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Der Stechlin

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Sonnenuntergang

Sechsunddreißigstes Kapitel

Der alte Dubslav, als er bald nach elf auf seinem Granseer Bahnhof eintraf, fand da Martin und seinen Schlitten bereits vor. Engelke hatte zum Glück für warme Sachen gesorgt, denn es war inzwischen recht kalt geworden. Im ersten Augenblicke tat dem Alten, in dessen Coupé die herkömmliche Stickluft gebrütet hatte, der draußen wehende Ostwind überaus wohl; sehr bald aber stellte sich ein Frösteln ein. Schon tags zuvor, bei Beginn seiner Reise, war ihm nicht so recht zumute gewesen, Kopfweh, Druck auf die Schläfe; jetzt war derselbe Zustand wieder da. Trotzdem nahm er's leicht damit und sah in das Sterngeflimmer über ihm. Die wie Riesenbesen aufragenden Pappeln warfen dunkle, groteske Schatten über den Weg, während er die nach links und rechts hin liegenden toten Schneefelder mit den wechselnden Bildern alles dessen, was ihm der zurückliegende Tag gebracht harte, belebte. Da sah er wieder die mit rotem Teppich belegte Hotel-Marmortreppe mit dem Oberkellner in Gesandtschaftsattachéhaltung, und im nächsten Augenblicke den Garnisonkirchenküster, den er anfänglich für einen zur Feier eingeladenen Konsistorialrat gehalten hatte. Daneben aber stand die blasse, schöne Braut und die reizende, bieg- und schmiegsame Melusine. »Ja, der alte Barby, wenn er auf

die

 sieht, der hat's gut, der kann es aushalten. Immer einen guten und klugen Menschen um sich haben, immer was hören und sehen, was einen anlacht und erquickt, das ist was. Aber ich! Ich für meinen Teil, gleichviel ob mit oder ohne Schuld, ich war immer nur auf ein Pflichtteil gesetzt, – als Kind, weil ich faul war, und als Leutnant, weil ich nicht recht was hatte. Dann kam ein Lichtblick. Aber gleich danach starb sie, die mir Stab und Stütze hätte sein können, und durch all die dreißig Jahre, die seitdem kamen und gingen, blieb mir nichts als Engelke (der noch das Beste war) und meine Schwester Adelheid. Gott, verzeih mir's, aber ein Trost war die nicht; immer bloß herbe wie'n Holzapfel.«



Unter solchen Betrachtungen fuhr er in das Dorf ein und hielt gleich danach vor der Tür seines alten Hauses. Engelke war schon da, half ihm und tat sein Bestes, ihn aus der schweren Wolfsschur herauszuwickeln. Der immer noch Fröstelnde stapfte dabei mit den Füßen, warf seinen Staatshut – den er unterwegs, weil er ihn drückte, wohl hundertmal verwünscht hatte – mit ersichtlicher Befriedigung beiseite und sagte gleich danach beim Eintreten in sein Zimmer: »Ach, das is recht, Engelke. Du hast ein Feuer gemacht; du weißt, was einem alten Menschen gut tut. Aber es reicht noch nicht aus. Ob wohl unten noch heißes Wasser ist? So'n fester Grog, der sollte mir jetzt passen; ich friere Stein und Bein.«



»Heiß Wasser is nicht mehr, gnädiger Herr. Aber ich kann ja ne Kasseroll aufstellen. Oder noch besser, ich hole den Petroleumkocher.«



»Nein, nein, Engelke, nicht soviel Umstände. Das mag ich nicht. Und den Petroleumkocher, den erst recht nich; da kriegt man bloß Kopfweh, und ich habe schon genug davon. Aber bringe mir den Kognak und kaltes Wasser. Und wenn man dann so halb und halb nimmt, dann is es so gut, als wär es ganz heiß gewesen.«



Engelke brachte, was gefordert, und eine Viertelstunde danach ging Dubslav zu Bett.



Er schlief auch gleich ein. Aber bald war er wieder wach und druste nur noch so hin. So kam endlich der Morgen heran.



Als Engelke zu gewohnter Stunde das Frühstück brachte, schleppte sich Dubslav mühsamlich von seinem Schlafzimmer bis an den Frühstückstisch. Aber es schmeckte ihm nicht. »Engelke, mir ist schlecht; der Fuß ist geschwollen, und das mit dem Kognak gestern abend war auch nicht richtig. Sage Martin, daß er nach Gransee fährt und Doktor Sponholz mitbringt. Und wenn Sponholz nicht da ist – der arme Kerl kutschiert in einem fort rum; ohne Landpraxis geht es nicht –, dann soll er warten, bis er kommt.«



Es traf sich so, wie Dubslav vermutet hatte; Sponholz war wirklich auf Landpraxis und kam erst nachmittags zurück. Er aß einen Bissen und stieg dann auf den Stechliner Wagen.



»Na, Martin, was macht denn der gnädge Herr?«



»Joa, Herr Doktor, ick möt doch seggen, he seiht en beten verännert ut; em wihr schon nich so recht letzten Sünndag, un doa müßt he joa nu grad nach Berlin. Un ick weet schon, wenn ihrst een nach Berlin muß, denn is ook ümmer wat los. Ick weet nich, wat se doa mit'n ollen Minschen moaken.«



»Ja, Martin, das ist die große Stadt. Da übernehmen sie sich denn. Und dann war ja auch Hochzeit. Da werden sie wohl ein bißchen gepichelt haben. Und vorher die kalte Kirche. Und dazu so viele feine Damen. Daran ist der gnädge Herr nicht mehr gewöhnt, und dann will er sich berappeln und strengt sich an, und da hat man denn gleich was weg.«



Es dämmerte schon, als der kleine Jagdwagen auf der Rampe vorfuhr. Sponholz stieg aus, und Engelke nahm ihm den grauen Mantel mit Doppelkragen ab und auch die hohe Lammfellmütze, darin er – freilich das einzige an ihm, das diese Wirkung ausübte – wie ein Perser aussah.



So trat er denn bei Dubslav ein. Der alte Herr saß an seinem Kamin und sah in die Flamme.



»Nun, Herr von Stechlin, da bin ich. War über Land. Es geht jetzt scharf. Jeder dritte hustet und hat Kopfweh. Natürlich Influenza. Ganz verdeubelte Krankheit.«



»Na,

die

 wenigstens hab ich nicht.«



»Kann man nicht wissen. Ein bißchen fliegt jedem leicht an. Nun, wo sitzt es?«



Dubslav wies auf sein rechtes Bein und sagte: »Stark geschwollen. Und das andre fängt auch an.«



»Hm. Na, wollen mal sehen. Darf ich bitten?«



Dubslav zog sein Beinkleid herauf, den Strumpf herunter und sagte: »Da is die Bescherung. Gicht ist es nicht. Ich habe keine Schmerzen … Also was andres.«



Sponholz tippte mit dem Finger auf dem geschwollenen Fuß herum und sagte dann: »Nichts von Belang, Herr von Stechlin. Einhalten, Diät, wenig trinken, auch wenig Wasser. Das verdammte Wasser drückt gleich nach oben, und dann haben Sie Atemnot. Und von Medizin bloß ein paar Tropfen. Bitte bleiben Sie sitzen; ich weiß ja Bescheid hier.« Und dabei ging er an Dubslavs Schreibtisch heran, schnitt sich ein Stück Papier ab und schrieb ein Rezept. »Ihr Kutscher, das wird das beste sein, kann bei der Apotheke gleich mit vorfahren.«



Im Vorflur, nach Verabschiedung von Dubslav, fuhr Sponholz alsbald wieder in seinen Mantel. Engelke half ihm und sagte dabei: »Na, Herr Doktor?«



»Nichts, nichts, Engelke!«



Martin mit seinem Jagdwagen hielt noch wartend auf der Rampe draußen, und so ging es denn in rascher Fahrt wieder nach der Stadt zurück, von wo der alte Kutscher die Tropfen gleich mitbringen sollte.



Der Winterabend dämmerte schon, als Martin zurück war und die Medizin an Engelke abgab. Der brachte sie seinem Herrn.



»Sieh mal,« sagte dieser, als er das rundliche Fläschchen in Händen hielt, »die Granseer werden jetzt auch fein. Alles in rosa Seidenpapier gewickelt.« Auf einem angebundenen Zettel aber stand: »Herrn Major von Stechlin. Dreimal täglich zehn Tropfen.« Dubslav hielt die kleine Flasche gegen das Licht und tröpfelte die vorgeschriebene Zahl in einen Löffel voll Wasser. Als er sie genommen hatte, bewegte er die Lippen hin und her, etwa wie wenn ein Kenner eine neue Weinsorte probt. Dann nickte er und sagte: »Ja, Engelke, nu geht es los. Fingerhut.«



Der alte Dubslav nahm durch mehrere Tage hin seine Tropfen ganz gewissenhaft und fand auch, daß sich's etwas bessere. Die Geschwulst ging um ein geringes zurück. Aber die Tropfen nahmen ihm den Appetit, so daß er noch weniger aß, als ihm gestattet war.



Es war ein schöner Frühmärzentag, die Mittagszeit schon vorüber. Dubslav saß an der weit offenstehenden Glastür seines Gartensalons und las die Zeitung. Es schien indes, daß ihm das, was er las, nicht sonderlich gefiel. »Ach, Engelke, die Zeitung ist ja soweit ganz gut; nur so für den ganzen Tag ist sie doch zu wenig. Du könntest mir lieber ein Buch bringen.«



»Was für eines?«



»Is egal.«



»Da liegt ja noch das kleine gelbe Buch: ›Keine Lupine mehr!‹«



»Nein, nein; nicht so was. Lupine, davon hab ich schon so viel gelesen; das wechselt in einem fort, und eins ist so dumm wie das andre. Die Landwirtschaft kommt doch nicht wieder obenauf oder wenigstens nicht durch so was. Bringe mir lieber einen Roman; früher in meiner Jugend sagte man Schmöker. Ja, damals waren alle Wörter viel besser als jetzt. Weißt du noch, wie ich mir in dem Jahre, wo ich Zivil wurde, den ersten Schniepel machen ließ? Schniepel is auch solch Wort und doch wahrhaftig besser als Frack. Schniepel hat so was Fideles: Einsegnung, Hochzeit, Kindtaufe.«



»Gott, gnädiger Herr, immer is es doch auch nicht so. Die meisten Schniepel sind doch, wenn einer begraben wird.«



»Richtig, Engelke. Wenn einer begraben wird. Das war ein guter Einfall von dir. Früher würd ich gesagt haben ›zeitgemäß‹; jetzt sagt man ›opportun‹. Hast du schon mal davon gehört?«



»Ja, gnädiger Herr, gehört hab ich schon mal davon.«



»Aber nich verstanden. Na, ich eigentlich auch nich. Wenigstens nicht so recht. Und du, du warst ja nich mal auf Schulen.«



»Nein, gnädiger Herr.«



»Alles in allem, sei froh drüber … Aber, Engelke, wenn du mir nu ein Buch gebracht hast, dann will ich mich mit meinem Stuhl doch lieber gleich auf die Veranda rausrücken. Es ist wie Frühling heut. Solche guten Tage muß man mitnehmen. Und bringe mir auch ne Decke. Früher war ich nich so fürs Pimplige; jetzt aber heißt es: besser bewahrt als beklagt.«



In dem ganzen Dreieck zwischen Rheinsberg, Kloster Wutz und Gransee hatte sich die Nachricht von des alten Dubslav ernster Erkrankung mehr und mehr herumgesprochen, und es war wohl im Zusammenhange damit, daß ungefähr um dieselbe Stunde, wo Dubslav und Engelke sich über »Schniepel« und »opportun« unterhielten, ein Einspänner auf die Stechliner Rampe fuhr, ein etwas sonderbares Gefährt, dem der alte Baruch Hirschfeld langsam und vorsichtig entstieg. Engelke war ihm dabei behilflich und meldete gleich danach, daß der Alte da sei.

 



»Der alte Baruch! Um Gottes willen, Engelke, was will denn der? Es ist ja doch glücklicherweise nichts los. Und so ganz aus freien Stücken. Na, laß ihn kommen.«



Und Baruch Hirschfeld trat gleich darauf ein.



Dubslav, in seine Decke gewickelt, begrüßte den Alten. »Aber, Baruch, um alles in der Welt, was gibt es? Was bringen Sie? Gleichviel übrigens, ich freue mich, Sie zu sehn. Machen Sie sich's so bequem, wie's auf den drei Latten eines Gartenstuhls überhaupt möglich ist. Und dann noch einmal: Was gibt es? Was bringen Sie?«



»Herr Major wollen entschuldigen, es gibt nichts, und ich bringe auch nichts. Ich kam da bloß so vorbei, Geschäfte mit Herrn von Gundermann, und da wollt ich mir doch die Freiheit genommen haben, mal nach der Gesundheit zu fragen. Habe gehört, der Herr Major seien nicht ganz gut bei Wege.«



»Nein, Baruch, nicht ganz gut bei Wege, beinahe schon schlecht genug. Aber lassen wir das schlimme Neue; das Alte war doch eigentlich besser (das heißt dann und wann), und manchmal denk ich so an alles zurück, was wir so gemeinschaftlich miteinander durchgemacht haben.«



»Und immer glatt, Herr Major, immer glatt, ohne Schwierigkeiten.«



»Ja,« lachte Dubslav, »

gemacht

 hab ich keine Schwierigkeiten, aber

gehabt

 hab ich genug. Und das weiß keiner besser als mein Freund Baruch. Und nun sagen Sie mir vor allem, was macht Ihr Isidor, der große Volksfreund? Ist er mit Torgelow noch zufrieden? Oder sieht er, daß sie da auch mit Wasser kochen? Ich wundere mich bloß, daß ein Sohn von Baruch Hirschfeld, Sohn und Firmateilhaber, so sehr für den Umsturz ist.«



»Nicht für den Umsturz, Herr Major. Isidor, wenn ich so sagen darf, ist für die alte Valuta. Aber nebenher hat er ein Herz für die Menschheit.«



»Hat er? Na, das ist recht.«



»Und das Herz für die Menschheit, das haben wir alle, Herr Major. Und kommt uns dabei was heraus, so haben wir, wenn ich so sagen darf, die Dividende. Gott der Gerechte, wir brauchen's. Und weil ich rede von Dividende, will ich auch reden von Hypothek. Wir haben da seit letzten Freitag 'n Kapital, Granseer Bürger, und will's hergeben zu dreiundeinhalb.«



»Nu, Baruch, das ist hübsch. Aber im Augenblick bin ich's nicht benötigt. Vielleicht später mal mein Woldemar. Der hat, wie Sie wissen, ne reiche Partie gemacht, und wer viel erheiratet, der braucht auch viel. Man denkt immer, ›dann hört es auf‹, aber das ist falsch, dann fängt es erst recht an. Unter allen Umständen seien Sie bedankt, daß Sie mal haben sehen wollen, wie's mit mir steht. Ich kann leider nur wiederholen, schlecht genug. Aber eine Weile dauert es wohl noch. Und wenn auch nicht, mit meinem Sohne wird sich, denk ich, gerade so wie zwischen uns zwei beiden, alles glatt abwickeln, glatter noch, und vielleicht können Sie gemeinschaftlich mal was Nettes herauswirtschaften, was Ordentliches, was Großes, was sich sehen lassen kann. Das heißt dann neue Zeit. Und nun, Baruch, müssen Sie noch ein Glas Sherry nehmen. In unserm Alter ist das immer das beste. Das heißt für Sie, der Sie noch gut im Gange sind. Ich darf bloß noch mit anstoßen.«



Eine Viertelstunde später fuhr Baruch auf seinem Wägelchen wieder in den Stechliner Wald hinein und dachte wenig befriedigt über alles nach, was er da drinnen gehört hatte. Die geträumten Schloß-Stechlin-Tage schienen mit einemmale für immer vorüber. Alles, was der alte Herr da so nebenher von »gemeinschaftlich herauswirtschaften« gesagt hatte, war doch bloß ein Stich, eine Pike gewesen.



Ja, Baruch fühlte was wie Verstimmung. Aber Dubslav auch. Es war ihm zu Sinn, als hätt er seinen alten Granseer Geld- und Geschäftsfreund (trotzdem er dessen letzte Pläne nicht einmal ahnte) zum erstenmal auf etwas Heimlichem und Verstecktem ertappt, und als Engelke kam, um die Sherryflasche wieder wegzuräumen, sagte er: »Engelke, mit Baruch is es auch nichts. Ich dachte wunder, was das für ein Heiliger wär, und nun is der Pferdefuß doch schließlich rausgekommen. Wollte mir da Geld auf Hypothek beinah aufzwingen, als ob ich nicht schon genug davon hätte … Sonderbar, Uncke, mit seinem ewigen ›zweideutig‹, wird am Ende doch recht behalten. Überhaupt solche Polizeimenschen mit nem Karabiner über die Schulter, das sind, bei Lichte besehn, immer die feinsten Menschenkenner. Ich ärgere mich, daß ich's nicht eher gemerkt habe. So dumm zu sein! Aber das mit der ›Krankheit‹ heute, das war mir doch zuviel. Wenn sich die Menschen erst nach Krankheit erkundigen, dann ist es immer schlimm. Eigentlich is es jedem gleich, wie's einem geht. Und ich habe sogar welche gekannt, die sahen sich, wenn sie so fragten, immer schon die Möbel und Bilder an und dachten an nichts wie an Auktion.«



Siebenunddreißigstes Kapitel

Auch die nächsten Tage waren beinahe sommerlich, taten dem Alten wohl und erleichterten ihm das Atmen. Er begann wieder zu hoffen, sprach mit Wirtschaftsinspektor und Förster und war nicht bloß voll wiedererwachten Interesses, sondern überhaupt guter Dinge.



So kam Mitte März heran. Der Himmel war blau, Dubslav saß auf seiner Veranda, den kleinen Springbrunnen vor sich, und sah dabei das leichte weiße Gewölk ziehen. Vom Park her vernahm er den ersten Finkenschlag. Er mochte wohl schon eine Stunde so gesessen haben, als Engelke kam und den Doktor meldete.



»Das ist recht, Sponholz, daß Sie kommen. Nicht um mir zu helfen (das ist immer schlimm, wenn einem erst geholfen werden soll), nein, um zu sehen, daß Sie mir schon geholfen haben. Diese Tropfen. Es ist doch was damit. Wenn sie nur nicht so schlecht schmeckten; ich muß mir immer einen Ruck geben. Und daß sie so grün sind. Grün ist Gift, heißt es bei den Leuten. Eigentlich eine ganz dumme Vorstellung. Wald und Wiese sind auch grün und doch so ziemlich unser Bestes.«



»Ja, es ist ein Spezifikum. Und ich bin froh, daß die Digitalis hier bei Ihnen mal wieder zeigt, was sie kann. Und ich bin doppelt froh, weil ich mich auf sechs Wochen von Ihnen verabschieden muß.«



»Auf sechs Wochen. Aber Doktor, das is ja ne halbe Ewigkeit. Haben Sie Schulden gemacht und sollen in Prison?«



»Man könnte beinahe so was denken. Denn so lange Gransee historisch beglaubigt dasteht, ist noch kein Doktor auf sechs Wochen weg gewesen, noch dazu ein Kreisphysikus. Eine Doktorexistenz gestattet solchen Luxus nicht. Wie lebt man denn hier? Und wie hat man gelebt? Immer Furunkel aufgeschnitten, immer Karbolwatte, immer in den Wagen gestiegen, immer einem alten Erdenbürger seinen Entlassungsschein ausgestellt oder einen neuen Erdenbürger geholt. Und nun sechs Wochen weg. Wie ich meinen Kreis wiederfinden werde … nu, vielleicht hat Gott ein Einsehen.«



»Er ist doch wohl eigentlich der beste Assistenzarzt.«



»Und vor allem der billigste. Der andre, den ich mir aus Berlin habe verschreiben müssen (ach, und so viel Schreiberei), der ist teurer. Und meine Reise kommt mir ohnedies schon teuer genug.«



»Aber wohin denn, Doktor?«



»Nach Pfäffers.«



»Pfäffers. Kenn ich nicht. Und was wollen Sie da? Warum? Wozu?«



»Meine Frau laboriert an einem Rheumatismus, hochgradig, schon nicht mehr schön. Und da ist denn Pfäffers der letzte Trumpf. Schweizerbad mit allen Schikanen und wahrscheinlich auch mit allen Kosten. Ein Granseer, der allerdings für Geld gezeigt werden kann, war mal an diesem merkwürdigen Ort und hat mir denn auch ne Beschreibung davon gemacht. Habe natürlich auch noch im Bädeker nachgeschlagen und unter anderm einen Fluß da verzeichnet gefunden, der Tamina heißt. Erinnert ein bißchen an Zauberflöte und klingt soweit ganz gut. Aber trotzdem eine tolle Geschichte, dies Pfäffers. Soweit es nämlich als Bad in Betracht kommt, ist es nichts als ein Felsenloch, ein großer Backofen, in den man hineingeschoben wird. Und da hockt man denn, wie die Indianer hocken, und die Dämpfe steigen siedeheiß von unten herauf. Wer da nicht wieder zustande kommt, der kann überhaupt einpacken. Übrigens will ich für meine Person gleich mit hineinkriechen. Denn das darf ich wohl sagen, wer so fünfunddreißig Jahre lang durch Kreis Gransee hin und her kutschiert ist, mitunter bei Ostwind, der hat sich sein Gliederreißen ehrlich verdient. Sonderbar, daß der Hauptteil davon auf meine Frau gefallen ist.«



»Ja, Sponholz, in einer christlichen Ehe …«



»Freilich, Herr Major, freilich. Wiewohl das mit ›christlicher Ehe‹ auch immer bloß so so ist. Da hatten wir, als ich noch Militär war, einen Kompaniechirurgus, richtige alte Schule, der sagte, wenn er von so was hörte: ›Ja, christliche Ehe, ganz gut, kenn ich. Is wie Schinken in Burgunder. Das eine is immer da, aber das andere fehlt.‹«



»Ja,« sagte Dubslav, »diese richtigen alten Kompaniechirurgusse, die hab ich auch noch gekannt. Blutige Zyniker, jetzt leider ausgestorben … Und in solchem Pfäfferschen Backofen wollen Sie sechs Wochen zubringen?«



»Nein, Herr von Stechlin, nicht solange. Bloß vier, höchstens vier. Denn es strengt sehr an. Aber wenn man nu doch mal da ist, ich meine in der Schweiz und da herum, wo sie stellenweise schon Italienisch sprechen, da will man doch schließlich auch gern in das gelobte Land Italia hineinkucken. Und da haben wir denn also, meine Frau und ich, vor, von diesem Pfäffers aus erst noch durch die Viamala zu fahren, den Splügen hinauf oder auf irgendeinen andern Paß. Und wenn wir dann einen Blick in all die Herrlichkeit drüben hinein getan haben, dann kehren wir wieder um, und ich für meine Person ziehe mir wieder meinen grauen Mantel an (denn für die Reise hab ich mir einen neuen Paletot bauen lassen) und kutschiere wieder durch Kreis Gransee.«



»Na, Sponholz, das freut mich aber wirklich, daß Sie mal rauskommen. Und bloß wenn Sie durch die Viamala fahren, da müssen Sie sich in acht nehmen.«



»Waren Sie denn mal da, Herr Major?«



»Bewahre. Meine Weltfahrten, mit ganz schwachen Ausnahmen, lagen immer nur zwischen Berlin und Stechlin. Höchstens mal Dresden und ein bißchen ins Bayrische. Wenn man so gar nicht mehr weiß, wo man hin soll, fährt man natürlich nach Dresden. Also Viamala nie gesehen. Aber ein Bild davon. Im allgemeinen ist Bilderankucken auch nicht gerade mein Fall, und wenn die Museums von mir leben sollten, dann täten sie mir leid. Indessen wie so der Zufall spielt, mal sieht man doch so was, und war da auf dem Viamala-Bilde ne Felsenschlucht mit Figuren von einem sehr berühmten Malermenschen, der, glaub ich, Böcking oder Böckling hieß.«



»Ah so. Einer, wenn mir recht ist, heißt Böcklin.«



»Wohl möglich, daß es der gewesen ist. Ja, sogar sehr wahrscheinlich. Nun sehen Sie, Doktor, da war denn also auf diesem Bilde diese Viamala, mit einem kleinen Fluß unten, und über den Fluß weg lief ein Brückenbogen, und ein Zug von Menschen (es können aber auch Ritter gewesen sein) kam grade die Straße lang. Und alle wollten über die Brücke.«



»Sehr interessant.«



»Und nun denken Sie sich, was geschieht da? Grade neben dem Brückenbogen, dicht an der rechten Seite, tut sich mit einem Male der Felsen auf, etwa wie wenn morgens ein richtiger Spießbürger seine Laden aufmacht und nachsehen will, wie's Wetter ist. Der aber, der an dieser Brücke da von ungefähr rauskuckte, hören Sie, Sponholz, das war kein Spießbürger, sondern ein richtiger Lindwurm oder so was Ähnliches aus der sogenannten Zeit der Saurier, also so weit zurück, daß selbst der älteste Adel (die Stechline mit eingeschlossen) nicht dagegen ankann, und dies Biest, als der herankommende Zug eben den Fluß passieren wollte, war mit seinem aufgesperrten Rachen bis dicht an die Menschen und die Brücke heran, und ich kann Ihnen bloß sagen, Sponholz, mir stand, als ich das sah, der Atem still, weil ich deutlich fühlte, nu noch einen Augenblick, dann schnappt er zu, und die ganze Bescherung is weg.«



»Ja, Herr von Stechlin, da hat man bloß den Trost, daß die Saurier, soviel ich weiß, seitdem ausgestorben sind. Aber meiner Frau will ich diese Geschichte doch lieber nicht erzählen; die kriegt nämlich mitunter Ohnmachten. In Doktorhäusern ist immer was los.«



Dubslav nickte.



»Und nur das eine möcht ich Ihnen noch sagen, Herr von Stechlin, mit der Digitalis immer ruhig so weiter, und wenn der Appetit nicht wiederkommt, lieber nur zweimal täglich. Und nie mehr als zehn Tropfen. Und wenn Sie sich unpaß fühlen, mein Stellvertreter ist von allem unterrichtet. Er wird Ihnen gefallen. Neue Schule, moderner Mensch; aber doch nicht zuviel davon (so wenigstens hoff ich) und jedenfalls sehr gescheit. An seinem Namen – er heißt nämlich Moscheles – dürfen Sie nicht Anstoß nehmen. Er ist aus Brünn gebürtig, und da heißen die meisten so.«

 



Der Alte drückte mit allem seine Zustimmung aus, auch mit dem Namen, trotzdem dieser ihm quälende Erinnerungen weckte. Schon vor etlichen fünfzig Jahren habe er Musikstücke spielen müssen, die alle auf den Namen Moscheles liefen. Aber das wolle er dem Insichtstehenden nicht weiter entgelten lassen.



Und nach diesen beruhigenden Versicherungen empfahl sich Sponholz und fuhr zu weiteren Abschiedsbesuchen in die Grafschaft hinein.



Am zweitfolgenden Tage brachen die Sponholzschen Eheleute von Gransee nach Pfäffers hin auf; die Frau, sehr leidend, war schweigsam, er aber befand sich in einem hochgradigen Reisefieber, was sich, als sie draußen auf dem Bahnhof angelangt waren, in immer wachsender Gesprächigkeit äußerte.



Mehrere Freunde (meist Logenbrüder) hatten ihn bis hinaus begleitet. Sponholz kam hier sofort vom Hundertsten aufs Tausendste. »Ja, unser guter Stechlin, mit dem steht es so so … Baruch hat ihn auch gesehn und ihn einigermaßen verändert gefunden … Und Sie, Kirstein, Sie schreiben mir natürlich, wenn der junge Burmeister eintritt; ich weiß, er will nicht recht (bloß der Vater will) und soll sogar von ›Hokuspokus‹ gesprochen haben. Aber dergleichen muß man leicht nehmen. Unwissenheit, Verkennungen, über so was sind wir weg; viel Feind, viel Ehr … Nur, es noch einmal zu sagen, der Alte drüben in Stechlin macht mir Sorge. Man muß aber hoffen; bei Gott kein Ding unmöglich ist. Und zu Moscheles hab ich Vertrauen; ihn auskultieren zu sehn ist ein wahres Vergnügen für nen Fachmann.«



So klang, was Sponholz noch in letzter Minute vom Coupéfenster aus zum besten gab. Alles, am meisten aber das über den alten Stechlin Gesagte, wurde weitergetragen und drang bis auf die Dörfer hinaus, so namentlich auch bis nach Quaden-Hennersdorf zu Superintendent Koseleger, der seit kurzem mit Ermyntrud einen lebhaften Verkehr unterhielt und, angeregt durch die mit jedem Tage kirchlicher werdende Prinzessin, einen energischen Vorstoß gegen den Unglauben und die in der Grafschaft überhandnehmende Laxheit plante. Koseleger sowohl wie die Prinzessin wollten zu diesem Zwecke beim alten Dubslav als »nächstem Objekt« einsetzen und hielten sein Asthma für den geeignetsten Zeitpunkt. In einem Briefe der Prinzessin an Koseleger hieß es dementsprechend: »Ich will die gute Gesinnung des alten Herrn in nichts anzweifeln; außerdem hat er etwas ungemein Affables. Ich bin ihm menschlich durchaus zugetan. Aber sein Prinzip, das nichts Höheres kennt, als ›leben und leben lassen‹, hat in unsrer Gegend alle möglichen Irrtümer und Sonderbarkeiten ins Kraut schießen lassen. Nehmen Sie beispielsweise diesen Krippenstapel. Und nun den Lorenzen selbst! Katzler, mit dem ich gestern über unsern Plan sprach, hat mich gebeten, mit Rücksicht auf die Krankheit des alten Herrn wenigstens vorläufig von allem Abstand zu nehmen, aber ich hab ihm widersprechen müssen. Krankheit (soviel ist richtig) macht schroff und eigensinnig, aber in bedrängten Momenten auch wiederum ebenso gefügig, und es sind wohl auch hier wieder gerade die Auferlegungen und Bitternisse, daraus ein Segen für den Kranken und jedenfalls für die Gesamtheit unsres Kreises entspringen wird. Unter allen Umständen aber muß uns das Bewußtsein trösten, unsre Pflicht erfüllt zu haben.«



Es war eine Woche nach Sponholz' Abreise, daß Ermyntrud diese Zeilen schrieb, und schon am andern Vormittage fuhr Koseleger, der mit der Prinzessin im wesentlichen derselben Meinung war, auf die Stechliner Rampe. Gleich danach trat Engelke bei Dubslav ein und meldete den Herrn Superintendenten.



»Superintendent? Koseleger?«



»Ja, gnädger Herr. Superintendent Koseleger. Er sieht sehr wohl aus, und ganz blank.«



»Was es doch für merkwürdige Tage gibt. Heute (du sollst sehn) ist wieder so einer. Mit Moscheles fing's an. Sage dem Herrn Superintendenten, ich ließe bitten.«



»Ich komme hoffentlich zu guter Stunde, Herr von Stechlin.«



»Zur allerbesten, Herr Superintendent. Eben war der neue Doktor hier. Und eine Viertelstunde, wenn's mit dem ›praesente medico‹ nur ein ganz klein wenig auf sich hat, muß solche Doktorgegenwart doch wohl noch nachwirken.«



»Sicher, sicher. Und dieser Moscheles soll sehr gescheit sein. Die Wiener und Prager verstehn es; namentlich alles, was nach

der

 Seite hin liegt.«



»Ja,« sagte Dubslav, »nach

der

 Seite hin,« und wies auf Brust und Herz. »Aber, offen gestanden, nach mancher andern Seite hin ist mir dieser Moscheles nicht sehr sympathisch. Er faßt seinen Stock so sonderbar an und schlenkert auch so.«



»Ja, so was muß man unter Umständen mit in den Kauf nehmen. Und dann heißt es ja auch, der Major von Stechlin habe mehr oder weniger einen philosemitischen Zug.«



»Den hat der Major von Stechlin auch wirklich, weil er Unchristlichkeiten nicht leiden kann und Prinzipienreitereien erst recht nicht. Ich gehöre zu denen, die sich immer den Einzelfall ansehn. Aber freilich, mancher Einzelfall gefällt mir nicht. So zum Beispiel der hier mit dem neuen Doktor. Und auch mein alter Baruch Hirschfeld, den der Herr Superintendent mutmaßlich kennen werden, auch der gefällt mir nicht mehr so recht. Ich hielt große Stücke von ihm, aber – vielleicht daß sein Sohn Isidor schuld ist – mit einemmal ist der Pferdefuß rausgekommen.«



»Ja,« lachte Koseleger, »der kommt immer mal raus. Und nicht bloß bei Baruch. Ich muß aber sagen, das alles hat mit der Rasse viel, viel weniger zu schaffen als mit dem jeweiligen Beruf. Da war ich eben bei der Frau von Gundermann …«



»Und da war auch so was?«



»In gewissem Sinne, ja. Natürlich ein bißchen anders, weil es sich um etwas Weibliches handelte. ›Stütze der Hausfrau‹. Und da bändelt sich denn leicht was an. Eben diese ›Stütze der Hausfrau‹ war bis vor kurzem noch Erzieherin, und mit Erzieherinnen, alten und jungen, hat's immer einen Haken, wie mit den Lehrern überhaupt. Es liegt im Beruf. Und der Seminarist steht obenan.«



»Ich kann mich nicht erinnern,« sagte Dubslav, »in unserer Gegend irgendwas gröblich Verletzliches erlebt zu haben.«



»O, ich bin mißverstanden,« beschwichtigte Koseleger und rieb sich mit einem gewissen Behagen seine wohlgepflegten Hände. »Nichts von Vergehungen auf erotischem Gebiet, wiewohl es bei den Gundermanns (die gerad in

diesem

 Punkte viel heimgesucht werden) auch diesmal wieder, ich möchte sagen diese kleine Nebenform angenommen hatte. Nein, der große Seminaristenpferdefuß, an den ich bei meiner ersten Bemerkung dachte, trägt ganz andere Signaturen: Unbotmäßigkeit, Überschätzung und infolge davon ein eigentümliches Bestreben, sich von den Heilsgütern loszulösen und die Befriedigung des inneren Menschen in einer falschen Wissenschaftlichkeit zu suchen.«



»Ich will das nicht loben; aber auch solche ›falsche Wissenschaftlichkeit‹ zählt, dächt ich, in unserer alten Grafschaft zu den allerseltensten Ausnahmen.«



»Nicht so sehr, als Sie vermuten, Herr Major, und aus Ihrer eigenen Stechliner Schule sind mir Klagen kirchlich gerichteter Eltern über solche Dinge zugegangen. Allerdings Altlutheraner aus der Globsower Gegend. Indessen, so lästig diese Leute zuzeiten sind, so haben sie doch andrerseits den Ernst des Glaubens und finden, wie sie sich in einem Skriptum an mich ausgedrückt haben, in der Krippenstapelschen Lehrmethode diesen Ernst des Glaubens arg vernachlässigt.«



Dubslav wiegte den Kopf hin und her und hätte trotz allen Respekts vor dem Vertreter einer kirchlichen Behörde wahrscheinlich ziemlich scharf und spitz geantwortet, wenn ihm nicht alles, was er da hörte, gleichzeitig in einem heiteren Licht erschienen wäre. Krippenstapel, sein Krippenstapel, er, der den alten Fritzen so gut wie den Katechismus, aber den Katechismus auch reichlich so gut wie den alten Fritzen kannte, – Krippenstapel, sein großartiger Bienenvater, sein korrespondierendes Mitglied märkisch-historischer Vereine, die Seele seines »Museums«, sein guter Freund, dieser Krippenstapel sollte den »Ernst des Glaubens« verkannt haben, bei ihm sollte der Seminaristenhochmut zu gemeingefährlichem Ausbruch gekommen sein. Wohl entsann er sich, in eigenster Person (was ihn in diesem Augenblick ein wenig verstimmte) gelegentlich sehr Ähnliches gesagt zu haben. Aber doch immer nur scherzhaft. Und wenn zwei dasselbe tun, so ist es nicht mehr dasselbe. Traf dieser Satz je zu, so hier. Er erhob sich also mit einiger Anstrengung von seinem Platz, ging auf Koseleger zu, schüttelte ihm die Hand und sagte: »Herr Superintendent, so wie Sie's da sagen, so kann es nicht sein. Von richtigen