ Am Tangerfluß kam es zur Schlacht, und die Sachsen wurden geschlagen. Das hatte Mistewoi der Hund getan. Die Unterwerfung, die 924 begonnen hatte, hatte 983 wieder ein Ende.



Der Dom zu Brandenburg wurde zerstört, und aus dem Harlunger Berge erhob sich das Bild des Triglaw. Von dort aus sah es noch wieder einhundertundfünfzig Jahre lang in

wendische

 Lande hinein. Die Liutizen waren frei.



Drei Generationen hindurch hielt sich, nach diesem großen Siege, die Macht der Wenden unerschüttert; Kämpfe fanden statt, sie rüttelten an der wiedererstandenen Wendenmacht, aber sie brachen sie nicht. Erst mit dem Eintritt des zwölften Jahrhunderts gingen die Dinge einer Wandlung entgegen; die Wendenstämme, unter einander in Eifersüchteleien sich aufreibend, zum Teil auch uneins durch die rastlos weiter wirkende Macht des Christentums, waren endlich wie ein unterhöhlter Bau, der bei dem ersten ernsteren Sturme fallen

müßte

. Die Spree- und Havellandschaften waren, so scheint es, die letzten Zufluchtsstätten des alten Wendentums; Brennabor, nachdem rund umher immer weiteres Terrain verloren gegangen war, war mehr und mehr der Punkt geworden, an dessen Besitz sich die Frage knüpfte, wer Herrscher sein solle im Lande, Sachse oder Wende, Christentum oder Heidentum. Das Jahr 1157, wie eingangs schon bemerkt, entschied über diese Frage. Albrecht der Bär erstürmte Brennabor, die letzten Aufstände der Brizaner und Stodoraner wurden niedergeworfen, und mit der Unterwerfung des Spree- und Havellandes empfing das Wendenland zwischen Elbe und Oder überhaupt den Todesstoß. (Rethra war schon vorher gefallen, wenigstens seiner höchsten Macht entkleidet worden. Nur der Swantewittempel auf Arkona hielt sich um zwanzig Jahre länger, bis der Dänenkönig „Waldemar der Sieger“ auch diesen zerstörte.)



Soviel in kurzen Zügen von der Geschichte des Wendenlandes zwischen Elbe und Oder. Wir wenden uns jetzt einer mehr kulturhistorischen Untersuchung zu und stellen zusammen, was wir über Charakter, über Sitte, Recht und Kultur des alten Wendentums wissen.



2.

Lebensweise. Sitten. Tracht



Sie spinnen.

Haben Linnen,

Sie regeln

Den Fluß und das Wehr,

Und mit Schiffen und Segeln

Sind sie zu Hause auf offnem Meer.



Die Frage ist oft aufgeworfen worden, ob die Wenden wirklich auf einer viel niedrigeren Stufe als die vordringenden Deutschen gestanden hätten, und diese Frage ist nicht immer mit einem bestimmten „Ja“ beantwortet worden. Sehr wahrscheinlich war die Superiorität der Deutschen, die man schließlich wird zugeben müssen,

weniger

 groß, als deutscherseits vielfach behauptet worden ist.



Die Wenden, um mit ihrer Wohnung zu beginnen, hausten keineswegs, wie ein mir vorliegender Stich sie darstellt, in verpalisadierten Erdhöhlen, um sich gleichzeitig gegen Wetter und Wölfe zu schützen; sie hatten vielmehr Bauten mannigfacher Art, die durchaus wirklichen Häusern entsprachen. Daß von ihren Gebäuden, öffentlichen und privaten, kein einziges bestimmt nachweisbar auf uns gekommen ist, könnte dafür sprechen, daß diese Bauten von einer inferioren Beschaffenheit gewesen wären; wir dürfen aber nicht vergessen, daß die siegreichen Deutschen natürlich alle hervorragenden Gebäude, die sämtlich Tempel oder Vesten waren, sei es aus Rache oder sei es zu eigner Sicherheit, zerstörten, während die schlichten Häuser und Hütten im Laufe der Jahrhunderte sich natürlich eben so wenig erhalten konnten, wie

deutsche

 Häuser und Hütten aus jener Zeit.



Die Wenden, so viel steht fest, hatten verhältnismäßig wohleingerichtete Häuser, und die Frage bleibt zunächst nur,

wie

 waren diese Häuser. Wahrscheinlich sehr verschiedener Art. Wie wir noch jetzt, oft bunt durcheinander, noch häufiger nach Distrikten geschieden, Lehmkathen, Fachwerk-, Feldstein- und Backsteinhäuser finden, der Stroh-, Schilf-, Schindel- und Ziegeldächer ganz zu geschweigen, so war es auch in alten Wendenzeiten, nur noch wechselnder, nur noch abhängiger von dem Material, das gerade zur Hand war. In den Fischerdörfern an der Spree und Havel hin, in den Sumpfgegenden, die kein anderes Material kannten als Elsen und Eichen, waren die Dörfer mutmaßlich Blockhäuser, wie man ihnen bis diesen Tag in den Spreewaldgegenden begegnet; auf dem Feldstein-übersäten Barnim-Plateau richteten sich, wie noch jetzt vielfach in den dortigen Dörfern geschieht, die Wohnungen höchstwahrscheinlich aus Feldstein auf; in fruchtbaren Gegenden aber, wo der Lehm zu Tage lag, wuchs das Lehm- und das Ziegelhaus auf, denn die Wenden verstanden sich sehr wohl auf die Nutzung des Lehms und sehr wahrscheinlich auch auf das Ziegelbrennen. Daß sie unter ihrem Gerät nachweisbar auch den

Mauer

hammer hatten, deutet wenigstens darauf hin. Einzelne

dieser

 Dinge sind nicht geradezu zu beweisen, aber sie

müssen

 so gewesen sein nach einem Naturgesetz, das fortwirkt bis auf diesen Tag. Armes oder unkultiviertes Volk baut sich seine Wohnungen aus dem, was es zunächst hat: am Vesuv aus Lava, in Irland aus Torf, am Nil aus Nilschlamm, an den Pyramiden aus Trümmern vergangener Herrlichkeit. So war es immer, wird es immer sein. Und so war es auch bei den Wenden.



Die Wenden aber hatten nicht nur Häuser, sie wohnten auch in Städten und Dörfern, die sich zu vielen Hunderten durch das Land zogen. Die wendischen Namen unserer Ortschaften beweisen dies zur Genüge. Manche Gegenden haben nur wendische Namen. Um ein Beispiel statt vieler zu geben, die Dörfer um Ruppin herum heißen: Karwe, Gnewikow, Garz, Wustrau, Bechlin, Stöffin, Kränzlin, Metzeltin, Dabergotz, Ganzer, Lenzke, Manker etc., lauter wendische Namen. Ähnlich ist es überall in der Mark, in Lausitz und Pommern. Selbst viele deutsch klingende Namen wie Wustrau, Wusterhausen etc. sind nur ein germanisiertes Wendisch.

 



Wie die Dörfer waren, ob groß oder klein, ob stark bevölkert oder schwach, kann, da jegliche bestimmte Angabe darüber fehlt, nur mittelbar herausgerechnet, nur hypothetisch festgestellt werden. Die große Zahl der Totenurnen, die man findet, außerdem die Mitteilungen Thietmars u. a., daß bei Lunkini 100 000 Wenden gefallen seien, scheinen darauf hinzudeuten, daß das Land allerdings stark bevölkert war.



Unsicher, wie wir über Art und Größe der wendischen Dörfer sind, sind wir es auch über die

Städte

. Einzelne galten für bedeutend genug, um mit den Schilderungen ihres Glanzes und ihres Unterganges die Welt zu füllen, und wie geneigt wir sein mögen, der poetischen Darstellung an diesem Weltruhme das beste Teil zuzuschreiben, so kann doch das Geschilderte nicht ganz Fiktion gewesen sein, sondern muß in irgend etwas Vorhandenem seine reale Anlehnung gehabt haben. Besonderes Ansehen hatten die

Handels

städte am baltischen Meere. Unter diesen war Jumne, wahrscheinlich am Ausfluß der Swine gelegen, eine der gefeiertsten. Adam von Bremen erzählt von ihr: sie sei eine sehr angesehene Stadt und der größte Ort, den das heidnische Europa aufzuweisen habe. „In ihr – so fährt er fort – wohnen Slaven und andere Nationen, Griechen und Barbaren. Und auch den dort ankommenden Sachsen ist, unter gleichem Rechte mit den Übrigen, zusammen zu wohnen verstattet, freilich nur, so lange sie ihr Christentum nicht öffentlich kundgeben. Übrigens wird, was

Sitte

 und

Gastlichkeit

 anlangt, kein Volk zu finden sein, das sich ehrenwerter und dienstfertiger bewiese. Jene Stadt besitzt auch alle möglichen Annehmlichkeiten und Seltenheiten. Dort findet sich der Vulkanstopf, den die Eingeborenen das „griechische Feuer“ nennen; dort zeigt sich auch Neptun in dreifacher Art, denn von drei Meeren wird jene Insel bespült, deren eins von ganz grünem Aussehen sein soll, das zweite aber von weißlichem; das dritte ist durch ununterbrochene Stürme beständig in wutvoll brausender Bewegung.“



Diese Beschreibungen zeitgenössischer Schriftsteller, wie auch die Beschreibung von Vineta oder Julin (die beide dasselbe sind) beziehen sich auf wendische

Handels-

 und Küstenstädte. Es ist indessen wahrscheinlich, daß die Binnenstädte wenig davon verschieden waren, wenn auch vielleicht etwas geringer. An Handel waren sie gewiß unbedeutender,

aber dafür standen sie dem deutschen Leben und seinem Einfluß näher

.



Wenden wir uns nunmehr der Frage zu, wie

lebten

 die Wenden in ihren Dörfern und Städten, wie kleideten, wie beschäftigten sie sich, so wird das Wenige, was wir bis hierher sagen konnten, auch ein gewisses Licht auf

diese

 Dinge werfen. Wie beschäftigten sie sich? Neben der Führung der Waffen, die Sache jedes Freien war, gab es ein mannigfach gegliedertes Leben. Die Ausschmückung der Tempel – Ausschmückungen, wie man ihnen noch jetzt in altrussischen Kirchen begegnet und wie sie in den alten Schriftstellern der Wendenzeit vielfach beschrieben werden – lassen keinen Zweifel darüber, daß die Wenden eine Art von Kunst, wenigstens von Kunsthandwerk, kannten und übten. Sie schnitzten ihre Götzenbilder in Holz oder fertigten sie aus Erz und Gold, sie bemalten ihre Tempel und färbten das Schnitzwerk, das als groteskes Ornament die Tempel zierte. Den Schiffbau kannten sie, wie die kühnen Seeräuberzüge der Runen zur Genüge beweisen, und ihr Haus- und Kriegsgerät war mannigfacher Art. Sie kannten den Haken zur Beackerung und die Sichel, um das Korn zu schneiden. Die

feineren

 Wollen-Zeuge, so berichten die Chronisten, kamen aus Sachsen; aber eben aus dieser speziellen Anführung geht hervor, daß die minder feinen im Lande selber bereitet wurden. Einheimische Arbeit war auch die Leinwand, in welche die Nation sich kleidete und wovon sie zu Segeln und Zelten große Mengen gebrauchte. Es ist also wohl nicht zu bezweifeln, daß der Webstuhl im Wendenlande bekannt war wie im ganzen Norden bis nach Island, und daß die Hände, welche den Flachs und den Hanf dem Erdboden abgewannen, ihn auch zu verarbeiten verstanden. Die Hauptbeschäftigungen blieben freilich Jagd und Fischerei, daneben die

Bienenzucht

. Das Land wies darauf hin. Noch jetzt, in den slavischen Flachlanden Osteuropas, auf den Strecken zwischen Wolga und Ural, wo weite Heiden mit Lindenwäldern wechseln, begegnen wir denselben Erscheinungen, derselben Beschäftigung. Die Honigerträge waren reich und wichtig, we