Alpendohle

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VII

Auf dem Weg zu seinem Wagen ließ Torben noch einmal die letzten Stunden in der Wewelsburg gedanklich Revue passieren. Natürlich hatte er bei seinen Recherchen Rückschläge erlitten, so gab es das Arbeitszimmer Himmlers nicht mehr, den Obergruppenführersaal hatte er nicht durchsuchen können und der Tresor war zerstört. Angesichts der Erfahrungen in der Dammsmühle blickte Torben jedoch nicht zu pessimistisch in die Zukunft. Schließlich hatte er trotz aller Widerstände herausgefunden, dass vermutlich hinter dem Tresor durch Himmler oder einen seiner Vertrauten ein Versteck angelegt worden war, ein weiteres Rätsel, das es zu lösen galt. Außerdem hatte er genügend Fotoaufnahmen gemacht, die vielleicht den Professor zu Interpretationen verleiten konnten. Sollte dieser damit nicht weiterkommen, würde Torben seine Suche außerhalb der Burgmauern fortsetzen müssen. Vielleicht gaben ja auch die Brücken oder der Burgwall einige Hinweise. So schnell würde er jedenfalls nicht ans Aufgeben denken.

Beim Auto angekommen, nahm er einen Schluck aus einer Wasserflasche und setzte danach den Professor telefonisch von den neusten Entwicklungen in Kenntnis.

Professor Meinert schien, auf seinen Anruf wartend, den ganzen Tag vorm Telefon verbracht zu haben, denn schon nach dem ersten Klingeln nahm er ab und ließ sich alles bis ins kleinste Detail schildern. Torben spürte an seinen Bemerkungen, dass er bei manchen Äußerungen des Museumsdirektors wohl eine andere wissenschaftliche Meinung vertrat, aber der Professor hielt sich mit seiner Kritik, so schwer es ihm auch fiel, weitestgehend zurück.

Der Professor fand es natürlich ebenso schade, dass Torben keine Gelegenheit hatte, den Obergruppenführersaal genauer zu untersuchen, war aber schlichtweg begeistert und sprach von einer Sensation, als Torben auf den Hohlraum hinter dem Tresor zu sprechen kam. Er geriet aber sehr schnell ins Grübeln, warum die Museumsmitarbeiter diese Tatsache nicht längst selbst publiziert hatten.

Letztendlich vereinbarten sie, dass Torben die Nacht auf jeden Fall noch in Burgnähe verbringen solle, damit er seine Nachforschungen am nächsten Tag fortsetzen könne. Außerdem bat ihn der Professor, ihm schnellstmöglich die Fotos zu senden, eine Bitte, der Torben gerne nachkam. Professor Meinert versicherte im Gegenzug, sich sofort zu melden, wenn er einen Hinweis finden würde.

Der einsetzende Regen sorgte dafür, dass Torben die Suche nach einer Unterkunft stark verkürzte und mit dem Landgasthaus „Ottens Hof“ die erstbeste Gelegenheit einer Schlafstatt ergriff.

Vom Wirt, einem freundlichen und kräftigen Mittvierziger mit dichtem Vollbart, erfuhr er zur Geschichte des Hauses, dass es sich um einen 1631 errichteten Fachwerkhof handelte, der – fast vollständig verfallen – 1935 von der SS aufgekauft und wegen seiner zentralen Lage als Dorfgemeinschaftshaus umgestaltet wurde. Ab diesem Zeitpunkt diente er wohl als Begegnungsstätte zwischen den örtlichen Handwerkern, verschiedensten Vereinen und den in der Burganlage untergebrachten Militärangehörigen.

Torben gefiel der Gedanke sofort, bei seiner Jagd nach der Lösung eines alten Nazirätsels in einem solchen Gemäuer zu übernachten. Auf seiner Suche hätte er sich keine angemessenere Unterkunft vorstellen können.

Beeindruckt vom rustikal gestalteten Schankraum des Hauses, stellte er erstaunt fest, dass sich an den zum Innenraum gerichteten Seiten der Sitzbänke großflächige Schnitzereien befanden, die den Totenkopf der Waffen-SS oder das Hakenkreuz mitsamt Schwert und Kornähre zeigten, also Symbole, deren öffentliches Zeigen in Deutschland eigentlich verboten war. Der darauf angesprochene Wirt zuckte mit der Bemerkung „Wo kein Kläger ist, ist auch kein Richter“ nur lächelnd die Schultern und stellte Torben ein dunkles Bier hin, das „aufs Haus“ ging.

Es stellte sich heraus, dass dieses Gatzweiler Altbier recht wohlschmeckend und anscheinend appetitanregend war, denn Torben trank in den folgenden Stunden nicht nur etliche weitere, sondern verspeiste auch noch eine westfälische Kartoffelsuppe und die hauseigene, ausgezeichnete Filetpfanne mit Bratkartoffeln und Speckbohnen. Der einsetzende Abend sorgte dann dafür, dass die wenigen Touristen, die hier ein verspätetes Mittagessen eingenommen hatten, verschwanden und der Regen immer mehr Einheimische hereinspülte.

Torben, schon immer sehr gesellig und kommunikativ veranlagt, kam mit einigen von ihnen ins Gespräch und wurde sehr schnell mit dem neuesten Dorfklatsch und Begebenheiten aus dem Museum versorgt, denn die Burg war offensichtlich der größte Arbeitgeber im Ort. Für seine Suche Interessantes oder wirklich Neues war jedoch nicht dabei. Als die Einheimischen allerdings anfingen, ihm einen örtlichen Obstbrand auszugeben, wohl um festzustellen, wie trinkfest eine „Berliner Bulette“ ist, verabschiedete er sich und begab sich leicht angeheitert auf sein Zimmer. Weil er Handy und Laptop zurückgelassen und nicht mit einer so langen Abwesenheit gerechnet hatte, musste er nun feststellen, dass der Professor bereits zwölfmal versucht hatte, ihn zu erreichen. Augenblicklich wieder nüchtern rief er umgehend zurück.

Die Schelte des Professors, wo er denn gewesen sei, hielt sich in Grenzen, weil der Wissenschaftler viel zu euphorisch über seine eigene Entdeckung war. „Mein junger Schüler, ich weiß, was Sie morgen tun werden!“, enthüllte er Torben ungestüm.

„Sagen Sie bloß, Sie haben einen Hinweis gefunden?“, entgegnete er und setzte sich aufs Bett.

„Wenn Sie mich so fragen: Ja, ich denke, ich habe auf einem der Fotos etwas entdeckt! Haben Sie Ihr Notebook an?“, fragte der Professor.

„Ich fahre es gerade hoch! Von welcher Aufnahme sprechen Sie?“, erwiderte Torben interessiert. Jetzt war er es, der sich so aufgeregt fühlte wie vor seiner ersten Hochzeitsnacht, die wohl noch lange in den Sternen geschrieben stand.

„Es war richtig, dass Sie alles fotografiert haben“, antwortete der Professor und baute einen Spannungsbogen auf. „Zuerst habe ich mir natürlich die Aufnahmen vom Obergruppenführersaal und von der Gruft angesehen, danach die vom Kellergewölbe und vom Tresor. Aber zu diesem Zeitpunkt wusste ich schon, dass ich auf den anderen Bildern irgendetwas bemerkt hatte, das mir im Kopf herumspukte! Haben Sie den Ordner mit den Fotos jetzt geöffnet?“

„Ja, soeben! Welches meinen Sie?“, fragte Torben.

„Sie haben eine Aufnahme von einer alten Fotografie gemacht, die wohl im Nordturm aushing. Darauf sind zwei GIs zu sehen, die im zerstörten oder genauer im ausgebrannten Saal stehen. Haben Sie sie? – Ja? – Jetzt schauen Sie sich die Säule an, neben der sie stehen. Im Gegensatz zu den anderen weist sie kaum Brandspuren auf und wurde gewiss deshalb als Motiv gewählt. Im oberen Bereich trägt sie einen Schriftzug!“

Torben hatte die in Altdeutsch verfasste Schrift bislang nicht bemerkt. Während er sie heranzoomte, fragte er sich, wie der Professor es nur immer wieder anstellte, diese verborgenen Kleinigkeiten zu erfassen. Er musste zukünftig selbst wohl noch sorgfältiger und gründlicher sein.

Professor Meinert sprach mittlerweile weiter: „Ich weiß nicht, ob Sie alles erkennen können. Da ich die Inschrift bereits vergrößert und ausgedruckt habe, lese ich Sie Ihnen am besten vor: So knorrig wie de Eeken, so wörn use Ohl’n. Se woll’n nicht bög’n un breeken. Se woll’n to Wodan hol’n. Da dröp jem Dod un Ungemach. Bi Veern an dem Halsebach.“

Torben, der mit dem Text nichts anfangen konnte, war derjenige, der das darauffolgende Schweigen unterbrach: „George, hören Sie auf, mich zappeln zu lassen! Was bedeutet das Gedicht?“

„Ein wenig spannend muss ich es doch machen!“, antwortete Professor Meinert. „Es ist ein Hinweis auf das sogenannte Blutgericht von Verden. Der Autor benennt am Schluss selbst den Ort – Veern oder besser: die niedersächsische Stadt Verden am Halsebach. – Ich habe bereits recherchiert. Eigentlich war es nicht Verden, sondern genau genommen das Dorf Halsmühlen bei Verden, in dem während der Sachsenkriege 782 Karl der Große viertausendfünfhundert sächsische Geiseln hinrichten ließ. Das Rad einer Wassermühle soll mit scharfen Messern versehen worden sein, mit denen tagelang die Sachsen enthauptet wurden. Der das Mühlenrad antreibende Halsebach soll damals bis in den Fluss Aller blutrot gefärbt gewesen sein. Deshalb der Reim!“

„Ich versuche, Ihnen gedanklich zu folgen, aber es gelingt mir nicht“, sagte ein ratloser Torben.

„Entschuldigen Sie, ich vergesse immer, dass ich – und ich hoffe, es klingt nicht despektierlich – mit einem Laien spreche“, erwiderte der Professor und setzte zu näheren Erläuterungen an: „Die Sachsenkriege dauerten von 772 bis 805. Die Sachsen waren damals noch ein loser aber überaus stolzer germanischer Stammesverband und verehrten die alten Götter. Karl der Große, König des Fränkischen Reiches und ab 800 römischer Kaiser, richtete einen überaus brutalen Feldzug gegen sie aus, um sie nicht nur zu unterwerfen, sondern um sie vor allem zu christianisieren.

In den neu-völkischen Bewegungen des Nationalsozialismus wurde das Verhalten Karl des Großen stark kritisiert, der Todesstrafen für die Verunglimpfung seiner Kirche erließ oder Deportationen der heidnischen Sachsen veranlasste. Als einflussreichster Laienforscher ist hier wohl Wilhelm Teudt zu nennen, der seit 1933 engen Kontakt zu – Sie werden es erraten – Heinrich Himmler hatte. Teudt erforschte germanische Heiligtümer, gründete Organisationen für Volkskunde und seine Thesen zur germanischen Kultur beeinflussen noch heute neuheidnische Kreise. Im Wesentlichen ging Teudt davon aus, dass die Germanen neben den Römern eine eigenständige Hochkultur entwickelt hatten – was ja Himmler sehr zupasskam –, die mit der Christianisierung vernichtet wurde. Für die Sachsen heißt das, mit der Eroberung durch Karl dem Großen kam es zu einem Kulturbruch. Das Fehlen von Kunstdenkmälern der Germanen erklärte Teudt damit, dass sie eine Holzkultur gepflegt hätten, also bei der Herstellung ihrer Heiligtümer auf Holz zurückgriffen, das im Laufe der Jahrhunderte einfach modrig wurde und zerfiel. Seine Thesen zu Karl dem Großen gerieten allerdings ins Abseits, als sich die Nazis dessen Eroberungsdrang in Richtung Osten für ihre eigenen Feldzüge zunutze machen wollten. Sie führten ab diesem Zeitpunkt an, die Kolonisation des slawischen Raumes von Karl dem Großen fortzusetzen. Teudt – schon zu Lebzeiten nicht unumstritten – starb noch weit vor Ende des Krieges.

 

Aber zurück zum Gedicht: Offensichtlich wird darin die Aufopferungsbereitschaft der Sachsen und damit aller Germanen gelobt, die sich nicht haben ‚biegen‘ oder ‚brechen‘ lassen, eine Tugend, die auch in der SS als erstrebenswert galt. Die Inschrift im Obergruppenführersaal verwundert mich daher nicht im Geringsten. Darüber hinaus – und jetzt kommen wir zu Ihren zukünftigen Reiseplänen – ließ Himmler von 1934 bis 1936 noch ganz unter dem Einfluss von Teudt eine antichristliche Gedenkstätte namens Sachsenhain in Verden errichten, in die er viertausendfünfhundert Findlinge – einen für jeden von Karl dem Großen getöteten sächsischen Adligen – entlang eines zwei Kilometer langen Rundweges aufstellen ließ. Bei der Einweihungs- und gleichzeitigen Sonnenwendfeier war Himmler persönlich anwesend. Wenn Sie mich fragen, sollten Sie Ihre Suche dort fortsetzen! Einen besseren Hinweis finden wir nicht.“

Torben musste dem Professor zustimmen. „Sie haben recht, zumindest klingt es für mich plausibel. Folgen wir also der Spur, die Himmler uns gelegt hat. Mal sehen, wo sie uns letzten Endes hinführt.“

VIII

Torben, der auf besseres Wetter gehofft hatte, wurde am nächsten Morgen enttäuscht. Der Regen hatte sich zwar abgeschwächt, aber der Himmel war stark bewölkt und es nieselte unaufhörlich. Der Wetterbericht, den er später im Auto hören sollte, hatte bei Maximaltemperaturen von sieben Grad Celsius auch keine Änderung der Wetterlage anzukündigen.

Nach einem ausgiebigen Frühstück und zwei Tassen Kaffee, die ihm erstaunlicherweise wieder der Wirt servierte, obwohl er bis nach Mitternacht hinter der Theke gestanden haben musste, kaufte er sich im Ort noch einen kleinen schwarzen Regenschirm und brach nach Verden zum Sachsenhain auf. Die Fahrt dorthin dauerte etwas mehr als zwei Stunden und führte auch an der Stadt Porta Westfalica, der Westfälischen Pforte, vorbei.

Er erinnerte sich, vor einigen Jahren etwas über neue archäologische Funde gelesen zu haben, die nun doch die Hoffnung der Einwohner nähren würden, Ort der Varusschlacht, besser bekannt als Schlacht im Teutoburger Wald, gewesen zu sein, in der Armin, ein cheruskischer Fürst, mit seinen Truppen die römischen Legionen schlug. Da er merkte, wie seine Gedanken abschweiften, zwang er sich, sich wieder auf eine ganz andere, bedeutend jüngere Zeitepoche zu konzentrieren.

Der Professor hatte ihm nachts noch einiges über den Sachsenhain erzählt. Offenbar waren die Bauern der Umgebung durch die SS verpflichtet worden, jeden Findling, den sie fanden, für den Bau des Sachsenhains bereitzustellen. Unter den abgegebenen Steinen wurden letztendlich sehr viele gefunden, die Einkerbungen oder Runen aufwiesen. Der Befehl der Nazis hatte anscheinend dazu geführt, dass eine größere Anzahl heidnischer Megalithgräber und Gedenkorte im Umland zerstört wurden.

Professor Meinert hatte das zum Anlass genommen, Torben so gut es in der Kürze der Zeit eben ging, Kenntnisse über Megalithbauweisen näherzubringen. Zumindest hatte er behalten, dass der Begriff Megalith aus dem Griechischen stammt und nichts anderes als großer Stein bedeutet. Aus solch großen und vor allem unbehauenen Steinen – Obelisken zählten beispielsweise nicht dazu – wurden durch heidnische Kulturen in ganz Europa Steingräber, Steinkreise oder einzeln stehende Monumente errichtet.

Um die mutmaßlichen viereinhalbtausend getöteten Sachsen zu ehren, deren hohe Anzahl Wissenschaftler inzwischen anzweifelten, wurden die größten Findlinge durch den damit beauftragten Reichsarbeitsdienst senkrecht entlang des Weges aufgestellt. Da die Anzahl der geeigneten Steine nicht ausreichte, wurden die verbliebenen Lücken im Anschluss mit großen Bruchsteinen gefüllt. Im Süden des Weges schuf man weiterhin einen Thingplatz, also eine Art Versammlungsplatz unter freien Himmel. Die Fläche soll auch zu Kampfspielen genutzt worden sein, was immer dies auch heißen mag, dachte sich Torben.

Außerdem hatten sie herausgefunden, dass sich der Sachsenhain seit 1950 im Eigentum der evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannover befand. Torben konnte sich die Bemerkung nicht verkneifen, dass es sicherlich nur in Deutschland möglich sei, die Pflege antichristlicher Gedenkstätten der evangelischen Kirche zu übertragen.

Aber der Rundgang war wenigstens öffentlich zugänglich, sodass er die Hoffnung hatte, dieses Mal – schon mit Blick auf das für Spaziergänger abschreckende Wetter – in aller Ruhe nach dem nächsten Zeichen suchen zu können. Der Professor riet ihm diesbezüglich, nach einem Stein Ausschau zu halten, der sich beispielsweise in Material, Stellung oder Größe von den anderen unterschied. Möglicherweise könnte auch eine Anordnung kleinerer Steine auf dem Thingplatz einen Hinweis geben. Die ursprüngliche Einweihung während einer Sonnenwendfeier ließ bei Professor Meinert außerdem die Vermutung aufkommen, dass die Sonne – als zentrales Symbol heidnischer Verehrung – oder eben das Licht, sprich Sonnenaufgang oder -untergang, eine Rolle spielen könne.

Mit diesen Ratschlägen im Gepäck näherte er sich jetzt von Norden dem Stadtrand, nachdem ihn sein Navigationsgerät zuerst über die Autobahn an Verden vorbeigeführt hatte. Verschiedene Schilder wiesen recht schnell auf den Evangelischen Jugendhof Sachsenhain hin. Offenbar hatte sich die Kirche dazu entschlossen, das Gelände in ihrem Sinne zu nutzen. Mit Blick auf das Tiefdruckgebiet, das einfach nicht an Einfluss verlor, ging Torben aber nicht davon aus, dass ihn irgendwelche aufgeweckten Jugendlichen bei der Suche stören würden. Die letzten Meter legte er sogar auf einer Straße mit dem Namen „Zum Thingplatz“ zurück. Zumindest konnte er dadurch sicher sein, sich nicht verfahren zu haben.

Der Jugendhof bestand aus einigen Fachwerkhäusern, die im Dritten Reich ursprünglich wohl einem anderen Zweck gedient hatten. Er parkte den VW am Straßenrand, schloss seine Jacke, zog die Kapuze über den Kopf und prüfte, ob Handy und Kamera sicher, das heißt trocken, verstaut waren. Nach dem Aussteigen öffnete Torben zusätzlich seinen Schirm und ging in Richtung einer Parkanlage, die, so verhießen es etliche Wegweiser, der gesuchte Sachsenhain war.

IX

Der Übergang zwischen Park und Rundgang war fließend, denn die Anlage wurde überwiegend durch den steinbesäumten Weg dominiert.

So oder so ähnlich hatte er sich den Sachsenhain auch vorgestellt. Links und rechts eines fünf Meter breiten Kiesweges waren die Findlinge senkrecht nebeneinander aufgestellt. Sie standen an manchen Stellen so eng, dass sich die Steine gegenseitig abstützten. Die meisten von ihnen waren aber offensichtlich nicht unerheblich ins Erdreich eingesunken, denn so waren sie in der Lage, auch frei zu stehen. In Größe und Material variierten die Findlinge. Zum Teil ragten sie nur achtzig Zentimeter aus dem Boden, in anderen Abschnitten entlang des Weges aber bedeutend mehr. In der Regel bewegten sie sich bei einer sichtbaren Größe von einem Meter, waren moosbedeckt und gewiss tonnenschwer. Hinter den Steinen waren Laubbäume, wie Buchen, Eichen, Linden oder Birken, gepflanzt worden. Zum Teil hatten sie sich wohl auch selbst vermehrt, weil kleinere Exemplare mittlerweile zwischen den Findlingen wuchsen. Die meisten Bäume waren indes gut und gerne zwanzig Meter hoch und ihre Stämme hatten in den letzten acht Jahrzehnten einen beträchtlichen Umfang erreicht. An einigen Stellen standen sie zu nah an den Steinen, denn sie umschlangen manchmal die Findlinge regelrecht und ließen sie so Teil ihres Stammes werden.

Torben hatte vor, den Weg erst einmal komplett abzulaufen, es sei denn, ihm würde ein Hinweis, oder besser gesagt ein Stein, sofort ins Auge springen. Er überquerte eine Brücke und schaute sich den Thingplatz an. An dessen Rand war aus vielen kleineren Findlingen, faustgroß und größer, eine etwa fünfzehn Meter breite Plattform gebaut worden, die über fünf Stufen zu erreichen war. Eine Hinweistafel wies die Stelle als sogenannte Redekanzel aus. Sie ermöglichte nicht nur den Blick ins Innere des Thingplatzes, sondern auf der anderen Seite auch ins dahinterliegende Tal.

Für den kompletten Rundweg benötigte er mit einigen Unterbrechungen an besonders auffälligen Steinen fast eine Stunde. Langsam krochen ihm die Nässe und die Kälte in die Glieder und dabei hatte er noch keinen einzigen Anhaltspunkt gefunden. Als er zum Thingplatz zurückkehrte, rief er den Professor an und bat ihn um Rat.

Professor Meinert ließ sich einzelne Steine beschreiben oder riet, die Redekanzel und deren Stufen zu untersuchen. Das erwies sich zwar als falsche Spur, letztlich kam Torben dort aber die rettende Idee.

Den Hinweisen und Fragen des Professors am Telefon nur noch halbherzig lauschend, schweiften seine Gedanken ab und er stellte sich Himmler vor, wie er von dort oben bei einer mit Fackeln erleuchteten Sonnenwendfeier zu seinen Jüngern sprach. Als er auf den Thingplatz blickte, kam ihm der Gedanke, dass Himmler stets die Hinweise sichtbar vor Augen hatte – die Schwarze Sonne im Arbeitszimmer oder das Gedicht im Obergruppenführersaal. So musste es auch an dieser Stelle sein. Die Zeichen waren hier, er musste sie nur finden. Er blickte die im Kreis aufgestellten Steine an. Einer von ihnen musste einen Anhaltspunkt tragen. Er versprach, den Professor zurückzurufen, und beendete das Gespräch.

Material, Stellung oder Größe des Steins könnten Hinweise sein, erinnerte er sich. Es gab etliche Steine, die ihre Nachbarn überragten. Er überlegte, welcher von ihnen der gesuchte sein könnte, und stellte fest, dass es wenigstens zehn, wenn nicht mehr waren, die infrage kamen. Er zählte sie durch und kam auf zwölf Megalithen, nicht irgendwelche Bruchsteine, die hilfsweise herangeschafft wurden, sondern zwölf riesige Megalithen, die möglicherweise einmal als Grabsteine gefallener germanischer Fürsten dienten. Er schaute sich um, keiner der anderen Steine auf dem Thingplatz oder auf dem Weg, den er gegangen war, hatte deren majestätisches Aussehen.

Einer von diesen zwölf musste einfach ein besonderes Kennzeichen aufweisen. Plötzlich fiel ihm der Museumsdirektor ein. Dr. Schreiber hatte doch von der magischen Bedeutung der Zahl Zwölf gesprochen, die sich durch alle Kulturkreise zog.

Torben war nicht mehr zu halten, der Regen, den ihm der kalte Wind ins Gesicht schleuderte, schien ihn nicht im Geringsten zu beeindrucken, als er auf den ersten der Steine auf der linken Seite zu rannte. Als er wenige Augenblicke später vor ihm stand, bemerkte er erst, wie groß der Findling war. Er überragte Torben um ein beträchtliches Maß und nur wenn er Glück hatte, würden seine Hände das obere Ende umfassen können, um sich an ihm hochzuziehen; aber so nass, wie der Megalith war, nahm Torben von dem Gedanken erst einmal Abstand.

Er umrundete den Stein und suchte nach einem Hinweis. Der Fels war sicherlich Millionen Jahre alt, die Gletscher der Eiszeit hatten ihn aus Skandinavien bis hierher getragen und Germanen und später Anhänger eines nationalsozialistischen Glaubens hatten ihn für ihre Zwecke mit purer Muskelkraft bewegt.

Aber Torben – sosehr er sich auch bemühte – fand an der Oberfläche weder eine Kerbung noch irgendein Zeichen, das eine, wenn auch noch so abstrakte, Interpretation ermöglicht hätte. Die daneben platzierten Steine erklimmend, nahm er den Megalithen von oben in Augenschein. Als auch das nicht erfolgreich war, sprang er wieder herunter. Beim Sprung in das aufgeweichte Erdreich sank er ein. Dabei kam ihm der Gedanke, dass es dem Stein durch jahrzehntelangen Regen und Schmelzwasser genauso ergangen sein konnte. Mit den Fingern riss er die Grasnarbe am Fuß des Steins auf und grub mit bloßen Händen in der feuchten und kalten Erde.

Keuchend und schwitzend von der Anstrengung, hatte er etwa eine Handbreit unterhalb der Oberfläche plötzlich den Eindruck, in der Außenseite des Steins eine Vertiefung oder zumindest einige zusammenhängende Rillen zu fühlen. Er versuchte, die Erde wegzuscharren und den Stein sauber zu wischen, aber mit seinen klammen Händen wollte es ihm nicht gelingen. Er brauchte etwas, um den Dreck wegzuspülen. Kurzerhand drehte er seinen Regenschirm um und nutzte ihn als Auffangbecken für das Regenwasser, was allerdings dazu führte, dass er nur noch schneller durchweichte und auskühlte.

 

Nach einigen Minuten hatte er genügend Wasser zusammen, um damit die Rillen auszuspülen. Nachdem er den Schmutz tatsächlich beseitigt hatte, überwältigte ihn ein freudiges Gefühl, denn er konnte nicht nur ein Symbol erkennen, sondern sogar eine Inschrift lesen, das lateinische Wort „Truncum“.

Um sicherzugehen, dass sich kein weiterer Hinweis auf dem Stein befand, nahm er an beiden Seiten und unterhalb der Buchstaben noch etwas Erde weg. Je tiefer er dabei kam, umso schwieriger wurde es für ihn. Durch die Anstrengung schmerzten seine Finger, sie wurden taub und steif. Weitere Inschriften fand er freilich nicht. Als er sich sicher war, nichts übersehen zu haben, machte er ein Foto, atmete tief durch und ging zum nächsten Megalith.

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