Die Hanf-Medizin

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Die Erforschung einer Unbekannten

Ich kann mich nicht genug darüber wundern, dass es zu einem Verbot von Anbau und Konsum der Cannabis sativa L. kam, bevor die Pflanze überhaupt wissenschaftlich erforscht wurde. Wir können also sagen, dass die Grundlage für die heutige Gesetzgebung ohne jegliche Kenntnisse der chemischen Zusammensetzung der Pflanze oder deren Wirkungsweise auf unseren Körper gelegt wurde.

Ein Großteil des Wissens und der Daten, über die wir heute verfügen, sind den Forschungsergebnissen des israelischen Chemikers Raphael Mechoulam (*1930) geschuldet. Er begann seine Arbeit mit Cannabis am Weizmann-Institut für Wissenschaften, einem multidisziplinären Institut für naturwissenschaftliche Forschung und Ausbildung in Jerusalem. Sie werden sicherlich nicht verwundert sein, wenn ich Ihnen erzähle, dass er als Grundlage für seine Forschungen mit beschlagnahmtem Haschisch zu arbeiten hatte. Für seine ersten Versuche fuhr Mechoulam mit einem öffentlichen Bus von der Polizei ins Labor – mit Haschisch in der Tasche. Schon 1963 isolierte er aus mehr als 1000 Substanzen das Cannabidiol (CBD). Dabei handelt es sich um ein Molekül, das einen therapeutischen Effekt auslöst, dabei nicht psychoaktiv wirkt und eines der bedeutendsten Bestandteile von Cannabis sativa L. darstellt. Ein Jahr darauf isolierte seine Gruppe auch den Stoff, der die Bewusstseinsänderung bewirkt: Tetrahydrocannabinol (THC). In den folgenden Jahren kam es zu Isolierung und Identifizierung vieler anderer Inhaltsstoffe des Hanfes und vor allem jener mit medizinischer Wirkung, den Cannabinoiden.

Der Pionier der Cannabisforschung

Raphael Mechoulam untersucht Cannabis in der Medizin länger als jeder andere Wissenschaftler. Er gilt heute als Vater der Erforschung der Cannabinoide. 2015 entstand der Dokumentarfilm »The Scientist«, der dem Werdegang des Wissenschaftlers folgt, von seiner Kindheit während des Holocausts in Bulgarien über seine Auswanderung nach Israel bis hin zu seiner Karriere als Hauptforscher für die Chemie und Biologie der weltweit am meisten missverstandenen Pflanze.

Filmemacher Zach Klein traf Professor Mechoulam zum ersten Mal, als er Recherchen anstellte, um mit Cannabis jene Symptome zu lindern, welche die Chemotherapie seiner an Brustkrebs erkrankten Mutter hervorrief.

Der daher mit Herzblut gemachte Dokumentarfilm folgt Professor Mechoulams Versuch, die folgende wichtige Frage zu beantworten: Was übersehen wir?

Die Doku ist ein wertvoller Beitrag zum Verständnis der wegweisenden Arbeit Mechoulams mit Cannabis, die zur Entdeckung des sogenannten Endocannabinoid-Systems führte.

Übrigens: Hollywood zeichnete den Film mit dem Hollywood International Independent Documentary Award 2015 aus. Wenn Sie mehr darüber wissen wollen, empfehle ich Ihnen, »The Scientist« kostenlos auf Youtube anzusehen.


1988 wurde ein neuer Meilenstein gelegt: Um zu verstehen, wie THC in unserem Körper wirkt, wurden die ersten Rezeptoren entdeckt, an denen die Cannabinoide im Hirn andocken. In den 1990er Jahren isolierte und identifizierte Mechoulam zusammen mit seinen Mitarbeitern die Endocannabinoide, wobei Anandamid und 2-Arachidonylglycerol (2-AG) zusammen mit den spezifischen Rezeptoren das Endocannabinoid-System bilden – ein wichtiges biochemisches endogenes System, das sich im Gehirn befindet und an einer Vielzahl von physiologischen Funktionen beteiligt ist. Dazu mehr in den folgenden Kapiteln.

Die Grundlage der Cannabisforschung bildete beschlagnahmtes Haschisch – wen wundert das?

Kleines Aperçu am Rande: Das Anandamid wurde zuerst aus einem Schweinegehirn isoliert. Weil Schweinehirne in Jerusalem nicht leicht aufzutreiben waren, gingen Mechoulams Assistenten zu einem Metzger in Tel Aviv. Anandamid ist aber im Gehirn in nur sehr kleinen Mengen nachweisbar, weshalb immer mehr Schweinehirne gebraucht wurden. Das führte in Tel Aviv zu einer exponentiellen Verteuerung von Schweineköpfen!

Viele andere Forschungsgruppen begannen, die Endocannabinoide und das Endocannabinoid-System (ECS) zu untersuchen. Heute finden wir über 100.000 Publikationen über Hanf, Cannabis, Cannabinoide und das ECS. Die Faszination und intensive Erforschung der Inhaltsstoffe dieser Pflanze half uns, mehr über uns selbst und die Funktionsweise unseres Körpers zu erfahren. Interessanterweise hat auch die Pharmaindustrie die Potenziale der Cannabinoide erkannt, und einige Unternehmen haben Medikamente entwickelt, die bereits auf dem Markt sind:

1981 wurde das synthetische Analog von Δ9-THC Nabilone (Cesamet; Valeant Pharmaceuticals North America) als Medikament gegen Übelkeit und Erbrechen im Zusammenhang mit Chemotherapie zugelassen.

1985 wurde das synthetische Δ9-THC Dronabinol (Marinol; Solvay Pharmaceuticals, Inc.) als Vorbeugung und Behandlung von Übelkeit und Erbrechen unterschiedlicher Ursache und 1992 als Appetitstimulans zugelassen.

2005 wurde Sativex (Naviximole; GWPharma) zugelassen, das sowohl Δ9-THC als auch CBD enthält; es wurde erstmals in Kanada zur Schmerzlinderung bei Patienten mit Multipler Sklerose und fortgeschrittenem Krebs zugelassen und anschließend als Medikament zur Linderung der durch Multiple Sklerose verursachten Spastik.

2018 pflanzliches Cannabidiol (Epidiolex, GW Pharmaceuticals) zur Behandlung von Anfällen im Zusammenhang mit dem Lennox-Gastaut-Syndrom (LGS) oder dem Dravet-Syndrom bei Patienten ab zwei Jahren.


Doch es gibt auch Negatives zu melden. So ein Beispiel war Rimonabant, ein synthetisches Cannabinoid, das sich fix an den Cannabinoid-Rezeptor1 (CB1) bindet, den Rezeptor aber blockiert. Man dachte, da THC ein Aktivator von CB1 ist und Heißhunger verursacht, sollte ein CB1-Blocker den Appetit mindern. 2006 war das Medikament verschreibungspflichtig zum Abnehmen genehmigt. Die Patienten nahmen zwar ab, aber schon nach ein paar Jahren hatten viele starke Nebenwirkungen wie Depressionen und Psychosen, die auch zu Selbstmord führten. Deswegen wurde es bereits 2008 wieder vom Markt genommen.

Ein weiteres Beispiel: Es ging um eine Studie betreffend die Fettsäureamid-Hydrolase (FAAH), die für den Abbau von Anandamid, dem körpereigenen Cannabinoid, zuständig ist. Die Hemmung des Enzyms könnte psychischen Erkrankungen entgegenwirken. Nach Tests an Tieren wurde mit Studien am Menschen begonnen. Einer der ersten Probanden, der im Januar 2016 behandelt wurde, erlitt ein tödliches Hirnödem. Weitere vier Teilnehmer der Studie mussten wegen neurologischer Symptome im Krankenhaus behandelt werden.

Daraus ist zu sehen, dass wir bei einem derart vitalen System wie dem Endocannabinod-System nicht einfach Teile chemisch blockieren dürfen, ohne mit Nebenwirkungen rechnen zu müssen.


2.
Warum unser Körper Cannabinoide selbst herstellt

Eine funktionierende Einheit: Der menschliche Organismus besteht aus 36 Milliarden Zellen, aber auch aus zehn Mal so vielen Mikroben. Wie geht das? Ein Erklärungsversuch.

Die Bausteine des Lebens

Der menschliche Körper ist aus biochemischer Sicht kompliziert aufgebaut. Wenn wir die Zelle als grundlegende Einheit des Lebens genauer betrachten, so erkennen wir, dass die Biochemie bereits auf dieser Ebene ziemlich komplex ist. Wir können uns eine Zelle als einen ganz kleinen Ball vorstellen, aber sie ist nicht nur ein einfacher Baustein – statisch wie Ziegel in einer Mauer. Denn in jeder einzelnen Zelle finden zu gewissen Zeiten 10.000 bis 15.000 biochemische Reaktionen statt, die koordiniert und streng geregelt ablaufen. Jede Zelle speichert in ihrem Kern auch alle Gene und Informationen, die zur Bildung des ganzen Körpers notwendig sind. Und dann sind da noch die verschiedenen Zelltypen, die ganz spezifische Funktionen haben. So hat eine Leberzelle andere Funktionen als eine Nervenzelle, weshalb sie unter einem Mikroskop auch vollkommen unterschiedlich aussehen.


Die Zellstruktur

Die Zelle – eine Plaudertasche

Obwohl eine Blutzelle und eine Muskelzelle eine unterschiedliche Struktur und Form haben, sind sich alle Zellen in ihrer grundlegenden Biochemie sehr ähnlich und agieren stets als Teil eines größeren Ganzen. Deswegen ist es für eine einzige Zelle sehr wichtig, mit anderen Zellen ihrer Umgebung zu kommunizieren: Sie erkennt, was um sie herum vorgeht, was die Nachbarzelle tut und reagiert auf deren Signale. Biochemisch betrachtet, ist eine einzelne Zelle keine individuelle Lebenseinheit, sondern ein Teil eines Gewebes, eines Organs oder eines physiologischen Systems. Damit eine Zelle als Teil eines Gesamtsystems fungieren kann, muss sie unbedingt Botschaften senden und empfangen können. Vermenschlicht ausgedrückt: Sie muss eine Plaudertasche sein, die auch gut zuhören kann.

Eine Zelle wird durch eine Membran, eine Lipiddoppelschicht mit eingebetteten Proteinen, von ihrer Umgebung getrennt. Die Membrane ist nicht rigid, sondern fluid und flexibel, und obwohl sie die Zelle eigentlich von der Umgebung trennt, ermöglicht sie zugleich auch die Kommunikation. Und da gibt es viel zu erzählen. Die Zellen senden und empfangen hunderte von Nachrichten in Form von chemischen Signalmolekülen. Diese Moleküle dringen bis zur Membran vor, während die inliegenden Proteine als Empfänger (Rezeptoren) dienen.

 

Zellmembran mit Lipiddoppelschicht und Rezeptoren

Das innere Geplauder

Nicht alle Zellen können eine bestimmte chemische Nachricht »hören«. Um ein Signal zu erkennen, muss eine Zelle den richtigen Empfänger für dieses Signal haben. Wenn ein Signalmolekül sich an einen Rezeptor bindet, führt das zu Veränderungen im Inneren der Zelle. Das bedeutet, die Zelle hat die Nachricht gehört und wird sich ihr anpassen. Ähnlich der Entscheidung, einen Regenschirm mitzunehmen, wenn wir die Nachricht hören, dass es im Lauf des Tages regnen wird.

Ein Signalmolekül und ein Rezeptor erkennen einander anhand einer einzigartigen 3D-Molekülstruktur – ähnlich einer Schlüssel-Schloss-Funktionsweise. Falls alles passt, öffnen sich die Türen und eine Veränderung in der Zelle kann beginnen. Wenn nicht, geschieht gar nichts. Wenn ein Signalmolekül und ein Rezeptor übereinstimmen, findet eine Kaskade von Reaktionen in der Zelle statt, die letztendlich zu einer Modifikation führt z.B. zu Zellteilung, Apoptose (Form des programmierten Zelltods) oder Autophagie, einem Prozess, mit dem Zellen eigene Bestandteile abbauen und verwerten. Durch diese Kommunikation können die Zellen nicht nur auf Veränderungen in der extrazellulären Umgebung reagieren, sich an diese Veränderungen anpassen und gedeihen, sondern auch Signale zwischen Zellen, Geweben, Organen und dem ganzen Körper austauschen.

Die Empfänger der Nachricht

Verschiedene Zelltypen haben viele unterschiedliche Rezeptoren. Es hängt davon ab, was für das Gewebe oder das betreffende Organ wichtig ist, welche Nachricht wesentlich ist. Zum Beispiel haben die Zellen der Bauchspeicheldrüse viele Rezeptoren für Zucker (Glukose), da die Funktion dieses Organs von der Konzentration des Blutzuckers abhängig ist. Falls sich Glukose auf den Rezeptor in den Zellen der Bauchspeicheldrüse bindet, wird die Produktion von Insulin angeregt, der Blutzucker sinkt. Unsere Zellen sind in diesem Sinne sehr wirtschaftlich, jede Zelle hat nur jene Rezeptoren, die für ihr Überleben und ihre Funktion wichtig sind, und nur in der Anzahl, die benötigt wird. In der zellulären Biochemie gibt es weder ein Molekül noch eine Reaktion zu viel, die gesamte Biochemie ist stark optimiert und an die Umgebung angepasst. Jeder Zelltyp in unserem Körper verfügt über ein spezifisches Set von Rezeptoren. Typ und Dichte der Rezeptoren können sich allerdings während der Lebensdauer einer Zelle verändern, abhängig von den Bedingungen, denen eine Zelle ausgesetzt ist.

Was Hanf mit Cannabinoid-Rezeptoren zu tun hat

Unser Körper hat neben vielen verschieden Rezeptortypen auch Rezeptoren für Cannabinoide, die Wirkstoffe von Hanf. Sie wurden allerdings erst 1988 entdeckt, obwohl Cannabinoide bereits 1899 isoliert werden konnten. Interessanterweise hat man die Inhaltsstoffe von Mohn (Papaver somniferum) viel früher isoliert, und zwar 1804. Die zugehörigen Rezeptoren wurden 1973 entdeckt.

Eine wegweisende Entdeckung: Cannabinoide haben auf beinahe alles in unserem Körper Einfluss.

Vorerst verwirrte die Wissenschaftler die Existenz von Cannabinoid-Rezeptoren. Umso mehr, als sich herausstellte, dass diese Rezeptoren in unseren Zellen sehr häufig vorkommen. Wir wissen bereits, dass die Zellen sehr ökonomisch mit der Produktion von Rezeptoren umgehen, wie auch mit anderen zellularen Prozessen. Doch die Tatsache, dass viele bestimmte Rezeptoren in den Zellen enthalten sind, weist darauf hin, dass dieses Signal für die Zellen sehr wichtig ist.

Es würde nicht viel Sinn ergeben, dass sich unser Körper so viel Mühe gibt, diese Cannabinoid-Rezeptoren zu produzieren, wenn es für die meisten Menschen nur eine geringe Chance gibt, im Lauf des Lebens Cannabis zu begegnen. Wieso können also unsere Zellen so fein abgestimmt auf die Inhaltsstoffe einer ganz bestimmten Pflanze sein? Die Wissenschaftler kamen zu dem Schluss, dass die Rezeptoren nicht primär pflanzlichen Stoffen dienen sollten, sondern unseren eigenen Molekülen.

Die Erforschung der Cannabinoide


Seit der Entdeckung des ersten Cannabinoid-Rezeptors sind 20 Jahre vergangen, bis Endocannabinoide bewiesen werden konnten. Dabei handelt es sich um Cannabinoide, die alle Wirbeltiere produzieren. Dabei werden Substanzen frei, die ähnlich wirken wie THC, und auch weitere, die wiederum dem CBD ähnlich sind. Dies war eine wichtige Entdeckung, die zu intensiver Forschung über die Funktion von Cannabinoiden führte.

Cannabinoide – die Schützer unserer inneren Homöostase

In uns drinnen ist also viel los. In jeder Zelle passieren in jedem Moment viele tausende Reaktionen. Das hört sich kompliziert an, aber jede Zelle und jedes Organ hat die Fähigkeit, das biochemische Gleichgewicht zu erhalten. Das nennen wir die Homöostase, aus dem altgriechischen »homoiostásis« für Gleichstand. Es geht dabei um die Aufrechterhaltung eines Gleichgewichts durch einen internen regelnden Prozess, also eine Art Selbstregulation von Systemen. So haben wir zum Beispiel eine homöostatische Körpertemperatur, einen homöostatischen pH-Wert im Blut und so weiter. Und falls sich etwas ändert und die Werte aus dieser Balance springen, aktivieren sich mehrere Mechanismen, um alles wieder in Homöostase zu bringen.

Aber wozu dienen diese Moleküle? Diese Frage war für die Wissenschaftler nicht leicht zu beantworten. Die meisten Forschungen ergaben, dass Cannabinoide auf beinahe alles in unserem Körper Einfluss haben. Weitere Forschungsergebnisse brachten schließlich zutage, dass Cannabinoide als grundlegende Signalmoleküle in unserem Körper dienen, denn die meisten Zelltypen haben Rezeptoren für Cannabinoide. Und wie lautet nun die Nachricht, die mittels dieser Moleküle an den Großteil der Zellen geschickt wird? Vereinfacht gesagt: »Nimm den Fuß vom Gas und schalte einen Gang runter!« Daraus folgt, dass der Nachweis von Cannabinoiden in einer Nervenzelle bedeutet, weniger Neurotransmitter auszuschütten, um das Gleichgewicht (Homöostase) wiederherzustellen.

Natürlich ist aber die Situation im ganzen Körper viel komplexer. Wenn ein Signal oder eine Situation unsere zellulare Homöostase herausfordert, sind die Cannabinoide die ersten Moleküle, die produziert werden. Das bedeutet, dass sie eine Wächterrolle haben, sie senden also ein SOS-Signal. Und so werden Cannabinoide in nahezu allen für den Organismus gefährlichen Situationen ausgeschüttet: Wenn wir eine physische Verletzung einstecken müssen ebenso wie wenn wir ein intensives emotionales Erlebnis haben, aber auch wenn wir Mikroben aufnehmen, toxische Nahrungsmittel zu uns nehmen und in vielen anderen Situationen auch. Wann immer die Homöostase unseres Körpers angegriffen wird, produzieren wir Cannabinoide, die ein Signal an die betroffenen Zellen schicken und damit mehrere Mechanismen aktivieren, die alle dazu dienen, dass wir so bald wie möglich wieder in ein biochemisches Gleichgewicht kommen.


Verschiedene Endocannabinoide können nicht nur an Cannabinoid-Rezeptoren binden, sondern auch an einen vermuteten CB3-Rezeptor, den GPR55-Rezeptor, sowie an weitere Rezeptoren. Dabei handelt es sich um einen allgemeinen Zellsignalisierungsrezeptor, dessen spezifische physiologische Rolle unklar ist, da Mäuse ohne diesen Rezeptor keine gesundheitlichen Probleme haben. GPR55 ist im Hoden, in der Milz und im Gehirn, insbesondere im Kleinhirn, weit verbreitet. Er wird im Magen-Darm-Trakt aktiviert und es hat sich gezeigt, dass damit die Funktion der Knochenzellen reguliert wird.

Die Cannabinoid-Rezeptoren

Allen Cannabinoid-Rezeptoren ist gemeinsam, dass sie G-Protein-gekoppelte Transmembranrezeptoren (GPCR) sind. Das bedeutet, dass sich ein Teil des Rezeptors außerhalb der Zelle befindet und auf ein Cannabinoid vorbereitet ist, während der andere Teil des Rezeptors auf der Innenseite der Zelle sitzt und die Nachricht weiterleitet, ob sich Cannabinoide in der Nähe befinden.

Wenn sich ein Cannabinoid an den Rezeptor bindet, reagiert die Zelle. Welche Reaktion es geben wird, hängt nun wiederum von vielen Faktoren ab, einschließlich des Zelltyps, der Chemie und Konzentration der Cannabinoide, der Anwesenheit anderer Moleküle und auch der Anzahl oder Dichte der Cannabinoid-Rezeptoren auf der Zelloberfläche. Um die physiologische Rolle des Endocannabinoid-Systems zu verstehen, schauen wir, wo im Körper Cannabinoid-Rezeptoren sind, also welche Organe oder Gewebe die Nachricht aufnehmen können, die Cannabinoide senden.

Typ-1-Cannabinoid-Rezeptoren (CB1) befinden sich besonders im zentralen Nervensystem, an die sich THC und schwach auch CBD binden. Da sie während der Wirkung von Cannabis im Körper um den CB1-Rezeptor konkurrieren und CBD nicht psychoaktiv wirkt, federt CBD den psychedelischen Effekt des THC ab. Diese Rezeptoren beeinträchtigen somit das Schmerzempfinden und auch die Motorik, aber auch Emotionen, Erinnerung und Appetit. Weil CB1-Rezeptoren ihre Funktion im zentralen Nervensystem haben, wird laufend untersucht, wie Cannabinoide bei unterschiedlichen Nervenschädigungen und neurodegenerativen Krankheiten wie der Parkinson- und der Alzheimer Krankheit wirken.

Typ-2-Cannabinoid-Rezeptoren (CB2) kommen im Immun-, im Verdauungs- oder dem Fortpflanzungssystem vor. Sie befinden sich aber auch in Knochen, Haut, Lunge, hormonalen Drüsen oder in den Augen. Man ging davon aus, dass Cannabis das Immunsystem negativ beeinflusst, doch die Annahme ist überholt und wissenschaftlich unbegründet. Vielmehr scheint es so zu sein, dass die Cannabinoide den Körper dazu bringen, wieder in eine biochemische Homöostase zurückzukehren.


Opioid- und Cannabinoid-Rezeptoren im Gehirn mit ihren Leganden: Endorphine (rot) und Anandamide (grün)

Auch andere GPR-Rezeptoren antworten auf Cannabinoide wie GPR18 und GPR119. Interessanterweise reagieren einige Rezeptoren, die für andere Zellfunktionen verantwortlich sind, ebenso auf Cannabinoide wie einige Ionenkanäle, Transporter, Enzyme und Zellstrukturen.

Cannabidiol bindet an Rezeptoren, die für die Schmerzregulierung verantwortlich sind.

Ein Beispiel dafür ist die Thermo-TRP-Kanalfamilie, eine Familie von zellulären Ionenkanälen: TRP Vanilloid-1-und 2-Rezeptoren werden durch Capsaicin aus Chili bzw. CBD aus Hanf aktiviert. Sie sind dafür verantwortlich, den Körper mit Informationen über Temperaturänderungen in der Umwelt zu versorgen. Da wir wissen, dass die Regulierung der Körperkerntemperatur und die Reaktion auf Veränderungen der Außentemperatur unter der Kontrolle des Endocannabinoid-Systems steht, ist es unter diesem Gesichtspunkt nicht verwunderlich, dass die Familie der Thermo-TRP-Kanäle auf Cannabinoide reagiert. Der Hypothalamus, der die Körpertemperatur reguliert, hat auch viele Cannabinoid-Rezeptoren. So verursacht Anandamid Fieber, nachdem es an die CB1-Rezeptoren im Hypothalamus gebunden wurde.

Ein weiteres Beispiel wären die Peroxisom-Proliferatoraktivierten Rezeptoren (PPAR), die bei der Entscheidung, welche Gene ruhiggestellt werden und was aktiviert wird, eine wichtige Rolle bei der Zelldifferenzierung und -entwicklung, dem Stoffwechsel (Kohlenhydrat, Lipid, Protein) und der Tumorgenese spielen. Unter Berücksichtigung der Rolle, die Endocannabinoide in diesen Prozessen spielen, kann ihre Aktivierung von PPAR einer der Wege sein, Zellen durch Cannabinoide tiefgreifend zu beeinflussen.

 

Es ist auch bekannt, dass sich das pflanzliche Cannabidiol (CBD) an einen sehr interessanten Rezeptor, den Serotonin-1A-Rezeptor oder 5-HT1A-Rezeptor bindet. Diese Rezeptoren sind in unserem Gehirn sehr verbreitet und an der Neuromodulation – im Zusammenhang damit auch der Schmerzregulierung – beteiligt. Neben anderen Effekten, die vorrangig für Serotonin, das Glücksmolekül, bekannt sind, verursachen sie eine Senkung des Blutdrucks und der Herzfrequenz. Viele bekannte Medikamente gegen Angst und Depressionen wirken genau auf diese Rezeptoren.

Neben allen Rezeptoren, an die Cannabinoide binden und die Funktion unserer Zellen und unseres Körpers verändern, können Cannabinoide auch völlig unabhängig von Rezeptoren arbeiten. Cannabinoide sind Lipide, das heißt, sie sind fettlöslich. Da auch die Außenseite der Zellen – die Membran – in erster Linie aus Fettsäuren besteht, können die Cannabinoide Rezeptoren umgehen, die Lipiddoppelschicht durchdringen und so in die Zelle gelangen. Bis zu einem gewissen Grad ist sogar die Antitumorwirkung von Cannabinoiden rezeptorunabhängig. Dazu ist die Bildung von Lipidflößen – stabileren Stellen der Membran – wichtig, wobei Ceramid, ein spezifisches Fett, dafür entscheidend zu sein scheint.

Neuroprotektive Eigenschaften von Cannabinoiden (CBD und THC) sind rezeptorunabhängig, wie eine Studie bereits 1998 zeigte. Im Jahr 2000 fand man heraus, dass Δ9 (THC), Δ8-THC und Cannabidiol (CBD) als Antioxidantien wirken und die Zellen vor dem Absterben bereits in sehr niedrigen Konzentrationen (submikromolar) schützen, ohne sich an die Rezeptoren zu binden. CBD verhindert auch rezeptorunabhängig, dass Zellen des Gehirntumors (Gliomzellen) in neues Gewebe wandern, also metastasieren. Seine hirnschützenden Eigenschaften gelten auch für den Fall eines Schocks oder einer Verletzung, eben weil sie rezeptorunabhängig sind.

Besondere Moleküle

Endocannabinoide werden als kurzfristige Signale bezeichnet, weil sie nur dann synthetisiert werden, wenn der Körper sie braucht. Danach werden sie schnell durch Enzyme abgebaut. So gesehen sind die Endocannabinoide anders als andere Signalmoleküle, wie beispielsweise Hormone, die viel länger im Körper bleiben. Sie werden auch sehr lokal produziert: Wird der Fußknöchel verletzt, werden sie genau an dieser Stelle produziert. Und sie senden retrograde Signale. Das heißt, das Signal wird zurück in die Nervenzellen gesendet, um damit das Nervensystem zu regulieren.

Endocannabinoide werden von Natur aus in unserem Körper produziert. Omega-3-Fettsäuren dienen als Vorläuferstoffe (Präkursor) oder Bausteine für die Bildung von Endocannabinoiden. Die bekanntesten und am besten erforschten sind folgende:

AEA – Anandamid (N-arachidonoylethanolamine): Der Name kommt aus dem Sanskrit »Ananda« und bedeutet Freude oder reines Glück. Es hat im Körper unterschiedliche Wirkungen und ist in der Funktion dem pflanzlichen THC ähnlich. Es bindet an CB1- und auch CB2-Rezeptoren, wird im Körper »on demand« produziert und ist auch in der Muttermilch nachweisbar.

2-AG (2-Aeachidonoylglycerin) wird in höheren Konzentrationen im zentralen Nervensystem produziert und findet sich auch in der Muttermilch. Es bindet sowohl an die CB1-wie auch an die CB2-Rezeptoren.

Es gibt noch viele andere Endocannabinoide, allerdings ist ihre Funktion bisher noch nicht restlos erforscht.