Agricola und Germania

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Agricola
Die Römer in Britannien

Seit etwa 10 000 Jahren ist Britannien eine Insel, reich an metallischen Rohstoffen, wenn auch nicht an Edelmetallen. Diese war bereits in der Steinzeit von Menschen bevölkert, von denen noch einige Spuren fassbar sind. Um Christi Geburt war Britannien von keltischen Stämmen bewohnt, die in zwei großen Etappen um 1000 und um 500 v. Chr. eingewandert und mit den Kelten des Festlandes verwandt waren.

Während des Gallischen Krieges (58–51) unterstützten die Inselkelten ihre Festlandverwandten. Aus diesem Grund landeten in den Jahren 55 und 54 v. Chr. unter der Führung C. Iulius Caesars erstmals römische Schiffe im Süden der Insel (vgl. De bello Gallico 4,20ff. und 5,1ff.). Nach einer problemlosen Überfahrt 55 gelang die eigentliche Landung erst im zweiten Anlauf, da zunächst britannische Truppen die Küsten unter Beschuss nahmen. Auch beim zweiten Landungsversuch wurden Schiffe und Besatzung noch von den Inselbewohnern angegriffen, konnten die Einheimischen jedoch mit Brandpfeilen zurückschlagen. Caesar ließ die Soldaten ein Lager bauen. Nach der erfolgreichen Abwehr mehrerer weiterer Angriffe der Britannier segelten die Römer ergebnislos nach Gallien zurück, um im folgenden Jahr mit einer zahlreicheren Flotte erneut in Britannien zu landen. Vom Süden der Insel aus drangen die Römer – nun mit einer größeren Armee – bis über die Themse nach Norden vor. Caesar erkannte zwar die Verwandtschaft zwischen Britanniern und Galliern, irrte sich aber in der Frage, von wo nach wo eine Wanderungsbewegung stattgefunden hatte. Einige Stämme, auf die er traf und die er mit römischer Kriegskunst beeindruckte, unterwarfen sich ihm zwar, doch fand eine langfristige Besetzung der Insel noch nicht statt, da Caesar keinen Vorposten zurückließ. Der Feldzug war ohnehin eher als Strafexpedition gedacht und hatte nicht die Eroberung der Insel zum Ziel gehabt. Immerhin wurden Handelsbeziehungen aufgenommen, die in der Folgezeit ausgebaut wurden und zur Anlage von Häfen führten. Der Bürgerkrieg in Rom ließ Britannien militärisch für die nächsten Jahre aus dem Blickfeld geraten.

Octavian Augustus war der nächste römische Herrscher, der Unternehmungen gegen Britannien erwog, von denen er jedoch spätestens nach der Niederlage gegen die Germanen unter Arminius im Jahr 9 n. Chr. bis auf Weiteres absah. Inzwischen wurde das Land in einer Erdbeschreibung genauer dargestellt, und zwar durch den Geographen Strabon in griechischer Sprache.

Erneut wurde unter Kaiser Gaius/Caligula ein Feldzug geplant, der sogar bis zum Auslaufen der Schiffe vorangetrieben wurde. Jedoch kamen diese nicht bis an die britannische Küste, möglicherweise wegen einer Meuterei an Bord. Dennoch ließ sich der Kaiser fortan wie ein Sieger mit dem Ehrentitel Britannicus belegen, da ein übergelaufener Sohn des Königs Cunobelinus ihm die Unterwerfung seines Stammes angeboten hatte. Zur Erinnerung an seine Anwesenheit an der Kanalküste ließ Caligula einen Leuchtturm errichten (vgl. Sueton, Caligula 44–46).

Seinem Nachfolger Claudius gelang schließlich die Eroberung der Insel. Von dem vertriebenen Atrebatenkönig Verica wurde er als Schutzherr gegen dessen Feinde um Hilfe gerufen, so die Überlieferung. Verica ist allerdings nach dem römischen Feldzug nicht mehr quellenmäßig fassbar. Daher wird die Gefährdung der Handelsbeziehungen zu Rom (vgl. Sueton, Claudius 17, Cassius Dio 60,19ff.) als eigentlicher Anlass für die Unterwerfung angenommen.

Die Invasion mit vier Legionen (II Augusta, IX Hispania, XIV Gemina und XX, mit Auxiliartruppen also etwa 40 000 Mann) leitete General Aulus Plautius, der später der erste Statthalter wurde. Die Römer landeten in drei Geschwadern in Richborough/Kent und besiegten nacheinander die britannischen Häuptlinge Caratacus und Togodumnus, Söhne des Cunobelinus. An dem Fluss Medway trafen die verfeindeten Heere zusammen, und in einer zweitägigen Schlacht siegten die Römer, die die Britannier darauf bis zur Themse verfolgten, schließlich wurde Camulodunum (Colchester), die Hauptstadt der Trinovanten eingenommen und von den Soldaten geplündert. Claudius selbst war kurz zuvor für 16 Tage mit militärischer Verstärkung auf die Insel gekommen und ließ sich später in Rom für die Eroberung als Britannicus feiern. Sein Triumphbogen nennt die Zahl von elf besiegten Fürsten bzw. Stämmen (CIL 6,920; 6,31203; Dessau ILS 216; AE 1948,80; 2004,38). Caratacus floh nach Wales, sein Bruder Togodumnus war gefallen.

Im Jahr 49 wurde die Provinz Britannien errichtet, zunächst mit dem Verwaltungsmittelpunkt Camulodunum. Von der Provinz aus sollte die weitere Eroberung der Insel organisiert werden, die der Feldherr und spätere Kaiser Vespasian begann und von der Küste im Süden bis zur Linie Exeter-Lincoln fortsetzte. In mehreren Aufständen versuchten die keltischen Stämme in den ersten Jahren, die Römer wieder zu vertreiben. Der zweite Statthalter Ostorius Scapula (47–52) fiel in das Stammesgebiet der Cambriger in Wales ein und schlug einen Angriff von Caratacus nieder, der zur Brigantenkönigin Cartimandua floh. Da diese aber bereits unter römischer Oberherrschaft stand, wurde er an die Römer ausgeliefert. Scapula selbst starb noch während seiner Amtszeit in Britannien. Ihm folgten Didius Gallus (52–58) und Quintus Veranius (58/59). Didius Gallus stoppte zunächst die weiteren Eroberungen, Veranius unterwarf den Stamm der Siluren. Sein Nachfolger war Suetonius Paulinus (59–61), der zunächst erfolgreich Wales unterwarf und dann kühn bis auf die Insel Angelsey vordrang. Dort gelang ihm zwar die Zerstörung eines Druidenheiligtums, aber gleichzeitig wurde er in seinem Rücken vom Aufstand der Icener unter Königin Boudicca überrascht, was seine ersten Erfolge zunichtemachte. Icenerkönig Prasutagus hatte bei seinem Tod im Jahr 59 nämlich sein Herrschaftsgebiet zur Hälfte den Römern und zur Hälfte seiner Frau Boudicca und ihren Töchtern vermacht. Als die Römer nicht nur die von ihnen sozusagen geerbten Untertanen wie Sklaven behandelten, sondern auch über ihre eigene Landeshälfte hinausgriffen, Boudicca demütigten und ihre Töchter vergewaltigten, widersetzte sich die Königin der Icener zusammen mit anderen empörten Stämmen, darunter die Trinobanten. Zu diesem berechtigten Zorn kamen möglicherweise auch die vielen Schulden, die Britannier bei ihren römischen Geldgebern, vor allem bei dem Philosophen Seneca, angehäuft hatten und die dieser nun kurzfristig zurückforderte. Während des Aufstandes wurden das Legionslager Camulodunum mit einem im Bau befindlichen Tempel für Kaiser Claudius und weitere römische Einrichtungen zerstört, Petilius Cerialis, Kommandant der 9. Legion verlor im Kampf seine gesamte Infanterie, aber am Ende konnte Paulinus wenigstens den Ursprungszustand wiederherstellen. Die Strafen für die Rebellen waren hart. Boudicca nahm sich das Leben (Tacitus Annalen 14,37) oder starb an einer Krankheit (Cassius Dio, Römische Geschichte 62,12).

Nach diesen Kämpfen mussten die römischen Truppen auf der Insel wieder aufgestockt werden. Neues Zentrum der römischen Provinzverwaltung wurde nun Londinium. Neuer Prokurator (der zweitmächtigste Mann nach dem Statthalter) wurde Iulius Alpinus Classicianus, Statthalter wurde Turpilianus (61–63); mit ihnen begann eine langsame wirtschaftliche Erholung der Provinz, begleitet von einer Phase der inneren Ruhe und von Versuchen, die Stämme durch Verhandlungen an die römische Oberherrschaft zu binden. Der Eroberungszug nach Norden wurde vorsichtig fortgesetzt. So verfuhren die Römer auch unter Statthalter Trebellius Maximus (63–69).

Einige kleinere Unruhen kamen unter Vettius Bolanus (69–71) auf, die er allerdings niederschlug. Sein Nachfolger Petilius Cerialis (71–73) setzte besonders die Eroberung des Nordens fort, dessen Nachfolger Frontinus (73–77) dagegen (identisch mit dem Verfasser des Buches über Kriegslisten) schlug im Westen, nämlich in Wales 76, die Siluren endgültig.

Auf Frontinus folgte Ende 77 Cn. Iulius Agricola, dessen Leben Tacitus in seiner ersten kleinen Schrift darstellt. Er führte den ersten Feldzug gegen die Ordoviker in Nordwales und rückte später bis an den Fluss Tavum (Tay) vor. Danach sorgte er für die Sicherung der Landgewinne durch Straßenbau und die Errichtung eines Legionslagers in Chester. Im Jahr 84 führte er die Entscheidungsschlacht am Mons Graupius in Schottland. Agricola hatte möglicherweise auch noch die Eroberung Schottlands ins Auge gefasst, was zu Konflikten mit dem außenpolitisch eher zur Defensive neigenden Kaiser Domitian geführt haben könnte. Eine Umsegelung des Nordens erwies, dass Britannien tatsächlich eine Insel war (anders als z.B. Skandinavien, das die Römer damals ebenfalls für eine Insel hielten).

Eine Eroberung des nördlichen Inselteils gelang auch den Statthaltern nach Agricola nicht. Der nächste nach Agricola nachweisbare Amtsinhaber war im Jahr 89 Sallustius Lucullus, der bedeutendste 185–187 P. Helvius Pertinax, der spätere Kaiser. Die Kämpfe im Norden gingen weiter bis in die Regierungszeit Trajans. 122 besuchte Kaiser Hadrian Britannien, nachdem Angriffe aus dem freien Teil noch einmal heftiger geworden waren. Er beschloss die Errichtung eines – später nach ihm benannten – Walles ähnlich dem Limes, und zwar vom späteren Wallsend bis nach Bowness, ca. 70 km lang, als Abschluss des Reiches nach Norden. 139–142 wurde weiter nördlich der Antoninuswall gebaut, der aber zwischen 162 und 180 wieder aufgegeben werden musste. Dazu trug ein heftiger Angriff der Scoten und Picten 180 bei.

Nach seinem Sieg über seinen Widersacher 197 veranlasste Kaiser Septimius Severus die Teilung der Provinz Britannien, nachdem sich dort sein Rivale um das Kaisertum, Clodius Albinus, eine Weile hatte halten können, in die Provinzen Britannia Superior (Südengland, Wales und East-Anglia) mit der Hauptstadt Londinium und Britannia Inferior (der nördliche Teil des eroberten Gebietes bis an die Grenze von Kaledonien) mit der Hauptstadt Eboracum (York) geteilt. Kaiser Septimius Severus selbst starb 211 in Eboracum, nachdem er einen Pyrrhussieg über Kaledonien errungen hatte. In der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts, ab 260, gehörte Britannien für einige Jahre zum selbstständigen Reich des Usurpators M. Cassianus Latinius Postumus, wurde aber nach der Niederschlagung von dessen Nachfolger 274 wieder dem Imperium Romanum einverleibt. Ähnlich konnte von 287 bis M. Aurelius Carausius als Gegenkaiser zu Diokletian die Insel mit einem Teil Galliens aus dem Reich herauslösen, doch sein Nachfolger wurde 296 von Constantius Chlorus, dem Vater Constantins d. Gr. besiegt. Es folgte eine erneute Teilung der bisher zwei Provinzen in vier.

 

In der Spätantike übernahm ein Feldherr mit dem Titel Comes Britanniarum die Sicherung sämtlicher Grenzen. Mit der Ankunft germanischer Stämme, von denen einzelne Männer bereits als römische Soldaten auf die Insel gekommen waren, zu Beginn des 5. Jahrhunderts riss die Verbindung zur römischen Regierung ab, die römischen Truppen verließen Britannien, das damit endgültig aufhörte, ein Teil des Römischen Reiches zu sein. Einige Britannier wanderten in das noch römische Gallien aus und ließen sich an der Küste nieder.

Iulius Agricola – Leben und Lebensbeschreibung

Die Biographie hatte in Rom schon Vorläufer, vor allem die Leichenrede (laudatio funebris) sowie Inschriften auf Grabdenkmälern und den Sockeln von Statuen; vielleicht gab es auch schon amtliche Biographien, bevor die Gattung unter hellenistischem Einfluss entwickelt wurde. Es gibt sie in Rom zuerst als Autobiographie. Sulla und Caesar wandten sich dieser Gattung zu, wenngleich diejenige Sullas von seinem Freigelassenen Epicadus fortgesetzt wurde und Caesar seine sehr in seinem Rechenschaftsbericht über den Gallischen Krieg tarnte. Ebenfalls rechtfertigenden Charakter hatten die Autobiographien von P. Rutilius Rufus und M. Aemilius Scaurus in frühen 1. Jahrhundert v. Chr. Die erste Sammlung von Biographien verfasste Varro: Imagines und De poetis. Die Werke von Sulla und Varro sind verloren. Zum Teil erhalten ist De viris Illustribus, die Sammlung des Cornelius Nepos, die als erste rein literarischen Zwecken und nicht, auch nicht teilweise, der Rechtfertigung diente. Nepos stellte unter anderem Schriftsteller und Feldherren vor.

Gleichzeitig mit Tacitus verfasste der griechische Schriftsteller Plutarch eine umfangreiche Sammlung von Parallelbiographien griechischer und römischer Persönlichkeiten. Nach Tacitus entstand mit Suetons fortlaufenden Kaiserviten eine eigene Art der Geschichtsschreibung in Form der Biographie.

Tacitus’ erste veröffentlichte Schrift ist die Lebensbeschreibung seines Schwiegervaters, dem er seinen sozialen Aufstieg und den Beginn seiner politischen Karriere verdankte und dessen Leistungen er darin würdigt. De vita Iulii Agricolae liber nannte Tacitus selbst dieses Werk, das bei den Humanisten später den Namen erhielt: De vita et moribus Iulii Agricolae. Es ist abgefasst zwischen Oktober 97 und Dezember 98, dem Zeitpunkt, da es erschien. Bis zur Neuzeit vorgedrungen ist das Werk nur in einer einzigen Handschrift, die jedoch inzwischen selbst verloren ist.

Für Agricolas Leben und seinen Aufenthalt in Britannien gibt es sonst nur wenige Belege. Cassius Dio erwähnt ihn (Römische Geschichte 66,20,1) und eine beschädigte Inschrift aus Verulamium, dem heutigen St. Albans (AE 1957,169 und 1959,7): [Imp(eratori) Tito Caesari divi] Vespa[siani f(ilio) Vespasiano Aug(usto)] / [p(ontifici) m(aximo) tr(ibunicia) p(otestate) VIIII imp(eratori) XV co(n)s(uli) VII] desi[g(nato) VIII censori patri patriae] / [[[et Caesari divi Vesp]asian[i f(ilio) Do]mi[tiano co(n)s(uli) VI design(ato) VII]]] / [[[principi iuventutis et] omn[ium collegiorum sacerdoti]]] / [Cn(aeo) Iulio A]gric[ola leg(ato) Aug(usti) pro] pr(aetore) / [3]VEI[3]NATA[3] – Dem Kaiser Titus Caesar, Sohn des vergöttlichten Vespasian Augustus, Pontifex Maximus, als er die tribunicia potestas zum neunten Mal hatte, im 15. Jahr seines Kaisertums, in seinem siebten Konsulat, als er bereits zum achten Mal zum Konsul designiert war, Zensor und Vater des Vaterlandes, dem princeps iuventutis und aller Priesterkollegien, Cn. Iulius Agricola, legatus Augusti pro praetore [...].

Umgekehrt ergänzt seine Biographie die Quellen über die römische Geschichte Britanniens in hervorragender Weise.

Im Proömium (Kap. 1–3) begründet Tacitus nicht nur das vorliegende Werk, sondern bietet letztlich eine Einleitung zu seiner ganzen Geschichtsschreibung. Der gleichwohl persönlich gehaltenen Erklärung folgt in scharfer Abgrenzung, nämlich mit dem Namen der Hauptperson beginnend, der zentrale Teil des Werkes (Kap. 4–42): Agricolas Leben bis zur Statthalterschaft (Kap. 4–9), der Britannienexkurs (Kap. 10–17), Agricolas Statthalterschaft in Britannien (Kap. 18–38) und Agricolas Abberufung und letzten Jahre (Kap. 39–43). Am Ende steht ein persönlicher Epilog (Kap. 43–46).

Außer der Darstellung des Schwiegervaters ist das Werk auch der Auseinandersetzung mit der Diktatur Domitians gewidmet, und zwar sowohl bezüglich der Person Agricolas als auch bezüglich der Situation der Geschichtsschreibung und überhaupt des Verhaltens von Menschen unter der Gewaltherrschaft, woraus – unter anderem – die Schrift ihre stetige Aktualität bezieht. Der Anschein, Agricola und Tacitus seien eher dem Widerstand gegen den Kaiser zuzuordnen, trügt allerdings, denn die Karriere beider Männer entwickelte sich im fraglichen Zeitabschnitt nicht schlecht.

Übersetzung und Erläuterungen
Vom Leben des Iulius Agricola
Proömium

(1) Berühmter Männer1 Taten und Wesensart der Nachwelt zu überliefern – diesen Brauch von alters her hat man, obwohl sich die jetzt lebende für ihre eigenen Zeitgenossen nicht interessiert, nicht einmal zu unseren Zeiten2 aufgegeben, sooft etwas Großes oder eine vornehme Tugend gesiegt hat oder über einen Fehler sich erhoben hat, wie er großen und kleinen Gemeinwesen eigen ist. Dieser Fehler besteht in der Unkenntnis dessen, was recht ist, und im Neid. 2 Wie es aber bei den Vorfahren leicht war, etwas der Erinnerung Würdiges zu vollbringen, und dies eher in der Öffentlichkeit geschah, so wurde jeweils der durch seine Begabung Berühmteste zur Überlieferung der Erinnerung an die Tüchtigkeit veranlasst, ohne Dank zu erwarten oder Ehrgeiz zu besitzen, sondern nur um den Lohn eines guten Gewissens willen. 3 Und die meisten hielten die Darstellung ihres eigenen Lebens eher für ein Zeichen des Vertrauens in ihren guten Charakter als für Anmaßung, und solches bedeutete für Rutilius3 und Scaurus4 nicht etwa Verlust an Glaubwürdigkeit oder gar Anfeindung. So deutlich wurden zu jener Zeit die Tugenden am meisten geschätzt, wodurch sie auch am leichtesten hervorgebracht wurden. 4 Ich aber muss heute um Nachsicht bitten, wenn ich im Begriff stehe, das Leben eines verstorbenen Mannes zu beschreiben, Nachsicht, derer ich nicht bedürfte, wenn ich jemanden anklagen wollte. So grausam und feindlich ist die Stimmung gegenüber der Tüchtigkeit.

(2) Wir haben gelesen,5 dass für Arulenus Rusticus6 den Paetus Thrasea,7 für Herennius Senecio8 den Priscus Helvidius9 gelobt zu haben, ein todeswürdiges Verbrechen war, und dass nicht nur gegen diese Schriftsteller selbst, sondern auch gegen ihre Bücher gewütet wurde, indem den Henkern die Aufgabe übertragen worden war, die Denkmäler der berühmten Geister auf dem Comitium10 und auf dem Forum zu verbrennen.11 2 Wohl glaubten sie, dass durch dieses Feuer die Stimme des Volkes und die Freiheit des Senates und das Gewissen der Menschheit ausgelöscht würden, nachdem obendrein die Lehrer der Weisheit vertrieben und jede redliche Wissenschaft in die Verbannung geschickt worden waren,12 damit ihnen ja nicht irgendetwas Anständiges begegne. 3 Wir haben in der Tat ein bemerkenswertes Beispiel der Leidensfähigkeit gegeben; und wie die frühere Zeit sah, was das höchste Maß an Freiheit war, so hat das unsere gesehen, was es in der Knechtschaft war, nachdem uns durch Überwachung sogar die Möglichkeit des Austausches durch Reden und Hören genommen worden war. Die Erinnerung daran hätten wir freilich mit der Stimme verloren, wenn es so in unserer Macht gestanden hätte, zu vergessen wie zu schweigen.13

(3) Nun schließlich kommt der Mut zurück, und obwohl Kaiser Nerva sofort beim ersten Anbruch dieses so überaus glücklichen Zeitalters die einst so unvereinbaren Dinge vermischt hat, die Freiheit und den Prinzipat, und täglich Nerva Trajan das Glück jenes Zeitalters mehrte und die öffentliche Sicherheit nicht nur die Hoffnung und den Wunsch, sondern das Vertrauen in die Verwirklichung des Wunsches und echte Kraft angenommen hat, so liegt es doch im Wesen der menschlichen Schwäche, dass die Heilmittel langsamer wirken als die Übel; und wie unsere Körper langsam wachsen und schnell ausgelöscht werden, so kann man Begabungen und Eifer schneller unterdrücken als wieder hervorrufen. Es beschleicht einen sogar die Annehmlichkeit jener Trägheit, und die zuerst verhasste Untätigkeit liebt man schließlich. 2 Was, wenn fünfzehn Jahre lang, eine enorme Spanne im Leben eines Sterblichen, viele Menschen durch zufällige Ereignisse, die Besten aber durch die Grausamkeit des Kaisers zugrunde gegangen sind? Wenige und, um es einmal so zu sagen, nicht nur von den anderen, sondern auch von uns haben überlebt, so viele Jahre wurden uns aus der Mitte unseres Lebens geraubt, in denen wir von jungen Männern ins Greisenalter, die Greise aber an die Grenze ihres vollendeten Lebensalters in Schweigen gelangt sind. 3 Dennoch wird es uns keinen Verdruss bereiten, wenn auch mit unbeholfener und rauer Stimme die Erinnerung an die frühere Knechtschaft und die Zeugnisse der gegenwärtigen Güter aufgeschrieben zu haben. Fürs Erste14 wird dieses Buch, das der Verehrung meines Schwiegervaters Agricola gewidmet ist, für die darin ausgedrückte Dankbarkeit gelobt, wenigstens aber nachsichtig behandelt werden.