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Rache der Zarin. Der Beginn: Nach wahren Begebenheiten

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Mama wandte sich unerwartet direkt an mich: „Olga, halte dich bereit. Komm bitte allein in zwei Stunden zu mir. Ich muss noch etwas Wichtiges mit dir zusammen erledigen. Sei pünktlich!“

Das Elixier

Als ich nach exakt zwei Stunden zurückkehrte, war Mama ganz allein im Raum. Auch der Zarewitsch war inzwischen fort. Im Vorraum fielen mir zehn schwer bewaffnete Kosaken unserer Leibwache mit entschlossenen Gesichtern auf. Ihr Hiersein in so großer Zahl war ungewöhnlich. Niemand von ihnen wagte ein Geräusch zu machen. Sie wirkten wie große Schaufensterpuppen. Die Stille war geradezu gespenstisch. Es lag Spannung in der Luft. Was bedeutete das alles? Normalerweise hielten die Leibwächter sich überhaupt nicht in diesem Teil des Palastes auf.

Ohne ein Wort zu sagen und scheinbar ihre letzte Willenskraft zusammennehmend, erhob Mama sich mühsam, jedoch entschlossen von dem samtenen Sofa, auf dem sie geruht hatte. Sie winkte mir. Ich folgte ihr wortlos. Was sollte ich auch sagen? Die Kosaken eskortierten uns schweigend. Tür für Tür öffnete sich. Wir stiegen über verborgene Treppen und durch Geheimtüren tiefer und tiefer. Wohin gingen wir überhaupt? Noch nie war ich in diesem im Untergrund verborgenen Teil des Palastes gewesen. Unser Palais war ohnehin recht groß, vielleicht eine der größten Residenzen der Welt.

Zuweilen versuchte eine der dort platzierten und im Geheimen ihren Dienst leistenden Wachen uns sogar den Weg zu verweigern.

Mama drohte dann stets: „Ich bin die Zarin! Tritt zur Seite oder du stirbst sofort!“ Unsere Leibwache fasste dann jedes Mal zur besseren Verdeutlichung die Gewehre fester. Meine Mutter und die Männer wirkten zu allem entschlossen. Die Kosaken würden schießen. Man konnte sich auf sie verlassen. Das fühlte ich genau, denn ich stand selbst einem Reiterregiment seit meinem sechzehnten Lebensjahr als Hauptmann vor und kannte die Soldaten. Das kleine Kommando bereitet mir große Freude und war ein Privileg, welches ich Vater abgetrotzt hatte, nachdem die Besetzung durch die Erkrankung des Zarewitsch vakant war. Zarensöhne erhielten stets ein eigenes Kosakenregiment, um sich als Befehlshaber zu üben. Meine Ernennung als Prinzessin war ein Bruch mit der alten Konvention und zeigte, wie aufgeschlossen mein Vater war. Ich ritt inzwischen verdammt gern und konnte es mit so manchem männlichen Rekruten aufnehmen. Einer der Feldwebel trainierte mich sogar drei Mal die Woche in asiatischer Kampfkunst, die er in China erlernt hatte. Er bezeichnete mich als seine talentierteste Schülerin. Vielleicht lag das daran, dass ich als Mädchen und Tochter des Zaren doppelt ehrgeizig war. Vater nahm meine Fortschritte mit Erstaunen zur Kenntnis. Mutter hatte meine militärischen Avancen zuerst abgelehnt, aber bei Ausbruch des Krieges dann doch stillschweigend gebilligt. Zumindest kritisierte sie mich nicht mehr.

So drangen wir im Laufe einer Stunde bis in die Gänge unterhalb der sogenannten geheimen Schatzkammern vor, wie Mama mir nebenbei erklärte. Auch hier gab es noch Wachen. Wir kamen zu einem Tunnel, von dessen Existenz wohl nur ganz wenige Eingeweihte wussten. Er verlief recht steil nach unten. Feuchtigkeit tropfte von der niedrigen Decke. Es roch unangenehm modrig. Wir waren inzwischen so tief, dass ich Furcht hatte, dass die Erdmassen über uns herunterbrechen und uns begraben könnten.

Mama hielt inne und wendete sich der Eskorte zu. „Wenn ihr jemals erzählt, dass ihr hier wart, werden eure Familien sterben!“ So rigoros hatte ich sie nie zuvor erlebt. Für mich war sie immer meine Mama, jetzt gab sie sich als die wirkliche Zarin in der Tradition Katharinas der Großen und zeigte zudem, dass in ihr auch noch das kämpferische blaue Blut ihrer germanischen Vorfahren pulsierte. Es übernahm in dieser Krisensituation die Regentschaft. Ich musste davon etwas abbekommen haben, gestand ich mir spöttisch ein.

Die Leibwachen zuckten mit keiner Wimper. Auf die Kosaken war seit Jahrhunderten Verlass.

Wir kamen nun zu einem Raum, dessen eiserne Tür mit großen Schlössern verriegelt war. Er war wohl unser Ziel. Davor standen erneut zwei bewaffnete Posten, die uns erstaunt anblinzelten. Hierher kam sonst wohl nie jemand außer ihnen selbst.

„Tretet beiseite!“, befahl meine Mutter herrisch und zog ein Schlüsselbund aus ihrer Tasche.

„Das dürfen wir nicht!“, beharrte einer der beiden trotzig auf seinem Befehl.

„Ihr wisst, wer ich bin?“ Meine Mutter sah sie wütend an. Sie duldete heute keinen Widerspruch.

Beide nickten eifrig.

„Ich bin hier das Gesetz und mein Befehl steht im Moment über jedem anderen. Ihr widersetzt euch eurer Zarin.“

Sie nickte den Männern zu: „Erschießt sie!“

Die Kosaken senkten eifrig die Gewehre, um dem gleich Befehl nachzukommen.

„Nein, wir gehorchen!“, bat der arme Kerl entsetzt mit erschrocken aufgerissenen Augen und fiel auf die Knie.

„Gnade! Bitte! Ich war verwirrt von eurem ungewohnten Anblick hier“, stammelte er. „Ich bin ein gewöhnlicher Dummkopf!“

Mama blickte kurz auf unsere Begleiter: „Nehmt ihnen zur Sicherheit die Waffen ab, aber verschont sie noch einmal!“

„Widersprich niemals wieder deiner Zarin!“, forderte sie nebenbei.

Der Mann versuchte die Erde zu küssen, die ihre Füße berührt hatten.

„Bitte verzeiht uns!“

Die beiden wurden von unserer Eskorte ihrer Pistolen beraubt. Meine Mutter öffnete den Eingang. Wir traten endlich ein. Alle anderen blieben draußen. Mama schloss sorgsam die Tür hinter uns zu. Was wollten wir hier?

In dem Raum standen vor allem religiöse Utensilien, Ikonen, Leuchter und verstaubte Geschenke von fremden Herrschern aus längst vergangenen Zeiten. Meine Mutter sah sich um und ging zielstrebig zu einem der Schränke. Sie öffnete diesen, warf die darin enthaltenen Gegenstände achtlos auf den Boden und zog ein geheimes Fach heraus.

„Nur noch zwei! Wo sind die anderen?“ Ihre Stirn kräuselte sich nachdenklich und erschrocken zugleich.

„Mama, was ist das?“, fragte ich erschauernd.

Meine Mutter sah mich an.

„Olga, wir werden bald alle ermordet. Es ist nur eine Frage der Zeit. Rasputin hat sich niemals geirrt. Rasputins Prophezeiung wird eintreten. Sie kommt von Gott. Grigorij hat sich nie geirrt. Sei bereit!“

Tränen kullerten aus ihren Augen. Die Angst vor dem Tod stand in ihrem Gesicht und war zum Greifen.

„Wenn ich dir dieses Mittel gebe, ist alles verloren und es gibt keinen Ausweg mehr. Beiß mit aller Kraft auf diese Kapsel. Sie ist so konstruiert, dass sie dem Biss nicht standhält.“

Ich verstand gar nichts.

„Mama, du machst mir fürchterliche Angst. Das ist doch alles nur ein böser Traum. Was ist das? Etwa tödliches Gift?“

„Nein, genau das Gegenteil davon. Es ist deine einzige Hoffnung auf ein Weiterleben.“

Sie winkte mich ganz dicht heran. Niemand sollte uns hören können. Ihr Mund flüsterte nun in mein Ohr: „Ich sah mit eigenen Augen, dass ein zum Tode Verurteilter, nachdem er erhängt wurde, am nächsten Tag durch diese Medizin erwachte. Man hatte sie ihm zuvor verabreicht. Der Henker musste ihm darauf den Kopf abtrennen und ihn verbrennen, um das Urteil zu vollstrecken.“

„Was ist das für ein Mittel? Was sind das für unglaubliche Geschichten?“ Mir standen die Haare auf den Armen zu Berge. Das lag nicht an der Kälte im Raum.

„Sie sind wahr, Olga. Es gibt eben mehr zwischen Himmel und Erde, als wir sehen. Du hast es bei Rasputin und der Heilung des Zarewitsch selbst beobachten können.“

Sie beugte ihren Mund erneut zu meinem Ohr herab und flüsterte so leise, als könnte uns jemand belauschen.

„Es ist ein uraltes geheimes Elixier. Es hatte nicht nur extreme Heilkraft, sondern spendet Leben über den Tod hinaus. Dieses Staatsgeheimnis wurde bis heute bewahrt und von Zar zu Zar weitergegeben. Zuletzt hat man den Rest in fünf Ampullen versiegelt. Ich habe zuerst die Geschichte auch nicht so richtig geglaubt und deswegen eine der kleinen Phiolen an einem zum Tode Verurteilten ausprobiert. Wer rechnet schon in glücklichen Tagen damit, ermordet zu werden? Nachdem wir die Wirkung selbst gesehen hatten, versteckten wir die verbliebenen vier Kapseln hier unter den uralten Sachen. Nur dein Vater und ich wussten eigentlich davon. Doch es fehlen zwei. Sie wurden scheinbar gestohlen.“

„Mama, was erzählst du für Schauergeschichten und verlangst du von mir?“, fuhr es aus mir ungestüm heraus. Das Entsetzen ließ mich fast ohnmächtig werden. Die Wände schwankten. Mein Stirn glühte plötzlich wie im Fieber.

Sie fuhr unbeirrt fort: „Wenn ich dir also eine Kapsel gebe, dann ist alles verloren und wir werden sterben. Zögere in diesem Moment nicht. Vertrau mir! Ich will, dass du lebst. Nimm Rache, dein Vater ist zu schwach dazu! Du bist stark und klug!“

Mama war wohl verrückt geworden. Ich zitterte unwillkürlich und meine Zähne klapperten aneinander.

„Und was ist mit den anderen von uns. Es sind doch nur zwei Kapseln? Was wird Gott dazu sagen?“

„Der?“ Mama lachte blasphemisch. „Er wird es schon verstehen!“

Diese neuartige Auslegung unseres Glaubens aus dem Mund meiner Mutter war zutiefst ungewöhnlich. Sie legte ihren Finger auf den Mund – als Zeichen, dass ich schweigen sollte. Die zwei kleinen Kapseln mit der höllischen Tinktur steckte Mama in eine eigens mitgebrachte kleine Dose und verbarg diese in ihrer Tasche. Dann öffnete die Zarin von Russland die Tür. Ich bemühte mich, ruhig und unbefangen zu erscheinen.

„Sofern ihr irgendjemanden erzählt, dass ich hier war, sterbt ihr!“, ermahnte sie die vollkommen verängstigten Wachposten. Beide hatten offenbar noch immer mit ihrem Tod gerechnet und nickten glücklich mir aufgerissenen Augen aus einfältigen Gesichtern.

 

Wir gingen von den Kosaken eskortiert zurück

Das Geheimnis der Fabergé-Eier

Was sollte ich an einem so trüben Wintertag schon gegen einen Besuch bei dem berühmten Fabergé einwenden? Ich freute mich natürlich über diese Abwechslung. Welches junge Mädchen liebte nicht den Anblick von Juwelen und Gold? Bei Fabergé gab es doch immer etwas zu bestaunen. Peter Carl Fabergé war fast schon ein Mitglied unserer Familie. Der ergraute Juwelier war wie ein Großvater für mich einfach schon immer da gewesen. Unzählige Schmuckstücke hatte er zusammen mit seinen vielen Mitarbeitern in den letzten Jahrzehnten in der Eremitage restauriert. Dieses Palais der Kunst war so etwas wie der Louvre Russlands. Dort gab es allein wegen der Unmenge von Ausstellungsstücken immer etwas für ihn zu tun. Seine Berühmtheit hatte der Goldschmied bereits vor meiner Geburt 1882 bei der Allrussischen Ausstellung durch zahlreiche extravagante und einmalig fantasievolle Schmuckstücke erlangt. Seit dem war allein der Name Fabergé eine renommierte und begehrte Marke. Sein persönliches Auftragsbuch war so voll, dass er auf Jahre ausgebucht war. Internationale Auftraggeber standen Schlange. Die Zeit seines Lebens war zu kurz um alle Aufträge auszuführen. Sein Geschick war weltweit unvergleichlich. Jeder Monarch in dieser Welt wollte inzwischen unbedingt eines seiner verspielten Meisterwerke ergattern. Daran hatte auch der Krieg nichts geändert. Unsere Familie bevorzugte er natürlich. Denn Peter Carl Fabergé war inzwischen zum Hofjuwelier aufgestiegen und durfte diesen Namen auch als Titel in seiner Firmenanschrift verwenden. Insofern war es auch nicht verwunderlich, dass Mama mich zum Abholen von zwei kürzlich bestellten Werken in seinem Geschäft einlud.

Wir fuhren mit einem amerikanischen Automobil zu unserem Ziel. Es war ein Geschenk des dortigen Präsidenten und recht bequem. Die USA sympathisierten seit längerem im Krieg mit uns und schienen sich gegen das Deutsche Reich und Österreich zu stellen. Vater erhoffte ihren direkten Eintritt an unserer Seite. Es gab dazu bereits geheime Verhandlungen. Selbst bei der recht kurzen Fahrt stellte ich fest, dass sich die Stimmung in der Stadt noch mehr zum Schlechten gewandelt hatte. Das quicklebendige Petrograd wirkte inzwischen bedrückend und bedrohlich auf mich. Nur einige wenige Getreue trauten sich noch, ihre Verbundenheit mit dem Zarenhaus öffentlich auf der Straße zu zeigen. Winkten die Menschen vor einigen Monaten noch begeistert unserem mit den russischen Reichswimpeln geschmückten Auto zu, so ernteten wir heute fast nur noch böse Blicke. Die Zarenfamilie war in Ungnade gefallen. Der Mord an Rasputin schien die Ereignisse nur zu beschleunigen. Seine Mörder waren davongekommen. Papa hatte sich gegenüber den Tätern aus seiner eigenen Familie als zahnlos erwiesen. Mama verzieh ihm das nicht. Zwischen beiden herrschte deswegen so etwas wie eine kleine Eiszeit. Trotzdem verließ Mama ihren Gemahl in dieser schweren Zeit natürlich nicht. Sie war gläubig, glaubte an die Bedeutung der ehelichen Gelübde und war die russische Zarin, auch wenn sie vor uns immer stärker ihre deutschen Wurzeln betonte. Sicher wollte sie uns Kindern damit ein wenig Hoffnung spenden und andeuten, dass es auch eine Zukunft für uns außerhalb Russlands gab. Aber das machte uns nur um so mehr Furcht.

Unter den Gaffern sah ich einen Mann auf Krücken durch die Straße humpeln. Wahrscheinlich hatte er ein Bein im Krieg verloren. Er sah mürrisch und finster zu unserem wimpelgeschmückten Wagen und spuckte beim Vorbeifahren in Richtung unseres Autos. Ein lauter Schlag ertönte vom Blech unseres Wagens. Jemand anders hatte tatsächlich mit einem Stein auf die schwarze Karosse geworfen. Wir zuckten zusammen. Der uns begleitende Sicherheitsdienst feuerte zur Sicherheit und Abschreckung einen Schuss in die Luft. Das Leben in der Hauptstadt war für uns gefährlich geworden. Vater Grigorij schien mit seiner düsteren Prophezeiung Recht zu behalten. Angst erfüllte mich.

Mama zog beherzt die Gardine vor die Scheibe.

„Schau am besten gar nicht hin!“, ermahnte sie mich.

„Sie sehen in uns eben als Deutsche an. Du musst auf alles gefasst sein. Wir werden zur Sicherheit nächste Woche die Stadt verlassen und früher nach Zarskoje Selo reisen. Hier wird es einfach zu gefährlich.“

„Mama, du übertreibst immer so sehr. Es ist halt Krieg. Viele hungern und sind deswegen unzufrieden. Bald wird alles besser!“, widersprach ich halbherzig. „Irgendwann endet auch dieser Krieg.“ Die Wahrheit erschien mir zu bitter. Ich redete sie schön.

Mama verzog keine Mine. So reagierte sie immer, wenn sie anderer Meinung war. Sie versuchte jedoch nicht, mich zu überzeugen und brauchte sicher meinen pubertären Optimismus nicht.

Der Wagen hielt bald darauf und unser Chauffeur öffnete eifrig die Tür. Vor und hinter uns parkten die Autos unserer Leibwächter. Ohne diese konnten wir keine Fahrt mehr unternehmen.

Peter Carl Fabergé ließ es sich trotz seines hohen Alters nicht nehmen, seinen hohen Besuch vor der Eingangstür zu empfangen. Sein Haupthaar war noch dünner und grauer geworden. Sein Bart schien dagegen immer voller zu werden. Genau so stellte ich mir in meinem Inneren einen wahren Künstler vor. Nicht mit äußerlicher Exaltiertheit oder Auffälligkeit, wie bei den unzähligen un- oder halbbegabte Adepten, glänzte ein Meister dieser Zunft, sondern allein mit seinen grandiosen Werken. Sie entsprangen dem Geist der göttlichen Musen und nicht menschlicher Beschränktheit. Der berühmte Goldschmied hatte es nicht nötig, irgendjemandem Bedeutung oder Individualität vorzugaukeln, denn er besaß diese ganz natürlich aufgrund seiner göttlichen Talente. Jeder Besucher spürte sofort, dass er es mit einem ganz besonderen Menschen zu tun hatte. Der alte Fabergé stand mit seinen beiden Beinen fest auf dem russischen Boden. Aus seinem intelligenten Gesicht blickten uns warme und neugierige Augen an. Seine von vielen Falten gestaltete Stirn spiegelte vielfältige Emotionen, durchlebte Gefühle und Erfahrungen wider. Ab fünfzig Jahren hat jeder Mensch das Gesicht, welches er sich durch sein Leben verdient hat. Fabergé war zu diesem Zeitpunkt bereits über siebzig Jahre alt. Er trug einen gut geschneiderten, jedoch nicht unbedingt auffälligen dunklen Anzug, eine dazu passende Krawatte und ein weißes Hemd. Er glich in diesem für ihn typischen Aufzug mehr einem Gelehrten, denn einem Feinschmied. Auch er hatte wie wir zur Hälfte deutsches Blut. Vielleicht verband uns diese Gemeinsamkeit zusätzlich.

„Meine Zarin, Sie glänzen mit ihrem Besuch mehr als meine gelungensten Schmuckstücke!“, schmeichelte er galant und vertraut zugleich. „Wie schön, dass Sie mir hier die Ehre Ihres Besuches geben. Ich wäre selbstverständlich auch im Palast vorbeigekommen.“

„Ach gönnen Sie uns doch diese kleine Abwechslung!“, wiegelte Mama ab. Sie wirkte plötzlich so natürlich und ungezwungen in der Nähe dieses Da Vinci des Goldes. Die steife Monarchin fiel wie ein Mantel von ihr ab. So mochte ich sie am liebsten. Ich lächelte für einen Moment glücklich.

„Prinzessin Olga!“ Faberge küsste ungezwungen meine Hand. „Mein Gott, Sie sind noch schöner als bei unserer letzten Begegnung!“ Er hatte keinerlei Berührungsängste in Bezug auf den höchsten Adel dieser Welt, denn seine Kunst adelte ihn gleichfalls und machte ihn zu einem der unseren.

Ich klopfte dem Großväterchen vertraut mit meinem Fächer auf den Oberarm. Hoffentlich lebte er noch lange, denn ich mochte ihn gar zu gern und natürlich seinen Schmuck, der mich schon aus den Fenstervitrinen anfunkelte: Kauf mich!

Ein Angestellter hielt über das gesamte Gesicht willfährig lächelnd einladend die hölzerne Tür auf. Wir traten fröhlich ein.

Mein Gott, was war das für eine schöne heile Welt inmitten der Not um uns herum. Kein Wunder, dass der alte Mann so zufrieden wirkte. Er hatte sich sein eigenes goldenes Königreich geschaffen. Hier gab es keinen Krieg und kein Leid.

Mama und ich gingen ein wenig im Geschäft umher und nahmen einmal dieses und einmal jenes Stück neugierig in die Hand.

„Sie sind ein wahrhaftiges Genie!“, bewunderte Mama in einem fort.

„Nun ja!“, stimmte der Besitzer indirekt zu, „die Zeit bringt eben Erfahrung!“ Er war schon stolz auf sein Werk, aber keineswegs überheblich. So ist es eben, wenn ein Genie genau weiß, was es kann und dies einfach nur ein Fakt ist. Falsche Bescheidenheit wirkt dann erst recht deplatziert.

„Ihr Auftrag war etwas ungewöhnlich!“, kam er gleich zur Sache. Zeit war für ihn mit zunehmenden Alter immer wertvoller. „Ansonsten bestellen Sie die Eier doch nur zu Ostern und über ihren Mann, den Zaren selbst!“

Mama sah sich um und winkte unserer Begleitung, sich aus dem Geschäft zu entfernen, bevor sie antwortete. Niemand sollte sie anscheinend belauschen können. Das machte mich neugierig. Um was ging es denn genau?

Erst als alle fort waren antwortete sie: „Es ist diesmal anders! Sind die guten Stücke fertig?“

„Ich habe sie hinten in meiner eigenen Werkstatt, damit ich sie dort endgültig verschließen kann.“

Er ging vor, wir folgten ihm. Ich war etwas irritiert.

„Mama?“, fragte ich leise.

„Dies bleibt unter uns!“, ermahnte sie mich nur. Sie wusste aus Erfahrung, dass ich kein Geheimnis verriet. Wir hatten inzwischen viele Monate gemeinsam in Lazaretten gearbeitet, um dort Verwundeten zu helfen. Die gemeinsame Erfahrung hatte uns verbunden. Wir waren durch diese schwere Arbeit nicht nur miteinander vertraut, sondern vertrauten uns. Auch dort hatten wir so manches erlebt, was meine jüngeren Geschwister lieber nicht wissen sollten. Das würde ihnen den Rest ihrer kindlichen Unschuld rauben.

Auf einer Werkbank standen zwei absolut gleich aussehende Schmuckeier, wie Vater sie stets zu Ostern anfertigen ließ und zumeist verschenkte. In diesem Zimmer arbeitete Fabergé allein. Niemand außer ihm durfte es betreten. Man hörte seine vielen Mitarbeiter woanders werken. Er beschäftigte über fünfhundert Kunsthandwerker allein in dieser Stadt und hatte zudem weitere Niederlassungen in Moskau, Odessa, Kiew, London und anderen Städten. Fabergé war nicht nur ein Künstler sondern auch ein äußerst erfolgreicher Geschäftsmann. Es sei ihm vergönnt.

„Ich nenne sie die Zwillinge!“, erklärte der Meister zu ihrer Ähnlichkeit.

Er wies auf eine Öffnung inmitten der Goldeinfassung.

„Ich habe das Geheimfach in der beschriebenen Größe eingearbeitet.“

Mama holte aus ihrer Tasche zwei der wertvollen Ampullen, die sie in meinem Beisein aus der Schatzkammer entnommen hatte. Dabei blickte sie mich einen Moment bedeutungsvoll an. Ich wusste was dies bedeutete und prägte mir das Geschehen gut ein.

Dann deponierte sie diese in den dafür vorgesehenen Öffnungen. Fabergé erhitzte eigenständig Silber und verfugte mit diesem jeweils ein ziseliertes Silberblümchen so, dass man keinesfalls dahinter einen verborgenen Schatz vermutete. Alles war gut vorbereitet und passte.

„Ich muss die Stelle noch ein wenig polieren, damit man wirklich nichts sieht!“ Die Arbeit ging ihm so geschickt von der Hand, als wäre sie von unbeschreiblicher Leichtigkeit, so dass jeder ein wenig Geschickte sie ausführen könnte. Ich bewunderte ihn. Er fragte nicht nach, was und wozu Mutter etwas in den beiden Eiern verbarg. Sicher war er ungewöhnliche Sonderwünsche seiner reichen Kundschaft gewohnt. So manches Geheimnis steckte sicherlich in seinen Werken.

Nach getaner Arbeit deponierte er die beiden relativ kleinen Schmuckeier in eigens bereitstehenden Schutzkisten.

„Fällt es ihnen eigentlich schwer, sich von ihren Kunstwerken zu trennen?“, fragte ich nun doch neugierig nach.

Er lachte. War die Frage zu naiv?

„In unserem Leben trennen wir uns pausenlos von Dingen, die uns am Herzen liegen. Ich sehe das als Übung an. Dann fällt es mir vielleicht leichter, mich irgendwann von dem Bedeutendsten zu trennen, das ich besitze!“

„Das wäre?“, mischte sich nun sogar meine Mutter ein.

Er lachte abermals.

„Na was schon, das eigene Leben!“

Er blickte mich an. Seine Augen wirkten etwas traurig. „Pass nur immer gut darauf auf!“