Geschichten von Jar

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Der Hauptangriff sollte kurz nach dem ersten Sonnenaufgang beginnen. Jeweils zwei Stunden vor Sonnenaufgang sollten sich die beiden Heere, die sich um die Flanken kümmern sollten, leise und in einem Bogen um die Stadt aufmachen, damit sie dann ca. eine Stunde nach Beginn der Schlacht in den Kampf eingreifen konnten.

Nachdem alle Heerführer gegangen waren, stand der König lange vor dem Kartentisch und begutachtete noch einmal in Ruhe alle Züge der Schlacht. Er konnte einfach keinen Fehler finden, alles war perfekt. Laurentius trat von hinten an den König heran und beide gingen noch einmal alles durch. Ihm schwirrten die Worte Kel-Nors durch den Kopf. Er sagte, man solle allem misstrauen, was perfekt aussieht.

Aber auch nach mehrmaligem Betrachten konnte er keine Schwachstelle in dem Plan entdecken.

Dann trat der König vor das Zelt, um seine Männer zu betrachten. Überall brannten Feuer und die Männer saßen oder standen um diese herum. Sie redeten und scherzten, als wäre es morgen früh nur ein Spaziergang. Ihm überkamen wieder Zweifel, ob es richtig sei, es den Männern zu leicht aussehen zu lassen. Aber nur so waren sie auch bereit dafür das Opfer zu bringen, um diese Schlacht zu führen.

Er wollte sich schon wieder umdrehen, um sich in sein Zelt zurückzuziehen, als er den Aufschrei der Männer vernahm.

Der dunkle Himmel war auf einmal leuchtend hell. Der König schaute hoch und sah riesige Feuerbälle heran fliegen. Bevor er überhaupt reagieren konnte, schlugen auch schon die ersten mitten in das Lager ein. Er konnte nur entsetzt zuschauen, wie die Bälle am Boden zerplatzten und sich der feurige Inhalt über seine Männer ergoss. Wohin der König auch sah, überall brannte es. Männer, die wie lebende Fackeln durch das Lager rannten. Die Schreie waren schrecklich. Es war ein Bild der Apokalypse.

Das war es, was Laurentius und Kel-Nor meinten. Alle Ordnung, alle Hoffnung war dahin. Im Lager herrschte nur noch heillose Panik. Auf einmal ragte eine Stimme aus dem Brüllen und dem Geschrei heraus.

„Zusammenziehen. Stellt eine Abwehrformation auf. Ordnet Euch, Männer.

Laurentius Stimme klang zwar laut über alles hinweg, aber sie strahlte dabei dennoch eine Ruhe aus, die die Männer wieder etwas beruhigte. Die Feuerbälle wurden weniger und der König kam wieder zu Sinnen. Es waren nur wenige Minuten vergangen, doch kam es ihm vor wie Stunden. Der Herrscher schnappte sein Schwert und rannte zu dem Platz, wo Laurentius die Männer ordnete. Überall lagen brennende Körper, wälzten sich brennende Männer und Frauen am Boden.

„Erlöst Eure Kameraden.

Diese Worte drangen grausam an die verbleibenden Männer.

„Los, wollt Ihr sie unnötig leiden lassen?

Der König erblickte entsetzt, wie Männer durch die Reihen gingen und mit ihren Schwertern auf die brennenden Körper einschlugen. Er spürte, wie sich seine Augen mit Tränen füllten. Der Gestank von verbranntem Fleisch und das Schreien und Stöhnen der brennenden und verwundeten Körper übertraf alles, worauf die Wanderer die Männer und auch ihn vorbereitet hatten.

Nun schwoll von weitem eine neue Geräuschkulisse zu ihnen heran. Es waren die siegestrunkenen Gesänge der heranstürmenden Heere von Malos. Schlagartig wurde ihm bewusst, wie falsch sie alle lagen. Nicht sie hatten den perfekten Plan Malos zu schlagen, sondern Malos hatte sie in einen perfekten Hinterhalt gelockt. Sie sind verraten worden

Gerade, als er mit dem Schwert in seinen Händen zu seinen Männern stürmen wollte, spürte der König einen stechenden Schmerz in seinem Rücken. Er hörte wie seine Männer aufschrieen und sah wie sie zu ihm liefen. Er ging in die Knie, sein Schwert fiel ihm aus der Hand. Er versuchte den Kopf zu heben um zu sehen was passierte, als er plötzlich einen dunklen Schatten über sich sah. Er sah in das hässliche Grinsen eines Wesens, wie er es noch nie gesehen hatte.

Er sah ein vollkommen bleiches und schmales Gesicht. Doch das Schlimmste waren die Augen. Sie schienen grün zu leuchten. Davon hatte er nur gehört. Wesen die sich nur dem Kampf verschrieben haben. Der König ergriff sein Schwert, das am Boden lag und wollte es aufheben, als er nur noch eine Klinge von oben auf sich herannahen sah. Das war das letzte Bild, das der König vernahm.

Laurentius war gerade dabei die restlichen Männer zu ordnen als er sah, wie ein weißer Laporer des Königs Kopf abschlug.

Er brüllte laut auf, um so die Männer in seine Richtung zu ziehen, aber die Panik unter den Männern war zu groß. Vorbei war der Heldenmut, vorbei war die Aussicht auf glanzvolle Taten.

Dies hier war keine Geschichte, der man gerne zuhörte und die großen Krieger bewunderte. Dies hier war eine Realität, vor der Kel-Nor und Laurentius den König und seine Männer immer gewarnt hatte. Die Männer sahen schon ihrem sicheren Tod ins Gesicht, als Malos Horde heranstürmte.

Nun kam bei einigen Männern doch der Mut wieder zurück. Der Mut der Verzweiflung. Sie versammelten sich um Laurentius und umklammerten ihre Schwerter. Auf einmal zog Laurentius sein Schwert und sprach ruhig einige seltsame Worte, die sie nicht verstanden. Und dann sahen sie etwas, was sie nur aus ganz alten Geschichten und Sagen kannten.

Laurentius Schwert glühte hell auf und seine Klinge wurde von langen Flammen umschlossen. Er holte mit seinem Schwert aus und wie eine lange Peitsche schossen die Flammen vor und schnitten eine weite Schneise in die heranstürmenden Horden. Wieder und wieder schlugen die Flammen eine blutige und heiße Schneise in die feindlichen Krieger. Nun machte sich unter den Feinden Panik breit. Sie stieben auseinander und versuchten den schützenden Wald zu erreichen. Aber es schien, als ob keiner den Flammen des Schwertes entkommen würde.

Die restlichen Männer des verbleibenden Heeres des Königs jubelten bereits auf in der unerwarteten Hoffnung des Siegs, als ein Pfeil, der wie aus dem Nichts zu kommen schien, sich in Laurentius Rücken bohrte.

Die Männer schrieen auf, als sie ihn zusammenbrechen sahen. Laurentius zitterte, doch er schlug weiter auf die nun fliehenden Krieger ein. Ein weiterer Pfeil traf ihn. Die Männer des Königs kamen aus ihrem Entsetzen nicht heraus, denn plötzlich erschien über ihnen ein Gesicht. Es war das überdimensionale Gesicht von Malos. Es zog ein widerliches Grinsen über sein Angesicht und sein Mund öffnete sich, als ob er höhnisch lachen würde. Aber, es war kein Laut zu hören.

Laurentius stand noch, aber er schien zu wanken. Mit einem Ruck hob er das Schwert und die Flammen fraßen sich durch die Erscheinung am Himmel. Das Gesicht verzog sich zu einer schreienden Fratze und es löste sich schließlich auf. Dieser Akt schien Laurentius die letzte Kraft genommen zu haben, denn er brach im selben Moment zusammen.

„Flieht, Ihr Narren, solange Ihr noch könnt. Diese Schlacht ist für alle verloren.

In aller Deutlichkeit vernahmen die Männer diese Worte. Es waren die letzten, die sie von Laurentius hörten, bevor er endgültig zusammenbrach. Dann schlug er hart mit dem Gesicht auf dem mit Blut getränkten Boden auf und sein Schwert erlosch. Die Männer waren wie erstarrt, bis einer laut das Wort „Fliehen.“ rief.

Als ob alle wieder aus einer Trance erwachten, setzten sie sich in Bewegung. Einige rannten zu den verbleibenden Pferden und saßen in Windeseile auf. Die meisten rannten nur noch in Richtung Heimat. Keiner verfolgte sie, denn kaum einer der gegnerischen Männer war noch am Ort der Schlacht. Auch sie hatten die alten Geschichten der Flammenschwerter und ihrer Macht gehört.

Und, dass nun ausgerechnet eines davon gegen sie gerichtet wurde, hatte sie in Panik versetzt. Auch sie flohen so schnell sie konnten. So endete die Schlacht am Killener Grün, bevor sie überhaupt begonnen hatte. Von den 65.000 Männern kehrten nur noch knapp 10.000 zurück. Und auch diese waren mehr oder weniger von dem Kampf gezeichnet.

So erfuhr auch die Königin von dem Tod ihres Gatten und das Reich vom Untergang ihres Königs. Es gab kaum eine Familie, die nicht jemanden verloren hatte.

So brachte der Krieg nicht nur Opfer an Männern, sondern raubte auch fast jeder Familie die Grundlage ihrer Existenz. Höfe waren auf einmal ohne Männer, die die Felder bewirtschafteten, Handwerksbetriebe ohne Meister. Dieser Krieg hatte dem Königreich Jar auch das Wissen gekostet.

Lehrjungen und Frauen mussten auf einmal die Arbeiten machen, die bisher die Männer verrichteten. Sie mussten sich das Wissen aneignen, das sonst nur von Mund zu Mund, von Meister auf Lehrjungen ging. Es schien, als ob das Königreich in eine dunkle Zeit verfallen würde.

Die Königin brach zusammen, als sie vom Tode ihres Gatten hörte und Gero von Gildnis wähnte sich seinem Ziel nahe und kümmerte sich persönlich um die Herrin. Doch er hatte nicht mit dem Misstrauen Whins und vor allem mit der Ablehnung Willehads gerechnet.

Die Königin schien immer mehr zu verfallen, da sie kaum noch das Bett verließ und kaum noch redete. Kein Heiler war in der Lage sie aus dieser Situation zu befreien. Selbst Whin, der durch seine langen Jahre, die er schon auf Jar weilte und ein enormes Wissen hatte, konnte sich den Zustand der Königin nicht erklären.

Gero von Gildnis bestand darauf, dass ihm Whin sagen sollte, wohin die Prinzessin gebracht wurde, da er nun die Reichsgeschäfte führen musste. Doch Whin sagte ihm vor allen versammelten Höflingen, dass er nicht das Recht besitze dieses Wissen einzufordern und dass er wohl kaum der Richtige sei, um das Reich aus dem Chaos zu lenken.

 

Geros Gesicht lief rot an und man sah, dass er schreien wollte, aber er hatte sich sehr schnell wieder im Griff und versuchte Whin zu schmeicheln, indem er ihm vorschlug, dass sie doch gemeinsam versuchen sollten das Reich wieder aufzubauen, um es für die Prinzessin vorzubereiten. Man konnte sehen, wie diese Vorstellung Whin anwiderte und er sagte ruhig, dass man erst einmal versuchen sollte die Königin wieder zu heilen. Denn sie sollte es sein, die mit ihrer Weisheit die Geschicke des Königreichs Jar steuern sollte.

Gero sackte leicht in sich zusammensackte und er suchte nach geeigneten Worten, aber er drehte sich nur stumm von den anderen weg und verließ dann die Halle. Höflinge berichteten, dass sein Gesicht dabei hasserfüllt aussah, aber er ließ es weder Whin noch Willehad sehen. Whin verließ ebenfalls die Halle und gab Willehad zu verstehen, dass er ihm folgen sollte. Als sie alleine waren, bat Whin ihn, auf Gero zu achten und ihn nicht mehr alleine mit der Königin zu lassen. Willehad nickte und er folgte Gero nach oben über den Balkon.

Als ob es Whin vorausgesehen hatte, begab sich Gero direkt zu den Gemächern der Königin. Leise betrat Willehad die Räumlichkeiten und konnte gerade noch sehen, wie Gero der Königin etwas aus einer kleinen Phiole einflößte. Was es war, konnte sich Willehad denken. Diese grüne und leuchtende Farbe in der Phiole konnte nichts anderes als das Gift des Dunkelfisches sein. Er schrie aus Leibeskräften und Gero fuhr mit wütendem Gesicht herum.

„Du wirst mich nicht daran hindern, das zu tun, was notwendig ist, du Narr. Ihr wisst doch gar nicht, was Malos kann. Ich werde dieses Reich in seinem Namen führen. Niemand wird mich daran hindern können. Vielleicht hat er eine Niederlage erlitten, aber er wird größer zurückkommen, als Ihr es Euch vorstellen könnt. Also, versuche mich nicht daran zu hindern, was getan werden muss. Du hast mir zu gehorchen, denn ich bin jetzt der Statthalter dieses Reiches. Du bist mir also Gehorsam schuldig.

Willehad sah, wie der Kopf der Königin zur Seite fiel und sich vor ihrem Mund Schaum bildete. Verachtend sah er Gero an und dieser grinste nur hämisch zurück. Willehad spürte eine Wut in sich aufsteigen, wie er sie noch nie gespürt hatte. Er, der sonst immer so gefasst war, dem nie etwas aus der Ruhe bringen konnte, merkte, wie ihn diese Wut übermannte.

Mit voller Wucht stieß er sein Messer tief in Geros Bauch. Willehad war gar nicht ganz klar, wie es in seine Hand gekommen ist. Er muss es schon beim Betreten des Raumes gezogen haben. Geros Schrei drang durch das ganze Schloss und es dauerte nicht lange, da stürmten die Wachen, mit Whin an der Spitze, durch die Tür. Whin erfasste sofort die Situation mit einem Blick. Er hastete auf die Königin zu und sah, was passiert war. Whin drehte sich um und gab der Wache die Anweisung sofort die Heiler kommen zu lassen. Er wusste aber auch, dass es überflüssig war, doch er brauchte die Zeit, um sich ein Bild machen zu können.

Willehad stand wie betäubt in der Mitte des Raumes. In seiner rechten Hand hielt er immer noch das blutige Messer. Seine Knöchel traten weiß hervor, so fest umschloss er den Griff. Neben ihm am Boden wand sich Gero von Gildnis. Er röchelte heftig und hielt sich seine Hände auf die Wunde. Durch sie floss sein Blut auf den Boden. Die beiden restlichen Wachen standen wie Säulen da und schauten ungläubig auf ihre tote Königin.

In dem Moment betraten die Heiler die Gemächer und wollten zu der Königin eilen. Doch Whin bremste sie.

„Die Königin ist tot. Sie ist bereits von uns gegangen. Niemand von uns ist in der Lage sie wieder zurück zu holen. Aber Ihr könnt Euch um den Verräter kümmern, der dort am Boden liegt. Versucht ihn zu retten, damit über ihn gerichtet werden kann. So einfach soll er nicht davon kommen.

Die Heiler schauten Whin verdutzt an, denn seine Worte waren in einer Härte gesprochen, die sie noch nie so von ihm vernahmen. Er war für seine Sanftheit und für die ruhige Art zu sprechen bekannt. Niemals wurde er laut oder seine Worte klangen hart. Doch jetzt hörten sie sich wie Schwerter an, die in einen Körper eindrangen.

Die Heiler wandten sich den am Boden windenden Gero zu. Whin ging zu Willehad und nahm ihm das Messer aus der Hand. Er legte ihm beruhigend die Hand auf die Schulter und drängte ihn sanft zur Tür, um ihn aus dem Raum zu führen. Dabei sprach er beruhigend auf ihn ein. Beim Verlassen des Raumes sah er sich noch einmal zu den Heilern um, doch diese schüttelten nur mit dem Kopf. Gero war schon so gut wie tot, es gab keine Möglichkeit mehr ihn für seinen Verrat zu richten. Das hatte Willehad getan.

Auf einmal schien wieder Leben in Willehad zurückzukehren. Die Wachen sahen, wie seine Schultern anfingen zu zucken und er fing an zu weinen. Jeder der Wachen wusste, wie sehr gerade Willehad die Königin vergötterte. Der König wollte ihn sogar zum führenden Bediensteten am Hof ernennen, da Willehad nicht nur loyal, sondern auch immer beherrscht und überlegt war. Denn er war bei aller Strenge, die er dem restlichen Personal gegenüber hatte, immer gerecht und immer da, wenn sie Sorgen hatten. Gerade das Personal, welches neu an den Hof kam, war bei Willehad gut aufgehoben.

Es hieß, wer durch die Schule Willehads ging, konnte es weit bringen. Und was tat er, als der König ihn zum führenden Bediensteten ernennen wollte? Er bat einfach darum, weiterhin der persönliche Page der Königin bleiben zu dürfen. Da er das absolute Vertrauen des Königs genoss, blieb es auch dabei.

„Willehad, Du hast genau das getan, was Du tun musstest. Gero schien sie schon seit längerem vergiftet zu haben. Dich trifft keine Schuld an dem Ganzen. Ich bin es, der es früher hätte bemerken müssen. Ich könnte mich ohrfeigen, weil ich die Zeichen übersehen habe. Verdammt. Laurentius ist tot und Kel ist verschwunden. Willehad, Du musst dich jetzt zusammen reißen. Das Königreich muss weiter bestehen. Ich schaffe es nicht alleine. Mir fehlt das diplomatische Benehmen am Hofe.

Du kennst Dich am besten mit allem aus, was mit dem Leben am Hofe zu tun hat. Das Volk und das Reich brauchen einen starken und überlegten Willehad.

Während Whin diese Worte sprach, trat er mit Willehad auf die Balustrade direkt vor den Gemächern der Königin. Unten im Saal standen fast alle Bediensteten und Wachen des Hofes. Alle hatten sie das Schreien Geros vernommen und wollten nun wissen, was passiert ist. Whin trat mit Willehad an seiner Seite vor die Versammelten und legte seine Hand auf dessen Schultern.

„Der gemeine Verräter Gero von Gildnis hat die Königin vergiftet. Er hat wahrscheinlich auch Malos die Pläne des Königs verraten. Das Königreich Jar ist nun ohne Führung durch einen König oder einer Königin.

Die Prinzessin ist zu jung, um den Thron besteigen zu können. Sie ist vor allem nicht auf Jar, sondern sie wächst in Sicherheit vor allen Unbilden auf.

Dank Willehad konnte dem Treiben des Verräters Gero von Gildnis ein Ende gesetzt werden. Ich denke nicht, dass er alleine am Hofe war, der in Diensten Malos stand. Wir können die Tat Willehads nicht hoch genug einschätzen, denn wenn er nicht gewesen wäre, hätte Gero von Gildnis die Macht am Hofe von Jar übernommen und somit das Volk an Malos und seinem Gefolge ausgeliefert.

Nur durch Willehads beherztes Eingreifen wurde etwas Schlimmeres verhindert. Ich weiß, dass das Volk von Jar uns Wanderer immer mit Misstrauen begegnete. Aber im Moment sind wir die einzigen, die dem Reich wieder Stabilität geben können. Daher werden Willehad und ich zusammen die Regierungsgeschäfte des Reichs übernehmen.

Wir werden versuchen der Prinzessin, wenn sie alt genug sein wird, das Reich so zu übergeben, dass es auch wieder als ein Reich bezeichnet werden kann.

Ein Reich, in dem sich die Menschen wohl fühlen und in dem es eine funktionierende Struktur gibt, die es ermöglicht, dass jeder ein gutes Leben führen kann.

Aber bis dahin gibt es viel zu tun. Wir stehen im Moment vor einen Scherbenhaufen, der schlimmer nicht sein könnte. Doch, wenn alle zusammen an einem Strang ziehen, dann werden wir es schaffen. Da es im Reich nur noch in Wiesbach und Pernal Fürsten gibt und auch die Barone der anderen kleinen Provinzen im Felde gefallen sind, werden diese durch den Hofe selber und durch Wiesbach und Pernal verwaltet.

Da nur die Krone Fürsten und Barone ernennen kann, wird es ein langer Weg bis wir wieder einen Zustand erreichen, der mit dem vor diesem Krieg vergleichbar wäre. Vor allem wird es darum gehen, dass es im Reich wieder aufwärts geht. Durch den Tod der Männer am Killener Grün ist auch viel von dem Wissen verloren gegangen.

Ich werde daher meine Brüder bitten Euch zu helfen. Unser Wissen umfasst viele Bereiche und auch viele Jahre, so dass Ihr Lehrer für alle Dinge des Lebens und des Arbeitens bekommt. Nur müsst auch ihr, die ihr am Hofe seid dieses Wissen unter das Volk bringen.

Ihr seid daher nicht länger mehr an diesen Hof gebunden, sondern müsst auch als Helfer und Lehrer unter das Volk gehen. Wichtig ist nur, dass es weiter geht mit dem Handwerk und der Landwirtschaft.

Ihr tut es nicht nur für Euch, sondern für die Menschen von Jar und auch dafür, dass die Prinzessin eines Tages wieder in einen funktionierenden Staat zurückkehren kann.

Vor allem müssen wir gewappnet sein. Dass Malos geschlagen wurde, wie einige behaupten, halte ich für übertrieben. Sicher, er hat auch schwere Verluste erlitten, aber er wird versuchen seinen Einfluss und seine Macht wieder aufzubauen. Haltet Euch das immer vor Augen. Es liegt jetzt mit an Euch, wie schnell wir dieses Land wieder in ein blühendes und vor allem lebenswertes Reich zurückverwandeln können.

Nehmt also die Hilfe der Wanderer an, denn sie können Euch lehren, wie die Dinge des Alltags funktionieren und so könnt Ihr die Lehrer Eures Volkes sein. Ab heute müssen die Frauen die Männern ersetzen, denn sie werden es hauptsächlich sein, die die Last des Wiederaufbaus tragen werden. Sie sollen Zugang zu allen Positionen der Männer bekommen, denn ohne sie wird nichts funktionieren. Also seid auch Ihr bereit Neues zu lernen, um so andere zu lehren?

Nachdem Whin seine Rede beendet hatte, herrschte eine unheimliche Stille im Saal. Alle schauten sich fragend an. Eben noch war alle Hoffnungen verloren, der König in der Schlacht gefallen, die Königin in den eigenen Gemächern durch die Hand eines Verräters gestorben.

Niemand schien da zu sein, der in der Lage gewesen wäre, diese Situation zu meistern. Und jetzt? Am Hofe waren fast nur noch Frauen. Bis auf ein paar ältere Männer, waren fast alle jungen Männer mit in die Schlacht gezogen. Was konnten die Frauen bisher lernen?

Nicht viel, außer einem Haushalt zu führen oder als Heilerin zu helfen. Nur wenige Frauen hatten es in den Männerberufen geschafft.

Wozu auch?

Bisher gab es auch keine Notwendigkeit dafür. Zwar waren Frauen schon immer dem Manne gleichgestellt, aber kaum eine Frau hatte bisher einen Beruf erlernt oder hatte einen eigenen Betrieb oder Hof.

Doch jetzt, so plötzlich und unerwartet, fast wie aus einem jedoch nicht sehr heiteren Himmel, kommt ein Wanderer daher und verlangt von den Frauen, dass sie mithelfen sollten wieder alles neu aufzubauen.

Whin hatte Recht mit dem, was er sagte, denn auch unter ihnen waren viele, die gerade erst dabei waren hier am Hofe zu lernen. Nur einige der Wachen waren schon älter und erfahren.

Da trat der Hauptmann der Wache vor, schaute zu Whin hoch und sprach.

„Mein Schwert und mein Wissen für das Reich. Ihr könnt über mich und meine Männer verfügen.

Er kniete sich vor Whin nieder und senkte seinen Kopf, um so zu zeigen, dass er verstanden hatte, was Whin ihnen eben erklärte. Nachdem er so kniete, taten es ihm immer mehr Menschen gleich. Nach kurzer Zeit knieten alle vor Whin und Willehad. Man konnte es nicht übersehen, dass sich Whins Gesichtsausdruck entspannte. Er war deutlich erleichtert. Gemeinsam mit Willehad verbeugte er sich tief vor den Frauen und Männern im Saal.

„Ich werde also nach meinen Brüdern schicken lassen. In zwei Tagen können die ersten eintreffen. Daher werden wir auch so schnell wie möglich mit der Ausbildung und dem Aufbau beginnen. Ich werde kein Recht über das Reich sprechen. Das soll der Rat der Menschen tun.

 

Dieser Rat soll noch bald von Willehad einberufen und eingewiesen werden. Daher lasst Boten ins Reich schicken, damit sich die verbliebenen klügsten Köpfe des Reiches am Hofe versammeln.

Aber bis dahin möchte ich eine kleine Truppe bilden, die sich zum Killener Grün begibt und den König heimbringt, und auch soll sie dafür sorgen, dass die gefallenen Männer begraben werden. Diese Gruppe wird von einigen Wanderern angeführt, so dass diese Aufgabe in Ruhe durchgeführt werden kann.

Ab heute befinden sich auch die Wanderer im Krieg. Aber wir werden keinen Angriffskrieg führen, sondern wir werden alles tun, um den Frieden in Jar zu sichern. Hauptmann Bender, ich würde Euch bitten, dass Ihr die Gruppe zum Killener Grün anführt.

Whin meinte damit den Hauptmann der Wache, der ihm als erster seinen Zuspruch gab. Hauptmann Bender stand auf und schaute Whin direkt ins Gesicht.

„Es wird mir eine Ehre sein, diese Gruppe zu führen. Seid versichert, dass ich mein Leben dafür geben werde, diese Aufgabe zu Eurer Zufriedenheit zu beenden. Des Königs sterbliche Überreste werden in das Reich heimkehren.

Er verbeugte sich vor Whin und Willehad. Whin dankte ihm, indem er zustimmend mit dem Kopf nickte. Dann wies er an, alles für die Beerdigung der Königin und den Hof für die Ankunft der Wanderer vorzubereiten.

Am nächsten Morgen sollten die ersten Boten ins Land geschickt werden, um sich ein Bild davon machen zu können, wo welcher Mangel vorherrschte und wo am dringendsten Hilfe benötigt wird.

Hiermit begann die Zeit, die man die Zeit des hohen Rates nannte und es war dem Geschick und der Zielstrebigkeit Whins und Willehads zu verdanken, dass es in Jar sehr schnell geschafft wurde, wieder eine funktionierende Wirtschaft und vor allem einen stabilen Frieden zu schaffen. Plünderungen und marodierende Horden, die es meistens sehr oft nach einem so vernichtenden Niederschlag gab, traten nur sehr selten in Erscheinung. Und die, die versuchten aus dem Elend der Bevölkerung nur ihren Nutzen zu ziehen, wurden sehr schnell bekämpft und besiegt. Meistens waren es Männer und Frauen, die alles verloren hatten und sich so wieder das beschaffen wollten, um zu überleben.

Auch hier bewiesen Whin und Willehad sehr viel Geschick, denn die meisten konnten wieder in den normalen Ablauf des Reiches integriert werden. Sie und der Rat regierten mit viel Nachsicht und so schafften sie es mit Hilfe der Wanderer und denen, die sie unterrichteten und innerhalb von drei Jahren wieder dazu gelernt hatten, dass Jar wieder aufblühte und wirtschaftlichen Wachstum verzeichnete.

Die Menschen hatten angesichts dieser Situation die Prinzessin fast vergessen, aber Whin und Willehad taten alles, um den Menschen zu verstehen zu geben, dass dieses nur ein Übergang ist. So wartete das Volk seitdem sehnsüchtig auf die Rückkehr ihrer Prinzessin.

Johanna schaute gedankenverloren aus dem Fenster, nachdem Loussana die Geschichte beendete. Auch Ricarda hing in ihren Gedanken fest. Draußen wurde es langsam, aber sicher dunkel. Sie mussten fast zwei Stunden der Geschichte Loussanas gelauscht haben. Johanna kam so langsam wieder aus ihren Gedanken hoch und sah auf Loussana.

„Ich danke dir, Loussana.

Danke, für diese ausführliche Darstellung dessen, was geschehen ist. Aber ich sehe, dass dich das Erzählen angestrengt hat. Mein Gott, wie die Zeit vergeht. Ich weiß, dass Du dich jetzt wohl am liebsten ausruhen möchtest, aber ich möchte Dich bitten, uns zu begleiten, denn wir müssen nun wohl vor den Rat treten. Mama, wirst du mich begleiten?

Ich weiß, dass ich es nicht von dir erwarten kann, aber ich möchte, dass du mit mir das Reich regierst. Ich bin zwar schon sehr weit, denn das wurde mir mit in die Wiege gelegt, aber ich bin doch erst 18 Jahre und ich habe Angst davor alleine Entscheidungen zu treffen, die ein ganzes Volk betreffen.

Dabei schaute sie bittend ihre Mutter an. Ricarda lächelte und nahm Johannas Kopf in ihre Hände.

„Johanna, ich werde immer für dich da sein. Auch, wenn ich im Moment etwas überwältigt bin und die Ereignisse nur so auf mich einstürzen. Ich habe dich achtzehn Jahre lang großgezogen und ich werde es auch die restliche Zeit machen. Schatz, du wirst mich so schnell nicht los.

Johanna war nach diesen Worten sehr erleichtert und fiel ihrer Mutter um den Hals. Beide drückten sich fest. Tränen standen in ihren Augen. Loussana stand neben ihnen und schaute ergriffen zu, wie sich die beiden in den Armen lagen.

Johanna machte einen Schritt auf Loussana zu und umarmte auch diese. Loussana war perplex. Nie hatte sie mit so einer Reaktion gerechnet.

Sie wurde auf alles vorbereitet, aber auf so etwas nicht. Die Prinzessin war für sie immer etwas Unnahbares gewesen. Ihre ganze Ausbildung war darauf ausgerichtet nur der Prinzessin zu dienen, ohne je auch nur ein Wort des Dankes oder der Anerkennung zu erwarten.

Nun stand sie aber hier und wurde von ihrer Herrin umarmt. Wie in Trance schlossen sich auch ihre Arme um Johanna und erwiderten die Umarmung.

Ein Gefühl der Freude durchströmte sie. Diese Prinzessin war anders als es ihr je gelehrt wurde und Loussana war sich sicher, dass, was immer auch kommen mag, sie für die Prinzessin einstehen würde.

„Loussana, auch wenn wir uns erst sehr kurz kennen, kommt es mir so vor, als würde ich Dich schon so lange kennen. Ich weiß, dass Du zu meiner Zofe ausgebildet wurdest, aber ich habe ein großes Vertrauen in Dir. Ich benötige keine Zofe, ich brauche eine Freundin. Kannst Du mir beides sein, Loussana?

Diese Worte trafen Loussana wie ein Keulenschlag. Johanna hatte die Umarmung gelöst. Loussana ging vor Johanna in die Knie und senkte dabei ihren Kopf. Doch Johanna nahm ihre Arme und zog sie wieder zu sich hoch.

„Loussana, ich möchte nicht, dass du vor irgendjemandem kniest. Ich finde es entwürdigend. Du bist fast fünf Jahre älter als ich und, auch wenn ich eine Prinzessin bin, so bin ich auch ein 18 jähriges Mädchen, das jemanden braucht, der sie als Freundin begleitet. Also, bitte knie nie wieder vor mir. Das ist beschämend.

Ricarda schaute mit großen Augen auf ihre Tochter. Genau den gleichen Blick hatte Loussana. Das waren nicht die Worte einer 18- jährigen. Das waren die Worte eines sehr überlegten Menschen. Klar, Johanna war schon immer etwas anders als die anderen Mädchen in ihrem Alter, aber sie war auch immer gerne ein Teenager. Mit allen ihren Launen und Freuden. Aber jetzt kam sie Ricarda vor, als ob sie schon immer die gewesen ist, die sie sein sollte. Und das machte Ricarda Angst.

„Johanna, ich bin unheimlich stolz auf dich. Vergiss aber bitte nicht, dass du immer noch ein junges Mädchen bist. Auch, wenn hier viele von dir Dinge erwarten, die selbst für mich zu groß erscheinen. Ich bin mir sicher, dass du damit fertig wirst, aber du musst auch an dich denken, ansonsten wirst du irgendwann merken, dass dir etwas Wichtiges gefehlt hat.

Sei ab und an auch immer noch das Kind, das du noch bist. Denke bitte daran, dass alles hier ist deine Entscheidung. Tom sagte, dass nur du es wählen kannst, ob du es annimmst oder nicht. Überlege dir also sehr gut, ob du dich dem allen gewachsen fühlst. Egal, mein Schatz, wie deine Entscheidung ausfällt, ich stehe immer zu dir.

Ricarda sprach diese Worte sehr ernst und sie schaute dabei fest in Johannas Augen. Diese lächelte mild und streichelte das Gesicht ihrer Mutter.

„Ich weiß, Mama, dass du immer zu mir stehen wirst, aber meine Entscheidung ist schon längst gefallen. Ich werde dieses Schicksal annehmen, aber ich werde es nicht alleine bestreiten. Du brauchst keine Angst um mich zu haben. Solange du bei mir bist und auch die Kleine, werde ich es schaffen. Ich bin mir sicher, dass wir es gemeinsam schaffen.