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Rache der Zarin. Der Beginn: Nach wahren Begebenheiten

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„Soll ich das alles allein machen? Los!“ Mit seinem Stiefel trat der Dämon nun meinem toten Vater ins Gesicht. Ein Zahn brach dabei aus dessen Kiefer. Durch diesen Schwung verlor der Henker aber auf den blutverschmierten Dielen das Gleichgewicht und rutschte aus. Jurowski landete dabei so, dass er der noch immer nach Luft krampfenden Maria direkt ins keuchende und angstverzerrte Kindergesicht schaute.

Puterrot versuchte er sich zu erheben, rutschte aber erneut auf dem glitschigen Blut aus.

Ein Ungar lachte darüber und reichte ihm die Hand.

„Ist wohl doch nicht so leicht!“, sagte er auf Deutsch zu den anderen.

„Halts Maul!“, befahl Jurowski auf Russisch und stand allein auf.

Das mörderische Kommando machte sich nun erneut an die befohlene Schlachtarbeit. Ich hörte die kleine Maria immer noch durch den geöffneten Hals nach Luft keuchen. Wahre Bestien waren das. Wer konnte Kinder morden? Das waren keine Menschen, sondern Höllenwesen, die selbst den Tod verdienten.

Zwei Rotgardisten stachen nun um die Wette auf die immer noch lebende Tatjana ein. Diese jammerte bei jedem Einstich laut.

Das Bajonett des einen Schergen verfing sich wie zuvor bei ihrem Anführer in der Kleidung und ließ sich nicht mehr herausziehen.

Durch die Versuche, es doch zu schaffen, riss er den noch lebenden Körper meiner blutenden Schwester von links nach rechts. Dadurch verfehlte wiederum der andere Bandit mit seinen Stößen das Ziel und dessen Bajonett landete mal im Bein, mal im Bauch von Tatjana, die jedes Mal trotz des hohen Blutverlustes leidvoll aufschrie.

Nichts ist schlimmer als diese Laute eines gequälten Kindes, das nicht erfassen kann, zu was Menschen fähig sind. Selbst wilde Wölfe erscheinen dagegen harmlos, denn sie töten aus Hunger. Aller Schmerz, alle Verzweiflung und alles erschütterte Vertrauen lagen in diesen Schreien. Ich werde sie niemals vergessen.

Tränen des unermesslichen Mitgefühls rannen aus meinen Augen. Das Leid war nicht mit Worten zu beschreiben. Mein Körper wurde katatonisch.

Ich wirkte inzwischen tot konnte jedoch seltsamerweise noch immer meine Umwelt irgendwie wahrnehmen. Pawel Medwedew stieß mir probeweise das Bajonett ins Bein. Ich spürte den Schmerz nicht, so als wäre ich narkotisiert. Er stach ein weiteres Mal in meine Brust. Hier spürte ich den Stahl noch etwas, doch schwieg bewegungslos.

„Wenigstens die ist hinüber!“, schrie er zufrieden.

Dann wandte er sich wieder Anastasia zu.

Ihr Stöhnen zeigte ihm, dass noch Leben in ihr war.

„Diese lebt dagegen noch!“, schrie er den anderen zu.

Er musterte sie neugierig, wie ein Schlachter das Lamm. In seinen Augen stand weder Mitleid noch ein schlechtes Gewissen. Der Henkersknecht dachte nur nach, wie er seinen Mord am besten bewerkstelligen konnte. Höhnisch auflachend stieß er ihr das Bajonett direkt zwischen die Beine. Sie wimmerte. Sein Kommandant trat hinzu und riss ihm das Gewehr aus der Hand.

„Du sollst sie umlegen!“, keuchte er und stieß das Bajonett in Richtung ihres Halses, um dort die Halsschlagader zu treffen, verfehlte diese jedoch. Angstvoll versuchte meine Schwester fortzukriechen. Ein weiterer Bajonettstich nagelte jedoch ihr Bein am Holzfußboden fest.

Der Ungar Imre Nagy, der dies getan hatte, sah meine blutende Schwester wie eine Schlange an, die man im Garten auf eine Forke spießte. Er lachte sogar auf, als sie sich krümmte und wand. Sie konnte nun nicht mehr fort. Ihn belustigte das.

Ein wahnsinniger Schmerz breitete sich vom Magen her in meinen restlichen Körper aus. Das Mittel schien mehr einer Säure zu ähneln. War es vielleicht bloß Gift, das mich lähmte? In diesem Moment des Todes und der Erniedrigung schwor ich Gott ab und gelobte grausame Rache. Nie würde ich das vergessen, was hier geschah. Wie konnte ein Gott dies alles zulassen? Ich schwor, nicht eher zu ruhen, bis das Menschengeschlecht von Bestien dieser Art befreit war. Blut für Blut! Dafür war ich bereit, selbst zu einem Monster zu werden.

Jurowski drückte das Gewehr wieder Pawel Medwedew in die Hand. Meine Schwester konnte ja nun nicht mehr entkommen. An einer anderen Stelle war für ihn wohl mehr zu tun.

„Du wirst schon sterben, Schlange!“, schrie Medwedew. „Hab nur Geduld! Und schönen Dank noch für den Kuchen!“

Erneut stieß er mit dem Bajonett zu. Ein weiterer hilfsbereiter Ungar, der sein Mordgeschäft schon erfolgreich beendet hatte, eilte ihm zu Hilfe. Es war der, der gestern das zweite Stück Kuchen von uns erhalten hatte. Sie stachen wild auf die Sterbende ein. Ich hörte noch einmal meine Mutter hauchen.

„Olga …!“

„Deine Bälger sind alle schon hin!“, hörte ich Jurowski höhnen. „Wieso lebst du Hexe eigentlich noch?“

„Da liegt Gold!“, schrie plötzlich Medwedew aufgeregt.

Aus meinem Mieder hatten sich einige Teile des eingenähten Schmuckes gelöst. Auch Jurowski blickte erstaunt auf das glänzende Metall.

„Diese Ausbeuterbrut versteckt sogar noch bei der eigenen Hinrichtung ihr Gold! Darum sind die Kugeln abgeprallt!“, stieß er aufgebracht hervor.

Für einen Moment hielten die Männer verdutzt in ihrer grausamen Tätigkeit inne und schauten begierig auf die Schmuckstücke.

„Keiner fasst das an!“, befahl ihr Kommandeur.

„Wer das macht, wird sofort erschossen! Wir bringen das jetzt zu Ende und dann sammelt ihr alles ein!“

Jurowski ließ selbst vom Morden ab, um die Untergebenen zu überwachen. Natürlich traute er dieser ihnen nicht. Zudem war seine eigene Gier erwacht.

„Los, an die Arbeit! Ihr seid solche Dilettanten! Ein Teil von dem Pack lebt vielleicht noch immer!“

Medwedew sah nochmals prüfend auf meinen blutüberströmten Körper und stach mir zur Sicherheit abermals herzlos in den linken Arm. Ich fühlte es nicht und verzog keine Miene. Das mysteriöse Mittel wirkte.

„Die ist krepiert!“, verkündete er stolz zur letzten Sicherheit auch noch meinen Puls fühlend und spuckte zur Bestätigung in mein Gesicht.

Ich bekam keine Luft. Mir wurde sehr, sehr kalt. Es wurde dunkel und friedlich. War dies der Tod?

Die zwei Reihen

Die Fortsetzung finden Sie entweder in dem jeweiligen Band II der Reihen ***Rache der Zarin*** oder in Band II ***Die Rache der Zarentochter***.

Die Rache der Zarentochter wendet sich dabei an die Freunde rein Historischer Romane. Die Reihe Rache der Zarin erweitert die Handlung um eine absolut glaubhafte Mystery-Vampir-Komponente. Da einige Leser aufgrund der vielfältigen Vampirliteratur das Genre leider ganz ablehnen, gibt es diese zwei Lese-Reihen mit gleicher Grundhandlung.




Leserstimmen:

-Die professionell lektorierten und illustrierten E-Books zeichnen sich durch die einzigartige Kombination aus ganz verschiedenen Genres aus, die den historischen Roman, Horror-, Fantasy- und Thriller-Elemente verbinden aus (Xinxii Blog)

-Dieses Buch hat mich sehr in den Bann gezogen, dazu muss ich sagen, es gibt nur wenige Schriftsteller die Horror und Mystery so gut in ein Buch packen (Joali)

- Die Autorin versteht es, das Schicksal der jungen Zarin so zu erzählen, dass es einem unter die Haut geht. (Andorra)

-Man bekommt hier wirklich qualitativ hochwertige Schreibkunst und spannende Unterhaltung geboten. Die ungewöhnliche Mischung aus blutiger Action, historischen Ereignissen und ethischen Fragestellungen zeichnet den Roman in besonderer Weise aus (Bookrix Literaturblog)

Weitere Bücher


Wir schrieben das Jahr 1912. Vor meinen versonnenen Blicken wiederholte sich draußen ein ewiger Zyklus. Der September ließ erste Blätter von den Bäumen und Sträuchern zu Boden fallen; gelbe, rote und braune. Der Wind formte sie zu kleineren und größeren bunten Häufchen. Wenn Kinder diese mit den Füßen auseinander stießen, raschelten sie zärtlich. Das knisternde Geräusch und der lustige Anblick erinnerten Ältere an die vergangene eigene Kindheit. Die unbeschwerte Freude an diesem natürlichem Spiel erstarb leider mit jedem Lebensjahr.

Für mich war der frühe Herbst noch immer eine wunderschöne Jahreszeit, denn ich war gerade einmal achtzehn Jahre jung. Allerdings verbrachte ich die meiste Zeit des Tages inzwischen doch lieber daheim.

„Grimm, was ist nur mit dir los?“, drang eine zuckersüße Stimme bestimmt in meine träumerischen Gedanken vor. „Du bist ganz woanders und wirkst fast entrückt. Ich denke schon, ich spreche mit mir selbst, obwohl du da bist“, beschwerte Anastasia sich.

Ertappt zuckte ich zusammen. Etwas brauner Tee ergoss sich dabei ungewollt auf die Untertasse. Wie aus einem Traum erwachend blickte ich meine Gesprächspartnerin voller Erstaunen an, war im Inneren eigenartig bewegt und wollte fast weinen, obwohl ich eigentlich nicht wirklich wusste, warum? Natürlich unterdrückte ich diese weibische Lächerlichkeit, denn ich war ein Mann.

 

„Ich habe mich verliebt!“, gestand ich errötend die Wahrheit. Es wurde Zeit dafür. Ein innerer Zwang zum Teilen dieses wundervollen Zustandes hatte mich verleitet. Geteilte Freude verdoppelt sich nun einmal.

„Wie wunderbar!“, hauchte meine Besucherin.

Anastasia sah mich mit ihren warmen Augen geradezu inniglich an. Die Hübsche sah sich offenbar am Ziel ihrer Wünsche. Aufgeregt kratzte ihr abgespreizter kleiner Fingernagel in den blonden Locken, die einen minimalen Rotstich aufwiesen. Gerade dieser verlieh ihr eine ganz besondere Note. Sie war eine gottesfürchtige hellhäutige russische Schönheit aus guter Familie, reich und somit der Traum eines jeden Heiratswilligen. Die bezaubernde Anastasia war die Tochter einer mit Mama befreundeten Unternehmergattin. Ihr wohlproportionierter Anblick brachte bei jungen Männern das Blut zum Kochen. Alles, was sie tat, was sie sprach, war von einer unbeschreiblichen Anmut belebt. Auf diese Weise wurde der Reiz ihrer ausgezeichneten körperlichen Schönheit bis zum Unwiderstehlichen erhöht. Überall, wo sie erschien, huldigten junge Männer ihr mit glühender Begeisterung. Doch sie wandte sich niemandem besonders zu. Vielmehr wusste sie alle Verehrer mit schalkhafter Ironie zu umschlingen, so dass diese sich wie festgezaubert in ihrem Kreise bewegten.

Obwohl es ihr somit nicht an wohlhabenden Anbetern fehlte, hatte sie sich vor einiger Zeit aus einer eigenwilligen Laune heraus geradewegs in mich verguckt und dabei anscheinend in den Kopf gesetzt, mich mit ihrer ganzen Zuneigung zu beglücken.

Seit drei Monaten besuchte das hübsche Mädchen uns daher auffällig oft. Mehrmals in der Woche schaute sie angeblich zufällig vorbei. Als Vorwand dafür dienten zumeist kleine Einkäufe, die sie meiner Mutter und auch zunehmend mir präsentierte. In der Nähe unseres Domizils gab es glücklicherweise einige Geschäfte, die sie regelmäßig beehrte. Mama schickte den hübschen Gast dann jedes Mal aus irgendeinem fingierten Grund zu mir. Heute war es eine Tasse Tee und etwas frisches Gebäck.

Der sinnliche Busen meiner Besucherin sprengte fast die Enge der weißen Bluse. Anastasia wusste natürlich genau um ihre erotische Ausstrahlung, gab sich äußerlich jedoch für gewöhnlich züchtig und naiv. Dies fesselte Männer noch mehr. Schalkhaft ließ sie in manchen Momenten diese Hülle des Anstands fallen und verdeutlichte so, welche reizvollen Möglichkeiten sie einem Auserwählten bieten konnte. Ihr Auftritt wirkte jedoch immer vollkommen natürlich und nett. Anastasia war einfach ein Kind des Glückes. Reichtum, Schönheit und Grazie hatten sich in ihrem Wesen natürlich vereint. Auch ich fühlte mich in ihrer Nähe ausgesprochen wohl und genoss sogar die Momente unseres Beisammenseins auf gewisse Art.

Anastasia erhob sich und trat nun jeden Schritt bewusst wählend ganz dicht an mich heran. Ihr blumiges Parfüm erfüllte kraftvoll die Luft meiner Umgebung. Sacht berührte sie mit ihren weichen Fingern spielerisch meinen Arm. Ich empfand dies als sehr angenehm und war zugleich erstaunt darüber.

„In wen?“ Die Frage war kurz und prägnant.

Die Neugierige wollte unbedingt die Wahrheit wissen.

„Sie ist einfach vollkommen!“, erklärte ich begeistert mit leuchtenden Augen.

Die Schöne kam mir noch näher. Ihr Atem roch etwas nach Kaviar. Sogar das wirkte bei ihr nicht unangenehm, obwohl ich Fisch nicht mochte. Es war nur eine kleine Brise, die herüber herüber wehtewehtewehte, so als stände man am Rand des Ozeans und ließ dessen erhabenen Odem ganz bewusst auf sich wirken.

„Wer ist sie?“, flüsterte sie sinnlich und erhoffte dabei eine ganz bestimmte Antwort.

Ich entfernte mich kurz und holte geschwind ein Blatt von meinem Schreibtisch, welches ich ihr voller Stolz präsentierte. Anastasia sah es sich mit einem äußerst verblüfften Ausdruck im Gesicht an. Sie verstand rein gar nichts. Mathematik gehörte nicht zu den Dingen, mit denen die Hübsche sich gern beschäftigte.

„Was ist das?“ Ihre blauen Augen musterten unverständig und geradezu geringschätzig die langen Zahlenreihen. Sie sah mich mit höchstem Erstaunen an.

„Das ist der Beweis, dass es sie geben muss?“ Ich war innerlich euphorisch. Das Ergebnis stellte einen Durchbruch dar und bewies, dass meine Theorie absolut richtig war.

„Wen?“ Meine Besucherin war schockiert und riss ihre großen Augen noch erstaunter auf. Diese schienen fast aus den Höhlen zu fallen. Ihre Augäpfel waren mir noch nie so groß erschienen.

„Na die Vollkommenste!“, stieß ich abermals enthusiastisch hervor. Je mehr ich sprach, desto höher stieg meine Begeisterung.

„Grimm, das sind doch nur ganz blöde Zahlen!“, brachte es Anastasia gekonnt auf den Punkt. Man sah, dass das Mädchen in diesem Augenblick maßlos von mir enttäuscht war. Ich ahnte unterbewusst, dass sie offenbar etwas anderes erwartet hatte, doch ich wollte sie keinesfalls belügen oder ihr falsche Hoffnungen machen. Mit uns konnte es nun leider nichts werden, obwohl sie mir keineswegs unsympathisch war. Nein es war noch mehr, ich mochte sie. Es war Anastasia sogar gelungen, ein Teil meines Lebens zu werden. Mich konnte mit ihr aber nur eine platonische Freundschaft verbinden, da ich mein Herz urplötzlich an eine Andere vergeben hatte. Was kann man schon gegen machtvolle Gefühle tun? Sie sich aus dem Herz reißen?

Die inzwischen äußerst aufgebrachte Besucherin tat mir in diesem Moment natürlich sehr leid. Sie rang um Beherrschung. Wie hatte ich nur denken können, dass sie sich über diese Offenbarung freuen würde.

Ich lächelte tapfer.

„Das sind nicht nur Zahlen!“, erklärte ich bestimmt. Ein wenig gekränkt war ich schon, dass sie dahinter nicht das erkannte, was mein junges Herz zum Klopfen brachte.

„Du musst vollkommen verrückt sein!“, brach es aus ihr heraus.

Ohne mir Zeit für eine Antwort zu lassen, warf sie wütend. das Blatt auf die Erde, trat symbolisch mit ihrem feinen Schuh darauf und brachte demonstrativ ihre bezaubernde weibliche Figur in Erscheinung

„Hallo, bist du blind?“ Sie reckte ihre großen prallen Brüste vor. Ja, die waren sehenswert. In ihren Augen standen erste kindliche Tränen. Das leicht geschminkte Gesicht wirkte vollkommen fassungslos, als hätte sie den Boden unter den Füßen verloren.

„Du siehst selbstverständlich wundervoll aus!“, gestand ich ihr stammelnd zu.

„Was heißt denn das? Grimm, ich mag dich wirklich, besonders deinen merkwürdigen Humor!“, murmelte sie. Noch immer hoffte sie wohl, dass alles sich als ein dummer jungenhafter Scherz entpuppen würde.

Das machte es noch schwerer. Nun wurde es mir sogar etwas peinlich.

„Tut mir leid, ich liebe eben eine andere!“, zog ich mutig den Schlussstrich. Gerade, weil wir Freunde waren und ich Anastasia schätzte, musste ich vollkommen ehrlich zu ihr sein.

Eine Trennung ist immer dann schwierig, wenn eine Seite Gefühle entwickelt, die andere jedoch nicht. Das war mir schon klar. Was sollte ich aber sonst tun? Mir blieb nur Aufrichtigkeit.

Die Aufgebrachte nahm fassungslos und von Zorn erfüllt ihren Mantel. Sie fühlte sich gekränkt und zudem ihrer weiblichen Würde beraubt.

„Mein Gott, ich verliere gegen eine Zahlenreihe!“

Tränen liefen ihre Wangen hinunter.

Einen kurzen Moment hielt sie inne und zog ein kleines Päckchen heraus. Sie warf es in meine Richtung. Es verfehlte mich jedoch.

„Fast hätte ich dein Geschenk vergessen!“

Ohne Gruß schmetterte sie wütend die Tür hinter sich zu. Das Mädchen besaß viel Temperament. Für eine Sekunde bereute ich meine Offenheit. Ich hatte sie keineswegs aus meinem Leben vertreiben wollen.

Vielleicht war das aber am besten für uns beide. Es gibt vielleicht keine platonische Freundschaft zwischen einem richtigen Mann und einer Frau. Nur Dummköpfe halten so etwas offenbar für möglich. Die Vollkommene

Den Kopf voll wirrer Gedanken und noch immer aufgewühlt ging ich in meinen Sportraum und schlug wütend immer wieder auf den Punchingball ein. Körperliche Betätigung half mir in solchen Momenten, wieder zu mir zu finden. Ich war nicht nur ein guter Mathematiker, sondern auch ein ziemlich guter Faustkämpfer, Fechter und Reiter. Das war ein Privileg des Reichtums. Schon manches sportliche Turnier hatte ich zur Freude meiner Mutter auf dem Pferderücken oder im Ring für mich entschieden. Auf einem Unterschrank standen einige Pokale und an der Wind hingen mehrere Urkunden als Zeugnisse meiner Siege. Wie heißt es so schön? Gegensätze ziehen sich an. Meine ganze Persönlichkeit war dafür ein Beispiel. Es ist ein weit verbreiteter und gepflegter Aberglaube der weniger Begabten, dass Schönheit und Klugheit oder herausragende Intelligenz und Sportlichkeit Gegensätze bilden. Zumeist sind sie sogar miteinander verbunden. Reiche sind oft klug, schön, sportlich und zudem auch noch mit einem guten Charakter gesegnet, Arme hingegen oft genau das Gegenteil. Der von den meisten Leuten hoch gepriesene Gott hat scheinbar seine Gaben sehr ungerecht verteilt. Ausnahmen gibt es natürlich immer. In einem Kornfeld wachsen zuweilen Blumen.

Ich galt gemeinhin als ein ganz besonderes Wunderkind, so etwas wie ein mathematisches Genie. Das Schicksal oder der Zufall hatte mich mit einem sogenannten eidetischen Gedächtnis gesegnet. Unter Millionen von Menschen besaß diesen Talent meist nur einer. Ganze Buchseiten speicherte ich binnen Sekunden für immer in meinem Gehirn ab. Das Wissen war dort jederzeit wie aus einem Lehrbuch abrufbar.

Trotz meiner wissenschaftlichen Interessen und des fotografischen Merkvermögens war ich keineswegs ein bleicher Bücherwurm oder einer dieser mit dicken Gläsern bebrillten Klugscheißer. Mein fröhliches Lachen, die muskulöse aufrechte Gestalt, mein Witz und die schalkhaften Augen wirkten wie ein Zauber auf die meisten Menschen. Das hatte anscheinend auch bei Anastasia zu gewissen romantischen Gefühlen für mich geführt. Die Welt liebte und bewunderte mich zumeist. Durch diese Fähigkeiten, meine vornehme Erscheinung und das große Erbvermögen galt ich im Moment als eine gute Partie in Moskau.

Wir zählten zu den reichsten Familien in Russland. In etwa drei Jahren, zum einundzwanzigsten Geburtstag, würde ich zudem große Reichtümer erben. Mein Vater hatte sie mir als einzigem Nachkommen zugedacht. Er war leider seit drei Jahren verschollen und ich sein einziger Sohn. Man vermutete, dass Revolutionäre, die inzwischen überall gegen das Zarenreich Propaganda machten, ihn entführt und getötet hatten. Sein spurloses Verschwinden blieb ein Rätsel und konnte bisher nicht aufgeklärt werden. Von einem auf den anderen Tag war er einfach aus unserem Leben verschwunden. Fast so, als hätte es ihn niemals gegeben und sein Leben wäre nur eine dieser russischen Geschichten, die man gern bei Vollmond erzählte.

Unser Domizil befand sich im Zentrum von Moskau. Zusammen mit Mama und unseren Bediensteten lebte ich in diesem prächtigem Quartier. Das im klassizistischen Stil errichtete Palais und der dazugehörige kleine englische Park gehörten uns allein. So etwas war in der größten Stadt Russlands fast ein Unikum.

Im Nachhinein erschien es mir als ein Fehler, dass ich Anastasia mein besonderes Geheimnis offenbart hatte. Mir war klar, dass ich sie verletzt hatte und sie mein Vorhaben vielleicht für verrückt hielt. Besonders nach der Lektüre ihres Geschenkes. Es handelte sich um eine in Leder gebundene Ausgabe von Gogols Die Nacht vor Weihnachten. Der Teufel, Hexen und durchtriebene Dorfbewohner lieferten sich darin eine geradezu verrückte Partie an Hinterhältigkeiten und Lügen in romantischer russischer Manier. Anastasia wollte mir damit scheinbar aufzeigen, dass es noch eine andere Seite als die der Wissenschaft gab, etwas Magisches, das hinter der Realität verborgen war. Lustig war das Ganze schon, doch wer nahm Geschichten von Hexen und Pferdefüßlern denn ernst? Dergleichen existierte genauso wenig wie Werwölfe und Vampire. Solche Geschichten waren etwas zum wohligen Gruseln und kein wahrer Gegenpart zu meinem Vorhaben.

In den nächsten Tagen stürzte ich mich noch intensiver auf weitere Berechnungen. Ich musste Anastasia, mir und der Welt beweisen, dass es die ideale Gefährtin oder den idealen Partner für jeden - also auch für mich und Anastasia - gab und dass man sie mit Hilfe der Mathematik finden konnte. Es gab die ganz große Liebe wirklich. Sie war nicht nur ein Zufall der Gefühle und unserer gewöhnlichen Biologie. Die intensive Arbeit bewahrte mich auch vor den unangenehmen Schamgefühlen. Ich unterbrach sie nur durch gelegentliche Ausritte und sportliche Betätigungen mit dem Punchingball.

 

Ich versank regelrecht in das erhabene Vorhaben und lebte zunehmend in meiner entrückten Welt. Diese Tätigkeit wollte ich bald nicht einmal zum Essen unterbrechen, denn ich hatte das Gefühl kurz vor dem Durchbruch zu stehen. Mein Herz pochte wild gegen die Brust, da es nun von der Gewissheit angetrieben wurde, dass es möglich war, das Alter meiner Vollkommenen einzugrenzen.

Das erste Zwischenergebnis lautete: Es gab sie. Das zweite: Sie wäre zwischen dreizehn und neunundneunzig Jahren alt, sofern sie ein weibliches und zudem menschliches Wesen war!

Dieses mit langer Formel errechnete Wissen erschien mir geradezu genial. Ein fiebriger Sinnenrausch erfasste mich wie ein reißender Strom. Oh, wie gern hätte ich meine Vollkommene schon jetzt in meine Arme genommen und ihr Gesicht mit wilden Küssen bedeckt. Wie sah sie nur aus? Aus welchem Land stammte sie? War sie überhaupt ein Mensch? Sie war schon jetzt meine Göttin.

Gibt es denn irgendeine Kluft, über die die Liebe sich nicht hinweg schwingen könnte. Was ist für sie schon Raum und Zeit? Lebt sie nicht in der Fantasie, in den Gedanken und kennen diese denn überhaupt ein Maß?

„Oh Liebste!“, hauchten meine Lippen voller Inbrunst.

Ein unscharfes Bild füllte meine Gedanken und nahm sogar bezaubernde Gestalt an. Das musste sie sein!

„Anastasia?“, murmelte ich verblüfft das Phantom im Geiste erkennend.