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Der Stechlin

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Siebzehntes Kapitel

Es war so, wie die Tante geschrieben: Dubslav hatte sich als konservativen Kandidaten aufstellen lassen, und wenn für Woldemar noch Zweifel darüber gewesen wären, so hätten einige am Tage darauf von Lorenzen eintreffende Zeilen diese Zweifel beseitigt. Es hieß in Lorenzens Brief:

»Seit Deinem letzten Besuch hat sich hier allerlei Großes zugetragen. Noch am selben Abend erschienen Gundermann und Koseleger und drangen in Deinen Vater, zu kandidieren. Er lehnte zunächst natürlich ab; er sei weltfremd und verstehe nichts davon. Aber damit kam er nicht weit. Koseleger, der – was ihm auch später noch von Nutzen sein wird – immer ein paar Anekdoten auf der Pfanne hat, erzählte ihm sofort, daß vor Jahren schon, als ein von Bismarck zum Finanzminister Ausersehener sich in gleicher Weise mit einem ›Ich verstehe nichts davon‹ aus der Affäre ziehen wollte, der bismarckisch-prompten Antwort begegnet sei: ›Darum wähle ich Sie ja gerade, mein Lieber,‹ – eine Geschichte, der Dein Vater natürlich nicht widerstehen konnte. Kurzum, er hat eingewilligt. Von Herumreisen ist selbstverständlich Abstand genommen worden, ebenso vom Redenhalten. Schon nächsten Sonnabend haben wir Wahl. In Rheinsberg, wie immer, fallen die Würfel. Ich glaube, daß er siegt. Nur die Fortschrittler können in Betracht kommen und allenfalls die Sozialdemokraten, wenn vom Fortschritt (was leicht möglich ist) einiges abbröckelt. Unter allen Umständen schreibe Deinem Papa, daß Du Dich seines Entschlusses freutest. Du kannst es mit gutem Gewissen. Bringen wir ihn durch, so weiß ich, daß kein Besserer im Reichstag sitzt und daß wir uns alle zu seiner Wahl gratulieren können. Er sich persönlich allerdings auch. Denn sein Leben hier ist zu einsam, so sehr, daß er, was doch sonst nicht seine Sache ist, mitunter darüber klagt. Das war das, was ich Dich wissen lassen mußte. ›Sonst nichts Neues vor Paris.‹ Krippenstapel geht in großer Aufregung einher; ich glaube, wegen unsrer auf Donnerstag in Stechlin selbst angesetzten Vorversammlung, wo er mutmaßlich seine herkömmliche Rede über den Bienenstaat halten wird. Empfiehl mich Deinen zwei liebenswürdigen Freunden, besonders Czako. Wie immer, Dein alter Freund Lorenzen.«

Woldemar, als er gelesen, wußte nicht recht, wie er sich dazu stellen sollte. Was Lorenzen da schrieb, »daß kein Besserer im Hause sitzen würde«, war richtig; aber er hatte trotzdem Bedenken und Sorge. Der Alte war durchaus kein Politiker, er konnte sich also stark in die Nesseln setzen, ja vielleicht zur komischen Figur werden. Und dieser Gedanke war ihm, dem Sohne, der den Vater schwärmerisch liebte, sehr schmerzlich. Außerdem blieb doch auch immer noch die Möglichkeit, daß er in dem Wahlkampf unterlag.

Diese Bedenken Woldemars waren nur allzu berechtigt. Es stand durchaus nicht fest, daß der alte Dubslav, so beliebt er selbst bei den Gegnern war, als Sieger aus der Wahlschlacht hervorgehen müsse. Die Konservativen hatten sich freilich daran gewöhnt, Rheinsberg-Wutz als eine »Hochburg« anzusehen, die der staatserhaltenden Partei nicht verloren gehen könne; diese Vorstellung aber war ein Irrtum, und die bisherige Reverenz gegen den alten Kortschädel wurzelte lediglich in etwas Persönlichem. Nun war ihm Dubslav an Ansehen und Beliebtheit freilich ebenbürtig, aber das mit der ewigen persönlichen Rücksichtnahme mußte doch mal ein Ende nehmen, und das Anrecht, das sich der alte Kortschädel ersessen hatte, mit diesem mußt es vorbei sein, eben weil sich's endlich um einen Neuen handelte. Kein Zweifel, die gegnerischen Parteien regten sich, und es lag genau so, wie Lorenzen an Woldemar geschrieben, »daß ein Fortschrittler, aber auch ein Sozialdemokrat gewählt werden könne«.

Wie die Stimmung im Kreise wirklich war, das hätte der am besten erfahren, der im Vorübergehen an der Kontortür des alten Baruch Hirschfeld gehorcht hätte.

»Laß dir sagen, Isidor, du wirst also wählen den guten alten Herrn von Stechlin.«

»Nein, Vater. Ich werde nicht wählen den guten alten Herrn von Stechlin.«

»Warum nicht? Ist er doch ein lieber Herr und hat das richtige Herz.«

»Das hat er; aber er hat das falsche Prinzip.«

»Isidor, sprich mir nicht von Prinzip. Ich habe dich gesehn, als du hast scharmiert mit dem Mariechen von nebenan und hast ihr aufgebunden das Schürzenband, und sie hat dir gegeben einen Klaps. Du hast gebuhlt um das christliche Mädchen. Und du buhlst jetzt, wo die Wahl kommt, um die öffentliche Meinung. Und das mit dem Mädchen, das hab ich dir verziehen. Aber die öffentliche Meinung verzeih ich dir nicht.«

»Wirst du, Vaterleben; haben wir doch die neue Zeit. Und wenn ich wähle, wähl ich für die Menschheit.«

»Geh mir, Isidor, die kenn ich. Die Menschheit, die will haben, aber nicht geben. Und jetzt wollen sie auch noch teilen.«

»Laß sie teilen, Vater.«

»Gott der Gerechte, was meinst du, was du kriegst? Nicht den zehnten Teil.«

Und ähnlich ging es in den andern Ortschaften. In Wutz sprach Fix für das Kloster und die Konservativen im allgemeinen, ohne dabei Dubslav in Vorschlag zu bringen, weil er wußte, wie die Domina zu ihrem Bruder stand. Ein Linkskandidat aus Cremmen schien denn auch in der Wutzer Gegend die Oberhand gewinnen zu wollen. Noch gefährlicher für die ganze Grafschaft war aber ein Wanderapostel aus Berlin, der von Dorf zu Dorf zog und die kleinen Leute dahin belehrte, daß es ein Unsinn sei, von Adel und Kirche was zu erwarten. Die vertrösteten immer bloß auf den Himmel. Achtstündiger Arbeitstag und Lohnerhöhung und Sonntagspartie nach Finkenkrug, – das sei das Wahre.

So zersplitterte sich's allerorten. Aber wenigstens um den Stechlin herum hoffte man der Sache noch Herr werden und alle Stimmen auf Dubslav vereinigen zu können. Im Dorfkruge wollte man zu diesem Zwecke beraten, und Donnerstag sieben Uhr war dazu festgesetzt.

Der Stechliner Krug lag an dem Platze, der durch die Kreuzung der von Wutz her heranführenden Kastanienallee mit der eigentlichen Dorfstraße gebildet wurde, und war unter den vier hier gelegenen Eckhäusern das stattlichste. Vor seiner Front standen ein paar uralte Linden, und drei, vier Stehkrippen waren bis dicht an die Hauswand herangeschoben, aber alle ganz nach links hin, wo sich Eckladen und Gaststube befanden, während nach der rechten Seite hin der große Saal lag, in dem heute Dubslav, wenn nicht für die Welt, so doch für Rheinsberg-Wutz, und wenn nicht für Rheinsberg-Wutz, so doch für Stechlin und Umgegend proklamiert werden sollte. Dieser große Saal war ein fünffenstriger Längsraum, der schon manchen Schottischen erlebt, was er in seiner Erscheinung auch heute nicht zu verleugnen trachtete. Denn nicht nur waren ihm alle seine blanken Wandleuchter verblieben, auch die mächtige Baßgeige, die jedesmal wegzuschaffen viel zu mühsam gewesen wäre, guckte, schräg gestellt, mit ihrem langen Halse von der Musikempore her über die Brüstung fort.

Unter dieser Empore, quer durch den Saal hin, stand ein für das Komitee bestimmter länglicher Tisch mit Tischdecke, während auf den links und rechts sich hinziehenden Bänken einige zwanzig Vertrauensmänner saßen, denen es hinterher oblag, im Sinne der Komiteebeschlüsse weiter zu wirken. Die Vertrauensmänner waren meist wohlhabende Stechliner Bauern, untermischt mit offiziellen und halboffiziellen Leuten aus der Nachbarschaft: Förster und Waldhüter und Vormänner von den verschiedenen Glas- und Teeröfen. Zu diesen gesellte sich noch ein Torfinspektor, ein Vermessungsbeamter, ein Steueroffiziant und schließlich ein gescheiterter Kaufmann, der jetzt Agent war und die Post besorgte. Natürlich war auch Landbriefträger Brose da samt der gesamten Sicherheitsbehörde: Fußgensdarm Uncke und Wachtmeister Pyterke von der reitenden Gensdarmerie. Pyterke gehörte nur halb mit zum Revier (es war das immer ein streitiger Punkt), erschien aber trotzdem mit Vorliebe bei Versammlungen der Art. Es gab nämlich für ihn nichts Vergnüglicheres, als seinen Kameraden und Amtsgenossen Uncke bei solcher Gelegenheit zu beobachten und sich dabei seiner ungeheuren, übrigens durchaus berechtigten Überlegenheit als schöner Mann und ehemaliger Gardekürassier bewußt zu werden. Uncke war ihm der Inbegriff des Komischen, und wenn ihn schon das rote, verkupferte Gesicht an und für sich amüsierte, so doch viel, viel mehr noch der gefärbte Schuhbürstenbackenbart, vor allem aber das Augenspiel, mit dem er den Verhandlungen zu folgen pflegte. Pyterke hatte recht: Uncke war wirklich eine komische Figur. Seine Miene sagte beständig: »An mir hängt es.« Dabei war er ein höchst gutmütiger Mann, der nie mehr als nötig aufschrieb und auch nur selten auflöste.

Der Saal hatte nach dem Flur hin drei Türen. An der Mitteltür standen die beiden Gensdarmen und rückten sich zurecht, als sich der Vorsitzende des Komitees mit dem Glockenschlag sieben von seinem Platz erhob und die Sitzung für eröffnet erklärte. Dieser Vorsitzende war natürlich Oberförster Katzler, der heute, statt des bloßen schwarz-weißen Bandes, sein bei St. Marie aux Chênes erworbenes Eisernes Kreuz in Substanz eingeknöpft hatte. Neben ihm saßen Superintendent Koseleger und Pastor Lorenzen, an der linken Schmalseite Krippenstapel, an der rechten Schulze Kluckhuhn, letzterer auch dekoriert, und zwar mit der Düppelmedaille, trotzdem er bei Düppel in der Reserve gestanden. Er scherzte gern darüber und sagte, während er seine beneidenswerten Zähne zeigte: »Ja, Kinder, so geht es. Bei Alsen war ich, aber bei Düppel war ich nich, und dafür hab ich nu die Düppelmedaille.«

Schulze Kluckhuhn war überhaupt eine humoristisch angeflogene Persönlichkeit, Liebling des alten Dubslav, und trat immer, wenn sich die alten Kriegerbundleute von sechsundsechzig und siebzig aufs hohe Pferd setzen wollten, für die von vierundsechzig ein. »Ja, vierundsechzig, Kinder, da fing es an. Und aller Anfang ist schwer. Anfangen ist immer die Hauptsache; das andre kommt dann schon wie von selbst.« Ein alter Globsower, der bei Spichern mitgestürmt und sich durch besondere Tapferkeit hervorgetan hatte, war denn auch, bloß weil er einer von Anno siebzig war, ein Gegenstand seiner besonderen Bemängelungen. »Ich will ja nich sagen, Tübbecke, daß es bei Spichern gar nichts war; aber gegen Düppel (wenn ich auch nicht mit dabei gewesen), gegen Düppel war es gar nichts. Wie war es denn bei Spichern, wovon du soviel redst, als ob sich vierundsechzig daneben verstecken müßte? Bei Spichern, da waren Menschen oben, aber bei Düppel, da waren Schanzen oben. Und ich sag dir, Schanzen mit'm Turm drin. Da pfeift es ganz anders. Das heißt, von Pfeifen war schon eigentlich gar keine Rede mehr.« Eine Folge dieser Anschauung war es denn auch, daß in den Augen Kluckhuhns der Pionier Klinke, der bei Düppel unter Opferung seines Lebens den Palisadenpfahl von Schanze drei weggesprengt hatte, der eigentliche Held aller drei Kriege war und alles in allem nur einen Rivalen hatte. Dieser eine Rivale stand aber drüben auf Seite der Dänen und war überhaupt kein Mensch, sondern ein Schiff und hieß Rolf Krake. »Ja, Kinder, wie wir nu da so rüber gondelten, da lag das schwarze Biest immer dicht neben uns und sah aus wie'n Sarg. Und wenn es gewollt hätte, so wär es auch alle mit uns gewesen und bloß noch plumps in den Alsensund. Und weil wir das wußten, schossen wir immer drauflos, denn wenn einem so zu Mute ist, dann schießt der Mensch immerzu.«

 

Ja, Rolf Krake war eine fatale Sache für Kluckhuhn gewesen. Aber dasselbe schwarze Schiff, das ihm damals so viel Furcht und Sorge gemacht hatte, war doch auch wieder ein Segen für ihn geworden, und man durfte sagen, sein Leben stand seitdem im Zeichen von Rolf Krake. Wie Gundermann immer der Sozialdemokratie das »Wasser abstellen« wollte, so verglich Kluckhuhn alles zur Sozialdemokratie Gehörige mit dem schwarzen Ungetüm im Alsensund. »Ich sag euch, was sie jetzt die soziale Revolution nennen, das liegt neben uns wie damals Rolf Krake; Bebel wartet bloß, und mit eins fegt er dazwischen.«

Schulze Kluckhuhn war in der ganzen Stechliner Gegend sehr angesehen, und als er jetzt mit seiner Medaille so dasaß, dicht neben Koseleger, war er sich dessen auch wohl bewußt. Aber gegen Krippenstapel, den er als Schulpauker und Bienenvater eigentlich nicht für voll ansah, kam er bei dieser Gelegenheit doch nicht an; Krippenstapel hatte heute ganz seinen großen Tag, so sehr, daß selbst Kluckhuhn seinen Ton herabstimmen mußte.

Katzler, ein entschiedener Nichtredner, begann, als er sich mit seinem Notizenzettel, auf dem verschiedene Satzanfänge standen, erhoben hatte, mit der Versicherung, daß er den so zahlreich Anwesenden, unter denen vielleicht auch einige Andersdenkende seien, für ihr Erscheinen danke. Sie wüßten alle, zu welchem Zweck sie hier seien. Der alte Kortschädel sei tot, »er ist in Ehren hingegangen«, und es handle sich heute darum, dem alten Herrn von Kortschädel im Reichstag einen Nachfolger zu geben. Die Grafschaft habe immer konservativ gewählt; es sei Ehrensache, wieder konservativ zu wählen. »Und ob die Welt voll Teufel wär'.« Es liege der Grafschaft ob, dieser Welt des Abfalls zu zeigen, daß es noch »Stätten« gäbe. Und hier sei eine solche Stätte. »Wir haben, glaub ich,« so schloß er, »niemand an diesem Tisch, der das Parlamentarische voll beherrscht, weshalb ich bemüht gewesen bin, das, was uns hier zusammengeführt hat, schriftlich niederzulegen. Es ist ein schwacher Versuch. Jeder tut, soviel er kann, und der Brombeerstrauch hat eben nur seine Beeren. Aber auch sie können den durstigen Wanderer erfrischen. Und so bitte ich denn unsern politischen Freund, dem wir außerdem für die Erforschung dieser Gegenden so viel verdanken, ich bitte Herrn Lehrer Krippenstapel, uns das von mir Aufgesetzte vorlesen zu wollen. Ein pro memoria. Man kann es vielleicht so nennen.«

Katzler, unter Verneigung, setzte sich wieder, während sich Krippenstapel erhob. Er blätterte wie ein Rechtsanwalt in einer Anzahl von Papieren und sagte dann: »Ich folge der Aufforderung des Herrn Vorsitzenden und freue mich, berufen zu sein, ein Schriftstück zur Verlesung zu bringen, das unser aller Gefühlen – ich bin dessen sicher und glaube von den Einschränkungen, die unser Herr Vorsitzender gemacht hat, absehen zu dürfen – zu kräftigstem Ausdruck verhilft.«

Und nun setzte Krippenstapel seine Hornbrille auf und las. Es war ein ganz kurzes Schriftstück und enthielt eigentlich dasselbe, was Katzler schon gesagt hatte. Die Betonungen Krippenstapels sorgten aber dafür, daß der Beifall reichlicher war, und daß die Schlußwendung »und so vereinigen wir uns denn in dem Satze: was um den Stechlin herum wohnt, das ist für Stechlin,« einen ungeheuren Beifall fand. Pyterke hob seinen Helm und stieß mit dem Pallasch auf, während Uncke sich umsah, ob doch vielleicht ein einzelner Übelwollender zu notieren sei. Nicht um ihn direkt anzuzeigen, aber doch zur Kenntnisnahme. Brose, der (wohl eine Folge seines Berufs) unter dem ungewohnten langen Stillstehen gelitten hatte, nahm im Vorflur, wie zur Niederkämpfung seiner Beinnervosität, eine Art Probegeschwindschritt rasch wieder auf, während Kluckhuhn sich von seinem Stuhl erhob, um Katzler erst militärisch und dann unter gewöhnlicher Verbeugung zu begrüßen, wobei seine Düppelmedaille dem Katzlerschen Eisernen Kreuz entgegenpendelte. Nur Koseleger und Lorenzen blieben ruhig. Um des Superintendenten Mund war ein leiser ironischer Zug.

Dann erklärte der Vorsitzende die Sitzung für geschlossen; alles brach auf, und nur Uncke sagte zu Brose: »Wir bleiben noch, Brose; morgen wird es Lauferei genug geben.«

»Denk ich auch. Aber lieber laufen als hier so stillestehen.«

Achtzehntes Kapitel

Draußen, unter dem Gezweig der alten Linden, standen mehrere Kaleschwagen, aber der des Superintendenten fehlte noch, weil Koseleger eine viel längere Sitzung erwartet und daraufhin seinen Wagen erst zu zehn Uhr bestellt hatte. Bis dahin war noch eine hübsche Zeit; der Superintendent indessen schien nicht unzufrieden darüber, und seines Amtsbruders Arm nehmend, sagte er: »Lieber Lorenzen, ich muß mich, wie Sie sehen, bei Ihnen zu Gaste laden. Als Unverheirateter werden Sie, so hoffe ich, über die Störung leicht hinwegkommen. Die Ehe bedeutet in der Regel Segen, wenigstens an Kindern, aber die Nichtehe hat auch ihre Segnungen. Unsere guten Frauen entschlagen sich dieser Einsicht, und dieser unbedingte Glauben an sich und ihre Wichtigkeit hat oft was Rührendes.«

Lorenzen, der sich – bei voller Würdigung der Gaben seines ihm vorgesetzten und zugleich gern einen spöttischen Ton anschlagenden Amtsbruders – im allgemeinen nicht viel aus ihm machte, war diesmal mit allem einverstanden und nickte, während sie, schräg über den Platz fort, auf die Pfarre zuschritten.

»Ja, diese Einbildungen!« fuhr Koseleger fort, zu dessen Lieblingsgesprächen dieses Thema gehörte. »Gewiß ist es richtig, daß wir samt und sonders von Einbildungen leben, aber für die Frauen ist es das tägliche Brot. Sie malträtieren ihren Mann und sprechen dabei von Liebe, sie werden malträtiert und sprechen erst recht von Liebe; sie sehen alles so, wie sie's sehen wollen, und vor allem haben sie ein Talent, sich mit Tugenden auszurüsten (erlassen Sie mir, diese Tugenden aufzuzählen), die sie durchaus nicht besitzen. Unter diesen meist nur in der Vorstellung existierenden Tugenden befindet sich auch die der Gastlichkeit, wenigstens hierlandes. Und nun gar unsre Pfarrmütter! Eine jede hält sich für die heilige Elisabeth mit den bekannten Broten im Korb. Haben Sie übrigens das Bild auf der Wartburg gesehen? Unter allen Schwindschen Sachen steht es mir so ziemlich obenan. Und in Wahrheit, um auf unsere Pfarrmütter zurückzukommen, liegt es doch so, daß ich mich bei pastorlichen Junggesellen immer am besten aufgehoben gefühlt habe.«

Lorenzen lachte: »Wenn Sie nur heute nicht widerlegt werden, Herr Superintendent.«

»Ganz undenkbar, lieber Lorenzen. Ich bin noch nicht lange in dieser Gegend, in meinem guten Quaden-Hennersdorf da drüben, aber wenn auch nicht lange, so doch lange genug, um zu wissen, wie's hier herum aussieht. Und Ihr Renommee … Sie sollen so was von einem Feinschmecker an sich haben. Kann ich mir übrigens denken. Sie sind Ästhetikus, und das ist man nicht ungestraft, am wenigsten in bezug auf die Zunge. Ja, das Ästhetische. Für manchen ist es ein Unglück. Ich weiß davon. Das Haus hier vor uns ist wohl Ihr Schulhaus? Weißgestrichen und kein Fetzchen Gardine, das ist immer ne preußische Schule. So wird bei uns die Volksseele für das, was schön ist, großgezogen. Aber es kommt auch was dabei heraus! Mitunter wundert's mich nur, daß sie die Bauten aus der Zeit Friedrich Wilhelms I. nicht besser konservieren. Eigentlich war das doch das Ideal. Graue Wand, hundert Löcher drin und unten großes Hauptloch. Und natürlich ein Schilderhaus daneben. Letzteres das Wichtigste. Schade, daß so was verloren geht. Übrigens rettet hier der grüne Staketenzaun das Ganze … Wie heißt doch der Lehrer?«

»Krippenstapel.«

»Richtig, Krippenstapel. Katzler nannte ihn ja während der Sitzung mit einer Art Aplomb. Ich erinnere mich noch, wie mir der Name wohltat, als ich ihn das erstemal hörte. So heißt nicht jeder. Wie kommen Sie mit dem Manne aus?«

»Sehr gut, Herr Superintendent.«

»Freut mich aufrichtig. Aber es muß ein Kunststück sein. Er hat ein Gesicht wie ne Eule. Dabei so was Steifleinenes und zugleich Selbstbewußtes. Der richtige Lehrer. Meiner in Quaden-Hennersdorf war ebenso. Aber er läßt nun schon ein bißchen nach.«

Unter diesen Worten waren sie bis an die Pfarre gekommen, in der man, ohne daß ein Bote vorausgeschickt worden wäre, doch schon wußte, daß der Herr Superintendent mit erscheinen würde. Nun war er da. Nur wenige Minuten waren seit dem Aufbruch vom Krug her vergangen, die trotz Kürze für Frau Kulicke (eine Lehrerswitwe, die Lorenzen die Wirtschaft führte) ausgereicht hatten, alles in Schick und Ordnung zu bringen. Auf dem länglichen Hausflur, an dessen äußerstem Ende man gleich beim Eintreten die blinkblanke Küche sah, brannten ein paar helle Paraffinkerzen, während rechts daneben, in der offenstehenden Studierstube, eine große Lampe mit grünem Bilderschirm ein gedämpftes Licht gab. Lorenzen schob den Sofatisch, darauf Zeitungen hoch aufgeschichtet lagen, ein wenig zurück und bat Koseleger, Platz zu nehmen. Aber dieser, eben jetzt das große Bild bemerkend, das in beinahe reicher Umrahmung über dem Sofa hing, nahm den ihm angebotenen Platz nicht gleich ein, sondern sagte, sich über den Tisch vorbeugend: »Ah, gratuliere, Lorenzen. Kreuzabnahme; Rubens. Das ist ja ein wunderschöner Stich. Oder eigentlich Aquatinta. Dergleichen wird hier wohl im siebenmeiligen Umkreis nicht oft betroffen werden, nicht einmal in dem etwas heraufgepufften Rheinsberg; in Rheinsberg war man für Watteausche Reifrockdamen auf einer Schaukel, aber nicht für Kreuzabnahmen und dergleichen. Und stammt auch sicher nicht aus dem sogenannten Schloß Ihres liebenswürdigen alten Herrn drüben, Riesenkate mit Glaskugel davor. Ach, wenn ich diese Glaskugeln sehe. Und daneben das hier! Wissen Sie, Lorenzen, das Bild hier ruft mir eine schöne Stunde meines Lebens zurück, einen Reisetag, wo ich mit Großfürstin Wera vom Haag aus in Antwerpen war. Da sah ich das Bild in der Kathedrale. Waren Sie da?«

Lorenzen verneinte.

»Das wäre was für Sie. Dieser Rubens im Original, in seiner Farbenallgewalt. Es heißt immer, daß er nur Flamänderinnen hätte malen können. Nun, das wäre wohl auch noch nicht das Schlimmste gewesen. Aber er konnte mehr. Sehen Sie den Christus. Wohl jedem, der draußen war, und zu dem die Welt mal in andern Zungen redete! Hier blüht der Bilderbogen, Türke links, Russe rechts. Ach, Lorenzen, es ist traurig, hier versauern zu müssen.«

Als er so gesprochen, ließ er sich, vor sich hinstarrend, in die Sofaecke nieder, ganz wie in andre Zeiten verloren, und sah erst wieder auf, als ein junges Ding ins Zimmer trat, groß und schlank und blond, und dem Pastor verlegen und errötend etwas zuflüsterte.

»Meine gute Frau Kulicke,« sagte Lorenzen, »läßt eben fragen, ob wir unsern Imbiß im Nebenzimmer nehmen wollen? Ich möchte beinahe glauben, es ist das beste, wir bleiben hier. Es heißt zwar, ein Eßzimmer müsse kalt sein. Nun, das hätten wir nebenan. Ich persönlich finde jedoch das Temperierte besser. Aber ich bitte, bestimmen zu wollen, Herr Superintendent.«

»Temperiert. Mir aus der Seele gesprochen. Also wir bleiben, wo wir sind … Aber sagen Sie mir, Lorenzen, wer war das entzückende Geschöpf? Wie ein Bild von Knaus. Halb Prinzeß, halb Rotkäppchen. Wie alt ist sie denn?«

»Siebzehn. Eine Nichte meiner guten Frau Kulicke.«

 

»Siebzehn. Ach, Lorenzen, wie Sie zu beneiden sind. Immer solche Menschenblüte zu sehn. Und siebzehn, sagen Sie. Ja, das ist das Eigentliche. Sechzehn hat noch ein bißchen von der Eierschale, noch ein bißchen den Einsegnungscharakter, und achtzehn ist schon wieder alltäglich. Achtzehn kann jeder sein. Aber siebzehn. Ein wunderbarer Mittelzustand. Und wie heißt sie?«

»Elfriede.«

»Auch das noch.«

Lorenzen wiegte den Kopf und lächelte.

»Ja, Sie lächeln, Lorenzen, und wissen nicht, wie gut Sie's haben in dieser Ihrer Waldpfarre. Was ich hier sehe, heimelt mich an, das ganze Dorf, alles. Wenn ich mir da beispielsweise den Tisch wieder vergegenwärtige, dran wir, drüben im Krug, vor einer halben Stunde gesessen haben, an der linken Seite dieser Krippenstapel (er sei wie er sei) und an der rechten Seite dieser Rolf Krake. Das sind ja doch lauter Größen. Denn das Groteske hat eben auch seine Größen und nicht die schlechtesten. Und dazu dieser Katzler mit seiner Ermyntrud. All das haben Sie dicht um sich her und dazu dies Kind, diese Elfriede, die hoffentlich nicht Kulicke heißt, – sonst bricht freilich mein ganzes Begeisterungsgebäude wieder zusammen. Und nun nehmen Sie mich, Ihren Superintendenten, das große Kirchenlicht dieser Gegenden! Alles nackte Prosa, widerhaarige Kollegen und Amtsbrüder, die mir nicht verzeihen können, daß ich im Haag war und mit einer Großfürstin über Land fahren konnte. Glauben Sie mir, Großfürstinnen, selbst wenn sie Mängel haben (und sie haben Mängel), sind mir immer noch lieber als das Landesgewächs von Quaden-Hennersdorf, und mitunter ist mir zumut, als gäbe es keine Weltordnung mehr.«

»Aber Herr Superintendent …«

»Ja, Lorenzen, Sie setzen ein überraschtes Gesicht auf und wundern sich, daß einer, für den die hohe Klerisei so viel getan und ihn zum Superintendenten in der gesegneten Mittelmark und der noch gesegneteren Grafschaft Ruppin gemacht hat, – Sie wundern sich, daß solch zehnmal Glücklicher solchen Hochverrat redet. Aber bin ich ein Glücklicher? Ich bin ein Unglücklicher …«

»Aber Herr Superintendent …«

»… Und möchte, daß ich eine Hundertundfünfzig-Seelen-Gemeinde hätte, sagen wir auf dem ›toten Mann‹ oder in der Tuchler Heide. Sehen Sie, dann wär es vorbei, dann wüßt ich bestimmt: ›du bist in den Skat gelegt‹. Und das kann unter Umständen ein Trost sein. Die Leute, die Schiffbruch gelitten und nun in einer Isolierzelle sitzen und Tüten kleben oder Wolle zupfen, das sind nicht die Unglücklichsten. Unglücklich sind immer bloß die Halben. Und als einen solchen habe ich die Ehre mich Ihnen vorzustellen. Ich bin ein Halber, vielleicht sogar in dem, worauf es ankommt; aber lassen wir das, ich will hier nur vom allgemein Menschlichen sprechen. Und daß ich auch in diesem Menschlichen ein Halber bin, das quält mich. Über das andre käm ich vielleicht weg.«

Lorenzens Augen wurden immer größer.

»Sehen Sie, da war ich also – verzeihen Sie, daß ich immer wieder darauf zurückkomme – da war ich also mit siebenundzwanzig im Haag und kam in die vornehme Welt, die da zu Hause ist. Und da war ich denn heut in Amsterdam und morgen in Scheveningen und den dritten Tag in Gent oder in Brügge. Brügge, Reliquienschrein, Hans Memling – so was müßten Sie sehn. Was sollen uns diese ewigen Markgrafen oder gar die faule Grete? Mancher, ich weiß wohl, ist für's härene Gewand oder zum Eremiten geboren. Ich nicht. Ich bin von der andern Seite; meine Seele hängt an Leben und Schönheit. Und nun spricht da draußen all dergleichen zu einem, und man tränkt sich damit und hat einen Ehrgeiz, nicht einen kindischen, sondern einen echten, der höher hinauf will, weil man da wirken und schaffen kann, für sich gewiß, aber auch für andre. Danach dürstet einen. Und nun kommt der Becher, der diesen Durst stillen soll. Und dieser Becher heißt Quaden-Hennersdorf. Das Dorf, das mich umgibt, ist ein großes Bauerndorf, aufgesteifte Leute, geschwollen und hartherzig, und natürlich so trocken und trivial, wie die Leute hier alle sind. Und noch stolz darauf. Ach, Lorenzen, immer wieder, wie beneide ich Sie!«

Während Koseleger noch so sprach, erschien Frau Kulicke. Sie schob die Zeitungen zurück, um zwei Kuverts legen zu können, und nun brachte sie den Rotwein und ein Kabarett mit Brötchen. In dünngeschliffene große Gläser schenkte Lorenzen ein, und die beiden Amtsbrüder stießen an »auf bessere Zeiten«. Aber sie dachten sich sehr Verschiedenes dabei, weil sich der eine nur mit sich, der andre nur mit andern beschäftigte.

»Wir könnten, glaub ich,« sagte Lorenzen, »neben den ›besseren Zeiten‹ noch dies und das leben lassen. Zunächst Ihr Wohl, Herr Superintendent. Und zum zweiten auf das Wohl unsers guten alten Stechlin, der uns doch heute zusammengeführt. Ob wir ihn durchbringen? Katzler tat so sicher und Kluckhuhn und Krippenstapel nun schon ganz gewiß. Aber ich habe trotzdem Zweifel. Die Konservativen – ich kann kaum sagen ›unsere Parteigenossen‹, oder doch nur in sehr bedingtem Sinne – die Konservativen sind in sich gespalten. Es gibt ihrer viele, denen unser alter Stechlin um ein gut Teil zu flau ist. ›Fortiter in re, suaviter in modo,‹ hat neulich einer, der sich auf Bildung ausspielt, von dem Alten gesagt, und von ›suaviter,‹ wenn auch nur ›in modo‹, wollen alle diese Herren nichts wissen. Unter diesen Ultras ist natürlich auch Gundermann auf Siebenmühlen, der Ihnen vielleicht bekannt geworden ist …«

»Versteht sich. War neulich bei mir. Ein Mann von drei Redensarten, von denen die zwei besten aus der Wassermüllersphäre genommen sind.«

»Nun, dieser Gundermann, wie immer die Dummen, ist zugleich Intrigant, und während er vorgibt, für unsern guten alten Stechlin zu werben, tropft er den Leuten Gift ins Ohr und erzählt ihnen, daß der Alte senil sei und keinen Schneid habe. Der alte Stechlin hat aber mehr Schneid als sieben Gundermanns. Gundermann ist ein Bourgeois und ein Parvenu, also so ziemlich das Schlechteste, was einer sein kann. Ich bin schon zufrieden, wenn dieser Jämmerling unterliegt. Aber um den Alten bin ich besorgt. Ich kann nur wiederholen: es liegt nicht so günstig für ihn, wie die Gegend hier sich einbildet. Denn auf das arme Volk ist kein Verlaß. Ein Versprechen und ein Kornus, und alles schnappt ab.«

»Ich werde das meine tun,« sagte Koseleger mit einer Mischung von Pathos und Wohlwollen. Aber Lorenzen hatte dabei den Eindruck, daß sein Quaden-Hennersdorfer Superintendent bereits ganz andern Bildern nachhing. Und so war es auch. Was war für Koseleger diese traurige Gegenwart? Ihn beschäftigte nur die Zukunft, und wenn er in die hineinsah, so sah er einen langen, langen Korridor mit Oberlicht und am Ausgang ein Klingelschild mit der Aufschrift: Doktor Koseleger, Generalsuperintendent.

So ziemlich um dieselbe Stunde, wo die beiden Amtsbrüder »auf bessere Zeiten« anstießen, hielt Katzlers Pürschwagen – die Sterne blinkten schon – vor seiner Oberförsterei. Das Blaffen der Hunde, das, solange der Wagen noch weit ab war, unausgesetzt über die Waldwiese hingeklungen war, verkehrte sich mit einemmal in winseliges Geheul und wunderliche Freudentöne. Katzler sprang aus dem Wagen, hing den Hut an einen im Flur stehenden Ständer (von den ewigen »Geweihen« wollte er als feiner Mann nichts wissen) und trat gleich danach in das an der linken Flurseite gelegene, matt erleuchtete Wohnzimmer seiner Frau. Das gedämpfte Licht ließ sie noch blasser erscheinen, als sie war. Sie hatte sich, als der Wagen hielt, von ihrem Sofaplatz erhoben und kam ihrem Manne, wie sie regelmäßig zu tun pflegte, wenn er aus dem Walde zurückkehrte, zu freundlicher Begrüßung entgegen. Ein als Weihnachtsgeschenk für eine jüngere Schwester bestimmtes Batisttuch, in das sie eben die letzte Zacke der Ippe-Büchsensteinschen Krone hineinstickte, hatte sie, bevor sie sich vom Sofa erhob, aus der Hand gelegt. Sie war nicht schön, dazu von einem lymphatisch-sentimentalen Ausdruck, aber ihre stattliche Haltung und mehr noch die Art, wie sie sich kleidete, ließen sie doch als etwas durchaus Apartes und beinahe Fremdländisches erscheinen. Sie trug, nach Art eines Morgenrockes, ein glatt herabhängendes, leis gelbgetöntes Wollkleid und als Eigentümlichstes einen aus demselben gelblichen Wollstoff hergestellten Kopfputz, von dem es unsicher blieb, ob er einen Turban oder eine Krone darstellen sollte. Das Ganze hatte etwas Gewolltes, war aber neben dem Auffälligen doch auch wieder kleidsam. Es sprach sich ein Talent darin aus, etwas aus sich zu machen.