Alpendohle

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VI

Es war schon fast Mittag, als Torben bei Paderborn die Autobahn 33 verließ und nach einigen Minuten die Hauptstraße des nach der Burganlage benannten verschlafenen Dorfes entlangfuhr. Er hatte für die etwas mehr als vierhundert Kilometer durch einen Stau bei Hannover – irgendwie hatte er den Eindruck, dass auf der A 2 dort immer Stau war – fast fünf Stunden gebraucht und kam so schon zu spät zu seinem Termin mit Dr. Gustav Schreiber, dem Direktor der Wewelsburg, oder genau genommen, dem Direktor der „Erinnerungs- und Gedenkstätte Wewelsburg 1933–1945“. Die gründliche, typisch deutsche Bürokratie hatte nämlich dafür gesorgt, dass die Zuständigkeiten zwischen der dort ebenfalls angesiedelten Außenstelle des Historischen Museums Paderborn, des Kreismuseums Wewelsburg und eben der Erinnerungs- und Gedenkstätte sehr schwer zu durchschauen waren. In der praktischen Umsetzung vor Ort war jedoch Dr. Schreiber Hausherr und Torbens am besten geeigneter Ansprechpartner.

Es hatte einige Tage gedauert, bis der Professor es geschafft hatte, einen Termin mit Dr. Schreiber zu vereinbaren. Der Direktor ging im Moment noch davon aus, dass ein Herr Trebesius bei der Erstellung eines Reiseführers für die Umgebung von Paderborn die Wewelsburg explizit als Ziel empfehlen wollte, und Torben hatte vor, ihn in seinem Glauben zu lassen.

Er war in die Zwischenzeit nicht untätig geblieben und hatte die Tage dazu genutzt, zwei Artikel über seine letzte Peru-Reise und ein Musikfestival in Spanien, das er besucht hatte, zu Ende zu schreiben und seinem Verlagshaus zu senden. In diesem Zusammenhang hatte er seinem Redakteur mitgeteilt, dass er wegen Recherchen in anderer Sache einige Tage für neue Aufträge nicht zur Verfügung stehe.

Am Tag darauf belohnte er noch eine nette ältere Dame in der Nachbarschaft mit – wie er immer betonte – „selbst gekauftem“ Apfelkuchen und einer halben Stunde Aufmerksamkeit, weil sie, wenn er auf Reisen war, die Freundlichkeit besaß, ab und an in seiner Wohnung nach dem Rechten zu sehen und seinen Briefkasten zu leeren. Für Notfälle besaß sie auch die Telefonnummer von Torbens Mutter.

Einer plötzlichen Eingebung folgend und trotz seines Zeitmangels parkte Torben, um sich nach der Fahrt noch etwas die Beine zu vertreten, seinen VW am Fuße der Anhöhe der Burganlage und ging die letzten hundert Meter der Steigung zu Fuß. Er hatte dadurch Gelegenheit, die aus Kalkstein errichtete massive Burg in voller Größe auf sich wirken zu lassen.

Er wusste bereits, dass die Wewelsburg zu den wenigen europäischen Burgen gehörte, die einen dreieckigen Grundriss besitzen. Die heutige Form des Bergschlosses im Stil der Weserrenais­sance ging auf Bauarbeiten in den Jahren 1603 bis 1609 unter dem Paderborner Fürstbischof Dietrich von Fürstenberg zurück. Der Bischof ließ die noch vorhandenen Mauern und Gebäudeteile der beiden Vorgängerburgen, der Wifilisburg aus dem 9. Jahrhundert, die Himmler für so wichtig im Kampf Heinrichs I. erachtete, und eines festungsähnlichen Gebäudes aus dem Jahre 1123 in die neue Burganlage integrieren.

Als Torben das Portal des nach Süden ausgerichteten und breitesten der drei Gebäudeflügel durchschritt, erkannte er, dass er auf der richtigen Spur sein musste, denn der Erker trug die ihm bereits bekannte Inschrift: „Multi quarent intrare et non poterunt.“ Offensichtlich war die Schwarze Sonne nicht das einzige Zeichen im Schloss Dammsmühle gewesen, das hierher verwies. Der Südflügel wurde von zwei Türmen eingerahmt, die schmaler waren als der in der Nordspitze stehende Hauptturm. Unterhalb des nach Westen ausgerichteten Teils des Schlosses erstreckte sich das Almetal, das in der Vergangenheit verhinderte, dass die Burg durch eventuelle Feinde von dieser Seite einzunehmen war. Die Zugänge zu den anderen beiden Gebäudeteilen wurden durch Trockengräben gesichert, die nur mittels jeweils einer Brücke überquert werden konnten. Die Höhe des Bauwerkes ließ sich nur schwer abschätzen. Anhand der Fensterreihen, die zumindest in unmittelbarer Nähe zu den Portalen in vergangenen Zeiten sicherlich die Funktion von Schießscharten hatten, konnte er erkennen, dass die Gebäude – die begehbaren Dachböden eingeschlossen – bis zu fünf obere Etagen besaßen.

Dr. Schreiber stellte sich als geschäftiger und in Ehren ergrauter Endfünfziger heraus, ausgestattet mit ungemein buschigen und – im Gegensatz zu seinem Kopfhaar – recht dunklen Augenbrauen. Er erwartete Torben schon voller Ungeduld, weil – wie er betonte – sein Tagesplan durch die Verspätung des Besuchers mittlerweile völlig durcheinandergeworfen worden war. Gleichwohl war er dennoch sehr zuvorkommend und Torben nahm den ihm angebotenen Tee und das Gebäck gerne an.

In dem mit Unterlagen, Fotos, Lageplänen und Akten überladenen Büro Dr. Schreibers fanden beide in einer Ecke an einem Fenster eine passende Sitzgelegenheit, die es sogar erlaubte, den Ausblick auf den im Tal gelegenen Wald zu genießen.

Nachdem sie sich kurz bekannt gemacht hatten – wobei Torben bei seiner Legende, der Erstellung des Reiseführers blieb und gleichzeitig erfuhr, dass der mittlerweile seit siebenundzwanzig Jahren auf der Wewelsburg tätige Schreiber aus finanziellen Gründen jede nur erdenkliche Publicity für das Museum benötigte –, stellte ihm der Museumsleiter die Burg und ihre Geschichte vor. Einiges hatte sich Torben bereits angelesen. Andere Dinge, wie die genauen Besitzverhältnisse im Mittelalter, die Nutzung als Nebenresidenz der Fürstbischöfe oder als Zivilkerker waren genauso neu für ihn, wie zu erfahren, dass die Wewelsburg im Mittelalter auch Ort zweier Hexenprozesse war.

Dieses Thema schien Dr. Schreiber besonders zu interessieren und er riet Torben, die gerade im Keller stattfindende Sonderausstellung zur Hexenverfolgung zu besuchen. Er betonte, dass selbst im Nationalsozialismus dem Thema eine besondere Bedeutung beigemessen wurde und Heinrich Himmler höchstpersönlich den Auftrag erteilt habe, im Rahmen eines sogenannten „Hexen-Sonderauftrags“ die Hexenverfolgung wissenschaftlich aufzuarbeiten.

Obwohl das Thema interessant klang, beabsichtigte Torben nicht, sich vom eigentlichen Anlass seiner Reise abbringen zu lassen, und ergriff die Gelegenheit beim Schopfe, sich nach den von Himmler veranlassten Veränderungen der Burganlage zu erkundigen. „Herr Schreiber, schön, dass Sie gleich auf Himmler zu sprechen kommen. Können Sie mir kurz etwas zur Nutzung der Wewelsburg als Schulungszentrum der Waffen-SS erzählen, vielleicht etwas, dass bei meinen Lesern Interesse weckt, gerade hierher zu kommen!“

„Selbstverständlich, Herr Trebesius, deshalb sprechen wir ja mit­einander!“, erwiderte Dr. Schreiber galant. „Sie könnten erwähnen, dass wir im ehemaligen Wachgebäude auf dem Vorplatz der Burg, an dem Sie auch vorbeigefahren sein müssten, im vergangenen Jahr die weltweit einzige und vollständige museale Ausstellung zur Geschichte und Ideologie der Waffen-SS eröffnet haben. Sie werden keine bessere finden!“

Sichtlich stolz sprach er weiter: „Die SS war ab 1934 hier durchgehend mit einem großen Aufgebot an Personal, vorrangig Wissenschaftlern, präsent. Himmler war sehr oft persönlich anwesend und unterhielt ein eigenes ständiges Büro. Er war es auch, der wie kein anderer die Forschungen und Umgestaltungen prägte. Der ursprüngliche Plan, hier eine nationale Schulungsstätte für SS-Führer zu etablieren, wurde allerdings verworfen. Lediglich 1941 wurden hier die Strategien des Russlandfeldzuges besprochen.

Da Sie sich – wie ich bemerkt habe – schon etwas mit der Geschichte unseres Hauses beschäftigt haben, wissen Sie sicherlich, dass Himmler seine germanische Zweckforschung hier durchführen ließ. Im Prinzip heißt dies aber nichts anderes“, er winkte ab, „als dass man in der Umgebung Paderborns archäologische Ausgrabungen vorgenommen hat und Funde aus anderen Regionen hier begutachtete beziehungsweise katalogisierte. Schwerpunkte bildeten natürlich die germanische Frühgeschichte und die Geschichte des Mittelalters.

Brauchtümer, Runen, Riten und Kulte aus diesen Zeiten sollten – davon gehe ich aus – auf ihre Eignung, sie zum Zwecke der nationalsozialistischen Ideologie zu verwenden, untersucht werden, denn vor allem Himmler überhöhte ja die nordische Rasse als edelste aller germanischen Rassen. Auch Ahnenforschung oder pseudoreligiöse Feiern gehörten für ihn hier dazu.

Aber zurück zur Anlage an sich. Himmler ließ die Wewelsburg vollständig umgestalten. Durch Entfernen des Putzes und Freilegen des Sandsteins, Vertiefung der Gräben und Errichten einer neuen Brücke ließ er sie in seinen Augen burgähnlicher werden. Die Inneneinrichtung mitsamt okkulter Symbolik, Mobiliar oder Gemälden überließ er Karl Maria Wiligut, einer höchst obskuren Persönlichkeit, die auch das Runenmuster des SS-Totenkopfringes entworfen hatte. Die Totenkopfringe gefallener SS-Angehöriger wurden ebenfalls auf der Burg verwahrt.

Der mit den äußeren Veränderungen beauftragte Architekt Herman Bartels ließ zwischen 1934 und 1938 als Erstes den Ostflügel ausbauen. Im Erdgeschoss des Nordturms, der Sie gewiss besonders interessiert, wurde ganz zu Beginn eine Kunstschmiede eingerichtet, in der alle benötigten schmiedeeisernen Ausstattungsstücke angefertigt wurden. Erst ab 1938 wurde der Turm dann gesichert und ausgebaut. Seine Räumlichkeiten werden in Ihrer Schilderung sicherlich einen besonderen Platz einnehmen und ich werde Sie Ihnen gleich noch persönlich zeigen. Ich spreche unter anderem vom sogenannten Obergruppenführersaal. In der Mitte dieses Raumes befindet sich, umgeben von zwölf Säulen, eine in den Marmorboden eingelegte zwölfspeichige Sonnenradintarsie, die übrigens grün und nicht, wie oft beschrieben, schwarz ist.“

Dr. Schreiber trank einen Schluck Tee, bevor er fortsetzte: „Unterhalb des Saales werden Sie die Gruft oder Krypta vorfinden. Manche nennen den Raum auch Walhalla. In der Mitte der Krypta, die sich durch eine außergewöhnliche Akustik auszeichnet, also direkt unterhalb des Sonnenrades, befinden sich die Überreste einer Gasleitung. Vermutlich sollte hier eine ewige Flamme die Gruft erleuchten.

 

Den genauen Zweck beider Räume kennen wir nicht. Auffällig ist natürlich die Verwendung der Zahl Zwölf bei der Anzahl der Säulen und den Speichen des Sonnenrades. So gab es schon in der griechischen Mythologie zwölf Hauptgötter, Herakles musste zwölf Prüfungen ablegen, im Alten Testament werden Sie zwölf Stämme finden und Jesus begleiteten zwölf Jünger. Die Aufzählung ließe sich beliebig fortsetzen. Aber das Wichtigste ist wohl, dass nach neuzeitlicher Interpretation die Tafelrunde von König Artus aus zwölf Kriegern bestand und Sie in Asgard, dem Heim der nordischen Götter, zwölf Paläste für die zwölf Götter finden werden. Höchstwahrscheinlich ließ sich Himmler davon beeinflussen und sah seine SS von zwölf Generälen geführt, die dort ihre Treueschwüre erneuern sollten. Nach meiner Überzeugung ist die Zahl jedenfalls nicht zufällig gewählt.

Darüber hinaus soll Himmler – so sagen es einige Kollegen – eine besondere Passion für die Heilige Lanze besessen haben und im Besitz einer Kopie gewesen sein. Ein römischer Legionär soll mit der Spitze seines Speers den Tod des gekreuzigten Jesus überprüft haben. Sie wurde dadurch mit dessen heiligem Blut getränkt.

Obwohl manchmal publiziert, ist es nicht belegbar, dass Himmler im Obergruppenführersaal mithilfe der Heiligen Lanze eine neue, höherwertige Rasse generieren wollte. Gleichwohl vertrat er die Ansicht, dass zu einer Verbesserung der Rasseneigenschaften, der Höherzüchtung von Menschen – Heiratsbefehle, totale Kontrolle selbst des Intimsten und Ausgrenzung von Minderwertigem gehören. Aber auch für dieses Vorgehen gibt es im Zusammenhang mit der Wewelsburg keine Belege.

Aus den erhaltenen Unterlagen wissen wir jedoch, dass in den oberhalb des Saales liegenden Stockwerken des Turms ein mehrstöckiger Kuppelsaal geplant war, mit dessen Bau jedoch, nach dem Abriss des alten Mauerwerks, nicht mehr begonnen wurde.

Die Planungen des Umbaus wurden im Laufe der Zeit generell immer monströser. Barthels, der Architekt, hatte spätestens seit 1940 vor, die Gesamtanlage der Wewelsburg innerhalb der nächsten Jahrzehnte zu einer kreisförmigen Anlage mit einem Radius von sechshundert Metern auszubauen. Der Nordturm, und damit auch der Obergruppenführersaal, sollte das Zentrum der Anlage bilden. Die geplanten Ring- und Stichstraßen, Gebäude und Wehranlagen sollten allesamt auf ihn ausgerichtet werden. Auch von einem Autobahnanschluss und einem Flughafen für die zentrale SS-Kultstätte war die Rede.

Um die Bauarbeiten durchzuführen, richtete die SS 1939 zunächst eine Außenstelle des Konzentrationslagers Sachsenhausen im Ort Wewelsburg ein. Mit Zunahme der Bautätigkeit und des damit wachsenden Bedarfs an Arbeitskräften wurde sie 1941 sogar zum staatlichen Hauptlager KZ Niederhagen erhoben und bestand bis Anfang 1943.

Da die Wewelsburg nicht den Alliierten in die Hände fallen sollte, wurde sie auf ausdrücklichen Befehl Himmlers 1945 gesprengt und brannte zum Teil aus.

Alles, was Sie jetzt sehen, wurde wiederaufgebaut oder aufwendig rekonstruiert. Im Ost- und im Südflügel befinden sich heute die Abteilungen mit den Ausstellungen, die die gesamte Geschichte des Schlosses seit den ersten urkundlichen Erwähnungen zeigen, und im Westflügel ist eine Jugendherberge untergebracht“, schloss Dr. Schreiber seinen Vortrag und lehnte sich zurück.

Torben hatte noch einige kleinere Nachfragen, die der Direktor offenbar gern und bereitwillig beantwortete. Insgeheim brannte er jedoch zunehmend darauf, endlich den Obergruppenführersaal zu betreten, weil er sich dort den nächsten Hinweis erhoffte. Jedoch war es dann Dr. Schreiber, der sich plötzlich wieder an seinen Zeitmangel erinnerte und Torben vorschlug, jetzt die beabsichtigte Führung zu beginnen. Torben stimmte bereitwillig zu und während der nächsten eineinhalb Stunden zeigte ihm der Museumsdirektor die Burganlage und die Ausstellungsräume.

Obwohl sich im Westflügel nur eine gewöhnliche Jugendherberge befand, bestand Dr. Schreiber darauf, auch diesen Bereich zu besichtigen. Dort angekommen klärte er seinen Gast über die ehemalige Existenz der Studierzimmer für SS-Angehörige auf, die solch epische Namen wie König Artus, Gral, König Heinrich oder Heinrich der Löwe trugen und Himmlers Hang zum Germanentyp bis hin zur Gralsmythologie bestätigten.

Als Torben sich plötzlich in einem leeren Zimmer wiederfand, in dem nur einige Bistrotische verrieten, zu welchem Zweck der Raum gelegentlich benutzt wurde, sagte Dr. Schreiber: „Damit Sie sehen, wie groß die Schäden 1945 waren, habe ich Sie hierher geführt. Sie befinden sich jetzt nämlich im damaligen Arbeitszimmer Heinrich Himmlers.“

Torben war wie vor den Kopf geschlagen und es fiel ihm schwer, seine Enttäuschung zu verbergen, da dieser Raum quasi seinen Plan B darstellen sollte, falls er im Obergruppenführersaal keinen Hinweis finden würde. Noch bevor er etwas entgegnen konnte, sprach der Direktor weiter: „Damals schien es fast, als wäre das Feuer hier ausgebrochen. Die komplette Inneneinrichtung war zerstört. Selbst der Putz war durch die Hitze von den Wänden geplatzt und die Decke eingestürzt.“

Torben blickte sich nochmals in dem in sterilem Weiß gehaltenen Gelass um. Neue Fenster und moderne Bodenbeläge ließen nicht die geringste Assoziation mit dem ehemaligen Büro Himmlers zu. In der Dammsmühle hatte er sich wenigstens noch vorstellen können, wie Himmler an einem schweren Schreibtisch aus Eichenholz gesessen haben könnte.

Verärgert darüber, dass er diese Möglichkeit der Spurensuche aus seinem Kopf streichen musste, folgte er dem Direktor auf den Flur. Einen letzten Versuch wagend, fragte Torben: „Sind keinerlei Unterlagen von Himmler aufgefunden wurden?“

„Sie meinen persönlicher Art?“ Dr. Schreiber brauchte anscheinend nicht darüber nachzudenken und antwortete sofort: „Nein! Die Amerikaner haben das Wenige, was noch da war, mitgenommen. Auch der Tresor im Keller wurde von ihnen aufgesprengt.“

„Im Keller gibt es einen Tresor?“, wiederholte Torben kurzzeitig wieder neue Hoffnung schöpfend. „Könnte ich mir den ansehen?“

Der Museumsdirektor hielt im Laufen inne, sah ihn ernst an und erwiderte in einer Stimmlage, die jeden weiteren Einwand erübrigte: „Das ist leider nicht möglich, ich bedaure. Wir beabsichtigen nicht, den Keller mit in das Besuchsprogramm aufzunehmen. Diese Information wäre für Ihre Leser völlig uninteressant. Der Keller des Schlosses ist nämlich nicht saniert, in einigen Bereichen einsturzgefährdet und folglich der Zutritt untersagt. Lediglich der Küche der Jugendherberge ist es erlaubt, einige Getränke im Vorkeller kühl zu lagern.“

Obwohl Torben darauf mit einem „Ah, ich verstehe“ reagierte, überlegte er doch schon längst, wie ihm eine Besichtigung dennoch gelingen könnte. Bevor ihm allerdings eine geeignete Möglichkeit einfiel, hatten Sie bereits den Nordturm erreicht.

Hier wartete die nächste schlechte Nachricht auf Torben, denn Dr. Schreiber wollte ihm nicht gestatten, den Obergruppenführersaal zu betreten. Offensichtlich hatten Angehörige der rechten Szene in der Vergangenheit die Möglichkeit genutzt, sich im Raum in entsprechenden Posen gegenseitig abzulichten. Das Kuratorium der Gedenkstätte hatte deshalb beschlossen, den Zutritt generell wieder zu untersagen. Ausnahmegenehmigungen könne auch nur dieses Gremium beschließen, das erfahrungsgemäß nur alle acht Wochen zusammenkomme, wie der Direktor bemerkte.

Der Blick ins Innere war ihm lediglich durch eine verschlossene Gittertür aus Metall möglich, welche verhinderte, dass er näher als zehn Meter an das Sonnenrad herankam. Ein intensives Absuchen des Raumes, wie er es beabsichtigt hatte, war auf diese Weise überhaupt nicht möglich. Die glatten, weiß getünchten Säulen, die Wände und den Fußboden ohne Erfolg mit Blicken abtastend, verfluchte er innerlich die verfahrene Situation. Selbst sein viel gerühmter Charme, der Torben schon in der Schulzeit mehr als einmal geholfen hatte, konnte den Direktor nicht von seinen Prinzipien abbringen. Wie er feststellen musste, bewirkten Torbens diesbezügliche Versuche bei Dr. Schreiber eher das Gegenteil, da er zunehmend Anzeichen einer leichten Verstimmung zeigte.

Torben blieb nichts anderes übrig, als seinen Ärger hinunterzuschlucken. Er versuchte, so gut es von seinem Standort aus ging, einige Fotos vom Inneren des Saals und den Säulen zu fertigen. Zu guter Letzt fotografierte er noch einige alte Aufnahmen, die im Treppenhaus aushingen und den Raum unmittelbar nach Kriegsende in einem erheblichen Zerstörungsgrad zeigten.

Die sogenannte Gruft unterhalb des Saals wiederum durfte er zu seinem Erstaunen betreten. Wohl auch, weil fast nichts hier daran erinnerte, in welchem Gebäude man sich gerade befand oder welchem Zweck die Gruft diente. Sie war ein schmuckloser, wenn auch riesiger, gewölbeartig angelegter runder Kellerraum aus freiliegenden Backsteinen, der keinerlei Motive und nach Torbens Ansicht auch keine Hinweise für seine Suche bot. Lediglich in der Mitte des Deckengewölbes konnte er bei genauerem Hinsehen ein Hakenkreuz erkennen. Sicherheitshalber machte er dennoch auch hier einige Fotoaufnahmen. Vielleicht würde der Professor etwas Ungewöhnliches darauf entdecken.

Bei ihrer Rückkehr ans Tageslicht wurde der Direktor im Innenhof bereits von einer Dame mittleren Alters erwartet, die er Torben als seine persönliche Sekretärin vorstellte. Ihre kühle Begrüßung machte Torben deutlich, dass Dr. Schreibers Anwesenheit auch im normalen Geschäftsbetrieb erwünscht war. Er bedankte sich für die Zeit, die ihm der Museumsdirektor eingeräumt hatte, versprach ihm, den Artikel vor seiner Veröffentlichung zukommen zu lassen, und verabschiedete sich. Seine Entscheidung war wohl die richtige, denn Dr. Schreiber erwiderte sichtlich dankbar die Verabschiedung und ging umgehend mit seiner Sekretärin in sein Büro zurück.

Torben nutzte den Moment der neu gewonnenen Freiheit und kehrte, da ihm der Tresor Himmlers noch im Kopf herumspukte, noch einmal in den Westflügel zurück. Kinderlachen und Gekreische aus den oberen Etagen verrieten ihm, dass die Jugendherberge zurzeit belegt war.

Der Zugang zum Keller war schnell gefunden. Eine überraschend gut beleuchtete, steinerne Wendeltreppe führte in das darunterliegende Geschoss. Torbens Weg dahin endete jedoch alsbald am Fuß der Treppe an einer schweren, verschlossenen Holztür. Da sie sich trotz kräftigen Rüttelns nicht öffnen ließ, kehrte er missmutig und unverrichteter Dinge ins Erdgeschoss zurück.

Während er weiter durch den Korridor ging, dachte Torben nach: Wenn der Direktor die Wahrheit gesagt hatte, dann war der Keller in einem schlechten baulichen Zustand. Es war nur selbstverständlich, dass sein Eingang in einer Jugendherberge mit einer Vielzahl neugieriger Kinder, die nur zu gern das alte Gemäuer entdecken wollten und dafür auch Gefahren in Kauf nahmen, abgeschlossen war.

Er bemerkte erst, dass er den Weg zur Küche eingeschlagen hatte, als ihm der Geruch von altem Fett in die Nase stieg. Er folgte ihm und betrat kurz darauf einen mittelgroßen Raum, in dem etliche Tische und Bänke verrieten, dass er als Speiseraum fungierte. Im hinteren Teil gab es einen als Theke konzipierten Mauerdurchbruch zur eigentlichen Küche. Ursprünglich sehr wahrscheinlich nur zur Essensausgabe vorgesehen, diente der Tresen jetzt auch als Ablage für verschiedene Süßigkeiten, die offenkundig zum Verkauf standen. In einem Regal dahinter lagen weitere Snacks und Getränke zu ausnehmend moderaten Preisen. Offenbar sollten die Kids nicht allzu sehr ausgenommen werden.

Hinter der Theke lümmelte ein etwa achtzehnjähriger und sichtlich gelangweilter Jugendlicher, der dem Anschein nach zum letzten Jahrgang von Zivildienstleistenden gehörte und hier gerade seine Zeit absaß. Als er Torben erblickte, stellte er sich sofort aufrecht hin und fragte überaus höflich, ob er ihm etwas anbieten könne.

Torben, der nach einer letzten Möglichkeit suchte, doch noch in den Keller zu gelangen, warf einen schnellen Blick in die Küche, um festzustellen, ob der junge Mann allein war. Dem war so. „Ich würde einen Kaffee nehmen“, sagte er daher, „aber zu allererst brauche ich einen Verantwortlichen für die Jugendherberge. Ich habe nämlich gerade gehört, dass einige Kinder beabsichtigen, die Toiletten und Duschen unter Wasser zu setzen!“

 

Als sein Gegenüber das hörte, sprang dieser blitzschnell mit einem Satz über die Theke und rannte in Richtung Ausgang, nicht ohne höchst anstößig zu fluchen und ihm mitzuteilen, dass er die Gören dieses Mal erwischen würde.

Torben wartete noch nicht einmal, bis der andere außer Sicht war, und beugte sich schnell über die Theke, um unterhalb des Schanktisches nach einem Schlüssel Ausschau zu halten. Er hatte wirklich mehr Glück als Verstand, denn er erblickte einige Schlüssel, die an einem langen Band, augenscheinlich dem Werbegeschenk eines japanischen Autohauses, befestigt waren.

Sich innerlich rechtfertigend, dass er die Schlüssel ja nur kurz ausleihen und niemandem schaden wollte, ergriff er den Schlüsselbund und rannte in Richtung Keller zurück. Dort angekommen versuchte er mit schweißnassen Händen und außer Atem den passenden Schlüssel zu finden. Der vierte Versuch war erfolgreich und er konnte – während er ein Stoßgebet des Dankes gen Himmel richtete – die Tür öffnen.

Im Gegensatz zur Treppe war der dahinterliegende Flur überhaupt nicht beleuchtet. Nach einem Lichtschalter tastend, stolperte Torben über einige Getränkekisten. Er fing sich jedoch und rieb sich fluchend die schmerzenden Schienbeine. Während er bereits in den Gang trat, kramte er in seiner Tasche nach einer kleinen Lampe, die er nach den Erlebnissen in der Dammsmühle eingesteckt hatte. Als er sie endlich in Händen hielt, zeigte ihm ihr Lichtschein, dass der Direktor nicht gelogen hatte. Lediglich die ersten fünf Meter waren von Schutt geräumt. Im Rest des Gewölbes türmte sich das Geröll seit mehr als sechzig Jahren mindestens kniehoch auf.

Torben orientierte sich kurz und schlug dann instinktiv den Weg ein, der eine Etage höher in das ehemalige Arbeitszimmer Himmlers hätte führen können. In regelmäßigen Abständen tauchten Türöffnungen auf, in die er nur kurz hineinleuchtete, denn es zeigte sich sowieso immer das gleiche Bild: zerschlagene Ziegelsteine und Reste von Balken. Andere Gegenstände konnte er nicht erkennen.

Als er meinte, endlich den richtigen Raum vor sich zu haben, ging er hinein und sah, sich in seiner Annahme bestätigt. Die Freiräume zwischen den Rippen des Kreuzgewölbes im Raum ausnutzend, hatte man einen etwa einen Meter achtzig hohen Tresor in die hintere Wand einmauern lassen. Allerdings fehlte die Tür und Torben konnte sie in dem ganzen Bauschutt ringsum nicht entdecken, sosehr er auch danach suchte. Die Innenwände zeigten, dass der Tresor außerdem einmal Fächer besessen haben musste. Die Zwischenböden waren aber ebenfalls nicht mehr auffindbar. Torben, der sich trotz allem noch immer einen Hinweis erhoffte, trat näher heran und erkannte, dass der Tresor mit einer Tiefe und Breite von jeweils einem Meter durchaus geeignet gewesen wäre, einen erwachsenen Mann aufzunehmen.

Der Direktor hatte zwar davon gesprochen, dass der Geldschrank durch die US-Amerikaner aufgesprengt worden war, aber dennoch enttäuschte ihn der trostlose Anblick. Als er hineinleuchtete, bemerkte er, dass jemand mittig ein etwa dreißig mal dreißig Zentimeter großes Loch in den oberen Bereich der Rückwand geschnitten hatte, das den Blick auf einen Hohlraum zwischen Tresorwand und Mauerwerk freigab. Wer immer für dieses Loch verantwortlich war, das augenscheinlich mit einem moderneren elektrischen Werkzeug, wie einer Flex, in den Stahl getrieben worden war, musste gewusst haben, dass sich dahinter eine Art Versteck befand, in das Torben nun hineingriff. Die Öffnung abfühlend, stellte er nicht nur fest, dass sie so groß war wie vielleicht fünf übereinandergelegte Mauersteine, sondern auch vollständig leer.

Torben, der mittlerweile in der Dunkelheit jegliches Zeitgefühl verloren hatte und zunehmend fürchtete, dass man ihn entdecken könnte, suchte noch schnell die Innenwände des Tresors sowie die Mauern des Gewölbes erfolglos auf Gravuren oder Zeichen ab, machte wieder einige Fotos und rannte – oder besser stolperte – im Schutt einer untergegangenen Epoche in Richtung Ausgang zurück.

Verdreckt und verschwitzt, wie er inzwischen war, schlug er die Kellertür hinter sich zu, schloss schnell ab und eilte zur Küche zurück. Gottlob war der Raum noch immer menschenleer und der Hüter der Schlüssel noch nicht von seinen Ermittlungen zurückgekehrt.

Torben warf den Schlüssel regelrecht hinter den Tresen, durchquerte erneut fast rennend den Raum und bog nach links ab, wobei er sich zwang, seinen Schritt nun wieder zu verlangsamen, um nicht aufzufallen. Aus den Augenwinkeln heraus sah er den jungen Mann eine der Treppen herunterkommen. Der rief ihm noch hinterher, dass er jetzt seinen Kaffee bekommen könne, aber Torben drehte sich nicht einmal mehr um, sondern verließ den Westflügel schnellen Schrittes und zufrieden lächelnd in Richtung Hauptportal. Dass ihn die Sekretärin Dr. Schneiders beim Überqueren des Innenhofes der Burg von ihrem Bürofenster aus beobachtete, bemerkte er schon gar nicht mehr.

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