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Der Stechlin

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Sechsundzwanzigstes Kapitel

Und was die jüngere Schwester der älteren zugeflüstert hatte, das wurde wahr, und schon wenige Tage nach diesem ersten Wiedersehn waren Armgard und Woldemar Verlobte. Der alte Graf sah einen Wunsch erfüllt, den er seit lange gehegt, und Melusine küßte die Schwester mit einer Herzlichkeit, als ob sie selber die Glückliche wäre.

»Du gönnst ihn mir doch?«

»Ach, meine liebe Armgard,« sagte Melusine, »wenn du wüßtest! Ich habe nur die Freude, du hast auch die Last.«

An demselben Abende noch, wo die Verlobung stattgefunden hatte, schrieb Woldemar nach Stechlin und nach Wutz; der eine Brief war so wichtig wie der andre, denn die Tante-Domina, deren Mißstimmung so gut wie gewiß war, mußte nach Möglichkeit versöhnlich gestimmt werden. Freilich blieb es fraglich, ob es glücken würde.

Zwei Tage später waren die Antwortbriefe da, von denen diesmal der Wutzer Brief über den Stechliner siegte, was einfach daran lag, daß Woldemar von Wutz her nur Ausstellungen, von Stechlin her nur Entzücken erwartet hatte. Das traf aber nun beides nicht zu. Was die Tante schrieb, war durchaus nicht so schlimm (sie beschränkte sich auf Wiederholung der schon mündlich von ihr ausgesprochenen Bedenken), und was der Alte schrieb, war nicht so gut oder doch wenigstens nicht so der Situation angepaßt, wie's Woldemar gewärtigte. Natürlich war es eine Beglückwünschung, aber doch mehr noch ein politischer Exkurs. Dubslav litt als Briefschreiber daran, gern bei Nebensächlichkeiten zu verweilen und gelegentlich über die Hauptsache wegzusehn. Er schrieb:

»Mein lieber Woldemar. Die Würfel sind nun also gefallen (früher hieß es alea jacta est, aber so altmodisch bin ich denn doch nicht mehr), und da zwei Sechsen obenauf liegen, kann ich nur sagen: ich gratuliere. Nach dem Gespräch übrigens, das ich am 3. Oktober morgens mit Dir führte, während wir um unsern Stechliner Springbrunnen herumgingen (seit drei Tagen springt er nicht mehr; wahrscheinlich werden die Mäuse das Röhrenwerk angeknabbert haben) – seit jenem Oktobermorgen hab ich so was erwartet, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Du wirst nun also Karriere machen, glücklicherweise zunächst durch Dich selbst und dann allerdings auch durch Deine Braut und deren Familie. Graf Barby – mit Rübenboden im Magdeburgischen und mit Mineralquellen im Graubündischen – höher hinauf geht es kaum, Du müßtest Dich denn bis ins Katzlersche verirren. Armgard ist auch schon viel, aber Ermyntrud doch mehr und für den armen Katzler jedenfalls zu viel. Ja, mein lieber Woldemar, Du kommst nun also zu Vermögen und Einfluß und kannst die Stechlins wieder raufbringen (gestern war Baruch Hirschfeld hier und in allem willfährig; die Juden sind nicht so schlimm, wie manche meinen), und wenn Du dann hier einziehst und statt der alten Kate so was in Chateaustil bauen läßt und vielleicht sogar eine Fasanenzucht anlegst, so daß erst der Post-Stephan und dann der Kaiser selbst bei Dir zu Besuch kommen kann, ja, da kannst Du möglicherweise selbst das erreichen, was Dein alter Vater, weil Feilenhauer Torgelow mächtiger war als er, nicht erreichen konnte: den Einzug ins Reichshaus mit dem freien Blick auf Kroll. Mehr kann ich in diesem Augenblick nicht sagen, auch meine Freude nicht höher spannen, und in diesem relativen Ruhigbleiben empfind ich zum erstenmal eine gewisse Familienähnlichkeit mit meiner Schwester Adelheid, deren Glaubensbekenntnis im letzten darauf hinausläuft: Kleinadel über Hochadel, Junker über Graf. Ja, ich fühle, Deinen Gräflichkeiten gegenüber, wie sich der Junker ein bißchen in mir regt. Die reichen und vornehmen Herren sind doch immer ganz eigene Leute, die wohl Fühlung mit uns haben, unter Umständen auch suchen, aber das Fühlunghalten nach oben ist ihnen schließlich doch viel, viel wichtiger. Es heißt wohl immer »wir Kleinen, wir machten alles und könnten alles,« aber bei Lichte besehn, ist es bloß das alte: ›Du glaubst zu schieben und Du wirst geschoben.‹ Glaube mir, Woldemar, wir werden geschoben und sind bloß Sturmbock. Immer dieselbe Geschichte, wie mit Protz und Proletarier. Die Proletarier – wie sie noch echt waren, jetzt mag es wohl anders damit sein – waren auch bloß immer dazu da, die Kastanien aus dem Feuer zu holen; aber ging es dann schief, dann wanderte Bruder Habenichts nach Spandau und Bruder Protz legte sich zu Bett. Und mit Hochadel und Kleinadel ist es beinah ebenso. Natürlich heiratet eine Ermyntrud mal einen Katzler, aber eigentlich äugt sie doch mehr nach einem Stuart oder Wasa, wenn es deren noch gibt. Wird aber wohl nich. Entschuldige diesen Herzenserguß, dem Du nicht mehr Gewicht beilegen mußt, als ihm zukommt. Es kam mir das alles so von ungefähr in die Feder, weil ich grade heute wieder gelesen habe, wie man einen von uns, der durch Eintreten eines Ippe-Büchsenstein hätte gerettet werden können, schändlich im Stich gelassen hat. Ippe-Büchsenstein ist natürlich nur Begriff. Alles in allem: ich habe zu Dir das Vertrauen, daß Du richtig gewählt hast, und daß man Dich nicht im Stiche lassen wird. Außerdem, ein richtiger Märker hat Augen im Kopf und is beinah so helle wie'n Sachse.

Wie immer Dein alter Vater Dubslav von Stechlin.«

Es war Ende November, als Woldemar diesen Brief erhielt. Er überwand ihn rasch, und am dritten Tag las er alles schon mit einer gewissen Freudigkeit. Ganz der Alte; jede Zeile voll Liebe, voll Güte, voll Schnurrigkeiten. Und eben diese Schnurren, trafen sie nicht eigentlich auch den Nagel auf den Kopf? Sicherlich. Was aber das Beste war, so sehr das alles im allgemeinen passen mochte, auf die Barbys paßte so gut wie nichts davon; die waren doch anders, die suchten nicht Fühlung nach oben und nicht nach unten, die marchandierten nicht mit links und nicht mit rechts, die waren nur Menschen, und daß sie nur das sein wollten, das war ihr Glück und zugleich ihr Hochgefühl. Woldemar sagte sich denn auch, daß der Alte, wenn er sie nur erst kennen gelernt haben würde, mit fliegenden Fahnen ins Barbysche Lager übergehen würde. Der alte Graf, Armgard und vor allem Melusine. Die war genau das, was der Alte brauchte, wobei ihm das Herz aufging.

Den Weihnachtsabend verbrachte Woldemar am Kronprinzenufer. Auch Wrschowitz und Cujacius – von denen jener natürlich unverheiratet, dieser wegen beständiger Streiterei von seiner Frau geschieden war – waren zugegen. Cujacius hatte gebeten, ein Krippentransparent malen zu dürfen, was denn auch, als es erschien, auf einen Nebentisch gestellt und allseitig bewundert wurde. Die drei Könige waren Porträts: der alte Graf, Cujacius selbst und Wrschowitz (als Mohrenkönig); letzterer, trotz Wollhaar und aufgeworfener Lippe, von frappanter Ähnlichkeit. Auch in der Maria suchte man nach Anlehnungen und fand sie zuletzt; es war Lizzi, die, wie so viele Berliner Kammerjungfern, einen sittig verschämten Ausdruck hatte. Nach dem Tee wurde musiziert, und Wrschowitz spielte – weil er dem alten Grafen eine Aufmerksamkeit zu erweisen wünschte – die Polonaise von Oginski, bei deren erster, nunmehr um siebzig Jahre zurückliegenden Aufführung, einem alten on dit zufolge, der polnisch gräfliche Komponist im Schlußmomente sich erschossen haben sollte. Natürlich aus Liebe. »Brav, brav,« sagte der alte Graf und war, während er sich beinah überschwenglich bedankte, so sehr aus dem Häuschen, daß Wrschowitz schließlich schelmisch bemerkte: »Den Piffpaffschluß muß ich mir versagen, Herr Graff, trotzdem meine Vererrung (Blick auf Armgard) serr groß ist, fast so groß wie die Vererrung des Grafen vor Graff Oginski.«

So verlief der Heiligabend.

Schon vorher war man übereingekommen, am zweiten Feiertage zu dritt einen Ausflug nach Stechlin zu machen, um dort die künftige Schwiegertochter dem Schwiegervater vorzustellen. Noch am Christabend selbst, trotzdem Mitternacht schon vorüber, schrieb denn auch Woldemar einige Zeilen nach Stechlin hin, in denen er sich samt Braut und Schwägerin für den zweiten Feiertagabend anmeldete.

Rechtzeitig trafen Woldemars Zeilen in Stechlin ein. »Lieber Papa. Wir haben vor, am zweiten Feiertage mit dem Spätnachmittagszuge von hier aufzubrechen. Wir sind dann um sieben auf dem Granseer Bahnhof und um neun oder nicht viel später bei Dir. Armgard ist glücklich, Dich endlich kennen zu lernen, den kennen zu lernen, den sie seit lange verehrt. Dafür, mein lieber Papa, hab ich Sorge getragen. Graf Barby, der nicht gut bei Wege ist, was ihn hindert mitzukommen, will Dir angelegentlich empfohlen sein. Desgleichen Gräfin Ghiberti, die uns als Dame d'honneur begleiten wird. Armgard ist in Furcht und Aufregung wie vor einem Examen. Sehr ohne Not. Kenn ich doch meinen Papa, der die Güte und Liebe selbst ist. Wie immer Dein Woldemar.«

Engelke stand neben seines Herrn Stuhl, als dieser die Zeilen halblaut, aber doch in aller Deutlichkeit vorlas. »Nun, Engelke, was sagst du dazu?«

»Ja, gnädger Herr, was soll ich dazu sagen. Es is ja doch, was man sone ›gute Nachricht‹ nennt.«

»Natürlich is es ne gute Nachricht. Aber hast du noch nicht erlebt, daß einen gute Nachrichten auch genieren können?«

»Jott, gnädger Herr, ich kriege keine.«

»Na, denn sei froh; dann weißt du nicht, was ›gemischte Gefühle‹ sind. Sieh, ich habe jetzt gemischte Gefühle. Da kommt nun mein Woldemar. Das is gut. Und da bringt er seine Braut mit, das is wieder gut. Und da bringt er seine Schwägerin mit, und das is wahrscheinlich auch gut. Aber die Schwägerin ist eine Gräfin mit einem italienischen Namen, und die Braut heißt Armgard, was doch auch schon sonderbar ist. Und beide sind in England geboren, und ihre Mutter war aus der Schweiz, von einer Stelle her, von der man nicht recht weiß, wozu sie gehört, weil da alles schon durcheinander geht. Und überall haben sie Besitzungen, und Stechlin ist doch bloß ne Kate. Sieh, Engelke, das is genierlich und gibt das, was ich ›gemischte Gefühle‹ nenne.«

»Nu ja, nu ja.«

 

»Und dann müssen wir doch auch repräsentieren. Ich muß ihnen doch irgendeinen Menschen vorsetzen. Ja, wen soll ich ihnen vorsetzen? Viel is hier nich. Da hab ich Adelheiden. Natürlich, die muß ich einladen, und sie wird auch kommen, trotzdem Schnee gefallen ist; aber sie kann ja nen Schlitten nehmen. Vielleicht ist ihr Schlitten besser als ihr Wagen. Gott, wenn ich an das Verdeck denke mit der großen Lederflicke, da wird mir auch nicht besser. Und dabei denkt sie, ›sie is was‹, was am Ende auch wieder gut is, denn wenn der Mensch erst denkt, ›es is gar nichts mit ihm‹, dann is es auch nichts.«

»Und dann, gnädger Herr, sie is ja doch ne Domina und hat nen Rang. Und ich hab auch mal gelesen, sie sei eigentlich mehr als ein Major.«

»Na, jedenfalls ist sie mehr als ihr Bruder; so'n vergessener Major is ein Jammer. Aber Adelheid selbst, so auf'n ersten Anhieb, is auch bloß so so. Wir müssen jedenfalls noch wen dazu haben. Schlage was vor. Baron Beetz und der alte Zühlen, die die besten sind, die wohnen zu weit ab, und ich weiß nicht, seit wir die Eisenbahnen haben, laufen die Pferde schlechter. Oder es kommt einem auch bloß so vor. Also die guten Nummern fallen aus. Und da sind wir denn wieder bei Gundermann.«

»Ach, gnädger Herr, den nich. Un er soll ja auch so zweideutig sein. Uncke hat es mir gesagt; Uncke hat freilich immer das Wort ›zweideutig‹. Aber es wird wohl stimmen. Un dann die Frau Gundermann. Das is ne richtige Berlinsche. Verlaß is auf ihm nich und auf ihr nich.«

»Ja, Engelke, du sollst mir helfen und machst es bloß noch schlimmer. Wir könnten es mit Katzler versuchen, aber da ist das Kind krank, und vielleicht stirbt es. Und dann haben wir natürlich noch unsern Pastor; nu der ginge, bloß daß er immer so still dasitzt, wie wenn er auf den heiligen Geist wartet. Und mitunter kommt er; aber noch öfter kommt er nicht. Und solche Herrschaften, die dran gewöhnt sind, daß einer in einem fort was Feines sagt, ja, was sollen die mit unserm Lorenzen? Er ist ein Schweiger.«

»Aber er schweigt doch immer noch besser, als die Gundermannsche red't.«

»Das is richtig. Also Lorenzen, und vielleicht, wenn das Kind sich wieder erholt, auch Katzler. Ein Schelm gibt mehr, als er hat. Und dann, Engelke, solche Damen, die überall rum in der Welt waren, da weiß man nie, wie der Hase läuft. Es ist möglich, daß sie sich für Krippenstapel interessieren. Oder höre, da fällt mir noch was ein. Was meinst du zu Koseleger?«

»Den hatten wir ja noch nie.«

»Nein, aber Not lehrt beten. Ich mache mir eigentlich nicht viel aus ihm, indessen is und bleibt er doch immer ein Superintendent, und das klingt nach was. Und dann war er ja mit ner russischen Großfürstin auf Reisen, und solche Großfürstin is eigentlich noch mehr als ne Prinzessin. Also sprich mal mit Kluckhuhn, der soll nen Boten schicken. Ich schreibe gleich ne Karte.«

Katzler sagte ab oder ließ es doch unbestimmt, ob er kommen könne, Koseleger dagegen, was ein Glück war, nahm an, und auch Schwester Adelheid antwortete durch den Boten, den Dubslav geschickt hatte: »daß sie den zweiten Feiertag in Stechlin eintreffen und soweit wie dienlich und schicklich nach dem Rechten sehen würde.« Adelheid war in ihrer Art eine gute Wirtin und stammte noch aus den alten Zeiten, wo die Damen bis zum »Schlachten« und »Aalabziehen« herunter alles lernten und alles konnten. Also nach dieser Seite hin entschlug sich Dubslav jeder Befürchtung. Aber wenn er sich dann mit einem Male vergegenwärtigte, daß es seiner Schwester vielleicht in den Sinn kommen könne, sich auf ihren Uradel oder auf die Vorzüge sechshundertjähriger märkischer »Eingesessenheit« zu besinnen, so fiel alles, was er sich in dem mit Engelke geführten Gespräch an Trost zugesprochen hatte, doch wieder von ihm ab. Ihm bangte vor der Möglichkeit einer seitens seiner Schwester »aufgesetzten hohen Miene« wie vor einem Gespenst, und desgleichen vor der Kostümfrage. Wohl war er sich, ob er nun seine rote Landstandsuniform oder seinen hochkragigen schwarzen Frack anlegte, seiner eignen altmodischen Erscheinung voll bewußt, aber nebenher, was seine Person anging, doch auch wieder einer gewissen Patriarchalität. Einen gleichen Trost konnt er dem äußern Menschen seiner Schwester Adelheid nicht entnehmen. Er wußte genau, wie sie kommen würde: schwarzes Seidenkleid, Rüsche mit kleinen Knöpfelchen oben und die Siebenkurfürstenbrosche. Was ihn aber am meisten ängstigte, war der Moment nach Tisch, wo sie, wenn sie sich einigermaßen behaglich zu fühlen anfing, ihre Wutzer Gesamtchaussure auf das Kamingitter zu stellen und die Wärme von unten her einzusaugen pflegte.

Gleich nach sieben trafen Woldemar und die Barbyschen Damen auf dem Granseer Bahnhof ein und fanden Martin und den Stechlinschen Schlitten vor, letzterer insoweit ein Prachtstück, als er ein richtiges Bärenfell hatte, während andrerseits Geläut und Schneedecken und fast auch die Pferde mehr oder weniger zu wünschen übrigließen. Aber Melusine sah nichts davon und Armgard noch weniger. Es war eine reizende Fahrt; die Luft stand, und am stahlblauen Himmel oben blinkten die Sterne. So ging es zwischen den eingeschneiten Feldern hin, und wenn ihre Kappen und Hüte hier und dort die herniederhängenden Zweige streiften, fielen die Flocken in ihren Schlitten. In den Dörfern war überall noch Leben, und das Anschlagen der Hunde, das vom nächsten Dorf her beantwortet wurde, klang übers Feld. Alle drei Schlitteninsassen waren glücklich, und ohne daß sie viel gesprochen hätten, bogen sie zuletzt, eine weite Kurve machend, in die Kastanienallee ein, die sie nun rasch, über Dorfplatz und Brücke fort, bis auf die Rampe von Schloß Stechlin führte. Dubslav und Engelke standen hier schon im Portal und waren den Damen beim Aussteigen behilflich. Beim Eintritt in den großen Flur war für diese das erste, was sie sahen, ein mächtiger, von der Decke herabhängender Mistelbusch; zugleich schlug die Treppenuhr, deren Hippenmann wie verwundert und beinah verdrießlich auf die fremden Gäste herniedersah. Viele Lichter brannten, aber es wirkte trotzdem alles wie dunkel. Woldemar war ein wenig befangen, Dubslav auch. Und nun wollte Armgard dem Alten die Hand küssen. Aber das gab diesem seinen Ton und seine gute Laune wieder: »Umgekehrt wird ein Schuh draus.«

»Und zuletzt ein Pantoffel,« lachte Melusine.

Siebenundzwanzigstes Kapitel

»Das ist eine Dame und ein Frauenzimmer dazu,« sagte sich Dubslav still in seinem alten Herzen, als er jetzt Melusine den Arm bot, um sie vom Flur her in den Salon zu führen. »So müssen Weiber sein.«

Auch Adelheid mühte sich, Entgegenkommen zu zeigen, aber sie war wie gelähmt. Das Leichte, das Heitre, das Sprunghafte, das die junge Gräfin in jedem Wort zeigte, das alles war ihr eine fremde Welt, und daß ihr eine innere Stimme dabei beständig zuraunte: »Ja, dies Leichte, das du nicht hast, das ist das Leben, und das Schwere, das du hast, das ist eben das Gegenteil davon,« – das verdroß sie. Denn trotzdem sie beständig Demut predigte, hatte sie doch nicht gelernt, sich in Demut zu überwinden. So war denn alles, was über ihre Lippen kam, mehr oder weniger verzerrt, ein Versuch zu Freundlichkeiten, die schließlich in Herbigkeiten ausliefen. Lorenzen, der erschienen war, half nach Möglichkeit aus, aber er war kein Damenmann, noch weniger ein Causeur, und so kam es denn, daß Dubslav mit einer Art Sehnsucht nach dem Oberförster aufblickte, trotzdem er doch seit Mittag wußte, daß er nicht kommen würde. Das jüngste Töchterchen war nämlich gestorben und sollte den andern Tag schon auf einem kleinen, von Weihnachtsbäumen umstellten Privatfriedhofe, den sich Katzler zwischen Garten und Wald angelegt hatte, begraben werden. Es war das vierte Töchterchen in der Reihe; jede lag in einer Art Gartenbeet und hatte, wie ein Samenkorn, dessen Aufgehen man erwartet, ein Holztäfelchen neben sich, drauf der Name stand. Als Dubslavs Einladung eingetroffen war, war Ermyntrud, wie gewöhnlich, in Katzler gedrungen, der Einladung zu folgen. »Ich wünsche nicht, daß du dich deinen gesellschaftlichen Pflichten entziehst, auch heute nicht, trotz des Ernstes der Stunde. Gesellschaftlichkeiten sind auch Pflichten. Und die Barbyschen Damen – ich erinnere mich der Familie – werden gerade wegen der Trauer, in der wir stehn, in deinem Erscheinen eine besondere Freundlichkeit sehen. Und das ist genau das, was ich wünsche. Denn die Komtesse wird über kurz oder lang unsre nächste Nachbarin sein.« Aber Katzler war fest geblieben und hatte betont, daß es Höheres gäbe als Gesellschaftlichkeiten und daß er durchaus wünsche, daß dies gezeigt werde. Der Prinzessin Auge hatte während dieser Worte hoheitsvoll auf Katzler geruht, mit einem Ausdruck, der sagen zu wollen schien: »Ich weiß, daß ich meine Hand keinem Unwürdigen gereicht habe.«

Katzler also fehlte. Doch auch Koseleger, trotz seiner Zusage, war noch nicht da, so daß Dubslav in die sonderbare Lage kam, sich den Quaden-Hennersdorfer, aus dem er sich eigentlich nichts machte, herbeizuwünschen. Endlich aber fuhr Koseleger vor, sein etwas verspätetes Kommen mit Dienstlichkeiten entschuldigend. Unmittelbar danach ging man zu Tisch, und ein Gespräch leitete sich ein. Zunächst wurde von der Nordbahn gesprochen, die, seit der neuen Kopenhagener Linie, den ihr von früher her anhaftenden Schreckensnamen siegreich überwunden habe. Jetzt heiße sie die »Apfelsinenbahn,« was doch kaum noch übertroffen werden könne. Dann lenkte man auf den alten Grafen und seine Besitzungen im Graubündischen über, endlich aber auf den langen Aufenthalt der Familie drüben in England, wo beide Töchter geboren seien.

Dies Gespräch war noch lange nicht erledigt, als man sich von Tisch erhob, und so kam es, daß sich das Plaudern über eben dasselbe Thema beim Kaffee, der im Gartensalon und zwar in einem Halbzirkel um den Kamin herum eingenommen wurde, fortsetzte. Dubslav sprach sein Bedauern aus, daß ihn in seiner Jugend der Dienst und später die Verhältnisse daran gehindert hätten, England kennen zu lernen; es sei nun doch mal das vorbildliche Land, eigentlich für alle Parteien, auch für die Konservativen, die dort ihr Ideal mindestens ebensogut verwirklicht fänden wie die Liberalen. Lorenzen stimmte lebhaft zu, während andrerseits die Domina ziemlich deutliche Zeichen von Ungeduld gab. England war ihr kein erfreuliches Gesprächsthema, was selbstverständlich ihren Bruder nicht hinderte, dabei zu verharren.

»Ich möchte mich,« fuhr Dubslav fort, »in dieser Angelegenheit an unsern Herrn Superintendenten wenden dürfen. Waren Sie drüben?«

»Leider nein, Herr von Stechlin, ich war nicht drüben, sehr zu meinem Bedauern. Und ich hätt es so leicht haben können. Aber es ist immer wieder die alte Geschichte: was man in ein paar Stunden und mitunter in ein paar Minuten erreichen kann, das verschiebt man, eben weil es so nah ist, und mit einemmal ist es zu spät. Ich war Jahr und Tag im Haag, und von da nach Dover hinüber war nicht viel mehr als nach Potsdam. Trotzdem unterblieb es, oder richtiger gerade deshalb. Daß ich den Tunnel oder den Tower nicht gesehn, das könnt ich mir verzeihn. Aber das Leben drüben! Wenn irgendwo das viel zitierte Wort von dem ›in einem Tag mehr gewinnen, als in des Jahres Einerlei‹ hinpaßt, so da drüben. Alles modern und zugleich alles alt, eingewurzelt, stabilisiert. Es steht einzig da; mehr als irgendein andres Land ist es ein Produkt der Zivilisation, so sehr, daß die Neigungen der Menschen kaum noch dem Gesetze der Natur folgen, sondern nur noch dem einer verfeinerten Sitte.«

Die Domina fühlte sich von dem allem mehr und mehr unangenehm berührt, besonders als sie sah, daß Melusine zu dem, was Koseleger ausführte, beständig zustimmend nickte. Schließlich wurd es ihr zu viel. »Alles, was ich da so höre,« sagte sie, »kann mich für dieses Volk nicht einnehmen, und weil sie rundum von Wasser umgeben sind, ist alles so kalt und feucht und die Frauen, bis in die höchsten Stände hinauf, sind beinah immer in einem Zustand, den ich hier nicht bei Namen nennen mag. So wenigstens hat man mir erzählt. Und wenn es dann neblig ist, dann kriegen sie das, was sie den Spleen nennen, und fallen zu Hunderten ins Wasser, und keiner weiß, wo sie geblieben sind. Denn, wie mir unser Rentmeister Fix, der drüben war, aufs Wort versichert hat, sie stehen in keinem Buch und haben auch nicht einmal das, was wir Einwohnermeldeamt nennen, so daß man beinah sagen kann, sie sind so gut wie gar nicht da. Und wie sie kochen und braten! Alles fast noch blutig, besonders das, was wir hier ›englische Beefsteaks‹ nennen. Und kann auch nicht anders sein, weil sie so viel mit Wilden umgehn und gar keine Gelegenheit haben, sich einer feineren Gesittung anzuschließen.«

Koseleger und Melusine wechselten verständnisvoll Blicke. Die Domina aber sah nichts davon und fuhr unentwegt fort: »Fix ist ein guter Beobachter, auch von Sittenzuständen, und einer ihrer Könige, worüber ich auch schon als Mädchen einen Aufsatz machen mußte, hat fünf Frauen gehabt, meist Hofdamen. Und eine hat er köpfen lassen, und eine hat er wieder nach Hause geschickt. Und war noch dazu eine Deutsche. Und sie sollen auch keinen eigentlichen Adel mehr haben, weil mal ein Krieg war, drin sie sich umschichtig enthaupteten, und als alle weg waren, haben sie gewöhnliche Leute rangezogen und ihnen die alten Namen gegeben, und wenn man denkt, es ist ein Graf, so ist es ein Bäcker oder höchstens ein Bierbrauer. Aber viel Geld sollen sie haben, und ihre Schiffe sollen gut sein und dauerhaft und auch sehr sauber, fast schon wie holländisch; aber in ihrem Glauben sind sie zersplittert und fangen auch schon wieder an katholisch zu werden.«

 

Der alte Dubslav, als die Schwester mit ihrem Vortrag über England einsetzte, hatte sich mit einem »Schicksal, nimm deinen Lauf« sofort resigniert. Woldemar aber war immer wieder und wieder bemüht gewesen, einen Themawechsel eintreten zu lassen, worin er vielleicht auch reüssiert hätte, wenn nicht Koseleger gewesen wäre. Dieser – entweder weil er als ästhetischer Feinschmecker an Adelheids Auslassungen ein aufrichtiges Gefallen fand, oder aber weil er die von ihm selbst angeregte Frage hinsichtlich »Natur und Sitte« (die sein Steckenpferd war) gern weiterspinnen wollte – hielt an England fest und sagte: »Die Frau Domina scheint mir davon auszugehn, daß gerade der mitunter schon an den Wilden grenzende Naturmensch drüben in vollster Blüte steht. Und ich will das auch nicht in jedem Punkte bestreiten. Aber daneben begegnen wir einem Lebens- und Gesellschaftsraffinement, das ich, trotz manchem Anfechtbaren, als einen höchsten Kulturausdruck bezeichnen muß. Ich erinnere mich unter anderm eines gerade damals geführten Prozesses, über den ich, als ich im Haag lebte, meiner kaiserlichen Hoheit täglich Bericht erstatten mußte (High life-Prozesse gingen ihr über alles), und der Gegenstand, um den sich's dabei handelte, war so recht der Ausdruck eines verfeinerten oder meinetwegen auch überfeinerten Kulturlebens. So recht das Gegenteil von bloßem Naturburschentum. Es ist freilich eine ziemlich lange Geschichte …«

»Schade,« sagte Dubslav. »Aber trotzdem, – wenn überhaupt erzählbar …«

»O, gewiß, gewiß; das denkbar Harmloseste …«

»Nun denn, lieber Superintendent, wenn wirklich so harmlos, so mach ich mich ohne weiteres zum Anwalt unsrer gewiß neugierigen Damen, meine Schwester, die Domina, mit eingeschlossen. Wie war es? Wie verlief die Geschichte, für die sich eine kaiserliche Hoheit so lebhaft interessieren konnte?«

»Nun, wenn es denn sein soll,« nahm Koseleger langsam und wie bloß einer Pression nachgebend das Wort, »es lebte da zu jener Zeit eine schöne Herzogin in London, die's nicht ertragen konnte, daß die Jahre nicht spurlos an ihr vorübergehen wollten; Fältchen und Krähenfüße zeigten sich. In dieser Bedrängnis hörte sie von ungefähr von einer ›plastischen Künstlerin‹, die durch Auftrag einer Wachspaste die Jugend wiederherzustellen wisse. Diese Künstlerin wurde gerufen, und die Wiederherstellung gelang auch. Aber nun traf eines Tages die Rechnung ein, ›die Bill‹, wie sie da drüben sagen. Es war eine Summe, vor der selbst eine Herzogin erschrecken durfte. Und da die Künstlerin auf ihrer Forderung beharrte, so kam es zu dem angedeuteten Prozeß, der sich alsbald zu einer cause célèbre gestaltete.«

»Sehr begreiflich,« versicherte Dubslav, und Melusine stimmte zu.

»Zahlreiche Personen traten in der Verhandlung auf, und als Sachverständige wurden zuletzt auch Konkurrentinnen auf diesem Spezialgebiete der ›plastischen Kunst‹ vernommen. Alle fanden die Forderung erheblich zu hoch, und der Sieg schien sich rasch der Herzogin zuneigen zu wollen. Aber in eben diesem Augenblicke trat die sich arg bedrängt sehende Künstlerin an den Vorsitzenden des Gerichtshofes heran und bat ihn, an die erschienenen Fachgenossinnen einfach die Frage nach der Dauer der durch ihre Kunst wiederhergestellten Jugend und Schönheit richten zu wollen, eine Bitte, der der Oberrichter auch sofort nachkam. Was darauf geantwortet wurde, lautete hinsichtlich der Dauer sehr verschieden. Als aber, trotz der Verschiedenheit dieser Angaben, keine der Konkurrentinnen mehr als ein Vierteljahr zu garantieren wagte, wandte sich die Verklagte ruhig an den hohen Gerichtshof und sagte nicht ohne Würde: ›Meine Herren Richter: meine Mitkünstlerinnen, wie Sie soeben vernommen haben, helfen auf Zeit; was ich leiste, ist, ›beautifying for ever‹.‹ Und alles war von diesem Worte hingerissen, der hohe Gerichtshof mit, und die Herzogin hatte die Riesensumme zu zahlen.«

»Und wäre dergleichen hierlandes möglich?« fragte Melusine.

»Ganz unmöglich,« erwiderte der für alles Fremde schwärmende Koseleger. »Es kann hier einfach deshalb nicht vorkommen, weil uns der dazu nötige höhere Kulturzustand und die dementsprechende Anschauung fehlt. In unserm guten Preußen, und nun gar erst in unsrer Mark, sieht man in einem derartigen Hergange nur das Karikierte, günstigstenfalls das Groteske, nicht aber jenes Hochmaß gesellschaftlicher Verfeinerung, aus dem allein sich solche Dinge, die man im übrigen um ihres Raffinements willen belächeln oder verurteilen mag, entwickeln können.«

Die meisten waren einverstanden, allen voraus Dubslav, dem dergleichen immer einleuchtete, während die Domina von »Horreur« sprach und sichtlich unmutig den Kopf hin und her bewegte. Woldemar erneute natürlich seine Versuche, die der Tante so mißfällige Konversation auf andres überzulenken, bei welcher Gelegenheit er nach dem Berühren verschiedenster Themata zuletzt auch auf den Coventgardenmarkt und den englischen Gemüsebau zu sprechen kam. Das paßte der Domina.

»Ja, Gemüsebau,« sagte sie, »das ist eine wunderbare Sache, daran hat man eine wirkliche Freude. Kloster Wutz ist eigentlich eine Gartengegend; unser Spargel ist denn auch weit und breit der beste, und meine gute Schmargendorf hat Artischocken gezogen so groß wie ne Sonnenblume. Freilich, es will sie keiner so recht, und alle sagen immer: ›es dauert so lange, wenn man so jedes Blatt nehmen muß, und eigentlich hat man nichts davon, auch wenn die Sauce noch so dick ist.‹ Viel mehr Glück hat unsre alte Schimonski mit ihren großen Erdbeeren – ich meine natürlich nicht die Schimonski selber; sie selber kann gar nichts, aber sie hat eine sehr geschickte Person – und ein Berliner Händler kauft ihr alles ab, bloß daß die Schnecken oft die Hälfte jeder Erdbeere wegfressen. Man sollte nicht glauben, daß solche Tiere solchen feinen Geschmack haben. Aber wenn es wegen der Schnecken auch unsicher ist, Dubslav, du solltest solche Zucht doch auch versuchen. Wenn es einschlägt, ist es sehr vorteilhaft. Die Schimonski wenigstens hat mehr davon als von ihren Hühnern, trotzdem sie gut legen. Denn mal sind sie billig, die Eier, und dann wieder verderben sie, und die schlechten werden einem berechnet und abgezogen, und die Streiterei nimmt kein Ende.«

Kurz vor elf brach das Gespräch ab, und man zog sich zurück. Der alte Dubslav ließ es sich nicht nehmen, die Damen persönlich treppauf bis an ihre Zimmer zu führen und sich da unter Handkuß von ihnen zu verabschieden. Es waren dieselben zwei Räume, die vor gerad einem Vierteljahr Rex und Czako bewohnt hatten, das größere Zimmer jetzt für Melusine, das kleinere für Armgard bestimmt. Aber als nun beide vor ihren Reisetaschen standen und sich oberflächlich daran zu tun machten, sagte Melusine: »Dies Himmelbett ist also für mich. Wenn es dir gleich ist, beziehe du lieber dies Ehrenlager und lasse mir das kleine Schlafzimmer. Zusammen sind wir ja doch; die Tür steht auf.«